Point Zero von Nachtwandler (Das Leben geht weiter. Aber einer fehlt.) ================================================================================ changes ------- Für Kao (deren Geduld sehr strapaziert wurde), _Kao, Kat, hi-chaan, Jukiko, Kusaru12, -len-, nawa, Peach_Pocky, Uma_uma, Yo-mi und alle, die ich vergessen habe ... XD Danke, dass ihr solange gewartet habt. Und weiter geht's mit dem nächsten Kapitel! ________________________________________________________________________________ Warum war ich bei ihm geblieben? Und warum hatte ich vor, wieder zurückzugehen zu ihm, auch wenn ich wusste, dass ich es wahrscheinlich wieder kaum ertragen konnte, ihn stumm - und das auch noch im wahrsten Sinne des Wortes - vor sich hin leiden zu sehen. Es machte mich wütend, dieses ewige Leiden. Es machte mich traurig, weil ich ihm nicht helfen konnte, weil ich glaubte zu wissen, wie es enden würde. Es machte mich verzweifelt. Warum, das wusste ich mir selbst nicht zu erklären. Ich hätte nur aus der Bahn aussteigen müssen, und mich in einen Zug in die entgegengesetzte Richtung setzen müssen. Ich hätte mein Versprechen gebrochen und wahrscheinlich in einem Monat einen Selbstmord, den ich ohnehin nicht hätte verhindern können, verschuldet. Ich hätte ein weiteres Herz - neben meinem eigenen - zerbrochen. Verdammte Sentimentalität. Warum, fragte ich mich zweifelnd und eingequetscht wie eine Sardine in der Masse der Menschen um mich, fuhr ich also wieder zurück? Ich hatte doch gesehen, wie wenig ich ihm helfen konnte. Weder war ich ein Psychologe noch ein besonders sensibler Mensch, der genug Empathie besaß, um auch ein Schweigen zu deuten. Allerdings wollte ich mich auch nicht unbedingt als emotionalen Holzklotz bezeichnen. Warum also? Die Antwort aber war simpel: Weil Kyo jemanden brauchte. Jemand, der einfach da war und sich eine Weile lang um ihn kümmerte. Und ich war da, nicht, weil ich unbedingt jemanden brauchte, um den ich mich kümmern konnte, sondern weil ich einfach etwas tun musste, um mich abzulenken. Wäre der Anruf nicht gekommen, wäre ich nach einigen Tagen wahrscheinlich los gezogen, um mir eine Arbeit - eine neue Band wollte ich nicht, nach allem was geschehen war - zu beschaffen, damit ich aufhören konnte, zu denken und mir Vorwürfe zu machen. Also war meine Anwesenheit zu unserer beider Vorteil. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte ich wohl Toshiya und Shinya das Ruder überlassen. Doch inzwischen war ich mir nicht einmal sicher, ob das die beste Lösung gewesen wäre. Das glückliche Paar und immer in der Gegenwart eines anderen, der nicht damit aufhören konnte, um seinen toten Geliebten zu trauern. Gruselig. Aber noch vor einer Stunde ... Ich hatte in aller Eile meine Sachen gepackt. Ein Blick in den Badezimmerspiegel zeigte mir, dass ich schon seit ungefähr einer Stunde mit einem unmöglich dümmlichen Grinsen herumlaufen musste. Ich versuchte meine Mundwinkel auf ein normales, neutrales Niveau herunter zu biegen, damit ich nicht mehr so sehr nach "Verliebtem Trottel, der für seinen Angebeteten Frühstück besorgt" aussah. Zumal es mir wirklich nur um das Frühstück ging. Trotzdem gelang es mir nicht. Ich verrollte großzügig die Augen. Ich schwang meine vollgestopfte Sporttasche über die Schulter und war gerade im Begriff, die Wohnung zu verlassen, als das Telefon klingelte. So fordernd und so energisch, dass es nur ... "Shinya?", fragte ich gereizt. "Ne, der andere, der mit den schwarzen Haaren, der mal am Bass war", kam es amüsiert von einer tieferen Stimme am anderen Ende der Leitung. "Toshiya!", rief ich aus, überrascht, dass es dem anderen gelungen sein musste, Shinya das Telefon zu entwenden. "Genau. Schön, dass du dich noch an meinen Namen erinnerst“, mittlerweile triefte seine Stimme von Sarkasmus und ich vermeinte sein schräges Grinsen noch am anderen Ende der Leitung sehen zu können. Ich ging nicht drauf ein. „Ich schätze, du rufst wegen Kyo an?“, es war eigentlich keine Frage meinerseits. „Korrekt. Wie geht es ihm?“ „Du glaubst also, ich hätte ihn schon gefunden?“ „Bei mir hat vorhin so ein komischer Kerl angerufen - er war ziemlich aufgebracht, meinte, du hättest ihn hereingelegt und ihm die Nummer eines Imbiss-Service untergeschoben. Zuerst wusste ich nicht, was er mit uns zu tun hatte -“, ich unterbrach ihn und führte die Geschichte selbst zu Ende: „- aber dann stellte sich heraus, dass es ebenjener Fotograph war, dessen Kamera du zertrümmert hast, als Shin gerade in der Maske war und der dich damals mit einem Bodyguard verwechselt hat. Der mir die Adresse von Kyo gegeben hat.