Black No. 1 von Arjia ================================================================================ Kapitel 1: Black No. 1 ---------------------- Anmerkung: Alle angesprochenen Lieder und deren Texte gehören den jemeiligen Interpreten, sonst alles meins ^^ Ich hoffe die Rockfabrik stört sich nicht daran, als Schauplatz ausgewählt worden zu sein (ja, die gibt es wirklich :) ) ----------------------------------------------------------------------------- She's in love with herself, She likes the dark. On her milk white neck The Devil's mark. Well when I called her evil, She just laughed And cast that spell on me. Boo Bitch Craft. Die Rockfabrik, schon immer war sie ein dunkler Ort gewesen, ein Refugium derer, die meist einfach nur „die Schwarzen“ genannt werden, manchmal aber auch „Satan“ oder „Matrix“, was meist weder inhaltlich noch grammatisch korrekt ist. Im Grunde traf man hier viele Geschöpfe an, Großstadtwikinger mit langen Mähnen und Methörnern an den Nietengürteln, androgyne Schönheiten in langen schwarzen Röcken, Damen in schwarzen Gewändern die aus einer düstereren Variante des Mittelalters stammen könnten, aber auch solche, deren Korsagen und Netzstrumpfhosen mehr zeigen, als sie verhüllen. Gerüchten zu folge konnte man hin und wieder auch Elfen und Orks antreffen und manchmal verirrte sich auch die eine oder andere „normale“ Person in diese bizarre, schwarzlichterhellte Welt, die letztendlich doch nicht viel anderes als eine Disko war. Samuel war einer der Stammgäste dieses Ortes. Er bewegte sich sicher durch die engen Gänge, welche die Tanzfläche zu beiden Seiten einrahmten, wich elegant entgegenkommenden Menschen aus und duckte sich hastig unter einem zu schwungvoll beförderten Glas Bier weg. Seine langen weißen Haare leuchteten schwach im Schwarzlicht, ebenso wie die Zeichnungen, die die Wände großflächig bedeckten und an Science-Fiction-Horrorfilme erinnerten. Es brauchte nicht viel pubertäre Fantasie um diese Gemälde als eindeutig zweideutig zu erkennen, aber die meisten Gäste beschäftigten sich eher mit anderen Dingen. Samuels Blick streifte suchend über die Tische und Bänke, die seinen Weg zu beiden Seiten säumten. Wie fast jeden Freitag, waren sie so voller Menschen, dass es wirklich schwierig war, jemand bestimmtes zu finden. Ein lang gezogener Dudelsackton läutete das nächste Lied ein und wer es erkannte begab sich entweder auf die Tanzfläche, zu seinem Partner oder aber außer Hörweite. Samuel selbst verzog nur kurz das Gesicht. „Küss mich“, schon wieder, als ob In Extremo nie ein anderes Lied geschrieben hätten. Seine Gedanken wanderten zu ihr, dem Mädchen, das er in der Woche zuvor hier erblickt hatte. „Mein Geist schwebt über dir, du kannst mich retten mit ’nem Kuss von dir. Küss mich, Küss mich, küss mich nur einmal!“ Ganz automatisch sang er die Zeilen mit, während er das Mädchen vor sich sah, deren Blick ihn gestreift hatte und deren Lächeln so hübsch gewesen war. Es war nur eine Woche her und doch begannen ihre Gesichtszüge in seinen Gedanken undeutlich zu werden, schon war er nicht mehr in der Lage, das Bild wirklich scharf zu stellen. Wie wenig das menschliche Gedächtnis doch in der Lage war, Gesichtszüge zu speichern. Nun ja, im Grunde hatte er wenig Hoffnung, sie zwischen al diesen Menschen noch einmal wieder zu sehen, aber wie sagt man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Nach kurzer Zeit hatte er seinen Rundgang beendet, wirklich groß war die Rofa, wie ihre Gäste sie liebevoll nannten, auch nicht. Wie eigentlich immer hatten seine Freunde einen Tisch auf der rechten Seite des Raums