Assoziatives Schreiben von Technomage ================================================================================ Kapitel 3: Satz 08: Sturm in der Teetasse ----------------------------------------- „Er hat mit seinem Mörder Kräutertee getrunken, wie die Überreste in den Tassen zeigen“, merkte Inspektor Ian Crowley an, während er einen verschlossenes Plastikbeutelchen mit den ausgekratzten Resten und Teekrümeln über die Theke des Ladens schob, „doch es ist schwer Experten für solche Fragen aufzutreiben, weswegen ich sie aufsuche, Doktor.“ Dr. William Gallagher, der es – wie Crowley wusste – schätze bei seinem Titel genannt zu werden, obwohl er nur Besitzer eines Teeladens war, zog das Beweisstück von der anderen Seite der Ladentheke zu sich. Mit gespreiztem Daumen und Zeigefinger hochhebend begutachtete er den Inhalt gegen das Licht. Die jungen Züge seines Gesichts zerknitterten erste, zarte Falten und auch seine vollen, dunkelbraunen Locken durchwob feines Grau. Die Weste mit Taschenuhr und das gestreifte Hemd rundeten das Bild eines gutherzigen, englischen Gentlemans in den Dreißigern ab. In einer Mischung aus kritischer Analyse und kindlicher Neugier begutachtete er lange das gehaltene Objekt. Crowley nahm auf einem der Hocker an der Theke Platz. In der Atmosphäre des Ladens und vor allem der Gegenwart seines Besitzers fühlte er sich weiterhin deplaziert. Obwohl kaum jünger als der Doktor kam er sich wie unangebrachter Witz vor in seinem mehr schlecht als recht gebügelten Polizeianzug und unrasiert seit Tagen. An seinen letzten Haarschnitt konnte er sich nur noch vage erinnern. Er zwang sich dem Gefühl von Ehrfurcht und Ruhe nicht nachzugeben, welches Gallaghers Präsenz jedes Mal aufs Neue in ihm weckte, und sich auf seine Pflichten als Polizist zu konzentrieren. Auch wenn er die Gesellschaft des verträumten Teeliebhabers mit der spät abgebrochenen akademischen Laufbahn in den letzten Wochen zu schätzen gelernt hatte. Oft hatte er sich nach Feierabend in dessen Laden auf Tee und Diskussionen über Byron und Austen eingefunden, doch heute war er – wie eigentlich immer - zu allererst Staatsdiener und Ermittler. Wie in einer Geste der Ermahnung an sich selbst zog er seinen Anzug zu Recht und richtete die Krawatte, während Gallagher den Beutel mit Teeresten wieder auf der Theke absetze. „Und ihnen fehlt jede Spur, um den Täter anderweitig zu identifizieren, Mr. Crowley?“ Besorgt hob der Teehändler die schmalen Brauen, um wie einen Teil der Frage nachzusetzen: „Eine Tasse Tee?“ „In der Tat, Doktor“, bestätigte der Inspektor nickend, „wir können nicht einmal sicher sein, ob der Tee etwas mit dem Mord zu tun hat. Die Analyse der Substanz bereitet uns ebenso große Schwierigkeiten, wie alles andere. Wir tappen im Dunkeln.“ Normalerweise sah er sich vor Außenstehenden Informationen über die Ermittlungen Preis zu geben, – selbst wenn es eigentlich keine Informationen gab, wie er sich hier eingestehen musste – doch ließ die kurzweilige Freundschaft zu William Gallagher ihn überraschend nachlässig werden. Sowohl für seine Prinzipien, als auch für seine Dienstvorschriften. Hatte er den Teehändler doch erst bei den laufenden Ermittlungen kennen gelernt, da eines der Opfer verschiedene Teesorten aus Gallaghers Laden besaß und er Crowley als eine gute Anlaufstelle erschien, um mehr über den „Kräuterteemörder“ herauszufinden. Der Polizist lachte innerlich und konnte nicht umhin sich zu fragen, ob die Namensgebung der Presse schon immer so durchschaubar gewesen war. „Selbst aus den Resten lässt sich sehen, dass es sich um keinen einfach gekauften Tee handelt“, begann der Doktor zu erläutern, während er Wasser aufsetzte und Tassen bereitstellte, „sondern um eine zusammengestellte Mischung. Aber das werden sie vermutlich auch schon erkannt haben, als sie es nicht zuverlässig analysieren konnten.