Zerspringende Ketten von Benjy ================================================================================ Kapitel 2: Erinnerungen ----------------------- Naoe öffnete die schweren Augenlieder und versuchte etwas zu erkennen. Ihm tat der Schädel weh und er hatte das Gefühl, dass ihm sein restlicher Körper den Dienst versagt zu haben schien. Wo bin ich? Was ist passiert... Er versuchte sich zu erinnern, aber da war nur Schwärze, gepaart mit stechendem Schmerz. Es fiel ihm zunehmend schwerer, die Augen offen zu halten, so dass er sich entschloss, sie wieder zu schließen. Er seufzte erleichtert. Wenigstens bin ich noch in meinem gewohnten Körper, auch wenn er sich gerade alles andere als toll anfühlt..., stellte Naoe beruhigt fest und versank wieder in der traumlosen Leere. Als er erneut erwachte, spürte er, dass sich jemand in seiner Nähe befand. Er hörte das Geräusch eines Tabletts, was in seiner unmittelbaren Umgebung abgestellt wurde. Zudem nahm er einen süßlichen Blumenduft in der Luft war, der ihm bekannt vorkam, aber er war nicht in der Lage, ihn zuzuordnen. Sein Kopf ließ noch immer keinen klaren Gedanken zu, aber zumindest hatte sich der dumpfe Schmerz in seinem Schädel gelegt. Er hatte gerade vor, seine Augen zu öffnen, als er spürte, wie ein kühler Lappen auf seine Stirn gelegt wurde. Er unterdrückte ein Zucken und behielt die Augen geschlossen. Er genoss die frische Kälte auf seiner Stirn und konzentrierte sich wieder auf die Wahrnehmungen seines Gehörsinnes. Die Person schien sich durch den Raum zu bewegen. Er lauschte den Geräuschen von Vorhängen, die zurückgezogen wurden und bemerkte sofort die Helligkeit, die durch seine geschlossenen Augenlieder drang. Ein Grund mehr, die Augen geschlossen zu halten..., stellte er nüchtern fest und versuchte, durch sein Gehör die Position der Person zu festzustellen. Auch wenn er sich gegenwärtig an nichts erinnern konnte, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Er hörte weitere Geräusche. Es wurde ein Glas mit Flüssigkeit gefüllt und anschließend setzte sich die Person auf einen Stuhl oder ähnliches. Stille. Naoe spürte, dass er langsam nervös wurde. Ab und zu wurde die Stille durch die Schluckgeräusche der Person und das Knarren der Sitzgelegenheit unterbrochen. Er überlegte, ob er die Augen öffnen und versuchen sollte, sich in eine günstigere Verteidigungsposition zu bringen, aber diesen Gedanken verwarf er gleich wieder. Er fühlte, dass, unabhängig von dem dumpfen Schmerz in seinem Kopf, etwas mit seinem Körper nicht stimmte. Er beschloss zu warten und musste nicht lange ausharren. „Wieso öffnest du nicht einfach deine Augen und erzählst mir, warum du Minako getötet hast!“ Naoe gefror das Blut in den Adern. Er dachte, er wäre auf alles vorbereitet gewesen, aber dies ließ ihn schwindeln. Er erinnerte sich blitzartig an alles, was geschehen war. Woher er diese Stimme kannte, warum sich sein Körper so mies anfühlte, und weshalb er irgendwo in einem Bett lag, welches ihm nicht vertraut war. Er stöhnte. Woher kannte Takahashi-san Minakos Name? Wann hat sie es geschafft, mich zu überwältigen? Warte, genau. Ich habe zusammen mit ihr etwas getrunken, während sie mir von ihrer Angelegenheit berichtete, bei der ich ihr behilflich sein sollte. Betäubungsmittel. Ja, genau danach fühlt sich mein Kopf an, aber was noch? Was stimmt sonst noch nicht