besetzt, der mit ein paar weiteren Tischen leicht erhöht stand. Im Moment war er bis auf zwei jüngere Mädchen, die er nur vom Sehen kannte und einen schlecht gelaunten Andre leer. Andre war ein Kumpel und Klassenkamerad von Samuel und gehörte zu denen, die am liebsten vor „Küss mich“ geflohen wären, weil das Lied sie an ihre verflossene Liebe erinnerte. Während seiner Depriphasen war Andre in etwa so unterhaltsam wie eine Straßenlaterne, weshalb Samuel sich darauf beschränkte, ihn nur kurz zur Begrüßung zu umarmen. Um die Zeit zu überbrücken, bis seine restlichen Freunde sich von der Tanzfläche bequemten, steuerte er die Bar an. Doubletime, zwei Bier für eins, nicht schlecht, vorausgesetzt man trinkt gerne viel. Zu dieser Gruppe Menschen zählte Samuel nicht unbedingt, er trank zwar recht gerne Bier oder auch Met, aber der Gedanke daran, wirklich die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, behagte ihm nicht. Manche seiner Freunde machten zwar Scherze über seine „klein Mädchen“ Einstellung, aber letztendlich akzeptierten sie es. Nun ja, zwei normale Gläser Colaweizen reichten selbst bei seinem eher zarten Körperbau nicht, um ihn mehr als leicht angetrunken zu machen und die Mischung war einfach eines seiner Lieblingsgetränke. Die Bar lag recht zentral mit Blick auf die Tanzfläche in dem lang gezogenen Raum, der früher einmal eine Kühlschrankfabrik gewesen war. Außer in der eigentlichen Bar, die durch eine zerkratzte Plexiglasscheibe von der Tanzfläche abgetrennt wurde, konnte man seine Getränke auch an den zwei seitlichen Enden der Bar direkt von den Gängen aus erstehen. Auch Samuel steuerte einen dieser Ausschankpunkte an, an dem im Moment nur Wenige warteten. Eine oder zwei Minuten später machte er sich mit je einem Glas in jeder Hand auf den recht kurzen Rückweg. Inzwischen hatte auch das Lied gewechselt und er konnte einen kurzen Blick auf seine Freunde erhaschen, die etwas außer Atem und verstrubbelt vom Bangen von der Tanzfläche zurückkehrten. Schnell stellte er die störenden Gläser auf dem Tisch ab und ging dann zurück auf den Gang, um seine Freunde zu begrüßen. Steffen war der erste der sich den Weg zurück freigekämpft hatte. „Hey, Samuel, hast du es auch noch hergeschafft? Ich hab dich beim Anstehen gar nicht gesehen.“ „Na ja, ich bin etwas spät losgegangen und hab den ersten Bus verpasst, “ erwiderte Samuel während er Steffen umarmte. Nach der Begrüßung trat er wieder einen Schritt zurück und beobachtete, wie der Blick seines breitschultrigen Gegenübers mit der langen braunen Lockenmähne suchend über den Tisch und den Gang strich. „Wo hast du denn deinen Bruder gelassen? Ist er heute nicht dabei?“ „Hm, habt ihr euch draußen nicht gesehen? Eigentlich sollte er schon hier sein, er ist glaube ich mit seiner neuen Flamme gekommen. Ich würde an deiner Stelle mal in Club zwei suchen.“ „Ach so, danke dir, dann will ich die beiden mal stören gehen. Man sieht sich.“ Mit diesen Worten und einem schelmischen Grinsen begab Steffen sich in Richtung der Treppe, die in das Obergeschoss der Rofa führte, wo freitags Industrial und Darkwave gespielt wurde. Samuels Bruder Balian war seit neustem öfters dort zu finden, nicht nur weil er seine Vorliebe für die etwas monotone aber dafür tanzbare Musik dort entdeckt hatte, sondern auch, weil seine neue Freundin Kara sich immer dort aufhielt. Das bedeutete allerdings, dass er auf die meisten seiner Freunde verzichten musste, denn wie sein bester Freund Steffen es einmal ausgedrückt hatte „In Sachen Weiber kriegt man da oben ja einiges zu sehen, aber lange halt ich die Musik und die Hitze einfach nicht aus.