Erinnerungen von Turbofreak (meine Version der Folge *g*) ================================================================================ Kapitel 4: Zwickmühlen ---------------------- Colt hatte am Nachmittag den Ersatz einfach eingepackt und war mit Mandarin ins Krankenhaus zu Fireball gegangen. Nachdem er und Saber den halben Tag die Einweisung übernommen hatten, tat ihnen eine Pause gut. Mandarin hatte sich sehr vorsichtig nach ihrer Aufgabe erkundigt und vor allem nach dem Grund, weshalb der eigentliche Pilot ausgefallen war. Mandarin war nicht auf den Kopf gefallen, Team Ramrod würde nie Verstärkung anfordern, wenn ein Teammitglied nicht länger ausfallen würde. Sie hatte die drei erst an diesem Tag kennen gelernt, jedoch verstand sie sich mit Colt hervorragend und kam mit Saber gut klar. Der Schotte hatte in etwa ihren Aufgabenbereich, allerdings um einiges schwieriger. In ihrer Schwadron fiel die Komponente Freundschaft fast zur Gänze aus. Hier, auf Ramrod, war die Komponente Freundschaft allgegenwärtig und offenbar das Geheimmittelchen für den Erfolg einer solchen Mannschaft. Sie wollte mit Saber um nichts in der Welt tauschen müssen, sie hätte April nämlich schon dreimal von dieser Mission abgezogen. Die Blondine ging nicht objektiv genug an ihre Arbeit und vor allem bekrittelte sie bei jeder Gelegenheit Sabers Entscheidungen. Von ihr hätte April schon eine mündliche Verwarnung kassiert, von Saber war die Blondine auch noch in Schutz genommen worden. Es war Mandarin sehr recht den Grund für Aprils Rumgezicke am Nachmittag kennen zu lernen. Zu ihrer Verwunderung war April im Krankenzimmer wie ausgewechselt. Sie war ruhig und besorgt. Mandarin konnte die Navigatorin sehr gut verstehen. Der Patient war ein süßer Kerl und auch, wenn er sich an nichts erinnern konnte und nach Aussage von Colt sich auch nicht immer wie sonst verhielt, ein sympathischer junger Mann. Mandarin war neugierig, wie er wohl als gesunder Mensch war. Zum Abendessen fanden sich alle in der Boardküche ein. Pflichtbewusst hatte Saber für die Mannschaft gekocht, auch, wenn es normalerweise nicht seine Arbeit war und wenn er dafür auch eigentlich keine Zeit hatte. Aber die vier brauchten zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit, daran führte kein Weg vorbei. Während Colt in Redelaune war, hing Saber seinen Gedanken nach. Commander Eagle hatte am frühen Nachmittag, kaum waren alle ausgeflogen gewesen, einen Schwung Akten und Berichte vom Jugendamt Crimson Desert durchgeschickt. Dem Schotten stellten sich alleine bei dem Gedanken daran die Nackenhaare auf. Nie im Leben hätte man das vermuten können. April behagte die Stille an Board nicht. Normalerweise wurde immer gequatscht und gegackert, was das Zeug hielt, wenn sie alle zusammen Abend aßen. Aber seit Fireballs Unfall herrschte diese bedrückte Stimmung an Board vor, die alles mitriss. Mittlerweile war Fireball seit einigen Tagen in stationärer Behandlung und Saber hatte ihn noch kein einziges Mal besucht. April störte diese Tatsache sehr, denn sogar Mandarin war an ihrem ersten Tag sofort zu Fireball gegangen. Nur der werte Herr Säbelschwinger nicht! Scheinbar ohne Hintergedanken begann April damit, Mandarin auszuloten. Sie stellte ihr einige Fragen, zu ihrer Arbeit, zu ihren Hobbies und schließlich auch zu ihrem ersten Tag hier an Board. April schluckte den letzten Bissen Nudeln hinunter und nickte Mandarin mit einem kühlen Lächeln im Gesicht zu: „Und? Was macht Fireball für einen Eindruck auf dich, Mandarin?“ Die Rothaarige lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie von April halten sollte. Deshalb antwortete sie munter: „Sieht doch schon wieder ganz vital aus, euer Nesthäkchen.“ „Äußerlich mag das ja stimmen, Mandy. Aber wir können nicht hineinsehen.“, Aprils Äußerungen bezogen sich nicht nur auf Fireball, sondern und vor allem auf die Situation an Board. Sie war unendlich enttäuscht von Saber und dessen Verhalten. Bisher hatte sie immer gedacht, er wäre ein guter Freund, aber innerlich war er ganz anders. Saber war kalt und unnahbar. Nichts konnte dem Highlander ein sorgenvolles Gesicht entlocken. Es ärgerte April, wie konnte sie sich nur so getäuscht haben. Mandarin ging währenddessen fest davon aus, dass sie mit April immer noch über Fireball sprach, obwohl ihr die ironische Stimmlage an der Blondine schon aufgefallen war. Sie kannte April zu wenig, um daraus irgendetwas schließen zu können: „Hm… Ich weiß, was du meinst, April. Mir ist aufgefallen, dass er ziemliche Probleme mit dem Kopf hat.“ Der Sterncaptain hatte am Nachmittag einen von Fireballs Erinnerungsschüben miterlebt. Ihr war aufgefallen, dass seine Schmerzen dabei hauptsächlich vom Kopf ausgingen. Colt hatte ihr nach den ersten verwirrten und besorgten Blicken verraten, dass diese Schübe unregelmäßig kamen und wohl für den Rennfahrer sehr schmerzhaft waren. Aprils Sticheleien gegen Saber gingen weiter, dieses Mal noch offensiver und offensichtlicher. Mit aller Macht versuchte April den Sterncaptain davon zu überzeugen, dass sie sich hier an Board von Ramrod vorsehen musste. Nicht alles war, wie es auf den ersten Blick schien und das galt besonders für das Verhalten der Menschen, die hier lebten. Colt versuchte, April mit einem Scherz von ihrem Tun abzuhalten, doch der Versuch scheiterte kläglich. Während er mit den beiden Mädels das Geschirr zur Spüle trug, und Saber, wie jeden Abend, die Zeitung aufschlug, drängte er sich an April und erklärte ihrer neuen Gefährtin: „Das liegt an der Nähe hier, Mandy. Und, weil wir alle einen an der Klatsche haben.“ April stieß Colt von sich weg. Sie vertrug seine Späßchen im Augenblick überhaupt nicht: „Quatsch keine Opern, Kuhhirte! Auf diesem Schiff gibt es keine Nähe, das ist mir kürzlich erst klar geworden.“ Saber hatte lange versucht, Aprils Kommentare und Sticheleien zu ignorieren, doch nun konnte auch er den Mund nicht mehr halten. Ohne von seiner Zeitung aufzusehen, wies er April kühl zurecht: „April, bitte… Lass Mandarin sich ihr eigenes Bild von uns machen und drück ihr keinen Stempel mit deiner Meinung auf.