Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 11: 11. Akt: Ein Stich ins Herz --------------------------------------- Was wären wir ohne unsere Freunde? Wir wären alleine und In der Wüste ist das Alleinsein sehr gefährlich. Zu viele Gefahren lauern dort, Die kein Mensch alleine überstehen kann. Natürlich gibt es genug Menschen die die Wüste allein durchqueren Und sicher ans Ziel kommen. Doch rate ich euch, Nie allein durch die Wüste zu reisen. Denn mit einem Freund an der Seite werdet ihr nie sterben. In seinem Herzen werdet ihr weiter leben. Anshak Orga, Gelehrter aus den Wüstenländern *** Tensh sah über die Schultern und stellte erleichtert fest, das es Raga gelungen war, die Wüstenreiter zu stoppen. Der kleine, nervöse Mann hatte seinem untoten Diener befohlen jeden zu töten, der hinter ihnen her war. Der Zombie hatte sich sofort auf die nahenden Feinde gestürzt und so war es der Skormklinge und seiner Geisel gelungen zu entkommen. Doch sicher waren sie noch lange nicht. In der Nacht war die Wüste noch gefährlicher, denn die wilden Bestien des Sandes waren auf der Jagd. Tensh suchte rasch eine Felsgruppe, wo sie ebenfalls eine kleine Höhle fanden, in der sie die Nacht sicher verbringen konnten. Er brachte Fynn in die Höhle und fesselte sie an den Füßen, damit sie nicht davon laufen konnte, während er sich um ein Feuer kümmerte und ein Dankgebet an Skorm sprach. Nicht auch hier, dachte Fynn entsetzt, als sie das Gebet des kleinen Mannes verfolgte. Die Skormklingen waren auch bis in die Wüste vorgedrungen und hatten sich bei den Wüstenbewohnern eingeschlichen. Und nun war sie die Gefangene eines solchen Mannes. Ihr Anhänger strahlte eisige Kälte aus, die Fynn nur umso deutlicher machte, wie gefährlich ihre Lage war. Bisher hatte der Mann ihr noch nichts getan, doch wusste sie, dass dem nicht mehr lange so sein würde. Erinnerungen an Jakob stiegen in ihr auf und das Entsetzen packte sie. Was würde der Mann nur mit ihr anfangen? Dieses Mal war sie ihm schutzlos ausgeliefert. Lorgren war nicht da, um sie zu retten. Dieses Mal war sie auf sich allein gestellt. Aber wie sollte sie nur entkommen? Sie wusste keinen Ausweg. Sie hörte schlürfende Schritte und wand ihren Kopf Tensh zu, der mit langsamen Schritten auf sie zu kam und nervös seine Hände rieb. Sogleich blieb er stehen, als er ihrem Blick begegnete und leckte sie über die trockenen Lippen. Fynn schluckte schwer. Was hatte er nun vor mit ihr, fragte sie sich und befürchtete das Schlimmste. Er kam näher und hockte sich vor sie, betrachte sie neugierig. „Ich werde dir jetzt den Knebel aus dem Mund nehmen“, erklärte er ihr ruhig. „Hoffentlich schreist du jetzt nicht. Sonst bin ich gezwungen dir weh zu tun und das willst du doch nicht, oder?“ Fynn schüttelte den Kopf. „Sehr gut, sehr gut.“ Vorsichtig nahm er ihr den Knebel ab und das Mädchen fragte ängstlich: „Was hast du mit mir vor?“ Nervös kicherte der kleine Mann und rieb sich die schwitzenden Hände. „Das wirst du noch früh genug erfahren, Hüterin“, sagte er zu ihr. „Aber sei unbesorgt. Den Tod wirst du nicht so rasch finden. Ich habe noch einiges vor mit dir, bevor Skorm dich beanspruchen darf.“ Das Mädchen konnte nur erraten, was der Mann damit meinte. Zu ihrer Erleichterung schlich Tensh zurück zum Feuer und kauerte sich davor nieder. Sie sah ihm nur flüchtig nach, bevor sie ihre Augen schloss. Ihr kamen die Tränen und nur mit größter Mühe konnte sie ein Schluchzen unterdrücken. Sie wollte wieder ihr altes Leben, wollte wieder bei ihren Lieben sein. Warum war das Schicksal nur so grausam zu ihr? Wieso hatte es ihr erst die Mutter genommen und nun noch die Chance in Frieden weiter zu leben? Warum musste sie es sein, die der Welt die Hoffnung bringen sollte? Wieso konnte es niemand anders sein, jemand, der stark und mutig war. Wieso musste es sie es sein, eine Halbork, die klein und ängstlich war. Warum konnte Lorgren nicht hier sein, fragte sie sich. Wieso kam der Jerisane nicht in die Höhle gestürmt, streckte Tensh mit nur einem Hieb nieder und befreite sie? Der Gedanke an das Ausbleiben des Jerisanen betrübte sie nur mehr. Sie brauchte ihn jetzt, hier, an ihrer Seite, dass er sie beschützen konnte. Schließlich übermannte sie die Erschöpfung und sie fiel in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne aufgegangen war, weckte Tensh sie und sie brachen das kleine Lager ab. Tensh führte sie nun weiter nach Westen, weiter in Richtung Otomor, wie Fynn erkannte. Doch sie würden auch durch Helios kommen, erinnerte sie sich immer wieder. Und dort würde es sicher irgendjemanden geben, der ihr zur Hilfe kommen würde. Zumindest hoffte sie dies. Sie hoffte zudem, das Lorgren bald erschien und sie retten würde. Zwar hatte sie in der Nacht zuvor nicht geglaubt, dass der Wüstenreiter überhaupt noch käme, doch sie kannte ihn besser und wusste, dass er sie niemals in Stich lassen würde. Der Wüstenreiter hatte ihr einen Eid geschworen und dieser war ihm heilig. Der Gedanke gab ihr die nötige Kraft, um durchzuhalten. *** Lorgren stand mit seinen drei Begleitern am Eingang einer Höhle und sah sich um. Sie hatten die Spuren zweier Pferde bis hier her verfolgt und waren auf das kleine Lager gestoßen. Hier hatte jemand ein Feuer entzündet. Doch dieser Jemand war längst verschwunden. „Lorgren!“, rief einer seiner Begleiter, ein erfahrener Krieger. Der Jerisane wand sich diesem zu und kam zu ihm geeilt. Der Mann wies nach Westen und sagte: „Einer der Kundschafter kehrt zurück.“ Der Wüstenreiter nickte grimmig und zusammen eilten sie zu ihren Pferden, um dem Späher entgegen zu reiten. Als der Trupp den Kundschafter erreichte, berichtet dieser: „Wir haben eine Staubwolke entdeckt. Sie ist nicht weit weg. Brel verfolgt sie weiter.“ Lorgren nickte. „Los, weiter!“, rief er und die Wüstenreiter trieben ihre Pferde weiter an. Ihre Tiere, allesamt stolze Wüstenpferde, flogen regelrecht über den heißen Sand, ohne dass sie zu ermüden schienen. Der Späher führte sie zielsicher durch die Wüste. Schon bald trafen sie auf den anderen Späher. „Ich hab die Spur verloren“, berichtet Brel den anderen und man hörte ihm deutlich an, dass er zu tiefst bestürzt war. „Wie das?