“ Der Inspektor nickte nur stumm. Ihre Experten waren nach durchnächtigten Wochen am Rande des Nervenzusammenbruchs bei dem Versuch die einzelnen Komponenten der Teereste zu bestimmen. „Weiterhin will ich mit auch nur einem Blick behaupten, dass es sich um keine mir bekannte gängige Mischung handelt“, setzte Gallagher fort, während er aus einer der Hunderten kleiner Schublädchen, die die hintere Wand seines Ladens bildeten, zwei Fingerspitzen einer Teemischung in die Tassen streute, „vielmehr höchstwahrscheinlich eine sehr individuelle Kreation. Will sagen: es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Tee in direkter Verbindung zum Täter steht.“ Der Teekessel pfiff und Crowley ordnete die Aussagen des Doktors in seine bisher spärlichen Erkenntnisse ein, als er diesem zusah, wie er dampfendes Wasser in die Tassen goss. Erst tanzten die getrockneten Blätter und Blüten vom heißen Wasser zu neuem Leben erweckt in seiner Tasse umher, doch schon bald sanken sie zu Boden und legten sich wieder – tot wie sie waren – zur Ruhe. „Können sie feststellen, welche Inhaltsstoffe der Tee enthielt, von dem die Überreste stammen, Doktor?“, fragte der Polizist, ohne vom Sturm in der Teetasse aufzusehen. „Nicht mit den Augen allein“, antwortete der Teehändler und seine feingliedrigen Hände begannen geschickt den Beutel zu öffnen. „Wäre ja auch zu schön gewesen.“ Crowley nippte am Tee und ließ sich das würzige Aroma durch den Mund gleiten, bevor er es herunterschluckte. „Würde die ganze Welt in Rauch aufgehen, Mr. Crowley, dann würden wir mit der Nase sehen.“ Der Doktor grinste verschmitzt, während er fachmännisch am geöffneten Beutel roch. „Nietzsche?“ „Vorsokratiker.“ „Ich werde nie verstehen, weshalb sie den Geisteswissenschaften den Rücken gekehrt haben.“ Der Inspektor lächelte kopfschüttelnd. Er selbst hatte nach wenigen Semestern erfolglos sein Studium abgebrochen und hatte sich seiner praktisch veranlagten Natur gebeugt. „Sie wissen, ich schätze Abwechslung in meinem Leben und brauche die Spannung des Neuen, Mr. Crowley. Zumindest sind die Menschen, mit denen ich mich heute tagtäglich beschäftige alles andere als tot und verstaubt.“ Vorsichtig zerbröselte Gallagher einige Brocken aus dem Beutel zwischen den Fingern und roch. „Eine wirkliche interessante Komposition. Er ist ein Kenner. Ein Schöngeist, will ich meinen.“ „Kennen sie die Zusammensetzung, Doktor?“ Der Polizist sah ihn begierig an, doch der Teehändler schüttelte lächelnd den Kopf. „Die Mischung ist äußerst facettenreich“, stellte er mit einer Spur von Bewunderung fest, während er einen Schluck aus seiner eigenen Tasse nahm, „ganz ähnlich jener, die wir gerade trinken, doch auch wieder gänzlich verschieden. Ich werde ihnen notieren, was ich erkenne, befürchte jedoch, dass ich ihnen weiter keine Hilfe sein kann, Mr. Crowley.