“ April ließ das Besteck lautstark in die Spüle fallen. Sie wandte sich zu Saber herum und giftete ihn an: „Ach, das interessiert dich?! Was mit Mandarin ist, interessiert dich. Aber was mit Fire ist, das ist dir völlig egal!“ Saber schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Immer noch ruhig konterte er: „Das hab ich mit keinem Wort gesagt, April. Wie kommst du darauf?“ „Wie ich darauf komme?!“, stinksauer stapfte April mit dem rechten Fuß auf dem Boden auf. Sie fuhr gleich aus der Haut, wenn Saber noch einmal so gefühlskalt reagierte. Warum sorgte sich dieser Kerl nicht einmal ein bisschen um Fireball? Warum entpuppte sich Saber als derart schlechter Freund? Sie fuhr ihn an: „Abgesehen davon, dass du für Fire schon Ersatz besorgt hast, noch ehe er richtig flach lag, du nie nach ihm fragst und sogar Mandarin ihn schon besucht hat, nur du nicht? Wie soll ich darauf kommen?!“ Zum Schluss hin hatte sich April schon beinahe die Seele aus dem Leib geschrieen. Sie war unendlich wütend auf Saber und ihre Worte und Gesten unterstrichen es anschaulich. Irritiert, aber nicht unfähig, schob Colt die neue Kollegin zur Tür raus. Diesen Streit musste Mandarin nicht gleich am ersten Tag hören und mitbekommen. Das würde auch am nächsten Morgen noch reichen. Mit einem schiefen Grinsen erklärte er: „Ich zeig dir jetzt mal unseren Fitnessraum mit der Höhensonne. Der gefällt dir sicher.“ Saber wartete geduldig ab, bis Colt die Tür hinter sich und Mandarin geschlossen hatte. Danach faltete er die Zeitung und legte sie weg. Er sah April geradewegs in die Augen, in seiner Stimme schwang leichte Ironie mit: „Du tust ja gerade so, als hätte ich nur darauf gewartet, dass Fireball ausfällt, und wir endlich einen Piloten mit Ausbildung bekommen.“ Seine Aussage war ironisch gewesen, doch für April lag mindestens ein Quäntchen Wahrheit darin. Saber hatte niemals jemanden wie Fireball das Schiff steuern lassen wollen, das war ganz klar raus gekommen. Sie trat an den Esstisch und schnaubte: „Das glaub ich dir aufs Wort, Saber. Fire ist dir doch völlig egal.“, angewidert fügte sie hinzu: „Und jetzt weiß ich auch warum.“ Empört richtete sich Saber auf und stützte die Arme auf dem Tisch ab. Er begehrte auf: „Das ist er nicht! Sonst hätte ich auf die Anweisungen des Arztes gepfiffen und Fireball wieder an Board gezerrt.“ Saber wusste nicht, wie er es April anders erklären hätte sollen. Die Blondine war außer sich und Saber glaubte den Grund dafür auch zu ahnen. Es war nicht nur seine eigene Art mit diesem Problem umzugehen, sondern auch die endlose Sorge um den gemeinsamen Freund. Saber hatte das Gefühl, gerade April machte sich noch mehr Sorgen um Fireball als er oder Colt. Die Blondine hing am Rennfahrer, mehr als sie eigentlich durfte oder sollte. Und auch, wenn Saber ihr diese Angst nachsehen konnte, ihren Tonfall konnte er ihr nicht verzeihen und auch nicht ihre Anspielungen und Äußerungen. Sie griff ihn damit zu sehr persönlich an, das tat dem Säbelschwinger weh. „Ach, hör doch auf!“, die Blondine machte eine abfällige Handbewegung und schnauzte munter weiter. Sie hatte nicht vor, Saber ein Wort zu glauben, das er von sich gab. „Solange deine wunderbare Mission nicht in Gefahr ist, ist dir doch alles egal. Du besuchst Fireball nicht, erkundigst dich nur anstandshalber nach ihm. Du elender Verräter, ich dachte, wir alle wären Freunde.“ Kopfschüttelnd setzte Saber zu einem neuerlichen Erklärungsversuch an: „Dass ich nicht zu ihm ins Krankenhaus gehe, ist noch lange kein Beweis dafür, dass er mir egal ist oder dass ich mir keine Sorgen um Fireball mache. Er ist auch mein Freund, April.“ Ehrlich erschüttert senkte Saber den Kopf: „Was denkst du eigentlich von mir?“ Ungläubig wiederholte April Sabers Frage: „Was ich von dir denke?“, sie rollte mit ihren blauen Augen und schnaubte schwer. Sie hatte sich noch niemals in einem Menschen so getäuscht, wie in ihrem Boss. Diese Einsicht war schlimm für April, aber noch lange kein Grund, das eigentliche Gesprächsthema aus den Augen zu verlieren: „Ich denke, dass ich mich in dir schwer getäuscht habe, Saber. Ich dachte, wir alle wären Freunde. Aber Freunde tun so was nicht, was du tust…“ Saber hörte die Bestürzung deutlich heraus, aber er verstand April nicht. Sie bildete sich ein, er wäre kein Freund, weshalb also sollte sie ernsthaft darüber traurig sein? Der Schotte wusste nicht, was er davon halten sollte, jeden Rechtfertigungsversuch für sein Verhalten wischte sie vom Tisch. Sie wollte doch eigentlich gar nicht wissen, weshalb er so handelte. April, so gelangte Saber zu der Ansicht, musste nur ihre Sorgen hinausschreien, die sie sich machte und sein Tun gab ihr den nötigen Anstoß dazu. Als er der Freundin erklärte, dass sie nicht urteilen sollte, bevor sie nicht alles wüsste, knallte die ihm einen Fragenkatalog vor die Nase, der sich gewaschen hatte. Saber fand, dass April vorschnell über ihn geurteilt hatte, sie hatte nicht gesehen, was er in den letzten Tagen alles für den Rennfahrer getan hatte, niemand hatte es gesehen, weil außer ihm niemand an Board gewesen war. Auch, wenn Saber April beinahe jede gestellte Frage zu Fireballs momentanen Zustand beantworten konnte, stellte das April nicht zufrieden. Es war lediglich ein weiterer Punkt ihrer Liste, der sie maßlos aufregte. Sie keifte: „Herrgott! Du trägst deine Informationen von überall her zusammen, nur Fire fragst du nicht. Schlägst du dir einen Zacken aus der Krone, wenn du dich mal eine halbe Stunde zu ihm setzt und mit ihm redest?“ Der Treffer hatte gesessen. Das musste Saber neidlos anerkennen. Wenn April so mit ihm sprach, verging sogar ihm Hören und Sehen, die Blondine war ansonsten keine Kratzbürste, die auf jedem herumhackte. Wieder versuchte Saber, April zu verdeutlichen: „Fireball braucht viel Ruhe. Es ist wohl kaum förderlich, wenn auch ich mich noch zu ihm setze und frage, was er denn schon wieder alles weiß.