“, wollte Lorgren aufgebracht wissen. Sie waren doch so nah an ihrem Ziel gewesen. Wie hatte man da die Spur einfach verlieren können? „Ein Sandsturm“, erklärte der Wüstenreiter Lorgren. „Er ist urplötzlich aufgestiegen und über mich hinweg gefegt. Er hat mir die Sicht genommen. Als ich wieder etwas sehen konnte, waren sie längst verschwunden. Ich bin weiter in ihre Richtung geritten, doch ihre Spuren sind vom Wind verwischt worden.“ Er sah die anderen an. „Das war ein seltsamer Sturm. Er kam wie aus dem Nichts.“ Lorgren wurde bei der Behauptung des Mannes hellhörig. Wie aus dem nichts? Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit und er fragte sich, mit wem sie es hier zutun hatten. Ein Priester? Es wäre möglich, entschied er, als er sich an Raga zurück erinnerte, der wieder unter den Lebenden weilte und sie angegriffen hatte. Es fiel ihm nur eine Gottheit ein, die Interesse daran hatte, das Fynn verschwand. „Skorm“, murmelte er und wand sich schließlich an den immer noch erzählenden Späher. „In welche Richtung waren sie unterwegs, Brel, bevor der Sturm kam?“ „Westen“, sagte dieser sofort. Wie ich es mir gedacht habe, dachte Lorgren grimmig. Der Priester wollte Fynn nach Otomor schaffen. Dort würde sie ein grausiges Schicksal erwarten, wenn sie nicht schon längst tot war. Er verbannte den Gedanken daran und befahl seinem Trupp, weiter gen Westen zu reiten. Lorgren gab seinem stolzen Hengst die Sporen und hoffte, das er nicht zu spät kommen würde. *** Tensh konnte nur staunen über die Macht seines Gottes. Dieser Sandsturm war wirklich zur rechten Zeit aufgekommen. Wäre Skorm ihm nicht zur Hilfe geeilt, dann wären die Freunde der Hüterin längst da gewesen, hätten sie befreit und ihn kurz darauf getötet. Im Stillen schwor er seinem Gott, ihm einen vollen Liter seines Blutes im ersten Tempel zu opfern, den er erreichen würde. Zusammen mit seiner Beute. Sein Blick flog zu dem Mädchen, das niedergeschlagen den Kopf gesenkt hatte. Sie hatte wohl jegliche Hoffnung auf Rettung aufgegeben, glaubte Tensh den Grund erkannt zu haben. Umso besser. Dann wäre er ungestört und könnte sich intensiver mit ihr befassen. Besonders mit diesem eigentümlichen Anhänger, den sie bei sich trug. Das Schmuckstück war ihm aufgefallen, als er sie am Morgen auf ihr Pferd gesetzt hatte. Irgendein Geheimnis umwaberte es und Tensh hatte vor dahinter zu kommen. Vielleicht war der Anhänger mit einem Zauber belegt, der ihm in Zukunft noch nützlich sein könnte. Doch die Frage war, was für einer. Konnte man damit jemanden töten? Verhinderte er andere Zauber? Oder war dies gar der Schlüssel zum legendären Herzschwert? Der kleine Mann dachte ernsthaft darüber nach. War es vielleicht wirklich der Schlüssel zu dieser machtvollen Waffe, die Königreiche mit nur einem Streich vernichten konnte? Wenn der Anhänger wirklich der Schlüssel war, dann könnte er das Schwert suchen und an sich bringen. Wie leicht würde es ihm dann fallen seinem Gott zu dienen! Wie leicht würde es ihm fallen, seine Mitbrüder zu vernichten! Wie leicht würde es ihm fallen,... Seine Augen glänzten begierig auf, als er sich vorstellte, wie er Sadrojor Schädelmeister, der Imperator Otomors, das Schwert in die Brust trieb und so selber der Herrscher des Imperiums wurde. Die Macht die er dann besitzen würde, wäre schier unglaublich und alle würden sich vor ihm in den Staub werfen. Tensh wäre es dann, der das verhasste Drachenkönigreich in die Knie zwang, der Konass unter seiner Flagge zu einem einzigen Reich einte. Er könnte allein über die Frauen und Töchter des Imperators verfügen, wie es ihm grade in den Sinn kam. Er könnte die Adligen Otomors so behandeln, wie es ihm gefiel. Dies jagte ihm einen erregenden Schauer durch den Körper. Sein Blick fiel wieder auf die Halbork, die Hüterin des Herzschwertes. Sie wäre dann für immer sein. Er wäre nicht gezwungen sie zu töten, sondern könnte sie behalten. Sie wäre ihm gewiss immer zu Diensten, denn welche Frau fühlte sich von Macht nicht angezogen? Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er seinen Blick wieder auf den Weg vor sich richtete. Seine Gier nach Macht war geweckt worden. Seine Gier nach Macht und nach diesem unscheinbaren Halbork-Mädchen, das ihn mit seiner Schönheit bereits verzaubert hatte. Er würde sie beide haben. Macht und Mädchen! *** Als die Nacht herein brach schlug Tensh ihr Lager auf einem steinernen Hügel auf, dessen Spitze von mehreren Steinzacken geschützt wurde und niemanden einen Blick auf sein innerstes gewährte. Dieser Platz war der Skormklinge bereits bekannt, stellte Fynn fest, als der kleine Mann aus einem Versteck eine kleine Reisetasche zog, in der einige Lebensmittel gelagert waren. Rasch war ein Feuer entzündet, nachdem Tensh Fynn erneut an Händen und Füßen gefesselt hatte. Sie hockte in einer Ecke des Lagerplatzes, während der nervöse Mann wie ein Wiesel hin und herhuschte. Der Vergleich passte, denn der Mann sah wirklich fast so aus, wie eins der kleinen, pelzigen Tiere. Sie hielt sich nicht zu lange mit den Gedanken an den Mann auf, sondern diese galten einem ganz anderen, einem, der ihr ein treuer Freund und Beschützer gewesen war. Lorgren, dachte sie sehnsüchtig. Sie hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, denn der Sandsturm hatte nicht nur ihre Spuren, sondern auch jegliche Hoffnung auf Rettung davon gefegt. Wie sollten ihre Freunde sie da nur wieder finden? Dies war ein Ding der Unmöglichkeit! Denn woher sollten sie denn wissen, wohin die Skormklinge sie brachte. Eine nahe Bewegung ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Tensh war auf sie zugegangen, doch jetzt hielt der Mann wieder inne und rieb sich nervös die Hände. Dabei sah er sie ununterbrochen an und der Blick des Mannes wollte Fynn nicht gefallen. Sie glaubte Gier darin zu sehen, eine Gier, die einem eine kalte Gänsehaut über den Rücken jagen ließ. Er kam nun einen Schritt auf sie zu und kauerte sich auf den Boden, während er sie eingehend betrachtete. Fynn merkte schnell, das sein Blick nicht auf ihrem Gesicht ruhte, wie am Abend zuvor, sondern auf ihrem Anhänger, der die eisige Kälte des bösartigen Herzens Tenshs verbreitete. Wieder kam er einen Schritt näher. Dann wieder und dann noch einen, bis er endlich vor Fynn hockte. Dabei starrte er ununterbrochen auf den Anhänger. Dem Mädchen wurde unwohl dabei. Der Blick erinnerte sie an einen Habicht, der seine Beute anvisierte, bevor er sich auf sie stürzte und mit seinen Klauen packte. Was hatte er nur vor? Was interessierte ihn ihr Erbstück? Tensh griff nach dem Anhänger, doch Fynn wand sich von seiner Hand weg. Der kleine Mann sah sie böse an, doch sie reagierte nicht darauf, denn nun war ihr klar, was er wollte. Er wollte es ihr wegnehmen und das würde sie nicht zulassen. Der Schwertanhänger war das einzige, was ihr noch von ihrer Mutter geblieben war. Wieder griff er danach, doch Fynn rollte sich weg. „Halt still“, knurrte Tensh sie an und sein Blick zeigte deutlich, was er mit ihr anstellen würde, wenn sie nicht gehorchte. Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu und wand sich so, dass er es wahrlich schwer haben würde, an den Anhänger heran zu kommen. Doch Tensh gab nicht so schnell auf. Er stürzte sich auf das überraschte Mädchen, das erschrocken aufschrie. Er drückte sie auf den Boden, war nicht sonderlich feinfüllig dabei. Rasch war er über ihr und hockte sich auf ihr Becken, hielt sie mit seinem Gewicht am Boden gefangen. „Wehr dich so viel du willst“, zischte er Fynn an, die ihn mit großen Augen ansah. „Es wird dir nicht bringen. Ich werde schon bekommen, was ich will. Niemand wird mich daran hindern. Nicht du oder einer deiner elenden Gefährten.“ „Sie werden kommen und mich retten“, erwiderte Fynn wütend und wand sich unter dem kleinen Mann, doch es brachte ihr nichts. Tensh lachte spöttisch. „Ach wirklich?“, fragte er und seine Stimme wurde etwas sanfter. „Glaubst du das wirklich?“ Wieder lachte er. „Niemand wird dich finden, niemand außer Skorm. Der Eroberer und Zerstörer ist mit mir und lenkt deine Gefährten auf eine falsche Fährte, noch während wir hier miteinander sprechen.“ Fynn sah ihn ungläubig an. Sie glaubte ihm kein Wort. Er merkte es und meinte: „Der Sandsturm. Ein Werk meines Gottes.“ „Nein“, keuchte sie. Sie wollte ihm kein Wort glauben, denn sie wusste, dass dann alle Hoffnung auf baldige Rettung vergebens wäre. Sie durfte den Glauben nicht verlieren, dass ihre Gefährten sie aus den Händen der Skormklinge befreien würden. Denn dann hätte Tensh gewonnen und ihm wollte sie keinen Sieg zu gute kommen lassen. Der Mann kicherte und griff nach dem Erbstück der Halbork. Diese bemerkte dies und schrie auf, denn sie wusste, dass sie ihn nun nicht mehr daran hindern konnte, sich des Anhängers zu bemächtigen. Plötzlich glühte der Schwertanhänger in einem grellen, weißen Licht auf. Schmerzerfüllt heulte Tensh auf, denn das Licht stach ihm regelrecht in die Augen, während Fynn nur geblendet wurde. Der kleine Mann legte seine freie Hand auf die Augen, um zu verhindern, dass das Licht ihn weiter quälen konnte. Doch es half nichts. Das Leuchten fand seinen Weg und fügte der Skormklinge unerträgliche Schmerzen zu. Als er seine Hand vom Anhänger lösen wollte, ergriff eine unbekannte Macht den Mann. Mit einem Aufschrei wurde er von Fynn geschleudert und krachte mit dem Rücken schmerzhaft gegen einen der Steinzacken. Die fremde Magie ließ von ihm ab, das Leuchten erlosch und Tensh rutschte benommen zu Boden. Fynn blinzelte und erhielt bald ihre Sehkraft zurück. Sie warf einen Blick um sich herum und entdeckte Tensh, der regungslos an einem der Steine gelehnt saß und stöhnte. Was war geschehen, fragte sie sich. Wo war das seltsame Licht hergekommen? Ihr Blick fiel auf einen Dolch, der neben ihr am Boden lag. Sie rollte sich auf die Seite und tastete nach der Klinge. Als sie sie erreichte, packte sie sie und versuchte sich von ihren Fesseln zu befreien. Der Dolch war scharf und schon bald waren die Fesseln durchtrennt und das Mädchen bekam wieder Gefühl in den Händen. Sie rieb sich diese kurz, bevor sie begann, ihre Füße zu befreien. Endlich befreit von ihren Fesseln, machte Fynn, das sie auf die Beine kam. Tensh war mittlerweile selber aufgestanden und warf ihr einen zornigen Blick zu. „Du elende Missgeburt!“, brüllte der Mann und ging auf das Mädchen zu, das ängstlich zurück wich. „Wie kannst du es wagen mich anzugreifen! Dafür reiz ich dir dein schwarzes Herz aus der Brust!“ „Bleib zurück“, sagte Fynn ängstlich. Ihr wurde bewusst, dass sie den Dolch noch in der Hand hielt und reckte ihn drohend Tensh entgegen. Dieser sah verblüfft die Klinge an. „Bleib zurück, sonst töte ich dich.“ Der Blick des Mannes traf den des Mädchens und einen Moment später verfiel er in lautes Gelächter. „Du willst mich töten?“, fragte er höhnisch und ging auf sie zu. „Du kannst mich gar nicht töten. Dazu bist du gar nicht in der Lage, ach so gütige Hüterin. Und mit diesem Dolch wirst du mir nichts anhaben können. Denn Skorm ist mit mir!“ Fynn sah auf ihre Waffe und fragte sich, wie Tensh seine Worte gemeint haben könnte. Doch sie befasste sich nicht allzu lange damit, sondern sah wieder den kleinen Mann an, der weiter auf sie zuging. Sie schluckte schwer und wich zurück. Kalter Stein spürte sie am Rücken und sie wusste, das sie nicht mehr weiter konnte. Sie saß immer noch in der Falle, obwohl sie ihre Fesseln los war, und Tensh zeigte seine Überlegenheit, indem er sie weiter höhnisch angrinste. „Das ist dein Ende, kleine Hüterin“, kicherte der kleine Mann, als er nur noch zwei Schritte von Fynn entfernt war. Sie schluckte schwer, wagte es nicht, sich zu bewegen. Die Skormklinge wirkte zu selbstsicher, als das sie überhaupt an seinen Worten zweifeln konnte. „Jetzt stirbst du“, fügte er hinzu und streckte seine gierigen Hände nach ihrem Hals aus. „Nein!“, schrie Fynn und stieß zu. Tensh zuckte kurz zusammen, als sich die Klinge des Dolches in seine Brust bohrte und sein Herz traf. Er sah an sich herab und starrte ungläubig auf die Hand, die ihm die Waffe ins Herz gestoßen hatte. Sein Blick begegnete dem der Halbork, die selbst ungläubig drein starrte. „Was… was zum…“, keuchte Tensh und wankte. Blut lief ihm über die Lippen, während sein Blick auf Fynn haftete. Der kleine Mann taumelte einen Schritt zurück. Der Halbork entglitt der Dolch aus der zittrigen Hand. „Du Miststück. Wie konntest du nur?“ Er lachte schwach und lehnte sich gegen einen der Felszacken, denn ihm schwand bereits die Kraft auf den Gliedern. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib und ihre Beine waren weich wie Butter. Sie konnte nicht glauben, was sie da getan hatte. Ihre Beine gaben nach und sie sank auf den Boden. Ihr Magen fing an zu rebellieren und sie übergab sich. Mit den Tränen in den Augen sah sie zu Tensh, der am Steinzacken herab rutschte. Dieser warf ihr einen glasigen Blick zu, bevor sein Kopf schlaff auf seine Brust sank. Der kleine Mann atmete ein letztes mal ein und aus, bevor er in die tiefe Schwärze glitt. „N-nein“, wimmerte Fynn. Sie schloss die Augen und musste sich noch einmal übergeben, denn ihr Magen spielte nicht mit. Sie hatte einen Menschen getötet! Mit nur einen Stich hatte sie ein Leben beendet. Ungehemmt fing das Mädchen an zu weinen. Sie konnte einfach nicht fassen, was sie da getan hatte. Sie sah seine Augen, wie sie sie vorwurfsvoll anstarrten. Unbewusste krümmte sie sich wie ein Embryo zusammen, umklammerte sich selber. Fynn spürte eine Kälte in sich aufsteigen, die gewiss nicht vom Anhänger herrührte. Ihr wurde es eiskalt und alle Kraft war wie weggefegt. Nur schwerfällig konnte Fynn sich aufsetzen, denn sie wusste, dass sie hier nicht bleiben konnte. Das Mädchen musste hier weg, vom Schauplatz ihrer schändlichen Tat. Zittrig machte sie einen Schritt vor den anderen, bis sie bei den Pferden angekommen war, die aufgeregt angefangen hatten zu wiehern. Mühselig setzte sie sich auf eins der ungesattelten Tiere. Ihr fehlte die Kraft dazu, die für den Ritt fertig zu machen. Sie trat dem Hengst nur leicht in die Seiten und er setzte sich sofort in Bewegung. Wohin das Pferd sie trug, bekam sie nicht mehr mit, denn sie schlang die Arme um den starken Hals des Tieres und vergrub ihr Gesicht in der Mähne. Wieder fing sie an zu weinen, denn der Schmerz über ihre Tat saß zu tief. Wie hatte sie das nur tun können? Ja, er wollte sie umbringen, doch das gab ihr nicht das Recht, ihn zu töten. Wieso hatte sie es dann getan? Um ihr eigenes Leben zu retten, erkannte sie. Sie hatte nicht sterben wollen. Fynn hatte davor Angst, wie jeder andere auch. Sie hatte Tensh nur den Dolch ins Herz getrieben, um zu verhindern, dass sie starb. Nicht nur allein die Angst vor dem Tot hatte ihre Hand geführt. Ihre Freunde niemals wieder zu sehen, hatte sie verängstigt. Dennoch tröstet sie diese Erkenntnis nicht. Fynn fühlte sich elend. An ihren Händen klebte Tenshs Blut, das Blut eines Menschen. Sie hatte mit einem einzigen Dolchstoss ein Leben ausgelöscht. Sie hielt sich vor Augen, wie viele Menschen die Skormklinge schon ausgelöscht hatte. Im Grunde hatte das Mädchen etwas Gutes getan, doch dies wollte ihr nicht einmal in den Sinn kommen. Nur eins kam ihr in den Sinn. Sie wollte nach Hause und aufwachen aus diesem üblen Traum. *** Mit weit aufgerissenen Augen schreckte Obrikhan aus dem Schlaf auf. Der faltige, alte Mann rang nach Atem und zitterte und schwitzte am ganzen Leib. Er konnte nicht glauben, was er eben gesehen hatte. Der Oberhaupt der Priesterschaft von Skorm saß aufrecht im Bett und starrte mit leeren Blick in sein protziges Schlafgemach. Das einzige, was er sah, war ein Mann, ein kleiner Mann, aus dessen Brust der Griff eines Dolches ragte. Ein Traumbild, das ihm der Eroberer und Zerstörer gesandt hatte. Verwirrt starrte er weiter das Bild an, untersuchte es genau. Der Mann war in sich zusammen gesunken. Eindeutig war er nieder gestochen worden. Doch wer hatte dies getan? Nirgendwo sah er auch das leiseste Zeichen eines Kampfes. Zudem fragte sich der Priester wer der Mann war. Er kam ihm nicht im Geringsten bekannt vor. Obrikhan schälte sich schwerfällig aus den dicken Decken und schlürfte hinüber zu einem kleinen Tisch. Auf diesem entzündete er eine Kerze und setzte sich auf den bequemen Sessel. Der alte Mann strich sich über das faltige Gesicht und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Nur kurze Zeit später öffnete er diese und wusste alles über Tensh. Geheiligt sei Skorm! Eine Skormklinge hatte Skorm ihm also gezeigt. Aber aus welchem Grund, fragte sich Obrikhan nachdenklich. „Die Hüterin“, keuchte der Alte, als er hinter die Bedeutung des Traumbildes gekommen war. Der kleine Mann war der Hüterin des Herzschwertes nah genug gekommen, um von ihr getötet werden zu können. Welch eine Verschwendung, dachte er seufzend. Spione mit dem Talent Tenshs waren rar. Besonders solchem, die sich bei den nomadischen Völkern einschleichen konnten, wie den Wüstenreitern. Obrikhan stöhnte auf. „Sie ist in Jeris“, knurrte er frustriert. Sie war also in die Wüstenländer geflohen, wo der Einfluss der Klingen Skorms nicht besonders weit reichten. Zudem würde es den Imperator nicht sehr erfreuen, wenn er erfuhr, dass die Missgeburt außer Reichweite war. Oder vielleicht doch nicht? Ein hinterhältiges Grinsen huschte über das faltige Gesicht des Hohepriesters. Vielleicht konnte er sie noch erreichen, doch dafür brauchte er erst einen willigen Geist und er wusste genau, wo er einen solchen auftreiben könnte. Seine entsandten Attentäter würden es ihm sicher verzeihen, dachte er kichernd. Das hätte aber bis morgen noch Zeit, entschied er und erhob sich aus dem bequemen Sessel und zurück zu seinem Bett schlürfte. Er legte sich unter die dicke Decke und grinste noch einmal breit, als er sich seinen Plan noch einmal vor Augen hielt. Er war ja so schlau und tückisch, lobte er sich selbst. Doch rasch dankte er seinem Gott für die Informationen, die er in dieser Nacht erhalten hatte. „Mein Blut sei dir gewiss, o Allmächtiger“, murmelte Obrikhan. *** Fynn lag zusammen gesunken auf dem Rücken des Wüstenpferds, das langsam durch den Sand trabte. Ihr fehlte die Kraft durch die auf sie herab brennende Sonne und die Gedanken, das sie einen Menschen getötet hatte. Ihr unschuldiger Blick auf die Welt war für immer dahin. Sie war ein blutbeflecktes Mädchen in einer Welt voller Grausamkeit und Bosheit. Es war längst später Mittag, als sie durch die endlosen Weiten der Wüste ritt. Sie hatte seit ihrer Flucht kein Auge zu gemacht, sondern war geistesabwesend geritten, ohne zu wissen, wohin sie der Wüstenhengst brachte. Sie hatte sich bereits einen schmerzhaften Sonnenbrand zugezogen, denn das seidene Nachthemd bot genau so viel Schutz, als würde sie nackt sein. Sie starrte nur vor sich hin, während sie der Hengst unbeirrt weiter trug. Das Pferd, ein schlaues Tier, kannte den Weg, denn es vor nur einem Tag gelaufen war genau und verfolgte seine eigenen Spuren zurück zum Lager seines Herren, der gewiss nach ihm suchte. Die Wüstenhengste von Jeris waren sehr treue Tiere, die nicht einmal im Traum daran dachten, ihrem Herrn davon zu laufen. Denn sie wussten, dass diese sie beschützen und versorgen würden, wie sie selber es auch taten. Und gewiss würde seine momentane Reiterin ebenfalls Hilfe von seinem Herrn erhalten. Auf einer nahen Düne kam eine gebeugte Gestalt herunter. Der Hengst hielt inne und beäugte den Fremden. Auf einem knorrigen Stab gestützt und in sandfarbene Roben gehüllt, näherte sich ein alter Mann, der aussah, als bestände er nur noch aus Haut und Knochen. Der Alte stand kaum zehn Schritt von dem Hengst entfernt, der ihn genau im Auge behielt. „Was haben wir denn da“, sagte der Wanderer und kam auf das stolze Tier zu, das keinen Zoll zurück wich. „Was für ein schöner Hengst du doch bist, mein Freund.