Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 13: Es ist zu falsch, um richtig zu sein... --------------------------------------------------- Sie lag in seinen Armen und hatte sich nach scheinbar endloser Zeit beruhigt. Seit seiner Rückkehrt, seit sie ihm gesagt hatte, dass sie sich für ihn entschieden hatte, hatte sie geweint. Es waren stumme Tränen gewesen und sie sprach auch nicht darüber, aber Draco ahnte, was wohl in ihrem Kopf vorging. Aber er sagte nichts. Annie hatte sich für ihn entschieden. Das war alles, was er wissen musste. Jetzt streichelte Draco ihren Rücken und lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. Er hatte das Gefühl noch nie einen so langen Tag erlebt zu haben. Selbst er fühlte sich erschöpft und sehnte sich danach, mit ihr in seinen Armen, einschlafen zu können. Doch er wusste, dass sie noch nicht so weit war. Zwar weinte sie nicht mehr, aber er spürte die Angespanntheit ihres Körpers unter seinen Fingern. Dieser Tag muss ihr noch viel mehr Kraft abverlangt haben, als ihm. „Ich überlege gerade, wie wir fliehen könnten und vor allem wann.“, sagte Annie endlich mit kratzender Stimme. Draco antwortete ihr nicht, sondern wartete bis sie von allein weiter sprach. „Ich glaube es wäre besser, wenn wir noch bis zum letzten Tag hier blieben. Vielleicht können wir Barrington überlisten. … Würden wir jetzt gleich aufbrechen, würde er wissen, dass ich schon lang weg bin. Er würde Alexander fragen, wann er mich das letzte Mal gesehen hat. Barrington wüsste, dass ich einen großen Vorsprung hätte und würde weiter im Inneren des Landes nach mir suchen und nicht hier.“ Verwirrt blickte Draco auf ihr Gesicht herab. Wäre es nicht das Klügste zu gehen, so lange sie noch weit genug laufen konnten, ohne dass dieser Mensch etwas von ihrer Abwesenheit erfuhr? Sie sollten jeden Vorteil nutzen, der sich ihnen bot. Annie bemerkte seinen Blick nicht. „Wenn wir aber am letzten Tag gehen, dann wären wir noch in der Nähe. Wir könnten uns vielleicht sogar irgendwo ihm Wald verstecken. Inzwischen kennen wir doch ein paar verborgene Stellen. Oder wir laufen gleich so weit wir können. Wenn Barrington schließlich hierher kommt, würde er eine verlassene Hütte vorfinden… und er würde ebenfalls annehmen, ich hätte es bereits seit Tagen verlassen. Wir müssten nur dafür sorgen, dass es auch so aussieht. … Barrington würde auch dann fern ab von hier nach mir suchen lassen.“ Wenn er das denn überhaupt tat, dachte Annie. Möglicherweise würde er sich nicht einmal die Mühe machen. Sie war doch nur eine von Vielen. Doch das war eigentlich egal. So oder so, würde er als erstes den Weg zu ihrem Bruder und Sophie finden. Ihr Herz blieb kurz stehen und zog sich umso schmerzhafter zusammen. Annie vergrub das Gesicht an Dracos Brust und versuchte den Gedanken an diese beiden geliebten Menschen zu verdrängen. Sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen. Zurücknehmen konnte und wollte sie sie nicht. „Wenn wir an dem Tag gehen, an dem er mich eigentlich holen will und wir hier bleiben würden, irgendwo im Wald versteckt, wäre er uns mit seiner Suche voraus und wir könnten hinter ihm den Wald und vielleicht die Gegend verlassen. … Egal. Welchen Weg wir wählen, wir müssten spätestens bei Sonnenaufgang aufbrechen. Sonst haben wir wohl keine Chance. Ich denke nicht, dass Barrington schon um diese Tageszeit hier sein würde.“ Sie schwiegen wieder eine Zeit lang und Draco streichelte weiterhin sanft ihren Rücken. „Was meinst du dazu?“, fragte Annie ihn schließlich. Er antwortet ihr trotzdem nicht gleich. Er verstand ihre Worte und ihre Idee, aber er war deswegen nicht überzeugter. Es hörte sich ein wenig zu unsicher für ihn an. Und dann sollten sie nur davon laufen und hoffen, dass sie nicht gefunden wurden? Er wusste, dass dies das Beste für sie war, aber er wollte viel lieber um seine Freiheit kämpfen. Davonlaufen, war nicht seine Art. Doch er beugte sich ihr. „Wir machen es so wie du sagst.“, antwortet er ihr. „Lass uns am letzten Tag gehen. Das wird das Beste sein. Annie, ich möchte dich gern noch etwas fragen.“ „Was denn?“ „Du beherrscht Magie. Warum benutzt du sie nicht gegen Barrington? Müsste es nicht ein leichtes sein, ihn durch Magie zu bezwingen? Noch dazu, wenn Alexander dir helfen würde?“ Sie hob den Kopf leicht an, um ihn anzusehen, bevor sie begann zu sprechen. „Alexander und ich haben uns als Kinder versprochen, unsere Magie niemals gegen Menschen einzusetzen. Egal, wie schlecht sie sein würden. Wir haben es uns geschworen. Wir wollten nicht so sein wie unsere Eltern, wir wollten einen neuen Weg gehen. Wir konnten nicht ahnen, dass... Aber ich…“ Draco atmete scharf aus. Er wusste, was sie sagen wollte. „Und du bereust es auch nicht. Nicht einmal jetzt.“ Wie konnte man nur so unvernünftig sein? Stumm nickte Annie. Mit einem besorgten Blick betrachtete Draco sie. Ihre Augen wirkten verschleiert und leer. So hatte er sie noch nie gesehen. War ihre Entscheidung wirklich richtig?, zweifelte er zum ersten Mal. Sein Daumen fuhr über ihre Wange und er hob ihren Kopf für einen Kuss. Ja, sie war richtig, dachte er, als sich ihre Lippen berührten. Es war ihre Entscheidung gewesen. Hätte sie nicht ihn gewählt, hätte er versucht wieder zu dem zu werden, was er einst war. Aber nun würde er sie nicht mehr gehen lassen. „Du solltest dich hinlegen und schlafen.“ sagte er dann sacht. Wieder nickte sie bloß und ließ sich von ihm auf ihre weiche Schlafstelle betten. Draco legte sich neben sie, zog sie in seine Arme und streichelte noch immer sanft ihren Körper. Es brauchte nur ein paar Sekunden bevor beide eingeschlafen waren und dieser Tag endlich sein ersehntes Ende fand. Die nächsten Tage war Annie so ruhig und schweigsam, wie Draco sie noch nie erlebt hatte. Sie lachte nicht mehr und wenn sie doch einmal lächelte, dann war es schwach und wirkte unecht auf ihn. Nie entstand dabei dieses Strahlen in ihren Augen, wie er es von ihr gewöhnt war. Unter ihren Augen befanden sich dunkle Ringe, die ihr ihre Schönheit stahlen. Ihre Haut wirkte auf ihn nicht mehr so rosig, wie sie es sonst immer tat. Sie war blass, genauso wie ihre sonst so roten Lippen. Sie bewegte sich langsam und bedächtig. Jede Bewegung schien ihr schwerer zu fallen. Erst hatte Draco geglaubt es läge nur an dem wenigen Schlaf den sie hatte, doch es war egal, wie lange er sie schlafen ließ, an ihrem äußeren Erscheinungsbild änderte sich nichts. Er war sich sehr wohl bewusst, dass diese Veränderung an jenem Tag ihren Anfang genommen hatte. Er wusste, was sie bedrückte, doch er verstand es nicht richtig. Annie war es doch gewesen, die sich für ihn entschieden hatte. Es war ganz allein ihre Entscheidung gewesen. Warum litt sie dann anscheinend so sehr darunter? Bereute sie es bereits? Doch als er sie einmal, nur einziges Mal danach gefragt hatte - und er würde es auch nie wieder tun - hatte sie ihn nur schwach angelächelt und den Kopf geschüttelt. Dann hatte sie ihn leicht geküsste und gesagt: „Natürlich bereue ich es nicht. Es ist gut so, wie es ist.