“ Bissig setzte April nach, die Ausrede ließ sie ja schon dreimal nicht gelten. Den Quatsch konnte er sonst jemanden erzählen, aber doch nicht ihr: „Wie wenig förderlich kann es denn sein, seine Freunde in so einer Situation um sich zu haben?“, spitzfindig rammte April dem Schotten das Messer in die Brust: „Aber, von daher ist es besser, wenn du ihn nicht besuchen gehst. Bist ja kein Freund, sondern nur der Boss.“ Getroffen und verletzt sank Saber auf seinen Platz zurück. Der Spruch war fast noch schlimmer, als der mit herzlos. Gekränkt verschränkte er die Arme vor der Brust und entließ April: „Oh… Na, herzlichen Dank auch.“ April, die sich schon zum Gehen gewandt hatte und die Tür schon aufgemacht hatte, drehte sich noch einmal zu ihrem Vorgesetzten um. Deutlich hatte sie hören können, dass sie Saber gekränkt hatte. War sie etwa zu weit gegangen? Blinzelnd fragte sie: „Was?“ In dem Augenblick, wo sich April wieder zu ihm umgedreht hatte, zog Saber seine Fassade wieder hoch. Er würde die Blondine nicht sehen lassen, wie verletzt sie ihn hatte. Er nickte in Richtung des Kontrollraumes: „Die Unterlagen, die du von Commander Eagle angefordert hast, sind am Nachmittag gekommen.“ April war kaum aus der Tür draußen, da stand Saber auf und ging zur Kaffeemaschine. Ohne Koffeinschub würde er auf der Stelle tot umfallen. Das Streitgespräch mit April hatte ihm an diesem Tag gerade noch gefehlt. Saber war ausgelaugt. Dachte April denn wirklich, ihn würde es nicht kümmern, was mit ihrem jüngsten Freund war? Allmählich glaubte Saber an der Doppelbelastung, Vorgesetzter und Freund, zerbrechen zu müssen. Wieder fühlte sich der Anführer unsagbar schlecht. Während er auf den Kaffee wartete, sah er wie hypnotisiert auf den Hängeschrank vor seiner Nase. Erschöpft, frustriert und unendlich gekränkt stieß er mit dem Kopf einige Male dagegen. Zwar nicht fest, aber laut genug, um das Geräusch bis nach draußen hören zu können. Saber hoffte, dass ihn der Schmerzreiz aus diesem Albtraum aufwachen ließ. „Ist was zu Bruch gegangen?“, April steckte den Kopf wieder bei der Tür herein, von draußen hatte es sich angehört, als wäre irgendwas auf den Boden gefallen und dort in Tausend Stücke zerbrochen. Was sie allerdings zu sehen bekam, konnte April weder einordnen, noch verstehen. Saber wandte den Kopf zu April und deutete auf sein Ventil: „Hängeschrank ist noch ganz.“ Er wollte und konnte mit April gerade nicht mehr reden, ansonsten würde er sofort das Handtuch werfen. Deshalb entschied er sich für die harmloseste Erklärung, die ihm gerade in den Sinn gekommen war. Als April sich nicht bewegte, machte Saber einen Schritt auf sie zu und wimmelte sie ab: „Du solltest langsam mit den Unterlagen von Commander Eagle anfangen, wenn du sie heute noch fertig haben willst, April. Sie nehmen ziemlich viel Zeit in Anspruch.“ Fassungslos starrte April auf ihren blonden Anführer. Woher wusste er, wie lange man für die Unterlagen, die sie erst heute Vormittag von ihrem Vater angefordert hatte, brauchte. Ein untrügerliches Gefühl stellte sich diesbezüglich ein. Sie fauchte: „Du hast in meiner Post geschnüffelt?“ „Geschnüffelt?“, Saber zog eine Augenbraue hoch. Er war froh, die Unterlagen bereits alle durchgesehen zu haben, aber auf der anderen Seite hätte er sich das auch lieber erspart. Niemals hätte man es Fireball angesehen. Saber entschuldigte sich bei April: „Dein Vater hat sie kommentarlos durchgeschickt, sie waren nicht an dich adressiert. Sonst hätte ich sie bestimmt nicht gelesen.“ Bevor April noch wütender werden konnte, bot er ihr an: „Wenn du Hilfe damit brauchst, ich…“ Doch April schüttelte den Kopf. Was war los mit Saber? Zuerst stritten sie und nun bot er ihr seine Hilfe an? Er wollte ihr helfen, mit Dingen, für die er dank der Mission angeblich sowieso keine Zeit hatte. Sie murmelte, als sie sich wegdrehte: „Ich muss erstmal sehen, was ich davon brauchen kann.“ Schmerz flackerte in Sabers Augen auf, als er mit gesenktem Kopf an April vorbeiging: „Tu das.“ Es dämmerte bereits über Funorama, als Saber das große Kampfschiff verlassen hatte. Mit den Gedanken immer noch bei Aprils wütenden und verletzenden Worten streunte er durch die Straßen der Vergnügungsstadt. Diese Stadt schlief niemals, so schien es Saber. Der ganze Planet war wie ein riesiges Las Vegas, wie Saber fand. Überall Freizeitparks, Spielhallen und Casinos. Der Planet lebte von Urlaubern und Menschen, die Abwechslung und Spaß suchten. Der Schotte wusste nicht genau, ob es an Aprils Worten lag, aber er hatte Angst, dass sie Recht haben könnte. Er war vielleicht nicht die Sorte Freund, die man von ihm erwartete oder die er sein wollte. Aprils Aussagen sollten sich nach Möglichkeit nicht bestätigen. Im Flur des Krankenhauses war es schon ruhig, niemand war mehr zu sehen. Lediglich die Stationsschwester saß auf ihrem Platz und beäugte flüchtig die Arbeit, die ihr die Kollegin vor dem Nachhausegehen noch auf den Tisch gelegt hatte. Saber konnte sich nicht an den Geruch in Spitälern gewöhnen, jedes Mal wieder bekam er ein beklemmendes Gefühl und fühlte sich krank. Auch das war mit ein Grund, weshalb Saber sich bisher nicht bei Fireball hatte blicken lassen. Saber klopfte zaghaft an der Tür, ehe er sie einen Spalt öffnete und sich räusperte: „Störe ich gerade?