100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 16: #16 [Spit] ---------------------- See you on the other side Irgendetwas hatte er geträumt, nichts Wildes, aber dennoch ein klein wenig beunruhigend, weshalb er noch ein paar Herzschläge lang dalag, die Wohnzimmerdecke über sich fixierte und die vage Beklemmung abzuschütteln versuchte. Es war mitten in der Nacht und er war müde, gleich nachdem er sich von dem ersten Schreck des Aufwachens erholt hatte. Faszinierend, es war wie ein Fallen gewesen, oder besser ein Landen, während er von einer Schlafphase in das Wachsein geglitten war, als wäre er mit dem ganzen Körper in das Polster gedrückt worden. Nicht viel, ein paar Millimeter. War trotzdem ein sehr seltsames Gefühl. Ihm war heiß, noch etwas schwummrig und er schob ein Knie unter der Decke hervor, stieß damit gegen die Sofalehne. Er lag immer noch ganz rechts, obwohl er jetzt die ganze Breite des Klappsofas zur Verfügung hatte, aber ändere mal deine Gewohnheiten. Dieses seltsame Gefühl begleitete ihn noch eine Minute, bis ihm die Augen vor Müdigkeit wieder zufielen, begleitet von einem sanften Rauschen ferner Regentropfen auf Dach, Pflanzen und Erde, aber dann wurde sein Mund trocken und das Schlucken dafür schwer, er hustete wieder. Verdammte Grippe, jetzt fing DAS wieder an. Na, half nichts, erstmal was trinken, sonst konnte er weiterschlafen vergessen. Weit kam er allerdings nicht gerade, er hatte sich gerade in die Höhe gestemmt, da hörte er ein komisches.. Scharren? Hacken. Schaben und Stechen, unregelmäßig und von draußen kommend, hob sich sehr deutlich vom Regen ab, war aber nicht übermäßig laut. Was zur Hölle..? Ein Waldschrat? Einbrecher? ..Monster? Er war ja nicht so der Held, aber auf halbem Weg zur Treppe, um die restlichen Schlafenden zu wecken (die Leute mit den Knarren sollten sich das ansehen, er war nicht der allerfeigste Mensch der Welt, aber doch klug genug, nicht unnötige Risiken einzugehen), konnte er diese beängstigende Geräuschkulisse dann doch noch grob einordnen und dann war die Neugier größer. Leise schlich er von der Treppe wieder zurück durchs Wohnzimmer und sah dort durch die Balkontür nach draußen. Er musste sich garnicht anstrengen, trotz Regen waren genug Löcher in der Wolkendecke, um den Mond nicht ganz zu verdecken. Was.. soll das denn bitte..? Ungläubig starrte er durch das regenbesprenkelte Glas, die Silhouette kannte er mittlerweile schon zu gut, um sie nicht sofort erkennen zu können. Der Kerl hat doch nicht alle Tassen im Schrank! "..sag mal, was machst du hier?", fragte er in moderater Lautstärke, die niemanden wecken würde, aber Pascal hoffentlich auch erreichte. Dieser hatte innegehalten, als er nähergekommen war, stützte einen Arm auf den Spaten und schien ganz froh über eine kleine Pause zu sein. Das Hemd klebte an ihm wie eine Vakuumverpackung, die Haare an den Schädel geschmiert und die Hose.. konnte er wohl vergessen. Es war kühl, er fühlte den nieselnden Regen auf der Haut, die nackten Zehen im nassen, schlammigen Gras, aufgeweicht und bei jedem Schritt leise Schmatzgeräusche von sich gebend. Es war tatsächlich gruselig, so im ersten Moment, Pascal mit einem Spaten im Garten herumstochernd, mitten in regnerischer Nacht. Was soll man denn davon halten? Aber er wirkte nicht durchgedreht, im Gegenteil sogar ziemlich entspannt und sah ihn nicht an. "Tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt hab. Ich grab' ein Loch", war die sehr informative Antwort, aber das war ja zu erwarten. Pascal schien den kühlen Regen zu genießen, hatte schon ein ordentliches Loch ausgehoben und die Erde neben sich aufgehäuft. "Das seh ich. Ich versuch' grade zu verstehen, wieso du nachts und bei dem Wetter hier draußen herumbuddelst, obwohl du schlafen solltest, wir müssen morgen früh raus. Und soviel haben wir doch garnicht getrunken..?" "Das wird mein Grab." Obwohl ihm bis vor ein paar Minuten noch schrecklich warm gewesen war, flutete jetzt eine Eiseskälte an ihm vorbei. Bamm. Na wunderbar. Emopascal ist wieder da und macht gleich einen auf großes Kino. Oder wollte ihn nur verarschen, weil er den Wald vor lauter Bäumen wieder nicht sah? Er suchte prüfend seinen Blick in dem Dreivierteldunkel, aber da war kein Grinsen, da war kein leerer Blick, da war einfach.. er konnte ihn nicht nachvollziehen, diesen Gesichtsausdruck; so trocken die Stimme, bar jeder Intention. Keine Spur von Melancholie, Deprimiertheit oder gar Spott. Er sagte das so zweckmäßig, als würde er über ein Blumenbeet sprechen, das er grade umgrub. "Lass den Scheiß", krächzte Franquin dann irgendwann, etwas hilflos