Ebony & Ivory von Coraline ================================================================================ Kapitel 1: Lillien & englische Literatur ---------------------------------------- "Kaoru-chan~", drang es unverkennbar laut durch die Kopfhörer des Jungen, der stillschweigend die verschiedensten Optionen in seinem Kopf durchspulte, zwecks eines Problems, das ihn schon seit Tagen beschäftigte. Er kam zu zwei moralisch halbwegs annehmbaren Ergebnissen: Entweder, er würde seinen Englischlehrer nach der letzten Stunde aufsuchen und ihm, unter Einsatz all seines schauspielerischen Könnens (und Augentropfen) mit all der Dramaturgie, die er aufbringen konnte (und das war durchaus mehr, als für den Durchschnittsmensch gesund war), gestehen, dass er über Nacht zum Analphabeten geworden war, von Schluchzern gebeutelt und dem gelegentlichen, melodiösen Schnäuzen in ein Taschentuch begleitet. Oder er würde das vermaledeite Buch in seinen Händen einfach zu seinem besten Freund mit nachhause schleppen und an der kleinen Feuerstelle in seinem Garten, die sie normalerweise zum Grillen benutzten, zu einem nach Druckertinte duftenden Lagerfeuer werden lassen. Sie könnten es auch rauchen. So oder so, am Ende würde es brennen. Sein Gesicht verzerrte sich aufgrund eines recht ähnlichen Ereignisses, das noch nicht lange genug zurücklag. Nein, rauchen war definitiv keine gute Idee. Morgens bekleidet aufzuwachen war ein Privileg, auf das er keinesfalls ein zweites Mal verzichten wollte. Obwohl der Schreck am Morgen es echt wert gewesen war, als die große Schwester seines Freundes sie beide splitterfasernackt, eingewickelt in eine mit diversen Brandlöchern versehene Tagesdecke, entdeckt hatte. Der Schrei, irgendwo zwischen Verzückung und Horror verlaufen, sorgte dafür, dass sie zum ersten Mal seit Anbeginn ihrer schulischen Laufbahn zu früh zur Schule erschienen, trotz der vielen Pausen, die sie einlegen mussten, damit sie nicht aufgrund des Luftmangels implodierten, der für gewöhnlich dann einsetzte, wenn man hysterisch kichernd mit 180 Sachen wegzurennen versuchte. Er für seinen Teil, fand das äußerst unmännlich, aber sein Begleiter hatte während des Frühstücks in Gegenwart seiner konfusen Schwester so verführerisch an der Spitze seines Croissants gesaugt, das er nicht anders konnte, als laut lachend aus dem kleinen Vorstadthäuschen zu poltern. Besagter Freund stürmte gerade mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zu und rammte ihm sein gesamtes Gewicht in den Rücken, seine tägliche Begrüßung seit Jahren, extra für ihn ausgedacht. "Kaoru-chan! Sag mal, ignorierst du mich absichtlich? Du weißt genau, das ich weiß, das du die Kopfhörer nur drin hast, damit du wenigstens morgens einen Vorwand hast, alles und jeden zu ignorieren.", tadelte der Junge auf seinem Rücken und lugte neugierig über seine Schulter. "Höhere englische Literatur? Na das ist natürlich ein Grund.", grinste er süffisant und sprang wieder zurück auf den Gehsteig. "Jetzt sei kein Arsch! Ich hab erst zehn Seiten und morgen ist der Abgabetermin für die Zusammenfassung!", gestand er verzweifelt und raufte sich die Haare. "Ohne mich wärst du so aufgeschmissen, Alter.", grinste er noch eine Spur breiter und drückte ihm einen kleinen Stapel Blätter in die Hand. "Das ist doch nicht-" "Doch. Betrachte es als verspätetes Geburtstagsgeschenk, als ich es bevorzugt habe, mit Fieber im Bett zu liegen, statt mich mit dir und Kimiko durch sämtliche Bars von Tokio zu saufen." Sprachlos blickte Kaoru zwischen seiner neu erworbenen Hausaufgabe und seinem besten Freund abwechselnd hin und her. "Shin, du..." "Ich weiß, dass ich toll bin.", klopfte er sich übertrieben stolz auf die Brust und brachte sie dazu, weiterzugehen. "Darf ich dich heiraten wenn wir mit der Schule fertig sind?", fragte Kaoru schon fast hoffnungsvoll und erntete damit einen herzhaften Lacher und den dazugehörigen Klaps auf den Rücken. "Alles klar, Kaoru-chan! Aber nur, wenn du kochst, das kann ich nämlich ums Verrecken nicht." "Was anderes habe ich auch nicht von einem Kerl erwartet, der sich alle fünf Tage die Haare färbt.", schnaubte Kaoru verächtlich und wuschelte Shinji durch die azurblaue Haarpracht. "Ich achte eben auf mein Styling.", meinte er leicht pikiert und lockerte sich die Krawatte aufgrund der warmen Maisonne ein wenig. "Deine Naturhaarfarbe ist übrigens schwarz, Shin.", kam es hinter einer Wand aus blütenweißem Papier hervor. "Das weiß ich!", schoss es ein bisschen zu schnell aus ihm hervor. "Nichts für ungut, ich dachte, ich erinnere dich mal sicherheitshalber daran.", neckte er ihn und bekam sogleich einen zweiten Klaps, diesmal allerdings auf den Hinterkopf um einiges fester als beim ersten Mal, was dazu führte, dass ihm sämtliche Blätter vor Schreck aus den Händen fielen und sich quer über den Boden verteilten. Fluchend bückte sich der Brünette und klaubte mühsam jedes einzelne Blatt vom siedend heiß aufgewärmten Untergrund auf. Gerade war er beim letzten angelangt und wollte es aufheben, da kam ihm eine langfingrige Hand auch schon zuvor und hielt es ihm vor die Nase. Er brauchte gar nicht in das Gesicht der Person zu sehen, um zu wissen, wer es war. Ein Blick auf die in der Sonne glitzernden und klimpernden unzähligen Armreifen genügte schon. "Kimiko-chama!", quietschte Shinji verzückt, hüpfte auf sie zu und gab ihr durch den blonden Schleier an Haaren hindurch einen Kuss auf die Wange, was sehr seltsam aussah, da er sich erst auf die Zehenspitzen stellen musste, um überhaupt auch nur in die Nähe ihres Gesichtes zu kommen. "Willst du was von mir, Shin?", lachte sie und half Kaoru aufzustehen, der dank ihrer Hilfe jetzt alle Blätter zusammen hatte. "Die Mathehausaufgaben, Liebste." "Hatte der Anführer der Gartenzwerge wieder wichtigere Dinge zu tun, als seine Schularbeiten zu erledigen? Ts ts." "Ach komm schon, Kimiko. Ich hab Kaorus Englischhausaufgabe fertig schreiben müssen, weil er zu blöd dazu ist, Romanji auseinander zu halten.", schmollte er und sah mit großen, blauen Augen zu ihr hoch. "Das ist sehr nobel von dir, aber ich sage trotzdem nein.", kniff sie ihn in die Wange und lächelte unschuldig, Kaorus kleinen Wutausbruch der Bemerkung wegen, geflissentlich ignorierend. "Bitte, Kimiko. Kriegst auch einen Lolly." "Den in deiner Hose?", kommentierte sie trocken und hakte sich bei Kaoru ein. "Bevorzugt." Unbewusst musste der Dritte im Bunde lächeln. Auch wenn es so aussah, natürlich wollte Shinji nichts von Kimiko, sonst würde ihre Freundschaft nicht so funktionieren wie sie es nun einmal tat. Es war nur eins ihrer zahllosen Spiele, die aus purer Langeweile