“ Der Patient bedeutete mit einem Kopfschütteln, dass Saber nicht ungünstig zu Besuch kam. Da Colt, Mandarin und auch April an Board des Friedenswächters die Zeit totschlugen und die Visite schon vor einer guten Stunde da gewesen war, saß Fireball alleine in seinem Zimmer. Er machte auf Saber einen verlorenen Eindruck. Ob es eine gute Idee gewesen war, ihn zu besuchen? Saber hatte keine Zeit mehr, seine Entscheidung noch einmal zu revidieren, immerhin stand er schon im Zimmer. Er konnte nicht mehr umkehren. Behutsam und mit einer gehörigen Portion Unbehagen setzte sich Saber auf den Besucherstuhl. Er musterte den Rennfahrer eingehend. Nichts, außer dem Verband um den Kopf, erinnerte noch an einen bösen Unfall. Doch Saber war klar, dass der Schein trügen konnte. Am gefährlichsten waren schließlich nicht die Verletzungen, die jedermann sehen konnte, sondern innere Verletzungen oder Spätfolgen, die unmittelbar nichts mit dem Unfall zu tun hatten. Saber behagte die Situation nicht. Er verwettete alles darauf, dass April mit Fireball über die Schwierigkeiten untereinander gesprochen hatte. Die Blondine hatte diesbezüglich immer einen unheimlich guten Draht zu Fireball gehabt und auch, wenn er sich an nichts erinnern konnte, so würde April nicht davor Halt machen, ihm ihre Probleme anzuvertrauen. Nun allerdings befand sich Saber in einer prekären Lage. April würde Fireball von ihren Komplikationen erzählt haben, wie sie es immer tat. Theatralisch und bestimmt hatte sie ein wenig übertrieben. Und da Fireball keinerlei Erinnerung mehr an seine Freunde hatte, konnte er Aprils Worte nur in den falschen Hals bekommen haben. Das erkannte Saber an den unsicheren und beinahe schon eingeschüchterten Blicken, die Fireball ihm immer wieder zuwarf. Schließlich brach Saber das unangenehme Schweigen: „Du siehst schon wieder ganz passabel aus, Fireball. Wie fühlst du dich?“ „Leicht orientierungslos, würd ich sagen… Äh, Saber, richtig?“, den blonden Mann hatte Fireball nur einmal ganz kurz gesehen, nachdem er aufgewacht war. Doch April und auch Colt hatten den dritten im Bunde sehr gut und anschaulich beschrieben. Fireball konnte kaum glauben, dass er und der wildfremde Mann vor ihm, Freunde waren. Der Schotte kam so unglaublich distanziert rüber und Aprils Ausführungen machten es auch nicht besser. Sie untermauerten lediglich Fireballs Gefühl. Der Anführer lächelte leicht, jeden Augenblick fühlte er sich ein Stückchen wohler und besser. Aprils Anschuldigungen rückten in weite Ferne. Saber lehnte sich leicht nach vor: „Ja, der bin ich. Ich schätze, April und Colt haben mich sehr gut beschrieben.“ Fireball nickte unsicher, war das eine Fangfrage? Der Rennfahrer stand etwas neben sich, denn schon wieder passte das, was ihm erzählt worden war, nicht zu dem, was er sah. Vor ihm saß ein blonder Mann, der zwar leicht unterkühlt wirkte, in dessen Stimme aber etwas aufrichtig Besorgtes mitschwang. Nachdem er keine Antwort außer einem zaghaften Nicken erhielt, war sich Saber sicher, was April alles erzählt hatte und dass sie Fireball ihr Herz ausgeschüttet hatte. Vielleicht konnte er aber doch ein Gespräch mit dem jungen Japaner beginnen, von dem er sich nicht verunsichern lassen konnte. Saber rückte noch einmal auf dem Stuhl herum, ehe er auf die Infusionsflasche deutete und wissen wollte: „Was machen die Kopfschmerzen, Fire? Wird’s langsam besser?“ Saber wusste von Dr. Ambolat, von dem er sich nach jeder Visite einen kurzen Bericht geben ließ, dass der Rennfahrer auch jetzt noch, Tage danach, hauptsächlich an Kopfschmerzen litt. Alles andere bereitete ihm keine Schmerzen, auch nicht der Nacken, wie man hätte vermuten können. Und der Recke hatte auch in Erfahrung bringen können, wie schmerzhaft die Erinnerungen wieder zurückkamen. Fireball erlitt jedes Mal wieder höllische Qualen, wenn er sich an etwas aus seinem Leben erinnerte. Das Ironische dabei war immer, dass die Erlebnisse nur bruchstückhaft zurückkamen und Fireball nur noch mehr verwirrten. Nichts, was er bisher wieder wusste, konnte er richtig zusammenfügen. Es ergab für Fireball keinen Zusammenhang. Saber wollte mit Fireball nicht tauschen, auch wenn seine Position momentan auch nicht die beste war. Entmutigt schüttelte Fireball den Kopf. Langsam gab er jede Hoffnung auf, dass er die Kopfschmerzen irgendwann los wurde: „Nicht wirklich.“ Saber war nicht entgangen, wie verzweifelt Fireball gerade geklungen hatte. Der Junge tat ihm leid. Er konnte sich nicht vorstellen, wie grauenhaft dauerhafte Kopfschmerzen waren, aber anhand seines verletzten Piloten, der ansonsten niemals die Hoffnung verlor, bekam er eine vage Idee davon. Saber stand auf und streckte die rechte Hand nach Fireball aus. Er legte sie ihm freundschaftlich, aber mit ein wenig Druck, auf die Schulter und versicherte: „Hab noch ein wenig Geduld, Fireball. Es wird bestimmt wieder besser. Du wirst sehen.“ Er war noch gar nicht richtig zur Haustüre rein gekommen, fand sich Fireball schon auf dem Boden im Flur wieder. Mit voller Wucht war er gegen die Wand geflogen. Er war kaum in der Lage, sich aufzurichten. Die Flugstunden mit der anschließenden Bruchlandung hatten seine Schulter verletzt. Die drohende, tiefe Stimme hallte durch das ganze Haus: „Wo hast du dich rum getrieben, du elender Nichtsnutz?“… „Bitte nicht!“, Fireball krümmte sich vor Schmerzen. Anders als bei den letzten Erinnerungsschüben bereitete ihm dieses Erlebte unsagbare Angst. Fireball zog die Beine an, hielt sich mit beiden Händen den Kopf und legte diesen auf die Knie. Hätte er können, hätte er sich unsichtbar gemacht. Fireball drückte die Stirn gegen die Knie und machte sich immer kleiner. Erschrocken griff Saber mit der linken Hand nach Fireball, die rechte lag immer noch auf seiner Schulter. Dieser Anblick raubte Saber den Atem. Was war mit dem Freund? Was war mit Fireball? Völlig von der Situation überfordert beugte sich Saber zu Fireball hinunter und erkundigte sich: „Fireball? Ist alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?“ Doch auf keine der Fragen erwiderte der Asiat etwas. Alles, was Saber vernehmen konnte, waren Schmerzenslaute, immer wieder unterbrochen von flehenden Worten. …April war ihrem Vater überglücklich in die Arme gelaufen und schien ihn nicht mehr loslassen zu wollen. Seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren fast zwei Monate vergangen, die Wiedersehensfreuden konnte sie einfach nicht mehr unterdrücken. Aber auch Commander Eagle schloss seine Tochter glücklich und erleichtert in die Arme. Die drei Jungs drehten sich der Rampe zu. Während sie April voraus gingen, seufzte Fireball mit einem leichten Lächeln: „Ja ja, die liebe Familie.“ Saber legte ihm und Colt jeweils eine Hand auf die Schulter und grinste: „Wir sind doch auch eine Familie. Immer füreinander da.