mit mir? Naoe untersuchte im Geiste seinen Körper. Er versuchte alles Ungewöhnliche zu erspüren und blieb an seinem linken Knöchel hängen. Dort befand sich etwas, was vorher nicht da gewesen war. Er fühlte die Kälte eines eisernen Gegenstandes, welcher seinen Knöchel umschloss. Ihm wurde sofort bewusst, welche Aufgabe dieses Objekt hatte. Ich kann meine Kräfte nicht einsetzen..., dachte er mit leichtem Entsetzen. Aber woher kommt dieses Band der Versiegelung? Wer hat es angelegt und warum... Naoes Gedanken überschlugen sich. Seine Beunruhigung nahm zu. Er konnte sich einfach niemanden aus der Unterwelt vorstellen, der seine Finger im Spiel haben könnte. Zumal es in letzter Zeit sehr ruhig gewesen war, fast friedlich. Vielleicht zu ruhig, und ich habe mich dadurch blenden lassen... Er ging sorgfältig alle letzten Ereignisse im Geiste durch, fand aber keinen Ansatzpunkt, der nur im Geringsten eine solche Tat gegen ihn schlussfolgern ließ. Er erstarrte und schluckte schwer. Sie sind nicht hinter mir her! Sie wollen Kagetora... Ich soll als Köder oder Informationsquelle dienen. Naoe lachte heiser. Als ob ihnen das etwas nützt. Kagetora würde mich eher verraten, als sich erpressen zu lassen... Er spürte bei diesem Gedanken einen bittersüßen Schmerz im Herzen. „Hm? Ich wusste gar nicht, dass meine Frage so lustig ist, Tachibana-san. Oder muss ich diesen Ausbruch den Nachwirkungen der Betäubung anrechnen?“ Naoe konzentrierte sich wieder auf die Stimme. Er öffnete die Augen und bemerkte, dass es ihm inzwischen leichter fiel, sie offen zu halten. Nachdem sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der Takahashi zu ihm sprach. Sie saß auf einem verhältnismäßig einfach gehaltenen Stuhl im Vergleich zum Rest des Zimmers. Die übrigen Einrichtungsgegenstände erschienen luxuriös. Er konnte Bilder an der Wand hängen sehen, und ein großer Schrank aus Holz mit kleinen Verzierungen befand sich seitlich von seinem Bett an der Wand. Ihm gegenüber, hinter Takahashi, lud ein großes Fenster zu einem Panoramablick ein. Er versuchte durch den Blick nach draußen Hinweise über seinen Aufenthaltsort zu erhalten, musste aber feststellen, dass ihm die Landschaft überhaupt nichts sagte. Er schaute zurück zu Takahashi, die ihn mit unergründlichen Augen ansah. „Soll ich meine Frage wiederholen, Tachibana-san?“ Sie sah Naoe über den Rand ihres noch halbvoll gefüllten Wasserglases an. Er erwiderte ihren Blick, versteifte aber innerlich bei dem Gedanken an Minako. Ich muss herausfinden, wie viel sie weiß und von wem... Aber vor allem, wer ist sie wirklich? Wird sie ebenfalls benutzt? Sie ist eine ganz normale Person, soviel konnte ich bei unserer ersten Begegnung feststellen. Sie hat mir diesen Ring also nicht angelegt... Naoe versuchte sich aufzusetzen, musste dieses Vorhaben aber abbrechen, weil ihm schwindelig zu Mute wurde. Er fluchte innerlich. „Hm. Verstehe. Du bist also momentan nicht in der Lage, eine einfache Frage zu beantworten. Dann werde ich dir entgegenkommen. Ich lasse dich jetzt allein. Ich rate dir aber, dich bis zu unserem nächsten Treffen äußern zu können, da ich nicht weiß, was geschehen könnte. Ach ja, noch etwas, Tachibana-san. Du brauchst gar nicht auf die Idee zu kommen, von hier fliehen zu wollen. Das würde dir nicht gut bekommen...