“ Draco hatte versucht zu ignorieren, dass sich ihren Augen dabei mit Tränen gefüllt hatten und sie hatte auch nicht geweint, doch er wusste dennoch, wo sie in ihren Gedanken war. Und er hasste allein die Vorstellung daran. Würde es auch noch so sein, wenn sie es geschafft hatten zu fliehen? Würde sie dann immer diesen traurigen Blick tragen? Würde sie nie wieder lachen können? Nein. Er würde schon dafür sorgen, dass sie das könnte, dacht er überzeugt. Wenn es ihnen erst gelungen war, würde es nur noch sie und ihn geben und er würde sie wieder zum Lachen bringen. Dessen war er sich sicher. Es würde alles gut werden, wenn sie diesen Ort erst einmal verlassen hatten. Aber abgesehen davon, dass sich Annie äußerlich so sehr verändert hatte, versuchten sie ihr Leben so weiter zu gestalten, wie es auch vorher der Fall war. Beide wussten, dass Barrington auch vor dem angekündigten Tag vor ihrer Tür erscheinen konnte und wenn es nur wahr, um nachzusehen ob sie noch da war. Annie und Draco musste sich dazu zwingen, den alltäglichen Dingen nachzugehen. Dies bedeutete Wäsche waschen, die Hütte in Ordnung halten, die Mahlzeiten bereiten und noch einiges mehr. Arbeiten für die Annie dankbar war, gaben sie ihr doch Beschäftigung und lenkten sie von anderen, trüberen Gedanken ab, die sie die meiste Zeit zu verdrängen versuchte. Trotzdem gelang es ihr nur wenig erfolgreich. Nur wenn sie in Dracos Armen lag, ihn küsste und ihre Liebe mit ihm teilte, war ihr das kurzzeitige Vergessen vergönnt. Ihre Flucht, ihre Leben, ihre Schuld. Es waren kostbare Momente und umso wertvoller, weil sie wusste, dass es schon bald enden könnte. In diesen Momenten gab es nur den Mann, den sie liebte und sie. Sie spürte seinen Körper auf sich, berührte ihn, atmete seinen Duft ein, schmeckte ihn und wurde eins mit ihm. Mehr als einmal wünschte sie sich, dieser Moment könnte ewig halten. Wenn sie doch nur die Zeit einfangen könnte. Aber da ihr dies nie gelingen würde, betet Annie dafür, solche Augenblicke des Vergessens und des Glücks noch oft erleben zu dürfen. Und das würde sie, nicht wahr? Wenn sie erst einmal in einem anderen Land waren, wo sie keiner kannte, würde ihr dies möglich sein. Sie und Draco würden ganz von vorn beginnen. Nur sie und er. Mehr brauchte sie nicht. Mehr wollte sie nicht. Mehr durfte sie nicht wollen. Draco war, wie so oft, in den Wald gegangen. Noch immer wusste sie nicht, was er dort tat und inzwischen hatte sie sich auch damit abgefunden, es nie heraus zu finden. Jetzt war es ohnehin von keinerlei Bedeutung mehr, dachte sie traurig. Als Annie gerade die Hühner fütterte, vernahm sie abermals Hufschläge hinter sich. Vor Angst erstarrte sie. Im Stillen dankte sie Gott dafür, dass Draco wieder nicht da war. Sie wusste nicht, warum Draco immer dann nicht da war, wenn sich jemand ihrem bescheidenen zu Hause näherte, aber es hatte ihnen wahrscheinlich schon oft das Leben gerettet. Doch als sie sich umdrehte, war es nicht Barrington den sie sah, sondern ihren Bruder. „Alexander.“, sagte sie tonlos. Unbändige Gefühle stiegen in ihr auf, die sie zu überwältigen drohten und die sie doch so sehr beherrschen musste. Was machte er hier? Sie hatte sich schon längst von ihm verabschiedet! Warum kam er noch einmal? Sie konnte seinen Anblick kaum ertragen. „Hallo, Annie.“, sagte ihr Bruder sanft und kam auf sie zu. Er schloss sie in seine Arme und augenblicklich verkrampfte sie sich. Er durfte das nicht tun! Er machte es ihr somit unmöglich, ihn noch ein weites Mal gehen zu lassen. Annie versuchte verzweifelt gegen die Tränen anzukämpfen, schluckte und hoffte, dass ihre Stimme ihren Dienst nicht verweigern würde. „Was machst du hier?“, schaffte sie es zu fragen und sah zu den Hühnern, die sich um die Körner stritten, die sie vor wenigen Augenblicken auf dem Boden verteilt hatte. Annie spürte, wie er erst ihrem Blick folgte und sie dann ansah. Bemerkte, wie sehr sie unter seiner Anwesenheit litt? „Ich wollte sehen, ob du noch da bist.“, antwortet er ehrlich. Sie nickte bloß, unfähig zu sprechen. Hätte sie es getan, hätte sie ihm alles erzählt. Sie hätte ihn um Vergebung angefleht, darum gebeten Sophie irgendwie zu retten, sich und seine Frau in Sicherheit zu bringen. Doch stattdessen schwieg sie. Würde sie es ihm erzählen, würde sie ihn wahrscheinlich noch mehr in Gefahr bringen. Denn dann hätte Barrington wirklich etwas, womit er ihn bedrohen konnte. „Hast du dich denn entschieden?“, fragte er sie weiter. Wieder nickte Annie bloß. Wie dumm war sie eigentlich? Da stand sie hier und schwieg, dabei gab es noch so viel anderes zu sagen. So vieles und doch konnte sie es nicht einmal ansatzweise aussprechen. Aber wahrscheinlich wusste er es ohnehin schon, dachte sie verzweifelt. Ihre Haltung war zu offensichtlich. Sie schaffte es nicht mal ihn anzusehen! Dabei musste sie doch! Wenn sie noch irgendetwas richtig machen wollte, dann musste sie ihren Bruder ansehen und ihm das Gefühl geben, als sei alles in Ordnung! Etwas anderes konnte sie nicht tun. Also brachte Annie ihre verbliebenen, mentalen Kräfte auf, atmete durch und schaffte es ihren Bruder anzusehen - ohne blinzeln zu müssen, ohne an den Schmerz zu denken, der sich in ihr Herz gefressen hatte. Sie musste sich nur vorstellen, dass dies ein Abschied wie jeder andere war. Sie musste einfach… „Ich danke dir, Alexander. Aber du musst dir keine Sorgen machen. Es ist alles in Ordnung. Es wird alles gut werden, so wie du gesagt hast.“, gelang es ihr zu sagen und zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie es sogar geschafft, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie erwiderte seinen Blick und hoffte, dass er ihre wahren Gedanken und Ängste nicht sah. Nur dieses eine Mal nicht, flehte sie gen Himmel. Alexander musterte sie ein paar Sekunden, bevor der den Blick schließlich abwand. „Das beruhigt mich wirklich zu hören.“, sagte er schließlich und sah sich noch einmal um. „Wo ist Draco?“ „Im Wald irgendwo. Ich weiß es nicht. Er sagt mir nie, wo er hingeht.“, antwortete Annie verblüfft auf diese Frage. Sonst interessierte es ihn nie, wo Draco war. Alexander nickte kurz und schien mit dieser Antwort dennoch nicht zufrieden. Sie konnte es in seinem Gesicht lesen. Noch mehr Fragen taten sich auf, doch sie stellte keine einzige davon. Die beiden Geschwister sahen sich in die Augen und dann wurde es Annie klar. Er wusste es tatsächlich. Sie hätte sich gar nicht die Mühe machen brauchen. Ohne Vorwarnung nahm Alexander seine Schwester in die Arme und drückte sie an sich. „Ich wünsche dir alles, alles Gute.