“ „Samu Schatzi!“ Noch bevor er sich umdrehen konnte legten sich von hinten Arme um seine Brust und hoben ihn ein paar Zentimeter hoch. Dass ihm durch die stürmische Begrüßung die Luft aus den Lungen gequetscht wurde störte den Angreifer dabei genauso wenig wie die Tatsache, dass Samuel (zumindest wenn es nach ihm ging) nicht wirklich sein Schatz war. Schließlich wurde er wieder auf dem Boden abgestellt und drehte sich mit gespielt beleidigtem Blick um, was seinem Gegenüber ein breites Grinsten ins Gesicht zauberte. „Oh, entschuldige bitte Kleiner, ich hatte ganz vergessen wie empfindlich du bist.“ Samuel konnte ein schiefes Grinsen nun selbst nicht mehr ganz unterdrücken. Mika war nicht der einzige, der ihn wegen seiner eher geringen Größe und seinem schmalen Körperbau aufzog, aber bei ihm war es wenigstens berechtigt, da er Samuel um fast einen Kopf überragte. Und als Samuels bester Freund gehörte er auch zu den wenigen, die sich das Spotten wirklich erlauben durften. „Oh, gehört das Bier da dir? Ich bekomm doch einen Schluck, oder?“ Mika hatte bereits nach den beiden Gläsern gegriffen und drückte Samuel eines – natürlich das leerere – in die Hand, um mit ihm anzustoßen. Dieser sparte sich jeglichen Widerspruch, wusste er doch aus langjähriger Erfahrung, dass gegen seinen Freund kein Kraut gewachsen war, vor allem dann nicht, wenn es darum ging, ihn vom Alkohol fern zu halten. Insgesamt war Mikael ungefähr so risikofreudig wie Samuel zurückhaltend war, was ihm zwar vor allem in Bezug auf seinen Alkoholkonsum schon des öfteren in Schwierigkeiten gebracht hatte, ihn dafür aber bei der Damenwelt umso beliebter machte. Momentan war er zwar single, aber das lag weniger an fehlenden Angeboten als eher daran, dass er schlicht keine Lust auf eine Beziehung hatte. Samuel war zwar laut Aussage vieler Mädchen sehr attraktiv, aber außer einer sehr kurzen Beziehung hatte er nichts vorzuweisen. Er wusste selbst, dass er viel zu schüchtern war und so beneidete er seinen Freund insgeheim doch sehr um die Leichtigkeit, mit der er auf die Mädchen zuging. Wenn er doch nur selbst manchmal den Mut aufbringen könnte, ein Mädchen anzusprechen... „Hey, willst du da stehen bleiben?“ Mika hatte es sich inzwischen am Tisch gemütlich gemacht und das nur noch halb volle Bierglas vor sich abgestellt. Samuel beeilte sich ihm zu folgen, was jedoch zwecklos war, hatte sein Freund doch bereits bemerkt, dass er in Gedanken weit weg gewesen war. „Wenn du mir so wenig Aufmerksamkeit schenkst, kann das eigentlich nur daran liegen, dass dir die Kleine von letzter Woche im Kopf rumschwirrt, oder?“ Mikas freches Grinsen wurde nur noch breiter, als Samuel zu einer Verteidigung ansetzte. Vielsagend zog er eine Augenbraue in die Höhe und fragte mit gespieltem Ernst: „Willst du mir etwa untreu werden, Schatzi?“ „Aber nicht doch, du weist doch dass du der einzige für mich bist“, ging Samuel auf das Spiel ein, froh darüber, das Thema wechseln zu können, oder zumindest einer ernsten Unterhaltung über sein Singleleben zu entgehen. Mikaels Ratschläge waren vielleicht gut, aber leider nur mit etwa dem Doppelten von Samuels Selbstbewusstsein umzusetzen, was letztendlich nur dazu führte, Samuel noch weiter zu entmutigen. Kurz fragte Samuel sich, ob es für seine Beziehungssuche wohl so dienlich war, wenn sie sich wie ein schwules Pärchen aufführten, aber letztendlich wusste wohl jeder, dass es sich dabei nur um einen Scherz handelte. Außerdem hatte er wegen einer gewissen Vorliebe für Manga und Anime (eher unfreiwillig beim Durchstöbern von onlien-Bildergalerien) in Erfahrung