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Flotsam

~Treibgut
von

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Schwarze Haare glänzen in der hellen Mittagssonne.

Eisblaue Augen, die gelangweilt umherschweifen.

Gedankenverloren spielt die Zunge mit einem schmalen Lippenpiercing.

Die behandschuhten Hände mit den schwarz lackierten Fingernägeln streichen die Haare aus dem Gesicht und er legt den Kopf in den Nacken.

Unter der hellen Haut zeichnen sich feine Adern ab, die den zerbrechlichen Charakter seiner schmalen Erscheinung nur noch mehr unterstützen.

In den Augen spiegeln sich die vorüberziehenden Wolken und die grelle Sonne erscheint als weiß leuchtender Fleck.

Ein Meer aus Blau gespiegelt in einem noch viel tieferen Meer.

Augen wie Seen.

Langsam entweicht seinen Lippen ein wehmütiger Seufzer und er schließt die Augen.

Salziger Wind streicht durch seine Haare und wirbelt sie durcheinander.

Tief einatmend sieht er sich wieder um.

Das hohe Schilfgras wiegt sich wie seine Haare im Wind und scheint in nicht enden wollenden Wogen zu tanzen.

Der Wind lässt winzige Sandstürme entstehen, vor seine Augen umherirren und wieder ersterben.

Wind wie das Leben.

Entstehen, Verirren, Sterben.

Schrilles Möwengeschrei dringt immer wieder zu ihm durch und sein abwesender Blick sucht den Himmel nach dem Vogel ab.

Dem Wind seine ganze Kraft entgegensetzend versucht er voranzukommen, scheint zu scheitern, gibt nicht auf.

Die Federn glänzen nass im Sonnenlicht und die Schuppen des Fisches in seinem Schnabel glitzern bei jeder Bewegung die er noch versucht zu machen.

Kein Mitleid liegt in seinem Blick.

Weder mit dem Vogel der sich versucht gegen eine Naturgewalt zu stemmen, noch mit dem Fisch, der versucht seinem unumgänglichen Schicksal zu entkommen.

Eine plötzliche Böe reißt den Vogel mit sich, er verschwindet hinter einer hohen Düne, und feiner Sand wird vor seinen Füßen durcheinander gewirbelt.

Er leckt sich kurz über die salzigen Lippen und sieht dann wieder zum Horizont.

Ein Horizont wie seine Seele.

Unendlich weit und es ist einfach kein rettendes Boot in Sicht, dass ihn aufnehmen und mitnehmen könnte.

Blicklos starrt er in das Blau, das seinen Augen so ähnlich ist.

Weiße Schaumkronen zerbrechen an schwarzen, scharfkantigen Steinen, als sie langsam an den Strand rollen.

Immer wieder werden dunkelgrüne Pflanzen, tote Tiere und alles Mögliche angeschwemmt.

Niemand wird danach suchen.

Schon gar nicht hier.

Angeschwemmt wie eine umher treibende Pflanze.

Von niemandem gesucht, vermisst und gefunden.

Das leise Knirschen von Sand hinter ihm lässt ihn kurz aufhorchen, sein Blick bleibt bewegungslos auf die angeschwemmten Pflanzen gerichtet.

Eine warme Hand legt sich auf seinen inzwischen ausgekühlten Arm und ihm wird eine Jacke über die Schultern gelegt.

„Komm wieder mit rein. Deine nächste Therapiesitzung fängt gleich an.“

Noch einige Augenblicke starrt er auf die Pflanzen, dann dreht er sich um und folgt der freundlich lächelnden Frau.

Von niemandem gesucht, vermisst und gefunden.

Treibgut.

Sodele...

Hab jetzt grad mal beschlossen die FF wem zu widmen xD

Wem steht inner Beschreibung xD

*Kekse hinstell und Bonbons werf*
 


 

Eine schmale Sandbank teilte langsam und immer größer werdend das Meer vom Himmel und lässt ihn erleichtert aufseufzen.

Viel länger hätte er es auf diesem wankenden Ungetüm nicht mehr ausgehalten.

Jeder der behauptete Spaß an Schifffahrten zu haben sollte umgehend eingewiesen werden.

Sein Magen rumorte immer noch unwillig und er verzog genervt das Gesicht.

So langsam fühlte er sich wie durchgekaut und wieder ausgespuckt.

Aber was tat man nicht alles für einen guten Job.

Beziehungsweise für einen der möglichst weit entfernt von allen und jedem war die er kannte oder ihn kannten.

Für einen kurzen Augenblick ließ er die Reling los und streckte sich genüsslich.

Keine dummen Blicke, keine überflüssigen Kommentare und schon gar keine Prügeleien mehr.

Am meisten freute er sich aber auf die Tatsache, dass er nicht mehr schräg angesehen werden würde.

Das war ihm sogar so eine grässliche Fahrt mit einer Fähre wert.

„Herr Smith? Wir sind gleich da wollen sie vielleicht schon mal ihr Gepäck holen?“

Verwundert drehte er sich zu der offensichtlich weiblichen Quelle der Stimme um und musterte sie kurz.

Ungefähr sechzig Jahre alt, halblanges offenes graues Haar, das ihr vom Wind in das braungebrannte, wettergegerbte Gesicht geweht wurde, ein schlichter weißer Rock und ein hellblauer Pullover.

Die weichen dunkelbraunen Augen ruhten schon fast liebevoll auf ihm und ihr offenes Lächeln ließ sofort das Bild einer gutmütigen Großmutter in seinem Kopf entstehen.

Plätzchenoma.

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

„Sicher. Und Sie sind?“

Leise lachend deutete sie eine entschuldigende Verbeugung an, dann reichte sie ihm immer noch lächelnd ihre Hand.

„Ich bin Agnes Borcherts. Ihre neue Chefin.“

Überrascht musterte er sich noch mal, dann lächelte er erleichtert.

„Und ich dachte schon meine Chefin wäre unfreundlich und total biestig.“

Ihr kehliges Lachen war ziemlich angenehm wie er fand und er freute sich, dass er so eine sympathische Vorgesetzte bekommen hatte.

Also war es doch richtig gewesen sich hier zu bewerben.

Zwinkernd drehte Frau Borcherts sich um und deutete ihm ihr zu folgen.

„Bis jetzt kennen Sie ja nur meine guten Seiten.“

Grinsend stieß er sich von der Reling ab und folgte ihr seinen gluckernden Magen und die weichen Knie ignorierend in den Schiffsbauch.
 


 

„Wow das ist ja richtig schön hier.“

Mit großen Augen stand er jetzt vor einem weißen Gebäudekomplex der in verschiedene Abschnitte gegliedert war.

An den Fenstern hingen Blumenkästen mit bunten Sommerblumen, die Auffahrt war ebenfalls bunt bepflanzt worden und eine der Hauswände war anscheinend von irgendwem künstlerisch verziert worden.

Riesige Blumen zogen sich über die ganze Fläche und ließen das Gebäude noch heller und freundlicher erscheinen.

Insgesamt wirkte es wie eine Freizeitanlage oder ein Familienhotel.

Seine Chefin stand mit einem stolzen Lächeln neben ihm und blickte sichtlich zufrieden über das Gelände.

„Wir möchten ja auch, dass man sich hier wohlfühlt.“

Verstehend nickte er.

Es hätte ihn auch gewundert, wenn diese Plätzchenoma etwas anderes gesagt hätte.

Allerdings sollte er aufhören sie gedanklich Plätzchenoma zu nennen, da er dazu neigte das was ihm grad durch den Kopf ging zu sagen.

Und mit seiner neuen Chefin verscherzen wollte er es sich bestimmt nicht.

In die Betrachtung des Gebäudes versunken hatte er gar nicht mitbekommen, dass eben diese schon weitergegangen war und jetzt die Tür zu einem der niedrigen Bungalows aufhielt.

Auch hier war alles mit bunten Blumen bepflanzt und als er näher kam lächelte sie ihm aufmunternd zu.

„Hier werden sie wohnen, solange sie bei uns arbeiten. Also sehr lange wie ich hoffe. Am besten sie sehen sich alles in Ruhe an und kommen dann einfach ins Haupthaus zum Essen.

Das ist der Gebäudeabschnitt in der Mitte, das können sie also gar nicht verfehlen.

Ich hoffe sie fühlen sich wohl und wir sehen uns dann nachher beim essen.“

Mit diesen Worten drückte sie ihm immer noch lächelnd, langsam fragte er sich ob sie auch einen anderen Gesichtsausdruck kannte, einen schmalen Schlüssel an einem roten Band in die Hand, nickte ihm noch mal zu und verschwand dann in einem der Seiteneingänge zum Haupthaus.

Doch ein wenig überrumpelt sah er zunächst auf den Schlüssel in seiner Hand, dann ging er schulterzuckend durch die offen stehende Tür und zog sie hinter sich zu.

Seinen großen und total sperrigen Koffer stellte er zunächst einfach mitten in den Raum in dem er sich jetzt befand.

Soweit er das erkennen konnte gab es hier eine Art Wohnzimmer, darin stand er grad, eine kleine Küche, ein fast verschwindend winziges Bad und ein Schlafzimmer.

Alles war in hellen Blautönen eingerichtet und die weißen Wände strahlten nahezu.

Nicht unbedingt sein Geschmack, aber er hatte bei seiner Bewerbung zugesagt bekommen, dass er seine Wohnung so umgestalten konnte wie er wollte.

Vorraussetzung war lediglich, dass er sie bei einer Kündigung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzte.

Am Ende des Wohnzimmers flutete die Sonne durch eine riesige Schiebetür, die fast die komplette Wand einnahm.

Mit vor Staunen offen stehenden Mund stand er jetzt an der Glasfront und sah nach draußen.

Das Zimmer war so ausgerichtet, dass man direkt auf die schier unendlich wirkenden, wogenden Seegraswiesen sehen konnte und das sich dahinter fortsetzende Meer, das in der Ferne mit dem Horizont zu verlaufen schien ließen ihn ehrfürchtig die Szenerie betrachten.

Bisher hatte er immer in der Großstadt gelebt und so was hatte er wenn überhaupt nur im Fernsehen gesehen.

Nachdem er eine ganze Zeit lang einfach nur dagestanden und aus dem Fenster gesehen hatte wurde seine Aufmerksamkeit durch eine schemenhafte Bewegung in seinem Augenwinkel auf etwas anderes gelenkt.

Von der linken Seite her näherten sich zwei Personen.

Während die eine resolut ausschritt und in ihrer weißen Kleidung, er schloss daraus, dass es eine Schwester war, nahezu strahlte, folgte die zweite wesentlich schmalere Person eher wie ein Schatten.

Er kniff die Augen zusammen aber da er gegen das Licht sah und auch nicht unbedingt die besten Augen hatte konnte er nicht viel mehr erkennen, als eben diese Schemen.

Erst als sie fast vor seinem Fenster herliefen konnte er endlich Details erkennen.

Die rundliche Schwester mit den braunen Zöpfen sah ihn hinter dem Fenster stehen und lächelte ihn freundlich an, lief dann aber unbeirrt weiter.

Hinter ihr lief ein schwarzhaariger Junge, der den Kopf gesenkt hielt und seine Hände, die in schwarzen Fingerhandschuhen steckten, in den Taschen seiner schwarzen Jeans vergraben hatte.

Die weiße Haut bildete einen krassen Gegensatz zu den schwarzen Haaren in denen sich das Sonnenlicht fing und fast schon reflektierte.

Um die schmalen Schultern lag eine Jacke, trotzdem schien er noch zu frieren, da sich auf seinen schlanken Armen eine leichte Gänsehaut zeigte.

Als habe er ihn gehört oder irgendwie wahrgenommen hob er in diesem Augenblick den Kopf und sah ihn an.

Für einen kurzen Moment wich er erschrocken zurück, dann fing er sich wieder.

Der Blick des Jungen verdunkelte sich, als er sah, dass er fast nach hinten gestolpert wäre, sah wieder auf den Boden und folgte der Schwester ins Haupthaus.

Vollkommen verdattert starrte er auf die Tür die sich grade hinter den Beiden schloss.

In den Augen des Jungen hatte rein gar kein Gefühl gelegen.

Nicht mal der Ansatz einer Emotion.

Zwar hatte er ihn angesehen, aber er hatte das Gefühl gehabt gar nicht wirklich existent zu sein, sondern nur irgendetwas was man beiläufig bemerkte und nicht weiter wichtig war.

Verwirrt schüttelte er den Kopf.

Wie konnte jemand mit so meerblauen Augen so eiskalt sein?

Als er am Abend durch die große Flügeltür in den Speisesaal ging blieb er staunend stehen.

Zwar hatte er auch hier eine freundliche und angenehme Atmosphäre erwartet aber nicht, dass hier wirklich alles so unglaublich harmonisch und friedlich wirkte.

In dem großen Saal standen, wenn er sich nicht verzählt hatte, 15 Tische an denen in kleinen Gruppen Pfleger und Patienten zusammen saßen.

Alle Tische waren mit pastellfarbigen Tischdecken und einer Blumenvase versehen, während die Stühle einen bunt zusammen gewürfelten Mix aus bunten Plastikstühlen darstellten.

Durch die hohen Seitenfenster flutete das rotstichige Licht der Sonne in den Raum und ließ alles noch unwirklicher erscheinen.

Angeregtes Lachen und Gesprächsfetzen drangen zu ihm hinüber und er musterte die Personen, die an dem Tisch rechts von ihm saßen genauer.

Die Pfleger und Schwestern trugen meist weiße Kleidung, allerdings schien ihnen auch das relativ frei zu stehen was sie trugen, solange es weiß war.

Die Patienten hingegen waren allesamt normal gekleidet und schienen sich sichtlich wohlzufühlen.

Zwar sah man ihnen an, dass sie entweder eine Sucht versuchten in den Griff zu bekommen oder irgendeine psychische Erkrankung hatten, aber bis auf die wenigen die sich anscheinend weigerten zu essen und von ihren jeweiligen Betreuern leise auf sie einsprechend dazu überredet werden sollten doch etwas zu essen, hatten alle einen Teller mit Nudeln und Bolognese vor sich stehen.

Fast schon ungläubig schüttelte er den Kopf.

Das hätte es bei seiner vorherigen Arbeitsstelle nicht gegeben.

Da waren die Patienten wie ein notwendiges Übel und nicht zurechnungsfähig angesehen worden und jeder Wunsch der nach einem bestimmten Essen aufkam wurde einfach übergangen.

Bevor er noch weitere Vergleiche anstellen konnte wurde er aber durch einen entzückten

Aufschrei abgelenkt.

Von ihm bisher unbemerkt hatte sich ein ungefähr gleichaltriger…Junge, Mann, Typ?

Er war sich nicht sicher in welche Kategorie er diesen quirligen strohblonden Wirbelwind mit den blitzenden hellbraunen Augen einordnen sollte.

„Ist das geil. Endlich mal wieder ein Neuer. Auch wenn mir ne hübsche Tittenmaus natürlich lieber gewesen wäre.“

Zunächst ein wenig überrumpelt, dann jedoch lachend hielt er ihm seine Hand hin.

Dieser einnehmenden Ehrlichkeit und den Funken die aus seinen Augen nur so sprühten konnte man einfach nicht böse sein.

„Tut mir ja sehr leid. Nächstes Mal bring ich dir eine mit okay?“

Grinsend ergriff der Wirbelwind seine Hand und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

„Ist auch bitter nötig. Hier gibt es nicht eine Schwester unter 30. Kannst du dir vorstellen wie ich leide?“

„Samuel jetzt ist aber gut mit deinem Gejammer.“

Gespielt ertappt ließ der so Gerügte seine Hand los und drehte sich mit einem unschuldigen Lächeln um.

Agnes stand vor ihm und versuchte möglichst ernst auszusehen, während ihre Mundwinkel jedoch verdächtig zuckten.

„Aber Agnes…Ich hab doch auch meine Bedürfnisse…“

Lachend schlug sie ihm jetzt mit der flachen Hand vor die Stirn und nickte zu einem der Tische.

„Geh lieber deine Arbeit machen. So wies aussieht will Sven schon wieder nicht essen. Los los los.“

Als habe man einen Schalter umgelegt verschwand das übermütige Grinsen aus seinem Gesicht und ihm noch einmal zunickend beeilte er sich zu einem braunhaarigen Jungen zu kommen, der abwesend in seinem Essen herumstocherte.

Die warme Hand seine Chefin legte sich auf seine Schulte und er sah von Samuel und seinem Schützling wieder in ihr warmes Plätzchenomagesicht.

„Am besten wir stellen dich erstmal allen vor.“

Er nickte und folgte ihr durch die Tische hindurch und an den neugierigen Blicken vorbei bis zu ihrem Platz.

Der befand sich am Ende des Raumes am größten Tisch an dem auch die meisten Pfleger und Schwestern saßen.

Als sie dort angekommen waren klatschte sie kurz in die Hände und sofort wurde es still im Saal.

Er bedachte die so weich und nachgiebig wirkende Frau mit einem nachdenklichen Blick.

Sie schien eine absolute Autoritätsperson hier zu sein und das nicht nur weil sie die Chefin war.

In fast allen Gesichtern stand Interesse, Bewunderung und auch Erwartung auf das was sie zu sagen hatte.

„Also meine Lieben. Wie ihr wisst haben wir ja einen Neuzugang. Sein Name ist Jay Smith und er wird in der nächsten Zeit bei uns bleiben. Ich erwarte, dass ihr euch ihm gegenüber so verhaltet, dass er sich hier gut zurechtfindet. Soll heissen“ Ein kurzer Blick hinüber zu Samuel, der jedoch nur unschuldig lächelte „ keine Streiche oder sonstige Witzigkeiten. So und jetzt guten Appetit.“

Während sie geredet hatte fühlte er sich wie auf einem Präsentierteller.

Dutzende von Augen schienen ihn nahezu zu durchleuchten und zu entscheiden ob sie ihm eine Chance geben würden oder nicht.

Sehr zu seiner Erleichterung wurde nach ihrer kurzen Ansprache aber nur kurz zustimmend genickt, weitergegessen und die zuvor abgebrochenen Gespräche wieder aufgenommen.

Dankbar lächelnd ließ er sich auf den Stuhl fallen, den Agnes ihm mit der Hand deutete zu besetzen und sah sich wieder um.

Er war total abgelenkt und hatte daher nicht gehört, dass seine Chefin ihn etwas gefragt hatte, als er jedoch realisierte, dass sie mit ihm gesprochen hatte drehte er sich hastig zu ihr um.

„Tut mir leid ich…“

„Kein Problem. Du bist noch neu hier und das ist wohl alles etwas ungewohnt und verwirrend.“

Entschuldigend nickte er und wartete darauf, dass sie ihre Frage wiederholen würde.

„ Möchtest du noch irgendwas wissen?“

Ein kurzes Zögern dann entschied er sich dafür einfach zu fragen, denn umbringen würde ihn das bestimmt nicht.

„ Steht schon fest mit wem ich arbeiten werde? So wie es aussieht gibt es hier ja eins zu eins Betreuung.“

Nachdenklich glitt ihr Blick über die anwesenden Personen und kehrte dann wieder zu ihm zurück.

„Zunächst haben wir dich als Springer eingeplant, weil alle Patienten bis auf einen feste Betreuer haben. Aber wir werden sehen was sich da noch tut.“

„In Ordnung.“

Es störte ihn nicht weiter in dieser Form zu arbeiten auch wenn er sich fragte warum ein Patient keine feste Bezugsperson hatte.

„Am besten du holst dir jetzt erstmal was zu essen und dann stelle ich dich den jeweiligen Zuständigen für die einzelnen Abteilungen vor.“
 


 

Abteilung für Drogenentzug, Suizidgefährdete, Essstörungen und Zwangshandlungen.

Ihm schwirrte der Kopf, da zu jeder Station zwei ältere Pfleger gehörten, die für deren Koordination und Planung zuständig waren.

Im Moment hatte er jedoch Ruhe und konnte sich ganz seinem Essen widmen.

Ein Großteil der Patienten und Pfleger waren bereits wieder gegangen und die Abteilungsleiter, die mit am Tisch saßen waren wieder in Gespräche über Zimmerumlegungen und einzelne Patienten vertieft.

Leer wirkte der Saal noch riesiger und er kam sich ein wenig verloren vor.

Zwar hatten ihn alle freundlich aufgenommen und ihm Glück gewünscht aber trotzdem fühlte er sich noch wie ein Fremdkörper in dieser eingespielten und vertraut wirkenden Gemeinschaft.

Ein leises Klacken der Flügeltür ließ ihn aufsehen und sich fast an seinem Essen verschlucken.

Diese Augen hätte er überall erkannt.

Im Anbetracht der Tatsache, dass ich im Moment eine Art Schlafkrankheit habe und so gut wie 80% des Tages verschlafe möge man mir etwaige Fehler verzeihen *grins*

Trotzdem viel (je nach Gemütslage^^) Spaß^^
 


 


 


 

Leise zog der Junge die Tür hinter sich zu und wandte sich dann wieder um.

Jay war gar nicht bewusst, dass er ihn anstarrte.

Ohne genauer auf seine Umgebung zu achten ging der schwarzhaarige Junge zum Buffet, holte sich sein Essen und setzte sich in die hinterste Ecke des Saales alleine an einen Tisch.

Die ganze Zeit sah er nach unten, schien sich mit jeder Faser seines Körpers zu weigern Jays Blick zu bemerken.

Jay war wie versteinert, unfähig seine Augen von diesem unglaublich zerbrechlich wirkenden Menschen nehmen zu können.

Blasse Haut im Gegensatz zu schwarzen Haaren.

Der schmale Körper wirkte in dem viel zu großen schwarzen Kapuzenpullover schon fast verloren und die schlanken Hände schienen willenlos zu sein.

Sein Gesicht zeigte immer noch keinerlei Regung und er schien auch keinen Hunger zu haben oder zu bemerken was er da aß.

Als sei es einfach notwendig zu essen um nicht zu sterben.

Bevor er wegsehen konnte hob der Junge in diesem Moment den Kopf und sah ihn an.

Wie schon bei ihrer ersten Begegnung lag kein Gefühl in seinen Augen.

Eismeer.

Und trotzdem zogen sie ihn einfach magisch an.

Als habe man etwas in Gang gesetzt was sich nicht aufhalten ließ schien er in diese unendlichen Augen hineingesogen zu werden und in ihm schrie alles danach wegzusehen.

Er würde sich in diesen Augen verlieren, wenn er sich nicht davon lösen konnte.

Erst als Agnes sich räusperte und so seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte riss er sich los.

Sich zu ihr umdrehend sah er grade noch einen nachdenklichen Ausdruck in ihrem Gesicht, während ihre Augen schnell zwischen ihm und dem Jungen, der jetzt den Kopf wieder gesenkt hatte und weiteraß, hin und her huschten.

„Kennt ihr euch?“

Jay schüttelte verwirrt den Kopf und runzelte die Stirn.

Wieso sollten sie sich kennen?

