Des Engels Tagebuch von MoonshineTora (Rrazpharroth) ================================================================================ Kapitel 37: Wer ich bin ----------------------- Ich begleite Gabriel bis an einen Durchlass, an dem die Passagiere in einer Reihe stehen. Uniformierte Männer – ich schätze, es sind Sicherheitsmänner – stehen daneben und untersuchen jeden einzelnen Passagier penibel. Ich erinnere mich wie ich Gabriel gefragt habe, wozu das gut sei, als wir von Girenia nach Dansul geflogen sind. Sie haben uns mit Sensoren untersucht, und wir mussten durch einen gerahmten Durchgang. Das war mir sehr unangenehm. Aber Menschen scheinen dies zu benötigen um Anschlägen und Unfällen vorzubeugen. Gabriel stellt sich an. Ich gehe jeden Schritt mit ihr. Nach dem nur noch zwei Personen vor uns stehen nehme ich sie noch einmal in den Arm. Ich flüstere ihr: „Passe gut auf dich auf.“ Ins Ohr. So gesehen eine unlogische Aussage. Aber mehr wusste ich nicht zu sagen. Sie lächelt mir beherzt entgegen. Dann muss sie untersucht werden. Als sie zu ihrer Schleuse geht sehe ich ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Dann verlasse ich den Flughafen. Ich erlaube es mir auf dem Dach des Gebäudekomplexes zu landen und sehe mich nach dem Flugzeug um indem Gabriel sitzt. Es dauert eine Weile bis ich es entdecke, als es gerade auf die Startbahn rollt. Ich sehe sie gerade so. Es ist fast schon zu weit weg um ihre Farbe noch erkennen zu können. Nachdem die Triebwerke auf voller Leistung laufen rollt die Maschine an. Ich habe schon einige Starts miterlebt. Aber aus einem unerfindlichen Grund erregt mich dieser am meisten. Die Maschine hebt ab. Ich lasse mich in die Winde fallen und folge ihr. Mit weit geöffneten Schwingen fasse ich den Aufwind und mit einigen, wenigen Flügelschlägen beschleunige ich. Nach einigen Kilometern, die das Flugzeug an Höhe erreicht hat, entstehen Kondensstreifen. Ich segle knapp über ihnen. Dies sind schädliche Wolken. Vom Boden aus wirken sie wie auf eine blaue Fläche gezeichnet. Aber wenn man auf derselben Höhe fliegt, dann bekommen sie Räumlichkeit. Vom Erdboden aus wirkt alles anders. Die Wolken wirken klein und flach. Erst in der Luft wird ihr volles Ausmaß sichtbar. Gigantische Wolkenberge, größer als der höchste Berg dieses Planeten. Zarte Wolkenteppiche, die von ihnen durchstoßen werden. Das Flugzeug hat eine stabile Fluglage erreicht. So entschließe ich mich, das Flugzeug nun ziehen zu lassen. Mapharran wartet sicher schon. Ich drehe ab und halte den Kurs auf Zuhause. Der Wind weht alle meine Sorgen davon. Ich bin in meinem Element und ich fühle mich sehr wohl darin. Ich drehe Schrauben in die zarten Wolken die wie Seidentücher durch den Himmel ziehen. Streife mit den Flügelspitzen die Wolken, sodass sie vom entstehenden Windzug mitgerissen werden und verwirbeln. Ich umkreise hohe Quellwolken mit ausgebreiteten armen. Unglaublich, wie frei ich mich fühle. Das alles hätte ich verpasst, wenn ich nicht zu dem geworden wäre, der ich nun bin. Nun kann ich fühlen wer ich bin. Ich kann das Leben fühlen. Das können die Rrouharran nicht. Sie fühlen die Freiheit nicht. Das macht mich individuell. Das macht mich zu dem, der ich bin. Nach kurzer Zeit des Vergnügens treffe ich Zuhause ein. Das Schloss ragt noch immer erhaben, aber nun einsam weit in den Himmel hinein. Die Oberfläche reflektiert das darauf fallende