Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 41: Raum ohne Zeit -------------------------- Totenstille. Hitomi lag regungslos im weichen Bett ihres Gästezimmers. Die Wände schwiegen. Es gab keine Heizung die klapperte, kein Wasser das floss, keinen Kühlschrank der brummte, kein Radio das spielte. Die Welt stand still. An dem kalten, hellblauen Himmel jenseits der Fenster war nicht eine Wolke zu sehen. Von der brütenden Sonne des Wüstenstaats Fraids fehlte jede Spur. Statt Wind herrschte Flaute. Nicht einmal die Zeit schien sich zu bewegen. Selbst ihre Gedanken waren leer. Wo einst die Liebe ihres Lebens sie ausgefüllt hatte, klaffte ein schwarzes Loch, das alle Regungen einsog. Die Stille hielt, seitdem ihre Tränen versiegt waren und ein Kloß im Hals ihre Stimme blockierte. Mitten in diese Starre tastete sich schüchtern ein Junge vor. Scheu überwand er ihre Türschwelle. Seine Augen teilten ihre Farbe mit dem Himmel, dennoch drückten sie warmes Mitgefühl aus. Sein Haar erstrahlte im gleißenden Gelb, auch ohne die Sonne, und stellten so die schwere, goldene Krone auf sein Haupt in den Schatten. „Es tut mir Leid.“, waren seine ersten Worte, nachdem er sich bis ins Zentrum des Zimmers vorgewagt hatte. Er sprach zwar leise, aber deutlich genug, dass sie ihn hören musste. Doch sie rührte sich nicht. „Ich weiß,...“, versuchte er noch einmal zu ihr durchzudringen. „....nichts was ich sage, kann deinen Schmerz lindern.“ Dann fiel sein Blick auf das Tablett, das auf dem Nachttisch neben dem Bett lag. Langsam ging er darauf zu. Er begutachtete die perfekte Anordnung der Früchte auf dem Teller und fühlte mit der Hand die Temperatur der vollen Tasse Tee. „Du hast weder gegessen noch getrunken.“, stellte er besorgt fest. „Du quälst dich.“ Keine Reaktion. Der junge Prinz von Fraid seufzte hilflos. Er würde es wohl kaum schaffen, Hitomi aus ihrer Ohnmacht zu lösen. Vielleicht gelang es der in Farnellia zurückgebliebenen Prinzessin. Dieser Gedanke brachte ihn wieder zum eigentlichen Anlass seines Besuches. „Mein Onkel und ich, wir haben uns geeinigt.“, erklärte er eilig und legte dann eine zusammengebundene Papierrolle neben das Tablett. „Hier ist dein Exemplar des Vertrages. Ich werde Astoria ebenfalls ein Original zukommen lassen. Damit ist deine Pflicht erfüllt.“ Cid ließ seine Hände wieder sinken. Seine Schulter sackten hilflos herab. „Du hast uns verändert, weißt du?“, versuchte er erneut sie aufzubauen. „Ohne dich gäbe es jetzt Krieg in Fraid. Einen Erbfolgekrieg, der erst vorbei gewesen wäre, wenn einer der beiden Kandidaten gestorben wäre. Ganz gleich wie viele Soldaten gefallen wären, wir hätten weitergemacht. Dass es nun nicht dazu kommt, ist ganz allein dein Verdienst.“ Wieder zeigte sie keine Reaktion. „Wenn ich etwas für dich tun kann,....Ich tu alles! Ich schwöre! Du musst es nur sagen!“, flehte der Junge. Noch immer blieb sie stumm. „Bitte rede mit mir!“ „Wie?“, flüsterte sie plötzlich. „Hä? Hast du etwas gesagt?“, erkundigte sich Cid erleichtert. „Wie habt ihr euch geeinigt?“, fragte die junge Königin nun etwas lauter. Ihre Stimme triefte vor Anklagen. „Ewig seid ihr im Kreis gelaufen, habt mich hier gefesselt und meine Zeit verschwendet! Ich hätte bei ihm sein können. Wenn ihr nur früher...“ Sie ließ ihn diesen Gedanken allein zum Ende führen. „Na ja...