entstanden waren und sich irgendwie zu ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung entwickelt hatte. "Dein Rock wird auch immer kürzer, Kimiko. Langsam hab ich das Gefühl, du willst mich.", hörte er den Blauhaarigen sich gerade beschweren und unterdrückte ein Lachen. Er betrachtete das Mädchen von der Seite und musste feststellen, dass sich wieder dieses amüsierte Funkeln in ihre hellgrünen Augen geschlichen hatte, das nur Shinji zustande brachte. Zeit für eine passende Erwiderung blieb ihr keine, denn von weitem ließ das schrille Klingeln der Schulglocke sie alle drei auffahren wie verschreckte Hühner. Kaoru war schon ein Stück losgesprintet, um auch nur den leisesten Hauch einer Chance zu haben, früher als der Lehrer im Klassenzimmer zu sein. Putzdienst. Mal wieder. Na klasse. So was konnte auch nur ihm passieren. Verwünschungen ausstoßend schnappte er sich den Schwamm und knallte ihn mit einer solchen Wucht gegen die Tafel, das es ihn, durch den Aufprall gefördert, wieder zurückschleuderte und durch eine Laune der Natur geradewegs wieder in das Gesicht des Jungen klatschte, mit all dem Kreidewasser, das sich angesammelt hatte. Natürlich. Sein Freund kam damit davon, an einer Privatschule mit gefärbten Haaren aufzukreuzen, während er nicht mal einen gewöhnlichen Schwamm werfen durfte. Noch dazu würde er sicher Ewigkeiten brauchen, um den Müll, den seine über alles geliebten Klassenkameraden innerhalb von acht Stunden angehäuft hatten, aufzuräumen. Dabei war heute Muttertag und er hatte seiner Mutter versprochen, früher zu kommen und für sie zu kochen, wenn sie nachhause kam. Und ein Geschenk musste er auch noch besorgen. Das Problem war bloß, das er vergessen hatte, sich in der Pause einpaar Yen von Kimiko zu schnorren und so würde das Geschenk aufgrund des Geldmangels wohl leider eher bescheiden ausfallen. Na ja, wenigstens für einen einfachen Blumenstrauß müsste es reichen, auch, wenn er ihr gerne eine größere Freude gemacht hätte. Seitdem sie sich von seinem Vater hatte scheiden lassen, sah er sie kaum noch lächeln, sie hatte stattdessen einen ermüdeten und verspannten Gesichtsausdruck angenommen. Das wollte er ihr wenigstens für diesen Tag ersparen. "Ach was soll’s.", murmelte er zu sich selbst, ließ das Klassenzimmer unaufgeräumt wie es war und stahl sich so unauffällig wie möglich aus dem Schulgebäude. Man musste eben Prioritäten im Leben setzen und das hier war eine davon, dachte er bei sich und strich sich eine Strähne aus der Stirn, während er durch die Straßen schlenderte und nach einem Blumenladen Ausschau hielt. Da, an der Ecke, man hätte ihn beinahe übersehen, so klein war er, stand einer. Er sah zwar nicht gerade wie ein Laden aus, in den man sich gerne reingewagt hätte, denn die Fassade war an vielen Stellen abgeblättert und das Schild über der Tür hing ein bisschen schief, aber an diesem Tag war Kaoru alles andere als wählerisch und so steuerte er direkt darauf zu. Als er drin ankam vernahm er als Erstes das sanfte Klingeln einer Glocke und den angenehmen Geruch von Rosen und Lilien ganz anders als in den üblichen Blumenläden, in denen er bereits gewesen war. Eigentlich war es hier drin auch gar nicht so übel, wenn er darüber nachdachte, zwar war alles voll gestopft mit Rosen und dem ganzen Zeug, das Mütter eben gern hatten, aber es hatte dennoch eine anheimelnde Atmosphäre, die der gestresste Brünette im Moment sehr begrüßte. "Ein Last-Minute-Shopper?", begrüßte ihn die Verkäuferin hinter der Theke freundlich. "Davon hatten wir heute ziemlich viele. Was darf´s denn sein, der Herr?" "Ach ich weiß nicht. Wie viel bekommt ich für 1200 Yen?", fragte er leicht in Gedanken und blickte auf, um auf ein Paar Augen zu treffen, deren Farbe so verwirrend war, dass er sie nicht richtig beschreiben konnte. Irgendetwas zwischen Schwarz und Grau, soviel konnte er feststellen. "Nicht genug für einen schönen Blumenstrauß." Die anfängliche Zuversicht hatte sich in Ärgernis umgewandelt. Er hätte einfach nicht das Geld vergessen dürfen! Jetzt hatte er nicht einmal einen ordentlichen Strauß, mit dem er sich für das verspätete Essen entschuldigen konnte, denn seine Mutter war inzwischen bestimmt schon zuhause angekommen. Er kaute an der Innenseite seiner Wange und überlegte fieberhaft. Selbst wenn er in ein anderes Geschäft ginge, würde das Geld nicht reichen und etwas Billigeres als Blumen war in dieser Stadt nur schwer zu finden. Überrascht weiteten sich seine eigenen goldbraunen Augen, als er plötzlich ein Paar Schuhe nicht unweit von seinen entdeckte. Als er aufblickte, wurde ihm der größte Strauß weißer Lilien vor die Nase gehalten, den er jemals gesehen hatte, von niemand anderem als der Verkäuferin, die, so merkte er jetzt, wo er sich ihr Gesicht genauer ansah nicht viel älter als er selbst sein konnte. "Für mich?", hauchte er verwundert und deutete mit dem Finger auf sich selbst. "Nun ja, nicht direkt. Er ist ursprünglich für Ihre Mutter gedacht, aber für den Zeitraum bis Sie sie zu Gesicht bekommen, gehört er wohl Ihnen." "Aber das… das kann ich unmöglich alles bezahlen.", stotterte er und betrachtete Stirn runzelnd die vielen kleinen Münzen in seiner Hand und zählte sicherheitshalber noch mal nach. "Kein Problem. Das geht aufs Haus.", lächelte die Frau freundlich und drückte ihm das ganz und gar weiße Arrangement aus Lilien auffordernd in die freie Hand. "Wahnsinn. Ist das... ist das Ihr Ernst?" "Natürlich. An so einem besonderen Tag sollte man nicht mit leeren Händen nachhause kommen, nicht wahr?" Während sie sprach, neigte sie ihren Kopf leicht zur Seite, so dass ihr pechschwarzer Pferdeschwanz aberwitzig hin- und herwippte. Ihr Kunde indes kam gar nicht mehr aus dem Stottern raus, so überwältigt war er von dem mehr als großzügigen Geschenk. Als er fragte, wie er sich jemals erkenntlich zeigen konnte, winkte sie nur ab und meinte: "Sie könnten mir am Samstagnachmittag ein bisschen Gesellschaft leisten, um diese Zeit ist immer so wenig los und ich langweile mich fürchterlich." Na wenn das mal nicht eindeutig war. "Wird gemacht, schöne Frau, bis in einpaar Tagen, ich muss mich jetzt beeilen.", grinste er frech und schickte sich an zu gehen, doch eine kurze Bemerkung ließ ihn mitten im Schritt innehalten: "Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mich so nicht raustrauen." Er drehte sich um und skeptisch hob sich eine seiner Augenbrauen wie von selbst. "Wieso? Sehe ich etwa nicht gut aus?" "Ich würde sagen guter Durchschnitt. Aber eigentlich", sie tippte sich sachte an die gerötete Wange, "meinte ich etwas Anderes." "Was soll das heißen guter... oh mein Gott habe