“, ließ Takahashi kalt verlauten, stand auf und drehte sich noch einmal zu ihm um, bevor sie das Zimmer verließ. Naoe starrte auf die Tür, durch die Takahashi verschwunden war. Er schloss kurz seine Augen und dankte ihr insgeheim dafür, dass er nun etwas Zeit allein zum Nachdenken hatte. Er atmete tief ein, und versuchte sich zu entspannen. Er verspürte Durst. Ihm wurde auf einmal bewusst, dass er gar nicht mehr wusste, wann er das letzte Mal seinem Körper etwas zugeführt hatte. Er schaute sich um, und entdeckte neben sich am Bett auf dem Nachtschränkchen das Tablette mit einem Krug Wasser und einer Schale frischem Obst. Wenigstens lassen sie mich nicht hungern – noch nicht..., dachte Naoe bitter, während er versuchte, sich trotz des Schwindelgefühls aufzusetzen. Als er es geschafft hatte, verharrte er, bis das schlimmste Gefühl nachgelassen hatte, und griff nach dem Krug Wasser. Er leerte zwei volle Gläser und aß nun einen Apfel, während er sich das Zimmer genauer anschaute. Es war im westlichen Stil gehalten. Bis auf den Schrank, das Bett, die Wandbilder, den Stuhl und das Nachtschränkchen mit einer dazugehörigen Lampe war der Raum leer. Wäre ich kein Gefangener dieses Zimmers, würde ich mich sich sogar wohlfühlen..., dachte Naoe melancholisch. Besonders der atemberaubende Panoramablick fing immer wieder seinen Blick ein. Der Anblick außerhalb des Fenster ließ ihn erkennen, dass es früher Abend sein musste. Die Sonne war noch nicht untergegangen, würde es aber in den nächsten zwei Stunden tun. Sie geht genau dort unter... Naoe unterdrückte ein Seufzen und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er wusste nicht, wann Takahashi das nächste Mal auftauchen würde. Er wollte auf jeden Fall bereit sein und beginnen, einen Plan auszuarbeiten, der ihm helfen sollte, diesen Platz unversehrt zu verlassen. Er konnte zwar seine Kräfte nicht nutzen, aber vielleicht half ihm seine körperliche Stärke und seine Intelligenz. Dass Takahashi von Minako zu wissen schien, war für Naoe eindeutig ein Zeichen, dass jemand aus der Unterwelt seine Finger im Spiel hatte. Es gab nicht viele, die darüber Bescheid wussten. Aber wer und warum, darauf hatte er noch keine Antwort. Minako... Er musste an das Ereignis von vor 30 Jahren denken. Ihm wurde kalt, als er unerwartet an den Moment denken musste, als Kagetoras Seele durch Minakos Körper zu ihm sprach. 'Das werde ich dir bis in alle Ewigkeit nicht vergeben!' Das waren deine Worte, Kagetora-sama. Dann werde ich eben bis in alle Ewigkeit warten... Er schob diesen Gedanken beiseite und überlegte, was er als nächsten tun würde. Er hoffte, dass Takahashi bei ihrem nächsten Besuch mehr von sich preisgeben würde, sich vielleicht sogar verriet, aber damit durfte er nicht rechnen. Naoe dachte darüber nach, ob jemand sein Verschwinden bemerkt haben könnte, kam aber zu dem Entschluss, dass vorerst niemand beunruhigt sein würde, wenn er sich drei oder vier Wochen lang nicht meldete. Chiaki und Haruie waren dieses Verhalten von ihm gewöhnt. Aber was ist danach... Er hoffte, dass sie zum Schutz von Kagetora nicht überstürzt handeln, und nach ihm suchen würden. Ihm fiel auf einmal wieder ein, dass er sich den Abend nach dem zweiten Treffen mit Takahashi, der nun der Abend seiner Entführung war, eigentlich mit Kousaka treffen wollte. Er fand es äußerst ungewöhnlich, dass ihn Kousaka aufsuchen wollte. Naoe verzog missmutig das Gesicht. Wenn er