Die Rückkehr von Tikaya (Wenn Menschen zu Pokémon werden) ================================================================================ Kapitel 5: ein festes Ziel? --------------------------- Missmutig starrte Natascha auf den leeren Platz, auf dem bis vor fünf Minuten noch ein Webarak gesessen hatte. Spidra hatte sie einmal so richtig durch die Mangel genommen und jede Information aus ihr rausgequetscht, was das Flemmli nur äußerst ungern zugab. Die Spinne hatte da so ihre Erfahrungen, wie man bestimmte Dinge aus anderen ... Lebewesen herausholte und jede Taktik davon angewandt, bis das verwandelte Feuerpokémon zu leichtsinnig wurde und ausplauderte, dass sie eigentlich ein Mensch war. Und das passierte ihr! Sie fiel doch sonst nicht auf irgendwelche Psychotricks rein, geschweige denn auf Andeutungen von Wildfremden! Aber, und dieser Gedanke tröstete sie ein wenig, in ihrer Situation hätte sich wohl jeder verplappert. Nichtsdestotrotz gefiel ihr ganz und gar nicht, dass ein Pokémon herausgefunden hatte, was tatsächlich in ihr steckte. Sie seufzte laut auf und blickte einmal mehr zum Tunneleingang. Vor inzwischen zehn Minuten, kurz nachdem das Webarak erfahren hatte, wer sie war, hatte sich Spidra mit den Worten: "Ich wusste, das irgendetwas anders an dir ist. Bleib schön hier!" verabschiedet und sie hier sitzen lassen. Vielleicht hätte sie verschwinden sollen, solange ihr das möglich war, doch sie hätte eh nicht gewusst, wohin. Stattdessen blieb sie sitzen und wartete. "Mutter, ich würde keiner von denen vertrauen." sagte eine tiefe Frauenstimme, keine zwei Sekunden später. "Wer sagt, dass sie wirklich einer ist?" "Mein Gefühl." antwortete ein nur zu bekanntes Webarak bissig. "Und mein Gefühl hat mich nie getrogen. Du wirst gleich sehen. Natascha?" Spidras ungewollt derber Ruf ließ das Flemmli zusammen zucken. Sie fasste sich allerdings im selben Moment und blickte auf. Im Tunnel stand die grüne Spinne und erklärte kurzangebunden: "Dies ist meine älteste Tochter Shandra. Shandra? Das ist der Mensch in Flemmligestalt Natascha." Mit gehobener Braue sah das Feuerpokémon zwischen Spidra und ihrer vermeintlichen Tochter hin und her. Besonders ähnlich waren sie sich nicht gerade, aber wer wusste schon, wie die Gene bei Pokémon tickten. Shandra war eine große, schlanke Spinne mit Beinen so dich wie Unterarme und einem rosa Körper der locker drei kleine Kinder zur selben Zeit verdauen konnte. Eine durch und durch unangenehme Erscheinung also. Erstaunlich war nur, dass ihre Frau Mama dagegen winzig wirkte. "Hm, und das soll ein Mensch sein?" sagte Shandra spitz. "Naja, das beweist noch lange nicht, dass sie nicht doch von ihnen geschickt wurde." "Alsob ich darauf angewiesen bin, dass du mir glaubst." konterte das Kücken aufgebracht. Diese Riesenspinne führte sich auf...! "Na, na. Immer schön diplomatisch bleiben." ging Spidra dazwischen. Dann wandte sie sich an ihren Gast. "Hör gut zu, hier können wir dir nicht helfen, aber ich weiß, wo du möglicherweise Hilfe findest. Vielleicht kann dir diese Person auch sagen, was mit dir passiert ist." Für den Anfang klang das schon mal gut und deshalb fragte sie in versöhnlicheren Ton: "Und wo kann ich diese Person treffen?" Und Shandra antwortete bedeutungsschwer: "Siban. Die letzte Stadt vor der Wüste." Misaki fühlte sich schwach. Und allein. So unsagbar schwer. Und müde. Aber da war diese Stimme, die sie einfach