gebracht, dass viele Frauen Schwule absolut erotisch fanden. (Die Bilder waren nicht wirklich das gewesen, was ein Mann beim surfen im Netz sehen will, und dass genau in diesem Moment sein Bruder ins Zimmer kam, hatte die Sache auch nicht gerade besser gemacht...) Wirklich verstehen konnte er das nicht, aber solange die Damenwelt ihren Späßen deswegen positiver gegenüberstand sollte es ihm recht sein. Wie sie selbst auf so eine Idee gekommen waren wusste er indes selbst nicht mehr. Fakt war... sie waren nicht die einzigen. Sie verbrachten den Abend wie immer mit Reden, Trinken und Tanzen (so man Headbangen denn als tanzen bezeichnen kann.). Mikael widmete sich mit Hingabe seinen beiden Lieblingsbeschäftigungen, nämlich dem Bewerten der vorbeikommenden Leute („Oje, der hatte aber auch schon ein Bier zu viel“, „Mh, lecker, die wär doch was für dich, oder?“ beziehungsweise „Urgs, mit der Figur sollte sie nicht mehr wirklich einen Minirock tragen...“ etc) und dem Unterhalten oder auch Nerven der anwesenden Mädchen. Samuel saß hingegen auf der Rückenlehne der Sitzbank, genoss die Musik (irgendwas von Eisbrecher, eigentlich gut zum Tanzen geeignet, aber dazu hätte man ja aufstehen müssen...) und betrachtete lächelnd die Bemühungen seines Freundes, ein Mädchen durch Kitzelattacken zum Lachen zu bringen. Er nahm einen weiteren Schluck von seinem mittlerweile fast leeren und bereits etwas abgestandenen Colaweizen und lies seinen Blick über den Korridor schweifen. Ein weißes Leuchten zog seinen Blick auf sich und er erkannte seinen Bruder, der samt Freundin auf sie zukam. Balians Haare waren ebenso wie die seines jüngeren Bruders weiß, was daran lag, dass beide unter Albinismus, also dem fehlen von Farbpigmenten in Haut, Haaren und Iris, litten. Abgesehen davon sahen sich die beiden Brüder jedoch nicht gerade ähnlich. Im Gegensatz zu Samuel war Balian groß, muskulös und breitschultrig, ohne dabei jedoch plump zu wirken. Auch sein Gesicht war etwas breiter und kantiger geschnitten und er trug einen zu zwei Zöpfen geflochtenen Kinnbart. Das Mädchen an seiner Seite bildete mit ihren schwarzen, von den blauen Strähnen eines Haarteils durchzogenen, Harren einen schönen Kontrast zu ihm. Um Kara zu beschreiben war das Wort „perfekt“ wohl so angebracht, wie es das im Bezug auf einen Menschen nur sein kann. Ihr Gesicht und ihre Figur, welche von einem wirklich sehr kurzen Rock und einem eng geschnürten Mieder noch betont wurde, konnten problemlos mit den computerbearbeiteten Modelfotos mithalten. Erstaunlicherweise hatte Samuel sie trotzdem nie als attraktiv empfunden. Sie sah verdammt gut aus, klar, aber in ihrer Nähe fühlte er sich eher unwohl. Vielleicht, so hatte schon vermutet, machte ein allzu perfektes Äußeres irgendwie unnahbar, als ob mit den kleine Fehlern auch ein Stück Menschlichkeit verschwindet. Möglicherweise lag es aber auch nur an ihrem Blick, ihrem Gesichtsausdruck, der allzu oft wirkte, als hätte sie einen Misthaufen unter der Nase. Balian fand in diesen stahlblauen Raubtieraugen wohl etwas, das andere nicht sehen konnten, aber genau das machte die Liebe ja auch irgendwo aus. Wie auch immer, fest stand, dass Samuel nicht viel für die Freundin seines Bruders übrig hatte und ihr, so gut es ging, aus dem Weg ging. Anfangs war Balian vom dem Verhalten seines Bruders ziemlich befremdet gewesen, aber in der Zwischenzeit hatte er sich wohl damit abgefunden, dass das Karas und Samuels Verhältnis eher von Distanz und Höflichkeit statt von Herzlichkeit geprägt war. Während die beiden sich ihrem Tisch näherten beobachtete Samuel amüsiert, wie