“, flüsterte er gegen ihr Ohr. „Pass auf dich auf.“ Annie schluchzte kurz auf und verfluchte sich selbst dafür. „Danke.“, presste sie mühsam heraus, unfähig noch ein weiteres Wort zu sprechen. „Ich hoffe du wirst es nicht bereuen.“, sagte er weiterhin und strich ihr über das Haar. Sie schüttelte leicht den Kopf und umarmte ihn noch etwas fester. Sie wollte nicht loslassen. Doch Alexander ließ sie los und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Leb wohl.“, flüsterte er und selbst seine Stimme klang heißer. Dann ließ sie ihn gehen. „Leb wohl.“, wisperte Annie kaum hörbar und sah ihn nicht an. Sie drehte sich um und beschäftigte sich wieder mit den Hühnern. Sie durfte nicht weinen. Nicht jetzt. Es war nur ein gewöhnlicher Abschied, versuchte sie sich weiter einzureden. Erfolglos. Es war kein Abschied wie sonst auch. Es war einer für immer. Als sie hörte, wie er sein Pferd bestieg und langsam davon ritt, wartete sie nur noch bis sie ihn nicht mehr hören konnte. Dann brach sie weinend zusammen und wünschte, sie wäre tot und von ihrem Schicksal befreit. Draco war auf dem Rückweg vom See, an dessen Ufer er darüber nachgedacht hatte, wie er sie noch an diesem Tag wieder zu Lachen bringen konnte. Er war überzeugt, dass sie das irgendwann wieder können würde, aber er wollte nicht länger warten. Er wollte es jetzt. Doch egal, wie sehr er auch darüber nachdachte, kam er zu keiner Antwort. Vielmehr war er wieder einmal zu der Überzeugung gelangt, dass sie ihn niemals hätte verwandeln sollen. Es hätte alles so viel einfacher gemacht. Hufschläge ließen ihn aufhorchen und instinktiv suchte Draco nach einem Versteck. Es war ein Leichtes für ihn, einen Baum mit einem Ast zu finden, der so tief hing, dass er sich mühelos daran hochziehen konnte. Rasch kletterte er einen weiteren Ast hinauf, kniete sich dann darauf hin und hielt sich mit einem Arm, an einem anderen über seinem Kopf fest. Dann wartete er auf den Reiter, der immer näher kam. Von seiner Position aus, hatte Draco eine gute Sicht in den Wald und auch, wenn die Blätter sich langsam verfärbt hatte, waren sie immer noch dicht genug, um ihn vor den Augen anderer zu verbergen. Doch er war verblüfft, als der den Reiter erkannte. Es war Alexander, der nur wenige Schritte von dem Baum stehen blieb, in dem Draco sich versteckt hielt. Annies Bruder sah sich scheinbar etwas suchend um. „Draco?“, fragte Alexander plötzlich und schaute weiter in den Wald hinein, als könnte er den Gesuchten bald erkennen. Überrascht sah Draco nach unten. Woher wusste er, dass er hier war? Hatte er ihn doch bemerkt? Eigentlich nicht. Er war zu schnell gewesen. „Draco, bist du hier?“, fragte Alexander noch ein zweites Mal und ließ sein Pferd noch ein paar Schritte weiter gehen. Warum sucht er nach mir?, fragte sich Draco irritiert. Er hatte bisher nicht viel mit diesem Alexander zu tun gehabt und er war auch nicht darauf aus. Draco war sicher, dass Alexander das genauso empfand. Zwischen ihnen hatte es keine Freundlichkeit gegeben. Was also wollte er dann von ihm? Was ging es ihn an? Er würde Annie danach fragen, wenn er zurück war. Alexander war bestimmt auch bei ihr gewesen. Oder hatten sie möglicherweise doch einen anderen Ausweg gefunden? Erneut rief Alexander seinen Namen und Draco zuckte kurz zusammen. Es war ihm seltsam zu mute, den Namen, den sie ihm gegeben hatte, mit der Stimme eines anderen zu hören. Es klang so fremd und falsch. Draco atmete scharf aus. Er hasste diesen Drang, diese Neugier, die von ihm Besitz ergriff. Er wollte jetzt wissen, was Alexander ihn zu sagen hatte und nicht erst warten, bis er Annie danach fragen konnte. Und um das zu erfahren, würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als sich zu zeigen. Er sprang nach vorn, von dem Ast herunter. Mit einem eleganten und sanften Sprung landete er auf dem Waldboden. Vor Schreck wendete Alexander sein Pferd und sah ihn erstaunt an. „Was ist?“, fragte Draco unvermittelt und wartet nicht einmal darauf, bis Alexander von seinem Pferd gestiegen war. Draco beobachtete, wie Alexanders Blick zu dem Baum hinter ihm glitt und dann wieder zu ihm. „Da bist du ja endlich.“, sprach Alexander. „Ich dachte schon ich würde dich nie finden.“ Auch wenn Draco es nicht zeigt, so war er über die Tatsache, dass Alexander wirklich nach ihm gesucht hatte, erstaunt. Sie hatte sich nicht zu sagen. “Ich war gerade bei meiner Schwester.“, setzte Alexander von neuem an und hatte somit sofort Dracos gesamt Aufmerksamkeit, auch wenn sein Gesicht weiterhin ausdruckslos blieb. „Sie hat sich für dich entschieden.“ Auch darauf sagte Draco nichts. Dies war Etwas was Alexander nichts anging. Außerdem gab es nichts mehr darüber zu sagen. Die beiden so verschiedenen Männer musterten sich einige Sekunden und die Spannung erfüllte den Wald um sie herum beinah mit einem Knistern. Dann zog sich ein bitteres Lächeln über Alexanders Gesicht und er schloss die Augen. „Ich verstehe.“, sagte er und über Dracos Gesicht huschte eine Spur Verwirrtheit. Er verstand diesen Menschen nicht. Er verstand sie allgemeinhin nicht, aber bei Annie hatte er wenigstens das Gefühl es langsam zu können. Doch ihr Bruder war ihm einfach fremd und unverständlich. Alexander blickte ihn nun wieder direkt an und Draco erkannte dieses Funkeln in seinen dunklen Augen, was ihn für andere bedrohlich aussehen ließ. „Ich will das du verschwindest.“, sagte Alexander schließlich mit finsterer Stimme. Einen winzigen Augenblick war Draco über diese Aussage überrascht und überlegte sogar, ob er etwas erwidern sollte. Aber warum sollte er? Es würde nicht verändern. Stattdessen wand er sich zum Gehen ab. „Liebst du sie?“, fragte Alexander weiter. Ebenfalls eine Frage mit der Draco nicht gerechnet hatte und sogar stehen blieb. „Ich weiß es nicht.“, antwortete er ehrlich und leise. Er wollte gerade weiter gehen, als ihn Alexanders wütende Stimme zurückhielt. Er hatte ihn schon einmal recht wütend erlebt, dachte Draco, doch selbst dann war es nicht so intensiv wie jetzt gewesen. Andere konnten dieses Gefühl also genauso heftig empfinden. „Das ist es ja gerade! Du weißt es nicht! Aber sie liebt dich! Jeder kann das sehen! Nur deinetwegen ist sie bereit Menschen in den sichern Tod gehen zu lassen! Das ist nicht meine Schwester!“ Machte er etwa ihn für ihre Entscheidung verantwortlich? Glaubte er etwa, er hätte einen Anteil auf ihre Entscheidung gehabt! Sie hatte sich bereits entschieden, als er seinen eigenen Weg wählen wollte. „Es war ihre Entscheidung.“, sagte Draco mit kalter Stimme. Mehr gab es für ihn nicht zu sagen. Er würde sich nicht vor diesem Mann rechtfertigen. „Und was glaubst du, warum sie das getan hat? Nur weil sie den Gedanken vielleicht nicht ertragen kann, von dir getrennt zu sein.