nicht mehr in Ruhe lassen wollte. Unwillig brummte sie, was die Stimme allerdings zum Anlass nahm um sie zu schütteln: "Wach auf!" Wer sprach da? Jemand, den sie nicht kannte............... Erschrocken öffnete sie die Augen und brachte vorerst drei Meter Abstand zwischen sich und ihren Wecker. Dann atmete sie tief durch und versuchte sich zu erinnern... Was war passiert? ... Sie war von der Klippe gestürzt! Hieß das, sie war tot? Der eisig kalte Wind verwarf diese Feststellung. "Hallo?" machte sich jene Stimme bemerkbar. Zum ersten Mal musterte sie das Wesen vor ihr ganz. Es war rot und echsenartig. Und sah gefährlich aus. "Kannst du mich überhaupt verstehen?" fragte der Drache weiter. Misstrauisch legte Misaki den Kopf schief: "Wer bist du? Was willst du von mir?" "An deiner Stelle würde ich mich nicht bewegen. Du bist verletzt." sagte ihr Gegenüber mit einer Mischung aus Interesse, Gleichgültigkeit und Erleichterung. Bei diesem Worten musste das Mew feststellen, dass sie doch nicht so glimpflich davongekommen war, wie sie gedacht hatte. Um ihren Körper schlang sich etwas, das ganz verdächtig nach einem Blatt aussah, unter dem es rötlich schimmerte. Schmerz flutete ihre Gedanken und ließ sie aufkeuchen. Nun überwog die Besorgnis im Gesicht der Fremden: "Alles in Ordnung, Mew?" Mew, da war es schon wieder. Dieses Wort, was sie mit ihrem neuen Körper verband. Der Name, der sie in diese Situation gebracht hatte. Ihr Gegenüber trat näher: "Setzt dich dadrüben in den Windschatten. Das wird helfen." In der gesamten Zeit, die sie jetzt schon in diesem verfluchten Wald feststeckte, war dies die erste freundliche Geste, die ihr zu Gute kam. Immer noch auf Abstand kam sie der Aufforderung nach. Das war es also. Sie musste sich das unbedingt merken. So reagierte ein Mew auf eine neue Umgebung. Wo hatte sie nur wieder ihren Block hingelegt? Mirla seufzte. Ja... Sie war ein Glumanda. Und sie war nicht zu Hause um ihre Forschungen aufzuschreiben. Außerdem befand sich das heilige Pokémon sowieso im Schockzustand. Sie würde ihm noch keine Fragen stellen können. Zumindest nicht zu diesem Thema. Stattdessen meinte sie vorsichtig, um das Wesen nicht zu erschrecken: "Mein Name ist Mirla. Ich habe schon viel über dich gehört. Und bin sehr daran interessiert...." Sie unterbrach sich. Nein, jetzt bloß nicht zu aufdringlich werden, sonst flog die Telepathin noch davon... "Aha, meiner Misaki." antwortete das Mew. Irritiert schaute sie das Psychopokémon an: "Wie? Gibt es etwa mehrere Mew und ihr gebt euch Namen, damit ihr euch unterscheiden könnt?" Hm... Genau, diese Vorstellung klang seltsam, aber wenn sie stimmte, dann hatte Nintendo wirklich keine Ahnung von seinen Spielen. Da kam sie auch gleich wieder auf den Zusammenhang zurück. Wie zum Teufel konnte sie in einer Welt landen, die haargenauso in einem Gameboy-Spiel beschrieben wurde? Ehe sie sich umblicken, und sich somit den Unterschied zu den Spielen noch einmal vor Augen halten konnte, fuhr ihre Gesprächspartnerin auf: "Mew, Mew! Jeder in dieser gottverdammten Einöde spricht mich so an! Was ist das für ein Ding? Ich bin immer noch ein Mensch... gewesen." fügte sie leiser hinzu. Alarmiert richtete sich Mirla auf: "Ein Mensch, sagst du?" Das verwarf ihre Theorien selbstverständlich wieder. Natürlich, wer sagte denn, dass sie die einzige war, die als Pokémon aufwachte? Vielleicht gab es sogar noch weitere Menschen in