„Hm…“

Ohne noch etwas zu sagen lächelte sie ihn wieder an.

„Du bist doch bestimmt müde. Das Bett in deiner Wohnung ist bereits bezogen, also wäre es wohl gut, wenn du dich bis morgen richtig ausschläfst. Dann kann Samuel dir hier alles erklären und zeigen.“

Ihm war nur zu bewusst, dass er grade höflich rausgeschmissen worden war aber das war ihm grade auch nur zu recht.

Die Eismeeraugen die ihn so durchdringend angesehen hatten brachten ihn durcheinander und er wollte nicht unbedingt schon an seinem ersten Tag negativ auffallen, indem er einen Patienten, denn das war er ja ganz offensichtlich, stundenlang anstarrte.

Also nickte er nur, wünschte seiner Chefin und den restlichen Anwesenden eine gute Nacht und verschwand aus einer der Seitentüren, die direkt nach draußen führten.

Obwohl er sich sicher war ausser Sichtweite zu sein, als er auf seinen Bungalow zuging fühlte er immer noch den kalten Blick des Jungen in seinem Rücken und schüttelte unwillig den Kopf.

Er sollte sich nicht so aus dem Konzept bringen lassen schließlich war es sein Job mit psychisch Kranken oder Labilen zu arbeiten und Menschen die völlig in sich zurückgezogen waren hatte er auch schon mehr als einmal gesehen.

Trotzdem brachte der Junge ihn ins Trudeln und das gefiel ihm überhaupt nicht.

Gedanklich beruhigte er sich damit, dass es einfach noch der Anreisestress und die neue Umgebung waren die ihn so empfindlich reagieren ließen und wenn er morgen ausgeschlafen und wieder fit sein würde wäre das wahrscheinlich nur noch eine verschwommene Ahnung die er bald vergessen würde.
 


 

„Guten Morgääää~n!“

Mit einem erschrockenen Schrei fuhr Jay hoch und sprang aus dem Bett.

Hektisch atmend sah er sich um, bis er den vor Lachen fast auf dem Boden liegenden Samuel registrierte, der sich den Bauch hielt und einige Lachtränen aus dem Augenwinkel wischte.

Erleichtert ausatmend ließ er sich wieder aufs Bett fallen.

„Mann, musst du mich so erschrecken?“

Grinsend ließ der blonde Wirbelwind sich neben ihm aufs Bett fallen und grinste ihn mit einem gewinnenden Strahlen in den Augen an.

„Komm, zieh dich an und dann zeig ich dir das Gelände.“

Schnell schnappte Jay sich seine Sachen und verschwand im Bad.

Normalerweise hatte er keinerlei Probleme damit sich vor irgendwem umzuziehen aber ihm war es doch ein wenig wohler zumute, wenn er niemanden daneben stehen hatte.

Nach einem kurzen Blick in den Spiegel verzog er das Gesicht.

Er hatte seinen Lippenring verlegt und wusste nicht wo er ihn hingetan hatte.

Mit einer Hand stieß er die Badezimmertür auf und suchte gleichzeitig in einem seiner Kulturbeutel danach.

„Samuel? Kannst du mal gucken, ob da irgendwo mein Piercing liegt?“

„Jaha mach ich!“

Ein lautes Poltern und Samuels „Entschuldigung!“ ließen ihn grinsen und als er seinen heißgeliebten Lippenring doch gefunden und wieder reingemacht hatte lehnte er sich an den Türrahmen des Badezimmers und beobachtete amüsiert wie Samuel versuchte die von seinem Tisch heruntergefallenen Bücher wieder zu einem hohen Stapel aufzuschichten.

„Und wo fangen wir mit unserer kleinen Führung an?“

Mit einer Hand den Bücherstapel festhaltend, zog er mit der anderen einen mehrfach gefalteten Zettel aus seiner Gesäßtasche und warf ihn in Jays Richtung.

Fluchend sprang er zur Seite, als sein Gebilde wieder zusammenbrach und ihm einige der ücher fast auf die Füße fielen.

Mit einem fragenden Seitenblick faltete Jay den Zettel auseinander und begann interessiert zu lesen.

Auf dem Zettel standen die Zeiten fürs Essen und einige andere Eckdaten wie Visiten auf den einzelnen Stationen.

Was ihn aber am meisten interessierten waren die letzten zwei Zeilen.

Er hatte doch keine Springerposition, sondern war direkt einem Patienten zugeteilt worden.

„Samuel? Kennst du einen Kadyn?“

„Ja, wieso?“

Ohne ihn anzusehen legte er hochkonzentriert das letzte Buch auf den Stapel, trat mit vorsichtshalber noch vorgestreckten Händen einen Schritt zurück und musterte stolz sein Werk.

„Dem bin ich als Betreuer zugeteilt worden.“

Überrascht blickte Samuel in seine Richtung und sofort landete der Bücherstapel wieder auf dem Boden.

„Verdammt! Na damit wirst du dann ne Menge zu tun haben.“

Jay ging neben Samuel in die Hocke und half ihm die Bücher wieder aufzuheben und sah ihn fragend an.

„Wieso?“

„Naja…“

Der Braunäugige ließ sich nach hinten fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte nachdenklich die Stirn.

„Kadyn ist…schwierig. Zumindest kommt man nicht zu ihm durch. Nicht mal Agnes weiß warum er so in sich zurückgezogen ist. Seine Mutter ist irgendwie umgekommen und er selbst war auch nicht grade zärtlich behandelt worden und danach ist er in ein Heim gekommen. Da hat er schon so gut wie gar nicht mehr gesprochen. Aus dem Heim ist er aber irgendwann weggelaufen und die Heimleiterin, das ist übrigens eine Freundin von Agnes, deswegen weiß sie das überhaupt, hat ewig nichts mehr von ihm gehört bis er dann irgendwann total zugedröhnt vor dem Tor gestanden hat. Daraufhin ist er dann hierhin gekommen.“

Jay nickte nachdenklich und sah auf den Zettel in seiner Hand.

Da würde ein ganz schönes Stück Arbeit auf ihn zukommen und wenn selbst Agnes nicht wusste was genau mit diesem Kadyn los war…

Seufzend stand er auf und klopfte sich die Hose ab.

„Lass die Bücher erstmal liegen und zeig mir lieber wo ich hier was finde…Sonst verlauf ich mich total.“

Jede Ernsthaftigkeit war sofort wieder aus Samuels Gesicht wie weggewischt und er zog sich an Jays ausgestreckter Hand hoch.

„Alles klar. Aber glaub mir die erste Zeit wirst du dich ständig verlaufen. Ging mir auch so.“

Gegen die Sonne blinzelnd sah Jay zu Samuel rüber, der grade angeregt auf den braunhaarigen Jungen einredete, er was sich nicht sicher glaubte aber, dass er Sven hieß, der trotzig auf einer der vielen Bänke saß und sich vehement weigerte mit reinzukommen.

Der blonde Betreuer jedoch ließ sich nicht abwimmeln und redete weiter mit Engelszungen auf ihn ein.

Jay war wirklich fasziniert davon wie anpassungsfähig sein Fremdenführer war.

Während ihres Rundgangs über das sehr weitläufige Gelände und durch das verschachtelte Gebäude hatte er in einem fort geplappert, auf Eigenarten bestimmter Schwestern oder Pfleger hingewiesen und sich königlich darüber amüsiert, dass Jay immer hilfloser und konfuser wirkte.

Jetzt jedoch hatte er ein sanftes Lächeln im Gesicht und schien völlig in seiner Aufgabe aufzugehen Sven wieder ins Haus zu bugsieren, damit er sich mit seinen noch vom duschen nassen Haaren nicht den Tod im kalten Seewind holte.

Samuel schien ihn völlig vergessen zu haben und als er es endlich geschafft hatte Sven zum aufstehen und reingehen zu bewegen verschwand er mit diesem im rechten Flügel des Gebäudes.

„Ähm…“

Jay hatte viel zu viel darüber nachgedacht wie schnell Samuel sich auf eine andere Situation einstellen konnte und darüber nicht bewusst wahrgenommen, dass er jetzt völlig allein auf dem Vorhof stand.

Und keine Ahnung hatte was er jetzt machen sollte.

Samuel wiederzufinden würde wahrscheinlich eine ziemlich aussichtslose Angelegenheit werden, da er schon froh war zu wissen wie er wieder zu seinem Bungalow zurückkam.

Trotzdem wollte er jetzt nicht schon wieder dahin zurückkehren schließlich war er nicht hier um Urlaub zu machen, sondern um zu arbeiten.

Ausserdem wollte er seinen Patienten kennenlernen.

Das was Samuel erzählt hatte klang wirklich mehr als nur interessant und reizte ihn ungemein.

Es juckte ihm jetzt schon in den Fingern herauszubekommen was mit diesem Kadyn los war, auch wenn es bisher keiner der wesentlich erfahreneren Betreuer geschaffte hatte.

Oder vielleicht auch grade deswegen. Ihm war nur zu bewusst, dass sein angeborener Ehrgeiz da keinen geringen Anteil dran hatte.

Stirnrunzelnd fuhr er sich durch die Haare und sah an der hellen Gebäudemauer hoch.

Irgendwo im zweiten Stock war das Büro von Agnes und wenn er ganz viel Glück hatte würde er es sogar wiederfinden.
 

„Herein.“

Jay schob erleichtert die Tür auf als er Agnes warme Stimme erkannte und betrat lächelnd den hell eingerichteten Raum.

Farbenfrohe Bilder von Patienten an den Wänden, beiger Teppichboden, Unmengen von Grünpflanzen und in der Mitte des Raumes ein riesiger Schreibtisch aus dunklem Holz hinter dem Agnes grade saß und ihn über ihre schmale Lesebrille hinweg ansah.

Lächelnd faltete sie die Zeitung zusammen in die sie grade vertieft gewesen war und nickte zu einem der ebenfalls aus dunklem Holz gefertigten Stühle vor ihrem Schreibtisch.

„Was führt dich zu mir Jay? Möchtest du?“

Noch bevor er richtig saß schob sie ihm einen Teller mit Plätzchen zu und nahm sich selbst auch eins.

Zurückgelehnt an die Lehne ihres Stuhls musterte sie ihn nun abwartend, nachdem er sich ebenfalls eins der Schokoplätzchen genommen hatte.

Ein Grinsen stahl sich in sein Gesicht, als er daran dachte, dass Agnes grade selbst sein Bild von einer Plätzchenoma festigte.

„Ich würde gerne wissen wann ich anfangen soll mit Kadyn zusammenzuarbeiten. Sonst komm ich mir hier so überflüssig vor.“

Verstehend nickte seine Chefin und sah dann auf die große Uhr, die schräg hinter Jay an der Wand hing.

„Um diese Zeit ist er wahrscheinlich draußen am Strand. Wenn du von deinem Bungalow aus dem kleinen Trampelpfad folgst findest du ihn mit Sicherheit irgendwo.“
 


 

Suchend sah er sich und hielt sich mit einer Hand die Haare aus dem Gesicht.

Dieser Wind war wirklich nicht von schlechten Eltern und schien auch allgegenwärtig zu sein. Seit er hier war hatte er noch keine fünf Minuten erlebt in denen es nicht windig war und sich die Bäume schon fast durchgehend im Wind wiegten.

Als würde man sie immer wieder anstoßen und sie kämen einfach nicht zur Ruhe.

Windspielzeug.

Sein Blick glitt langsam über das wogende Schilfgras und die Dünen, deren aufgewirbelter Sand in der grellen Sonne glitzerte.

Nirgendwo war etwas zu erkennen was auch nur ansatzweise wie ein Mensch aussah.

Da er grade auf einer der höheren Dünen stand rutschte er halb stehend, halb kniend durch den weichen Sand runter zum Strand.

Winzige Muschelsplitter zogen ihre Spur und das Wasser lief in flachen Wellen immer wieder über den feuchten Sand und hinterließ weiß-gelblichen Schaum wie auch allerlei Kleinkram.

Eine winzige Krabbe versuchte wieder auf die Beine zu kommen, wurde aber von den sanften Wellen ein ums andere Mal daran gehindert weiterkrabbeln zu können.

Jay achtete nicht weiter darauf, sondern drehte sich einmal um sich selbst um sich schnell einen möglichst guten Überblick zu verschaffen.

Mitten in der Drehung hielt er inne und atmete erleichtert aus.

Zwar hatte Agnes nichts von Selbstmordgefahr gesagt aber man konnte ja nie wissen…Er hatte schon mit zu vielen Menschen zu tun gehabt die mit einem Entzug oder ihrer Krankheit nicht mehr klarkamen und sich das Leben nahmen.

Da wurde man mit der Zeit hellhörig und vor allen Dingen vorsichtig.

Nicht sehr weit von ihm entfernt saß jemand mit zum Meer gewandten Gesicht im weißen Sand und die Hände spielten selbstvergessen mit einem langen Schilfgrashalm.

Eigentlich musste er ihn gehört haben, trotzdem machte Jay absichtlich mehr Lärm als nötig gewesen wäre um seinen zukünftigen Schützling nicht zu erschrecken.

Als er ihm jedoch näher kam und nicht mehr nur Umrisse erkennen konnte wurde er langsamer.

Das war der Junge mit den Eismeeraugen.

Die blau schimmernden schwarzen Haare wurden ihm vom beinahe schon obligatorischen Wind in das schmale, blasse Gesicht geweht und die von langen schwarzen Wimpern umrahmten Augen sahen starr auf einen Punkt am Horizont.

Als habe er dort etwas entdeckt oder warte auf etwas.

Jay vergewisserte sich mit einem kurzen Seitenblick, dass da kein Schiff oder irgendetwas war und wandte sich wieder Kadyn zu.

Auf den zum Schneidersitz untergeschlagenen Beinen lagen seine schmalen Hände, die aufgehört hatten mit dem Grashalm zu spielen und seine ganze Körperhaltung drückte Ablehnung aus.

Die leicht von ihm abgewandte Schulter, das Innehalten mit seiner Beschäftigung.

Einfach alles schrie ihn an nicht näher zu kommen und wieder zu verschwinden.

Auch wenn er selbst liebend gern einfach umgedreht und wieder in seinen Bungalow gegangen wäre ließen das weder sein Pflichtgefühl noch sein Ehrgeiz zu.

Er wollte wissen was mit seinem Eisprinzen los war, dass er so frostig und kalt geworden war.

In diesen aus mindestens zwei Ozeanen gemachten Augen konnte einfach nicht nur Eis liegen.

Da mussten auch noch warme Buchten, tiefe Schluchten, verspielte Wellen und wütende Stürme sein.

Sich selbst ermahnend setzte Jay sich wieder in Bewegung und blieb einen knappen halben Meter vor Kadyn stehen.

Dieser hob nicht den Kopf oder zeigte mit irgendeiner anderen Reaktion was er davon hielt.

Seine abweisende Haltung hatte er zwar nicht verstärkt jedoch unverändert beibehalten.

Jay wartete noch einige Augenblicke ab, dann setzte er sich neben Kadyn in den weichen Sand.

Dieser zeigte immer noch keinerlei Reaktion, sondern sah weiter stur aufs Meer hinaus.

Seufzend ließ Jay sich nach hinten fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Er würde Kadyn nicht dazu zwingen ihn zu beachten aber einfach gehen würde er jetzt auch nicht. Und wenn er schon mal hier war konnte er seinem Eisprinzen auch genauso gut Gesellschaft leisten.

Auch wenn dieser die nicht wollte und das auch nur allzu deutlich zum Ausdruck brachte.

Weiße Wattewolken zogen über den strahlend blauen Himmel und aus dem Augenwinkel registrierte Jay wie Kadyn seinen Kopf ein Stück weit zu ihm drehte und ihn kurz ansah.

Den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke und Jay hatte das Gefühl, dass das Meer in Kadyns Augen nicht nur seine Gefühle verschluckte, sondern auch den Schwarzhaarigen selbst langsam aber sicher ertränkte.

Ohne einen Muskel in seinem Gesicht zu rühren wandte Kadyn sich wieder ab und sah wie schon zuvor aufs Meer hinaus, während seine Haare weiterhin sein Gesicht umspielten.

Jay schloss die Augen und lächelte.

Zumindest existierte er jetzt in Kadyns Welt.

Irgendwie.

Ohne darauf zu achten, dass der blonde Pfleger verwirrt zu ihm hochsah ließ Jay sich resigniert seufzend auf den Stuhl neben ihn fallen.

„Ich kriegs einfach nicht hin.“

Samuel nahm den Löffel aus dem Mund und steckte ihn wieder in seinen Joghurt um dann weiterzuessen.

Während er konzentriert versuchte die Reste aus dem Becher zu kratzen runzelte er die Stirn.

„Ich hab dir doch schon die ganze Zeit gesagt, dass es schwer wird. Hat er denn überhaupt mal was gesagt?“

Jay stützte den Kopf in die Hände und stöhnte gequält auf.

„Es ist egal was ist er sitzt immer nur schweigend am Strand und vergräbt sich immer weiter in sich selbst.“

Nachdenklich stellte Samuel den inzwischen vollkommen leeren Joghurtbecher auf den Tisch und tippte sich mit dem silbernen Teelöffel an die Nasenspitze.

„Hast du schon mal überlegt ihn wieder abzugeben?“

Jay schüttelt ohne aufzusehen heftig mit dem Kopf.

„Nein das geht nicht. Ich will wissen was mit ihm los ist, das lässt mir einfach keine Ruhe.“

Mit dem Stuhl nach hinten wippend sah Samuel nachdenklich an die Decke, ließ sich dann aber mit einem dumpfen Knall wieder nach vorne fallen.

„Versuch einfach ihn irgendwie für dich zu interessieren. Erzähl was von dir oder von irgendetwas was ihn einfach zwingt antworten zu wollen. Bei mir hat das zwar auch nicht geklappt“ er zuckte kurz gleichmütig mit den Schulter „ aber vielleicht kommst du ja irgendwie zu ihm durch. Ich geh jetzt aber auf jeden Fall schlafen. Gute Nacht und mach nicht mehr so lange Agnes schließt gleich das Haupthaus zu.“

Mit diesen Worten erhob der blonde Betreuer, wuschelte ihm im Vorbeigehen grinsend durch die braunen Haare, verließ fröhlich pfeifend den Speisesaal in dem sie als einzige gesessen hatten und schaltete noch nebenbei das Licht aus.

Jay hob den Kopf, stützte sein Kinn auf die Handflächen und wartete darauf, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.

Erst war nur der hellere Umriss der großen Fenster und Schiebetüren zu sehen dann konnte er wieder detaillierter sehen.

Quietschend schob er seinen Stuhl zurück und stand auf.

Die Schiebetür glitt mit einem leisen Rauschen auf und wieder zu als er hindurch trat und sie aufatmend wieder hinter sich zuzog.

Das unwirklich kalte Licht des vollen Mondes beleuchtete die Umgebung mehr als dass er sie erhellte und ließ alles wie am helllichten Tage erscheinen mit dem Unterschied, dass es keine Farben außer schwarz, weiß und einem kalten blau gab.

Selbst die grünen Schilfgraswiesen wirkten wie riesige schwarz-weiße Meere und rauschten in der salzigen Nachtluft.

Die feinen Haare in seinem Nacken stellten sich auf, als der kalte Wind unter sein T-Shirt fuhr und eine leichte Gänsehaut zog sich über seinen Körper.

Trotzdem war ihm nicht kalt.

In seinem Kopf brodelte es und seine Gedanken schienen ausbrechen zu wollen, immer wieder gegen Wände zu prallen und zurückgeschleudert zu werden.

Seufzend vergrub er die Hände in den Hosentaschen, stapfte an seinem Bungalow vorbei und folgte dem inzwischen vertrauten Trampelpfad.

Wahrscheinlich würde er auch mit verbundenen Augen den Weg zum Strand finden, da er fast jeden Tag Kadyn dahin folgte.

Der Strand und das Meer schienen eine schon fast magnetische Anziehungskraft auf seinen Eisprinzen zu haben als sei es das einzige was ihn noch irgendwie interessierte und sein Inneres zu beruhigen vermochte.

Seit er hier angekommen und Kadyn zugeteilt bekommen hatte, war er keinen Schritt weiter gekommen.

Kadyn sprach nicht mit ihm, ignorierte ihn wie den Rest der Welt und schien sich immer mehr in sich selbst zu vergraben und abzuschotten.

Seine Ratlosigkeit wuchs mit jedem Tag den er mit dem schwarzhaarigen Eisprinzen verbrachte und nagte unerbittlich an ihm.

Bisher hatte er immer für alles eine Lösung gehabt aber dieses Mal hatte er nicht einmal den Hauch einer Ahnung was er tun sollte.

Wie vom Blitz getroffen hielt er inne, als er grade ansetzte über eine Düne an den üblichen Platz zu gehen an dem Kadyn normalerweise war.

Gedämpfte Geräusche, die halb vom Wind verschluckt wurden drangen dahinter hervor und er war sich nicht sicher was da sein könnte.

Es klang nicht bedrohlich aber dadurch, dass sie so verzerrt waren konnte er nicht ausmachen was das überhaupt war.

Zögernd schob er sich vorwärts und lugte über die Düne, darauf bedacht nicht gesehen zu werden.

Seine Augen weiteten sich erstaunt und er hielt für einen kurzen Moment überrascht die Luft an.

Eigentlich hätte Kadyn schon längst auf seinem Zimmer sein müssen, da die Ausgangszeiten für die Patienten klar geregelt waren, dennoch stand er beinahe regungslos am Strand und sah wie immer aufs Meer.

Erst jetzt erkannte Jay was es für Geräusche gewesen waren die er gehört hatte.

Das schubartige Beben von Kadyns Schultern und das Zittern des schmalen Körpers wurde immer wieder von kratzigen und rauen Schluchzern begleitet, die vom Wind in seine Richtung getragen wurden.

Die schlanken Arme waren schützend vor der Brust verschränkt und der Wind wirbelte die im hellen Mondlicht nahezu blau erscheinenden Haare immer wieder in das blasse Gesicht.

Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, schob Jay sich halb hinter die Düne, sodass er auch vom Weg aus nicht gesehen werden konnte und legte sich langsam flach auf den Bauch.

So war er sicher ungesehen zu bleiben und trotzdem noch sehen zu können was am Strand selbst vorging.

Seine Hände kribbelten und er fühlte sich wie früher, als er mit einigen Freunden den Mädchen beim Sportunterricht hinterher gespannt hatte.

Er sah grade etwas was er eigentlich nicht hätte sehen sollen und dürfen.

Würde Kadyn ihn jetzt bemerken würde er es niemals schaffen, dass ihm der schweigsame Junge jemals vertraute.

Nervös schob er mit seinen schlanken Fingern kleine Sandhäufchen hin und her und starrte gebannt auf Kadyns Rücken.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor bis der Jüngere sich wieder beruhigte und mit den Händen schroff übers Gesicht fuhr.