“, sagte Alexander mit noch immer wütender Stimme. Dracos Augen weiteten sich vor Überraschung, über die Wahrheit dieser Worte. War es das gewesen, was sie ihm hatte sagen wollen? Aber Alexander erwartete keine Antwort und sprach weiter: „Glaubst du etwa, sie könnte je wieder glücklich sein, jemals wieder zu ihrem alten Wesen zurückfinden, wenn sie weiß, dass sie vielleicht den Tod von unschuldigen Menschen zu verantworten hat? Und das nur, weil sie sich nach einem Mann sehnte? Glaubst du wirklich du könntest mit ihr fortgehen und alles wäre vergessen? Glaubst du wirklich du könntest sie je glücklich machen? Wenn du das tust, dann bist du äußerst naiv. “Meine Schwester wird nie wieder die Gleiche sein! Sie wird nie wieder lachen können! Du brauchst sie dir doch nur einmal anzusehen! Sie ist jetzt schon vollkommen von Trauer und Schuld zerfressen. … Aber wahrscheinlich ist es dir sowieso egal. Du liebst sie ja nicht einmal. Du denkst nur an dich und an deine eigenen selbstsüchtigen Wünsche.“ Seine Worte sollten ihm egal sein, dachte Draco und das waren sie auch - fast. Sie würde nie wieder glücklich sein? Sie würde nie wieder lachen? Sie würde nie wieder die gleiche sein? Warum? Wieso? Es würde doch besser, wenn sie erst einmal alles hinter sich gelassen hatten? Er verstand nicht... Alexander muss seine Verwirrung bemerkte habe, denn gleich darauf sagte er scharf: „Was? Du bist überrascht? Du lebst schon so lange mit meiner Schwester zusammen und weißt nicht einmal das?! Was für ein Mistkerl bist du eigentlich? Ich schwöre dir, wenn ich nicht genau wüsste, wie sehr sie dich liebt, hätte ich dich schon längst von hier vertrieben… und dann hättest du noch Glück gehabt.“ Fassungslos sah Draco zu Boden und wollte die gesprochenen Worte nicht richtig glauben. Etwas zog sich in ihm fest zusammen und setzte sich wie ein Stein auf seine Lungen und ihm das atmen erschwerte. Tief in seinem Inneren, realisierte er, dass Alexander recht haben könnte. Es war unübersehbar, wie sehr sich Annie bereits verändert hatte. Von ihrem alten, fröhlichen und heiteren Selbst, war nichts mehr zu erahnen. Bisher hatte er fest daran glauben wollen, dass es besser würde, wenn sie nicht mehr an diesem Ort wären. Aber was... wenn es das nicht wurde? Draco wusste um die Tränen, die Annie jedes Mal weinte, wenn er nicht bei ihr war. Genauso wie er auch wusste, warum sie sie weinte. Würde sich wirklich nichts ändern? Würde es von nun an für immer so sein? „Du musst sie verlassen.“, sagte Alexander nach wenigen Minuten des Schweigens abermals. „Nur so, kann sie vielleicht ein halbwegs normales Leben leben.“ Bei diesen Worten blickte Draco auf und nun stand die Wut in seinem Gesicht geschrieben. „Du willst, dass sie ihn heiratet?“, fragte Draco und seine Stimme klang nun genauso scharf. Zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung, war Draco bereit sich mit Alexander auseinander zusetzen und mit ihm zu reden. „Nein, dass will ich natürlich nicht!“, erwiderte Alexander sofort heftig. „Aber von allen Möglichkeiten, wäre dies die bessere für sie. Ein Leben an Barringtons Seite mag schrecklich werden, davon bin ich sogar überzeugt. Dennoch wäre es ein Leben, welches sie in der Nähe ihrer Familie verbringen könnte. Sie müsste nicht mit der Schuld leben, die sie nicht einmal jetzt, nach ihrer Entscheidung, akzeptieren kann. … Draco, verstehst du denn nicht?! Sie könnte damit die Menschen retten, die sie liebt und dir ihr wichtig sind. Du kannst nicht ernsthaft gedacht haben, dass sie sie einfach vergessen könnte, selbst wenn sie dich bei sich hat. Du kennst sie! Niemals könnte sie für immer mit dieser Belastung leben. Vielleicht würde es ein paar Monate gehen, vielleicht ein paar Jahre, doch niemals für immer. Du siehst es doch! Sie zerbricht jetzt schon daran!“, appellierte er an seinen Gegenüber. „Ich...“ Draco öffnete den Mund, nur um ihn gleich wieder zu schließen. „Sie hat mich, mehr braucht sie nicht!“, erwiderte er schließlich und versuchte das Bild ihrer traurigen Augen aus seinen Gedanken zu verbannen. Alexander lachte bitter auf. „Na und? Meinst du das reicht ihr? Was glaubst du, was ich dir die ganze Zeit versuche zu erklären? Ich weiß nicht wo du eigentlich her kommst oder wer du wirklich bist, aber was kannst du ihr geben? Und selbst wenn du ihr ein Leben ohne finanziellen Sorgen versprechen könntest, sie beschützen könntest und selbst, wenn sie nicht diese Schuld auf sich nehmen würde, würde sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens auf der Flucht sein. Barrington wird nach ihr suchen und wenn es nur wäre, um ihr die Strafe für ihr Verschwinden zu geben. “Immer müsstet ihr davon laufen, würdet vielleicht niemals zu Ruhe kommen. Ist es das was du willst? Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie es sich anfühlt, wie ein Tier gejagt zu werden, in die Enge getrieben, bis es keinen Ausweg mehr gibt und man an dem Punkt angelegt ist, an dem man sich nichts mehr wünscht, als das es endlich vorbei ist und der Tod einen erlöst? … Nein, du weißt nicht wovon ich rede. Ich weiß es ja selbst nicht, aber die Angst, die in den Augen der Tiere zu sehen ist, die ich jage, spricht es ganz deutlich.“ Kälte kroch Dracos Körper hinauf. Die Erinnerung überkam ihn, noch bevor Alexander ausgesprochen hatte. Eingeschlossen, in die Enge getrieben, gejagt und gehetzt und nur noch mit den letzten Kräften fliehend. So lange bis auch der letzte Wille zum Leben aus seinem Körper verschwunden war. „Was ist?“, fragte Alexander misstrauisch und trat einen Schritt auf ihn zu. „Nichts.“, antwortete Draco einsilbig und versuchte die Erinnerung abzuschütteln. Es musste nicht so sein, sagte er sich. Ganz sicher musste es nicht so sein. Doch Alexander Blick verriet ihm, dass er zu lange gezögert hatte. „Vielleicht weißt du ja doch wovon ihr rede.“, sagte er mit leiser Stimme und sah Draco interessiert an. „Warum warst du eigentlich verletzte, als meine Schwester dich fand?“ Draco erwiderte seinen Blick fest und die Unsicherheit die Alexander vor wenigen Augenblicken geglaubt hatte darin zu sehen, war verschwunden. “Du solltest darüber nachdenken.“, sagte Alexander schließlich, als er von Draco kein weiteres Wort hörte. „Willst du ihr dieses Leben wirklich zumuten oder lässt du sie gehen? Es liegt an dir.“ „Was soll ich denn ohne sie tun?“, wisperte Draco. Er hatte diese Worte gesprochen, ohne das es seine Absicht gewesen war, doch sie waren so leise, dass er geglaubt hatte, niemand würde sie verstehen können, ganz gewiss nicht Alexander. Aber dieser tat es. „Du wirst ohne sie leben müssen. Das konntest du doch vorher auch. Wie alt bist du? Anfang oder Mitte zwanzig? Was hast du all die Jahre gemacht, bevor du meine Schwester kennengelernt hast?“, fragte Alexander ihn. „Spar dir die Antwort. Ich will es gar nicht wissen.