unterschiedlicher Ausführung? Daraus konnte sich nur eine Sache schließen... Sie waren aus einem bestimmten Grund hier. In was für einer Chaotengruppe war sie da nur hineingeraten? Kira blickte sich um. Das Knacklion mit Namen Nasari probierte angestrengt ein gewisses Sniebel aus der Reserve zu locken, das allerdings ihre Beleidigungen gekonnt ignorierte. Das verletzte Evoli, welches sie entdeckt hatte, versuchte gerade erfolglos ihre zornige Schwester zu beruhigen, die mit wutentbrannten Augen mittelalterliche Schimpfwörter gegen das ziemlich unglücklich aussehende Taubsi Ryan richtete. Mittendrin huschte das immer fröhliche Hydropi Vanessa von einer Gruppe zur anderen und stiftete Frieden. Neben dem Geschehen stand einsam ein kleines Schiggy, was nicht den Mut aufbrachte, sich an den Streitereien der anderen zu beteiligen. Und das alles waren wirklich Menschen? Zumindest einige hatten sich schon sehr gut an ihre jetzige Gestalt gewöhnt. Wie lange plante die Gruppe in diesem Wald eine Pause zu machen? Sollten sie nicht weiterziehen? Irgendwohin, wo man Sherley versorgen konnte? Schließlich würde sie auch das Mädchen tragen können. Erschöpft stellte sich Vanessa neben sie: "Wenn das so weitergeht, stecken wir hier noch ne Ewigkeit fest und solange Nasari nicht in Aufbruchsstimmung ist, kommen wir auch nicht voran." "Weshalb denn nicht?" fragte Kira stirnrunzelnd. Warum musste eine 8-Personen-Gruppe wegen einer einzigen warten? "Weil sie Ahnung vom Spurenlesen hat und uns Richtung Ausgang führt. Hoffe ich jedenfalls..." Hörte sich nicht gerade überzeugt an. "Ok, dann schlage ich vor, du übernimmst das Dreiergespann da drüben und ich versuche, unsere Spurenleserin zu überzeugen." Gesagt getan. Nach allem, was sie über das Knacklion gehört hatte, musste es sich um eine äußerst streitlustige Person handeln, die mit dem Schimpfwortschatz der Anwesenden unzufrieden war. Und genau darauf musste sie aufbauen. "Traust dich wohl nicht zu antworten, häh? Natürlich, was hätte man von einem wie dir erwarten können. Erledigst deine Gegner ja nur um sie auszurauben! Pah, da schei-" rief das Knacklion in diesem Moment. Tobias größeres Ohr zuckte bedenklich. Kira sah sich genötigt, hier ganz schnell einzugreifen. "Siehst du denn nicht, dass er dich ignoriert? Vielleicht solltest du dich an jemand anderem versuchen?" meinte sie kühl. "An dir?" wollte Nasari angriffslustig wissen. Das Sniebel stapfte in der Zwischenzeit genervt davon. "Ich glaube nicht, dass ich anders bin." gab das verwandelte Fiffyen darauf. "Aha." Ihre Gesprächspartnerin wandte sich ab, wohl auf der Suche nach jemandem, der ihre Ansprüche erfüllte. Das Wolfspokémon wartete einen Augenblick, dann warf es ein: "Hör mal. Ist es nicht logischer, dass du an einem Ort, wo viele Leute leben, eher einen triffst, der mit dir reden will?" "Hmpf." sagte Nasari unwillig, schien aber doch darüber nachzudenken. "Es ist nicht dunkel genug." meinte sie schließlich. "Deshalb muss ich mich ablenken. Aber du hast Recht, ich gehe weiter." Das waren ihre letzten Worte. Und sie setzte sie sofort in die Tat um. Während sie den Boden nach einer Spur untersuchte, wandte sich Kira erfreut, wieder etwas geschafft zu haben, den anderen Problemen zu. Vanessa tippelte zu ihrem Dreiergespann und hoffte, endlich etwas ausrichten zu können. Es war schließlich beinah unheimlich, was für eine beängstigende Wende das Verhalten des erst