ich etwa immer noch Kreide oben?!", kreischte er mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Jetzt konnte die Verkäuferin auch schon nicht mehr an sich halten und ihr mühsam zurückgehaltenes Kichern, das er für ein freundliches Lächeln gehalten hatte, explodierte in einen Lachanfall erster Klasse. Nach einpaar Minuten, die dem schamesroten Oberschüler wie ganze Dekaden -in seinen Augen- hämischen Gelächters vorkamen, gewann sein Gegenüber endlich den ungleich schweren Kampf mit seiner Selbstbeherrschung und stützte sich japsend an ihren kräftigen Oberschenkeln ab. "Ihr ganzes Gesicht ist voll davon.", prustete sie ungehalten. "Soll ich Ihnen einen Lappen bringen?", schlug sie vor und wischte sich mit dem Handrücken die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Peinlich berührt gab er ihr murmelnd seine Zustimmung und wagte dabei nicht, sie direkt anzusehen, während sie geschäftig hinter der Theke herumwuselte, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Einmal kurz hörte er das Rauschen von Wasser und das Trippeln von Absätzen, ehe sie weitersprach: "Es tut mir wirklich leid, das ich so unhöflich war, ich habe sie bestimmt in Verlegenheit gebracht, aber es kommt nun mal selten vor, das ich auf Kunden treffe, deren Gesicht so aussieht als hätten sie es mit Puderzucker bestreut." Nachdem er penibel jeden noch so kleinen Hinweis auf Kreide, Puderzucker oder etwaigen Drogenkonsum beseitigt hatte, bedankte er sich noch einmal knapp, scharlachrot und höflich für das Geschenk und verließ Hals über Kopf das winzige Geschäft, wobei die Glocke an der Tür ein richtiges Konzert veranstaltete, so heftig schlug sie hin und her. An der Ampel, etliche Meter weiter, machte er noch einmal kopfschüttelnd auf dem Absatz kehrt und rannte zurück zum Blumenladen, wo die schwarzhaarige Frau schon in der Tür stand und geduldig auf ihn wartete. Nach Luft ringend krallte er sich am abgenutzten Türrahmen fest und grinste bis über beide Ohren. "Der Name ist übrigens Manjyoume." Kapitel 2: Zuckerwatteporno & Atommüll-Bento -------------------------------------------- "Also dann erzähl mal, wie du auf die schöne Unbekannte gestoßen bist, von der du schon den ganzen Tag schwärmst.", grinste die große Blonde verschlagen und klopfte mit der flachen Hand auf den leeren Platz neben sich. "Ach, ich hab eigentlich selber keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin." meinte Kaoru nachdenklich während er es sich auf dem übermenschlich großen Bett bequem machte. "Vielleicht war es ja Schicksal.", fügte er mit funkelnden Augen hinzu ehe er einen Polster ins Gesicht geschleudert bekam und zerzaust fortfuhr, als wäre nichts gewesen. "Schon gut, schon gut. Eigentlich hab ich nur einen Blumenladen gesucht und bin dann bei ihr gelandet." "Du meinst, du hast sie auf dem Weg dorthin getroffen?" "Nein.", lachte er und stützte sein Gesicht in seine Hände. "Ich meinte, ihr gehört der Blumenladen. Und sie hat mir sogar einen Riesen-Blumenstrauß geschenkt, weil ich nicht genug Geld hatte, kannst du dir das vorstellen? Ich will nicht wissen, wie viel der unter normalen Umständen gekostet hätte." "Und wie ich dich kenne, bist du sofort drauf angesprungen, du kleiner Träumer.", kicherte sie verhalten und rollte aufgrund eines besonders beherzten Stoßes in die Seite auch schon prompt vom Bett, wo sie unbekümmert liegen blieb und sich weiter über ihn amüsierte. "Es ist immer das Gleiche mit dir, Kaoru. Kaum siehst du ein hübsches Mädchen, das nett zu dir ist, bist du schon hin und weg und hältst sie für deine große Liebe." "Halt die Klappe! Ich bin nicht verliebt, klar?!" "Oh du bist ja so süß.", gurrte sie und kam um das Bett herumgekrochen, nur um ihn in die signalrote Wange zu stupsen, die halb unter dem weichen Kopfkissen von vorhin versteckt lag, das er sich in einem Anfall von pubertärer Frustration über den Kopf gestülpt hatte. "Und du nervst.", schmollte er und drehte seinen Kopf zur Seite, so dass sie nur noch seinen dunklen Haarschopf zu Gesicht bekam. Schmollend kletterte sie auf seinen Rücken und zog ihm das Kissen vom Kopf. "Ach komm schon, du weißt, das ich meine täglichen fünf Minuten bis fünf Stunden Wie-ärgere-ich-Kaoru-am-besten brauche, sonst bekomm ich diesen wunderschönen Glanz in den Augen, der aussieht wie toter Rotbarsch von letzter Woche, wie Shinji es so galant ausgedrückt hat." "Wieso? Passt doch zum Fischgesicht." Das diese Bemerkung tödlich enden könnte, wurde ihm erst bewusst, als ihm mit einem Daunenfederkissen der flauschigste Erstickungstod in Japan und vermutlich auch der ganzen Welt beschert wurde. Es hätte höchstwahrscheinlich auch ganz gut geklappt, wenn da nicht dieser gewisse Störfaktor S gewesen wäre, der wie ein Berserker an die Tür hämmerte und die beiden in ihrer trauten Zweisamkeit, nun ja, wie gesagt, einfach störte. Dankbar, dass seine Nahtoderfahrung unterbrochen wurde, warf Kaoru seine schwere Last von sich (die ausgesprochen unweiblich protestierte) und stürmte zur Tür, wo er auch schon bald neue Erfahrungen machte. Seine Nase auf Holz machte sich eindeutig nicht gut, fluchte er innerlich, als auch schon Shinji grinsend über ihm stand und laut verkündete: "Mann, wie konnte ich bloß vergessen, das ich einen Zweitschlüssel hab? Da hätte ich ja gar nicht anklopfen müssen!" Verwundert schaute er sich um, bis er Kaoru kniend vor sich entdeckte und sein anfängliches Grinsen noch breiter wurde. "Also das du dich so freust, mich zu sehen Kaoru... aber mitten in Kimikos Wohnung? Meinst du nicht, sie wird sauer, wenn's Flecken gibt?" Schwerfällig stand er auf und hielt sich die pochende Nase. "Komm einfach mit." "Hmm, ja stimmt, du würdest dir so wahrscheinlich nur die Knie wundscheuern.", plapperte sein Mitbringsel munter weiter und versuchte im unbeleuchteten Wohnungsflur nicht über seine eigenen Füße zu stolpern. "Halt einfach die Klappe Shin." "Oh das werd ich, keine Sorge. Solange du deine aufmachst." "Nfu!" "Nfu? Ist das überhaupt ein Wort?" "Lass mich in Ruhe. Ich bin frustriert. Außerdem muss ich noch mal über deine freundschaftlichen Absichten nachdenken." "Da hast du dir aber keine bessere Gelegenheit aussuchen können als heute, wo wir doch bei Kimiko übernachten, in einer besonders heißen Mainacht, in einem Hauch von nichts bekleidet und uns ein einziges Bett zu dritt teilen müssen." Sichtlich entnervt stapfte der Brünette voran, stieß die Tür zu Kimikos Gemächern auf und packte seine Schlafsachen aus, die er mitgebracht hatte, darauf erpicht, jeden weiteren Annäherungsversuch zu ignorieren. "Kimiko, du schläfst heute zwischen Shinji und mir, ja?" Angesprochene