“ Mit diesen Worten sattelte er wieder auf und bedachte Draco noch einmal mit einem vernichtenden Blick. „Wegen Annie musst du dir keine Sorgen machen,...“, sprach Alexander noch einmal, bevor er sich umwandte, „Wenn dir das überhaupt in den Sinn gekommen ist. Der Anfang wird für sie schwer werden und sie liebt dich wirklich. Glaube mir, ich wünschte es gäbe einen anderen Ausweg. Irgendwann wird es auch für sie besser werden, leichter – auch, wenn sie bei Barrington vielleicht kein angenehmes Leben haben wird. Aber sie wird dich vergessen und mit dem Vergessen wird der Schmerz weniger werden.“ „Sie wird mich vergessen?“, fragte Draco tonlos und Entsetzten stand auf seinem Gesicht. Alexanders Worte hatten ihn wie einen Schlag getroffen. Noch nie war ihm dies in den Sinn gekommen. „Natürlich. Menschen vergessen mit der Zeit. Es mag bei ihr vielleicht länger dauern, aber irgendwann wird es so sein. Das Vergessen lindert unseren Schmerz. Genauso wie du sie eines Tages vergessen wirst.“ Mit diesen Worten ritt Alexander endgültig davon und ließ Draco allein zurück. Verstört stand Draco im Wald, noch immer getroffen von Alexanders Worten. Er und vergessen? Er würde niemals vergessen. Er konnte nicht! Selbst, wenn er es noch so sehr gewollt hätte! Er vergaß niemals! Immer würde er sich erinnern! Er konnte sie einfach nicht gehen lassen. Sie war sein und er würde sie niemals jemand anderem überlassen. Was sollte er auch ohne sie tun? Als sie ihm gesagt hatte, sie würde bei ihm bleiben, da hatte er sich ein zweites Mal aufgegeben. Wohl wissend, dass es von diesem Moment an für immer sein würde. Er würde ein Mensch bleiben. Doch ohne sie... genauso gut, hätte Alexander ihn töten können. Vielleicht wäre dies wirklich das Beste, dachte Draco verbittert. Wenn er tot wäre, wäre alles so viel einfacher. Annie hätte keine Entscheidung treffen müssen, die sie so oft weinen ließ, er müsste sich nicht mit den Gedanken quälen, ob sie ihr Lachen für immer verloren hätte und er müsste sich niemals vorstellen, wie sie in den Armen eines anderen lag. Auch wenn das Gewicht auf seiner Brust ihn zu ersticken drohte, zwang er sich dazu durchzuatmen. Es schmerzte ihn, doch es war ihm nicht unangenehm. Es zeigte ihm, dass er noch immer fühlte und es half in die dunklen Gedanken, ausgelöst durch Alexanders Worte, zu verdrängen. Denn es waren nur dessen Worte, die ihn so verwirrten, sagte er sich selbst. Sie würden früh aufbrechen und doch in der Nähe bleiben. So würde es ihnen gelingen, Barrington zu überlisten. Es würde nicht so sein, wie Alexander gesagt hatte, dachte er entschlossen. Dennoch beschlich ihn das gleiche Gefühl, wie er es hatte, als er Barrington das erste Mal wieder gesehen hatte, als er erkannt hatte, dass dieser Mann es gewesen war, der in fast in den Tod getrieben hätte. Kalter Schweiß brach ihm aus. Warum nur verspürte er so eine Angst vor diesem Mann, fragte er sich? Er war nur ein Mensch. Nichts weiter, als ein dummer, unfähiger, schwacher Mensch. Aber genau das bist du auch, nicht wahr?, hörte er seine eigene Stimme zu sich sprechen. Und selbst als du es nicht wahrst, war es ihm gelungen, dich zu finden und in die Enge zu treiben. Draco schluckte heftig. Das war vergangen, beschwichtigte er sich selbst. Es war vorbei, schon lange und hatte keinerlei Bedeutung mehr. Er drehte sich um und verließ diesen Platz, auf dem er noch vor wenigen Minuten mit Alexander gesprochen hatte. Annies Bruder wusste nicht wovon er sprach. Er war sogar bereit seine Schwester einfach diesem Mann zu überlassen, wo doch ein Leben an Barringtons Seite genauso furchtbar, wie der Tod sein musste. Auch Alexander dachte nur an sich selbst. Als er die Tür öffnete und eintrat, erschrak er. Wieder lag Annie auf dem Boden und weite hemmungslos in die Decken, die unter ihr lagen. Auch wenn sie das oft getan hatte, so hatte sie es ihn nie so offen sehen lassen. Der Anblick ihrer Tränen machte ihn jedes Mal aufs neue hilflos. Dies war etwas, woran er sich nicht würde gewöhnen können. Dabei bedeutete dieses salzige Wasser aus ihren Augen keine Gefahr für ihn. Trotzdem fühlte er sich, als wären ihren Tränen Dolche, die sie ihm stumm ins Herz rammte. Würden sie niemals aufhören? Bedächtig ging er auf sie zu und nahm sie in seine Arme. Bei der Berührung zuckte Annie kurz zusammen und er wusste, dass sie versuchte sich augenblicklich zu beruhigen. Sie wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und atmete durch den Mund, um ihrer Tränen Herr zu werden. „Es tut mir leid.“, sagte sie schließlich mit schwacher Stimme. „Alexander war gerade hier und ich... Ich habe mich verabschiedet. I-Ich wusste nicht, dass er noch Mal kommen würde und... Ich musste wieder daran denken, was passieren könnte, wenn...“ Ihre Stimme war nicht einmal mehr ein Flüstern und nur durch sein feines Gehör verstand er sie überhaupt. „Entschuldige, es ist wieder alles in Ordnung.“ Sie blickte ihn flüchtig an und erneut erschrak er. Vorsichtig hob er ihr Kinn ein wenig an, um sie genauer zu betrachten. Sie sieht krank aus, schoss es ihm durch den Kopf. Ihre Stirn glänze, als hätte sie Fieber. Alles rot, welches ihre Wangen sonst so leuchten ließ, war plötzlich verschwunden. Stattdessen wirkte ihre Haut blass und grau und die feinen Äderchen darunter zeichneten sich sichtbar ab. Die Schatten unter ihren Augen erschienen ihm noch tiefer und noch dunkler. Ihre Augen wirkten noch trüber und leer auf ihn und ihre sonst so köstlichen Lippen waren nicht mehr als eine schmale Linie. Sie ließen nicht einmal mehr ihre frühere Farbe von dem herrlichen himbeerrot erahnen. Ihr Haar hing schlaff ihre Schultern herunter. Ihr Körper war dünner und zerbrechlicher als jemals zu vor. Wann war all dies geschehen? Er hatte die Veränderungen bereits vorher bemerkt, doch seit dem zusammentreffen mit Alexander, schienen sie ihm noch auffälliger zu sein. Sie waren schlimmer, erschreckender und tiefsitzender. Wieder umklammerte Angst sein Herz. Sollte Alexander wirklich recht behalten? Würde er sie nie wieder glücklich sehen? Würde sie nie wieder so sein, wie zuvor? Nein, dass würde sie nicht. Er klammerte sich regelrecht an diesen Gedanken. Vielleicht könnte sie wirklich irgendwann wieder lachen und vielleicht würde es sogar ihre Augen erreichen. Trotzdem würde es immer von Gedanken an die Menschen überschattet sein, die sie zurückgelassen hatte, realisierte er. War es für sie wirklich besser, sie gehen zu lassen? Vielleicht hatte Alexander recht, dachte Draco. Sie war ein Mensch. Menschen vergessen. Ihr Leben ist viel zu kurz, um all das, was sie erleben, in ihrem Herzen bewahren zu können. Annie war nicht anders, als sie. Sie war ebenso nur ein Mensch. Ein zerbrechlicher, sterblicher Mensch. Noch nie war ihm dies so bewusst