Unwillig schüttelte er den Kopf und rieb sich mit der rechten Hand die Augen, als er sich schließlich umwandte und auf den Trampelpfad zuging, der fast direkt an Jay vorbei führte.

Als sei nichts geschehen hatte er wieder seine eiskalte Maske über das Gesicht gelegt, als schien er zu erwarten hier irgendjemanden anzutreffen, der einen kurzen Augenblick der Schwäche bei ihm erkennen könnte.

Die vom Weinen geröteten Augen wirkten im Mondlicht unwirklich dunkel, noch kälter als sonst und hoben sich krass gegen die porzellanähnliche Haut ab.

Noch immer glitzerten nasse Tränenspuren in dem gleichmäßigen Gesicht und Jays Hände verkrampften sich schon beinahe schmerzhaft im noch von der Sonne angewärmten Sand, als Kadyn fast neben ihm vorbeiging und er dessen noch immer unregelmäßigen Atem hörte.

Und obwohl er sich am liebsten eingegraben hätte, um nicht doch noch entdeckt zu werden und er sich wie ein dummer kleiner Junge vorkam, der einfach jemanden bespannte, konnte er einfach nicht anders, als Kadyn hinterher zu starren.

Jedoch schon nach einigen wenigen Augenblicken verlor er ihn zwischen Dünen und Schilfgras aus den Augen.

Noch einige Sekunden verharrte er am Boden liegend dann atmete er erleichtert aus und ließ den Kopf einfach in den Sand sinken.

Kurz verharrte er so, dann drehte er sich entschlossen auf den Rücken und starrte mit ausgebreiteten Armen und Beinen an den sternenklaren Himmel.

War er vorher einfach nur durch seinen Ehrgeiz angestachelt worden herauszufinden was mit Kadyn los war, so war es jetzt sein einziges Ziel.

Irgendetwas ließ ihn leiden und er wollte um jeden Preis wissen was es war, dass Kadyn nachts am Strand stand und weinte.

Er zerfraß ihn förmlich nicht zu wissen, was so schlimm war, dass jemand mit Augen wie Kadyns ihrem Aussehen nur allzu gerecht wurden.

Etwas was er nicht wieder sehen wollte.

„Kadyn?“

Suchend sah er sich um schirmte die Augen mit Hand ab um gegen die gleißende Sonne sehen zu können.

Zwar erwartete er keine Antwort aber trotzdem rief er nach dem schwarzhaarigen Jungen, weil er sich einfach blöd vorkam jemanden zu suchen ohne nach ihm zu rufen.

Der weiße Sand reflektierte das Licht der Sonne und stach schon fast in den Augen und so dauerte es noch einige Augenblicke bis er Kadyn ausgemacht hatte.

Wie fast immer saß er vor einer der Dünen im Sand und starrte abwesend aufs Meer.

Seufzend ließ Jay die Hand sinken und atmete tief durch.

Dann straffte er die Schultern und stapfte durch den pulverigen Sand auf Kadyn zu, während er die Hände in den Taschen seiner schwarzen Jeans vergraben hatte.

Er würde Samuels Rat einfach folgen und seinem Eisprinzen etwas von sich erzählen.

Mehr als ignorieren konnte er ihn ja nicht und das war er ja schließlich inzwischen so gut wie gewohnt.

Bisher hatte er bei ihren „Sitzungen“ jedoch immer nur versucht heraus zubekommen warum Kadyn nicht sprach und hatte ihn mit vorsichtigen Fragen gelöchert.

Er war selbstkritisch genug um einzusehen, dass seine Fragen absolut keinen Effekt hatten, weil Kadyn nur von allein reden würde und dafür war Vertrauen die wichtigste Basis.

Und warum sollte er jemanden vertrauen den er so gut wie gar nicht kannte und der nichts anderes zu tun hatte, als ihn auszufragen?

Er wusste ja selbst wie das war von fremden Menschen kritisch betrachtet und analysiert zu werden.

Als er sich neben Kadyn in den weichen Sand fallen ließ und sich entspannt streckte reagierte dieser in keinster Weise, sondern starrte weiter auf das langsam heranrollende Wasser.

Jay zögerte noch kurz dann stützte er sich mit den Händen nach hinten ab und legte den Kopf in den Nacken.

Der warme Wind blies ihm stechenden Sand ins Gesicht und ließ ihn die Augen zusammenkneifen.

„Also. Mein Name ist Jay und ich erzähl dir jetzt einfach mal was von mir damit du mich kennen lernst.“

Er blinzelte vorsichtig zu Kadyn hinüber aber der regte sich immer noch nicht.

Das einzige was an ihm in Bewegung war waren seine schwarz-blau glänzenden Haare die vom Wind verspielt durcheinander gewirbelt wurden.

Jay war sich zwar nicht sicher ob das klappen würde, da Samuel es ja auch schon auf die Tour versucht hatte aber er war einfach ratlos.

Und etwas anderes fiel ihm bei aller Liebe nicht ein.

„Hmm…Wo fang ich an…Am besten ganz vorne. Also meine Eltern kenne ich nicht und ich bin im Heim aufgewachsen. Aber wirklich vermisst habe ich meine Eltern eigentlich nie…Waren ja immer jede Menge Leute da die mir die Familie ersetzt haben. Da habe ich auch meine Ausbildung gemacht. “

Ein verträumtes Lächeln legt sich über sein Gesicht und ein warmes Glänzen blitzt in seinen Augen auf.

„Vivian, eine von den Betreuerinnen, war wirklich toll. Unglaublich lieb und für das ganze Heim wie eine Mutter und dabei war sie selber noch keine 30…Das beste an ihr war aber ihr Aussehen...Sie hat immer wieder irgendwelche verrückten Frisuren oder sich spontan die Haare in drei verschiedenen Farben gefärbt…Einfach absolut klasse..“

Das Lächeln erstirbt und er starrte gedankenverloren in den von seinen Füßen aufgewühlten Sand.

Für einen kurzen Augenblick vergaß er völlig, dass er Kadyn eigentlich nur was von sich erzählen wollte um sein Vertrauen zu gewinnen.

Die Gedanken die ihm grade durch den Kopf schossen waren alles andere als schön und rührten an Dingen, die er schon lange vergessen geglaubt hatte.

Und die auch vergessen werden sollten.

Aber wenn er Kadyns Vertrauen wollte musste er ihm wohl oder übel auch das erzählen was ihm schwer fiel, um ihm zu zeigen, dass es ihm wirklich ernst war.

Seufzend schloss er die Augen und runzelte die Stirn.

„Jedenfalls war sie nach meinem Outing die einzige die mich noch verteidigt und unterstützt hat. Alle anderen haben sich abgewandt, wollten nichts mehr mit mir zu tun haben…Sogar mein eigentlich bester Freund…Das hat wirklich verdammt weh getan…Irgendwie dachte ich immer wir würden für immer die besten Freunde bleiben…Aber ich scheine mich ziemlich in ihm getäuscht zu haben, weil er mehr auf andere gehört hat als auf mich…“

Kadyn runzelte kurz unwillig leicht die Stirn.

Durch diese Reaktion angespornt redete Jay sachlich weiter.

„Irgendwann sind wir abends vom einkaufen wieder gekommen und eine ziemlich…hm..rechte Jugendgruppe hat uns aufgelauert…Eigentlich wollten sie mir nur eine ordentliche Tracht Prügel verpassen und das war ich auch schon gewohnt aber diesmal war Vivian dabei…Sie hat sich schützend vor mich stellen wollen und dabei…“

Hastig fuhr er sich mit der Hand über die Augen und räusperte sich.

„Dabei ist sie so unglücklich gefallen, dass sie sich auf einem Stein das Genick gebrochen hat.

Ab da wurde alles nur noch schlimmer.

Ich hatte niemanden mehr und alle haben insgeheim gedacht, dass ich schuld daran sei. Schließlich wäre sie nie angegriffen worden, wenn ich nicht dabei und schwul gewesen wäre.“

Einige Sekunden lang herrschte vollkommene Stille und nur das Pfeifen des Windes im Schilfgras war zu hören.

Kadyn drehte den Kopf und sah Jay mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem fragenden Ausdruck in den meerblauen Augen an.

Fassungslos starrte Jay seinen Gegenüber und brauchte mehrere Herzschläge um wieder klar denken zu können.

Kadyn hatte wirklich reagiert.

Es interessierte ihn was mit ihm war.

Er hätte vor Freude die Wände hoch laufen, das komplette Meer durchschwimmen oder einfach nur schreien können.

Aber er hielt sich zurück und lächelte Kadyn einfach nur an.

„Danach wollte ich einfach nur so weit wie möglich weg. Da kam mir natürlich die Stellenanzeige von der Klinik hier mehr als nur gelegen und ich hab so schnell wie möglich meine Bewerbung abgeschickt. Hier kennt mich schließlich keiner und niemand weiß irgendwas von Vivian oder irgendetwas anderem.

Außer dir.“

Die letzten Worte kamen ihm nur sehr zögerlich über die Lippen, da er sich bewusst war, dass er Kadyn grade in eine Verschwörersituation drängte.

Aber er wollte, dass Kadyn das Gefühl hatte etwas Besonderes zu sein.

Auch wenn er es sich selbst nicht richtig eingestehen wollte war Kadyn aber bereits etwas Besonderes geworden.

Er wollte den Jüngeren beschützen und ihm helfen wieder ins Leben zurückzufinden.

Auch wenn das bedeutete sein eigenes kaputtes Leben vor ihm auszubreiten, wobei er sich jedoch ziemlich sicher war, dass Kadyn etwas erlebt haben musste was um einiges schlimmer gewesen sein musste, wenn er sich so sehr in sich selbst zurückzog und alles andere wegstieß und auf Distanz hielt.

Kadyn presste die fein geschwungenen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und die Augen verdunkelten sich wie das Meer vor einem großen Unwetter zu einem eisig kalten Blau.

Die alabasterfarbene Haut betonte die beiden schwarzen Meere noch mehr und die schmalen Hände krampften sich ineinander.

Jay legte unsicher den Kopf schräg und sah fragend zu Kadyn hinunter.

Hatte er irgendetwas Falsches gesagt oder getan?

Und obwohl Kadyns Reaktion nicht grade ein Traum war freute sie ihn dennoch.

Es war ihm nicht egal.

Er konnte Gefühle zeigen und war noch nicht völlig in seinem Eismeer abgetaucht.

Oder er hatte irgendetwas erzählt was ihn an etwas erinnert hatte was er eigentlich versuchte in eben diesem Eismeer zu ertränken.

„Warum erzählst du mir das?“

Als er plötzlich den Mund öffnete und anfing zu sprechen schrak Jay kurz zusammen und starrte ihn fasziniert an.

Er achtete gar nicht genau darauf was Kadyn sagte, weil er vollkommen von seiner kratzigen, vom langen Schweigen brüchigen Stimme, eingenommen war.

Erst nach einiger Zeit realisierte er, dass Kadyn ihn etwas gefragt hatte und riss sich von den so unendlich eiskalt wirkenden Augen los.

Der Jüngere starrte ihn immer noch an und er wusste nicht was er sagen sollte.

Warum war er eigentlich so versessen darauf Kadyn zu helfen und aus seinem Käfig herauszureissen?

Warum ließ er ihn nicht einfach in Ruhe?

Weil ich ihn lächeln sehen will.

Ein wenig hilflos grinste er ihn an und zuckte leicht mit den Schultern.

„Ich mag dich.“

Erstaunt weiteten sich die azurblauen Augen seines Gegenübers und so etwas wie Überraschung breitete sich über das schmale Gesicht aus.

Die schwarzen Haare wirbelten immer noch durcheinander und ließen ihn wirken wie ein kleines Kind dem man grade eine Gruselgeschichte erzählt hatte.

Bevor Jay jedoch noch irgendeinen weiteren Gedanken fassen konnte war Kadyn auf die Beine gesprungen, herumgewirbelt und wie gehetzt hinter der nächsten Düne verschwunden.

Seufzend sah er ihm noch kurz nach und ließ dann resigniert den Kopf auf die angezogenen Knie sinken.

Entweder er hatte jetzt jede Möglichkeit verloren irgendwie an Kadyn ranzukommen oder es würde besser werden.

Aber warum war er auch so blöd jemandem der ganz offensichtlich versuchte alle Gefühle zu unterdrücken und im hintersten Winkel seiner Seele einzumauern damit zu kommen, dass er ihn mochte?

Die Holzhammermethode wirkte schließlich so gut wie nie.

Genervt raufte er sich die Haare, biss sich auf die Lippe und überlegte fieberhaft wie er Kadyn dazu bringen konnte weiterhin mit ihm zu reden und nicht wieder in sein stupides Schweigen zu verfallen.

Bei diesem Gedanken hielt er jedoch inne, hob mit gerunzelter Stirn den Kopf und sah nachdenklich auf eine kleine, graue Herzmuschel, die grade langsam von einer seichten Welle an den Strand gespült wurde.

Weiterhin.

Er hatte mit ihm gesprochen.

Während er übermütig aufsprang grinste er zufrieden in sich hinein.

Er hatte es geschafft.

Sein Eisprinz hatte seine Stimme wieder gefunden und konnte sehr wohl sprechen.

Was jahrelange niemandem gelungen war hatte er geschafft.

Er schien irgendwas bei Kadyn berührt zu haben was ihn reden ließ, was ihn aus seinem Eismeer hochzog und wieder ein wenig menschlicher erscheinen ließ.

Euphorisch schlitterte er über die Dünen und rannte den schmalen Trampelpfad entlang.

Kadyn konnte er nirgendwo mehr entdecken aber etwas anderes hatte er auch gar nicht erwartet, weil der Schwarzhaarige sich wahrscheinlich irgendwohin zurückgezogen hatte wo ihn so schnell niemand finden würde.

Heftig atmend hielt er schlitternd neben Samuel der grade mit geschlossenen Augen auf einer der sonnengelb gestrichenen Bänke saß, die vor dem Haupthaus standen.

Blinzelnd öffnete sein blonder Freund sein linkes Auge einen winzigen Spalt und musterte ihn kurz.

„Hast du vor für einen Marathon zu trainieren?“

Immer noch nicht ruhig atmend grinste Jay ihn nur an und ließ sich auf die Bank fallen.

Nachdem er wieder halbwegs normal atmete drehte er sich mit einem begeisterten Blitzen in den Augen zu Samuel, der abwartend das Auge wieder geschlossen und seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte.

„Er hat mit mir gesprochen.“

Samuel war anzusehen, dass er absolut nicht wusste was Jay von ihm wollte, als er die Stirn runzelte sich jedoch nicht weiter bewegte.

„Wer? Und was ist so toll daran?“

„Kadyn.“

Triumphierend verschränkte Jay die Arme hinter dem Kopf und grinste noch breiter, als Samuel sich jetzt in seine Richtung drehte, die Augen ungläubig aufgerissen hatte und ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Nä! Komm du verarschst mich!“

Jay schüttelte gut gelaunt den Kopf und wippte mit seinen Füßen auf und ab.

„Neee tu ich nicht.“

„Woha dass ich das noch mal irgendwann erlebe…Was hat er denn gesagt?“

Schulterzuckend sah Jay immer noch grinsend auf seine Schuhspitzen mit denen er grade Halbkreise in den hellen Kies malte.

„Er wollte wissen warum ich ihm so viel von mir erzählt habe.“

Beifällig klopfte Samuel ihm auf die Schulter und zwickte ihm in die Wange.

„Na siehste bei dir klappt das. Wundert mich auch irgendwie gar nicht so sehr…“

Verwirrt sah der Braunhaarige zu ihm auf und legte fragend den Kopf schief.

„Wieso das denn?“

Zwinkernd legte Samuel den Zeigefinger an die Lippen und stand auf.

„Das merkst du wohl…oder nicht...mal sehen. Aber ich muss wieder rein. Meine Pause war eigentlich schon vor 10 Minuten vorbei.“

Gespielt genervt streckte er die Zunge in Richtung Gebäudeeingang und verzog das Gesicht.

„Also bis später. Und überleg dir schon mal wie du jetzt bei Kadyn weitermachst.“

„Okay bis später.“

Jay legte den Kopf in den Nacken und sah den weißen Wattewolken zu wie sie langsam über den Himmel trieben, während das Knirschen von Samuels Schuhen im Kies immer leiser wurde bis es gar nicht mehr zu hören war.

Das Rauschen des Dünengrases übertönte fast alle anderen Geräusche nur das Kreischen einiger Möwen zerriss immer wieder die entspannte Idylle.

Jay war absolut zufrieden und die warme und stille Umgebung ließen ihn erst nur entspannt die Augen schließen und irgendwann einfach einschlafen.

Sein Kopf neigte sich immer weiter zur Seite und nach einiger Zeit lag er schon halb auf der Bank, murmelte verdrießlich in sich hinein und drehte sich so lange hin und her bis er eine eine bequeme Position gefunden hatte.
 


 

Knirschen im Kies kündigte einen sich nähernden Menschen an und zunächst klang es auch ziemlich eilig je näher jedoch derjenige der Bank kam auf der Jay lag desto langsamer wurden die Schritte, bis sie ganz verstummten.

Jay lag noch immer tief schlafend auf der Bank und rührte sich nicht.

Die Knie hatte er angezogen und sein Kopf ruhte auf seinem angewinkelten Arm, während er vollkommen gelöst und entspannt ein und ausatmete.

Das von der Sonne leicht gebräunte Gesicht wirkte noch offener und friedlicher als sonst und der nachdenkliche und grübelnde Ausdruck der sich in der letzten Zeit fast immer darauf befunden hatte war wie weggefegt.

Eine heftige Windböe ließ den Schlafenden kurz schaudern, dann lag er wieder still da.

Nur die Arme und Knie hatte er ein Stück weiter angezogen, um sich vor dem aufgefrischten Wind ein wenig zu schützen.

Zögernd setzte der Beobachter sich wieder in Bewegung und blieb jedoch schon nach einigen wenigen zögerlichen Schritten wieder stehen.

Er stand jetzt direkt vor der Bank und sah auf Jay hinunter.

Die schmale Hand mit der er ihm sanft über die Wange fuhr zitterte ein wenig und er biss sich auf die von der rauen Seeluft aufgesprungenen Lippen.

Schwarze Haare wirbelten vor den meerblauen Augen umher und unterbrachen immer wieder das Bild was er vor Augen hatte, aber er machte sich nicht die Mühe sie aus dem Gesicht zu halten.

In seinen Augen glitzerte es feucht und er drehte sich abrupt um und ging entschlossen, jedoch mit gesenktem Kopf und verkrampften Händen, auf das Hauptgebäude zu, um dann hinter einer der großen Flügeltüren zu verschwinden.

Unwillig verzog Jay das Gesicht und schlug blinzelnd die Augen auf.

Er hatte das Gefühl, dass jemand grade da gewesen war und fuhr sich verwirrt über die Wange.

Als habe man ihm darüber gestrichen.

Schulterzuckend streckte er sich und rieb sich die Augen, während er sich umsah.

Wenn jemand da gewesen wäre hätte derjenige wohl etwas gesagt und wäre nicht einfach wieder gegangen.

Fröstelnd rieb er sich über die Arme, stand auf und ging in Richtung seines Bungalows.

Wahrscheinlich war das nur der Wind gewesen, er hatte was Komisches geträumt oder er bildete sich das einfach nur ein.

In jedem Falle war es nicht weiter wichtig sich darüber Gedanken zu machen und daher schob er das einfach beiseite.

Die schmale Gestalt, die hinter einem der Fenster im Hauptgebäude stand und hinter dem sich bewegenden Vorhang wieder verschwand bemerkte er dabei nicht.

Ungeduldig sah er auf seine Uhr und rutschte unruhig auf der Bank herum.

Normalerweise erschien Kadyn immer pünktlich zu ihren Sitzungen und verspätete sich nie.

Jetzt jedoch war er schon knappe 10 Minuten überfällig und Jay begann sich Sorgen zu machen.

Nach weiteren fünf Minuten schließlich stand er auf und ging immer wieder über die Schulter zurücksehend in Richtung Strand.

Vielleicht hatte Kadyn ja einfach nur die Zeit vergessen und saß wie fast immer am Strand, wenn er nicht auffindbar war.

Trotzdem hatte er den leise flüsternden Gedanken im Hinterkopf, dass sein Eisprinz einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte und sich jetzt vollkommen zurückgezogen hatte.

Bevor diese Befürchtung sich jedoch noch weiter in seinem Kopf manifestieren konnte versuchte er sie energisch beiseite zu schieben und konzentrierte sich auf den aus hellem Sand bestehenden Trampelpfad, der sich wie ein schmales Band sanft durch das mattgrüne Dünengras wand.

Im weichen Sand waren einige leichte Schuhabdrücke zu sehen also war Kadyn höchstwahrscheinlich vor kurzem hier her gelaufen sonst hätte der Wind schon längst jegliche Spuren durch den umherwirbelnden Sand verdeckt.

Mit in den Taschen vergrabenen Händen stapfte er den gewundenen Pfad entlang und hing mit nachdenklichem Gesicht seinen Gedanken nach.

Seine waldgrünen Augen verdunkelten sich immer mehr, je mehr er darüber nachdachte welche Gründe Kadyn haben könnte nicht zu ihren vom Arzt verordneten Pflichtsitzungen zu kommen.

Zwar sprach oder reagierte er auch dabei nicht aber zumindest hielt er sich an Absprachen, die man zuvor mit ihm getroffen hatte, auch wenn es ihm wahrscheinlich völlig egal war.

Seine Freude darüber, dass der Schwarzhaarige am Tag zuvor mit ihm gesprochen hatte wich langsam der beklemmenden Befürchtung, dass er ihn zu sehr eingeengt und dadurch nur noch mehr in sich selbst hinein getrieben hatte.

Missmutig stand er jetzt auf dem Kamm der letzten Düne, die den Rest der Insel vom Meer trennte und sah sich mit zu Schlitzen verengten Augen um, da das gleißende Licht der Sonne im Wasser blendend reflektiert wurde.

Wie er schon fast erwartet hatte saß Kadyn links von ihm unter einem der schattenspendenden Überhänge einer Düne, die immer so aussahen, als könnten sie jeden Moment einfach herunterrutschen und den darunter Sitzenden unter sich begraben.

Immer noch von seinen selbstzweifelnden Gedanken geplagt rutschte er mehr die Düne runter als er ging und lief in Kadyns Richtung.

Der Wind kam aus der entgegen gesetzten Richtung also hatte Kadyn ihn wohl noch nicht gehört, denn der Wind riss so gut wie alle Geräusche mit sich.

Erst als sein Schatten in Kadyns Blickfeld fiel, blickte dieser hoch und sah ihn einen kurzen Moment lang aus unergründlichen Augen an.

Darin stand weder Ablehnung noch Hass, sondern einfach nur Erkennen.

Nichts weiter.

Er hatte bemerkt, dass er da war, das einfach zur Kenntnis genommen und akzeptiert.

