In Ewigkeit, auf ewiglich von Momachita ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Er sieht mich an. Blickt mir tief in die Augen. Und ich spüre wieder einen Stich im Herz. „Ich komme wieder. Versprochen.“ Er streichelt mir über den Kopf und küsst mich sanft auf den Scheitel. Ist das hier ein schlechter Film, oder was? Wenn er es doch verspricht und mich so überzeugt ansieht und so umarmt, dass ich mich nirgends mehr anders so sicher fühlen kann, warum beschleicht mich dann dieses Gefühl, ihn nie wieder sehen zu können? „Bis dann!“, sagt er zum Abschied, winkt ein letztes Mal und verschwindet in dem Bus. Von jetzt an sind wir mindestens einen Monat getrennt. Ein weiterer Stich in mein Herz. Ich lächle und winke noch so lange, bis ich ganz sicher bin, dass er mich nicht mehr sehen kann. Dann wende ich mich ab und gehe. „Willst du nicht noch mit auf die Feier?“, fragt mich eines der Mädchen, die ich Freundinnen nenne. „Nein.“, antworte ich nur und gehe. Endgültig. Was gibt es denn bitteschön zu feiern? Ich fange an zu weinen. Willst du ... ?, hatte er damals gefragt. Von diesem Tag an waren wir unzertrennlich gewesen. Erst waren wir nur Freunde, doch dann spürten wir - beide - das unsere Gefühle auch anderer Natur waren, als nur freundschaftlicher. Wir liebten uns. Ich liebte ihn. Er liebte mich. Aber das war einmal ... Ich wache auf und starre an die Decke. Sein Bild hängt über mir, damit er mich auch nachts beschützen kann. Das war seine Idee gewesen. Eine großartige Idee. Wenn sie mich nur nicht so traurig stimmen würde. Ich stehe auf und blicke rüber zu meinem Schreibtisch. Da stehen gleich drei Bilder von ihm. Eins, wo er allein drauf zu sehen ist. Ein zweites, wo er mit seinen Kumpels Basketball spielt. Und ein drittes. Mit uns beiden. Eine Träne perlt über meine Wange. Mein Herz fühlt sich an wie zugeschnürt. Warum kann er nicht hier sein? Bei mir? Jetzt? Und vergiss nicht: Ich bin immer bei dir, ja? Seine Worte waren das. Ich sollte auf sie vertrauen, doch ich habe einen Kloß im Hals. Dieses Gefühl, für immer von ihm getrennt zu sein. Irrsinn! Ich gehe ins Badezimmer und dusche. Als ich in den Spiegel sehe, bemerke ich den Knutschfleck, den er mir vor zwei Tagen gemacht hat. Sanft streichle ich darüber. Mir wird schwindlig und schlecht. Ich setze mich unter den lauwarmen Wasserstrahl. Mein Kopf schmerzt und meine Brust auch. Ich brauche ein Aspirin, rede ich mir ein, dann geht es mir sicher besser. Nach dem Duschen gehe ich in die Küche, wo mein Frühstück schon auf mich wartet. Die Kopfschmerzen halten an. Schnell werfe ich ein Aspirin ein und warte darauf, dass es sich auflöst. Während ich auf das Glas schaue und an meinem Käsebrot nage, fällt mir die Tageszeitung auf dem Küchentisch auf. Ihr Anblick lässt mir einen kalten Schauer über den Rücken fahren. Ich weiß nicht, woher er kommt. Ich lege das Brot beiseite und nehme einen Schluck von dem Aspirin, ehe ich mir die Zeitung fische und beginne die Schlagzeilen zu lesen. Dein Freund ist morgen tot! Ich schreie auf und schmeiße die Zeitung in die Ecke. Sie schlägt mit voller Wucht gegen den kleinen Tisch mit der Vase und die Vase fällt herunter. Meine Mutter kommt rein gerannt und sieht zunächst die zerbrochene Vase und wie sich das Wasser langsam über dem Boden ausbreitet. „Es ist rot!