Assoziatives Schreiben von Technomage ================================================================================ Kapitel 8: Satz 12: Großer weißer Jäger --------------------------------------- Er packte sie mit beiden Händen um die Kehle und schüttelte sie wie ein tollwütiger Hund. Es war naheliegend es so zu tun, denn der Unterschied von einem wild gewordenen Hund zu einem Wolf war nur minimal, wenn ein Mensch ein Tier mit bloßen Händen erwürgte. Er war früher schon ein Bär von einem Mann gewesen und nun viele Winter der weiße Jäger des Stammes, was im Bezug auf Menschlichkeit langsam die Grenzen verschwimmen ließ. Weißes Reh stand nur ungerührt daneben, während die große Wölfin zwischen seinen Pranken von Händen in der Luft zappelte, mit den Läufen ausschlug und japsend um sich biss, doch allein dass sie zusah und sich nicht abwendete rechnete er seiner Schülerin hoch an. Auch wenn er sie in den Wintern ernährte, kam er vielen Bewohnern des Dorfes wie ein bestialisches Ungetüm vor; ein unabdingbares Übel, mit dem sie leben mussten. Er nahm es nach unzähligen Jahren nicht mehr sonderlich schwer, doch als er seine Bestimmung als junger Mann angetreten hatte – so wie Weißes Reh sie in wenigen Jahren als junge Frau antreten würde – war die Ablehnung und damit verbundene Vereinsamung prägend gewesen. Er würde, nachdem er die Aufgabe an sie abgetreten hatte, noch viele Jahre bei ihr sein, doch dann würde es auch ihn irgendwann in die Wildnis hinaustreiben. Der Kiefer der Wölfin könnte problemlos den Arm eines Menschen durchtrennen, wenn sie ihn zu fassen bekam, und selbst ihre Krallen unangenehme Wunden reißen, doch auch wenn es ihm deutlich weniger zu schaffen machen würde, ließ er es so weit nicht kommen. Sie hing in seinen ausgestreckten Händen wie in einem Galgen und er und Weißes Reh warteten auf das Knacken der Wirbelsäule oder das Ersticken. Eins von beidem trat früher oder später ein. Er war damals von seinem Mentor, dem vorherigen weißen Jäger, angewidert gewesen, wenn dieser sich den Gefahren der Natur mit reiner unbändiger Gewalt seines Körpers gestellt hatte, doch mit dem Wandel der Jahre hatte er den Alten verstanden. Anfangs hatte er selbst noch mit dem Bogen und Fallen gejagt, später mit Speeren und irgendwann mit Messern, ebenso wie es Weißes Reh auch tun würde. Doch mit der Bestimmung kam die Veränderung und auch wenn der Wandel nicht bei jedem Weißen gleich ablief, so konnte er jetzt schon an Weißes Reh die Spuren erkennen, die ihr selbst vermutlich nicht bewusst waren. Er riss den Wolfskörper in einem weiteren kräftigen Ruck umher und nach einem schmatzenden Brechen hing dieser so unmittelbar regungslos in seinem Griff, wie er sich eben noch nach Leibeskräften gewehrt hatte. Er ging in die Knie und ließ ihn in den Schnee fallen. Ein leichtes Knistern der überfrorenen Schneedecke. Dampf stieg auf vom durch Anstrengung erhitzten Körper. „Zerleg' es.“ Weißes Reh passierte ihn ohne Zögern oder Augenkontakt, machte sich an ihre Aufgabe. Er stand nur da und sah den Hügel hinab in die Ferne, während die schneidenden und glitschigen Geräusche ihres Handwerks die ruhige Landschaft erfüllten. Ein warmer Dunst stieg auf. „Muss es so sein?“ Ihre schmalen Hände arbeiteten weiter und ihr Blick wandte sich nicht ab, während sie in der Bauchhöhle der Wölfin herumwühlte. „Das Jagen?“ Er betrachtete wie das Blut den Schnee und ihre Hände durchtränkte, jedoch ohne auf ihre Handgriffe zu achten. Sie verstand sich bereits bestens darauf und er hatte ihr nichts mehr beizubringen. „Ja. Hätte sie nicht einfacher sterben können?“ Sie hat gemerkt, dass es eine Wölfin war. Gute Schülerin. „Schneller, nicht einfacher.“ „Einfacher für dich?“ Sie ging zum Schlitten herüber und holte Lederbeutel und Utensilien heraus, um die verwertbaren Teile für den Transport bereit zu machen. Alles Übrige ließen sie für die anderen Tiere hier und fanden bei der nächsten Jagd nie mehr ein Anzeichen davon. „Natürlich. Es gibt einfache Arten zu töten. Nie eine einfache Art zu sterben.“ Weißes Reh sah ihn an, die hellen Augen vernebelt und getrübt von Nachdenklichkeit, die ihm aus verblassender Erinnerung nur allzu bekannt war. Diese Gespräche waren wichtig. Das einzige, was er ihr wirklich geben konnte. Die Kunst des Jagens lag ihr wie ihm ebenso im Blut wie Atmen und Schlafen und sie würde es auch alles ohne seine Anleitung mit spielerischer Leichtigkeit meistern, doch die Bedeutung und das Schicksal war niemals zu verstehen; erst recht nicht allein. „Ist es schnell denn nicht auch einfacher? Und leichter für das Tier?“ Er bleckte grinsend das Gebiss, das massiven Fangzähnen immer ähnlicher wurde. „Es dem Tier leicht zu machen wird am Anfang dein Gemüt beruhigen, aber irgendwann wird es dir wie mir gehen und dem vor mir und der vor ihm ...“ „Und vielen unzähligen davor“, ergänzte sie wie in einem Gebet. „... und du wirst einfach empfinden, was dir dein Instinkt sagt. Wir weißen Jäger gehen alle mit dem Instinkt. Wir müssen ihn annehmen, wenn wir uns nicht selbst zerfleischen wollen.“ „Wörtlich gesprochen?“ Eine helle Neugier schimmerte im trüben Klar auf. „Der Alte, Weißes Karibou, hat mir erzählt von einem vor vielen unzähligen Wintern, dem seine Natur so zuwider war und der sie nicht akzeptieren konnte, dass der Wandel seine Gestalt schmerzhaft und zu seiner höchsten Qual veränderte.“ „Mh.“ Sie erhob sich und warf sich einen der ledernen Säcke über die Schulter, um ihn zum Schlitten zu tragen. Während er die restlichen Teile der Jagdbeute verstaute, wusch sie sich die Hände und das Gesicht im Schnee. „Bringen wir die Gaben ins Dorf und gehen wir dann nach Hause. Es war ein anstrengender Tag.“ Er warf sich die Zugleinen des Schlittens um und Weißes Reh lief mit leichtfüßiger Schnelligkeit hinter ihm her, um mit seinem weiten Stapfen Schritt zu halten. „Ja, das war es.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)