Jay wurde abwechselnd heiß und kalt und er glaubte fast nicht seinen Augen zu trauen.

Er hatte sich schon die abweisendsten Reaktionen ausgemalt und jetzt sah Kadyn ihn einfach nur an.

Als wäre es das normalste der Welt, dass er plötzlich reagierte und nicht mehr nur stur vor sich hinstarrte.

Zwar erleichtert aber dennoch verunsichert setzte er sich neben Kadyn auf den Boden, sah ihm dabei aber immer noch in die Augen.

Diese waren immer noch genauso undurchschaubar und unergründlich wie schon zuvor, allerdings nicht mehr so eiskalt.

Eher wie ein Meer im Herbst.

Ruhig und verhangen und noch von den letzten Wärmereserven des Sommers zehrend, während das tiefblaue Wasser schon die bald aufziehende Kälte erahnen lässt.

In diesem Moment drehte Kadyn sich um und kehrte in seine ursprüngliche Position zurück.

Sah aufs Meer und verfolgte mit unbewegtem Gesicht den stetig heranrollenden Wellen, die immer wieder gegen die schwarzen Steine prallten, die überall am Strand verstreut lagen und eigentlich zu einigen wenigen Wellenbrechern gehört hatten, die aber irgendwann mal durch einen heftigen Sturm zerstört worden waren.

Jetzt umspülte das Meer nur noch die einzelnen, schwarz glänzenden Steine und die seichten Wellen brachen immer wieder an ihnen auseinander.

Jays Blick ruhte jedoch immer noch auf Kadyn und folgte mit den Augen jeder Regung, die sich im Gesicht des anderen tat.

Das stetige Blinzeln, die langen Wimpern die dabei immer sanft bis fast an seinen schmalen Augenbrauchenbogen stießen, die von der Seeluft salzverkrusteten Lippen, die unverkrampft aufeinander lagen.

Völlig in seine Beobachtungen versunken hatte er gar nicht wirklich mitbekommen, dass Kadyn ihn erst nur kurz aus dem Augenwinkel angesehen hatte und ihm jetzt das ganze Gesicht zuwandte.

Überrascht sah er hoch und direkt in Kadyns Meeraugen.

Schnell sah er weg und aufs Meer und versuchte seinen aufgeregten Herzschlag zu beruhigen, während Kadyn in einer flüssigen Bewegung aufstand, den weißen Sand von seiner Hose klopfte und sich dann ohne einen weiteren Blick in seine Richtung auf den Rückweg machte.

Als habe er keine Lust weiter so intensiv beobachtet zu werden.

Jay sah ihm nachdenklich hinterher.

Vielleicht konnte er es ja doch irgendwann schaffen Kadyns Vertrauen zu erlangen, wenn er einfach nur geduldig blieb.

Schließlich konnte er nicht erwarten, dass Kadyn sich von einem Tag auf den anderen vollkommen veränderte.

Aber die Tatsache, dass er ihn in seiner Nähe akzeptierte und wahrnahm war im Vergleich zur Ausgangssituation mehr als er sich eigentlich erhoffen konnte.

Lächelnd ließ er sich nach hinten in den Sand fallen und sah der sich entfernenden schmalen Gestalt hinterher, als diese grade die Düne durch den rutschigen Sand erklomm und kurz darauf hinter ihrem Kamm verschwand.
 

Wie lange er so am Strand gelegen und den vom Wind immer weiter getriebenen weißen Wattewolken zugesehen hatte und seinen Gedanken nachgehangen war wusste er nicht genau, als er schließlich doch aufstand und Kadyn nachfolgte.

Wahrscheinlich war er jetzt schon wieder auf seinem Zimmer, aber er hatte auch nicht vor nach ihm zu suchen.

Wenn er wirklich wollte, dass Kadyn ihm vertraute durfte er ihn nicht irgendwie einengen.

Zumindest war er zu diesem Schluss gekommen.

Befreit aufatmend setzte er seinen Weg fort und lief grade auf seinen Bungalow zu, als er nur wenige Meter vor ihm die kniende Gestalt von Agnes erkannte.

Sie hatte einen hellen Strohhut auf dem Kopf und schien damit beschäftigt zu sein in einem der vielen Blumenbeete Unkraut sorgsam auszuzupfen.

Lächelnd hockte er sich neben seine Chefin und sah ihr kurz zu bevor er sich bemerkbar machte.

„Immer bei der Arbeit, hm?“

Überrascht sah die Angesprochene auf und strich sich eine Strähne ihres grauen Haares, die unter dem Hut hervorgerutscht war, hinter ihr linkes Ohr.

Ein warmes Lächeln legte sich über ihr sonnengebräuntes Gesicht und sie klopfte sich kurz die schwarze Erde von den Händen.

„Aber sicher. Ich kann ja nicht immer nur im Büro sitzen und ein bisschen Frischluft tut jedem gut.“

Immer noch lächelnd begann Jay ebenfalls das Unkraut vor seinen Füßen auszuzupfen und in den grünen Eimer zu werfen der zwischen ihnen stand.

„Das stimmt schon. Nur drinnen zu sitzen wird ja auch irgendwann langweilig.“

Agnes nickte und richtete sich dann in ihrer knienden Position auf, strich sich die widerspenstige Strähne erneut aus dem Gesicht, da sie sich wieder selbstständig gemacht zu haben schien und sah Jay nachdenklich und fast schon ein wenig besorgt an.

„Wie kommst du denn mit Kadyn klar?“

Jays Lächeln vertiefte sich zu einem zufriedenen Grinsen und er lehnte sich ebenfalls in eine aufrechtere Position zurück.

„Gestern wollte er von mir wissen warum ich ihm so viel von mir erzählt habe und heute hat er zwar nicht gesprochen aber er scheint mich zumindest in seiner Nähe zu akzeptieren und wahrzunehmen.“

Zuerst weiteten Agnes braune Augen sich ein wenig überrascht, dann jedoch machte sich Erleichterung auf ihrem Gesicht breit.

„Gut…Dann war es ja doch richtig ihn dir zuzuteilen…“

Jay nickte und legte dann den Kopf schräg.

„Warum haben Sie mir Kadyn eigentlich auf einmal zugeteilt? Ich sollte ja schließlich nur Springer sein für die erste Zeit, oder nicht?“

Seine Chefin kratzte sich schon fast verlegen am Hinterkopf, schob sich dadurch den Hut tiefer ins Gesicht und sah ihn unter der Krempe verschmitzt an.

„Du wirktest einfach so als wenn Kadyn dich mögen würde. Ausserdem…So viel weiß ich von Kadyn, dass er nämlich hübsche und schöne Dinge mag. Zumindest hat mir das meine Freundin erzählt wo er damals eine Zeit lang im Heim gelebt hat…Und da bist du ja nicht die schlechteste Wahl, um näher an ihn ranzukommen meiner Meinung nach.“

Ein wenig verdattert saß Jay jetzt vor der entschuldigend aber zugleich höchst amüsiert dreinschauenden Agnes.

Dann jedoch fuhr er sich kurz mit der Hand durch die Haare und begann perlend zu lachen.

„Okay, die Begründung lass ich mir sogar noch gefallen.“

Agnes lächelte ihn mit ihrem gütigen Plätzchenomalächeln an, während sie allerdings mit dem Kopf in Richtung Hauptgebäude deutete.

„Das beruhigt mich ja. Aber du solltest dich beeilen, sonst kriegst du nachher nichts mehr zu essen. Also marsch, marsch.“

Grinsend stand Jay auf, klopfte sich die Hose ab und wandte sich dann nach kurzem Überlegen doch seinem Bungalow zu.

„Ich zieh mir aber eben noch was anderes an. Bin schon wieder voller Sand. Also bis später.“

Das Nicken von Agnes nahm er nur noch aus dem Augenwinkel wahr, als er seine Tür aufschloß und noch während er hindurch ging begann sein Hemd aufzuknöpfen.

Erst ein leises Poltern ließ ihn aufsehen und für einen kurzen Moment legte er den Kopf schief und musterte verwirrt die Person, die da in einem seiner Sessel saß.

Samuels blonde Wuschelhaare waren das einzige was man noch von seinem Kopf sehen konnte, da er das Gesicht zwischen den Armen vergraben hatte.

Die Knie hatte er angezogen und im ersten Moment dachte Jay, dass Samuel sich nur irgendeinen blöden Scherz mit ihm erlaubte.

Als dieser jedoch den Kopf hob und ihn mit vom Weinen geröteten Augen verzweifelt ansah verwarf er diesen Gedanken sofort wieder.

Das war bestimmt kein Spaß.

Vorsichtig ging er auf den unterdrückt aufschluchzenden Betreuer zu, der sein Gesicht wieder in seinen Armen vergraben hatte.

Zögernd legte er seine Hand auf die bebende Schulter und kniete sich langsam neben den niedrigen Sessel.

„Sam?“

Ausser mit einem gequälten Schluchzen reagierte der blonde Wuschelkopf, der normalerweise nichts als Unsinn und gute Laune im Kopf hatte, überhaupt nicht.

Seufzend begann Jay über Samuels Rücken zu streichen und legte seinen Arm auf die Lehne des Sessels.

„Hey…Was ist den passiert?“

Eine ganze Zeit lang hörte man nichts außer dem beständigen Rauschen des Windes und Samuels unregelmäßigen Atmens, während Jay mit auf dem Arm gelegten Kopf schräg zu Samuel hochsah, immer noch beruhigend über seinen Rücken strich und diesen aufmerksam beobachtete.

Völlig in jede noch in kleine Regung des anderen vertieft schrak er kurz zusammen, als Samuel plötzlich den Kopf hob und ihn aus verquollenen Augen anstarrte.

„Nichts…“

Fragend hob Jay den Kopf und musterte ihn eingehend.

„Und wegen „nichts“ heulst du wie ein Schlosshund?“

Heftig schüttelte Samuel den Kopf und rieb sich mit der rechten Hand fahrig über die Augen.

„Das ist ja das Problem. Es passiert nichts. Gar nichts. Ich kann machen was ich will…“

Verwirrt zog Jay die schmalen Augenbrauen zusammen.

Er verstand grade wirklich nicht was Samuel von ihm wollte und das schien diesen nur noch mehr aufzuwühlen.

Hilfesuchend sah er auf seine Hände, überlegte hektisch wie er sich Jay verständlich machen konnte.

„Egal was ich mache ich komme einfach nicht an ihn ran…“

Seine Stimme überschlug sich fast und Jay schaltete.

Verständnis blitzte kurz in seinen Augen auf und er stand auf um sich in den Samuel gegenüberstehenden Sessel zu setzen.

„Sven?“

Samuel nickte und blickte bedrückt auf den Boden.

„Weißt du…Ich will ihm unbedingt helfen aber ich komme einfach nicht zu ihm durch…Ich könnte mich auf den Kopf stellen und Samba tanzen…Wahrscheinlich würde es ihn nicht mal im Ansatz interessieren…“

Jay konnte nur zu gut verstehen wie Samuel sich fühlte und nickte verstehend.

„Aber…Sam? Warum ist das grade bei Sven so schlimm?“

Sven war schließlich nicht der erste Patient den er zu betreuen hatte, dafür war er schon zu lange in diesem Beruf um nicht zu wissen, dass manche Patienten einfach extrem lange brauchten um irgendwie wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.

Zumindest ging Jay davon aus, dass Samuel das bewusst war.

Einige Momente blieb es still zwischen ihnen bis Samuel leise wieder anfing zu sprechen.

Nur mit Mühe konnte Jay überhaupt verstehen was er über die Lippen brachte, sodass er sich nach vorn lehnte, die Arme auf den Oberschenkeln aufstützte und konzentriert die Augenbrauen zusammenzog.

„Sven ist einfach…Mein Bruder war ganz genauso…“

Überrascht schnellten Jays Augenbrauen nach oben. Bisher hatte Samuel noch mit keinem Wort erwähnt, dass er überhaupt einen Bruder hatte.

„Ich weiß nicht warum aber irgendwann hat Christian, so hieß mein Bruder, angefangen Drogen zu nehmen…Keine Ahnung was ihn da geritten hat, aber ich denke er wollte das einfach nur mal ausprobieren…So war er immer…Immer mit dem Kopf durch die Wand und bloß nicht das machen was man von ihm wollte…“

Obwohl Jay sein Gesicht nicht sehen konnte hörte er geradezu das wehmütige Lächeln aus seinen Worten heraus.

„Aber da ist er nicht mehr rausgekommen…Zuletzt war er so gut wie nie zu hause, war nur noch zugedröhnt, hat mich immer wieder nach Geld gefragt, meine Mutter beklaut und ich will gar nicht wissen wen noch…Und ich konnte nichts machen. Nur da stehen und ihn jedes Mal anflehen damit aufzuhören…“

Langsam schüttelte er den Kopf, als müsse er sich selbst wieder zur Ordnung rufen.

Um auch seiner Stimme wieder einen halbwegs festen Klang zu geben räusperte er sich kurz und fuhr dann fort.

„Ich weiß nicht wieso aber kurz bevor er sich den goldenen Schuss in irgendeinem versifften Bahnhofsklo gesetzt hat ist er noch mal nach Hause gekommen…Und…Verdammt, er wirkte fast wieder so wie früher…Hat mir gesagt, dass er mich lieb hat, dass es ihm leid tut…“

Jay wartete noch einen kurzen Augenblick, dann stand er auf und setzte sich vorsichtig neben Samuel auf die Armlehne des Sessels.

Behutsam strich er ihm über den Kopf und versuchte sich vorzustellen wie das für seinen Freund gewesen sein musste.

Immer wieder die Hoffnung zu haben, dass alles gut wird nur um dem eigenen Bruder im Endeffekt doch beim Sterben zuzusehen.

Seufzend legte er einen Arm um seine Schulter und zog ihn an sich.

Samuel zeigte nicht mal den geringsten Widerstand und lehnte seinen Kopf erschöpft an seinen Oberkörper.

„Sven ist genauso…Überhaupt nicht mehr da und will niemanden mehr bei sich haben…Nur weil ich Menschen wie meinem Bruder helfen wollte mach ich das hier überhaupt…Und jetzt kann ich nichts tun…Überhaupt nichts…ich komm mir einfach so total nutzlos vor…“

Seufzend drückte Jay ihn kurz etwas fester an sich, schob ihn dann auf Armeslänge von sich und sah ihm forschend in die Augen.

„Glaubst du wirklich, dass du Sven überhaupt nicht hilfst?“

Bedrückt senkte dieser den Kopf und nickte.

Es tat Jay fast schon körperlich weh diesen quirligen Wirbelwind so niedergeschlagen zu sehen.

„Jetzt hör mal zu. Wenn das wirklich so wäre…Glaubst du Sven wäre dann noch hier?“

Verwirrt hob Samuel den Kopf und sah ihn aus noch immer feucht glänzenden Augen an.

„Wo sollte er denn auch hin?“

Jay lächelte ihm aufmunternd zu und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir sind hier direkt am Meer schon vergessen? Wenn er wirklich so wäre wie dein Bruder wäre er schon längst nicht mehr hier oder? Du schaffst es seinen Lebenswillen noch irgendwie aufrecht zu erhalten und wenn du das schaffst, schaffst du es auch irgendwann ihn wieder zu einem fröhlichen Jungen zu machen oder? Außerdem…Wenn nicht du wer sonst würde das schaffen?“

Zweifelnd sah Samuel nach draußen und krauste die Nase.

„Meinst du wirklich?“

Immer noch lächelnd nickte Jay und tippte ihm gegen die Stirn.

„Und jetzt hör auf zu weinen das steht dir nämlich überhaupt nicht.“

Als Samuel lächelte atmete Jay innerlich erleichtert aus, da er sich nicht sicher gewesen war wie er den von Selbstzweifeln geplagten Blondschopf wieder aufmuntern sollte.

Verlegen kratzte dieser sich am Hinterkopf und linste entschuldigend zu ihm hoch.

„Hab wohl ein ziemlich jämmerliches Bild abgegeben, oder?“

Jay runzelte die Stirn, schien angestrengt zu überlegen und fuhr sich ratlos durch die Haare.

„Ja, sogar sehr jämmerlich.“

Schulterzuckend lehnte Samuel sich zurück und sah an die Decke.

„Na okay…Macht jetzt aber auch nichts mehr…Aber jetzt kann ich Kadyn auf jeden Fall verstehen.“

„Hä?“

Jetzt ernsthaft verwirrt machte Jay einen reichlich unintelligenten Eindruck als er Samuel nur ratlos anstarrte.

Kichernd sprang dieser auf und schnitt ihm eine Grimasse.

„Na bei dir kann man sich einfach super ausheulen.“

„Tze…Warts ab…Das kriegst du irgendwann zurück du undankbarer Kerl!“

Mit einem eleganten Hüftschwung wich Samuel dem heranfliegenen Kissen aus und beeilte sich zur Tür zu kommen.

„Na jetzt komm schon sonst kriegen wir nichts mehr zu essen!“

Bevor er jedoch vollends durch die Tür nach draußen schlüpfte, blieb er noch mal kurz stehen und sah Jay ernsthaft an.

„Danke.“

Als er nach draußen verschwunden war bleib Jay noch einen kurzen Augenblick stehen und schüttelte nur den Kopf, als er Samuels fröhliche Stimme hörte, die einer der Schwestern anzügliche Kommentare hinterher rief.

Wirklich erstaunlich wie schnell Samuel seine Stimmungen wechselte.

Oder aber er hatte grade den Samuel gesehen den er sonst immer versteckte.

Von Selbstzweifeln zerfressen, die ihn fast verrückt werden ließen und kaum in der Lage von allein wieder auf die Beine zu kommen.

„Naja…“

So steckte eben auch in dem fröhlichsten Menschen den er kannte ein Stachel, der verdammt tief saß und tiefe Wunden riss.

Er wollte sich grade in Bewegung setzen um Samuel zu folgen, als ihm grade noch einfiel warum er überhaupt noch mal in seinen Bungalow gegangen war und bevor er zum Essen ging zog er sich noch schnell neue Klamotten an.
 


 

Abwesend saß er auf einer der Bänke vor dem Hauptgebäude und kaute noch auf auf dem letzten Rest eines Baguettes herum, während schon fast alle anderen Patienten und auch ihre Betreuer bereits wieder auf ihre Zimmer verschwunden waren.

Samuel hatte ihm vorhin im Vorbeigehen nur strahlend zugezwinkert, während Sven neben ihm lief und ihm irgendetwas zu erzählen schien.

Anscheinend hatte Samuel seinen Kampfgeist vollständig wiedergefunden.

Zufrieden lehnte er sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

Das einzige was ihn wirklich störte war, dass Kadyn nicht aufgetaucht war.

Es passte ihm wirklich überhaupt nicht, dass er einfach wegblieb, weil er sich wahnsinnige Sorgen um ihn machte.

Hatte er ihn vielleicht doch zu sehr bedrängt und dadurch abgeschreckt?

Seufzend sah er zum wolkenverhangenen Himmel, der durch das fahle Licht der Dämmerung seltsam aufgetürmt wirkte.

Einige wenige schwache Sonnenstrahlen brachen noch durch die Wolkendecke und wirkten wie lange Speere, die durch einen riesigen Watteberg gestochen worden waren, der sich bedrohlich über dem Meer verdunkelte.

Die trüb leuchtenden Ränder der Wolken zeichneten weiche Muster in den ansonsten eher trüben Himmel und Jay verfolgte sie träge mit den Augen als sie langsam über ihn hinweg zogen.

Seltsam wie beruhigend Wolken auf ihn wirkten, aber darüber dachte er jetzt nicht weiter nach, während er sich immer noch nach oben sah.

Kadyn war wahrscheinlich grade wieder irgendwo am Strand und sah sich ebenfalls diese unwirklich und surreal wirkenden Wolken an, während ihm der Wind immer wieder seine weichen, schwarzen Strähnen ins Gesicht wirbelte und seine meerblauen Augen die Lichtreflexe, die sich im Wasser brauchen widerspiegelten.

Mit geschlossenen Augen rutschte er ein Stück auf der Bank herunter, sodass er den Kopf auf die Rückenlehne der Bank legen konnte und atmete tief die salzige Luft ein und wieder aus.

Leise Stimmen waren aus dem Hauptgebäude zu hören, jedoch kümmerte er sich nicht weiter darum, da sie sich nur von ihm entfernten, sodass er sich wieder seinen umherschweifenden Gedanken zuwandte.

Wie fast immer kreisten sie darum wie er Kadyns Vertrauen vollständig gewinnen konnte, allerdings schlichen sich in letzter Zeit immer wieder Details an Kadyns Verhalten ein, die ihm ein weiches Leuchten in die Augen zauberten.

Obwohl ihm das nur zu klar war konnte er sich nicht dagegen wehren.

Kadyns unschuldig, verletztes Verhalten ließen ihm einfach keine Ruhe mehr und er hatte ständig das Gefühl ihn beschützen zu müssen damit er nie wieder so sehr verletzt wurde wie er es anscheinend wurde.

Trotzdem sollte er aufpassen.

Seine Gedanken und Gefühle begannen in eine Richtung zu driften die gefährlich war und das wollte er verhindern.

Das würde nur Komplikationen geben und die wollte er ihm ersparen.

Vollkommen abwesend hatte er die langsamen und schon fast vorsichtig wirkenden Schritte auf dem hellen Kies nicht gehört und erst als die Bank ein wenig unter ihm knarrte öffnete er die Augen und sah überrascht neben sich.

Kadyn bedachte ihn nur mit einem kurzen, jedoch dadurch nicht weniger intensiven Blick, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte, und begab sich dann in die gleiche Position wie er, um sich den langsam blutrot gefärbten Himmel anzusehen.

Obwohl er immer noch verwirrt über diese freiwillige Kontaktaufnahme von Kadyn war wandte er sich ebenfalls wieder dem Himmel zu.

Eine ganze Zeit lang saßen sie so schweigend nebeneinander und außer dem ruhigen und gleichmäßigen Atmen der Beiden, vereinzelten vom Wind getragenen Möwenschreien und dem Rauschen des Windes in den nahestehenden Bäumen war es absolut still.

Jay sah immer wieder aus dem Augenwinkel zu Kadyn rüber aber dieser blickte nur ruhig nach oben und schien ihn gar nicht richtig wahrzunehmen.

Als sein Betreuer sich jedoch räusperte wandte er ihm den Kopf zu und sah ihn fragend an.

Überrascht von dieser Reaktion stand Jay kurz der Mund offen, dann fing er sich aber schnell wieder.

„Wie kann´s, dass du gar nicht am Strand bist?“

Der fragende Ausdruck aus Kadyns Augen verschwand, er wandte sich wieder ab und stand in einer fließenden Bewegung auf.

Zögernd blieb er mit dem Rücken zu Jay gewandt stehen, drehte jedoch den Kopf ein wenig, sodass Jay sein Gesicht im Profil sehen konnte.

„War zu alleine.“

Bevor Jay irgendwie reagieren konnte lief Kadyn auch schon los, rannte schon fast und verschwand in einem der Nebentrakte.