die Blicke der umstehenden Herren von Kara angezogen wurden. Die kurze Assoziation mit einem Rudel sabbernder Wölfe und einem duftenden, laufenden Braten lies ihn schmunzeln, aber das Lächeln verschwand schnell wieder, als er Karas Blick begegnete. Schell wendete er den Blick ab, ganz so, wie jemand einen Gegenstand fallen lässt, wenn er feststellen musste, dass dieser heiß ist. Als ihm einen Sekundenbruchteil später klar wurde, was er getan hatte, zwang er sich eilig, wieder aufzusehen. Karas Blick war überlegen und distanziert wie immer, sie sah nicht einmal in seine Richtung. So reagierte er leider recht häufig auf sie, was er sich jedoch nicht wirklich erklären konnte. Die einzigen Situationen, in denen er, wenn er nicht aufpasste, instinktiv wegsah, waren eigentlich solche, in denen er unverhofft dem Blick eines attraktiven Mädchens begegnete. Seine Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht war ein Problem, aber gewiss keines, das ihn jemals bei der Freundin seines Bruders geplagt hätte. Er fand sie noch nicht einmal attraktiv. Nein, es musste einen anderen Grund dafür geben, dass sie ihn oft so erschreckte. Aber das war vielleicht eher eine Frage für einen Psychologiestudenten. „Na Bruderherz, hast du's auch noch hergeschafft? Seit wann bist du da?“ „Ach schon länger, ich hab ehrlich gesagt nicht auf die Uhrzeit geachtet.“ Samuel glitt von der Rückenlehne zurück auf die Bank, auf der sein Bruder sich bereits niedergelassen hatte. „Was soll das heißen, du bist schon länger da? Und da kommst du gar nicht auf die Idee, deinem großen Bruder Hallo zu sagen? Das verletzt mich jetzt wirklich tief!“ „Ach komm schon, du hattest doch genug Gesellschaft. Also, ich weis natürlich, dass deine Freundin nur ein unzureichender Ersatz für meine strahlende Anwesenheit ist aber... he!“ Die letzte Bemerkung hatte Balian grinsend mit einem leichten Schlag gegen Samuels Hinterkopf quittiert, der das freche Grinsen jedoch nicht lange aus dem Gesicht seines Bruders verbannen konnte. „A propos Gesellschaft... Wo habt ihr eigentlich Steffen gelassen? War er nicht bei euch?“ Samuel hatte den Freund seines Bruders den ganzen Abend nicht mehr gesehen und erinnerte sich nun daran, dass er ihn noch hatte fragen wollen, ob er auch noch Karten für ein anstehendes Konzert benötige. „Steffen? Ja, der war bei uns, ist aber noch wegen irgendetwas raus gegangen. Wahrscheinlich eine Rauchen oder so was. Also falls du ihn suchst würde ich es an deiner Stelle draußen versuchen.“ Samuel nickte nur. Etwas frische Luft wäre wohl auch gegen seine aufkommende Müdigkeit hilfreich. Behände kletterte er über die Rückenlehne und lies sich in den Gang hinuntergleiten. Ein „Verlauf dich nicht!“ schallte ihm noch hinterher, als er sich durch den Menschenstrom Richtung Ausgang kämpfte. Der Sommerabend war angenehm warm und so zog es nicht nur die Raucher sondern auch viele andere nach draußen. Dementsprechend lange dauerte es, bis Samuel alle Gruppen, die den Parkplatz bevölkerten nach Steffen abgesucht hatte, nur um schließlich festzustellen, dass der Gesuchte nicht unter ihnen war. Von einem weitläufigen Bekannten erhielt er jedoch den Tipp, dass Steffen in das angrenzende Parkhaus gegangen sei. Da Samuel wusste, dass der Freund seines Bruders immer dort an einem bestimmten Parkplatz parkte, entschied er sich dafür, auch dort einmal nachzusehen. Letztendlich verlockte es ihn auch nicht wirklich, schon wieder in die stickige Hitze der Disco zurückzukehren. Wenige Minuten später hatte er Steffens Stammparkplatz erreicht, wo auch das Auto, ein etwas klappriger alter Volvo in schönstem Bestatterschwarz, stand. Vom Besitzer fehlte jedoch jede Spur. Samuel zuckte nur mit den Schultern, im Grunde hatte er nichts anderes erwartet, Steffen war bestimmt längst wieder zurück nach drinnen gegangen. Umso unerwarteter war jedoch, was er sah, als er sich umdrehte um das Parkhaus wieder zu verlassen. „Na wen haben wir denn da? Wenn das nicht der kleine Samuel ist!