“, kreische ich panisch und rolle mich auf dem Stuhl ein. „Mama! Es ist rot!“ Sie sieht mich an, als sei ich verrückt. „Was ist rot, Schatz?“ Angeekelt zeige ich auf die Wasserpfütze. Mein Finger, meine Hand, mein ganzer Arm zittert. „Ach, Quatsch Schatz! Das ist doch nur Wasser.“ Ich starre auf die Flüssigkeit auf dem Boden und langsam färbt sie sich in meinen Augen wieder klar. Meine Mutter sagt nichts, kniet sich zu mir und nimmt mich in den Arm, wie es nur eine Mutter vermag. Ich fange an bitterlich zu schluchzen. „In der Zeitung ... d-da, ... d-da stand, dass ...“, stottere ich vor mich hin und hickse und schluchze immerzu. „Sch.“, macht meine Mutter, wie zu einem Baby, das nicht einschlafen will. „Da stand nichts drin.“ Behutsam tätschelt sie mir über die vom Duschen noch nassen Haare. „D-doch ... Da stand, dass ... dass ... Oh, Ma! Ich vermisse ihn so!“ Meine Mutter lächelt verständnisvoll und drückt mich noch mehr an sich. „Ich weiß, Kleines. Ich weiß.“ Am Abend sitze ich zusammengekauert neben meinem Vater auf dem Sofa. Wir schauen einen Horrorfilm. Ich habe nicht aussprechen können, was ich in der Zeitung gelesen habe. Ich habe auch nichts weiter am Tag gemacht. Meine Mutter hat mir einen Beruhigungstee gemacht und gesagt, ich brauche nur etwas Ruhe, also habe ich mich ins Bett gelegt und einfach nur da gelegen, denn einschlafen, das habe ich nicht gekonnt. Jetzt sitzen wir hier zusammen, zu dritt und es ist, als fehle eine Person. Meine Mutter bemerkt meine traurige Miene und lächelt mir aufmunternd zu. Dann schaut sie meinen Vater an. „Sollen wir es ihr jetzt schon geben?“, fragt sie ganz geheimnisvoll. Mein Vater runzelt die Stirn. „Er hat gesagt, wir sollen es ihr erst an ihrem Geburtstag geben.“ Verwirrt schaue ich von einem zum anderen. „Um was geht es?“, frage ich verständnislos. „Ach, komm schon.“, meine Mutter beachtet mich nicht. „Pa?“, ich sehe fragend zu ihm hoch. Er seufzt. Na schön. Aber nur, weil ich Angst habe, dass sie es bis dahin nicht überlebt, so viele Sorgen wie sie sich macht.“ Mutter steht auf und geht ins Schlafzimmer. Vater streichelt mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Unser kleines, sorgenvolles Engelchen.“ „Papa, ich bin kein Kind mehr.“, möchte ich sagen, doch in dem Moment kommt Mama wieder rein und hält ein viereckiges Päckchen vor sich. „Das ist für dich.“, sagt sie nur. Paps schubst mich hoch. „Na los. Mach es schon auf.“ Papa stellt den Film auf Pause. Ich nehme das Päckchen entgegen. Es ist in veilchenblauer Seide gewickelt. Meine Lieblingsfarbe. Ich öffne die zart rosa Schleife und lege die Seide vorsichtig auf den Wohnzimmertisch. Papa und Mama stehen jetzt beide vor mir und schauen aufgeregt zu mir herüber. Ich öffne die blaue Schachtel, welche unter der Seide zum Vorschein kommt. Und ich schreie zum zweiten Mal am heutigen Tag auf. Aber diesmal aus Freude. In der Schachtel liegt ein Diamantring, sorgsam in einem Sommerschal gebettet, der auch in meiner Lieblingsfarbe ist. Meine Eltern strahlen mich an, doch ich und der Ring, wir strahlen noch heller, als sie beide zusammen. „Er ist wunderschön.