Sprachlos setzte Jay sich wieder aufrecht hin und fuhr sich durch die braunen Haare.

Erst nur langsam dann über das ganze Gesicht strahlend verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln und für einen kurzen Augenblick glaubte er, dass sein Herz gleich vor lauter Übermut und Euphorie überlaufen würde.

Er war von allein gekommen, hatte mit ihm gesprochen.

Immer noch breit grinsend sprang er auf und eilte in Richtung seines Bungalows.

Grade in diesem Moment krachte es einmal laut und über dem Meer zuckte der erste Blitz auf und erhellte für einen kurzen Augenblick die inzwischen fast schwarz gewordene Wolkendecke, während ein kräftiger Windstoß durch Jays Haare fuhr.

Hastig schloss er seine Tür auf, lehnte sich von innen dagegen und sah immer noch strahlend auf die ersten Regentropfen, die auf seiner großen Fensterscheibe zerplatzten.

Sollte doch der Himmel auf die Erde fallen.

Hauptsache Kadyn kam langsam aus seiner selbsterrichteten Welt raus.
 


 


 

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Das Kapi ist übrigens für Kyo, weil ich schon so eeewig versprochen habe weiter zu machen, aber nicht dazu gekommen bin...Tut mir leid;_;

Hab dich lieb*_*

Und Mama natürlich auch*umflausch*

Gehört ja schließlich euch Beiden ^^

Mit untergeschlagenen Beinen lehnte er sich in seinem Sessel zurück und klappte das Buch in dem er grade gelesen hatte zu.

Seine Augen brannten bereits vom Lesen und so langsam sollte er auch mal wieder aus der Sonne in den Schatten gehen, da die Haut auf seiner Nase schon verdächtig spannte.

Abwesend fuhr er mit dem Zeigefinger darüber und sah nachdenklich in Richtung Meer.

Hätte er sich eigentlich denken können, dass er einen Sonnenbrand bekommt, wenn er sonst fast nur im Schatten oder im Haus herumsitzt.

Trotzdem war ihm danach gewesen sich mit einem Buch auf den halb beschienen Balkon zu setzen und eines seiner Lieblingsbücher zu lesen, nachdem er am Strand gewesen war.

Den Gedanken an Jay verdrängte er dabei schnell wieder.

Seufzend stand er auf, der Balkon maß vielleicht in der Länge fünf oder sechs Schritte, und ließ sich an der Hauswand, die im Schatten liegt, auf den Boden gleiten.

Gähnend rieb er sich die Augen und streckte sich.

Irgendwie war er den ganzen Tag lang schon wahnsinnig müde und würde am liebsten die ganze Zeit schlafen, jedoch geht das nicht.

Er wusste auch nicht warum aber er konnte einfach nicht einschlafen.

Gelangweilt starrte er durch die Verstrebungen seines Balkons hinunter auf den Innenhof der Klinik und beobachtete Agnes wie sie mal wieder mit ihrem Strohhut bewaffnet in einem der Blumenbeete kniete.

Obwohl er sich noch nie wirklich viel mit ihr unterhalten hatte und auch sonst nicht viel mit ihr zu tun hatte, ausser wenn sie bei einer der Visiten der Ärzte, wozu die gut waren verstand er übrigens immer noch nicht, allerdings war es ihm auch ziemlich egal, dabei war und freundlich lächelnd mit ihm sprach, mochte er sie.

Sie hatte etwas Gütiges und Mütterliches an sich.

Leises Summen drang zu ihm hoch und ein Lächeln huschte über sein schmales Gesicht, während er mit geschlossenen Augen der Melodie lauschte, die Agnes zu summen schien.

Fröhlich, heiter und beschwingt.

Zwar passte es zur Gesamtidylle, die auf dem ganzen Innenhof zu herrschen schien, aber trotzdem machte er sich daran in seiner Hosentasche herumzukramen und seinen MP3-Player daraus hervor zu ziehen.

Mit gerunzelter Stirn sah er auf das blau aufleuchtende Display und suchte er sein Lieblingslied als er noch eine zweite Stimme hörte.

Kurz in der Bewegung inne haltend, drückte er dann doch auf Play und hob langsam den Kopf.

Jay kniete neben Agnes und zupfte einige der kleinen, grünen Pflänzchen aus, die Agnes nicht in ihrem Beet haben wollte.

Vom Intro seines Lieblingsliedes übertönt hörte er zwar nicht was die beiden besprachen aber das störte ihn auch gar nicht weiter.

Mit einem unterdrückten Glühen in den Augen saugte er jede von Jays Bewegungen in sich auf und biss sich auf die Unterlippe.

In diesem Moment lachte Jay sein für ihn lautloses Lachen bei dem seine Augen vergnügt blitzten.

Wie konnte er nur so verdammt glücklich sein?

Er hatte doch auch so gut wie alles außer sich selbst verloren…Warum also war er so unglaublich stark, während er an sich selber zerbrach?

Tränen stiegen ihm in die Augen, die er jedoch schroff wegwischte und den Kloß in seinem Hals herunterschluckte.

Dennoch hatte er das Gefühl, dass sein Hals zugedrückt wurde und die beiden im Innenhof stehenden Personen verschwammen immer mehr vor seinen Augen.

Tief durchatmend lehnte er den Kopf an die kühle Steinmauer und drehte die Lautstärke seines MP3-Players noch weiter auf.

Er wollte das fröhliche Lachen und Scherzen nicht mehr hören und auch nicht sehen.

Warum musste er auch Jay als Betreuer bekommen?

Diesem braunhaarigen Optimisten schien wirklich etwas an ihm zu liegen und er wusste nicht wirklich wie er damit umgehen sollte.

Denn obwohl er sich mit Händen und Füßen gegen diesen Gedanken wehrte mochte er ihn.

Nicht nur weil er ein wunderschönes Lächeln, warm leuchtende Augen und einen sanften Charakter hatte, sondern weil sie viel gemeinsam hatten.

Und irgendwo ganz tief unter all dem anderen was sich so im Laufe der Zeit in ihm aufgestaut hatte saß eine kleine Stimme, die ihn immer wieder daran erinnerte, dass Jay ihn verstehen würde.

Auch wenn er sich taub stellte um sie nicht zu hören wisperte sie unaufhörlich weiter und ließ seine innere Unruhe fast zu einem Sturm werden.

Zuvor hatte er sich allein mehr als wohl gefühlt und es hatte ihm nichts ausgemacht am Strand zu sitzen und den ganzen Tag niemanden zu Gesicht zu bekommen.

Das war ihm sogar mehr als recht gewesen.

Aber in letzter Zeit ertappte er sich immer wieder dabei wie er darauf wartete, dass Jay mit seinem strahlenden Lächeln eine der Dünen heruntergeschlittert kam, sich neben ihn setzte und eine seiner unzähligen Geschichten zu erzählen.

Dabei gestikulierte er mit Händen und Füßen um ihm alles so anschaulich wie möglich zu erklären, während er immer wieder Pausen machte in denen er angestrengt zu überlegen schien wie genau das alles abgelaufen war.

Heftig den Kopf schüttelnd öffnete er die Augen und sah wieder auf den Innenhof.

Jay war verschwunden und Agnes schien wieder ihr Lied zu summen.

Wahrscheinlich drehte er langsam wirklich durch und er hatte sich einfach nur an Jay gewöhnt, denn schließlich hockten sie fast jeden Tag zusammen.

Ein wenig erleichterter schloss er wieder die Augen und lehnte sich zurück.

Alles Macht der Gewohnheit und sonst gar nichts.
 


 

Verschlafen rieb er sich die Augen und gähnte ausgiebig.

Anscheinend war er doch noch eingeschlafen, wenn auch dummerweise an einer Wand sitzend und auf seinem Balkon.

Seufzend steckte er den MP3-Player mit den inzwischen leeren Batterien wieder in seine Hosentasche und ging zurück auf sein Zimmer.

Noch völlig neben sich stehend kratzte er sich am Hinterkopf und gähnte erneut.

Dabei fiel sein Blick auf den roten Digitalwecker den er neben seinem Bett stehen hatte, obwohl er ihn eigentlich nie brauchte, da er immer relativ früh wach war.

Mitten in der Bewegung stockend sah er noch mal genauer hin, um dann genervt aufzustöhnen.

Da hatte er endlich mal geschlafen und verpennte direkt das Abendessen.

Hastig zog er sich seine Schuhe an und verließ sein Zimmer, da es bei unentschuldigtem Fehlen beim Essen ziemlichen Ärger mit den Schwestern geben konnte, denn die legten verdammt viel Wert darauf, dass ihre Schützlinge regelmäßig aßen.

Außerdem hatte Jay sich bestimmt Sorgen um ihn gemacht.

Mit einer ruckartigen Kopfbewegung versuchte er diesen Gedanken zu vertreiben und schob die schwere Tür des Seitenausgangs auf, da er quer über den Innenhof wesentlich schneller zum Speisesaal kommen würde.

Zunächst den Blick nur starr auf die Flügeltüren desselben gerichtet bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung und verlangsamte seine Bewegungen fast auf Zeitlupe.

Jay saß, beziehungsweise lag vielmehr, auf einer der Bänke und sah versonnen in den Himmel.

In seinem Kopf jagte ein Gedanke den anderen bis sich schließlich einer endgültig behaupten konnte.

Irgendwie hatte er ihn vermisst.

Völlig verwirrt von sich selbst setzte er sich wieder in Bewegung und lief schon fast automatisch auf Jay zu, auch wenn in seinem Kopf sämtliche Synapsen grade auszufallen schienen.
 


 


 

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Ziemlich kurz geworden aber das soll auch nur ein relativ kurzer Perspektivwechsel sein sprich das wird einmalig bleiben xD

Jay ist halt mein Augenstern bei der Story xD

Nein im Ernst, das ist nur um mal die Situation ein bissen klarer zu gestalten Oo

Mit einem leisen Klacken schloss Jay die Tür seines Bungalows hinter sich und steckte den Schlüssel an dem roten Band gedankenverloren in seine Hosentasche.

Mit den Händen ebenfalls in den Hosentaschen seiner schwarzen Jeans umrundete er halb den Bungalow, den er inzwischen ein wenig mehr seinem eigenen Geschmack angepasst hatte, indem er zwei der Wände rot gestrichen und auch die Möbel umgestellt hatte, und folgte dann langsam dem schmalen Trampelpfad zum Strand.

Wie immer suchte er schon automatisch nach den schmalen Fußspuren, die sich fast immer leicht im Sand abzeichneten und von Kadyns Anwesenheit am Strand zeugten.

Lächelnd verweilte sein Blick auf den Abdrücken, die entgegengesetzt zu den anderen verliefen dahinter jedoch wieder grade verliefen.

Vor einer knappen halben Stunde hatte ihn ein leises Klopfen geweckt und als er verschlafen blinzelnd ans Fenster gegangen war stand Kadyn schüchtern aufsehend vor seinem Fenster und deutete mit dem Kopf in Richtung des Strandes um dann hastig weiterzulaufen.

Seit er sich vor einigen Wochen neben ihn auf die Bank gesetzt hatte und von sich aus mit ihm gesprochen hatte, war er immer lockerer geworden.

Zwar nur sehr langsam, aber inzwischen sprachen sie über belanglose Alltäglichkeiten, das Wetter oder alles was ihnen grade einfiel und nicht zu tief in der Vergangenheit Kadyns herumstocherte.

Auch wenn es ihn brennend interessiert was mit ihm passiert war hielt er sich dennoch zurück.

Entweder er erzählte es ihm von sich aus oder aber er ließ sich noch mehr Zeit.

Solange es ihm dabei gut ging war alles in Ordnung und er sah sich nicht gezwungen irgendetwas anderes zu tun als ihm ein Freund zu sein.

Das rauschende Schilfgras an den beiden Seiten des Weges strich immer wieder an seinen Beinen entlang, da es inzwischen fast den ganzen Pfad überwucherte, während er den Weg zum Strand schon beinahe entlang schlenderte.

Er wusste zwar, dass Kadyn auf ihn wartete aber das störte ihn nicht weiter, denn wenn er zu spät kam blitzte es in den eisblauen Augen jedes Mal unterdrückt verärgert auf und er würde so lange zu spät kommen bis er seinen kleinen Eisprinzen dazu bekam auch mal deswegen etwas zu sagen. Denn bisher sah man ihm seinen Ärger nur für den Bruchteil einer Sekunde an, dann fing er sich wieder und sagte nichts dazu.

Der Wind blies ihm unerbittlich ins Gesicht und fröstelnd zog er den Reißverschluss seines ebenso schwarzen Pullovers bis zum Kinn hoch.

Stirnrunzelnd dachte er kurz nach und schüttelte dann seufzend den Kopf.

Bei diesem schneidend kalten Wind lief Kadyn schon wieder nur mit einem viel zu dünnen Oberteil herum.

Die ganze Zeit schon versuchte er ihn davon zu überzeugen, dass es dafür wirklich schon zu kalt war aber dieser alte Sturkopf nickte nur jedes Mal mit einem spöttischen Seitenblick und lief weiterhin so herum.

Manchmal fragte er sich wirklich wie alt sein Schützling eigentlich war, aber genau dieses Verhalten machte ihn nur noch liebenswerter.

Denn, dass Kadyn für ihn bereits eine verdammt große Rolle spielte war ihm nur zu klar.

Sobald der kleine schwarzhaarige Eisprinz nicht aufzufinden war oder sich in seinem Zimmer einschloss machte er sich wahnsinnige Sorgen und befürchtete jedes Mal etwas falsch gemacht zu haben.

So wie letztes Mal als Kadyn den ganzen Vormittag lang in seinem Zimmer blieb und man selbst noch zwei Flure weiter seine aggressive und depressive Musik zu hören war.

Nicht, dass er etwas gegen die Musik hatte, die hörte er ja selbst, aber er machte sich wahnsinnige Vorwürfe.

Eine halbe Ewigkeit stand er vor der verschlossenen Tür und redete auf Kadyn ein damit er ihn reinließ bekam jedoch keine Antwort.

Lähmende Panik stieg in ihm auf und er hatte das Gefühl, dass er gleich wie ein kleines Kind anfangen würde zu weinen, wenn er nicht bald die Tür aufbekam.

Völlig in Selbstzweifel versunken hatte er gar nicht registriert, dass im Schloss ein Schlüssel klackend herumgedreht und die Klinke heruntergedrückt wurde.

Erst als er Kadyns verunsicherte Stimme hörte sah er perplex auf und glaubte fast einen Herzinfarkt zu bekommen.

Kadyn stand nur mit Boxershorts in der Tür und rieb sich verschlafen die Augen, während seine vollkommen zerwuschelten Haare in alle möglichen Richtungen abstanden.

In seinem Gesicht, das noch reichlich verpennt aussah, zeichneten sich noch dünne Linien von dem Kissen ab auf dem er geschlafen hatte.

Unglaublich erleichtert dachte er für einen Moment nicht weiter nach und zog den plötzlich hellwachen und bestürzt aussehenden Kadyn in seine Arme.

Als er jedoch spürte wie er sich sofort versteifte ließ er ihn schnell wieder los und hielt ihm erstmal eine Predigt ihm so einen Schrecken einzujagen.

Das wurde jedoch nur mit einem scheuen Lächeln quittiert und mit einem halbwegs entschuldigenden Schulterzucken drehte er sich wieder um und verschwand in seinem Zimmer um sich für das Mittagessen anzuziehen, das sie fast verpasst hätten.

Seufzend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und sah zu einigen Möwen, die sich am strahlend blauen Himmel, der von einigen halbdurchsichtigen Wolken durchzogen wurde, eine Verfolgungsjagd lieferten bei der zwei kleinere Vögel versuchten dem wesentlich größeren einen Fisch abzujagen.

Dieser flog jedoch viel zu schnell und so gaben die beiden Verfolger wütend kreischend auf und drehten ab.

„Bescheuerte Viecher…“

Inzwischen war er bei den Dünen angekommen und begann zwischen einigen größeren Büscheln irgendeiner seltsamen, stacheligen Pflanze seinen Weg nach oben zu bahnen.

Eigentlich müsste der Weg über die Düne auch schon völlig ausgetreten sein, aber da der Wind immer ziemlich schnell dafür sorgte, dass alle Spuren verwischt wurden war es kaum ersichtlich wo er fast jeden Tag nach Kadyn die riesige Sandverwehung überquerte.

Als er unten ankam hatte er bereits wieder Sand in den Schuhen und schüttelte seine Beine um wenigstens von seiner Hose das gröbste abzubekommen.

Suchend sah er sich dann um und entdeckte in einiger Entfernung einen schwarzen Haarschopf, der grade eben hinter einer der kleineren Sandverwehungen zu sehen war.

Lächelnd lief er darauf zu, versuchte aber möglichst leise zu sein um Kadyn nicht zu wecken, der wahrscheinlich mal wieder eingeschlafen war.

Sein Schatten fiel auf den schmalen Körper Kadyns der entspannt an eine der Dünen angelehnt war und in seinem schmalen Gesicht lag absolute Zufriedenheit, während sich sein Brustkorb bei jedem gleichmäßigen Atemzug des Schlafenden sacht hob und senkte.

Nachsichtig lächelnd ließ er sich vorsichtig neben Kadyn auf den Sand sinken und schlang die Arme um seine Beine.

Fasziniert beobachtete er zunächst die langen Wimpern Kadyns, die durch die Augenbewegungen unter seinen Lidern immer wieder fast die weiche Haut über den Wangen berührten, bis sein Blick schließlich auf den leicht geöffneten Lippen des Jüngeren hängen blieb.

Wie hypnotisiert starrte er darauf bis er sich mit einem energischen Rucken des Kopfes selbst wieder zur Ordnung rief.

Sowas sollte er nicht einmal im Ansatz denken.

Kadyn vertraute ihm so langsam und dann sollte er das nicht einfach kaputt machen nur weil er sich nicht unter Kontrolle hatte.

Dabei warf er einen kurzen Seitenblick auf Kadyn und lächelte zufrieden als er den Kopf in den Nacken legte und sich die kalte Herbstsonne ins Gesicht scheinen ließ.

Vor einigen Tagen hatte er auf dem Rückweg vom Strand zum Klinikgebäude zusammen mit Kadyn Samuel getroffen, der grade auf dem Weg zu ihm gewesen war um ihm zu sagen, dass abends noch eine Besprechung aller Betreuer, Pfleger und Schwestern war.

Wie fast immer hatte Samuel auch Kadyn gefragt wie es ihm ginge, jedoch war er umso überraschte als er schon halb im weggehen ein nahezu geflüstertes „Gut, und dir?“ hörte.

Für einen kurzen Augenblick entgleisten ihm die Gesichtszüge doch nachdem er sich wieder gefangen hatte antwortete er kurz, da er noch weiter musste, um den restlichen Betreuern Bescheid zu geben.

Als Kadyn ein Stück voraus lief drehte Jay sich noch mal zu Samuel um, der ihm grinsend die ausgestreckten Daumen zeigte und eine respektvolle Verbeugung grinsend andeutete.

So unglaublich stolz wie er auf den Jüngeren gewesen war ließ sich kaum in Worte fassen, da er glaubte er würde vor Freude platzen.

Kurze Zeit später sprach er auch noch ein wenig mit Agnes, die über diesen Fortschritt zwar sehr überrascht aber auch überaus erfreut wirkte.

Lächelnd drehte er sich auf den Bauch, verschränkte die Arme unter dem Kopf und blinzelte zu Kadyn, der ein Stück über ihm lag, hoch.

Die gleichmäßigen Gesichtszüge waren vollkommen entspannt und friedlich, während sich das Sonnenlicht in den schwarzen Haaren, die sanft vom Wind in sein Gesicht geweht wurden, und Wimpern verfing.

Das Rauschen des Meeres hinter ihm untermalte jeden Atemzug Kadyns und als er sich mit einem leisen Murren auf die Seite und in Jays Richtung drehte blieb dieser reglos liegen, da er ihn nicht aufwecken wollte.

Er hätte nur die Hand ein wenig ausstrecken müssen und hätte über Kadyns helle Haut streichen können.

Jedoch unterdrückte er diesen Wunsch mit einem leichten Kopfschütteln.

Am Hals des Schlafenden zogen sich unter der beinahe durchscheinenden Haut hellblaue Adern her und selbst das regelmäßige pulsieren des Herzschlages konnte er erahnen.

Einige von den schwarzen Strähnen, die den Nacken bedeckten, rutschten zur Seite als Kadyn sich erneut ein wenig bewegte und gaben den Blick auf seinen Nacken jetzt frei.

Für einen kurzen Augenblick glaubte Jay sich geirrt zu haben und das es sich bei der dunklen Stelle in seinem Nacken nur um einen seltsam geformten Schatten handelte, als er aber näher an Kadyn heranrutschte und sich den vermeintlichen Schatten ansah starrte er sprachlos auf eine längliche Narbe, die fast am Haaransatz des Nackens begann und unter Kadyns T-Shirt verschwand.

Nach ihrer Breite und vermutlichen Länge nach zu urteilen musste das eine extrem große Wunde gewesen sein, wenn die Verletzung an sich auch schon mehrere Jahre her sein musste, da sie schon verhältnismäßig gut verheilt zu sein schien.

Aber so eine Narbe bekam man nicht einfach so durch einen unglücklichen Sturz.

Und hatte er vielleicht noch mehr solcher Verletzungen gehabt?

Mit gerunzelter Stirn setzte er sich auf und atmete tief durch.

Irgendjemand hatte Kadyn verletzt oder aber er hatte einen schweren Unfall gehabt.

Egal was es war es bohrte sich unauslöschlich in seinen Verstand, dass Kadyn irgendwann mal so schwer verletzt worden war.

Als habe er etwas gehört flatterten Kadyns Lider erst nur, dann öffnete er die Augen ganz und sah fragend zu Jay hoch.

Sich den Sand aus den Haaren schüttelnd und seine Kleidung abklopfend setzte er sich auf, während er Jay immer noch musterte.

„Alles in Ordnung?“

Jay nickte kurz und zwang sich zu einem steifen Lächeln als er aufstand und ihm helfend eine Hand entgegen hielt.

„Sicher. Komm wir gehen zum Frühstück, sonst müssen wir bis zum Mittagessen verhungern.“

Kadyn nickte, griff nach seiner Hand und zog sich daran hoch, dennoch entging Jay nicht der wachsame Ausdruck in den eisblauen Augen, die ihm nicht abnahmen, dass alles in Ordnung war.

Nicht weiter darüber nachdenkend ließ er die schmale Hand los und lief vor.

Verwirrt blieb Kadyn noch einen Augenblick stehen, zog dann jedoch fröstelnd die Schultern hoch und folgte seinem Betreuer.

Abwesend starrte er auf seinen Teller und bewegte langsam den Löffel in der Suppe hin und her.