“… Fireball brachte vor Schmerzen fast kein Wort hervor. Saber musste sich richtig anstrengen, um den verletzten Rennfahrer verstehen zu können. Der Schotte konnte sehen, wie schmerzhaft diese winzige Erinnerung für Fireball war. Aber er bemerkte auch noch etwas anderes. Die Angst, die Fireball dieser kleine Fetzen seines Lebens bescherte. Und dank der wenigen Worte, die Fireball fallen ließ, brach Saber beinahe auf den Stuhl nieder. Er bereitete Fireball diese Angst. Aber was hatte er dem Jungen getan? Saber fuhr sich durch die Haare und suchte verzweifelt nach einer Antwort. Er konnte sich nicht erinnern, Fireball jemals etwas getan zu haben, oder ihn für etwas bestraft zu haben. Warum nur machte er dem Piloten plötzlich Angst? Mit der Erinnerung verschwanden auch langsam die Schmerzen. Dieses Mal war es besonders schlimm gewesen, Fireball hätte es keinen Moment länger mehr ertragen. Schmerzerfüllt richtete sich der Japaner wieder auf. Langsam legte er den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Er stöhnte und verzog dabei das Gesicht. Es tat immer noch unglaublich weh. Vor allem in den Schläfen und in der Stirn. Womit hatte er solche Qualen verdient? Erst, als seine Schmerzen spürbar besser wurden, traute sich Fireball, die Hände vom Kopf zu nehmen und sich ordentlich hinzusetzen. Er drehte sich zu Saber und verschränkte die Beine zum Schneidersitz. Immer bereit, im Notfall einzugreifen, hatte Saber beobachtet, wie Fireball mit den Kopfschmerzen und seiner Erinnerung gekämpft hatte. Endlich verstand der blonde Schotte die Worte von April. Er hatte tatsächlich nicht wissen können, wie schlecht es Fireball dabei ging. Saber fühlte sich aufgrund dieses Gedanken gleich noch ein Stückchen schlechter. Als ihn der Rennfahrer ansah, riss es Saber erst wieder aus seinen Gedanken. Besorgt erkundigte er sich: „Ist alles in Ordnung, Fire?“ Zaghaft nickte der Angesprochene. Nur den Kopf nicht zu ruckartig bewegen, wer wusste schon, ob er davon nicht gleich wieder Kopfschmerzen bekam. Fireball hatte keine Kontrolle über das, woran er sich erinnerte und auch nicht über das, was er sagte, wenn das brennende Feuer in seinem Kopf wütete. Heiser fragte er seinen Besucher: „Macht’s dir was aus, wenn du mir was zu trinken holst?“ Mit einem Kopfschütteln stand Saber auf und verließ das Zimmer. Er kam mit einem großen Glas Wasser wieder, das er der Schwester abgeschwatzt hatte und drückte es Fireball in die Hände. Dankbar nahm dieser das Glas und trank. Seine Kehle war so trocken gewesen, dass er nicht einmal mehr richtig sprechen hatte können. Der Schotte stand neben dem Bett und betrachtete seinen angeschlagenen Freund. Es schien ihm wieder besser zu gehen, allerdings wurden seine Sorgen deswegen nicht kleiner. Immer noch zermarterte sich der Blonde den Kopf, weshalb Fireball seinetwegen solche Angst gehabt hatte. Diese Satzfetzen fraßen sich in Sabers Unterbewusstsein und bissen sich dort unbarmherzig fest. Leise begann er wieder mit Fireball zu reden, nachdem der wirklich wieder besser aussah: „Was war denn gerade los?“ Saber musste es einfach fragen. Er wollte verstehen, was er gesehen hatte, denn vielleicht würde ihm das die Sorgen etwas schmälern. Oh, wie gut konnte er April mittlerweile verstehen, weshalb sie so aufgebracht war. Nur ihre Worte bezüglich der Freundschaft konnte er ihr nicht nachsehen. Es hatte ihn zu sehr verletzt. Fireball umklammerte mit beiden Händen das Wasserglas und starrte hinein. Wie sollte er erklären, was er selbst nicht verstand? Mit hochgezogenen Schultern beschrieb er, was ihm solche Schmerzen bereitet hatte: „Ich weiß auch nicht genau… Das eine war wohl irgendwas aus meiner Kindheit, aber absolut nicht schön. Das andere… Wir haben uns prima unterhalten. Du hast gesagt, wir wären eine Familie.“ Fireball verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte, bisher waren seine Erinnerungen niemals so zusammenhanglos zurückgekommen. Er wusste absolut nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. Er konnte nicht einordnen, weshalb diese Erinnerung so schrecklich für ihn war. Saber indes fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Er hatte sofort begriffen, was die Erinnerung aus seiner Kindheit für Fireball bedeutete. Es war nicht Sabers Schuld gewesen, dass Fireball vorhin solche Angst ausgestanden hatte. Erleichtert setzte sich der Schotte zu Fireball aufs Bett. Er nickte verständnisvoll und lobte seine genaue Arbeitsweise, die er bei allem an den Tag legte: „Verstehe, deswegen war’s gar so grauenhaft.“ Saber gestand sich ein, dass er verdammtes Glück mit seinem Leben hatte, auch als Kind, das war ihm gerade wieder klar geworden. Nicht jeder hatte ein behütetes Heim und beide Elternteile, die sich um einen sorgten. Die Akten vom Jugendamt waren dem Säbelschwinger deshalb auch unvollständig vorgekommen, er hatte nicht alles beim Lesen verstanden, aber langsam bekam Saber eine Vorstellung davon. „Weißt du etwas davon?“, Neugier schwang in Fireballs Stimme genauso mit, wie Hoffnung noch mehr zu erfahren. Fireball wollte unbedingt verstehen, weshalb es ihm solche Angst gemacht hatte, weshalb dieser nichts sagende Erinnerungsfetzen so grauenvoll und schmerzhaft gewesen war. Unsicher setzte er nach: „Hab ich euch davon erzählt?“ Doch Saber schüttelte den Kopf: „Erzählt hast du gar nichts, Fireball.“ Der Schotte stützte seine Hände auf dem Bett hinter sich ab und legte den Kopf zurück. Je länger Saber darüber nachdachte, desto eher formte sich ein Bild in seinen Gedanken. Er war sich sicher: „Du hast es verdrängt, mein Freund.“ Verwundert blinzelte Fireball den blonden Recken an. Das verstand er nicht. Noch einmal fragte er: „Aber du weißt was?