“ Wie verzaubert drehe ich den Ring in meinen Fingern und möchte ihn am liebsten entweder gleich anziehen oder noch besser, in einen Safe legen und dort bis an mein Lebensende verwahren. „Darf ich ihn anlegen?“, frage ich voller Ehrfurcht. Mein Vater nickt und meine Mutter sagt: „Mach nur.“ Beide schauen stolz zu ihrer kleinen Tochter. Ihre kleine Tochter, die sich in den achtzehn Jahren ganz schön gemausert hat. Ihre kleine Tochter, die jetzt, sobald sie den Ring angelegt hat, mit ihrem festen Freund verlobt ist. Ihre kleine Tochter, die den Ring auf den linken Ringfinger aufträgt und einen Schmerz im Herzen spürt, wie noch nie zuvor. Ich sacke auf die Knie. Mein Herz schlägt so schnell wie noch nie. Mein Atem rast. Mein ganzer Körper bebt. Meine Sicht verschleiert sich. Ich höre nichts mehr. Ich fühle nichts mehr. Ich merke nur, wie meine Herz unbeirrt weiter schlägt, immer noch zu schnell und ich sehe, oder erahne eher, wie mein Vater mich hoch nimmt und ins Auto auf die Rückbank legt und los fährt. Wohin? Das bekomme ich schon nicht mehr mit... Ich erwache in einem weißen Raum. Die Wände sind weiß, die Vorhänge sind weiß, das Bettzeug und auch mein Nachthemd. Ah, ich bin im Krankenhaus. Das wird mir schlagartig klar, als meine Eltern zu mir ans Bett stürmen, mitsamt Chefarzt und Krankenschwester. „Dir geht es gut. Gott sei dank!“ Meine Mutter ist den Tränen nahe. „Sie können das Krankenhaus so bald wie möglich verlassen.“, sagt der Arzt und lächelt sympathisch. „Sie sind kerngesund. Das war nur ein kleiner Schwächeanfall.“ Nur ein kleiner Schwächeanfall? Der Typ ist ja lustig. Ich habe mich gefühlt, als würde ich sterben. Wir fahren also wieder nach Hause. Meine Mutter redet vom Vordersitz auf mich ein, von wegen wie viel Sorgen sie sich gemacht hat und was es heute zum Mittagessen gibt. Ich höre nicht richtig hin, sonder schaue gedankenverloren aus dem Fenster. Da sehe ich plötzlich ein Schild vor mir. Ein Verkehrsschild. Ein rundes Verkehrsschild! Ich blicke zu meinem linken Ringfinger. Der Ring ist weg! „Mama? Wo ist der Ring?“ Meine Mutter blickt verwundert zu mir nach hinten. „Was meinst du, Kind? Wir haben ihn jedenfalls nicht abgenommen.“ „Vielleicht haben die Ärzte ihn ja mitgehen lassen und vergessen es zu melden. Immerhin ist das Teil ganz schön was wert.“, scherzt mein Vater, offenbar gut gelaunt. „Am besten ich schaue heute Nachmittag nochmal bei denen vorbei, ja?“ Ich nicke. „Gut, dann wäre das ja geklärt.“ Meine Mutter setzt sich wieder richtig herum hin. Gar nichts ist gut. Mich beschleicht wieder dieses Gefühl. Mir wird ganz mulmig zumute, als ich an den Ring denke. Und an die Zeitung von gestern und das Wasser in der Vase, das in meinen Augen ganz deutlich rot war. Ich fantasiere bestimmt. Wir kommen zu Hause an und ich gehe in mein Zimmer. Da liegt die Zeitung von heute auf meinem Schreibtisch. Neben den Bildern. Sie sind alle drei, wo mein Freund – nein, mein Verlobter – drauf zu sehen sind, umgeklappt. Wer war das denn? Ich stelle eins nach dem anderen wieder auf. Eines hat einen Sprung im Glas. „Ach, nein.