Sonnenlicht wie die Wasseroberfläche des Meeres. Ich erkenne Mapharran. Er steht zur Sonne gewendet auf der weiten, freien Fläche des Schlosses und nährt sich. Er hat meine Anwesenheit sicher schon bemerkt bevor ich überhaupt in Sichtweite war. Ich lande neben ihm und schaue ihn eine Weile an. Ein Hallo sollte ich nicht von ihm erwarten, auch nicht, dass er mich eines Blickes würdigt. Ich starre ihn einfach an. Nachdem wie erwartet keine Reaktion kommt tue ich es ihm gleich und nähre mich. Es ist ein vertrautes Gefühl hier auf der weißen Ebene zu stehen und das Licht einzufangen. Mapharran spricht kein Wort. Mir ist nie aufgefallen, dass Rrouharran solch schweigsame Kreaturen sind. Natürlich. Sie müssen untereinander nicht kommunizieren. Sie haben ein Kollektivbewusstsein. Was einer weiß, wissen alle und ungekehrt. Alles, was nun an neuen Informationen in ihr Bewusstsein gelangt, bleibt für mich verborgen. Ich habe nicht mehr die Möglichkeit, gar das Recht, ein Teil dieses Bewusstseins zu sein. Ich bin nun ein eigenes Bewusstsein. Welches ich mit niemandem Teilen kann. Die Tatsache, dass man von etwas ausgegrenzt wird zudem man lange Zeit dazugehört hat, stimmt mich traurig. „Du bist noch sehr jung, Rrazpharroth.“ Ich bin überrascht, dass Mapharran das Schweigen plötzlich bricht. Jung, sagt er. Ich empfinde nicht so. „Du wirst noch viel lernen müssen. Nun, da Du Emotionen empfinden kannst.“ Ich habe die Befürchtung, dass er mir mit seiner direkten Art wehtun wird. Nein. Es tut schon weh. „Dein sachliches Wissen über Vieles schützt Dich nicht vor Angriffen auf deinen Geist. Diese junge Menschenfrau kann Dich dabei unterstützen dein Ich zu stärken und zu mobilisieren. Damit Du deinen Emotionen nicht hilflos ausgeliefert bist.“ Was soll ich dazu noch sagen? „Warum sagst du mir das?“ „Deine Farben flimmern unruhig.“ Ich sehe in das tiefe Blau. Verfolge den Zug der Wolken. Wie sie sich aufbäumen und in sich zusammenfallen. Ich versuche mich abzulenken. „Ja… ich bin alles andere als ausgeglichen. Ich weiß nicht wo ich stehe. Wo ich hingehöre. Wo ich sein darf. Wer ich bin.“ „Du darfst dich nicht bei anderen suchen.“ „Wie meinst du das?“ ich wende meinen Blick nicht vom Himmel. Muss ich nicht um Mapharran zu sehen. Der Rrouharran in mir erlaubt es mir alles um mich herum wahrzunehmen ohne das meine Augen darauf gerichtet sein müssen. Dennoch erlaubt es mir der Mensch, die Umgebung in ihrer materiellen Form zu erkennen. „Keiner kann dir sagen wer du bist, außer Du selbst.“ Er schweigt. Dann fährt er fort: „Keiner kann dir sagen wo du hingehörst. Alle fragen die Du dich über dich selbst stellst kannst nur du beantworten. Da dich keiner so gut kennst wie du.“ „Das habe ich befürchtet.“ Der Rest des Tages verbringen wir in der Sonne ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Aber nach unserem Gespräch ertappe ich mich dabei, dass ich ungewöhnliche Sympathien Mapharran gegenüber entwickele. Sie ähneln in keinster Weise derer, die ich Gabriel gegenüber hege. Ich meine, es sind Gefühle, die ein Mensch seinen Eltern gegenüber erfährt. Dabei ist das völliger Unsinn. Er ist nicht mein Vater und auch nicht meine Mutter. Aber das Gespräch mit ihm empfinde ich als sehr innig. Gar vertraut. Es ist schon sonderbar. Da fällt mir ein. Ich entstand durch die Bewusstseinstransplantation in einen menschlichen Fötus. Dies bedeutet dass ich leibliche