so friedfertigen Wollknäuels genommen hatte. Deshalb musste das Schaf endlich in seine frühere Form zurückfinden! Bisher wollte die aufgebrachte Jailey aber noch nicht mal auf ihre Schwester hören, also glaubte sie kaum, dass sich das Voltilamm von einer Außenstehenden wie ihr überreden lassen würde. Was allerdings auch nicht nötig war, wie sie kurz darauf bemerkte. Anscheinend hatte das Evoli eine Technik entwickelt, um ihren Zwilling zu beruhigen. "Der arme Ryan kann doch nichts dafür. Er hat sich wirklich Mühe gegeben um mich zu retten. Es ist doch nicht seine Schuld, dass ich mich für ihn opfern wollte." sagte sie übertrieben mütterlich. Jailey nahm das jedoch nicht sonderlich gut auf und wollte einen erklärenden Kommentar dazu abgeben, aber Sherley heuchelte weiter: "Und schau doch nur. Du regst mich zu sehr auf und mir geht es im Moment doch sooo schlecht..." Augenblicklich war ihre Schwester ruhig. Ryan seufzte erleichtert, womit er sich sogleich einen warnenden Blick seitens Evoli einfing, die nur zweifelhaften Frieden stiften konnte. Vanessa sah ein, dass ihre Hilfe hier überflüssig war und blickte nocheinmal in die Runde. Und da fiel ihr wieder auf, dass es ja eine Person gab, die überhaupt nicht beachtet wurde und auch nicht so aussah, als wollte sie beachtet werden. "Franziska!" Mit diesem Ausruf gesellte sie sich zu dem zusammenzuckenden Schiggy. "Was machst du denn hier so alleine? Komm doch mit zu den anderen!" "Aber..." nuschelte das Panzerpokémon leise. "Nichts aber." Damit schob sie die schüchterne Franziska hinüber zur wartenden Kira. Ah, also hatte Nasari sich wieder an ihre Aufgabe gemacht. Schon bald würden sie wieder weiter gehen und endlich jemanden finden, der der armen Sherley helfen konnte. Es war einfach unerhört, welch jämmerliche Figur dieser Ryan bot. Keiner ihrer Anschuldigungen hatte er etwas entgegen zu setzten. Aber das würde Jailey jetzt nicht mehr in Worte fassen. Dazu war Sherley zu angeschlagen und vielleicht verkraftete ihre Schwester diese Situation dann gar nicht. Stattdessen begnügte sie sich mit einem letzten, bösen Blick und besah sich danach die gegebene Situation. Nachdem sie ihrem Zwilling ein ...ungiftig.... aussehendes Blatt um die Wunde geschlungen und, nach Kiras Rat, mit einer Liane befestigt hatte, hatten sie eine lange Pause eingelegt um die Situation zu überdenken. Aber damit war jetzt Schluss. Es stand von vornherein fest, dass sie zunächst nach menschlicher Zivilisation suchen würden. Wenn dieser Punkt nicht erreicht wurde, würden sie zum Plan B übergehen, der besagte, dass sie ein Pokémon fragen und/oder gefangen nehmen würden um Antworten zu erhalten. Sollte aber aus diversen Gründen eine Kommunikation mit diesen fremdartigen Wesen nicht zu Stande kommen, hatte das verwandelte Voltilamm keine weiteren Vorstellungen mehr. Dann würden sie wohl nie mehr diese seltsame Welt verlassen können. Aber noch, und damit beruhigte sie sich wieder, war keine der möglichen Zukünften eingetreten und so standen ihnen noch alle Möglichkeiten offen. Sie würden dieses Problem Schritt für Schritt lösen. Und Nasari begann, in dem sie eine neue Spur entdeckte. Natürlich sagte sie niemandem Bescheid und ging ohne ein Wort des Abschieds den Fußspuren nach, doch blieb das nicht lange unbemerkt. Bissige Selbstgespräche führend, in denen immer wieder die Worte: >Weiber<, >nervige Gören< und >sinnlos verschwendete Zeit