“ Für eine Sekunde war der Inspektor aufgeschreckt, als Gallagher die Ähnlichkeit zu ihrem eigenen Getränk erwähnte, doch schnell belächelte er die Vorstellung gerade „das Gift“, die mögliche Mordwaffe, zu sich zu nehmen. Märchen von vergiftetem Tee, den die Laboranalyse der modernen Kriminologie nicht nachweisen konnte, waren ein allzu unnützes Hirngespinst. Natürlich hatte Inspektor Crowley zu Anfang in Betracht gezogen, dass es sich beim äußerst intelligenten Teekenner Dr. William Gallagher um einen Verdächtigen und möglichen Täter handeln könnte; schon allein, weil es zu einer gedanklichen Routine seiner Arbeit gehörte. Doch schnell hatte er die Idee verworfen ein kreatives Genie von einem gewieften Mörder vor sich zu haben, es als einen Detektivtraum seiner lebhaften Fantasie abgetan. Professionelle Polizeiarbeit funktionierte so nicht. „Mr. Crowley?“ Der Polizist schreckte aus seinen Überlegungen hoch und sah den Teehändler gedankenverloren an, welcher ihm einen säuberlich beschriebenen Zettel über die Theke schob. „Ja?“ „Noch eine Tasse Tee, Mr. Crowley? Sie sehen überarbeitet aus.” “Nein … ahm …”, langsam vor sich hin faselnd versuchte der Inspektor seine Gedanken zu ordnen und schüttelte schließlich klärend den Kopf, „Nein Danke, Doktor. Ich fürchte, die Pflicht ruft.“ Er überflog kurz die auf der Theke liegende Liste und steckte sie dann zusammen mit dem Beutel ein. „Sie schließen aus, dass der Tee etwas enthielt, was für den Tod direkt verantwortlich sein könnte?“ „Absolut, Mr. Crowley. Der Tee war so ungefährlich wie der, den wir gerade zusammen getrunken haben. Das kann ich trotz aller Ungewissheit sicher sagen.“ Er lächelte freundlich. Inspektor Ian Crowley bedankte sich für die Mühe des Doktors und ging, versprach aber sobald es seine Zeit zuließ dem Laden abends wieder einmal einen Besuch abzustatten, wenn er nicht im Dienst war. Mit einem gutmütigen Lächeln blickte Dr. William Gallagher seinem Freund und Kunden hinterher und verharrte noch eine Weile regungslos nachdem die Ladenglocke verklungen war. Dann machte er sich seufzend daran die Tassen von der Theke zu räumen. „Möglicherweise ist es langsam an der Zeit für eine neue Abwechslung.“ Abschließende Anmerkungen: Wie immer erst einmal vielen Dank an jeden, der so weit gekommen ist und diesen Beitrag gelesen hat. Um noch ein paar Zeilen mit Gedanken und Gelaber zu füllen sei gesagt, dass meine Assoziationen dieses Mal wieder ein ziemliches Fragment geworden sind und mir dies auch bewusst ist. Rahmenbedinungen und genaue Informationen lassen zu wünschen übrig, ebenso wie eine eindeutiges Ende bzw. eine Klärung. Dennoch bin ich eigentlich sogar halbwegs zufrieden mit der Geschichte. Es sollte eine Momentaufnahme werden, eine möglichst klar sichtbare Szene mit kleinen, subtilen Spannungen und Liebe zum Detail, aber keinem großen Handlungs- und Spannungsbogen. Gewissermaßen eine Szene, um die herum man das restliche Stück aufbauen müsste, um klare Verhältnisse zu haben. Ich hoffe das ist mir ein wenig gelungen. Für grobe Schnitzer im Bezug auf das Wissen über Kriminologie, polizeiliche Rechte, Pflichten und Verhaltensweisen, sowie Tee bitte ich gnädigst um Entschuldigung, da ich alles natürlich aus dem Gedächtnis bzw. nach Intuition und Stimmigkeit entworfen habe. Abschließend möchte ich nur nochmal ganz pauschal betonen, dass ich Tee für eine verdammt stilvolle Mordwaffe halte (, ob er es in diesem Fall nun war oder nicht ^_~). Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)