tauchte gerade unter ihrem Bett hervor und spuckte ein paar Strähnen aus, die ihr unliebsam im Mund hingen und versuchte insgesamt nicht so auszusehen wie ein blonder Wischmopp. Als sie das endlich bewerkstelligt hatte, sah sie die beiden Ankömmlinge leicht feixend an und stützte sich auf der Matratze vor ihr ab. "Was denn? Kein Sex für Shin heute? Hast du nicht Angst, dass er sich stattdessen an mir vergreift?" Abschätzend betrachtete der Oberschüler sie vom Kopfansatz bis zu den Fingerspitzen, denn mehr bekam er im Moment nicht zu sehen und wandte sich mit einem kühlen "Nein" wieder ab. Statt sich zu beschweren streckte sie ihm nur die Zunge heraus und schnappte sich den Neuankömmling um ihn etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. "Rosa.", stellte sie trocken fest. "Ich weiß." "Was echt?", kam es aus dem Bad, in dem sich Kaoru befand und dem Lautstärkepegel nach zu urteilen vermutlich gerade versuchte, sich umzuziehen oder einfach beliebig irgendwelche Badeutensilien zerstörte. "Ich dachte vorhin an der Haustür, wegen dem Luftmangel es wäre eine optische Täuschung. Wäre mir ehrlich gesagt lieber gewesen." Bestürzt griff sich der kleinste der Drei an die Brust und rief vorwurfsvoll: "Glaubt ihr etwa im Ernst, das ich mir die Haare freiwillig so färben würde? Gut, ich hatte vor, dieses Jahr alle Regenbogenfarben durchzunehmen, aber ich hatte mir auch ganz fest vorgenommen, rosa auszulassen! Das war Mius Verdienst, sie hat mir irgendwas in meine Shampooflasche getan, das Biest." Als der Name Miu fiel, hörte man ein besonders lautes Krachen aus dem Badezimmer und kurz darauf auch schon einen weiteren Zusatz in Kaorus buntem Vokabular, das es sich vorgenommen hatte, Shins Haarfarben mit großem Erfolg nachzueifern. Bei Miu handelte es sich nämlich um niemand anderen als eine von Shins kleinen Schwestern, die nebenbei ebenfalls die Freuden des Haarefärbens entdeckt hatte, und, was noch schlimmer war, das ungezogenste Rotzgör war, das er kannte. Um die Umstände noch ein bisschen zu erschweren, war sie äußerst frühreif für ihre zarten elf Jahre und hatte seit neustem sehr... unproduktive Wege entdeckt, ihre Zuneigung zu Kaoru zum Ausdruck zu bringen. Der Nachgeschmack ihres selbst gemachten Atommüll-Bentos lag ihm nach Monaten immer noch schwer auf der Zunge. Leicht angewidert trat er aus dem Badezimmer und musste feststellen, dass es besser gewesen wäre, für den Rest des Abends drinnen zu bleiben. "Also das... das ist..." Ihm fehlten für einen kurzen Moment die Worte, als Kimiko so vor ihm stand, offensichtlich nicht der visuellen Körperverletzung bewusst, die sie ihm mit ihrer neuen Garderobe antat. "Was denn? Gefällt's dir nicht? Da sind Häschen drauf.", nuschelte sie ein bisschen kleinlaut unter dem geschockten Blick, den er ihr zuwarf. "Kimiko, das ist kein Schlafanzug mehr, das ist einfach nur noch abturnend. Wärst du nicht meine beste Freundin, würde ich überlegen, dich zu verklagen.", entrüstete sich Kaoru. Als sie ihn nur mit großen fragenden Augen ansah, erbarmte sich Shinji schließlich, auch etwas dazuzusagen. "Kimmi, wenn es wenigstens durchsichtig wäre, hätten wir nichts dagegen", an dieser Stelle bekam er einen bösen Blick von Kaoru, der es sich aber in letzter Sekunde doch anders überlegte und zustimmend nickte, "aber das... ist einfach eine Beleidigung fürs Auge Süße, ich mein das ernst." Nachdenklich zupfte sie an ihren sackartigen Ärmeln und inspizierte eines der Häschen ein bisschen genauer als nötig. "Ich schlafe immer so. Wenn ihr ein Problem damit habt, dann schlaft eben auf dem Boden oder sonst wo, ich hatte jedenfalls nicht vor, in meinem Negligé vor euch rumzutänzeln.", gab sie sich berechtigt etwas beleidigt und beendete damit das Gespräch. "Also, wenn du das Negligé nicht tragen willst, dann finde ich, sollte Kaoru das machen.", schlug Shinji nach einer Weile des Schweigens in einem Ton vor, als wäre es das normalste der Welt. Die entgleisten Gesichtszüge ignorierend fuhr er gelassen fort: "Denk an die Hochzeitsnacht, Kaoru. Wenn es soweit ist, sollten wir uns doch mit dem Körper des anderen auskennen, findest du nicht?" Statt zu antworten ging dieser nur schweigend auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die Hüften mit der Aussage: "Ich finde, wenn du schon unten liegst, solltest du nicht so große Töne spucken, Kleiner, obwohl ich bezweifle, dass du das in dieser Lage überhaupt könntest." Jetzt war Shin wenigstens still, auch wenn das von dem Schock her rührte, das sein Freund etwas so uncharakteristisch zweideutiges vom Stapel ließ, dass er es geschafft hatte, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. "Kimiko?", wandte er sich ängstlich an das blonde Mädchen, das dazu übergegangen war, kritisch ihre Reflexion in den zahlreichen Spiegeln über ihrem Bett zu betrachten. "Ja?" "Du schläfst heute zwischen mir und Kaoru, ja?" Gähnend hievte sie sich wieder aus ihrer liegenden Position nach oben und bedachte sie beide mit einem amüsiert-gelangweilten Lächeln, (einer ihrer Spezialitäten) und antwortete: "Das mit dem Schlafanzug war wohl doch keine so schlechte Idee von mir, wenn ich schon bei euch zwei notgeilen Spinnern schlafen muss." Doch trotz der eigentlich unüberwindbaren 70 Kilo Barriere zwischen ihnen, schafften es beide Jungen am Morgen wieder halb aufeinander zu landen und halb auf dem Schlafzimmerboden, gefesselt und geknebelt von unzähligen weißen Laken, sodass sie aussahen wie zwei riesige menschliche Raupen. Das wurde ihnen beiden allerdings erst bewusst, als sie von graziösem Hin- und Hertrampeln und dem verdächtigen Klicken einer Kamera im Minutentakt geweckt wurden. Verschlafen öffnete Shinji die Augen, der es trotz Kaorus Behauptung geschafft hatte, über eben diesem zu liegen und wurde sogleich mit einer hyperaktiven Kimiko belohnt, die nichts besseres zu tun hatte, als die morgendliche Stille auszunutzen und Fotos zu schießen. "Was machst du da?", nuschelte er noch nicht ganz bei sich und runzelte die Stirn. "Sieht man doch. Ich mache Fotos. Manchmal bist du echt so was von blöd, Shin.", kicherte sie angesichts des Gesichtsausdrucks, der ihr geboten wurde. "Ja soviel seh ich auch Kimmi. Aber wieso?" "Ist 'n schönes Motiv.", meinte sie schlicht, jetzt erst recht angestachelt von dem schnellen Klicken der Kamera. "Kimmi, wie viel Zucker hast du in deinen Kaffee getan?", stöhnte ein braunhaariges Stoffbündel, bei dem es sich unverkennbar um Kaoru handeln musste. "Ein bisschen.", zwitscherte sie und zupfte inzwischen wie wild an ihrer Hochsteckfrisur herum. "Ich hab's nicht wirklich gesehen, weil es noch dunkel war, als ich