“ Kaum merklich antwortete der Freund. Ein leichtes Kopfnicken und ein leise gemurmeltes „Ja“ bestätigten Fireballs neuerliche Frage. Der Rennfahrer löste den Schneidersitz und zog die Beine abermals an. In seinem Kopf begannen sich etliche Gedanken zu drehen. Seine Erinnerung war Furcht einflößend gewesen und erzählt hatte er es seinen Freunden auch nicht. Fireball musste einen guten Grund dafür gehabt haben, es seinen Freunden nicht zu erzählen. Ansonsten hätte er es doch lang und breit mit seinen Freunden, vor allem aber mit April, besprochen. Es musste also etwas sein, was ihm schwer zu schaffen gemacht hatte. Fireball umschlang seine Beine mit den Armen und legte den Kopf auf die Knie, ehe er schlussfolgerte: „Also: Ich hab euch nichts davon erzählt, aber trotzdem weißt zumindest du etwas. Ihr nützt das einfach aus, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann, um meine Leichen aus dem Keller zu holen?“ Das war für Fireball beinahe genauso schwierig zu verstehen, wie die Erinnerung selbst. Egal, ob er sich an alles erinnern konnte, er hatte nicht wollen, dass jemand etwas von seiner Vergangenheit erfuhr! Das war ein Vertrauensbruch erster Güte, wie Fireball bemerkte. Was auch immer er nicht erzählen wollte, seine Freunde hatten nicht das Recht, einfach in seiner Vergangenheit herumzuschnüffeln. Saber schüttelte entschuldigend den Kopf. Sofort richtete er sich wieder in eine angemessene Position auf und erklärte Fireball: „Nein, keine Leichen. Fireball, ich… es tut mir leid. Wir wollten dir nur helfen. Ich wusste nicht, wie belastend das alles für dich war. Niemand wusste, was in den Unterlagen steht.“ Es tat Saber aufrichtig leid, aber hätte er die Unterlagen nicht gelesen, wäre er noch überforderter vor dieser Aufgabe gestanden, als er ohnehin schon war. Saber war nicht stolz darauf, aber doch froh, dass er es erfahren hatte. Manche Dinge verstand er nun besser. „Du sagst, du wusstest nicht, wie schlimm das für mich war. Was ist mit April und Colt?“, egal, was er erlebt hatte, Fireball war sich sicher, dass er diese Erfahrung mit niemanden hatte teilen wollen. Deshalb fragte er den Schotten, ob auch die anderen inzwischen davon wussten. Wieder schüttelte Saber den Kopf. Er erklärte und während er sprach, verstand er die unausgesprochenen Worte von Fireball: „Nein, aber April ist wohl grade dabei, sich die Akten anzusehen.“ Flehend sah Fireball zu seinem Vorgesetzten: „Nimm sie ihr ab, bitte. Aus welchem Grund ich auch immer ein Geheimnis daraus gemacht habe, es reicht, wenn ich es mit einem teilen muss.“ Um nichts in der Welt wollte Fireball, dass das sonst noch jemand erfuhr, auch, wenn er selbst nicht genau wusste, was er verheimlichen wollte. Irgendwie hatte Fireball die Befürchtung, dass diese eine Erinnerung nicht das einzige in seinem Leben gewesen war, was schief gelaufen war. Er beobachtete, wie sich Saber erhob und zur Tür schritt. Der unterkühlte Anführer würde ihm helfen, dieses Geheimnis zu bewahren, dafür war Fireball dankbar. Im Gedanken korrigierte er wieder eine von Aprils Aussagen. Saber drehte sich noch einmal zur Tür. Er war fest entschlossen, April die Unterlagen vom Jugendamt wieder abzujagen und sie wegzuschließen. Mit einem versöhnlichen Lächeln griff Saber zur Türklinke hinter sich und murmelte: „Mach ich.“, als er sich zur Tür drehte, senkte er den Kopf und bestätigte: „Ich verstehe, dass du das nicht möchtest.“ Fireball hob den Kopf. Er war sich todsicher, dass er diesen Teil seines Lebens niemanden anvertrauen wollte, aber er wusste nicht, weshalb das so war. Mit dem letzten Quäntchen Galgenhumor brachte er hervor: „Du solltest mir bei Gelegenheit vielleicht mal erzählen, weshalb ich das nicht möchte.“ Saber erwiderte, als er endgültig das Zimmer verließ: „Wenn du dich wieder besser fühlst. Versprochen, Kleiner.“ Auf dem schnellsten Weg hatte sich Saber zurück zu Ramrod begeben und war auf die Brücke gestürmt. April saß, wie vermutet, in ihrer Satteleinheit und wälzte Fireballs Leben um. Ohne großartig darüber nachdenken zu müssen, stellte sich der Recke auf den nächsten Clinch mit der Freundin ein. Und dieses Mal würde sie ihm definitiv den Kopf runter reißen. Aber er hatte es Fireball versprochen und alleine das war eine neuerliche Auseinandersetzung mit April wert. Die Blondine würde ohnehin nicht alles verstehen, was sie aus den Akten vom Jugendamt lesen konnte. Als die Ingenieurin ihren Boss bemerkte, schlug sie erschrocken die Akten zu und blaffte: „Musst du mich so erschrecken?! Wo kommst du überhaupt her?“ Aufgesetzt lächelte Saber und ging auf April zu. Er verwickelte sie in ein Gespräch, dabei vergaß sie vielleicht für einen Augenblick die Akten in ihren Händen: „Soll dir schöne Grüße von Fireball bestellen.“ Verblüfft ließ April nun vollkommen von den Unterlagen ab. Achtlos legte sie sie auf ihren Schoß, während sie Saber einen abschätzenden Blick zuwarf. Sie nörgelte, immer noch hatte sie sich nicht richtig beruhigen können. Wie denn auch, bei dem Lesestoff? „Hast du ihn angerufen oder hast du ihn besucht.“ Nun stand Saber neben Aprils Satteleinheit und beugte sich zu ihr hinunter. Das gespielte Lächeln verschwand immer noch nicht. Er erklärte in einem unschuldigen Tonfall: „Ich hab ihm persönlich den Abend vermiest.“ Okay, nun war alles klar. Wenn Saber so harmlos tat, war ganz sicher noch was im Busch. Kam er jetzt etwa auf die Idee, ihr für vorhin den Kopf zu waschen. Moralpredigten von Saber begannen immer so beiläufig und hagelten dann ohne Vorwarnung auf einen nieder. Doch April hatte nicht vor, sich für ihre Worte noch einmal rechtfertigen zu müssen. Sie stieß die nächsten Worte heraus: „Willst du ihn mir auch noch vermiesen, weil du jetzt hier bist?“ Zielgenau schoss Sabers Hand auf die Akten zu und zog sie zu sich. Er lächelte immer noch, als er ihr antwortete: „Nein, dir erspar ich einen völlig ruinierten Abend.“ Aufbrausend richtete sich April auf. Das konnte Saber nicht machen! Und warum lachte er dabei auch noch? Sein Handeln und sein breites Grinsen waren zuviel Provokation für April gewesen. Sie keifte ihren Anführer an: „Hey, was soll das?! Gib mir die Akten wieder! Das ist viel zu wichtig für Fire.“ Davon ließ sich Saber nicht beeindrucken. Dafür saß ihm der Schrecken seines Besuchs noch viel zu frisch im Nacken. April konnte ihn mit ihrer wütenden Art nicht mehr aus der Fassung bringen. Fireball verließ sich auf ihn. Niemand sonst sollte die Akten noch zu Gesicht bekommen und Saber selbst hielt es mittlerweile auch für das Beste. Es hatte tatsächlich einen guten Grund für den Rennfahrer gegeben, nichts davon Preis zu geben. Auch nicht seinen besten Freunden, das verstand Saber. Der Schotte umschloss die Akten fester: „Das würd ich so nicht sagen, April.