Eltern habe. Wer sie wohl sind? Wie sie wohl aussehen? Ob sie damit einverstanden waren ihren Fötus als Versuchsobjekt zu benutzen? Sie haben mich nicht einmal besucht. Was wäre aus dem Menschen geworden, wenn es nicht der Wissenschaft zum Opfer gefallen wäre? Das sind Dinge über die ich nicht nachdenken sollte. Morgen werde ich den Menschen entgegentreten vor denen ich immer geflohen bin. Es ist wirklich ein eigenartiges Gefühl nach so langer Zeit wieder nach Yeron zurückzukehren. Die Stadt in der ich geboren wurde. Die Stadt in der ich gelebt habe. Die Stadt die ich zerstört habe. Vor der ich geflohen bin. Mapharran sagte, man solle nicht in der Vergangenheit leben. Aber als fühlendes Wesen ist es notwendig mit ihr abschließen zu können. Und ich bin im Begriff genau dieses zu tun. Sollte man zumindest glauben. Ich frage mich, ob und wie sich die Stadt verändert hat. Werde ich Menschen wieder sehen die ich gekannt habe? Kann ich in dieser Stadt weiterleben? All das sich schwerwiegende Fragen für mich. Und es drängen noch viel mehr. Es ist Abend geworden. Das goldfarbene Licht erfüllt den gesamten Himmel. Ich schmiege meine Schwingen an den Rücken und lasse meinen Blick über die nun golden schimmernde Ebene gleiten. Es ist so leer. Es waren mal so viele hier. Es gibt andere Völker die wesentlich älter waren und es nicht geschafft haben eine Rrouharrankolonie auszulöschen. Ich frage mich was solche Kreaturen dazu bewegt. „Es sind Hochmut, Gier, Hass und Neid, welche diese Wesen dazu befähigt, anderen Schaden zuzufügen.“ „Allgegenwärtige Gefühle und Bedürfnisse…“ murmele ich in mich hinein. „Du hast sie auch schon verspürt, Rrazpharroth.“ Ich weiß das! Und es ärgert mich! „Und es ärgert mich, dass ich mich darüber ärgere.“ „Der erste Schritt zur Selbstfindung ist die Akzeptanz all deiner Eigenschaften.“ Ich soll mich akzeptieren wie ich bin? Ich soll den schwachen Menschen in mir akzeptieren? Ich weiß nicht ob ich das kann. Mapharran steht noch immer dort an derselben Stelle. Nur hat er seine Schwingen angelegt. Er ist der wahrhaftige Überlebende. Er ist der einzige seiner Kolonie. Ich bin ein Fremder für ihn. Rrazpharroth ist schon lange tot. „Sag, Mapharran. Warum lebst du eigentlich noch als einziger?“ „Ich habe erkannt, dass es tödlich war, sich gegen die Menschen zur wehr zu setzen. So habe ich nicht mit Gewalt versucht unsere Kolonie zu verteidigen, sondern habe mich zurückgezogen und abgewartet. So konnte ich meiner Vernichtung entgehen.“ „Ganz schön egoistisch, findest du nicht auch?“ „Meine Geschwister taten es mir gleich. Doch es war zu spät. Als sie davonflogen wurden sie von den Menschen verfolgt. Es lies sich nicht mehr vermeiden.“ Er kann nichts bereuen. Ich frage mich ob er sich Vorwürfe machen würde, wenn er es könnte. Ich würde es. Der Gedanke, der einzige überlebende zu sein war schon sehr schmerzhaft. Bevor ich Mapharran kannte, beschäftigte mich genau derselbe Gedanke. Nun bin ich der einzige meiner Art. Auch wenn ich äußerlich wie ein gewöhnlicher Rrouharran wirke, so unterscheide ich mich gänzlich von ihnen. Das verhalten gleicht dem eines Menschen, dennoch ist auch dieses deutlich verschieden. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich ständig vergleichen muss. Verursacht von der Identitätskrise die offensichtlich jeden Menschen zu plagen scheint. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)