Desinteressiert betrachtete er die kleinen Wellen, die sich über die Oberfläche zogen und stützte das Kinn auf die Handfläche.

„Ehm…Jay?“

Verwirrt blinzelnd sah er auf und direkt in Samuels fragendes Gesicht, der ihm gegenüber saß.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

Lächelnd nickte er und begann zu essen.

„Sicher, was sollte denn sein?“

Genauso misstrauisch wie schon zuvor Kadyn musterte Samuel ihn und zog eine Augenbraue hoch.

Bevor er noch weiter nachbohren konnte wurde er jedoch von einem der anderen Pfleger angesprochen und gebeten mitzukommen.

Seufzend stand der blonde Betreuer auf und hob kurz zum Gruß die Hand, während er dem anderen Mann folgte.

Jay sah ihnen noch einen kurzen Moment lang nach bis ihm auffiel, dass Sven gar nicht mit ihnen am Tisch saß.

Also gab es wahrscheinlich irgendein Problem mit Samuels Schützling und Samuel war wahrscheinlich nur zum Essen heruntergekommen nachdem Agnes oder einer der Ärzte ihn mehr oder weniger rausgeschmissen hatten.

Darüber sinnierend ob Sven wieder angefangen hatte sich in seinem Zimmer einzuschließen aß er abwesend weiter und registrierte nur aus dem Augenwinkel, dass Kadyn bereits aufgegessen hatte und jetzt darauf wartete, dass auch er fertig wurde.

In den eisblauen Augen lag jedoch immer noch die gleiche Skepsis wie am Strand und daher tat er so als würde er den Blick gar nicht bemerken, sondern aß weiter.

Er wollte Kadyn zwar nicht ignorieren aber er musste sich erst überlegen wie er jetzt vorgehen würde.

Kadyn einfach auf die Narben anzusprechen würde wahrscheinlich nicht allzu viel bringen auch wenn sie sich inzwischen gut verstanden, das musste er irgendwie anders anfangen.

Und am wichtigsten erschien es ihm erstmal zu erfahren ob er noch mehr solcher Verletzungen hatte und seit wann er die überhaupt schon hatte.

Konnte ja auch sein, dass irgendwas auf dem Klinikgelände an sich passiert war bei dem er sich so unglücklich verletzt hatte schließlich war er schon ziemlich lange hier.

Wie lange genau wusste er allerdings auch nicht wie er sich selbst eingestehen musste.

Seine Augen wanderten suchend durch den Speisesaal und blieben dann an Agnes hängen, die sich grade mit der Oberschwester der Station für Essstörungen über irgendetwas angeregt unterhielt.

Einen Augenblick lang zögerte er noch, schob seinen fast leeren Teller von sich und drehte sich zu Kadyn um.

„Ich muss noch mit Agnes sprechen also brauchst du nicht mehr auf mich zu warten, ja? Kannst ruhig schon gehen.“

Unsicher nickte Kadyn und der verständnislose und misstrauische Ausdruck in seinen blauen Augen verstärkte sich.

Trotzdem stand er auf, nahm seinen Teller mit und verließ den Speisesaal durch eine der Seitentüren, die in Richtung Strand lagen, nachdem er seinen Teller auf den Geschirrwagen gestellt hatte.

Seufzend lehnte Jay sich in seinem Stuhl zurück und sah nachdenklich dem schmalen Umriss nach, der sich gegen das Licht der Sonne auf einer kleinen Erhebung abzeichnete.

Dann suchte er wieder nach Agnes, die sich noch mit der Oberschwester unterhielt und wartete ab.

Agnes war zwar gutmütig aber in Gesprächen gestört zu werden passte ihr überhaupt nicht.

Also beobachtete er die unterschiedlichen Menschen um sich herum.

Am Tisch gegenüber saß ein Betreuer, der anscheinend neu war, denn er war ein wenig überfordert mit den Fragen seines Patienten, der alles über ihn wissen wollte.

Nicht sicher ob er so viel von sich erzählen durfte antwortete er immer nur sehr knapp und sah sich immer wieder verwirrt um.

Sein hektischer Blick fiel auf Jay, der ihm freundlich entgegenlächelte und sofort entspannte sich der blonde, junge Mann.

Ein wenig hilflos zuckte er mit den Schultern und Jay nickte ihm nur bestätigend zu.

Normalerweise waren Betreuer dazu angehalten nicht allzu viel von sich an die Patienten weiterzugeben, aber Agnes legte Wert darauf, dass Patienten und Betreuer ein enges Vertrauensverhältnis hatten um zu garantieren, dass die Patienten auch bei Kleinigkeiten mit ihren jeweiligen Ansprechpartnern redeten und nicht immer alles auf die lange Bank schoben.

Neben dem neuen Betreuer erkannte Jay nach zweimaligem Hinsehen Gundula.

Amüsiert beobachtete er wie sie mit ihrer Patienten schimpfte, die ihr grade lachend einen Keks stibitzt hatte.

Normalerweise war Gundula braunhaarig aber jetzt hatte sie sich die Haare schwarz gefärbt, auf Kinnlänge gekürzt und Korkenzieherlockern hineingedreht.

Diese Frisur passte zwar überhaupt nicht zu der fülligen, großmütterlich wirkenden Frau aber auch dieser modische Fehlgriff unterstrich ihre liebevolle Art.

Auch im Umgang mit Patienten war sie sehr speziell, aber besonders mit Melinda, ihrem momentanen Schützling, kam sie wundervoll aus.

Durch ihr ständiges Gezeter bei Essensdiebstählen sah sich das magersüchtige Mädchen, die wahrscheinlich ihre Tochter hätte sein können, immer wieder veranlasst sie im Spaß zur Weißglut zu treiben, indem sie ihr Kekse oder Süßigkeiten vor der Nase wegschnappte.

Gundula war nie wirklich sauer deswegen aber Jay erkannte es ihr hoch an, dass sie so liebevoll mit dem Mädchen umging und sie selbst durch ihr gestelltes Gezeter dazu veranlasste immer mal wieder Kleinigkeiten beinahe schon unbewusst zu essen.

Melinda war zwar fast genesen aber das musste oft nichts heißen, auch wenn sie nur noch zur Reha hier war.

An den Tischen um ihn herum wurden immer mehr Stühle über den Boden kratzend zurückgeschoben und ein Großteil der Patienten und Betreuer hatten den Speisesaal inzwischen verlassen oder machten sich auf den Weg zu ihren Zimmern oder Wohnungen.

Auch Gundula und Melinda standen jetzt auf um zu gehen, nachdem sie den neuen Betreuer ebenfalls aufgefordert hatten sich ihnen anzuschließen damit sie ihm noch ein wenig vom Gebäude zeigen konnten.

Anscheinend waren Gundula und Melinda von Agnes gebeten worden sich in der ersten Zeit um den Neuzugang und seinen Patienten zu kümmern, wie es hier in der Anfangsphase üblich war.

Samuel hatte sich ja auch erst um ihn gekümmert bis er sich auf dem Gelände und mit den vorherrschenden Gepflogenheiten vertraut gemacht hatte und alleine zurecht kam.

Agnes war währenddessen inzwischen wieder auf ihrem Platz und löffelte den letzten Rest ihrer Suppe vom Teller und erhob sich jetzt erneut um ebenfalls den Speisesaal zu verlassen.

Bevor sie jedoch bis zur Tür gelangen konnte wurde sie von Jay abgefangen.

Freundlich lächelnd hielt er ihr die Glastür auf und ging nach ihr hindurch.

„Kann ich Sie kurz sprechen?“

Ein kurzer, forschender Blick aus den gutmütigen Augen glitt über sein Gesicht und sie winkte ihn mit einer Hand hinter sich her, während sie den Generalschlüssel aus ihrer Rocktasche hervorzog.

Es erstaunte ihn immer wieder wie viel Kleinkram sie in den weiten Taschen des ungefähr knöchellangen Rockes unterbringen konnte, jedoch dachte er jetzt nicht weiter darüber nach, da es in seinem Kopf immer noch brummte.

Agnes schloss mit einem leisen Klacken einen der Therapieräume auf und er schloss die Tür sorgfältig wieder hinter sich.

Als er sich umdrehte hatte sie bereits auf einem der ausladenden, braunen Sessel Platz genommen und lächelte ihm aufmunternd zu.

Noch einmal tief durchatmend schritt er auf den zweiten Sessel zu, während er kurz den gesamten Raum erfasste.

Hier war er bisher noch nicht gewesen aber es sah hier bis auf einige unterschiedliche Pflanzen fast genauso aus wie in dem Raum in dem Kadyn für gewöhnlich mit seinem Psychologen sprach.

Beziehungsweise nicht sprach, denn inzwischen hatte er heraus bekommen, dass er seinen Psychologen einfach nicht mochte.

„Der redet immer so einen Schwachsinn…Als wenn man ihm Geld dafür zahlen würde mir Märchen zu erzählen.“

Ein leichtes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel als er sich in den Sessel setzte und den forschenden Blick aus den klaren, blauen Augen auf sich ruhen spürte.

„Also…Was ist los? Gibt es Probleme mit Kadyn?“

Einen Augenblick lang zögerte er noch, dann hob er den Kopf und sah ein wenig ratlos an Agnes vorbei.

„Vielleicht…Wussten Sie, dass er eine ziemlich große Narbe im Nacken hat?“

In Agnes zuvor warm und verständnisvoll lächelndes Gesicht trat ein ernster, fast schon zu ernster Ausdruck, und Jay sah sie überrascht an.

Entweder Agnes wusste es selbst nicht oder es war etwas was selbst ihr ein unbehagliches Gefühl bereitete.

Und er schätzte seine Chefin beleibe nicht so ein, dass sie bei jeder kleineren Verletzung einen riesigen Aufstand veranstalten würde.

In seinem Magen begann es unangenehm zu flattern, während sich in seinem Kopf bereits wieder die wildesten Horrorszenarien abspielten.

Kadyn, der sich aus einem Fenster warf.

Kadyn, der blutüberströmt vor einem Auto lag.

Kadyn, der sich etwas antat und er konnte nichts tun.

Nach einigen Sekunden in denen außer dem Ticken einer großen Wanduhr nichts zu hören war atmete Agnes seufzend aus.

„Ich wünschte ich könnte dir sagen woher genau diese Narbe kommt…Aber ich weiß es nicht.“

Zwar einerseits erleichtert, andererseits noch besorgter zog Jay die Augenbrauen zusammen und musterte sie eindringlich.

„Hat er denn noch mehr davon?“

Ein trauriges Nicken war die Antwort.

„Sein ganzer Rücken ist übersäht mit Narben. Wir haben ihn bereits untersuchen lassen aber der Arzt konnte nur sagen, dass sie von irgendeiner stumpfen Gewalteinwirkung stammen. Wovon genau oder warum…Außerdem hat er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass der Arzt näher als auf Sichtweite herankommen konnte.“

Mit einem leichten Kopfschütteln schien sie sich an die Szene zu erinnern, die sich damals abgespielt hatte, erzählte Jay aber nichts weiter darüber.

„Aber er muss die Verletzungen in der Zeit abbekommen haben kurz bevor er ins Heim gekommen ist. Sam hat dir doch erzählt wie Kadyn aufgewachsen ist, oder?“

Jay nickte knapp und in seinen Augen blitzte kurz Ärger auf.

„Warum sagen Sie mir das erst jetzt?“

Betreten sah Agnes auf den Boden und studierte eingehend das Muster des Teppichs, während sie ihre Hände ruhig im Schoß zusammenlegte.

„Hätten wir dir von Anfang an gesagt, dass Kadyn vermutlich schwerst misshandelt wurde wärst du doch wesentlich befangener an die Sache rangegangen, oder?

Und das wollten wir vermeiden…“

Verstehend nickte er erneut und strich sich einige seiner widerspenstigen, braunen Haarsträhnen aus der Stirn.

Mit einem Seufzen sah er noch kurz an Agnes vorbei durch das Fenster aufs Meer hinaus und erhob sich dann aus dem Sessel.

„Danke. Ich werde mal nach ihm sehen.“

Im Umdrehen bekam er noch das Nicken seiner Chefin mit und verließ darauf hin des Therapieraumes.

Fast schon wehmütig sah Agnes ihm hinterher.

Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen es ihm zunächst zu verschweigen.

Dabei wollte sie doch nur, dass Kadyn endlich wieder ein wenig Freude am Leben zurückgewann und Jay schien das zu schaffen auch ohne, dass er etwas über seine Vergangenheit wusste.

So langsam wurde es Zeit, dass auch der Patient, der seit fast fünf Jahren bei ihnen war wieder ein bisschen Glück hatte.
 