“, stammelte der junge Herzog vor sich hin. Wie sollte er ihr erklären, dass erst ihr Verlust für die nötige Motivation bei ihm und seinen Onkel gesorgt hatte, nach Kompromissen zu suchen. Er entschied sich diesen Teil seiner Antwort zu überspringen. „Ich werde heiraten.“, verkündete er schnurgerade heraus. Statt etwas zu erwidern, starrte Hitomi ihn ungläubig an.. „Mein Onkel hat eine Tochter. Sie ist zwar schon zwanzig und Witwe, aber zugleich auch die einzige seiner Töchter, die prinzipiell frei ist. Wenn ich sie heirate, kann ich Herzog bleiben und gleichzeitig fließt das Blut der Familie meines Vaters wieder zurück in die Herrscherlinie.“, erklärte er eindringlich, als müsste er jemanden überzeugen, dass dies ein gutes Geschäft wäre. „Warum erst jetzt?“, präzisierte sie wütend ihren Vorwurf. „Wieso ist euch das nicht schon vorher eingefallen?“ „Eigentlich hatte ich nicht vor mich aus politischen Kalkül zu binden.“, warf Cid mit leiser Verzweiflung ein. „Vielmehr wollte ich mir an Van ein Beispiel nehmen. Ich wollte bei meiner Frau das gleiche Glück finden, wie mein Vater bei meiner Mutter und Van bei dir.“ Dann nahm er seinen Mut zusammen und sah der verwitweten Königen in die Augen. „Ich habe erst jetzt verstanden, dass ich meinem Volk dieses Opfer schuldig bin. Ich bin für das Leben meiner Untertanen verantwortlich und sie sollten nicht unter meinem Egoismus leiden. Zudem hat mir das Beispiel meines Vaters gezeigt, dass ich auch in einer arrangierten Ehe glücklich werden kann.“ Dann hielt er jedoch inne. „Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Der Mann meiner Zukünftigen war Offizier und ist bei dem Angriff der Zaibacher auf Fraid umgekommen. Sie hat ihn wohl zumindest gemocht und ist deshalb nicht gut auf mich zu sprechen.“ „Ob einem die Liebe genommen wird oder man sie nie erfährt? Mit ihr kannst du herausfinden, was schlimmer ist.“, ätzte Hitomi. „Jetzt geh!“ Cid seufzte bekümmert und trat, kleiner als er zu ihr gekommen war, den Rückzug an. Die junge Witwe sah ihm nicht nach, sondern starrte wieder die Decke an. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, verrauchte ihr Zorn zusehends und wurde durch die bittere Erkenntnis ersetzt, dass sie etwas Schreckliches getan hatte. Dass ein so kleiner Junge zu einem so großen Opfer bereit war...Begriff er überhaupt, was er so achtlos wegwarf? Dieses vollkommene, alles durchdringende Gefühl? Für wildfremde Menschen, die er überhaupt nicht kannte? Hitomi strich mit einer Hand über ihrem Unterleib. Plötzlich wurde sie sich der Verantwortung bewusst, die sie trug. Und sie nahm die andere Leere in ihrem Innern wahr. Ihr Blick fiel auf den kalten Tee und das bunte Obst auf dem Nachttisch. Mühsam rappelte sie sich auf, setzte sich hin und griff nach der Tasse. Cid stand nur mit Unterwäsche bekleidet in seinen Gemächern, als eine sanfte Stimme hinter ihm seine Dienerinnen bei der Arbeit unterbrach. Wareh, seine wichtigste Bezugsperson seit dem Tod seiner Eltern, protestierte, doch die Stimme ließ sich nicht abweisen. Er indes war vollkommen verunsichert. Das letzte Gespräch mit seiner Besucherin war... nun ja...nicht gut gelaufen. Aber er hatte versprochen ihr zuzuhören und sie sogar zum Sprechen aufgefordert. Außerdem verfolgte ihn der Gedanke, sie könnte recht haben. Er wusste, wie stark die Hitomi, die Königin Farnellias, wirklich war. Sie hatte schließlich ein ganzes Geschwader an Guymelefs Astorias allein außer Gefecht gesetzt. Wahrscheinlich hätte sie ihren Mann retten könne, wäre sie bei ihm gewesen und nicht hier in Fraid, um einen Frieden auszuhandeln. „Bitte geht!