aufgewacht bin. Aber so viel kann's nicht gewesen sein.", fügte sie noch hinzu und tauchte in den Unweiten ihres begehbaren Kleiderschranks ab. "Das erklärt alles. Wie spät ist es überhaupt?", murrte Kaoru, verzweifelt herumstrampelnd, immer noch gefangen in seinem Raupenanzug. "Es ist dreizehn Uhr, mein Lieber.", tönte es motiviert aus dem Kleiderschrank. "Haben wir heute nicht Schule?", gähnte der rosa Ballast über Kaoru und machte nicht die geringsten Anstalten, sich nur einen Millimeter von seiner jetzigen Position fortzubewegen, was das herausschälen für seinen Freund so gut wie unmöglich machte. "Wir hatten. Heute ist Samstag. Shin und wenn du nicht sofort von mir runter gehst, überleg' ich's mir anders und nehm' deine vielen Angebote ernst." "Sogar mit meinen unsexy rosa Zuckerwatte-Haaren?" "Oh die finde ich ja ganz besonders süß an dir. Vom Rest mal ganz abgesehen", lächelte er charmant und leckte sich kurz über die Lippen. "Kaoru-chan?" "Hm?" "Kimiko filmt uns gerade.", stellte Shin mit einem kurzen Seitenblick nach rechts fest. "Ich weiß." "Und ich will einen ordentlichen Porno, Leute, also ein bisschen mehr Action, Shinji, denk an den Umsatz.",feuerte Kimiko ihn an und fuchtelte ein bisschen unnötig mit der Kamera herum, die drohte, ihr aus den Händen zu fallen. Wie von der Tarantel gestochen sprang der Angesprochene auf und starrte abwechselnd zwischen den beiden Grinsekatzen hin und her, die sich seine Freunde nannten. "Na dann", strahlend klatschte die Blondine in die Hände, "ein ordentlicher Porno ist nichts ohne ordentliches Spielzeug, also zieht euch an ihr Luschen, wir gehen jetzt shoppen." Eine Stunde später hatte sie auch beide so weit und schleifte sie enthusiastisch von einer Boutique zur nächsten, als sie unversehens stehen blieb und auf eins der Schaufenster zuhüpfte, nur um sich die Nase daran platt zu drücken. "Ein Juwelier? Was will sie dort?", flüsterte der Junge mit der auffälligen Haarfarbe in einer dunkeln Vorahnung. "Sie will doch nicht etwa-" "Doch. Ich glaube, es ist besser, wenn du ihr nachgehst und dafür sorgst, dass sie ihren Vater nicht in den Ruin treibt." "Was? Wieso sollte ich mich von der Elster da drüben zerfleischen lassen, während du zuschaust?", beschwerte er sich und deutete mit einer ausholenden Geste auf das Mädchen das sich zu ihnen umgedreht hatte, unschuldig lächelte und gleichzeitig das Funkeln eines Raubtiers auf Beutefang in den Augen hatte. "Weil ich jetzt ein Date habe, Liebling. Falls es dir zuviel wird, ich bin in dem kleinen Laden da drüben. Zück schon mal das Portemonnaie, Kleiner, ich glaube, Kimmi hat was schönes gefunden." Und schon war er verschwunden, mitsamt dem unangefangenen Kaffee, den Shinji bis vor zwei Sekunden noch sein eigen nennen durfte. Wie ein kleiner Wirbelwind kam er in den Laden gestürmt und sorgte dafür, dass die Glocke über ihm wieder eines ihrer liebreizenden Konzerte veranstaltete. Dass der Kaffee dabei überschwappte und sich über seiner Hand ergoss, bemerkte er gar nicht erst. Sein Fokus lag ohnehin auf der jungen Frau hinter der Theke, die, als sie ihn kommen hörte, überrascht von ihrem Buch aufsah und ihm zulächelte. "Guten Tag, Manjyoume-kun, ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr." "Ach was.", grinste er verlegen und stellte den Becher vor ihr ab und rieb sich mit der rechten Hand den Nacken. "Ich will ja nicht unhöflich sein, aber Sie schmieren sich da gerade Kaffee in die Haare." "A-Ach wirklich?", stotterte er und zog die pochende rote Hand wieder hinter seinem Kopf hervor. "Ja. Und Sie waren gleich so geschickt, sich vorher daran zu verbrennen. Wenn Sie wollen, mache ich Ihnen einen Verband.", schlug sie hilfsbereit vor und holte einen Erste-Hilfe-Koffer unter der Theke hervor. Nach einpaar geistigen Ohrfeigen traute er seiner Stimme wieder, mehr als nur ein Piepsen zu sein und antwortete: "Also das... das wäre sehr nett, danke." Hätte er doch lieber den Mund gehalten, fluchte er innerlich. Er klang, als würde man ihn Hüfte abwärts mit einem Schlagstock malträtieren. Nun gut, vielleicht wäre es besser, nichts zu sagen, beschloss er und versuchte irgendwie seine Schamesröte zu verstecken, ein Versuch, der fruchtlos bleiben sollte, da eine weiche blasse Hand nach seiner griff und ihn wieder diese vermaledeiten Augen auf eine Art und Weise fixierten, als wüssten sie bereits mehr über ihn, als er jemals preisgeben würde. Und sie amüsierten sich köstlich darüber. "Sie machen sich lustig über mich.", schmollte er und brach den Augenkontakt gezwungenermaßen ab. "Ein bisschen vielleicht. Aber Sie bieten sich ja geradezu dafür an." Entrüstet schnappte er nach Luft und wollte schon fast seine Hand aus ihrem Griff befreien, doch sie gluckste nur leise vor sich hin, während sie den Verband sorgsam um seine Handinnenfläche legte. "Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein. Ich finde schüchterne Jungs sehr süß." Jetzt musste er sich wenigstens nicht mehr vornehmen, den Mund zu halten, das hatte diese Aussage für ihn glücklicherweise schon erledigt. "Wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen? Manjyoume ist mir persönlich ein bisschen zu wenig." Mist. "Natürlich. Ähm... ich-ich heiße Kaoru." "Was für ein schöner Name! Sie können mich Riku nennen, wenn Sie wollen." Erstaunt riss er die Augen auf und zog die Hand ein bisschen zurück. "Aber ist das nicht furchtbar unhöflich? Ich meine, wir kennen uns doch kaum und-" "Sie dürfen das." "Und wieso?" "Ich finde Sie niedlich.", antwortete sie ihm, als wäre es ein Naturgesetz. Kaum eine Sekunde später war sie auch schon mit dem Verbinden fertig und nahm einen Schluck aus dem Becher vor ihr. Offensichtlich wollte sie ihm alle Zeit der Welt mit dem Antworten lassen. Ihr Gegenüber für seinen Teil jedoch, war noch nie so froh gewesen, einen Pony zu haben, hinter dem er sich im Moment verzweifelt zu verstecken versuchte. Als er jedoch einsah, das er den neugierigen Blicken der Frau nicht entkommen konnte, holte er tief Luft und fasste allen Mut zusammen: "Also ich finde Sie auch nicht schlecht, wenn ich ehrlich bin." "Das dachte ich mir bereits.", lächelte sie und schlug die Augen nieder, während sie einen weiteren Schluck nahm. "Schön, wenn sie sowieso schon alles wissen, brauche ich ja gar nichts mehr zu sagen." "Wollen sie denn gar nichts über mich wissen?" "Doch, aber", vorsichtig hievte er sich auf die Theke, da er nicht die ganze Zeit stehen wollte und drehte sich zu ihr nach hinten, um sie besser anschauen zu können, "ich weiß nicht ganz, wo ich anfangen soll." "Stellen Sie mir einfach die Frage, die Ihnen als Erstes in den Kopf