 

~~~~~~~

~_~

Bin nicht hundertprozentig zufrieden also wenn euch Fehler auffallen...Immer her damit kann i-wie nicht festmachen was mich stört ò_o

*Kekse hinstell*

Mit umwölktem Blick stampfte er durch den hellen Sand und überlegte fieberhaft wie er Kadyn am besten auf seine Narben ansprechen konnte.

Aber außer direkter Konfrontation fiel ihm einfach nichts ein was er irgendwie in die Tat umsetzen konnte ohne völlig bescheuert zu wirken.

Gegen die Sonne blinzelnd suchte er nach Kadyn und fand ihn auch schon nach wenigen Augenblicken am gleichen Platz wie schon zuvor, während er dieses Mal jedoch die Ohrstöpsel seines MP3-Players in den Ohren hatte anstatt zu schlafen.

Seufzend musterte er ihn noch einige Augenblicke dann ging er langsam auf ihn zu.

Kadyn schien seinen Schatten gesehen zu haben, da er aufblickte, die Kopfhörer aus seinen Ohren nahm und ihn fragend ansah.

Warum musste er ihn auch nur so verflucht besorgt ansehen?

Das machte es ihm ja nun bei aller Liebe nicht einfacher ihn über etwas ausfragen zu wollen über das er ganz offensichtlich mit absolut niemandem reden wollte.

Kadyn zog unsicher die Augenbrauen zusammen und zwischen den feingeschwungenen Brauen bildete sich eine kleine, senkrechte Falte, während sich die kristallblauen Augen ein wenig verdunkelten.

Jay setzt sich neben ihm auf den Boden und lächelte ihm kurz zu um ihn irgendwie zu überzeugen, dass mit ihm alles in Ordnung war, jedoch schien das den Argwohn des Jüngeren nur noch zu schüren, da er jetzt die Arme vor der Brust verschränkte und die Beine an den Körper zog.

Hilflos fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und suchte in seinem Kopf nach einer Möglichkeit mit Kadyn zu reden.

Aber ausser einer bedrückenden und lähmenden Leere fand er da überhaupt nicht. Kadyn beobachtete ihn immer noch und rückte sogar ein Stück von ihm ab als er bemerkte, dass er fieberhaft über etwas nachdachte aber nicht mit der Sprache herausrückte.

Und dann hatte er selbst noch vor kurzem gesagt, dass es immer besser wäre über das zu reden was einem durch den Kopf ging und jetzt hatte er nichts Besseres zu tun als Kadyn aus seinen Überlegungen auszuschließen.

Eigentlich müsste sein kleiner Eisprinz sich jetzt mehr als nur verarscht vorkommen, wenn er nicht in der Lage war sich an seine eigenen Ratschläge zu halten.

Seufzend drehte er sich zu Kadyn um, winkelte ein Bein an und suchte noch einen kurzen Moment lang nach seinem Verstand, der ihm aus dieser verdammt prekären Lage heraushelfen sollte.

Aber anscheinend musste er das jetzt irgendwie so hinbekommen.

„Als du vorhin geschlafen hast…Ich wollte dir bestimmt nicht zu nahe treten aber ich hab deine Narben gesehen.“

Kadyns Augen weiteten sich für einen Augenblick und er wollte grade aufspringen, als Jay nach seiner Hand griff und ihn vorsichtig wieder auf den Boden zog.

„Lauf jetzt bitte nicht weg, ja? Wenn du nicht drüber reden willst…Okay, aber ich möchte, dass du weißt, dass du zu mir kommen kannst, wenn du doch reden willst, ja? Mir ist auch egal woher die kommen. Ich will dir nur helfen können.“

In Kadyns Augen standen zwar immer noch Panik und der Wunsch einfach nur weg zu laufen, dennoch setzte er sich zögernd wieder neben Jay auf den hellen Sand.

Mit einem kurzen Seitenblick auf seinen Betreuer löste er seine Hand aus der anderen, zog die Beine wieder an den Körper und vergrub das Gesicht in seinen verschränkten Armen.

Außer dem Rauschen der langsam auf den Strand auflaufenden Wellen, des Windes und einiger Möwenschreie war eine ganz Zeit lang gar nichts zu hören.

Kadyns Brustkorb hob und senkte sich wieder regelmäßiger und auch die in den Stoff seiner Hose gekrallten Hände lösten sich langsam wieder, während der Wind unablässig in seinen schwarzen Haaren tanzte.

Jays Augen begannen bereits zu brennen und trotzdem konnte er einfach nicht wegsehen um dem stechenden Wind keine direkte Angriffsfläche mehr zu bieten, da Kadyn einen vollkommen einsamen und verlassenen Eindruck machte.

Obwohl er neben ihm saß hatte er das Gefühl Kadyn nicht mehr erreichen zu können, wenn er nicht bald etwas tat.

Vorsichtig rutschte er näher an seinen Patienten heran, hielt jedoch einige Zentimeter vor einer direkten Berührung inne und beobachtete ihn für einen kurzen Augenblick, um sicherzugehen, dass er nicht doch zu weit ging.

Kadyn rührte sich aber nicht und auch seine schmalen Hände lagen noch unverkrampft auf seinen Beinen.

Davon ermutigt überbrückte er auch die letzten wenigen Zentimeter und legte seine Hand auf den Rücken, der sich jetzt ein wenig unregelmäßiger hob und senkte.

Einatmend und die Augen schließend zog er ihn dann in einer einzigen Bewegung zu sich, schloss seine Arme um den zerbrechlich wirkenden Körper und legte seine Wange an die weichen Haare, die seine Wange kitzelten.

Für einen Augenblick versteifte Kadyn sich und er fragte sich panisch ob er nicht doch zu weit gegangen war.

Als er jedoch spürte wie er sich zögernd wieder entspannte und den Kopf an seinen Oberkörper lehnte stieß er erleichtert die Luft aus.

„Danke…“

Obwohl es nur ein einziges, erstickt gegen seinen Pullover gemurmeltes Wort war glaubte er für einen kurzen Moment, dass die Welt stehen bleibt und alle Geräusche in seinen Ohren doppelt widerhallten.

Noch nie in seinem ganzen Leben hatte ihn so eine unbändige Freude nahezu überrollt, sodass er sogar selbst glaubte, dass sein strahlendes Lächeln auf andere fast lächerlich wirken musste.

Sein Blut schien sich eigenständig dazu entschlossen zu haben durch seinen ganzen Körper zu rasen und überall ein unglaubliches Kribbeln zurückzulassen, dass ihm davon fast schlecht wurde.

Immer noch völlig benebelt und auch verwirrt von diesem Glückstaumel zog er den warmen, weichen Körper näher an sich und vergrub das Gesicht in den schwarzen Haaren, die nach Meerluft und Vanille rochen.

Warum war ihm das eigentlich noch nie aufgefallen wie gut Kadyn eigentlich roch?

Und warum hatte er noch nie darüber nachgedacht was es für ein unbeschreiblich gutes Gefühl war diesen sonst so abweisenden und unterkühlten Mensch im Arm zu haben und so wahrzunehmen wie er wirklich war?

Verletzlich und warm.

Als sich der Körper unter ihm ein wenig bewegte hob er den Kopf und sah auf ihn herunter, als Kadyn vorsichtig zu ihm hochsah.

In seinen Augen stand zwar immer noch Zweifel aber die Dankbarkeit und Wärme in diesen sonst so eisigen Augen ohne jegliche Regung ließen Jays Lächeln verblassen.

Für dieses Gefühl fand er einfach keinen Ausdruck und auch als Kadyn das Gesicht wieder am seiner Brust vergrub schaffte er es nicht sich irgendwie zu rühren.

Das waren die warmen Buchten, Schluchten und Stürme, die er in diesen unendlich erscheinenden Tiefen immer wieder vergeblich gesucht hatte.

In diesem Augenblick zerbrach das Bild des Eisprinzen, welches sich immer noch hartnäckig in seinem Kopf gehalten hatte, obwohl Kadyn schon länger mit ihm sprach und in gewissem Sinne aufgetaut war, und er hatte das Gefühl jetzt den richtigen Kadyn vor sich zu haben.

Keine Maske, keine verstellten Gesten und vor allem keine Eismeere mehr.
 


 

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Ist etwas kürzer geworden aber das liegt daran, dass das sonst mit dem nächsten kapitel nicht so wirklich passen würde....Und ausserdem mag ich solche mehr oder weniger Cliffs xD

Naja das nächste Kapi wird wohl auch schon relativ bald kommen^^

Die Sonne war inzwischen schon so weit gewandert, dass es so aussah als würde sie jeden Moment mit ihrem unteren Rand den Rand des Meeres berühren und die durchscheinenden Wolken, die sich über den ganzen Himmel zogen hatten bereits eine graue, leicht ins rosafarbene abdriftende, Farbe angenommen.

Außer, dass sie sich etwas anders hingesetzt hatten, sodass Jay mit dem Rücken an der Düne lehnte und Kadyn seinen Kopf auf seinen Schoß gebettet hatte war die ganze Zeit über nichts weiter passiert.

Jay hatte irgendwann damit begonnen mit den Fingern sanft über die weiche Haut in Kadyns Nacken zu fahren und da dieser sich nicht dagegen gewehrt hatte, hatte er gedankenverloren damit weitergemacht.

Sein Blick war die ganze Zeit auf den schmalen Rücken gerichtet und erst jetzt legte er den Kopf in den Nacken, ließ seine Hand einfach dort wo sie war und starrte in den rosafarbenen Bilderbuchhimmel, da er annahm, dass Kadyn inzwischen schlief.

In seinem Kopf war sehr zu seiner Beruhigung wieder Ruhe eingekehrt und die umherrasenden Gedanken hatten sich langsam soweit geordnet, dass er zu dem Schluss gekommen war, dass Kadyn nicht mit ihm reden würde, wenn er ihn fragen würde.

Also musste er wie schon zuvor einfach abwarten.

Und hoffen, dass Kadyn ihm genug vertraute um sich selbst dazu durchringen zu können mit ihm zu reden.

Überrascht sah er wieder auf seinen Schoß als Kadyn sich halb zu ihm herumdrehte, ihn kurz musterte und sich dann wieder zum Meer drehte.

Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen.

Hatte Kadyn etwa da ganze Zeit über nicht geschlafen?

Vorsichtig nahm er mit seiner Hand, die immer noch in Kadyns Nacken lag, die vorsichtigen Bewegungen wieder auf und bemerkt dabei die leichte Gänsehaut, die sich auf Kadyns Armen bildete.

Wahrscheinlich war ihm schon ziemlich kalt, da sie ja auch schon eine ganze Weile im kalten Wind saßen und er wieder mal viel zu dünn angezogen war.

Er wollte grade dazu ansetzen Kadyn die Rückkehr zum Klinikgebäude vorzuschlagen als ihm dessen leise und schon fast brüchige Stimme zuvorkam.

„Er hat mich geschubst.“

Für einen Herzschlag erstarrte er doch dann richtete er seine ganze Aufmerksamkeit darauf auch wirklich alles zu hören was Kadyn sagte, da er befürchtete bei dessen leiser Stimme irgendetwas zu überhören was wichtig war.

Unsicher ob er wirklich fragen sollte kämpfte er einen Augenblick mit sich.

„Wer?“

Kadyn schwieg zunächst und verfluchte sein loses Mundwerk dafür, dass er nicht einfach einmal abwarten konnte anstatt sofort nachzubohren.

„Mein…Vater. Zumindest hat sie immer gesagt er sei es.“

Seine linke Braue wanderte schon fast unaufhaltsam nach oben und er runzelte irritiert die Stirn. Das klang nicht sehr überzeugt, dass dieser Mann wirklich sein Vater ist.

Dieses Mal schwieg er jedoch auch wenn er erleichtert war, dass Kadyn ihm zuvor auf seine Frage geantwortet hatte. Er wollte jetzt wirklich nur noch fragen, wenn Kadyn gar nicht mehr weitersprach.

„Wir waren uns aber gar nicht ähnlich…Und er hat sich auch nicht dafür interessiert was mit mir war. Er ist nicht mal zu meinen Geburtstagen da gewesen.“

Ein bitteres,leises Lachen wurde vom kalten Wind weggeweht und Jay widerstand dem Drang Kadyn einfach wieder in den Arm zu nehmen.

„Aber das war eigentlich gar nicht so schlimm. Mama war ja immer da…“ Bei diesen Worten glaubte Jay schon fast so etwas wie ein warmes Lächeln heraus zu hören, schwieg aber lieber weiter.

„Sie hat mir immer einen Kuchen gebacken und gesagt, dass ich bald schon viel zu groß sei um noch ihr kleiner Junge zu sein. Das wollte ich aber eigentlich nie hören und hab immer gesagt, dass ich immer ihr kleiner Junge bleibe und nie weggehen werde. Aber das hat sie mir nie geglaubt, sondern den Kopf geschüttelt und gelächelt.“

Langsam verfiel Kadyn in einen Redefluss und auch wenn er immer noch leise sprach hatte seine Stimme einen sicheren Klang als noch zu Anfang.

„Warum sie so lange mit ihm zusammen war weiß ich aber nicht. Zuerst hab ich das nicht mitbekommen aber als sie irgendwann mit einem blauen Auge in der Küche stand und geweint hab habe ich irgendwie verstanden, dass er ihr weh tut. Dabei hab ich ihr immer geglaubt, dass sie sich irgendwo gestoßen hat…“ Das Zittern schlich sich bei diesen Worten wieder ein und er atmete einige Mal tief durch bevor er weitersprach. Jay strich ihm jetzt beruhigend über den Rücken, sah immer noch in den langsam rötlich gefärbten Himmel und konnte kaum fassen, dass Kadyn wirklich mit ihm über sein Leben redete.

„Vielleicht wollte ich das aber auch einfach nie sehen…Sie hat ja immer gesagt, dass mein Vater ein lieber Mensch ist und nur das Beste für uns will. Aber seit diesem Tag hab ich ihn gehasst und wollte ihn nicht mehr sehen. Und er sollte Mama nicht mehr anfassen. Aber…Sie hat nur gesagt, dass das nicht meine Sache ist, ich noch zu klein bin und er ist schließlich mein Vater. Hast du schon mal das Gefühl gehabt jemanden töten zu wollen?“ Es schien fast als unterbreche er für einen Augenblick seine Erzählung um Jay seine Gedanken besser verständlich zu machen.

Dieser schwieg einen Moment dann nickte er.

„Ja.“

Die Kerle, die Vivien auf dem Gewissen hatten hätte er am liebsten in Fetzen gerissen.

„Da war ich sechs.“

Als erwarte er eine angewiderte oder entsetzte Reaktion verkrampfte er sich für einen Augenblick, jedoch fuhr Jay nur damit fort ihm über den Rücken zu streichen, wobei er sich wieder entspannte.

Warum sollte nicht auch ein Sechsjähriger schon hassen können?

Grade wenn es seine Mutter betraf?

„Wenn er da war hab ich mich versteckt um ihn nicht sehen zu müssen und wenn er mich doch mal gefunden hat, hat er mich angeschrien und gesagt, dass so ein Balg nicht von ihm sein könnte. Meistens hatte meine Mutter dann wieder blaue Flecken, wenn er ging. Sie hat nie wieder vor mir geweint…Obwohl er sie nur wegen mir verprügelt hat. Aber ich wusste doch nicht was ich machen sollte. Zu meinem siebten Geburtstag…Sie hatte ihm gesagt, dass er an dem Tag kommen sollte. Er wusste nicht, dass es mein Geburtstag ist sonst wäre er wohl nicht gekommen. Als er dann aber den Kuchen gesehen hat ist er ausgeflippt…“

Er stockte kurz und Jay fühlte wie ein warmer Tropfen auf seiner Jeans landete und langsam in den Stoff einzog. Er biss sich auf die Unterlippe und konzentrierte sich nur auf das was Kadyn erzählte um ihn nicht zu unterbrechen und ihn zu bitten aufzuhören damit er nicht mehr weinte.

Wenn er jetzt nicht mit ihm redete, redete er vielleicht mit niemandem und dann würde er sich nur wieder in seinem Eismeer verlieren.

„Hat gesagt, dass Mama eine Schlampe wäre und sie nicht ernsthaft glauben könne, dass er einen Bastard wie mich auch nur anfassen würde…Er hat sie so sehr festgehalten, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte und immer wieder auf sie eingeschlagen. Ich hab erst gar nichts gemacht einfach nur da gesessen und die beiden angestarrt. Dann wollte ich ihn wegziehen, aber er hat mich einfach weggestoßen…“

Seine Stimme war seltsam sachlich, ließ in keinster Weise durchblicken was er grade dachte, obwohl Jay immer noch die heißen Tränen auf sein Bein tropfen spürte.

„Irgendwann ist er dann gegangen, nachdem Mama ihn angefleht hat zu gehen, weil die Nachbarn sonst die Polizei rufen würden, wenn es so laut wäre. Den ganzen Tag über hat sie so getan als wäre alles in Ordnung und dabei konnte sie kaum noch stehen, weil er ihr immer wieder in den Bauch getreten hatte. Als sie mich dann abends ins Bett gebracht hat ist er wiedergekommen. Mama hatte die Tür abgeschlossen aber das hatte ihn noch nie gestört schließlich war die nicht sonderlich stabil. Außerdem war er ziemlich betrunken gewesen und dann schlug er meistens alles kurz und klein was ihm in den Weg kam. Mama wollte nicht, dass ich mitkomme und hat mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Wahrscheinlich sollte ich nicht noch mal sehen wie er sie verprügelt…“

Seufzend rieb er sich mit der flachen Hand über die Stirn und schwieg für einen kurzen Augenblick. Jay rechnete eigentlich jeden Moment damit, dass er aufhören würde zu reden, da es ungewöhnlich war, dass der Jüngere so viel auf einmal redete aber vielleicht war das auch einfach nur, weil er seit Jahren nicht darüber gesprochen hatte und jetzt war der Damm gebrochen und er konnte alle seine Gedanken und Gefühle einfach nicht mehr zurückhalten.

„Er hat sie angeschrien, dass sie es nie wieder wagen würde ihn zu betrügen und dass er von dem Baby wüsste. Ich hatte damals keine Ahnung, dass meine Mama wieder schwanger war…Sie hat man fast gar nicht gehört, weil sie nur wollte, dass er ruhig ist damit ich nichts mitbekomme aber das hat ihn nur noch wütender gemacht. Eine ganze Zeit lang hat man ausser ihren Schreien nichts mehr gehört und irgendwann waren die auch weg.“

Jay strich ihm mit der Hand über die tränennasse Wange und sah bestürzt auf ihn hinunter. Als siebenjähriges Kind in seinem Zimmer eingesperrt zu werden und zu hören wie die Mutter vom angeblichen Vater verprügelt wurde musste der Horror sein. In seinem Kopf sah er Kadyn als kleines Kind schluchzend an seiner Zimmertür rütteln und biss sich auf die Zunge um die aufsteigende Wut auf diesen Unmenschen, der ihm und seiner Mutter das angetan hatte zurück zu drängen. Es würde Kadyn nichts bringen, wenn er jetzt anfangen würde diesen Mann die Pest an den Hals zu wünschen.

„Ich hab die ganze Zeit versucht die Tür aufzubekommen aber ich hatte ja keinen Schlüssel...Also bin ich da erst rausgekommen als er mir die Tür aufgemacht hat. Keine Ahnung warum er das überhaupt gemacht hat aber so betrunken wie er war hat er wohl gar nicht mehr nachgedacht. Er wollte mir auch wohl noch eine Tracht Prügel verpassen, aber ich war schneller und hab versucht Mama zu finden. Sie lag in der Küche auf dem Boden und hat geblutet. Ich hab noch nie so viel Blut auf einmal gesehen. An ihrem Kopf, ihren Händen und auf dem Boden. Er hat ihr immer wieder in den Bauch getreten…“

Das Baby. Jay schluckte einmal mit trockenem Hals und konnte es nur schwer erfassen was das für ein Schock für Kadyn gewesen sein musste. Seine Mutter blutend am Boden und das nur weil dieser Mann nicht wollte, dass sie dieses Baby bekam. Allerdings vermutete er, dass Kadyn das mit dem Baby erst viel später durchschaut hatte.

„Sie war bewusstlos und ich hab sie nicht wach bekommen also wollte ich zu einer Freundin von meiner Mama laufen und Hilfe holen aber er hat mich schnell genug in die Finger bekommen und mich nicht weggelassen. Irgendwann war ich ihm wohl zu anstrengend und er hat mich gegen die Glasvitrine im Flur geschubst. Was danach war…Keine Ahnung als ich wieder wachgeworden bin war ich im Krankenhaus. Irgendeiner von den Nachbarn hat wohl die Polizei gerufen und die haben Mama und mich gefunden. Dieser Feigling ist abgehauen.“

Kadyn schien nicht weiter reden zu wollen, da er die Arme vor der Brust verschränkte und nur noch gepresst ein und ausatmete. Beruhigend ließ Jay seine Hand wieder zu seinem Nacken wandern.

„Was ist mit deiner Mutter passiert?“

„Sie hatte innere Blutungen. Sie war schon tot als der Krankenwagen kam.“

Eine ganze Zeit lang starrten beide in den Himmel, der inzwischen nur noch in einem matten grau leuchtete, da die Sonne bereits vollkommen hinter dem Horizont verschwunden war.

Jay wollte nicht mehr weiter nachfragen, da er den Rest seiner Geschichte bereits so gut wie kannte und Kadyn wahrscheinlich schon viel mehr erzählt hatte als er eigentlich jemals wollte.

Allein schon diese Tatsache machte Jay zwar unglaublich stolz auf das Vertrauen, andererseits hätte er auch alles dafür getan, dass Kadyn diese Erfahrungen nie hätte machen müssen.

Allerdings gab es noch etwas was unaufhörlich durch seinen Kopf spukte und ihm keine Ruhe ließ seitdem er wusste, dass Kadyn eine ganze Weile einfach verschwunden war ohne, dass irgendjemand wusste wo er war und in dieser Zeit mit der Drogenszene zu tun hatte.

Viele der Jungs in seinem Alter hatten einfach kein Geld für Drogen und entweder sie stahlen oder sie wählten die wesentlich einfachere Alternative.

Er verfluchte sich zwar selbst für seine Neugier aber es war verdammt wichtig für ihn das zu wissen.

„Danke, dass du mir das erzählt hast. Aber ich möchte noch was wissen…Du hast doch Drogen genommen, richtig?“

Kadyn nickte nur und behielt seine angespannte Körperhaltung bei was Jay nicht grade beruhigte.

„Bist du dafür anschaffen gegangen?“

Sofort versteifte sich sein ganzer Körper und es schien als habe Jay etwas angerührt was er noch mehr vor sich selbst und allen anderen verstecken wollte als das was er schon erzählt hatte.

Das Schweigen und die angespannten Nackenmuskeln, die er durch die warme Haut spüren konnte ließen die nächsten Herzschläge nur quälend langsam vorbei gehen und Jay überlegte bereits krampfhaft wie er diesen Fehler wieder gut machen konnte als Kadyn sich langsam aufrichtete, seine Sachen abklopfte und aufstand.

Er sah Jay nicht an, sondern auf einen Fleck im Sand, der ihn wahnsinnig zu interessieren schien, während seine Wangen nahezu brannten.

Mit einem knappen Seitenblick sah er auf Jay, der immer noch auf dem Boden saß und lief dann los in Richtung Klinik.

Jay wollte grade aufspringen, ihm hinterher laufen und sich entschuldigen als er erneut Kadyns raue Stimme hörte.

„Manchmal.“

Perplex ließ er sich zurück auf den Sand fallen und starrte Kadyn hinterher, als dieser mit ein wenig starren Bewegung die Düne hinauf stakste und dann dahinter verschwand.

Die Tatsache, dass er auch noch anschaffen gegangen war hinterließ zwar einen bitteren Nachgeschmack aber was ihm viel mehr zusetzte war Kadyns Blick.

So voller Trauer, Schmerz, Verzweifelung und Schuldgefühl.

Besonders das Schuldgefühl in seinen Augen ließ ihn den Kopf schütteln.

Kein Wunder, dass Kadyn niemanden an sich heran ließ.

Er glaubte der Grund für den Tod seiner Mutter, den Tod seines ungeborenen Geschwisterkindes zu sein.
 

„Obwohl er sie nur wegen mir verprügelt hat.“
 

Aufstöhnend ließ er sich nach hinten in den Sand fallen und starrte mit gefurchter Stirn zu den ersten einzeln aufblitzenden Sternen.

Es war nur logisch, dass er sich in sich zurückzog.

Wahrscheinlich hatte er einfach nur Angst, dass allen Menschen, die mit ihm zu tun hatten etwas Ähnliches passieren würde.

Schroff rieb er sich über die Augen als er daran dachte, dass er auch eine Zeit lang so gedacht hatte, als Vivien gestorben war. Nur hatte er einen anderen Weg gefunden damit umzugehen und er war auch einfach älter gewesen, sodass er das Ganze objektiv betrachten konnte ohne sich selbst dabei zu zerstören.

Kadyn war schon als kleines Kind zu der Annahme gelangt, dass er das Leben von zwei Menschen auf dem Gewissen hatte.

Ehm ja...Tut mir leid, dass das wieder so lange gedauert hat, aber irgendwie fehlte mir in letzter Zeit die Motivation und ich schreibe noch an einigen anderen Sachen^^"
 

Wünsche trotzdem viel Spaß x3
 


 

Seit einer Woche hatten sie nicht mehr über Kadyns Mutter gesprochen und Jay kam es schon fast surreal vor, dass er davon wusste.

Trotzdem war er grade auf dem Weg zu Agnes, um mit ihr über das weitere Vorgehen zu sprechen, da Kadyn zwar weiterhin Fortschritte machte, aber irgendwie mussten ja auch seine Therapeuten, die sich vornehmlich in den Therapien mit ihm beschäftigten wissen was genau in seinem Kopf vorging.

Seufzend drückte er die schwere Flurtür auf und warf einen Blick nach draußen.

Die hohen Fenster bildeten zu beiden Seiten eine Art Schaukasten, sodass er in dem Flurbereich in dem er sich grade befand zwar von allen Seiten gesehen werden konnte, aber genauso konnte er fast den ganzen Innenhof überblicken.

Zögernd blieb er stehen und starrte auf eine der hellgelben Bänke, die zwischen den von Agnes so geliebten Blumenbeeten standen.

Darauf saßen Kadyn, Sven und Samuel, die sich angeregt zu unterhalten schienen.

Während Sven und Samuel für ihn nicht hörbar lachten, flog ein zaghaftes Lächeln über Kadyns schmales Gesicht.

Unwillkürlich zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen und er drehte sich hastig um.

Die Angst dieses Lächeln zu zerstören kroch seit einiger Zeit immer unaufhaltsamer in ihm hoch und langsam zweifelte er immer mehr an sich.

Bevor er den Flurabschnitt ganz durchschritten hatte warf er noch einen kurzen Blick nach draußen und dieser kleine Ausschnitt gab den Anstoß.

Samuel hatte freundschaftlich eine Hand auf Kadyns Schulter gelegt und anstatt wie sonst zurückzuschrecken, sah der Schwarzhaarige zwar unsicher, aber dennoch gelassen aus.

Keine Angst und schon gar keine Panik lag in den blauen Augen, die im hellen Sonnenlicht lebhaft glänzten, während die schwarzen Haare vom salzigen Wind in sein filigranes Gesicht gewirbelt wurden.

Für einen Augenblick hatte er das Gefühl sein Magen würde sich in einen schweren Klumpen verwandeln und sein Herz schlüge nur noch zäh und schleppend weiter.

Gepresst einatmend wandte er hastig den Blick ab und lief zügig in die Richtung von Agnes Büro.