“ Mit freundlichen Lächeln kam der alte Mann auf das Tier zu. Es spürte, dass keine Gefahr von ihm ausging und ließ es zu, dass er näher trat. Der Alte hielt inne und betrachte den Hengst einen Moment, bevor er so weit zu ihm herüber kam, dass er ihm den kräftigen Hals streicheln konnte. „Wahrlich“, meinte der Alte und lächelte. „Du bist wirklich ein stolzer Hengst. Dein Herr muss gewiss sehr stolz auf dich sein.“ Er klopfte behutsam den Hals des Pferdes, bevor er die teilnahmslose Halbork erblickte. „Huch. Oder eher Herrin, mein Freund.“ Der Hengst behielt den Mann im Auge, als dieser zu dem Mädchen trat und es betrachtete. „Du armes Ding“, sagte er mitleidig und tätschelte die Hand Fynns, die schlaff an der Seite baumelte. „Du siehst ziemlich mitgenommen aus. Was ist dir bloß widerfahren?“ Er wartete auf Antwort, erhielt sie aber nicht. Er sah ihr einmal in die Augen dun wusste bescheid. „O weh. Du musst was wirklich Schlimmes erlebt haben, kleine Fynn.“ Drelden streichelt über den Kopf Fynns, doch sie reagierte nicht darauf. Er sah gen Himmel und schüttelte den Kopf. Mühselig streifte er sich seine Reiserobe ab, unter der er einfache Hosen und Hemden trug. Die Robe legte er dem Mädchen behutsam über die zierlichen Schultern. „Gräm dich nicht wegen deiner Tat, kleine Fynn“, sagte er zu dem Mädchen, das aber wieder nicht reagierte. „Der Bursch war ein übler Geselle. Ich an deiner Stelle hätte auch nicht anders gehandelt. Aber ich war ja nicht an deiner Stelle. Diese Erfahrung, egal wie schrecklich sie auch ist, musstest du früher oder später sowieso machen.“ Er strich Fynn erneut über das seidige Haar und lächelte mitfühlend. „Setz dich damit auseinander. Du wirst sicher bald selbst erkennen, dass du richtig gehandelt hast. Du bist die Hüterin des Herzschwertes, die Hüterin der Hoffnung. Halt dir das immer vor Augen. Und erinnere dich, dass du nicht alleine bist. Du hast Freunde.“ Drelden wand sich um und schirmte mit der Hand die Augen vor der Sonne ab. Er sah in die Ferne und entdeckte sich nähernde Reiter, die nicht mehr als zwei Meilen entfernt waren. Trotz seines hohen Alters waren seine Augen so scharf wie die eines Adlers. „Apropos Freunde“, sagte er grinsend und sah das Mädchen wieder an. „Ich glaube, da kommen sie schon. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, dass es Menschen gibt, die sich um dich kümmern. Na gut, du bist ihre Hoffnungsträgerin, aber halt dir das bloß nicht zu oft vor die Nase, hast du mich verstanden? Denn einige von ihnen sind es wirklich und sie werden nicht die einzigen bleiben.“ Der Alte seufzte und meinte schließlich: „Ich geh dann mal besser. Die würden sicher über mich herfallen, weil sie glauben, ich hätte dich entführt. Na dann. Auf wiedersehen, kleine Fynn.“ Der alte Mann wand sich um und spazierte ohne große Hast zurück zu der Düne, über die er eben noch spaziert war. Der Hengst sah ihm nach, bis er verschwunden war. Dann wand das kluge Tier seinen Blick in die Ferne, wo der Alte die Reiter gesehen hatte und strebte diesen sogleich entgegen. *** Lorgren und sein kleiner Trupp ritten unbeirrt weiter. Sie hatten die Verfolgung der Entführer nicht abgebrochen, denn es stand einfach zuviel auf dem Spiel. Den letzten Tag waren sie bis in die Nacht durchgeritten, bevor sie ein Lager aufgeschlagen hatten. Am nächsten Morgen waren sie sofort aufgebrochen und hatten bald die Spuren von Reitern entdeckt, denen sie folgten. Der Wüstenreiter hoffte inständig, dass dem Mädchen nichts passiert war. Er würde es sich niemals vergeben können, wenn er seinen Eid nicht erfüllen könnte. Die kleine Halbork war während ihrer gemeinsamen Reise so etwas wie eine Freundin für den Mann geworden. Zudem war Fynn sein Mündel, seine Schutzbefohlene, die sich auf ihn verlassen konnte. Die Reiter folgten weiter die Spuren, als einer der Reiter rief: „Dahinten! Eine Staubwolke!“ Die anderen folgten der ausgestreckten Hand des Wüstenreiters und erblickten schon bald die sich nähernde Staubwolke. Vorsichtshalber zogen die anderen Jerisanen ihre Bögen, denn in der Wüste war nicht jeder Mensch ein friedlicher Wanderer. Sie ritten dem Fremden entgegen, um ihn auf halbem Weg abfangen zu können. Lorgren gab zweien der Krieger die Anweisung, zu den Seiten auszuscheren, um den sich nähernden Reiter von den Seiten im Auge zu behalten und die Umgebung nach möglichen Gefahren auszukundschaften. Der restliche Trupp ritt in grader Linie weiter. Bald schon sahen sie die zusammengesunkene Gestalt des fremden Reiters sich nähern. „Das ist Ursals Hengst“, sagte einer der Wüstenreiter aufgeregt, als er das Tier erkannte, auf dem der Fremde ritt. Lorgren gab seinem Hengst die Sporen und das stolze Pferd eilte nur noch schneller über den heißen Sand, denn Lorgren machte sich Hoffnung, das es Fynn war, die da auf sie zu kam. Und tatsächlich war sie es. Der Wüstenreiter sprang von seinem Pferd und rannte dem nun stehen gebliebenen Hengst entgegen. Dort angekommen, zog er das ermattete Mädchen aus dem Sattel und legte es auf den Boden. „Fynn“, sagte er zu ihr und betrachte sie eingehend. Sie atmete, doch ihre Haut vor gerötet von der Sonne und sie wirkte erschöpft. „Fynn, geht es dir gut?“ Das Mädchen öffnete flatternd die Augen und starrte den Wüstenreiter benommen an. Sie schien nicht zu erkennen, doch schon bald riss sie die Augen weit auf und fing an zu weinen. Sie streckte die Arme nach dem Mann aus, der sie behutsam in seinen schloss und sie drückte sich an seine starke Brust, um dort Trost zu finden. „Ganz ruhig“, sprach er beruhigend. „Du bist in Sicherheit.