schießt." "Also gut. Ähm... haben Sie nie daran gedacht, den Laden zu restaurieren? Als ich letztes Mal herkam, war dass das Erste, was mir aufgefallen ist.", gab er zu und hoffte, sie würde ihm nicht allzu böse sein. Doch stattdessen verschluckte sie sich nur an ihrem Kaffee. "Nun ja, eigentlich schon. Aber", sie hustete erneut, "Sie müssen wissen, mir gehört der Laden nicht. Ich vertrete nur eine Freundin von mir, bis sie aus ihrem Urlaub zurück ist, weil ich nichts Besseres zu tun habe. Aber sobald sie zurückkommt, werde ich ihr das ans Herz legen." "Wirklich? Was machen Sie denn sonst so, wenn sie nicht hier arbeiten würden?" An diesem Punkt seufzte sie und blickte irgendwo in die Ferne, den Kopf in der Hand gestützt. "Alles und gar nichts." "Was soll das denn heißen? Gehen Sie gar nicht zur Schule oder so?" Lachend versprühte die junge Frau den Rest des Becherinhaltes über ihr offen liegendes Buch, was sie aber offenkundig nicht groß störte. "Was ist? Hab' ich was Falsches gesagt?" "Nein, nein, das ist es nicht... für wie alt halten Sie mich Manjyoume-kun?" Nach kurzem Überlegen sagte er: "Na ja, älter als 25 können sie nicht sein." Der Laden erbebte fast unter ihrem schallenden Gelächter, hinterließ bei ihrem Besucher allerdings nur ein riesiges Fragezeichen im Kopf. "25 also... wenn Sie das möchten, von mir aus.", kicherte sie und schüttelte den Kopf. Das diese Antwort den Oberschüler nur noch mehr verwirrte, war offensichtlich, doch als er zu einer weiteren Frage ansetzen wollte, vernahm er das Klingeln der Glocke in seinem Rücken und drehte sich wieder so um, dass er sich den neuen Besucher genauer ansehen konnte. Kurz stockte ihm der Atem. Es handelte sich um ein Schulmädchen in einer schwarzen Uniform, ungefähr in seinem Alter, doch das war nicht das außergewöhnliche an ihr. Es war ihr Gesicht, denn es war exakt das Gleiche, von dem er sich vor einpaar Sekunden abgewandt hatte. "Sag mal, hab ich was im Gesicht, das du mich so anstarrst?", fragte sie ein bisschen irritiert von dem intensiven Blick, der ihr zuteil wurde. "Was? Äh nein, natürlich nicht!" Fast schon automatisch schnellte seine Hand zu seinem Nacken, eine nervöse Angewohnheit von ihm. Schnell wandte er seinen Blick wieder von ihr ab und drehte sich nach hinten. "Sie haben eine Schwester, Riku?" Diese konnte sich kaum noch halten vor lachen und lag schon halb auf dem Holztisch. "Nein, nicht direkt also-" Das Mädchen schnitt ihr das Wort ab, indem sie auf beide zuschritt und Kaoru von oben bis unten musterte. "Ist das der Kerl, von dem du mir erzählt hast?" Mehr als ein schwaches Nicken brachte sie in ihrer gegenwärtigen Lage nicht zustande. "Ein Schüler? Sag mal, hast du gar keine Manieren mehr?!" Eine Antwort konnte sie wohl nicht mehr erwarten, das bemerkte auch Kaoru, der schnell das Wort ergriff. "Der Kerl hat auch einen Namen, nur damit du es weißt." "Ach ja und welchen, wenn ich fragen darf?", schnappte sie und bedachte ihn mit einem leicht angewiderten Blick. "Manjyoume Kaoru, angenehm." "Inoue Hotaru. Du flirtest da gerade mit meiner Mutter, du Hohlpfosten." Kapitel 3: Leibesvisitationen & Nervenzusammenbrüche ---------------------------------------------------- Der Gesichtsausdruck, der daraufhin folgte, war in der Tat ein Bild für die Götter. "Wahnsinn Süßer, du weißt gar nicht, wie intellektuell du gerade aussiehst.", staunte Hotaru, die sich gerade als Tochter der "Ladenbesitzerin" vorgestellt hatte. Zur Bekräftigung ihrer Worte stemmte sie die Hände in die Hüften, was an sich schon ein schweres Unterfangen war, da diese nicht wirklich kurvenreich waren. Fast schon komatös vor Schreck merkte Kaoru gar nicht, wie seine Hand wieder schmerzhaft anfing zu pochen. Dass er aufgehört hatte zu atmen und dabei einen schmeichelhaften Veilchenfarbenen Hautton angenommen hatte, der sich kollegial ein Drittel seines Gesichtes mit käseweiß und puterrot teilte, auch nicht. Insgesamt konnte er der Lidschattenpalette seiner Mutter Konkurrenz machen. Als das lila unter seinen Augen allerdings immer dunkler wurde, zog es selbst Hotaru in Betracht, sich langsam Sorgen zu machen, und das, wo ihre Augen bis vor wenigen Sekunden noch vor spöttischem Amüsement wahre Silvesterfeuerwerke gesprüht hatten. Also kneifte sie ihn kräftig in den Oberarm, natürlich aus reiner Hilfsbereitschaft, versteht sich. Das wiederum resultierte in einem quietschenden Aufschrei gepaart mit heftigem Aufkeuchen. "Fehlt nur noch der Ringelschwanz.", kicherte sie und wandte sich an ihre entkräftete Mutter, der es mehr schlecht als recht gelang ihre diebische Freude zu verstecken. "Bestimmt ist der nicht viel älter als ich.", nörgelte sie schnaubend, reichte ihrer Mutter ein Taschentuch, um sich den Rest an Lachtränen abzuwischen, bemerkte, das der Regenbogen auf Kaorus Gesicht einiges an Farbintensität verloren hatte und strafte ihre Mutter mit einem vorwurfsvollen Blick, alles wohlgemerkt in der Instanz eines Augenaufschlags. Ihre Kinder und ihr Ehemann würden sie später für dieses spezielle Organisationstalent inbrünstig verabscheuen. Nicht ganz so schuldbewusst wie sie es sich von ihrer Mutter gewünscht hätte, wich sie ihrem Blick aus und richtete ihn bevorzugter Weise an den Jungen vor ihr, der mittlerweile von der Theke gehopst war und sich in der Kunst des bösen Blickes übte, ein sinnfreies Unterfangen, da sein Opfer mit einer so offensichtlichen Zurschaustellung von Desinteresse lediglich dazu beitrug, das sein Ego um einige Zentimeter schrumpfte. Es schrumpfte gleich noch einpaar Zentimeter mehr, als er das Wort ergreifen wollte und harsch von Hotaru unterbrochen wurde, die ein äußerst einseitiges Streitgespräch mit ihrer Mutter anfing. Kaoru war von Natur aus ein recht egozentrischer Mensch und die Tatsache, dass man ihm nicht die Aufmerksamkeit zollte, die er als verwöhntes Einzelkind gewohnt war, verstimmte ihn ein bisschen. Zu Recht, dachte er sich und zog einen äußerst weibischen Schmollmund, als er bereits nach dem zehnten Anlauf ignoriert wurde. Kurz dachte er sich, es wäre vielleicht einfacher, auf dem Absatz kehrtzumachen und das Geschäft wutschnaubend zu verlassen, doch dann erinnerte er sich an die vorige Blamage und entschied sich, zu bleiben, schon allein, um seinen guten Ruf zu retten. Eigentlich hatte er so etwas gar nicht, aber das war für ihn im Moment von niederer Bedeutung. Eben wollte er sich Räuspern, um auf sich aufmerksam zu machen, da er dachte, Hotaru wäre endlich damit fertig, ihre Mutter für ihre "unmoralischen Bettgeschichten" zu schelten, aber wie er eine Sekunde später feststellen musste, war sie nur verstummt, um Luft zu