Druiden von Mikoto-san ================================================================================ Kapitel 6: ihr wahres Wesen --------------------------- Meine Mutter staunte nicht schlecht, als ich zusammen mit Anton eintrat. Dieser jedoch zeigte ihr seinen Ohrring woraufhin sie keine Fragen stellte. Was hätte sie auch fragen sollen? Sie wusste, dass ich einen fremden Druiden nicht einfach so mit nach Hause nähme. Sie spürte es. Das war die einzige annähernd magische Fähigkeit der Menschen: Das Gespür einer Mutter für ihre Kinder. Diese Gabe besaßen allerdings nicht alle menschlichen Mütter. Doch meine gehörte zu jenen, die sie innehatten. Es beruhigte mich irgendwie zu wissen, dass sie etwas annähernd Vergleichbares mit meiner Kraft besaß. Es kam mir so vor als würde die Schlucht, die unser beider Grundwesen trennte, mich von meiner Mutter isolierte, dadurch ein wenig kleiner. Noch immer kein Wort miteinander wechselnd begaben mein neuer Konkurrent und ich uns auf mein Zimmer. Ich hatte Seidenpfote den ganzen Weg hierher getragen, aber nun sprang sie aus meinen Armen auf mein Bett. Ich setzte mich neben sie, Anton schnappte sich meinen Schreibtischstuhl. „Also, was sollen wir tun?“, fragte er. Als hätte ich die Antwort gewusst. Hilflos sah ich ihm in die Augen. Dann machte Seidenpfote mit einem lauten „Miau!“ auf sich aufmerksam. Wir blickten beide zu ihr, wobei nur ich ihre Worte vernahm: Es ist ein Junge gewesen. Er war schlank, aber muskulös. Mittelgroß, sehr blasse Haut, kurzes, rotes Haar. Ich gab die Informationen an Anton weiter, der sie sich augenblicklich einprägte. „Was“, hackte ich nach: „Macht dich so sicher, dass es ein Junge und kein Erwachsender war?“ Er trug eine Schultasche bei sich. Außerdem konnte ich einen Blick auf einige Schulbücher erhaschen, die ich schon von dir kenne, Artemis. Erstaunlich welch detektivische Fähigkeiten Seidenpfote aufwies. Es war fast als täte sie das nicht zum ersten Mal. Derartige Details merkte sich ein Laie niemals. Er nahm sie meist nicht einmal wahr. Wieder wirkte sie so fremd auf mich. Sie war nicht länger mein süßes, kleines Haustier, sondern ein intelligentes Wesen, auf dem Niveau eines Druiden. Sie war mir ebenbürtig. Ich spürte einen Stich in der Brust. Es war toll, dass ich mich nun mit ihr austauschen, mit ihr kommunizieren konnte, doch aus irgendeinem Grund überschattete eine unergründliche Trauer die Freude über diese Tatsache. Dennoch: Ich horchte auf, gab sofort die Aussage meines Kätzchens wieder. „Was für Schulbücher? Welche Stufe, welches Fach?“, verlangte mein neuer Konkurrent sogleich zu wissen. „Hallo, Anton? Jemand zu Hause? Seidenpfote ist eine Katze. Woher soll sie lesen können?“, teilte ich ihm mit um meiner Skepsis Luft zu machen. Jedoch belehrte mich mein plötzlich so unglaublich intelligentes Kätzchen eines Besseren. Ich lauschte seinen Worten ehe ich mich wieder an den anderen Druiden wandte: „Unsere Stufe, Biologie und Geschichte.“ „Gibt es noch andere Gymnasien in dieser Gegend?“ „Nein, jeder im Umkreis der nächsten paar Orte geht auf unseres. Alle anderen sind zu weit weg. Wir können den Kreis also um unsere gesamte Stufe ziehen.“ „Das sind um die 60 Schüler. Wir müssen also ziemlich gut suchen. Kannst du dich an jemanden erinnern, der auf diese Beschreibung passt?“ Ich überlegte kurz. „Nein, zumindest in unserer Klasse nicht. Bleiben noch 39 Verdächtige übrig.“ Mein neuer Konkurrent stieß einen Seufzer aus. Dann wandte er sich zu meiner Überraschung direkt an Seidenpfote: „Hast du denn nicht noch etwas gesehen, dass uns einen Hinweis auf seine Identität geben könnte?“ Ein mattes Maunzen bedeute uns, dass dem leider nicht so war. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Augen offen zu halten.“, stellte ich fest. Der Blick, den Anton mir daraufhin zuwarf, jagte mir einen Schauer über den Rücken: „Wir haben aber nicht so viel Zeit!“ „Das ist mir durchaus klar!“, erwiderte ich gereizt: „Aber hast du vielleicht eine bessere Idee? Wenn dem so ist, ich höre!“ Er senkte seine Augen zu Boden. Plötzlich tat er mir leid. Ich hatte mich zu sehr von meinen Emotionen leiten lassen. Einige Herzschläge später murmelte ich ein kleinlautes „Tut mir leid.