“, unterbrach Cid die Diskussion hinter ihm. Erst wollte Wareh widersprechen, doch er wandte sich ihr zu und sein Blick belehrte sie eines besseren. Sie versäumte es jedoch nicht, Hitomi einen rabenschwarzen Blick zuzuwerfen, für die Worte die die Königin ihrem Schützling vor wenigen Stunden an den Kopf geworfen hatte. „Es tut mir Leid.“, war Hitomis erster Satz, der aus ihr herausbrach, nachdem die Dienerinnen sie mit dem kleinen Herzog allein gelassen hatten. „Nein, mir tut es Leid.“, blockte Cid und schniefte. „Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du Van helfen können.“ Sacht hob Hitomi sein Kinn und zwang ihn so ihr in die Augen zu sehen. „Selbst wenn ich nicht zur Schlichterin berufen worden wäre, wäre ich zusammen mit den Frauen und Kindern Farnellias nach Astoria geflohen.“, versicherte sie ihm. „Van wollte mich nicht auf dem Schlachtfeld sehen.“ Dann sank sie auf ihre Knie und umarmte ihn fest. „Du hast nichts falsch gemacht, mein kleiner Prinz.“ Sie ließ eine Ellenlänge von ihm ab und wischte mit dem Daumen die Träne von seiner Wange. „Ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss, so wie ich dich behandelt habe.“ „Schon vergeben und vergessen.“, versprach er. Doch da er ihr nicht in die Augen sehen konnte, war Hitomi nicht überzeugt. Also musste sie nachlegen, um ihn wieder komplett aufzurichten. „Du hast doch versprochen, mir zu helfen. Tatsächlich habe ich eine Bitte an dich.“, teilt sie ihm ernst mit, woraufhin er neugierig aufsah. „Alles!“, schwor er noch einmal. Dieses Mal glaubte sie ihm. „Ich verrate dir ein Geheimnis, über das du mit niemanden reden darfst.“, gebot sie ihm und fügte hinzu: „Und ich meine mit niemandem. Selbst mit Wareh nicht. Du darfst kein Wort über diese Sache verlieren. Wer weiß, wer mithört.“ „Verstanden.“, bestätigte Cid knapp. Daraufhin lehnte sich Hitomi wieder zu ihm hin und flüsterte in sein Ohr: „Ich bin schwanger.“ Cid horchte auf und wollte gerade seiner Freude Luft verschaffen, da hielt sie ihn mit einem Finger auf seien Lippen zurück. Also beugte er sich nun zu ihr und fragte leise: „Von Van?“ Hitomi kicherte. „Von wem sonst, du Dummerchen!“, schallte sie ihn zart. „Merle wird dich dann und wann zusammen mit meinem Kind besuchen. So wirst du es erkennen. Ich möchte, dass du ihr oder ihm unauffällig ein paar erste Erfahrungen im Regieren vermittelst.“ „Unauffällig? Aber du kannst doch...“, wandte Cid erst ein, doch dann drängte sich ein anderen Gedanke vor. „Moment mal! Kommst du etwa nicht wieder?“ „Selbstverständlich komme ich zurück.“, beruhigte sie den blonden Jungen. „Ich schau so oft vorbei, wie ich kann! Aber sollte mir und Merle etwas passieren, möchte ich, dass du für das Kind sorgst. Versprichst du mir das?“ „Natürlich, aber warum sagst du solche Dinge?“ „Wart einfach ab. Mit der Zeit wirst du verstehen. Du bist jetzt der Hüter meines Geheimnisses. Solange ich lebe, darfst du es niemals preisgeben. Nicht einmal Merle gegenüber.“ „Wenn du es sagst.“, erwiderte Cid verwirrt, woraufhin sie ihm einen Kuss auf die Stirn gab. „Ich verlass mich auf dich.“, bekräftigte sie ihr Anliegen und erhob sich. „Am besten schick ich Wareh jetzt wieder rein, bevor sie sich zu viele Sorgen macht. Wir sehen uns auf dem Flugfeld.“ „Für den Abschied.“, bestätigte der junge Herzog traurig. „Keine Bange. Wir sehen uns ja wieder!“, versprach die Königin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)