“ Kara kam mit wiegender Hüfte auf ihn zu und für einen aberwitzigen Augenblick musste er sich wirklich beherrschen, um nicht vor ihr zurückzuweichen, denn irgendetwas in ihrem Blick war anders als sonst. Vor lauter Überraschung vergaß er sogar, sie darauf hinzuweisen, dass er gerade einmal ein Jahr jünger war als sein Bruder. Sein Unbehagen war indes nicht unbemerkt geblieben und hatte ein spöttisches Funkeln in ihre Raubtieraugen gezaubert. Sie machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, der sie für seinen Geschmack eindeutig zu nahe an ihn heranbrachte. Aber er wollte ihr nicht den kleinen Sieg schenken, ihn nun doch zurückweichen zu sehen. Mit einigem Befremden fragte er sich, was sie wohl von ihm wollte. „Was ziehst du denn für ein Gesicht, freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?“ Sie zog einen Schmollmund und ihre Stimme klang auf eine unbestimmte Art dunkler. Als er nur verächtlich den Mund verzog, kehrte sie wieder zu ihrem normalen, spöttischen Gesichtsausdruck zurück. „Hm, für einen Kerl bist du ganz schön widerspenstig. Aber das macht auch dienen Reiz aus...“ Sie hatte diese Worte direkt in sein Ohr gehaucht und als ob dies noch nicht aufdringlich genug sei, spürte er wie sich ihre Hand auf seine Wange legte. Wenn bei Samuel auch vorher schon die Alarmglocken geschrillt hatten, nun war die Grenze eindeutig überschritten. Er streifte Karas Hand unnötig grob ab und brachte ein paar Schritte Sicherheitsabstand zwischen sie. „Was zum Teufel soll das Kara? Willst du mich verarschen oder was? Ich finde das nicht gerade lustig und deinen Freund wird es auch kaum freuen wie du dich aufführst!“ Seine Ausbruch entlockte Kara jedoch nur ein lautes Lachen. „Nein wie süß! Keine Sorge Samuel, ich meine es absolut ernst mit dir. Und was Balian betrifft, wie sagt man noch so schön? Was er nicht weis macht ihn nicht heiß...“ Ein fast schon diabolisches Grinsen huschte über ihre perfekten Züge und wurde sofort von einem sinnlichen Augenaufschlag abgelöst. Ihr Mund zog unweigerlich seinen Blick auf sich und er beobachtete gebannt, wie sich ihre feucht glänzenden, vollen Lippen bewegten, als sie sprach. „Wenn du ehrlich zu dir bist, reizt es dich doch auch, es einmal mit mir zu versuchen, nicht wahr? Du musst dich nicht dafür schämen, weist du? Jeder würde es verstehen...“ So langsam begriff er, auf was sie heraus wollte, und wenn je noch Zweifel bestanden hatten, so würden diese augenblicklich ausgelöscht, als Kara langsam begann, ihr Mieder zu öffnen. Die einzige vernünftige Konsequenz wäre gewesen, schleunigst das Weite zu suchen, doch seine Beine verweigerten ihm den Dienst und so stand er da wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange und beobachtete mit wachsendem Entsetzen, wie Haken für Haken ein immer größerer Teil ihres BHs sichtbar wurde. Dann fiel das Mieder zu Boden und Samuels Kehle entrang ein atemloses Keuchen, als der schwarze Spitzen-BH dem Oberteil folgte. Peinlich berührt wollte er wegsehen, aber er konnte seinen Blick nicht von ihren vollkommenen Brüsten lösen. Er spürte, wie er errötete und sein Herz begann schneller zu schlagen. Wieder ertönte ihr Lachen, diesmal so nahe an seinem Ohr, dass der