wirklich zu mir nach Hause gekommen ist, dann wird ihm bestimmt aufgefallen sein, dass ich ungewollt abwesend bin. Ich habe da kein gutes Gefühl. Der nutzt diesen Vorteil gegenüber Chiaki und Kagetora bestimmt wieder für seine zwielichtigen Machenschaften... Aber warum wollte er mich treffen? Um mich zu warnen? Weiß er vielleicht mehr? Wäre nichts neues... Naoe spürte, dass sich Frust in ihm ausbreitete. Er nahm sich einen weiteren Apfel und hing seinen Gedanken nach, während er der Sonne bei ihrem Untergang durch das Fenster zusah. Während Naoe seinen Gedanken nachhing, bestimmte jemand anderes auf dem Anwesen, auf dem sich Naoes Zimmer befand, seine weitere Behandlung. Shishido lag im warmen Wasser und genoss die ruhige Atmosphäre. Er hielt die Augen geschlossen und dachte an Kagetora. Ich bin mal gespannt, wann du aktiv wirst. Ich kann es kaum abwarten, aber ich werde mir in der Zwischenzeit das Warten mit deinem Spielzeug versüßen... Ein teuflisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er vernahm die Ankunft seines engsten Vertrauten, der als einziger die Erlaubnis besaß, ihn in solchen Momenten der Entspannung ohne Absprache aufsuchen durfte. „Shishido-sama.“ „Arakawa, gibt es etwas Neues? Oder bist du gekommen, um mir beim Baden Gesellschaft zu leisten?“ Shishido schaute verführend in Arakawas Richtung, dessen Wangen aufgrund der letzten Bemerkung eine leichte Röte überzog. „Naoe ist zu Bewusstsein gekommen. Er war noch nicht in der Lage, ein richtiges Gespräch zu führen, daher hat ihn Takahashi-san vorerst allein gelassen. Er liegt wach in seinem Bett und überlegt wahrscheinlich gerade, wer die Drahtzieher sind...“Arakawa wurde unsanft von Shishido unterbrochen. „Ich glaube, du musst dir deinen Kopf nicht darüber zerbrechen, was Naoe denkt, Arakawa. Das ist belanglos. Wichtig ist, dass Takahashi ihn weiter aufsucht, bevor ich ihm letztendlich den ersten Besuch abstatte. Er soll unter Takahashis Bedürfnis leiden und sich nichts sehendlicher wünschen, als dass diese Frau stirbt. Hm. Diesen Gedanken werde ich ihm dann natürlich gerne erfüllen, aber er wird mir einen hohen Preis dafür zahlen müssen, so oder so. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie sich mir das Schoßhündchen von Kagetora unterwirft.“ Shishido sah mit einen gierigen Blick in die Ferne. Ich werde dein Schoßhündchen besteigen, Kagetora, aber das ist erst der Anfang! Shishido sah in Arakawas Richtung und überlegte, ob er ihn zu sich ins Wasser holen sollte, um seiner gestiegenen Erregung Abhilfe zu schaffen, aber er entschied sich dagegen. Er würde warten, bis Naoe bereit für ihn war. „Arakawa, lass das Abendessen in meinem Zimmer herrichten. Sorge dafür, dass die Kamera eingeschaltet ist. Ich möchte Naoe heute Abend noch ein wenig betrachten. Du kannst dich, wenn du alles erledigt hast, anschließend zurückziehen.“ Als er hinauf zu Arakawa sah, um ihn zu entlassen, bemerkte er dessen verlangenden Gesichtsausdruck. Shishido lächelte ihn wissend an. Arakawas Gesichtsfarbe wurde noch dunkler, als er sich verabschiedete und sich zurückzog. Du musst ab jetzt eine Weile auf mich verzichten, Arakawa. Aber keine Sorge, du wirst meine Gunst früher, als du vielleicht denken magst, wieder zu spüren bekommen. Er sah ihm hinterher, als Arakawa die Tür hinter sich schloss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)