geworden, wie in diesem Moment. In diesem Augenblick konnte er die ganze Schwäche der Menschen in seinen Armen liegen sehen. Nur ein einziger Windhauch würde genügen, um sie vollkommen zu brechen. Draco atmete zittrig aus, als ihm die Bedeutung seiner Überlegung bewusst wurde. Es war für sie tatsächlich besser, wenn er sie gehen ließ. Sie würde ihn vergessen, wie sie auch ihren Schmerz über sein Misstrauen vergessen hatte. Nach und nach würde sein Bild in ihrem Herzen schwächer werden. Annie konnte anderen nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen. Er hatte es ja selbst erfahren. Sie hatte auch ihn gerettet, obwohl sie ihn genauso gut hätte sterben lassen können. So, wie es hätte sein sollen… von Anfang an. Nie würde Annie es sich verzeihen, anderen im Stich gelassen zu haben, einfach davon gelaufen zu sein und nicht ihr bestmögliches getan zu haben, um ihnen zu helfen. Das war die Art, wie sie dachte und handelte. Es war ihre Stärke und gleichzeitig verstand Draco es als Dummheit. Ja… Sie würde daran zerbrechen, wenn sie in zwei Tagen gingen. Und trotzdem konnte er sie nicht gehen lassen. Es war zu spät. Es war entschieden. Der nächste Tag brach an und Annies Zustand hatte sich nicht geändert. Es überraschte ihn auch nicht. Sie lag still in seinen Armen, das Gesicht an seiner Brust vergraben. Er konnte spüren, dass ihr Atem zittrig ging und sie unruhig schlief. Wahrscheinlich träumte sie schlecht. Draco zog sie noch ein wenig fester an sich und strich ihr über den Rücken. Doch anders als sonst, schien es sie kaum zu beruhigen. Hin und wieder schlief er selbst kurz ein und erst am späten Nachmittag bemerkte er, dass Annie die Augen öffnete, auch wenn sie ihn nicht ansah. Trotzdem erhob sich Draco und füllte einen Becher mit Wasser. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, reichte er ihn ihr weiter. Zögerlich nahm sie das Gefäß und führte es an ihre Lippen. Er wusste, dass sie den Kopf nur deshalb so tief gesenkt hielt, damit er sie nicht ansehen konnte. Er wusste nicht, ob er das überhaupt wollte. Selbst im Schlaf hatte sie vereinzelt Tränen geweint. Sobald sie den Becher abgestellt hatte, legte sie sich wieder hin und bedeckte die Augen mit ihrem Arm. „Annie...“, sagte er leise und zog ihren Arm weg. Ihre Augenlider waren vom vielen weinen, aber auch der Anstrengung ihre Tränen zurückzuhalten, rot und geschwollen. Abermals stahl sich eine einzelte Träne aus ihrem Augen und liefe ihre Wange hinab. Hastig schloss er sie in die Arme und drückte sie an sich. Es war als wäre ihr Schmerz auch seiner. „Ich bin hier, Annie.“, flüsterte er. Warum nur? Warum nur, war sein Dasein nicht genug für sie? „Es tut mir leid.“, sagte sie leise. „Bitte, nur noch heute. Nur noch heute will ich wegen ihnen weine. Morgen werde ich stark sein, das verspreche ich.“ Und dann weinte sie erneut an seiner Brust. Gefangen von dem Schmerz und dem Leid, das sie über anderen bringen würde. Draco hielt sie in seiner Umarmung und wartete, bis sie sich etwas gefangen hatte. Denn eines hatte er inzwischen begriffen. Ein Mensch konnte nicht ewig weinen. Irgendwann war auch dazu die Kraft verschwunden. Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie sanft. Ihre Lippen waren rau und spröde. Kaum erwiderte sie seinen Kuss. Verzweifelt sah er sie an, küsste sie noch einmal und noch ein weiteres Mal. Die Gedanken des letzten Tages schlichen sich zu ihm und er versuchte sie wieder zu verbannen. Je mehr die Gedanken zu ihm zurückkrochen, desto drängender, beinahe grob, wurden seine Küsse. Annie erwiderte sie nur schwach, so dass er es kaum spürte. Es war als ließe sie es bloß geschehen, ohne dabei selbst etwas zu empfinden. Es machte Draco wütend und ließ seine Verzweiflung und Hilflosigkeit nur noch weiter wachsen. Gefühle, die er nicht kannte und die ihn ängstigten. Seine Hand berührten ihren Körper, streichelte ihn, versuchte ihm eine Reaktion zu entlocken. Während er sie küsste, schob er gleichzeitig den Stoff ihres Kleides weiter nach oben. Er wollte dieses liebliche Seufzen von ihr hören, wenn er sie küsste und berührte. Dieser Klang, der ihn tief im Inneren berührte und sein eigenes Verlangen nach ihr wachsen ließ. Er ließ sich keine Zeit, hatte sie nicht einmal entkleidet, als er eins mit ihr wurde. Und obwohl sie die Arme um seinen Rücken gelegt hatte, seinen Kuss leicht erwiderte, spürte er, dass sie nicht bei ihm war, sondern weit weg. Mit ihren Gedanken wo anders, bei jemand anderem. Danach blickte er sie an und senkte seine Lippen ein weiteres Mal auf ihre. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr Körper zitterte leicht. Und plötzlich verstand er, was Alexander ihm hatte sage wollen. Begriff alles und nicht nur die Oberfläche. Es würde von nun an immer so sein. Egal wo sie hingingen, egal wie weit sie von diesem Ort entfernt waren, sie würde nie mehr die gleich sein. In ihrem Herzen würde sie immer weinen und wenn sie sich liebten, würde er sie nie wieder so spüren, wie vorher. Alexander hatte recht. Doch selbst, wenn er nun darum wusste, konnte er es nicht beenden. Es hätte bedeutet, dass er es hätte sein müssen, der geht – ohne sie - und dies war ihm nicht möglich. Sie hatte sich doch für ihn entschieden und er konnte nichts daran ändern. Und Annie würde es sich gewiss nicht anders überlegen. Sie waren von Beginn an, nicht für einander bestimmt. Von Anfang an, hätte es nicht geschehen dürfen und doch war er zu schwach gewesen und hatte es zugelassen, es selbst gewollt. Dies war nun seine Strafe. Er hatte etwas begehrt, was ihm von vornherein unmöglich war. So wie es damals auch geschehen war. Draco wusste, dass es für ihn ebenso zu spät war. Er verdiente es nicht anders. Er würde für den Rest seinen Lebens ein Mensch bleiben – ohne sie. Alexanders Worte hallten in seinen Kopf nach. Er konnte sie nicht glücklich machen. Er konnte ihr nichts geben. Er konnte sie nicht einmal beschützen. Alles was er noch tun konnte, war das zu retten, was er so sehr begehrte: Ihr Lachen und sie. Denn in jenem Moment war ihm ebenfalls klar geworden, dass es nicht nur ihr Lachen sein würde, was für immer verloren ging. Vielleicht hätte er auch ohne dem leben können. Aber es würde auch sie selbst sein, die irgendwann verschwinden würde. Sie würde es niemals verkraften können, einem anderen ein Leid zugefügt zu haben. Das tat sie bereits jetzt nicht. Ihre Schuld würde sie nicht nur zerfressen, sondern irgendwann auch töten. Seine Finger zeichneten vorsichtig die Ringe unter ihren Augen nach. Sie war so zerbrechlich. Abermals küsste er sie, dieses Mal sanfter und liebvoller. Seine Hände glitten ihren Körper hinab und schoben ihr Leinenkleid weiter nach oben. Stück für Stück, bis er sie schließlich entkleidete und anschließend sich selbst. Draco gab ihr