“ und starrte dann meinerseits auf den Boden. „Schon gut, ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Es ist nur …“, der Ton meines neuen Konkurrenten wechselte von beschämt zu bedrückt. Ich konnte ihn gut verstehen. Die Situation, in der wir uns befanden, war alles andere als einfach. Es bestand hohe Gefahr. Nicht nur für uns, die wir als wohl einzige dieser gewahr waren, sondern auch für all die Menschen, Tiere und Geister in der Gegend. Es war unsere Pflicht als Druiden sie zu schützen. Seidenpfote kletterte auf meinen Schoß und miaute mich an. Ihr Blick und meiner trafen sich. Ich hatte das Gefühl in ihren intelligenten Augen gefangen zu sein. Sie wirkten so tief, so scharfsinnig. Wie ein See aus flüssigem Gold. Ich konnte mich nicht von ihnen abwenden. Diese Augen voller Leben. Dieser klare Blick. Wie ein Druide. Nein, wie ein … „Es ist schon spät, ich sollte jetzt nach Hause gehen.“, Antons Stimme riss mich aus meinen Gedanken, ich drehte meinen Kopf ruckartig zu ihm, der jetzt schon an der Zimmertür stand: „Wir sollten uns morgen genau umsehen. Ich hoffe er hat unsere Gesichter noch nicht gesehen. Gute Nacht.“ Fast wie in Trance nickte ich: „Gute Nacht.“ Kaum war die Tür geschlossen machte mein Kätzchen erneut auf sich aufmerksam. Als ich sie ansah konnte ich mich der Frage nicht erwehren, die sich mir stellte. Ich musste die Antwort wissen und gleichzeitig fürchtete ich sie, denn mir war vor nur ein paar Augenblicken etwas klar geworden, dessen ich Gewissheit haben wollte. Langsam zog Seidenpfote mich wieder in ihren Bann. Das erschreckte mich und ich versuchte dagegen anzukämpfen, auch wenn ich längst wusste, dass es zwecklos war. Gleichzeitig jedoch fühlte ich mich derartig geborgen, als umhüllte mich eine warme, schützende Kraft. So vertraut, so angenehm, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Frag ruhig, Artemis. Hab keine Angst, es ist in Ordnung., erschallte die Stimme meines Kätzchens in meinem Kopf. Und ich gehorchte: „Was bist du? Du bist doch … Du bist-“ Ich brach mitten im Satz ab. Ich wusste, dass ich meine Frage nicht zu Ende stellen musste. Dieses Mal war ich mir absolut sicher ein gutmütiges Lächeln in Seidenpfotes Augen zu sehen. Ich bin das Chaos und die Ordnung, Mensch und Druide, das Leben und der Tod. Ich bin … Obwohl ich bereits meine Gewissheit gewonnen hatte, spannte sich etwas in mir bis zum Zerreißen an. Ich wusste nicht, ob ich versuchte vor der Wahrheit davonzulaufen oder ihr entgegenfieberte. Die Gottheit des Gleichgewichts. Und du, meine kleine Artemis, bist meine Verbindung zwischen den Welten. Ich hatte jetzt wirklich das Gefühl zu zerreißen. Plötzlich befand ich mich in einem Strudel von Gefühlen, die so stark waren, dass ich glaubte sie erstickten mich. Dennoch hatte Seidenpfote eine weitere Frage in mir aufgeworfen. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste ich diese schließlich hervor: „Gottheit? Aber du bist doch eine Frau?“ Sie schüttelte sanft das Köpfchen. Nein, Artemis, meine Gestalt und mein Geschlecht genauso wie auch meinen Namen erhalte ich von meiner Verbindung. Meine jetzige Erscheinung hast du mir gegeben. Ich konnte nichts tun als ihr zuzuhören und zu versuchen mich nicht von diesem Strudel starker Gefühle mitreißen zu lassen. Es ist alles in Ordnung, meine Kleine. Versuch nicht länger es zurückzuhalten. Ich habe so lange darauf gewartet mich dir endlich offenbaren zu können. Schon seit du noch im Leib deiner Mutter geschlafen hast. So sehr habe ich mich danach gesehnt …, das Lächeln in den Augen meines Kätzchens war nun nicht mehr nur gutmütig. Es war viel zärtlicher, mütterlicher geworden. Auch der Klang ihrer Stimme, die nur ich wahrnehmen konnte, glich dem einer fürsorglichen Mutter. Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen und begann zu schluchzen. Aus Trauer. Aus Freude. Aus Schmerz. Das Seidenpfote mir ihr wahres Wesen offenbart hatte, jagte mir Angst ein und es machte mir überdeutlich klar, dass mein Haustier, die knuffige, kleine, schwarze Katze, nicht mehr existierte. Im Gegenteil: Es hatte sie nie gegeben. Andererseits fühlte es sich an, als sei ich endlich vollständig. Als hätte ich einen Teil von mir zurückbekommen, der mir schon immer gefehlt hatte. Und nicht nur das: Ich fühlte mich so unglaublich geborgen. Ich konnte die Aura spüren, die von der Gottheit ausging, die in Gestalt einer Katze auf meinem Schoß saß. Sie hatte die Form einer Frau angenommen und umarmte mich. Eine warme Umarmung wie die einer Mutter. Einer echten, liebenden Mutter, wie meine eigene. Aber dieses Gefühl der Geborgenheit war um ein vielfaches stärker als jenes, das ich bei meiner richtigen Mutter verspürte. Und diese Erkenntnis schmerzte. Mehr als alles andere. Mehr als die Erkenntnis, dass meine Mutter, deren Blut in meinen Adern floss, nicht einmal der gleichen Art wie ich angehörte. Dass sie mich nie verstehen konnte. Denn jetzt wurde mir bewusst, dass ich sie nie als meine Mutter angesehen hatte. Nie … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)