warme Atem ihn kitzelte. Er wollte nur noch weg von dieser Frau, die doch die Freundin seines Bruders war und deren verhalten er verabscheute, aber sein Körper war zum Verräter geworden. Es war nicht zu leugnen, dass er erregt war und er erschauderte, als Karas Hände unter sein T-Shirt fuhren, über seine Brust strichen und ihm das Kleidungsstück schließlich über den Kopf streiften. Aufreizend langsam ging sie vor ihm in die Hocke und ihre Hand strich wieder über seinen Oberkörper als sie ihn eingehend musterte. Sie leckte sich über die Lippen, dann stand sie auf und ging ein paar Schritte zurück. „Nicht so muskulös wie dein Bruder, aber trotzdem sehr hübsch... Aber so langsam wäre es Zeit, dass du auch ein bisschen mitspielst, findest du nicht auch? Nur nicht so schüchtern, komm her!“ Vollkommen verwirrt erlebte Samuel, wie er ihrer Aufforderung nachkam, obwohl sein verstand genau das Gegenteil wollte. Seine Hände legten sich wie von selbst auf ihre Hüfte, glitten zu ihren festen Brüsten und ihrem Hintern. Sie lächelte triumphierend und legte besitzergreifend ihren Arm um seine Hüfte, währen ihre andere Hand sich am Verschluss seiner Hose zu schaffen machte. Er hob sie hoch und setzte sie auf die Motorhaube von Steffens Volvo und mit ihrem Höschen beseitigte er auch das letzte klägliche Hindernis, dass seinem Verrat noch im Weg stand. Sein letztes bisschen Versand schrie verzweifelt auf, als er schließlich in sie eindrang. Karas Fingernägel gruben sich tief in seine Schultern, an den sie sich festklammerte, aber Samuel nahm weder den Schmerz, noch seine wachsende Erregung wirklich wahr. Selbst als er schließlich kurz nach ihr kam, erlebte er den Orgasmus fast wie ein unbeteiligter Zuschauer. Dan war es vorbei und als sei ein Bann gebrochen taumelte er kraftlos von ihr weg. Er schaffte es gerade noch, mit zitternden Fingern seine Hose hochzuziehen und sein T-Shirt aufzuheben und überzustreifen, ehe er sich an einer Säule zu Boden sinken lies. Nur am Rande nahm er wahr, wie Kara ihre Kleidung wieder in Ordnung brachte und nach einem halb spöttischen, halb mitleidigen Blick auf ihn in Richtung Rofa verschwand. In seinem Bewusstsein tobte ein Sturm aus Entsetzen, Scham und Verwirrung und es dauerte lange, biss ich aus dem Durcheinander ein klarer Gedanke herauskristallisierte, der all seine Verzweiflung widerspiegelte. Du hast mit der Freundin deines Bruders geschlafen. Ein überwältigender Ekel vor sich selbst stieg in ihm auf und lies ihn würgen. Wie hatte er so etwas nur zulassen können? Wie kam es, dass er ausgerechnet bei dieser Frau, die er doch nie hatte leiden können, seine Triebe so offensichtlich nicht mehr unter Kontrolle hatte? Das war abstoßend. Sein Bruder war immer sein engster Vertrauter gewesen und so dankte er es ihm? Ohne dass es ihm bewusst war ballte er die Fäuste und grub die Fingernägel fest in seine Handballen. Der Schmerz half ihm, seine Fassung allmählich wieder zurück zu gewinnen. Was sollte er nun tun? Zurück zu den anderen wollte er nicht gehen, er wusste nicht, wie er seinem Bruder jetzt gegenübertreten sollte. Nach Hause gehen ohne die anderen zu informieren wollte er jedoch auch nicht und so blieb er unschlüssig auf dem Parkhausboden sitzen. Seine Gedanken kehrten wieder und wieder zu dem Geschehenen zurück. Wie ein kalter dunkler Nebel stieg Verzweiflung in seinem Bewusstsein auf und verband sich mit seinen Selbstvorwürfen zu einer undurchdringlichen Schwärze, die alles andere verschluckte. Letztendlich bettete er den Kopf auf den Knien und ergab sich der Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)