"Fülle es." von xhinnon ================================================================================ Kapitel 1: "Fülle es." ---------------------- „Fülle es.“ Mehr sagt er nicht. Nur: „Fülle es.“ Drückte mir dieses Buch in die Hand und ging wieder. Und nun sitz ich hier und füll mich verarscht. „Fülle es.“ Klar, ist ja auch soo einfach. Das Buch, dieses leere weiße Notizbuch, ist verdammt dick. Es hat noch nicht einmal Linien irgendeiner Art. Einfach nur weiß. „Fülle es.“ Langsam greife ich zum Füller. Womit soll ich es denn füllen? Was will er sehen? Will er überhaupt sehen was ich schreibe? Egal. Er sagte ja nur: „Fülle es.“ Dabei wollte ich doch nur einen Rat. Ich wollte doch nur wissen, warum es mir so geht wie es mir geht. Warum ich einerseits so glücklich, so zufrieden bin. Und warum ich andererseits traurig bin wenn auch nur eine Kleinigkeit anders ist als sonst. Meistens sogar beides gleichzeitig, ohne die Kleinigkeit beschreiben zu können. „Fülle es.“ Oh, es ist zum Haareraufen. Was soll ich denn jetzt schreiben? All das, die Fragen, die ich habe? Meine seltsamen Gefühlsschwankungen? „Fülle es.“ Warum eigentlich nicht? Genau das werde ich schreiben. Etwas motivierter umfasse ich den Füller und beginne zu schreiben. „Fülle es.“ Genau das werde ich tun. So wie ich den Füller auf der ersten Seite ansetze, so sprudeln die Worte durch den Füller auf das Blatt. Immer einfacher gelingt es mir zu schreiben. „Fülle es.“, der Spruch verschwindet aus meinen Gedanken. Wichtig sind nur noch ich und meine Gedanken, Gefühle. Warum bin ich glücklich? Es ist ja nix Großartiges passiert. Ich habe kein Geld gewonnen, keinen Sachpreis, gute Noten konnte ich auch noch nicht bekommen, da die Arbeiten noch nicht geschrieben sind. Gut, es ist auch nichts Schlechtes passiert. Keiner ist gestorben, jedenfalls keiner den ich kenne. Ich bin noch gesund, habe eine super Wohnung und viele neue Freunde. Also alles ganz normal. Oder sind es diese Kleinigkeiten, also nicht dieses Großartige, was mit so hilft? Sind es diese neuen Freunde, die mir vor allem helfen? Ich schätze schon. Jedes Mal wenn ich sie sehe, vergesse ich alles Schlechte. Ja, es gibt doch auch was Schlechtes. Immerhin brauche ich eine neue Mitbewohnerin. Und das bereits nach knapp einem halben Jahr. Es bereitet mir schon Kopfschmerzen. Aber sobald ich bei ihnen bin, egal ob im Unterricht oder beim Sport. Allein ihr freundliches Lächeln kann für eine gewisse Zeit alle schlechten Gedanken und Sorgen vertreiben. Und mich dadurch wärmen. Egal wie kalt es gerade draußen ist, ihre freundliche und offene Art kann mich noch Tage später wärmen. Einfach durch die Erinnerung daran. Doch warum ist dann manchmal diese nagende Traurigkeit in mir? Sie ist zwar nicht oft da, noch kann sie dieses Glücklichsein völlig auslöschen. Aber sie ist da. Mal überlegen. Wann ist sie da? Nicht im Unterricht, da muss ich mich mit dem Stoff auseinandersetzen. Auch nicht in meiner Freizeit daheim. Beim Aufräumen oder Erledigen meiner Aufgaben für den nächsten Unterricht hatte ich das Gefühl auch nicht. Meistens kam das Gefühl abends, wenn ich im Bett liege und nicht einschlafen kann. Oder wenn ich im Zug sitze und ganz viel Zeit habe nur nachzudenken. Dann ist mir so seltsam zu Mute. Ich weiß nur nicht warum… Denn wenn ich Zeit habe nachzudenken, dann denke ich doch meist an die Stunden, wo ich meine Freunde beim Sport treffe. Und es sind die schönsten Stunden der Woche. Selbst wenn ich es wieder verbocke, nur schlechte Leistung abliefere. Keiner verurteilt mich, keiner wendet sich ab. Vielmehr bauen sie mich durch ihre scherzhaften Sprüche und gleich bleibende Freundlichkeit auf. Doch warum dann das nagende Gefühl? Vor allem nach der letzten Stunde. Meine Leistung ist besser geworden, alle waren irgendwie noch lockerer drauf und es wurde sehr viel gelacht und gescherzt. Was war anders als sonst? Na ja, es ist schon normal das Einige mal da sind und mal nicht. Das stört auch nicht, ist ja wie immer. Huch, er war ja gar nicht da! Er mit seinen Worten „Fülle es.“ Stimmt, es fehlte etwas. Nicht nur er selber, sondern damit auch seine Stimme, seine Sprüche und irgendwie auch seine Blicke. Vor allem seine Blicke! Er schaut mich immer ganz anders an als die Anderen. Nicht weniger freundlich, nur anders. Und er wirkt so niedlich nervös in meiner Nähe. Einerseits so unsicher, andererseits so offen und ehrlich und lieb. Er war nicht da. Soll das der Grund sein warum ich so fühle? Kommt dieses nagende Gefühl daher? Heißt das, ich habe ihn vermisst? Kann schon sein. Aber warum habe ich dieses Gefühl dann auch, wenn er beim Sport war? Vermisse ich ihn etwa immer, reicht mir die kurze Zeit mit ihm nicht? Tja, anscheinend schon. Ich vermisse seine Blicke, seine Sprüche, seine Stimme. Seine vorsichtigen Annäherungen, ihn einfach in der Nähe zu haben. „Fülle es.“ Das hatte er gesagt. Mir das Buch zum Schreiben gegeben und mich dann allein gelassen mit meinen Gedanken und Gefühlen. „Fülle es.“ So lautete die Anweisung, und gefüllt habe ich es. Habe alles niedergeschrieben und weiß jetzt, was mit mir los ist. Jetzt verstehe ich. Aber ob er es auch versteht, wenn er es liest? Ob er dann weiß, dass ich ihn auch sehr gerne habe? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)