holen und dann weiterzumachen. Ihre Mutter ertrug die Schimpftirade mit dem selben sanften Lächeln, mit dem sie ihn begrüßt hatte und machte nicht im Geringsten Anstalten, ihrer Tochter zu widersprechen, selbst als diese anfing, die unmöglichsten Dinge aufzulisten, die sie mit Kaoru gemacht hätte, wäre sie nicht noch in letzter Sekunde heldenhaft und selbstlos, wie sie war, eingeschritten. Bei der Aufzählung hörte Kaoru absichtlich nicht zu; er konnte es sich nicht leisten, das sein Körper an Unterversorgung womöglich abfaulte, wenn das restliche Blut in seinem Körper in seinen Kopf stieg. Dieses Mädchen kannte aber auch keine Tabus, dachte er äußerst irritiert, als er zu seinem Missfallen doch ein, zwei Wortfetzen der Konversation erhaschte. Da wurden Dinge erwähnt, die er nicht mal auf Shins Computer entdeckt hätte und allein das war der reinste Sündenpfuhl, grinste er innerlich, während er sich an den Zwischenfall vier Jahre zuvor erinnerte, als er und Kimiko Shinjis Passwort geknackt und sie Kimiko hinterher ins Krankenhaus fahren musste, da diese sich den Kopf angeschlagen hatte, als sie unter lautem Gelächter aus ihrem Stuhl gefallen war. Jedenfalls, das hier war viel schlimmer. Und er war wirklich froh, das er stand, sonst hätte er sich womöglich ein Schädeltrauma zugezogen, samt Koma und Schläuchen, die sich in seine Adern spießten und den trauernden Besuchern um sein Bett, die ihm versicherten, was für ein toller Sohn/Freund er gewesen sei, wie er es sooft in den melodramatischen Ärzteserien, die spätabends liefen, immer zu sehen bekam. Nicht, das er diese Serien oft anschaute, oder es gerne tat, nein. Er fand sie ganz furchtbar abscheulich und einschläfernd, ja, das tat er! Das er die Namen der entfernten Verwandten der Rezeptionistin, die am Südeingang tätig war, kannte, war nur reinem Zufall zu verdanken und seinem guten Namensgedächtnis. "Hey du!", wurde er scharf unterbrochen und blickte einem großen, schwarz-grauem Augenpaar entgegen. "Ja? Was ist Kleine? Ist dir die Puste ausgegangen?" Sie schnaubte nur und sah ihn auffordernd an. "Ich hab dich was gefragt.", fügte sie leicht lächelnd hinzu. "Oh, achso.", gab er sich betont lässig, was aber gehörig in die Hose ging, so wie immer, wenn er versuchte, sich männlich zu geben. "Soll ich es noch mal für dich wiederholen?", fragte sie wiederum betont gelangweilt, doch ein Zucken um die Mundwinkel verriet sie ein bisschen. "Also, ich habe dich gefragt", fing sie an und hob eine schmale Augenbraue, "ob du eigentlich gar kein Gewissen hast." "Was? Wie meinst du das denn?", fragte er verwirrt und legte den Kopf schief. An diesem Punkt ging ihr wohl ein kleines Licht auf. "Also... willst du damit sagen, du…" "Ja was denn?", drängte er. Langsam wurde er wirklich ungeduldig. "...willst du damit sagen, du hattest keine Ahnung, dass du dich mit einer verheirateten Frau triffst, die noch dazu bereits Kinder hat?", bohrte sie ungläubig weiter. "Ja wie denn?", brauste er auf und stieß frustriert die Hände in die Luft, "ich hab ihr doch die ganze Zeit nur ins Gesicht geschaut!" "Ehrlich?" "Ja!“, fauchte er. Dieses Mädchen war ja schlimmer als seine Mutter mit ihrer Fragerei. "Oh.", konterte sie vergleichsweise schwächelnd und hielt anschließend doch tatsächlich den Mund. Welch ausgesprochen friedliche drei Sekunden. "Dann- du hast das also wirklich nicht gewusst?" "Sagte ich doch gerade! Hör zu, alles, was ich wollte, war, mich für die Blumen zu revanchieren, die deine Mutter mir geschenkt hat, als ich kein Geld hatte und vielleicht ein bisschen Spaß zu haben, weil ich mal nicht für schwul gehalten werde, bloß weil ich mit Shin befreundet bin! Und dann kommst du daher und unterstellst mir so was! Sag mal, für wen hältst du mich?!" Und das mit nur einem Atemzug. In diesem Punkt war er Hotaru wohl ebenbürtig. "Der letzte Kerl, von dem sie mir erzählt hat", sagte sie und strich sich eine Locke hinters Ohr, als sie ungefähr mit der Bedrohlichkeit eines aufgeplusterten Rotkehlchens auf ihn zuschritt, "war ein Stricher. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen, klar?" Jetzt war es an ihm zu schweigen. Was nebenbei bemerkt, auch nicht gerade viel war. Aber immerhin hatte er zwei Sekunden länger durchgehalten als Hotaru. Kurz ergötzte er sich an seinem kleinen Triumph, wahrte nach außen hin aber weiter das trotzige Kleinjungengesicht, den man gerade um seine letzte Murmel betrogen hatte. "Du hättest ja nicht gleich so eklig reagieren müssen. Das steht Mädchen wie dir sowieso nicht." "So Mädchen wie ich? Hör mal, ich weiß, dass ich gut aussehe, aber das heißt noch lange nicht, dass ich mir deshalb den Mund verbieten lasse." "Da hat aber jemand ein Ego." "Kann schon sein. Meins reicht bis zur Decke, was ist mit deinem?" "Türstock, momentan." "Ach was echt? Ich dachte, es wäre größer." Der zweideutige Unterton in ihrer Stimme mochte ihm nicht ganz behagen. Besser, er erwiderte gar nichts darauf, beschloss er als ihm eine ganz bestimmte Person ausgestattet mit Maßband und entsprechendem Grinsen vor dem inneren Auge förmlich kleben blieb. Der Typ war schon fast so schlimm wie seine Haare, also in etwa wie halbverdauter Kaugummi. Wieso war er eigentlich mit ihm befreundet? Er machte sich eine mentale Notiz, sich später, wenn er wieder alleine war, gründlich selbst zu befragen, was wohl oder übel in eine Art Razzia ausarten würde. "Hotaru", meldete sich die ältere Frau nach einer Ewigkeit nun endlich auch zu Wort, in ihrer Stimme schwang etwas mit, das Kaoru nicht ganz einordnen konnte, "ich finde es ja unglaublich lieb von dir, dass du dir solche Sorgen um mich machst, aber merkst du nicht selbst was für eine Blöße du mir und dem jungen Mann gibst? Von deiner eigenen ganz zu schweigen." Das saß. Ausdruckslos legte die Frau die Fingerkuppen aneinander, es war eindeutig, das eine unsichtbare Grenze für sie überschritten worden war, auch wenn Kaoru nicht unbedingt wusste, was der Auslöser dafür gewesen war. Das wusste das Mädchen wohl auch selbst, denn sie zupfte mit gesenktem Blick an ihrem Faltenrock herum. "Vielleicht ist es besser, wenn ich gehe.", murmelte Kaoru bemüht, möglichst taktvoll der unangenehmen Stille zu entgehen. "Du bleibst hier!", fauchte es aus beiden Richtungen. Scheiß Stoßgebete. Kein Wunder, dass die nie ankamen, bei dem weiten Weg, den sie zurücklegen mussten. "Muss ich?" "Ja!" So wie es aussah, hatte er wohl seine letzte Chance, doch noch zu verschwinden mit der Präzision eines Scharfschützen verschossen. "Wir klären das jetzt.", meinte Riku plötzlich wieder in ihrem sorglosen Tonfall und winkte ihn heran. "Also, um einpaar