“ Es ist ausgerechnet das Bild, wo nur er drauf zu erkennen ist. Ich nehme das angeschlagene Glas heraus und sehe, dass es genau über seinem Hals gesprungen ist. Merkwürdigerweise fühle ich einen kurzen Schmerz, ein feines Ziehen, da wo ich immer noch den Knutschfleck von ihm trage und ich fasse mir unwillkürlich an den Hals. Ich schaue auf das Bild und streichele ihm sanft über den Hals, passe auf, dass ich mich nicht am übrigem Glas schneide. Doch als ich den Finger wegnehme, ist da ein Blutstreifen an seinem Hals! Ich schaue auf meinen Finger. Auch da klebt Blut dran. Schnell wische ich es ab und merke, dass mein Finger nicht verletzt ist. Aber woher kommt dann das Blut? Ich habe mir doch gerade nur über den Hals ge- Ein Schrei erstirbt hinter meinem Rücken. Meine Mutter sackt auf den Boden und beginnt zu weinen, die Hände vor dem verzerrten Gesicht. Ich drehe mich zu ihr um. Ihr panischer Blick macht mir Angst. „Mama?“, frage ich. Meine Stimme ist ganz hohl. „Was ist ...?“ Sie zeig nur auf meinen Rücken und weint und schüttelt den Kopf. Ich drehe mich so zu dem Spiegel aus meinem Zimmer, dass ich meinen Rücken im Blick habe und da sehe ich es auch: Er ist voller Blut! Mein ganzer Rücken, mein T-Shirt ist in Blut getränkt, dass aus einer Schnittwunde an meinem Hals zu kommen scheint. Die Schnittwunde ist da, wo der Knutschfleck vorher war. Ich blicke hektisch auf die Zeitung auf meinem Schreibtisch. Da steht in großen Lettern geschrieben: Dein Verlobter ist tot! Diesmal irre ich mich nicht. Es steht da. Es steht da als große Schlagzeile des Tages. Mein Vater stürzt rein und schaut mich erschrocken an. Er hebt seine linke Hand, mit der er den Verlobungsring hält. „Er war wieder in der Schachtel.“, sagt er trocken und schluckt tief. Ich schreie, trample und weine, als sie mich im Krankenhaus auf die Not-OP vorbereiten. Mein Freund ist tot. Mein Verlobter ist gestorben! Lasst mich! Ich werfe beim treten aus Versehen einen Tisch, auf dem die Instrumente liegen, um und das Skalpell fliegt durch die Luft genau ins Auge des Chefarztes. Er schreit auf und rennt aus dem Zimmer, hinterlässt kleine Bluttropfen auf dem Fußboden. Die Krankenschwestern weichen vor mir zurück, als sei ich eine gefährliche Biowaffe. Ich springe auf und laufe aus dem Operationssaal, aus dem Krankenhaus. Raus auf die Straße. Da kommt ein Bus von der Seite. Er hupt. Ich bleibe erschrocken stehen und schaue genau in die hell leuchtenden Scheinwerfer des Ungetüms - meinen Tod. Er hupt wieder. Zu spät. Er nimmt mich mit, ich werde durch die Luft geschleudert und pralle irgendwo auf. Dann spüre ich nichts mehr. Aber vor allem keinen Schmerz... Ich bin tot... In dem Bus saß mein toter Verlobter am Steuer. Naja, nicht ganz. Er hatte als Geist den Körper des Busfahrers übernommen und auf mich zugesteuert, damit wir nicht mehr getrennt und alleine sind. So waren wir insgesamt nur zwei Tage in unserem ganzen Leben voneinander getrennt. Und im Tod werden wir nie voneinander getrennt sein. Das hat er mir versprochen. Und diesmal vertraue ich auch darauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)