einen weitern Kuss bevor sein Mund ihren Hals hinabwanderte. Er küsste ihre Kehle, ihr Schlüsselbein und dann in einer gerade Linie Oberkörper. Hinab bis zu ihrem Bauchnabel. Seine Zunge zeichnete leichte Kreise um diesen herum und er küsste ihn noch einmal. Danach liebkoste er ihren Bauch, fuhr mit der Zunge ihre Seite entlang nach oben, hin zu ihrem Busen. Zärtliche schlossen sich seine Lippen, um die rosige, empfindsame Knospe. Er küsste sie und verwöhnte sie mit seinem Mund, leckte und schmeckte sie mit seiner Zunge. Ein leiser Laut entrann ihrem Mund und nun unbewusst nahm Draco war, wie sich ihr Körper ihm entgegen beugte. Seine rechte Hand massierte den anderen Busen, während die linke sanft ihr Bein anhob und ihren Oberschenkel mit gleichmäßigen, kreisenden Bewegungen streichelte. Obwohl er dabei ihrer geheimsten Stelle sehr nahe kam, berührte er sie nicht. Stattdessen glitt seine Hand ihren Körper wieder hinauf und wieder stieß sie einen leisen Laut aus. Es klang anklagend und vielleicht auch missfallend, dass er aufgehört hatte. Draco küsste nun die Stelle zwischen ihren Brüsten, ihren Hals hinauf, bis er ihre Lippen wieder fand. Dieses Mal empfing sie ihn wohlwollender. Noch immer nicht so leidenschaftlich wie zuvor, doch weniger verhalten. Draco blickte in ihr Gesicht und immer noch konnte er kleine, feine Tränen in ihren Wimpern erkennen. In diesem Moment akzeptierte er das Unvermeidliche. Doch er würde niemals gehen können. … Es würde an ihr sein, noch einmal zu entscheiden. … Wenn sie bei Sonnenaufgang erwachte, würde es so geschehen, wie sie es gedacht hatte. Sie würden gehen und nicht mehr zurückblicken. Wenn sie bei Sonnenaufgang noch schliefe, würde er... Er küsste sie ein weiteres Mal, intensiv, lang und leidenschaftlich. Es war richtig so oder nicht? Sie würde ihn vergessen, vielleicht nicht gleich, aber irgendwann ganz gewiss. Sie war ein Mensch. Die Menschen mussten vergessen, um leben zu können, um überleben zu können. Das Gewicht all ihrer Erinnerungen würde sie sonst erdrücken. Seine Erinnerungen hingegen waren für die Ewigkeit. Nie würde er sie vergessen können, auch wenn er wusste, dass er sich nichts sehnlicheres wünschen würde, sollte er bereits morgen ohne sie sein. Sein einziger Trost würde es dann sein, dass das Leben der Menschen so viel kürzer war, als sein vorheriges. Er würde die qualvoll süßen Erinnerungen an sie, nicht lange mit sich tragen müssen. Nur ein paar Jahre, die im Vergleich zu der Zeit, die er bereist lebte, nichts waren. Und dann würde es ein Ende haben. Mit den Fingern und den Lippen zugleich, zeichnete er sanft ihr Gesicht nach, versuchte all das zu bemerken, was ihm bisher vielleicht entgangen war und sich einzuprägen. Es war gelogen. Er wollte nicht, dass sie vergaß. Sie sollte sich genauso an ihn erinnern, wie er sich an sie erinnern konnte. Er wollte, dass etwas von ihm bei ihr blieb, ein winzig kleiner Teil, was sie ihn niemals vergessen lassen könnte. „Sieh mich an, Annie.“, wisperte er kaum hörbar gegen ihr Ohr und küsste es sanft. Seine Stimme hatte sich verändert. Sie glich nur noch einem Windhauch, der die Gräser im Frühling sacht wiegte, sanft und streichelnd. Annie öffnete die Augen und war überwältigt von dem, was sie sah. Seine Augen hatten schon immer die Farbe eines hellen Blaus, fast wie Eis im Winter. Doch nun schienen sie regelrecht zu leuchten, so intensiv war ihre Farbe. Sie merkte, wie er sie noch einmal küsste, doch selbst, wenn sie gewollt hätte, hätte sie die Augen nicht schließen können, um den Kuss zu genießen. Zu gefangen war sie von seinem Anblick. Das leuchtende Blau schien sie anzuziehen und mit jedem Kuss tauchte sie tiefer darin ein, wollte es ergründen, verstehen und halten, doch es schien endlos zu sein. Sie atmete überrascht ein, denn mit diesem Kuss hatte sich wieder etwas geändert. Seine Berührungen waren plötzlich wie Federn, die über ihren Körper strichen, so sanft und weich. Unter der Stelle, die er berührt hatte, begann es zu kribbeln. Das Kribbeln hielt selbst dann noch an, als diese Federn schon längst weiter geglitten waren. Es war so viel durchdringender, mitreisender und mächtiger, als alles was sie bisher jemals empfunden hat und je empfinden würde. Es war, als würde jede seiner Berührungen mit ihr verschmelzen und ein Teil von ihr werden. Immer wieder zog Annie ihn an sich, um seine Lippen zu berühren und dem Blau näher zu kommen. Aus dem Kribbeln wurde ein brennen, was sich tief in ihre Haut grub und ein Begehren entstehen ließ, von dem sie sich nicht einmal hatte vorstellen können, in der Lage zu sein, es zu empfinden. Annie berührte seinen Körper, fuhr mit den Händen über seinen Rücken und immer wieder küsste sie ihn, als wäre sie unersättlich. Es schien nichts anderes mehr zu existieren, außer sie selbst und ihm. Nichts war mehr wichtig, nur seine Berührungen und dass er nicht aufhören durfte. Sie presste ihren Körper gegen seinen und ließ gierig ihre Zunge in seine Mund wandern. Ihr Aufstöhnen und Seufzen wurde lauter, je mehr seine Hände ihren nackten Körper liebkosten. Annie vergrub die Finger in seinen Haare, zog ihn an sich, als wollte sie verhindern, dass er jemals wieder von ihr ließ. Er hätte es niemals gekonnt. Als sie sich in ihrer Liebe, durch ihre Körper, mit einander verbanden, fühlte Annie sich als würde sie schweben, fernab von allem irdischen und in eine neue Welt eintauchen. Sie sah nur noch gleißendes Licht und irgendwo darin ein zwei leuchtend blaue Augen. Sie hatte das Gefühl als wollte sie ihr etwas sagen, doch der Gedanke entglitt ihr, bevor es verstand und sie von einem reisenden Strudel ihrer Gefühle mitgerissen wurde. Ein Streicheln auf ihrer Haut erweckte sie aus ihrem Dämmerschlaf. Sie versuchte ruhig weiter zu atmen und die Berührung somit nicht so intensiv wirken zu lassen. Wie oft hatte er sie an diesem Abend bereits geliebt? Oder war es schon nachts? Sie konnte es nicht sagen. Doch jedes weitere Mal war anders, durchdringender und unglaublicher, als das vorherige Mal. Ihr Körper war inzwischen so empfindlich gegenüber seinen Berührungen geworden, dass eine einzige wohl genügte, um sie wieder Seufzen und Stöhnen zu lassen, wie sie sich selbst noch nie gehört hatte. Nie schien sie genug bekommen zu können. Seine Hand streichelte sanft ihre Schläfe und fuhr hinab zur ihrer Wange, verweilte dort einen Moment, bevor er mit einer seiner Fingerspitzen sacht über ihre Lippen fuhr. Das zarte Fleisch schmerzte sie bereits von den vielen Küssen, die sie geteilt hatten und doch verursachte es ein angenehmes Kribbeln. Ihr Blut begann sofort zu pulsieren und ein Gefühl der freudigen Erwartung breitete sich in ihr aus. Annie drehte den Kopf und sah ihm in die Augen. Er erwiderte ihren Blick und löste ihn auch nicht von ihr, als seine Hand