“ „Du hast mich gefunden“, wimmerte das Mädchen erstickt. Die anderen Reiter trafen ein und sahen erleichtert, dass es sich tatsächlich um die Hüterin handelte. Doch Fynn beachtet sie nicht. Allein Lorgren galt ihre gesamte Aufmerksamkeit, ihrem Freund und Beschützer. Erleichterung durchflutete ihren bebenden Körper. Er hatte sie wirklich gefunden! Er hatte sie nicht einfach aufgegeben, wie andere es wohl gemacht hätten. Er war ihr gefolgt und nun hielt er sie in Armen, um sie zu trösten, sie zu beschützen. Fynn war glücklich, obwohl der Schmerz über ihre Tat noch tief in ihr ruhte und keine Anstallten machte, schon bald wieder zu verschwinden. Erschöpfung bemächtigte sich ihrer. Die angenehme Wärme des Körpers ihres Freundes und seines starken Arms ließ all ihr Widerstand nach und sie fiel in einen tiefen Schlaf. *** „Das ganze hat sie sehr mitgenommen“, berichtete Lorgren pflichtbewusst Nohrasil und dem Rat des Clans. Die weisen Männer nickten leicht, um ihm aufzufordern, weiter zu reden. „Ich schätze, dass wir noch hier bleiben werden. Fynn muss sich erholen.“ „Was ist mit dem Entführer, mit Tensh?“, wollte der Clanführer wissen. Schnell hatte man herausgefunden, das es sich bei dem Entführer des Mädchens um den kleinen, nervösen Mann gehandelt hatte, denn nirgendwo im Lager hatte man ihn gefunden. Der Wüstenreiter zuckte mit der Schulter. „Wir haben ihn bisher nicht gefunden“, sagte er. „Deine Leute suchen noch nach ihm. Der Lagerplatz ist zwar gefunden worden, aber er war nicht dort. Ich schätze, das irgendein Tier sich seine Leiche genommen hatte und sich nun an ihr gütig tut.“ „Pah!“, beschwerte sich Valzar, der der Berichterstattung beiwohnte. „Das arme Tier wird sich den Magen an ihm verderben, der kleinen Ratte.“ Die anderen bedachten den Zwergenkönig mit einem kurzen Blick, bevor sie sich wieder dem eigentlichen Thema widmeten. „Wer glaubst du, war er wirklich?“, fragte einer der Ratsherren Lorgren. „Ein Anhänger des Skorm“, erwiderte der Jerisane überzeugt. „Ein Priester vielleicht sogar. Er hat Ragas Leichnam entehrt, indem er ihn gegen uns geschickt hat, damit er uns tötet.“ Valzar Drachenhammer schnaubte abfällig. „Wirklich unschöne Sache“, bestätigte er. „Damit verhöhnt er den Toten und seine Familie. Bei uns nennen wir das Leichenschändung, jawohl!“ „Ruhig, Freund Valzar“, sagte Nohrasil zu dem Zwerg, der die Arme vor seinem Brustpanzer verschränkte und abfällig schnaubte. Er wand sich wieder Lorgren zu. „Es beunruhigt mich, das die Anhänger eines solch widerwärtigen Gottes sich unter meinen Leuten herum treiben. Mich läst der Gedanke erzittern, das noch mehr von diesen Ratten in Jeris herum lungern.“ „Am besten warnen wir unsere Brüder“, schlug einer der Ratsherren zu und die anderen nickten zustimmend. Nohrasil sah den Mann an, der ihm guter Freund war. Sein Blick ruhte erneut auf Lorgren, den künftigen Gatten seiner Tochter, in dem all seine Hoffnung ruhte. „Ich werde Boten entsenden, zu allen Wüstenstämmen, um sie vor Verrat zu warnen“, versprach er. „Und zusätzlich werde ich nach Tenosh jemanden schicken, der den Sultan warnen soll.“ Lorgren schüttelte, zu Überraschung aller, den Kopf. „Tenosh werde ich selber übernehmen, Nohrasil. Mein Weg führt mich dort hin, sobald es Fynn wieder besser geht. Schließlich ist das meine Mission.“ Die Ratsmitglieder und ihr Clanführer wechselten einen kurzen Blick, was den Wüstenreiter fragend die Stirn runzeln ließ. Dann wanden sie sich ihm wieder zu und Nohrasil sagte lächelnd: „Nun gut, Lorgren. Wir werden dir Tenosh überlassen. Wir verlassen uns auf dich.“ Lorgren nickte und neigte vor den hohen Herren das Haupt, bevor er sich umdrehte und das Zelt verließ. Am Eingang hielt er inne und sah zu Valzar, der sich bisher noch nicht vom Fleck bewegt hatte. Der Zwerg sah zu ihm. „Geh schon mal vor“, sagte dieser ganz unverbindlich. „Muss noch was mit Nohrasil besprechen.“ Lorgren nickte und ließ sie allein. *** Valzar wartete bis er mit dem Clanführer und den Ratsmitgliedern alleine war. Dann schenkte er den Wüstenreitern seine volle Aufmerksamkeit. „Könnt euch glücklich schätzen, Lorgren zum Schwiegersohn zu bekommen“, sagte der Zwergenkönig zu Nohrasil. „Das bin ich auch“, sagte der Mann stolz und die anderen nickten. Doch dann sah er den Zwerg ernst an. „Es schmerzt mich aber, dass ich ihm nicht alles anvertrauen kann.“ „Das kann ich gut verstehen, Clanführer“, gestand Valzar brummend. „Hab den Wüstensohn auch gern, dennoch muss ich sagen, dass er nicht alles wissen sollte.“ „Seit ihr euch sicher, König Drachenhammer?“, fragte Nohrasil ernst. „Besser ist besser.“ Valzar zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Lorgren macht sich zu viele Gedanken, besonders seit der Entführung von Fynn. Er soll sich ganz auf das Mädchen konzentrieren, nicht auf etwas anderes.“ Die Ratsmitglieder des Sanddrachenclans sahen einander an, bevor sie dem Zwergenkönig wieder alle Aufmerksamkeit zukommen ließen. „Ist das der Grund, warum ihr uns verlassen wollt?“, fragte der Clanführer und faltete die Hände. Valzar Drachenhammer nickte ernsthaft. „Nicht nur“, antwortet der Rotbärtige. „Ich mach mir Sorgen um meine Sippe. Wenn die Hampelmänner von Skorm schon in der Wüste sind, dann würde es mich nicht wundern, wenn sie schon in Helios herum lungern.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr fort. „Ich muss den König und seine Fürsten davon in Kenntnis setzen, das Otomor die Hüterin jagt.“ „Könnte es dafür nicht schon zu spät sein?“, fragte einer der anderen Wüstenreiter. Valzar legte den Kopf schief und dachte darüber nach. War es vielleicht wirklich zu spät? War Helios nun verloren, nach all den Jahrhunderten des dauernden Widerstandes gegen die imperialen Armeen? Wahrscheinlich war es, das der Verrat längst begonnen hatte, doch aus Erfahrung wusste Valzar, das die Helioser ein tapferes Volk waren und sich niemals so schnell ergeben würden. „Das weis ich nicht“, gestand der junge Zwerg“, aber ich bin dennoch dazu verpflichtet meinen Verbündeten eine Warnung zukommen zu lassen.“ „Das verstehen wir, König Drachenhammer“, sagte Nohrasil und erhielt zustimmendes Nicken von seinen Freunden. „Wann gedenkt ihr aufzubrechen?“ „Sobald es der Hüterin besser geht.“ Valzar dachte kurz nach und nickte. „Ich halte es für das Beste. Sie soll nicht denken, ich lass sie einfach im Stich.