In seinem Kopf brodelte es und seine Hände zitterten als er an die schwere Tür klopfte.

Aber außer dem Surren des Heizkörpers zu seiner rechten war nichts zu hören und auch als nach einem erneuten Klopfen nichts zu hören war runzelte er nachdenklich die Stirn.

So wie er Agnes kannte hockte sie bereits wieder in einem ihrer Blumenbeete, da die offiziellen Gespräche mit den Stationsbetreuern erst Nachmittags stattfanden und sie nach dem Mittagessen meist irgendwo draußen anzutreffen war.

Also würde er sie draußen suchen müssen, da er ja so oder so mit ihr reden musste und je schneller er das hinter sich brachte desto besser war es.

Sonst würde er nicht nur Kadyn damit verletzen, sondern sich selbst noch mehr als er es im Moment schon tat.

Schwermütig stapfte er mit gesenktem Kopf durch die meist leeren Flure und die wenigen Patienten und Betreuer, die ihm entgegen kamen grüßte er nur mit einem knappen Lächeln.

Ihm war einfach nicht danach sich jetzt mit jemandem gut gelaunt über das Wetter oder irgendeine Belanglosigkeit zu unterhalten.

Seufzend schob er die Tür eines der Seiteneingänge auf und atmete tief ein.

Die grelle Sonne blendete ihn, aber er beachtete sie nicht weiter, sondern begann nach Agnes zu suchen.

Den Innenhof vermied er möglichst, auch wenn er einmal in Sichtweite von Kadyn und den anderen beiden jungen Männern war, aber er war sich ziemlich sicher, dass keiner von ihnen ihn gesehen hatte.

Einige Minuten später entdeckte er zwischen einigen höheren Büschen den hellen Strohhut Agnes´, der ihr immer wieder ins Gesicht rutschte sobald sie sich bückte.

Die ältere Frau summte wie fast immer eine bestimmte Melodie und bemerkte ihn gar nicht, während sie zufrieden in dem Beet kniete und bereits einige schwarze Streifen im Gesicht hatte.

„Agnes?“

Überrascht sah sie auf, jedoch schwächte sich ihr freundliches Lächeln sofort ein wenig ab, als sie Jays bedrückten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Hallo, Jay. Ist alles in Ordnung?“

„Mit Kadyn schon.“

Verwundert wanderten ihre Augenbrauen nach oben, erhob sich ihre Hose abklopfend und nickte zu einer der weiteren kleinen Bänke.

„Und mit dir?“

Hilflos zuckte er mit den Schultern und sah an ihr vorbei auf den Boden.

Es war ihm mehr als unangenehm mit Agnes zu sprechen, auch wenn er wusste, dass sie ihn wohl kaum verurteilen würde.

Trotzdem.

Er hatte Angst.

Nicht nur vor Agnes` Reaktion, sondern vor allem vor Kadyns und mit dem müsste er dann ja auch noch reden und er wusste noch nicht was er ihm erzählen würde.

Die Wahrheit sollte er nämlich nicht wissen.

Agnes saß bereits und klopft fürsorglich lächelnd auf den Platz neben sich, als Jay gedankenverloren immer noch einfach nur dastand.

Aus seinen Gedanken heraus gerissen setzte er sich dann doch neben sie und starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf seine ineinander verschränkten Hände.

Schweigend musterte die grauhaarige Frau sein Profil und runzelte nachdenklich die Stirn.

Sie hatte den jungen Mann bisher nur als freundlichen und gut gelaunten Menschen erlebt und seine derzeitige Stimmung bereitete ihr ein wenig Sorge.

Lief es mit Kadyn doch nicht so gut wie es den Anschein hatte?

Seit er von ihm betreut wurde hatte der Junge aber eine völlige Kehrtwende gemacht und vor Kurzem sogar mit ihr gesprochen, was sie so bald nicht für möglich gehalten hätte.

Was also konnte Jay jetzt so verunsichern, dass er nur weggetreten vor hin starrte?

Schließlich hatte er doch mit ihr reden wollen.

Allerdings sprach sie ihre Gedanken nicht aus, sondern lehnte sich zurück und wartete einfach darauf, dass Jay von selbst anfing zu reden.

„Kadyn hat mir erzählt was mit ihm passiert ist bevor er hier her kam.“

Nur mäßig überrascht senkte sie den Kopf ein wenig und forderte ihn mit einer leichten Handbewegung auf weiter zu sprechen. Es war für sich nicht wirklich verwunderlich, dass Kadyn sich ihm geöffnet hatte, da er anscheinend der Einzige war, der überhaupt nah genug an ihn herankam, um so etwas überhaupt zu erfahren.

„Sein Vater hat seine Mutter brutal zusammengeschlagen, weil sie schwanger war, sodass sie an ihren inneren Blutungen gestorben ist. Kadyn hat das alles aus dem Nebenzimmer mitbekommen und denkt anscheinend sogar jetzt noch, dass er daran schuld ist, dass sowohl seine Mutter als auch sein Geschwisterchen tot sind.“

Mit jedem weiteren Wort war größere Fassungslosigkeit in Agnes Augen zu sehen gewesen und fassungslos schüttelte sie nun nach einigen Augenblicken des Schweigens ihren weißhaarigen Kopf.

„Kein Wunder, dass er alle von sich stößt…“

Jay nickte lediglich und starrte gedankenverloren auf einen kleinen Vogel, der geschäftig in dem von Agnes kurz zuvor umgegrabenen Beet umher hüpfte und nach Würmern zu suchen schien.

Die helle Sonne spiegelte sich im bunten Gefieder des Vogels und die schwarzen Knopfaugen musterten ihn für einen Moment bevor sie sich wieder wichtigerem zuwandten.

Geduldig lehnte Agnes sich zurück, behielt ihren Angestellten jedoch aufmerksam im Blick.

Die sonst so lebhaften Augen waren völlig selbstvergessen ins Nichts gerichtet und langsam fragte sie sich wirklich was so schwerwiegend sein konnte, dass er es nicht einfach schaffte mit ihr darüber zu reden.

Als er jedoch sich in sein Schicksal ergebend aufseufzte richtete sie ihre volle Aufmerksamkeit auf das was er zu sagen hatte.

„Ich kann nicht hier bleiben.“

Das allerdings überraschte sie nun wirklich.

„Warum?“

Genau das war die Frage vor der er sich gefürchtet hatte, auch wenn er mehr als froh war, dass es noch nicht Kadyn war, der sie stellte, sondern nur Agnes bei der er sich mehr als sicher sein konnte, dass sie ihn verstehen würde.

„Ich…Ich bin schwul und…“

Hilflos presste er die Handflächen gegeneinander und starrte auf seine Schuhspitzen. Wie sollte er ihr das nur richtig erklären?

„Jay?“

Fragend, fast schon vorsichtig, legte sich eine warme Hand auf seine Schulter und er drehte den Kopf in die Richtung der sanft lächelnden Frau, die fast seine Mutter sein könnte.

„Hast du dich in Kadyn verliebt?“

Mutlos ließ er den Kopf wieder sinken und sah zur Seite, während er zögernd nickte.

„Deswegen kann ich nicht hierbleiben.“

„Warum nicht? Hast du mit Kadyn darüber gesprochen?“

Heftig schüttelte er den Kopf und kämpfte dagegen an den Tränen, die sich brennend hinter seinen Lidern sammelten, freien Lauf zu lassen.

„Das geht nicht.“

Agnes runzelte die Stirn, legte den Kopf schief und sah ihn fragend an.

„Wie kommst du darauf?“

„Weil ich ihm wehtun würde…Er vertraut mir und ich will ihn nicht verletzen. Außerdem…Würde er mir wehtun. Das kann ich nicht. Also werde ich irgendeine Ausrede finden und gehen.“

Seufzend drückte die Hand auf seiner Schulter sanft zu und ließ ihn dankbar in die traurigen Augen seiner Vorgesetzten sehen.

Er konnte in ihrem Gesicht sehen, dass ihr seine Entscheidung nicht gefiel, aber er vertraute darauf, dass sie seine Entscheidung akzeptieren würde.

„Ich finde nicht, dass du richtig handelst, aber wenn du glaubst, dass es für euch das Beste ist, wenn du gehst, dann werde ich dich bestimmt nicht zwingen zu bleiben. Auch wenn es wirklich schade ist.“

Jay nickte und erhob sich fahrig.

Er war ihr wirklich dankbar für ihr Verständnis, aber jetzt musste er mit Kadyn reden.

Eine Ausrede hatte er sich schon zurecht gelegt, auch wenn er es für sehr unglaubwürdig hielt wieder zurück in sein ehemaliges Heim zu gehen, da er darum gebeten worden war sich um einige schwer depressive Kinder zu kümmern.

Matt lächelnd reichte er Agnes die Hand und verfluchte sich selbst dafür seine Gefühle nicht besser unter Kontrolle zu haben.

„Danke. Wirklich.“

Seufzend erhob Agnes sich ebenfalls und zog ihn in die Arme.

Zunächst überrascht legte er dann ebenfalls die Arme um die rundliche, kleine Frau und atmete den beruhigenden Duft aus feuchter Erde, Blumen und warmer Haut ein.

Diese warmherzige und liebevolle Frau würde er mit Sicherheit vermissen.

Mit einem aufmunternden Lächeln schob sie ihn wieder von sich.

„Jetzt geh zu Kadyn und erklär ihm das.“

Bedrückt nickend versuchte er sich an einem Lächeln scheiterte allerdings daran.

Beim Knirschen einiger Kieselsteine hinter ihnen drehte er sich hastig um in der Befürchtung Kadyn könnte ihn gesucht haben.

„Samuel, was gibt es?“

Agnes lächelte den anderen Betreuer freundlich an und streckte ihm ein Stück weit ihre Hände entgegen.

Dieser runzelte jedoch nur die Stirn und musterte Jay mit einem schnellen Blick.

„Was hast du Kadyn erzählt? Er wollte nach dir suchen und ist grade Rotz und Wasser heulend in Richtung Strand gerannt.“

Jay glaubte für einen Blick einfach einen Tritt gegen den Brust bekommen zu haben, der alle Luft aus seiner Lunge presste und er spürte wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich.

Er hat mich gehört.

Dieser eine vernichtenden Satz hämmerte gegen seine Stirn und schien ihn anklagend anzustarren.

Warum hatte er sich nicht gedacht, dass Kadyn ihn nicht irgendwann suchen würde?

Er war so ein verdammter Idiot.

„Am Strand?“

Selbst für ihn klang seine Stimme gepresst und Samuels Blick hatte sich von fragend und nachdenklich in ehrlich besorgt gewandelt.

„Ehm ja, aber Jay was ist denn…“

Den Rest hörte er schon nicht mehr, weil er mit hämmerndem Herzen losrannte um Kadyn das zu erklären.

Noch irgendetwas zu retten.

Sooo~ da ich vorhin noch mit Kyo geschrieben habe hat mir das hier keine Ruhe mehr gelassen*grins*

Also sehr ihr hiermit das letzte Kapitel von Flotsam x3

(Gibt noch einen Epilog aber egal xD)
 

Wollte mich aber schon mal für die lieben Kommentare und Favos bedanken <3
 

In diesem Sinne...Viel Spaß <3
 


 


 


 

Hektisch flog sein Blick über den Strand, während er weiter rannte.

Seine Oberschenkel brannten und er hatte das Gefühl in seiner Luftröhre wäre Sand, der bei jedem Atemzug schmerzhaft über die Innenseiten scheuerte.

Weiße Gischt brandete an den Strand und das dunkelgrüne Schilfgras wiegte sich wie immer sacht im Wind und doch erschien ihm alles feindlich.

Gegen die anbrandenden Wellen konnte er nicht anschreien, der Wind riss alle Worte von seinen Lippen und im hohen Gras könnte er Kadyn einfach übersehen.

Er hatte schon längst den üblichen Pfad verlassen und rannte einfach über die Dünen, rutschte herunter und kletterte wieder hoch, wenn er glaubte irgendwo etwas entdeckt zu haben, was auch nur annähernd Ähnlichkeit mit Kadyn haben könnte.

Erst als er nicht einmal mehr wusste wo genau er sich grade befand sah er zwischen zwei Dünen etwas Schwarzes.

Obwohl er sich nicht sicher war, ob es wirklich Kadyn war riss er sich zusammen und beschleunigte noch mal sein Tempo.

Schlitternd kam er auf dem Kamm der Düne zum Stehen und starrte heftig atmend auf Kadyn der soeben den Kopf gehoben hatte und ihn wutentbrannt anstarrte.

„Was willst du?“

Er schrie ihn nicht an, tobte nicht und dennoch schnitt seine Stimme wie ein Messer in sein Selbstbewusstsein.

Panik stieg in ihm auf und er fuhr sich verzweifelt durch die Haare.

„Hör mir bitte zu…“

Innerhalb eines Herzschlages war Kadyn herumgewirbelt und stapfte davon.

Wie geohrfeigt blieb Jay stehen, starrte ihm einfach nur hinterher bevor er hastig die Düne herunter rannte, wobei er fast vorn über geflogen wäre.

„Kadyn! Warte!“

Der lief aber einfach stur weiter, hörte nicht auf ihn.

Innerhalb eines kurzen Sprints erreichte er ihn, griff nach seiner Hand und drehte ihn in einer schnellen Bewegung zu sich herum.

Die konzentrierte Wut, die ihn aus den eisblauen Augen traf ließ ihn jedoch sofort wieder einen Schritt zurücktreten und er versuchte etwas zu sagen wurde jedoch von Kadyn mit einer brüsken Handbewegung unterbrochen.

„Was willst du noch? Reicht es nicht, dass du einfach abhauen willst? Warum bist du überhaupt hergekommen? Willst du mir jetzt erklären, dass das ja gar nichts mit mir zu tun hat? Verdammt, ich hab dich doch gehört! Klar, ich werde dir weh tun! Sag mal spinnst du?“

Sprachlos starrte Jay auf diesen Sturm der sich vor seinen Augen zusammenbraute.

Er hatte die ganze Zeit in Kadyns Augen danach gesucht und jetzt hatte er ihn gefunden.

Die ganze aufgestaute Wut in Kadyn schien sich jetzt zu entladen und obwohl er sich dessen bewusst war glaubte er zu ersticken, als sich sein Herz zu einem schmerzenden, kleinen Klumpen zusammenzog.

Lautlos bewegte er die Lippen, wollte ihm das erklären.

„Was willst du hier? Dich heraus reden? Wenn du von Anfang an wusstest, dass du wieder gehen würdest, hättest du mich auch in Ruhe lassen können! Du verdammter Mistkerl! Kannst du dir eigentlich vorstellen wie es mir dabei geht? Aber nein, es ist ja wichtiger was mit dir ist! Hast du auch nur einen Augenblick darüber nachgedacht, dass du mich hier wieder allein lässt?“

Die eisblauen Augen schimmerten verdächtig und Jay glaubte eine einzelne Träne über die helle Haut rinnen zu sehen, aber Kadyn wischte sich grob mit der Hand über das Gesicht.

„Du kannst nicht einfach gehen. Das kannst du einfach nicht! Du kannst nicht kommen und gehen wie du willst…“

Jay atmete tief ein und streckte vorsichtig die Hand nach dem Schwarzhaarigen aus.

Als er ihn am Arm berührte zuckte dieser zurück und Jay biss sich hart auf die Innenseite seiner Wange um die brennenden Tränen zurück zu halten.

Seine kurze Berührung allerdings schien bei Kadyn alle Dämme gebrochen zu haben.

Haltlos liefen Tränen über seine Wangen und trockene Schluchzer schüttelten seinen Oberkörper, sodass er die Arme fest ineinander verschränkte.

Mit gesenktem Kopf stand er so vor Jay und wirkte noch unnahbarer als in der Zeit in der er nicht gesprochen hatte.

Jay zerriss es fast die Eingeweide ihn so leiden zu sehen und er war völlig hilflos.

Kadyn würde ihn nicht verstehen.

Da war er sich sicher.

Und dennoch.

Es ihm zu erklären war die einzige Chance, die er noch hatte ihn nicht in völliger Verzweiflung zurück zu lassen.

Denn genau das war er.

Jay war für ihn der erste seit einer gefühlten Ewigkeit, der ihm wichtig war und dem er vertraute und genau dieser Mensch enttäuschte ihn jetzt so tief.

„Kadyn…“

Die schmalen Schultern zuckten zusammen.

„Ich würde viel lieber hier bleiben…“

Seine Stimme brach fast bei diesen Worten, aber er versuchte sie noch halbwegs sicher klingen zu lassen, obwohl er selbst hörte wie sie zitterte.

Das Schluchzen wurde leiser, als würde Kadyn konzentriert darauf lauschen was er zu sagen hatte, jedoch hob er den Kopf nicht.

„Wenn es nur darum ginge was ich will würde ich hier gar nicht mehr weg gehen…Aber das wäre nicht gut für dich. Und für mich auch nicht.“

„Und warum tust du es dann nicht? Bleib hier…“

Jay war sich nicht sicher, ob Kadyn wirklich gesprochen hatte oder ob der Wind ihm einfach einen Streich spielte, da es kaum zu hören gewesen war, aber dennoch antwortete er trotzdem.

„Ich mag dich.“

Bei diesen Worten flog der schwarzhaarige Kopf hoch und fassungslose Augen starrten ihn völlig entgeistert an. Erst in diesem Moment wurde Jay klar, dass Kadyn nicht das ganze Gespräch gehört hatte.

Er hatte nur gehört, dass er gehen würde, aber nicht aus welchem Grund.

„Das ist das Problem? Du MAGST mich?!“

Die zuvor fast erloschene Wut loderte wieder auf und Kadyns zitternde Hände ballten sich zu Fäusten, sodass die Knöcheln weiß hervor traten.

Jay schüttelte betrübt und resigniert den Kopf.

„Ich mag dich zu sehr.“

Genauso schnell wie sie wieder aufgeflammt war erlosch die Wut in Kadyns Augen und er starrte Jay mit hängenden Schultern ratlos an.

„Wie…Zu sehr?“

Tief einatmend sah Jay an Kadyn vorbei auf das sich verdunkelnde Meer und rief sich das Lächeln des Jüngeren ins Gedächtnis, weil es eigentlich das war was er sehen wollte.

Nicht diese tränennassen, wütenden und ratlosen Augen, die ihn anklagend anstarrten.

„Ich liebe dich.“

Außer einer raschen Bewegung aus dem Augenwinkel sah er nichts von Kadyn und im ersten Schreckmoment dachte er, er würde weglaufen, doch schon im nächsten Moment brannte seine Wange vor Schmerz.

Vollkommen überrumpelt hielt er sich die schmerzende Wange und starrte Kadyn an, der heftig atmend vor ihm stand.

Für einen Moment schien etwas wie Überraschung und fast Entsetzen über sich selbst über sein Gesicht zu huschen, wurde aber fast sofort von Wut und Unverständnis abgelöst.

„Bist du irre? Deswegen willst du gehen?“

Immer noch sprachlos war Jay nicht zu einer wirklichen Reaktion fähig, sondern nickte nur matt.

Aus Kadyns eisblauen Augen stoben Funken und er bebte vor Zorn.

Zischend atmete er aus und fixierte Jay, als wolle er ihm am liebsten die Augen auskratzen.

„Wie kannst du es wagen…“

Seine leise, schneidende Stimme fraß sich in Jays Kopf und der Schmerz auf seiner Wange verblasste zu einem warmen Kribbeln im Gegensatz zu dem Schmerz der seinen ganzen Körper durchzuckte.

„Kadyn…Bitte…Es…Es tut mir leid, aber…“

Aber dieser schüttelte nur den Kopf, sodass die schwarzen Strähnen um das blasse Gesicht wirbelten.

„Ich will das nicht hören. Sag nicht, dass dir das leid tut.“

Hilflos streckte Jay die Hand aus um nach Kadyns Arm zu greifen, der drehte sich jedoch ein Stück zur Seite und wandte das Gesicht ab.

„Du kannst nicht gehen.“

„Kadyn…“

Überfordert ließ Jay die Hand wieder sinken und fuhr sich fahrig über die Augen.

„Was soll ich denn machen? Glaubst du wirklich, dass ich mich ewig zurück halten kann? Verdammt, ich will dir nicht weh tun!“

Immer noch ein wenig abgewandt senkte Kadyn den Kopf und Jay glaubte eine Träne über seine Wange rollen zu sehen.

„Dann tu mir nicht weh.“

Jay öffnete den Mund um etwas zu erwidern, ihm zu sagen, dass es nicht gehen würde, schloss ihn aber wieder weil ihm die Worte fehlten.

Er wusste nicht was er sagen sollte.

Und noch viel weniger wusste er was er tun könnte um Kadyn sein Lächeln zurück zu geben.

Kalter Wind blies ihm von hinten in den Nacken und ließ ihn frösteln.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten und seine Fingernägel bohrten sich in seine Handflächen, während er darum kämpfte die Tränen herunter zu schlucken, die sich immer noch ansammelten.

Er wollte jetzt nicht vor Kadyn weinen.

Sein Herz schlug unregelmäßig und schmerzhaft gegen seine Rippen, während sich das Schweigen zwischen ihnen wie ein Dolch immer tiefer in sein Inneres fraß.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hob Kadyn den Kopf und starrte ihn aus tränenverschleierten Augen an.

Seine Lippen bebten und seine Hände krampften sich um die jeweils umfassten Unterarme.

„Bleib…Bitte.“

Er flehte mit jeder Faser seines Körpers darum, dass er blieb und Jay bemerkte kaum wie die ersten Tränen über seine ausgekühlten Wangen liefen.

Zaghaft streckte er die Hand erneut nach Kadyn aus und betete darum, dass er nicht zurückwich.

„Auch wenn ich dich liebe?“

Er würde bleiben.

Selbst wenn es bedeutete jeden Tag tausend Tode zu sterben.

Auch wenn er jeden Tag das vor Augen haben würde was er niemals haben können würde.

Er würde ihn nicht einfach allein lassen.

Kadyn wich nicht zurück, sondern machte einen Schritt auf ihn zu und lehnte seinen Kopf mit immer noch vor der Brust verschränkten Armen an seinen Oberkörper.

„Idiot.“

Es war mehr ein Schluchzen als ein Wort und doch sah Jay schief lächelnd auf den schwarzen Kopf an seiner Brust.

Dass er das war, war ihm mehr als schmerzlich bewusst.

Vorsichtig hob er die Arme an, hielt jedoch in der Bewegung inne kurz bevor er Kadyn berührte.

„Darf ich?“

Das leichte Nicken ließ ihn vollständig lächeln, auch wenn ein bitterer Zug um seine Lippen lag und er legte die Arme sanft um den schmalen Körper, der sich zitternd gegen ihn lehnte.

Der kalte Wind blies stärker um sie herum und wirbelte den Wind zu ihren Füßen auf, sodass sich zunächst nur Jays Augen ungläubig weiteten.

Hastig senkte er den Kopf zu Kadyn hinunter.

„Kannst du das noch mal sagen?“

Mit blitzenden Augen sah Kadyn auf, während seine Wangen bereits rötlich schimmerten.

Die verschränkten Arme hatte er gelöst und seine Hände lagen locker auf Jays Brust.

„Ganz bestimmt nicht. Hör mir doch einfach ma…“

Bevor er seinen Satz zu ende bringen konnte überbrückte Jay die letzten Zentimeter, die sich noch getrennt hatten und küsste seinen Eisprinzen.

Dessen Augen weiteten sich zunächst erschreckt, dann jedoch schloss er sie und legte seine schmalen Arme um Jays Hals.

In Jays Kopf zuckten kleine, warme Blitze, die immer wieder das gleiche Bild hinter seinen geschlossenen Lidern ablaufen ließen.

Kadyn, der mit gesenktem Kopf in seinen Armen stand und leise ein „Ich dich auch“ flüsterte.

Glücklich lächelnd zog er den Körper näher an sich und vergrub sein Gesicht an Kadyns Halsbeuge.

Sanft küsste er die weiche Haut und atmete den leichten Geruch nach Meersalz und Kadyn ein.

Leise lachend drehte dieser den Kopf ein wenig und lehnte sich noch mehr an ihn.



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Kommentare zu dieser Fanfic (49)
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Von:  Feuerlotus
2009-05-10T15:28:37+00:00 10.05.2009 17:28
puuh... also ersma sehr gut erzählt ich dachte beim letzten kapi sterb ich ... diese vorwürfe und so einfühlsam dargestellt ...
ich hab nur ein bisschen impulshaftigkeit bei kadyn vermisst... hatte eigentlich erwartet das er ihn stürmisch und rau küsst... also weniger auf die sanfte tur wenn du verstehst ;)

die idee find ich super umgesetzt... erklärt wahrscheinlich warum ich die story nich aufhören konnte zu lesen ^^'

aber eins hat mich persönlich noch bei deinem schreibstil gefehlt (falls das jetz wirklich dazugehört *am kopf kratzt*), du machst deutlich zu wenig kommata. das macht es zum einen etwas schwerer zu lesen bzw den faden beim lesen nich zu verlieren und zum andern ist es in ruhigen momenten ein klasse stilmittel. und ruhige momente hast du eindeutig genug beschrieben^^

sonst gibts nix zu mekern und deine charaktere sind wie immer schön plastisch
*kadyn und jay durchknuddel*
*dir ein erfrischungsgetränk hinstell* hast du dir eindeutig verdient^^

biba^^

Von:  Feuerlotus
2009-05-09T20:30:17+00:00 09.05.2009 22:30
gänsehaut pur...
die umschreibungen sind einfach klasse..
hoffentlich bleibt der rest der geschichte auf so nem hohen niveau^^
freu michs chon drauf

biba

Von:  -Fluffy-
2009-02-02T08:27:38+00:00 02.02.2009 09:27
Die letzten beiden Kapitel waren wieder supi. Es ist schön, dass sich die beiden ihre Gefühle gestanden haben und Kadyn sich geöffnet hat. Das hat mir so richtig gut gefallen.
*knuddel*, das Fluffel
Von:  Mel_Vineyard
2009-01-27T14:28:02+00:00 27.01.2009 15:28
das ist so ein schönes ende!!
>>...und küsste seinen Eisprinzen.<<
der satz...einfach toll! =)))
ich bin froh dass ich für das vorletzte kap keine zeit hatte, so konnte ich beide auf einmal lesen...
das ist so süß, wie jay bis zum ende nicht im entferntesten daran denkt, dass kadyn ihn auch lieben könnte....und dann seine überraschung!!
lg
Mel
Von:  Cherry_Core
2009-01-26T15:40:04+00:00 26.01.2009 16:40
kawaiiii~ >.< *kaydn und jay fähnchen schwenk*
schade eig das schon schluss is *sniff*
aba die ff war echt tollig und deswegen freu ich mich auch schon gaaaanz riesig dolle auf den epilog *vor freude platz*
LG despa-fan
Von: abgemeldet
2009-01-26T14:58:31+00:00 26.01.2009 15:58
Super!!
So was tolles
Die zwei sind einfach zu süß
Totales missverständnis und dann klappts doch noch "freu"

Freu michs chon auf den Epilog =)
lg fireflys
Von: abgemeldet
2009-01-26T13:23:37+00:00 26.01.2009 14:23
uahhh wie schöööö~~n ich liebe diese ff xD
ich hab die bestimmt schon 3 mal komplett gelesen und dann tausendmal meine lieblingsstellen nachgelesen xD

hach die 2 sind sooo süß!
freu mich schon auf den epi

*pluschkeks hinsetzt*

et engelchen
Von:  Cherry_Core
2009-01-18T21:45:57+00:00 18.01.2009 22:45
heeey~
omg das is ne krasse wendung.. ob jay das wieder hinbiegen kann?
ich hoffe es doch ^^
freue mich schon sooo auf das nächste kappi <3
lg despa-fan
Von: abgemeldet
2009-01-18T19:43:42+00:00 18.01.2009 20:43
uahhh! omg..help... ich weiß nich was ich sagen sol...scheiße gelaufen, nich? aber mir gefällt der verlauf der geschichte...auch wenn sie nicht gut ist...

freu mich schon aufs nächste kapi^^

*plüschkeks dalass*

engelchen
Von: abgemeldet
2009-01-18T10:07:20+00:00 18.01.2009 11:07
ch nö
Jetzt hat er gerade so gute Fortschritte gemcht und dann das
Armer Kadyn das jetzt so mitzuhören
Bin gespannt, wies weitergeht und ob Jay noch zu ihm durchkommt
lg fireflys


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