“ „Ich glaube nicht, dass du das beurteilen kannst, nur weil du dich einmal dazu herabgelassen hast, zum Fußvolk zu schauen!“, die Blondine stieß beide Hände nach vor um wieder an die Akten zu gelangen, doch der blonde Recke trat geistesgegenwärtig einen Schritt zur Seite. So einfach machte er es April bestimmt nicht. Dafür hing zuviel ab. Das Vertrauen, das Fireball ohne Vorkenntnisse und Erinnerungen in ihn gesetzt hatte, hing davon ab. Und die unbedeutende Nebensache, dass Saber kein schlechter Freund sein wollte. Auch auf die Gefahr hin, dass er sich bei April noch unbeliebter machte, als er es durch die letzten gesetzten Aktionen schon getan hatte. Nachdem April ihm unterschwellig wieder diese Hochnäsigkeit vorgehalten hatte, sah der Schotte keinen Grund mehr darin, es freundlich zu versuchen. Wenn sie ihm Hochnäsigkeit vorwarf, dann sollte sie auch einen Grund dafür bekommen. So herrisch wie selten befahl er April: „Du lässt die Finger von der Akte, sie steht unter Verschluss. Du wirst alles, was du gelesen hast, wieder schön vergessen und deine Neugierde diesbezüglich verschwinden, hast du mich verstanden?“ Saber war über sich selbst erstaunt, das war mit Abstand der eindeutigste Befehl gewesen, den er bisher in seiner Laufbahn als kommandierender Offizier gegeben hatte. Wenn April diese Warnung nicht verstand, würde sie gar nichts kapieren. Die Blondine sprang aus ihrer Satteleinheit und auf Saber zu. Sie reckte den Kopf zu ihm empor und stemmte die Arme in die Hüften. Zusätzlich stellte sie sich auf die Zehenspitzen um Saber annähernd gerade in die Augen sehen zu können. Immer widerlicher fand sie Sabers Gehabe, das war nur noch schwer zu begreifen, was der Schotte da fabrizierte. Nicht nur, dass er für Fireball nicht da war, er hinderte auch alle anderen daran, ihrem Freund zu helfen. Saber war das schlimmste Ekel, das April jemals gesehen hatte. Sie giftete ihn an: „Nein! Das kannst du nicht machen, Saber. Es könnte Fireball helfen, sich an alles zu erinnern. Hast du etwa überlesen, dass er seine Mutter verloren hat?“ Von dem Krach auf der Brücke war Colt aufgeschreckt. So laut war es selten am Abend und schon gar nicht wurde lauthals gestritten. Alarmiert war er einfach aufgesprungen und hatte Mandarin im Aufenthaltsraum sitzen lassen. Dafür stand er nun im Kontrollraum und erlebte live und in Farbe mit, wie sich die zwei rationalsten Menschen, die er kannte, befetzten. Ratlos und sprachlos stand er in der Tür und beobachtete. Wieder würde er nicht eingreifen, darauf stand auf beiden Seiten die Todesstrafe. Er würde abwarten und zusehen, dass er zumindest den Grund für den Streit in Erfahrung brachte. Saber keuchte, soweit also war April tatsächlich mit den Unterlagen gekommen. Der Recke wusste nicht, ob er das als gut oder schlecht werten sollte. Es hieß lediglich, dass April ein paar Dinge mehr wusste, als sie sollte, aber nicht die wirklich gravierenden Geschehnisse. Für Fireball und sein Geheimnis war das gut, für April und ihre Neugier schlecht. Saber würde in dieser Nacht vorsichtshalber seine Zimmertür abschließen, nur für den Fall, dass April Mordgelüste hegte. Und das war angesichts der Fülle dieser Unterlagen nicht so unwahrscheinlich. Genervt murrte Saber, immer darauf bedacht, die Akten nicht zu verlieren: „Seine Mum ist gestorben, als er fünf war, ich weiß. Herrgott, April, jetzt lass endlich gut sein und vergiss es.“ „Auf gar keinen Fall!“, wieder griffen die zierlichen Hände von April ins Leere, Saber war wieder einige Schritte zur Seite gewichen. Inzwischen schon rasend wütend schrie April: „Gib mir die verfluchten Akten, Saber!“ Gereizt stampfte nun Saber mit dem Fuß auf und knurrte: „Das werde ich nicht! Das alles ist nicht weiter deine Angelegenheit, April.“ Die blonde Frau warf ihre Mähne hinter die Schultern. Sie war kurz davor auszurasten. Warum nur um alles in der Welt war Saber ein solcher Verräter? April konnte es nicht fassen. Er verbaute Fireball gerade jegliche Chance, sich an sein vergangenes Leben zu erinnern, sah das der feine Herr denn nicht ein? April kreischte: „Das liegt nicht in deinem Entscheidungsbereich. Es geht um Fireball. Es geht um unseren Fireball, verdammt will dir das nicht in den Schädel?!“ „Das weiß ich und deswegen steht die Akte jetzt auch unter Verschluss.“, Saber schloss einen Moment die Augen, ehe er April eindringlich ansah und drohend zischte: „Und jetzt ist Ende und endlich Ruhe im Stall!“ Der Schotte wandte sich von April ab, nur um in das verwirrte Gesicht seines Scharfschützen zu blicken, der offenbar nur einen Teil der Unterhaltung mit angehört hatte. Aber, und das war dem Schotten auch klar, er hatte ohne Aprils und sein Wissen hier gestanden und gelauscht. Mit einem Blutdruck, der Dank Aprils garstiger Umgangsweise jenseits von Gut und Böse war, blaffte er auch Colt an: „Noch nie was von Anklopfen gehört?!“ In diesem Augenblick der Unachtsamkeit, in dem er April aus den Augen gelassen hatte, hatte sie ausgeholt und ihm die flache Hand ins Gesicht geschlagen. Sie stürmte mit Tränen in den Augen an den beiden Jungs vorbei und schrie: „Du bist schlimmer als jeder Outrider!“ Gut, die hatte er vielleicht auch verdient, wie Saber reumütig feststellte. Er hätte es nicht so beinhart regeln müssen, aber er hatte keine Lust darauf gehabt, das mit April auszudiskutieren, sie hätte es sowieso nicht verstanden. Nachdenklich glitt seine freie Hand über die getroffene Wange, als er murmelte: „Es gibt schlimmeres als das.