“ Nohrasil nickte kaum merklich, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte. „Ihr seit solange mein Gast und ich werde euch von einigen meiner Männer zurück zu den Bergen führen lassen.“ „Guter Vorschlag. Hab nämlich keine Lust mich in der Wüste zu verlaufen“, brummte Valzar. *** Die Tage vergingen nur langsam, während sich Fynn von der Entführung erholte. Lorgren musste sich ebenfalls ausruhen, denn der Kampf mit Raga und die anschließende Verfolgungsjagd hatte ihm arg zugesetzt, obwohl er dies bestritt. Obwohl Amirah aufpasste wie ein Luchs gelang es dem Jerisanen ein ums andere mal sich davon zu stehlen und nach Fynn zu sehen, die seit der schicksalhaften Nacht kaum ein Wort gesprochen hatte oder aus dem Zelt gekommen war. Das Halbork-Mädchen hatte Alpträume von der Nacht, in der sie Tensh getötet hatte, sah deutlich seine blicklosen Augen vor sich, wie sie anklagend anblickten. Fynn wand sich jede Nacht im Schlaf, schlug um sich, während sie unter Tränen darum bettelte, das es aufhören sollte. Sie wusste, das sich ihre Freunde Sorgen um sie machten. Sie las es deutlich in ihren Augen, wenn sie bei ihr waren. Gerne hätte sie die Zwerge und den Wüstenreiter dafür angeschrieen, sie sollten sie nicht so ansehen, doch ihr fehlte die Kraft dazu. Doch langsam erholte sie sich, trotz der plagenden Träume. Sie verließ gelegentlich das Zelt, um etwas Luft zu schnappen, verschwand aber sofort wieder darin, wenn ein Mitglied des Sanddrachenclans ihr gegenübertrat. Ihre Scheu war zurück gekehrt, wirkte auf andere fast wie Angst vor unbekannten Gesichtern. Eines Nachts, es waren fünf Tage seit der Entführung und Tötung Tenshs vergangen, saß Fynn zusammen gekauert auf ihrem Nachtlager, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und leise schluchzend. Wieder hatte sie die Bilder der toten Skormklinge aus den Schlaf gerissen und gepeinigt. Es war zum Wahnsinnig werden. Fynn fühlte sich ermattet, sehnte sich nach traumlosen Schlaf, doch dieser wollte einfach nicht kommen. Den Schlaftrunk des Heilers hatte sie stur abgelehnt, aus furcht eine ganze Nacht lang die Pein durch Tenshs Ableben zu erleben. „Warum?“, fragte das Mädchen in die Stille ihres Zeltes hinein. Einmal mehr hoffte sie, ihre gesamte Reise wäre nur ein böser Traum, aus den sie jeden Moment erwachen würde. Doch dem war nicht so, wusste sie es doch selbst. Alles war real. Der Anschlag Jakobs, Ians und Brokos Tot, die Entführung und das anschließende Ableben Tenshs. Alles war so schmerzhaft, materte ihre arme Seele ohne Unterlass. Wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen, doch störte sie sich nicht daran oder machte Anstallten sie weg zu wischen. Was hatte es für einen Sinn, sich dafür noch Mühe zu geben, wenn die Tränen nächtelang nicht ausblieben? Sehnsüchtig sah sie zum Ausgang ihres Zeltes. Fynn spielte, wie bisher jede Nacht, mit dem Gedanken Lorgren aufzusuchen, um bei ihm Trost zu finden. Sie wusste, die wohltuende Wärme des Anhängers würde sie umfangen, wenn der Mann in ihrer Nähe wäre, würde sie einlullen, bis sie einschlief. Vielleicht, so hoffte das Mädchen, würde sie einen traumlosen Schlaf haben. Einmal war es schon so gewesen, in den Bergen, nachdem die Kameraden Zwergenstein verlassen hatten. Lorgren hatte die ganze Nacht über sie gewacht und ihr waren weitere Alträume erspart geblieben. Nein, entschied sie, einmal wieder. Der Wüstenreiter brauchte seine Ruhe, musste er sich doch vom Shar´Thek erholen. Zudem würde Amirah toben, sollte sie sehen, das beide zusammen das Nachtlager teilen würden. Und Ärger mit der stolzen Wüstenprinzessin wollte sie nicht riskieren, sowie sich dem Jerisanen anzuvertrauen. Was sollte sie nur machen? „Wieder am weinen, kleine Hüterin?“ Die Stimme ließ Fynn aufschrecken und herum wirbeln. Nein, nicht schon wieder, dachte sie entsetzt, als sie die schattenhafte Gestalt sah, die in einer Ecke ihres Zeltes hockte und sie beobachte. Nein, sie wollte nicht wieder kämpfen und gezwungen sein jemanden zu töten. Sie würde es nicht ertragen. „Keine Angst“, meinte sie Stimme, die ihr nun merkwürdig bekannt vorkam. Nun bemerkte sie auch die azurblauen Augen, die sie freundlich musterten. „Von mir musst du nichts zu befürchten haben, mein Kind.“ „Drelden“, sagte Fynn und deutlich hörte der alte Mann Erleichterung aus ihrer Stimme heraus. Drelden lächelte und schlürfte hinüber zu Fynn, setzte sich vor sie und tätschelte väterlich ihre Hand. „Du siehst müde aus“, sagte er mitfühlend. „Das bin ich auch“, murmelte Fynn und legte ihren Kopf auf ihre angewinkelten Knie. „Was bekümmert dich, mein Kind?“, fragte der alte Jerisane. Fynn hörte, das er es sich etwas bequemer machte, machte aber keine Anstalten ihn anzusehen. „Du siehst nicht gut aus. Bist etwas blass um die Nase und Augenringe zieren deine übermüdeten Augen.“ „Ich habe... einen Menschen umgebracht“, murmelte das Mädchen erstickt und musste ein Schluchzen unterdrücken. Wieder erschien vor ihrem Inneren Auge das Bild von Tensh, wie er sie ungläubig anstarrte, als sie ihm den Dolch, der eigentlich ihr Leben hätte beenden sollen, in die Brust gestoßen hatte. Ihre Überraschung war groß, als sich Arm, überraschend kräftig, um sie legten und in eine sanfte Umarmung zogen. Fynn erstarrte, spürte aber die Wärme des Anhängers, die sie einhüllte. Sie sah auf, sah, das es Drelden war, der sie in die väterliche Umarmung genommen hatte und es brach aus ihr heraus. Das Schluchzen wurde zu einem Weinen. Das Mädchen klammerte sich an die sandfarbene Robe des Alten und presste ihr Gesicht an seine Brust. Fynn weinte sich all ihren Schmerz von der Seele: Den Verlust Ians und Brokos, den Verrat Jakobs, den Mord an Tensh. Sie vergoss für alles ihre Tränen. Ihre ganzer Körper zitterte, ihr Schluchzen war mitleiderregend und schmerzerfüllt. Behutsam hielt sie Drelden fest, der ihr vorsichtig über den Rücken strich. Allmählich beruhigte sich das Mädchen. Drelden ließ sie wieder los. Verlegen hielt Fynn den Blick gesenkt, traute sich nicht, dem alten Mann ins Gesicht zu sehen. Fynn sah auf und sah das väterliche Lächeln auf dem faltigen Gesicht des silberbärtigen Wüstenbewohners. Sie fühlte sich an Berold erinnert und das Heimweh kam wieder auf. „Wie fühlst du dich?“, fragte de alte Mann neugierig. Das Mädchen sah ihn einen Augenblick an, bevor sie antwortet: „Besser... glaub ich.