“ „Richtig“, er war nicht überrascht über meine detailreiche Kenntnis der Geschichte und klang eher ein wenig resigniert und schuldbewusst. „Dass dieser Idiot auch gerade in - Also, wie geht es Kyo?“ „Ich schätze - unverändert. Er spricht nicht, er ist ein bisschen abgemagert und ich glaube -“, ich führte den Satz nicht zu Ende. Dass er sich ritzte, wusste ich nicht mit Gewissheit, denn als ich heute morgen im Bad gewesen war, lag die Klinge nicht mehr vor dem Spiegel. Und auch die letzte Nacht ... - „Ich glaube nicht, dass wir uns noch große Sorgen machen müssen. Ich war jetzt einen Tag bei ihm und irgendwie ... glaube ich, dass er nur ein wenig Gesellschaft braucht.“ „Das ist gut. Ich werde es Shinya erzählen. Du bleibst doch noch ein paar Tage bei ihm?“ „Ja.“ „Ruf mich an, wenn du es nicht mehr aushältst - oder wenn irgendetwas schief geht, ok?“ „Mach ich. Macht euch nicht so viele Sorgen.“ Ich legte auf, bevor er noch etwas erwidern konnte und verließ meine Wohnung beinahe fluchtartig. Schon wieder zu viel Vergangenheit. Bereits als ich die Tür aufschloss - (auf dem Weg hatte ich mir den Schlüssel nachmachen lassen, nur für den Fall ...) - hörte ich schon gedämpft das Rauschen der Dusche. Keine Stimme, die sang. Ich wusste nicht, ob Kyo grundsätzlich nicht unter der Dusche sang oder – ob er es einfach nicht mehr konnte. Aber immerhin ... Ich verschwand in der Küche, um den ersten Tee zu bereiten. Nach einigen Minuten, in denen das Wasser anfing zu kochen, war dann plötzlich Stille, dann gingen Schritte hinter mir zurück ins Schlafzimmer. Einen Augenblick lang - so schien es mir - blieben sie auf meiner Höhe stehen. Stand er hinter mir? Ich drehte mich nicht um und tat, als ob ich nichts bemerkt hätte. Doch meine Hand zitterte, als ich etwas aus dem Kühlschrank nahm und verriet mich. Eine Tür ging zu und blieb es für eine Weile. Gerade war ich damit fertig, den Tisch zu decken, da erschien Kyo. Er setzte sich mir gegenüber, hielt den Kopf aber gesenkt und sah mir nicht in die Augen. „Guten Morgen“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass keine Antwort kommen würde. Er bedachte mich nicht einmal mit einem Blick. Meinetwegen, dachte ich und zuckte innerlich mit den Schultern, ich war jetzt auch schon die letzten Monate allein und wenn Kyo nicht mit mir reden wollte und sich nicht traute, mich anzusehen dann ... konnte ich ihm nicht helfen. So einfach war das. Ich begann zu essen, ohne darauf zu warten, dass er es mir gleich tat. Ab und zu sah er zu mir herüber und selbst dann schien er mich nicht wahr zu nehmen, selbst dann schien er hinter mir jemanden zu sehen, der nicht da war, doch mich sah er nicht direkt an. Ich weiß nicht, ob das der Auslöser für das war, was ich dann tat - obwohl es vollkommen unbeabsichtigt war. „Tee?“ fragte ich. Kyo sah mich an, als versuchte er eine Absicht zu ergründen, die sich hinter meinen Augen - starr mich nicht so an! - verbarg, die nicht da war. Er schob mir seinen Becher hin. „Achtung - er ist noch sehr heiß“, warnte ich ihn vor, aber da war es bereits geschehen. Ein verirrtes Schwappen des dampfenden Tees traf seine Hand und er zuckte mit so etwas wie einem sehr leisen Schrei zurück, während sich sein Gesicht vor Schmerz verzog und er mich mit großen Augen anstarrte. „Entschuldige“, begann ich, völlig überrumpelt von der Tatsache, dass er immerhin einen Laut von sich gegeben hatte „ist es schlimm?“ Ich streckte meine Hand aus, zu ihm über den Tisch - er zögerte. Ich zog die Hand zurück. „Entschuldige“, wiederholte ich, diesmal leiser und war mir nicht sicher, warum ich das überhaupt sagte. Kyo schwenkte seine Hand ein paar Mal hin und her, dann - streckte er sie mir entgegen. Es war wohl mehr ein Reflex, denn ein bewusster Gedanke, dass ich sie sofort ergriff. Wir sahen uns an. Es war gut. Einige zeitlose Augenblick lang verharrten wir so. Dann saßen wir uns wieder schweigend gegenüber, ich gedankenverloren und mit einem Mahl satt, beide Hände um die Teetasse verschränkt, Kyo einzig und allein mit Augen für seine Mahlzeit, um seine Schultern hing noch das nasse Handtuch, beide Arme waren mit weißen Verbänden umwickelt, die aus den Ärmeln seines schwarzen Sweat-Shirts herauslugten. Also doch. Dass ich da war, hatte wahrscheinlich nichts verändert. Warum auch? Was hatte ich mir erwartet? Dass er Die einfach so vergessen würde und dann weiterlebte wie zuvor? Oder dass etwa ich, Kaoru, etwas verändern konnte, ein kleiner Stein in dem Mahlwerk der Gleichgültigkeit? Und das nur dadurch, dass ich da war? Was für ein Narr ich doch war. Was für ein armer, leichtgläubiger Narr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)