“ Colts Augen wussten nicht, wo sie zuerst hinsehen sollten. Auf April, die doch tatsächlich die Hand gegen Saber erhoben hatte oder auf Saber, der das alles auch noch hinnahm? Verkehrte Welt war das. Und diese Welt stand erst auf dem Kopf, seit Fireball nicht mehr an Board war. Colt bekam es langsam aber sicher mit der Angst zu tun. Er ging immer noch davon aus, dass Fireballs Ausfall nur vorübergehend, maximal zwei Wochen, dauerte und angesichts dessen stellte sich die Frage, was hier erst los war, wenn einer von ihnen auf die Idee kam und kündigte. Nachdem April aus dem Kontrollraum gestürmt war, richteten sich Colts aufmerksame Augen auf Saber. Er musterte den Boss eingehend, der dicke Zettelhaufen unter seinem Arm fiel ihm sofort auf. Das war der Grund für den Zoff gewesen, aber was in aller Welt stand da bloß drin? Colt brummte: „Klärst du mich jetzt vielleicht auf, was hier los ist?“ „Kleine Unstimmigkeiten, wie immer“, Saber fuhr sich abgekämpft durch die Haare. Colt hatte offenbar nicht alles gehört, deshalb erstickte der Schotte das Thema so gut es ging gleich im Keim. Aber, wie immer, wenn etwas Colts Aufmerksamkeit erregt hatte, war der dann nicht mehr von seiner Fährte abzubringen. Der Kuhtreiber verschränkte die Arme vor der Brust und murrte erst recht: „Klein? Junge, da will ich große Unstimmigkeiten zwischen euch nicht erleben.“ Saber lächelte, ein bisschen Sarkasmus schien ihm hier durchaus angemessen zu sein: „Dann, mein Freund, herrscht hier Mord und Totschlag.“ Das war nicht das gewesen, was Colt hatte hören wollen. Kurz ging er darauf noch ein, ehe er weiterbohrte: „Na, dann bestell ich schon mal die Särge und räum danach auf.“, er deutete kurz auf Sabers Arm: „Was ist das für eine Akte?“ Es wirkte, als wäre sie Colt just in diesem Moment aufgefallen. Der Kuhhirte konnte nicht nur schießen, auch die Unschuldsnummer hatte er drauf. Doch damit kam er bei Saber nicht weit, der kannte die Tricks seines Scharfschützen schon in und auswendig. Saber linste kurz auf den Stoß, den er unter den Arm geklemmt hatte, und zuckte dann gleichgültig die Schultern: „Seit wann interessierst du dich für Papierkram? Das sind alles alte Berichte von Fireball.“ Oh, Saber konnte einfach nicht lügen, das wusste der Schotte selbst. Deshalb wählte er einfach andere Umschreibungen, damit ihm Colt nicht sofort auf die Schliche kam. Der roch Verschwörungen auf hundert Kilometer gegen den Wind. Und das letzte, was Saber an diesem Tag wirklich noch brauchen konnte, war auch noch ein verstimmter Colt, der sich mit ihm das Zimmer teilte. Das wollte Colt nicht so ganz in den Kopf. Wieso standen in Berichten persönliche Daten? Er hatte die Tür zur Brücke nämlich in dem Moment aufgemacht, als die Sprache auf Fireballs tote Mutter gefallen war. Er hakte skeptisch nach: „Und warum steht da was vom Tod von Fires Mutter drin?“ Sabers Augen weiteten sich einen Moment. Gut, so ehrlich er auch war, aber ehrliche Antwort darauf konnte er keine geben. Flink suchte er nach einer plausiblen Antwort: „Steht in jedem Stammdatenblatt drin. Bei dir auch. Wie in einem Lebenslauf bei Bewerbungen. Name der Eltern, Geburtsort und –datum und in dem Fall halt auch das Sterbedatum und der Grund. Gehört im Oberkommando zum Grundrüstzeug.“ Colt zog eine Augenbraue hoch und verlagerte das Gewicht nach hinten. Das war ihm ja ganz was Neues. Seine Skepsis wuchs mit jedem Wort. Stirn runzelnd wollte er noch wissen: „Äh, okay? Ist mir zwar noch nie aufgefallen, aber wenn du das sagst, wird’s schon stimmen.“, mit einem Kopfnicken deutete Colt auf die geschlossene Tür: „Und warum ist unsere Superblondine dann gar so sauer?“ Bei aller Liebe, Colt konnte es nicht verstehen. Da war was faul an der Geschichte, aber zu hundert Prozent! Keine persönliche Akte stand wegen Nichts und wieder Nichts gleich unter Verschluss und enthielt obendrein noch Daten, die persönlicher noch als persönlich waren. Das konnte er dem Säbelschwinger einfach nicht glauben. Er war zwar blauäugig, aber nur was die Augenfarbe betraf. Und noch eine Antwort musste auf die Schnelle für den stutzig gewordenen Freund her: „Weil sie es nicht gewusst hat. Frauen fahren doch immer aus der Haut, wenn sie dahinter kommen, dass sie was nicht gewusst haben.“ Das war zwar eine abwertende Bemerkung über Frauen gewesen, aber im Grunde doch sehr einleuchtend. April war tatsächlich aus dem Häuschen gewesen, weil sie es nicht gewusst hatte. Saber schniefte. Hoffentlich gingen ihm die Antworten nicht aus, bevor Colt die Fragen ausgingen. Der hatte die Lunte bereits gerochen, das sah er seinem Scharfschützen an. Colt stupste sich den Hut aus der Stirn und meinte gedehnt: „Okay… Eine Frage hätte ich da aber doch noch. Warum steht die Akte jetzt unter Verschluss?“ Eiskalt erwischt! Saber brach kurzzeitig der Angstschweiß auf der Stirn aus. Er räusperte sich um Zeit zu schinden. Wenn die Antwort nicht zackig genug für Colts Geschmack kam, vermutete er wirklich eine Verschwörung dahinter und das gerade, als er sich mit Colt wieder halbwegs einig gewesen war: „Na, weil… Dr. Ambolat hat mich gebeten, dass wir Fireball nicht zu viele Informationen auf einmal geben sollen, das führt zu einer – äh, wie hat er das genannt? – Reizüberflutung. Das kann zu einem totalen Blackout kommen.“ Colt rollte kaum merklich mit den Augen. Aus dem Schotten wurde man an diesem Abend nicht mehr schlau. Colt war vollkommen klar, dass Saber ihn vom ersten Satz an angeflunkert und angelogen hatte, aber er hatte keine Lust, sich bei seinem Vorgesetzten noch einmal in die Nesseln zu setzen. Die Sache mit der EDM hatte gereicht. Colt drehte sich weg und hob die Hand: „Oh… Okay. Dann mal gute Nacht, Schwertschwinger.“ „Ja, dir auch. Schlaf gut, Colt.“, als Colt die Tür endlich schloss, stieß Saber erleichtert die Luft aus. Das war knapp gewesen. Eine Frage mehr und Saber hätte offensichtlich nicht mehr weitergewusst. Hätte er sich mal von seinem Scharfschützen abgeguckt, wie man richtig log, wäre Saber nun nicht so heiß und unwohl. Aber das, und darauf verwettete der Schotte alles, war sein geringstes Problem. Er musste zusehen, dass er die Unterlagen verschwinden ließ und er musste der Blondine einen Riegel vorschieben, sich die Papiere von wo anders herzuholen. Sofort öffnete er eine Verbindung zum Hauptquartier des Oberkommandos… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)