Missverständnisse zu klären: Mein Name ist Inoue Riku, ich bin verheiratet, das heißt, eigentlich war ich es, bin 40 Jahre alt, das hier ist meine Tochter Hotaru und was auch immer sie gesagt haben mag ist entweder nicht wahr oder maßlos übertrieben. Das dürften Sie ja bereits gemerkt haben. Es tut mir Leid, dass ich Sie so schamlos an der Nase rumgeführt habe, sie waren allem Anschein nach ja nur mit den besten Absichten hierher unterwegs." "Jetzt weiß ich wenigstens, woher sie das mit dem schnellen reden her hat.", murmelte Kaoru mehr zu sich selbst. "Das hab ich gehört.", kommentierte Hotaru und strafte ihn mit einem besonders giftigen Blick. "Hotaru, wenn du schon wieder beim Reden bist, finde ich, du solltest dich auch gleich bei dem jungen Mann entschuldigen.", riet ihre Mutter lächelnd und klopfte ihr auf die Schulter. Irgendetwas stimmte doch nicht mit den beiden, dachte Kaoru und fühlte sich mit jeder verstreichenden Sekunde unbehaglicher. Kurz trafen sich die Blicke der beiden Jugendlichen und Kaoru wurde klar, dass dem Mädchen eine Entschuldigung kilometerweit am Rockzipfel vorbeiging. Umso erstaunlicher fand er es, als sie tief Luft holte und ihm fest in die Augen blickte. "Also ich finde, du bist ein Riesen-" "KYAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA~" Er konnte sich wohl später bei Shin für die ungehörte Beleidigung bedanken. Wäre sein Freund nicht von Natur aus so durch den Wind, hätte er so ausgesehen wie eine spezielle S.W.A.T. Einheit, wie er so durch die Tür krachte und sich mit aller Kraft auf seinen perplexen Freund warf. "Kaoru! Kami-sama sei dank, ich hab dich gefunden!", rief sein Freund erleichtert aus und vergoss einpaar Freudentränen, als er sich an dem strampelnden Kaoru festklammerte. "Sie wird mich fressen, Kaoru-chan! Ich weiß es!" "Warum bist du dann hier?", presste eben dieser mühsam hervor. Mehr schaffte er in seiner derzeitigen Lage nicht. Er hatte nämlich äußerst enge Bekanntschaft mit dem Holzboden gemacht. Zitronen-Allzweckreiniger. Nicht gerade seine Lieblingssorte. Schmeckte nach den Kochkünsten seiner Mutter. Also ziemlich berauschend, aber nicht in dem Sinne, in dem es ursprünglich gedacht war. Und eine reinigende Wirkung hatten beide, dachte er missmutig und versuchte vergebens, seinen Körper in eine ansprechendere Position zu bringen. "Wenn ich sterbe, dann in den Armen meines allerbesten Freundes!", teilte Shin ihm melodramatisch mit und machte dabei einpaar heroische Gebärden. Ein Kichern unterbrach ihn bei weiteren Ausführungen. "Wisst ihr eigentlich wie verstörend diese Position ist?" Das klang ganz nach Hotaru. Der lieblich-nörgelnde Unterton war nicht zu überhören. Kaoru gab trotzdem sein Bestes, es zu ignorieren. "Shin, geh von mir runter. Ich beschütz dich auch vor dem Teufel mit den blonden Löckchen, okay? Zerschmettere mir nur nicht mein Rückgrat." "Als ob du das brauchen würdest." "Is' das die Schnecke von der du mir erzählt hast? Nicht gerade ein toller Fang, wenn du mich fragst.", lächelte Shin liebenswürdig in Hotarus Richtung, mittlerweile wieder auf den Beinen. "Also wie auch immer, wir gehen jetzt lieber.", kündigte Kaoru lauter an als nötig und schubste seinen Freund zum Ausgang. "Was?! Das ist die falsche Richtung Kaoru! Nein, nein, nicht da raus!", protestierte Shin verängstigt, doch er wurde ohne einen Anflug von Mitleid direkt aus dem Ausgang geschubst und ab und zu auch liebevoll getreten. "Also dann, bis nächstes Mal, meine Damen.", rief Kaoru noch über seine Schulter hinweg, bevor er den Laden endgültig verließ und die Tür laut ins Schloss fiel. Blinzelnd erwachte Riku aus ihrem tranceartigen Zustand und blickte dem Duo leicht konfus hinterher. "Rosa?" "Ich glaube, es war Pink." "Jetzt stell dich nicht so an, Shin!" Fluchend zerrte Kaoru seinen rosahaarigen besten Freund hinter sich her, der sich bereits lautstark von der Welt und all ihren ihm unglücklicher Weise verwehrten Wundern verabschiedet hatte. "Du hast ihren Blick nicht gesehen, Kaoru! Sie hatte diesen manischen Glanz in den Augen!" "SHIN!" Wieso war er bloß mit solchen gewalttätigen Leuten befreundet? Ein bisschen eingeschüchtert von der Aggressivität seiner besten Freundin, hielt er fünf Meter Sicherheitsabstand, als sie sich auf das kreischende Nervenbündel namens Shin stürzte und ihn regelrecht auf offener Straße auszog. "Jetzt hör schon auf zu jammern, du klingst ja wie ein Fischweib!" "Kaoru tu' doch was!" "Aber-" "Klappe, alle beide!", befahl sie ungewohnt herrisch und machte munter weiter mit der Leibesvisitation, bis sie plötzlich aufhörte und ein triumphales Grinsen sich auf ihre Züge schlich. "Mein... Portemonnaie?" "Richtig, dein Portemonnaie.", zwitscherte sie und trug so nur zu noch mehr Verwirrung seitens ihrer beiden Begleiter bei. "Aber... ich hab dir doch gesagt, ich hab' die halbe Million Yen nicht!" "Die brauch' ich nicht mehr.", grinste sie und verschwand mit dem Portemonnaie in der Hand in dem dichten Menschenstrom, der sich wie gewöhnlich nachmittags in den Einkaufspassagen Tokios zu sammeln pflegte. "Und puff. Weg ist sie.", murmelte Kaoru und wandte sich an seinen post-traumatisierten Freund. "Shin? Es ist vorbei." "Was?", hauchte dieser nur und starrte mit leerem Blick in die riesige Menschenmenge. "Sie ist weg.", meinte Kaoru und legte ihm besorgt den Arm um die Schulter. "Du... du meinst, sie wird mich nicht fressen?" "Ja." Er blinzelte. "Ich fühle mich missbraucht. Irgendwie." "Shin, du wirst mich jetzt dafür hassen, vermutlich für die nächsten zwei Wochen, aber" er nahm den Kleineren bei der Hand und zog ihn energisch hinter sich her, "wir müssen Kimiko hinterher, bevor sie irgendwelchen Blödsinn anstellt." "Drei Wochen." "Damit kann ich leben. Schau mal, ich glaub', ich hab sie entdeckt." Und tatsächlich, einige Meter entfernt stand sie vor einem älteren Mann, der sich aus der Auslage seines Geschäfts beugte und ihr aufmerksam zuhörte. "Eine Bäckerei? Sie begeht beinahe Raubmord an mir wegen verdammten SÜSSIGKEITEN?", kreischte Shin plötzlich wieder aus seiner Lethargie erwacht und erlitt beinahe wieder einen Nervenzusammenbruch. Süßigkeiten?, wunderte sich Kaoru während er seinem wutschnaubenden Freund schnellen Schrittes folgte. Bevor dieser auch nur den Versuch starten konnte, es dem blonden Mädchen mit gleicher Münze heimzuzahlen hatte Kaoru ihn schon erreicht, was aufgrund von Shins Beinlänge keine große Herausforderung darstellte. "Shin?" "WAS?!", brüllte er und wand seinen Arm unter dem festen Griff des Brünetten. "Ist Kimiko nicht Diabetikerin?" "Wa-? Oh Scheiße." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)