ihren Körper weiter streichelte. Als wollte er beobachten, welche Reaktion seine Berührungen bei ihr verursachten. Er sollte es schon längst wissen. Dracos Finger fuhren über ihren Hals, berührten ihre Schulter und zeichneten die geschwungene Form ihres Schlüsselbeins nach. Als seine Finger den Ansatz ihres Busens erreichten und sanft die weichen Rundungen streichelten, begann ihr Blut, wie ein Meer zu tosen. Höher und höher schlugen die Wellen ihrer Lust und rissen sie mit sich, ohne ihre auch nur die Gelegenheit zu geben, ihnen zu wiederstehen. Annie öffnete mühsam die Augen und versuchte etwas zu erkennen. Doch alles um sie herum war merkwürdig verschwommen. Wie spät war es, fragte sie sich träge. War die Sonnen ebenfalls schon erwacht? Sie spürte seinen Atem an ihrem Gesicht, er war gleichmäßig und warm, beruhigend nach den letzten Tagen der Anstrengung. Aber ihre Kraft reichte nicht einmal, um über die letzten Tag nachzudenken. Ihr Kopf war angenehm leer und die Sorgen schienen weit weg zu sein. Stattdessen kuschelte sie sich noch ein wenig enger an Dracos Körper und schloss die Augen erneut. Der Schlaf umfing sie schon, bevor sie ihre Gedanken beenden konnte. Es war sicher noch ein bisschen Zeit, bevor sie aufbrechen mussten. Wenn sie nicht erwachte, würde Draco sie wecken, dessen war sie sich sicher. Aber vielleicht sollte sie kein... Draco schaute in ihr schlafendes Gesicht und sein Herz schien ihm irgendwo im Hals zu schlagen, viel zu schnell und viel zu laut. Er hatte gesehen, wie sie die Augen kurz geöffnet hatte, wie sie für einen winzigen Augenblick umhergehuscht waren, als würde sie etwas suchen. Und er hatte gesehen, wie sie sie wieder geschlossen hatte und in einen weiteren Traum geglitten war. Seine Hand, die um ihren Körper gelegt war, verkrampfte sich. Bis eben hatte er gehofft, dass sie rechzeitig erwachen würde. Sein Herz hatte höher geschlagen, als er gesehen hatte, wie sie geblinzelt hatte und es war tief gefallen, als sie wieder eingeschlafen war. Jetzt gab es keinen anderen Weg mehr. Der Himmel verfärbte sich bereits zu einen dunklen Lila, das bald von einem Rot abgelöst werden würde. Es wurde Zeit... und doch war er unfähig sich zu bewegen. Draco schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren, auf das was er tun wollte und was er damit eventuell bewahren konnte. Inzwischen wusste er auch, was er tun würde, was er versuchen wollte. Vielleicht konnte er doch... Obwohl er all dies wusste, versucht hatte sich in den letzten Stunden an den Gedanken zu gewöhnen, hatte er noch nicht die Kraft sich zu erheben. Es fühlte sich zu falsch an, um richtig zu sein... aber es war besser für sie… oder? Er hatte gewusst, dass er sich sehr an sie gebunden hatte, aber er hatte nicht erwartet, dass es so mächtig war. Wann hatte er die Kontrolle verloren? Langsam, als würde eine Sekunde einen ganzen Tag dauern, hob Draco seinen Arm und richtete sich auf. Er schaute in ihr schlafendes Gesicht, auf dem ein Lächeln lag. Wenigstens hatte er es ihr ein letztes Mal schenken können. Sie wirkte so friedlich und glücklich, wie er es in den letzten Tagen so sehr vermisst hatte. Draco beugte sich noch einmal zu ihr herunter, küsste sie und nur die Vorstellung ihres lachenden Gesichtes gab ihm die Kraft, sich endgültig und für immer von ihr zu lösen, zu gehen. Ein Klopfen an der Tür weckte sie unsanft aus einem herrlichen Traum. Er hatte von weiten Wiesen gehandelt, einem warmen Sommertag, tausenden von Schmetterlingen, die in der Luft tanzen und von ihr und Draco. Sie wollte diesen Traum weiter festhalten. Wer immer etwas von ihr wollte, sollte später noch einmal kommen. Doch das Klopfen wandelte sich langsam in ein Hämmern, was unaufhörlich in ihrem Kopf dröhnte. Verschlafen schlug sie die Augen auf und versuchte aufzustehen, doch bei der kleinsten Bewegung durchfuhr ein sanfter Schmerz ihren Körper. Der Beweis ihrer gemeinsamen leidenschaftlichen Nacht. Sie schwelgte noch einen Moment in dieser Erinnerung, dann öffnete sie schlagartig die Augen und setzte sich auf. Für einen Moment hatte sie vergessen und dennoch hatte sie gleichzeitig bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Panisch sah sie zur Tür. Das Licht fiel durch das kleine Fenster und durch die Helligkeit des Tages konnte Annie nur vermuten, dass die Sonne schon lange am Himmel stehen musste. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Dort an der Tür, das konnte nur Barrington sein. Sie mussten verschwinden. Sie und Draco hätten schon längst gehen sollen. Warum hatte sie nur länger geschlafen als sonst? Warum hatte Draco sie nicht geweckt? Ihr Herz blieb stehen und auch alles andere stand plötzlich still. Die Stelle neben ihr war leer. Annie drehte den Kopf ungläubig, suchte mit ihren Augen immer wieder die kleine Hütte ab und konnte doch nicht begreifen, dass sie ihn nicht sehen konnte. Er war weg... Warum? Wieso? Wann? Auf keine Einzelne dieser Fragen kannte sie die Antwort. Sie blickte in die Leere, die sich vor ihr erstreckte, unempfänglich für die Geräusche und Geschehen um sie herum. Sie merkte nicht, wie die Tür aufgestoßen wurde und Männer hineintraten. „Da seid ihr ja.“, hörte sie dumpf eine männliche Stimme. „Ich hatte schon befürchtet, ihr habt mein großzügiges Angebot ausgeschlagen.“ Schweigen trat ein und der Mann trat in ihr Blickfeld. Mit ausdruckslosem Gesicht sah Annie ihn an. Was wollte er? „Wie ich sehe, bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen. Ihr seht krank aus. Es wird Zeit das ihr hier wegkommt. Nicht, dass ihr euch noch als Zeitvergeudung herausstellt. Nehmt sie mit.“, befahl Barrington knapp. Nur wage spürte Annie, wie sie von Händen unter den Armen gepackt wurde und auf die Füße gestellt. Er jetzt wurde sie sich des Stoffes auf ihrer Haut bewusst. Wann hatte er... Die zwei Männer liefen mit ihr zum schmalen Ausgang der Hütte. Vielmehr trugen sie sie, als das sie selbst ging. Ihre Beine hätten nachgegeben, wenn sie es nicht getan hätten. Doch dies alles nahm sie nur wie durch einen dicken Schleier wahr. Sie merkte nicht, wohin sie gingen und auch nicht, wie sie nach oben gehoben und auf den Rücken eines Pferdes gesetzt wurde. Ein weiterer Mann saß hinter ihr, der ihr Halt geben sollte. Ihr Verstand hatte noch nicht einmal begriffen, dass sie ohne ihn war. Wie sollte sie da all das andere verstehen? Selbst als die Pferde sich in Bewegung setzten und sie davon ritten, blieben ihre Augen unablässig nach hinten auf die Hütte gerichtet, schweiften immer wieder zum Wald darum herum, auf der Suche nach einem Paar leuchtend blauen Augen. Nichts. Weder ein rascheln der Bäume, noch Gesang der Vögel, keine Tiere die im Unterholz scharrten, keine blauen Augen. Die Welt war verstummt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)