“ Das Weinen hatte ihr gut getan, hatte ihr einen Teil ihres Kummers genommen. Doch das Gefühl, das sie seit ihrem Mord an Tensh ihre Gefühlswelt beherrschte war nicht geringer geworden. Noch immer fühlte sie sich beschmutzt, fühlte sich, als würde sie jeden Moment zusammen brechen. Sie fragte sich, wie Soldaten und Krieger damit fertig wurden, wie sie die emotionale Kälte ertragen konnten. „Weist du“, sagte Drelden und riss sie aus ihren Gedanken, „die Welt hat ihre Licht- und Schattenseiten. Die Völker haben gelernt mit beiden zu leben. Du fühlst dich sicher schrecklich wegen deinen Tat.“ Fynn senkte den Kopf und nickte knapp. „Das ist ganz normal. Das geht uns allen so. Bei mir war es nicht anders, als ich meinen ersten Gegner im Kampf getötet habe.“ Erstaunt sah Fynn ihn an. „Ja, in meiner Jugend hab ich getötet“, sagte Drelden seufzend. „Du musst verstehen, dass das Leben in der Wüste sehr gefährlich ist. Wüstenreiter kämpfen praktisch jeden Tag ums Überleben und sind daher auch gezwungen andere Leben zu beenden. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Gegner, einen Straßenräuber, der vorhatte mich zu töten, um an mein Gold zu kommen.“ Der Alte schloss die Augen und strich sich gedankenverloren über den langen Silberbart. „Ich war ein junger Mann voller Tatendrang und wollte was von der Welt sehen. Mit einer Karawane verließ ich meine Heimat und kam irgendwann ins Drachenkönigreich.“ „Drachenkönigreich?“, unterbrach Fynn den alten Drelden. Er sah etwas irritiert drein, was Fynn ein zaghaftes Lächeln entlockte. Ohne das Drelden es wollte, brachte er das Mädchen zum Schmunzeln. Als er dies merkte, grinste er breit. „Ja, das Drachenkönigreich. Hast du schon davon gehört?“ Fynn nickte zaghaft. „Aha, verstehe. Noch nicht allzu viel, schätze ich mal. Kein Wunder. Na ja, also wo war ich? Ach ja. Ich war also im Drachenkönigreich und wollte mir die Stadt ansehen. Leider stellten sich dann diese Straßenräuber mir in den Weg und ich war gezwungen zu kämpfen. Ich war zwar der Sieger, aber durch mein Schwert starb ein Mensch. Ich war am Boden zerstört, obwohl ich wusste, das ich mich nur verteidigt hatte. Eine emotionale Kälte erfasste mich. Aber ich hab´s überwunden und erkannt, das ich als Krieger nicht hatte anders handeln können. Und hunderttausend anderen erging es nicht anders. Sie alle haben dies durchgemacht. Einige verkraften es besser, als andere.“ Fynn ließ sich die Worte des Alten durch den Kopf gehen. Sie hatte geahnt, das sie nicht alleine damit war, aber das es einen jeden betraf, der einmal zum Töten gezwungen war, überraschte sie schon. Wie naiv sie doch war, klagte sie innerlich und schloss die Augen. Sie hielt sich vor Augen, wie wenig sie doch über die Welt wusste. Schließlich sah sie wieder Drelden an und sagte: „Danke für deine Worte, Drelden. Ich glaube, ich verstehe, was du mir sagen willst.“ „Das höre ich gerne.“ Er lächelte zufrieden. „Aber lass das Thema nicht ruhen, hörst du? Setze dich weiter damit auseinander. Zieh dich nicht zurück, sondern hol dir Rat bei deinen Freunden und Gefährten. Sie alle waren auch einmal in dieser Lage. Ich hoffe, das du meinen Rat befolgen wirst.“ Fynn zögerte eine Antwort hinaus, doch schließlich nickte sie. „Ich werde mich an deine Worte halten, Drelden“, versprach sie. „Ich danke dir.“ „Jetzt hör aber auf“, kicherte der Alte. „Ich werde sonst noch ganz verlegen. Und nun, schlaf etwas. Du musst wieder zu Kräften kommen und Schlaf ist ein guter erster Schritt dazu.“ *** Obrikhan beobachte den Imperator, während dieser auf einem der ausladenden Balkone des Thronsaals stand und die Dächer Otomors schweigend beobachte, sich die Worte des alten Priesters durch den Kopf gehen ließ. Der Oberste der Bruderschaft des Skorms hatte ihn von den bisherigen Erfolg der Jagd nach der Hüterin berichtet und obwohl Sadrojor schwieg, wusste der alte Mann, das der Herrscher des Imperiums aufgebracht war. Obrikhan wünschte sich einen der berühmten Wutausbrüche seines Imperators, denn er wusste, wo er da bei ihm war. Ein schweigsamer Sadrojor Schädelmeister II. war genau so gewöhnlich, wie ein schwatzhafter gelehrter Oger: ein Ding der Unmöglichkeit! Der Imperator wand sich dem Obersten zu und blickte ihn mit seinen mitternachtsblauen Augen an. „Deine Nachrichten sind nicht sehr zufriedenstellend, Obrikhan“, sagte der in die Jahre gekommene Krieger und schlenderte gemächlich zu seinem Thron hinüber. Er setzte sich in den aus dem dunklen Gestein des Schwarzsteingebirges gefertigten Thron und legte die Hände auf die gepolsterten Armlehnen. „Verzeiht, mein Imperator“, sagte der faltige Mann und verneigte sich mit einiger Mühe. „Die Klingen Skorms sind der Hüterin dicht auf den Fersen, doch das Miststück ist glatt wie ein Aal und wies sich immer wieder unserem Griff zu entziehen.“ „Entschuldigungen vermögen es nicht, mich zu besänftigen“, erwiderte Sadrojor bedrohlich. „Ich will, das die Hüterin stirbt. Und das schnell!“ Obrikhan nickte ergeben. „Sie sucht das Herzschwert und sobald sie es in Händen hält, stellt sie eine Bedrohung für die Macht Otomors dar. Es darf nicht so weit kommen.“ „Meine Brüder und ich werden dies zu verhindern wissen“, beeilte sich Obrikhan zu sagen. „Bisher wart ihr aber nicht sonderlich erfolgreich dabei, wie es scheint“, meinte Sadrojor sarkastisch. „Ich habe bereits zwei der besten Meuchler der Skormklingen entsandt“, erzählte Obrikhan, „um die Hüterin zu finden und zu töten. Sie kennen keine Gnade und werden ihre Aufgabe erfolgreich beenden. Ihr bracht nicht besogt zu sein, mein Imperator. Diese beiden kennen ihr Handwerk besser, als jeder andere ihres Ordens.“ Sadrojor machte eine wegwerfende Handbewegung. Dem obersten Priester der Bruderschaft des Skorms war bekannt, das der Herrscher des Otomorischen Imperiums keine allzu große Meinung von den Klingen Skorms hatte. In seinen Augen waren sie ein Haufen von fanatischen Meuchlern und Halsabschneidern, die es nicht wert waren, das man sie überhaupt erwähnte. „Ich hoffe, das diese beiden Erfolg haben werden, sonst sehe ich mich gezwungen, über das Weiterbestehen der Klingen Skorms nachzudenken.“ Deutlich hörte Obrikhan die Drohung hinter den Worten des Imperators und er glaubte, das er seine Drohung wahr machen würde. „Ja, mein Imperator“, erwiderte der Hohepriester und verneigte sich unter größter Mühe. <<<:>>> Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)