amüsiert, weil es ja eigentlich nur ein schlechter Scherz sein konnte. Was denn sonst? So schlimm war die ganze Geschichte doch schließlich garnicht und überhaupt! Pascal hatte .. uhm.. "Ist mein Ernst. Wenn die Sache morgen in die Hose geht, soll Maria mich hier schnell einbuddeln. Einfach die Erde drauf. Gut, durch den Regen wird das wohl ein bisschen schwer werden", meinte Pascal nachdenklich und sah auf den Dreckhaufen, der bei anhaltendem Regen zu einem einzigen harten Klumpen zusammenbacken würde. "Vielleicht kann sie sich ja Hilfe dafür holen." "Pascal, du machst mir echt Angst..", gestand er und kam einen Schritt näher, oder auch zwei, hatte ein sehr dringendes Bedürfnis, aber der Totengräber blockte früh ab. "Weißt du, in unseren Kreisen gibt es so eine Unart", fing er an und schippte die lose Erde im Loch zur Seite. "Wenn du als Mitglied der Familie Schande über selbige gebracht hast, stehen nach der Beerdigung alle Mafiosi vor deinem Grab und spucken drauf. Das ist dann ein Ausdruck von absoluter Abscheu, die höchste Respektlosigkeit gegenüber des Toten und seiner ganzen Familie, auch noch über sein Ableben hinaus. Die ultimative Entehrung, wenn man so will." Er stach den Spaten tief in die Erde, gestemmt durch ein Bein - aber das Stück Erde brach vor ihm weg und er verlor fast die Balance, als der Spaten kippte. Witzig fand Franquin das nicht. Aber dafür absurd. Und verständlicherweise zog ihn das Ganze ziemlich runter, je länger er auf dieses "Grab" glotzte, wie kann der nur- "Auf mein Grab wird keiner spucken. Und außer ihr soll auch keiner wissen, wo ich liege." Energisch hackte Pascal weiter, während er selbst daneben stand, noch immer sprachlos und ein wirklich grauenhaftes Gefühl im ganzen Körper, das Pascal genauso energisch widersprechen wollte und auf der anderen Seite aber wie gelähmt von dieser Vorstellung war, die ihn dazu heimsuchte. Er sah ihm eine Weile beim Hacken zu, unterdrückte den Hustenreiz mehr schlecht als recht und fand noch immer keine passenden Worte, die seinen Freund davor abhalten würden, so pragmatisch über seinen eigenen Tod zu denken. Und die ihn selbst auch etwas beruhigen könnten. "Geh wieder rein, du bist noch erkältet", fühlte er sich angesprochen und könnte heulen vor lachen. Hörst du dir eigentlich selbst zu?! Ich hab doch selbst Schiss genug für zwei und jetzt kommst du da an, schaufelst dir buchstäblich noch dein eigenes Grab, obwohl du mir im Gegenteil Mut machen solltest! Und sorgst dich dann noch um meine Gesundheit; Scheiße, Mann! Wenn wir morgen draufgehen ist das doch sowieso egal.. "Dir ist hoffentlich klar, dass das nicht sehr ermutigend für mich ist", presste er mühsam heraus, seine Kehle war eng und seine Augen brannten. Aber im Notfall könnte er das auf den Regen schieben, der jetzt auch ihn langsam aber sicher durchnässte. Pascal schien einen Moment zu überlegen und starrte zu ihm hinüber. Schonmal dran gedacht, dass mich das genauso betreffen könnte, wie dich? "Keine Angst, ich werd schon verhindern, dass du draufgehst." Oh toll. Das beruhigt mich jetzt natürlich sehr! Schonmal dran gedacht, dass ich generell ein Problem damit haben könnte, wenn irgendjemand zu Schaden kommt?! "Ah, verstehe. Dein toter Körper ist also in der Lage, einen lebendigen Menschen zu beschützen. Muss wohl ne italienische Eigenart von Leichen sein, ich kenn das nämlich nur aus kitschigen Mysteryfilmen!" "Mann, Frankie! Von dir will doch sowieso keiner was! Die können überhaupt nichts mit dir anfangen! Und die töten in der Regel keine Leute, die ihnen egal sind. Aber wenn du solche Angst hast, dann bleib eben hier." "Oh vielen Dank! Jetzt weiß ich wenigstens, wie unglaublich überflüssig ich bin!" "Ich wäre GLÜCKLICH, wenn ich überflüssig wäre, verdammt! Dann müsste ich diese ganze Scheiße hier garnicht machen! Sei du lieber froh, dass du keine Familie hast, die dich unter solchen Druck setzt, die etwas von dir erwarten, das du nicht kannst! Die so wahnsinnig hohe Ansprüche an dich stellt, nur damit du nicht ausgestoßen und geächtet wirst! Dir deines Lebens nie sicher bist, egal, wofür du dich entscheidest! Ich würde es wirklich genießen, wenn ich allen scheißegal wäre!" "Aber das bist du nicht." "Nein, das bin ich nicht! Leider!" "Dann geh wieder ins Bett. Wenn du morgen total übermüdet bist, hilfst du keinem von uns. Wir müssen doch nen guten Eindruck hinterlassen." Pascal sagte darauf nichts, aber wahrscheinlich war er nur wütend, rammte den Spaten noch ein paar Male kraftvoll in die nasse Erde, dass der Schlamm gegen seine Hosenbeine spritzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)