Ende des Spiels von Skeru_Seven ================================================================================ Schach Matt ----------- Für viele Leute bedeutete Freitagabend entweder stundenlang vor elektronischen Geräten mit Bildschirm zu hocken oder sich schön zu besaufen. Für mich kam beides nicht in Frage, ich bevorzugte eher einen netten Abend im Schachklub. Die Mehrheit meiner Freunde konnte das nicht nachvollziehen und machte sich deshalb regelmäßig lustig über mich – ihrer Meinung nach spielten nur scheintote alte Männer Schach –, doch davon ließ ich mich nicht bremsen. Nur weil sie ungern in ihrer Freizeit ihr Hirn anschalteten, musste das nicht auch auf mich zutreffen. Gegen halb sechs stand ich vor dem Gebäude, in dem sich unser Verein befand, und überlegte mir, dass ich seit mindestens sieben Jahren hier regelmäßig ein- und ausging. In manchen Monaten weniger als in anderen oder auch mal mit weniger Motivation, aber es machte mir trotzdem immer wieder Spaß. So in Gedanken vertieft wurde ich beinahe von einer Horde Achtjähriger umgerannt, die unter lautem Geschrei aus der Tür stürmten; wahrscheinlich war ihnen auf Dauer langweilig geworden. Jüngere Kinder hielten es noch nicht so lange Zeit an einem Schachbrett aus, das musste man akzeptieren. Bei mir wäre es früher sicher nicht anders gewesen, wenn ich ein paar Jahre vorher mit diesem Spiel begonnen hätte. „Pirmin, endlich kommst du mal.“ Ich musste mir ein genervtes Seufzen verkneifen, denn vor mir erschien mein persönlicher Schatten und Stalker zugleich, Antonio. Wenn ich kam, klebte er so lange an mir, bis Paula ihn höflich darauf hinwies, dass ich nicht sein Privateigentum war und auch mal ohne ihn irgendwohin gehen durfte. „Antonio, er kann kommen und gehen, wann er Lust hat.“ Unvermutet tauchte auch gleich Paula hinter ihm auf und warf mir einen mitleidigen Blick zu. Jede Woche bekam sie meine Belagerung live mit, tat allerdings nichts außer wachend daneben zu stehen. Ehrlich gesagt schaffte man mehr auch nicht. „Ich weiß es, Mann“, versuchte Antonio sie zu verscheuchen, zog mich durch den Flur, wo ich meine Jacke an einen Haken hängte, und weiter in einen der drei Räume, in dem schon zehn Bretter auf Benutzung warteten. Nun fing wieder das Unausweichliche an: Die Klette Antonio wollte gegen mich spielen. Das ging seit mindestens einem Jahr so und langsam nervte es ziemlich, weil er es nicht bei ein- oder zweimal beließ, sondern bis zu zehn Partien forderte; an einem Abend ein wenig übertrieben, vor allem wenn man eigentlich noch etwas mit anderen Menschen unternehmen wollte. Ich konnte mich nicht erinnern, mit sechszehn dermaßen anhänglich gewesen zu sein, aber das war auch schon fast drei Jahre her, wahrscheinlich der Verdrängung zum Opfer gefallen. „Huhu, Pirmin, lebst du noch?“ Während ich noch abwesend im Türrahmen lehnte, saß Antonio längst an einem Brett und klopfte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. Insgesamt wirkte er heute relativ aufgekratzt, sonst hing er eher faul in der Gegend herum und wartete drinnen auf mich statt mich schon vor der Haustür anzufallen. Den Jungen fand ich insgesamt merkwürdig. „Nein, soeben verstorben“, knurrte ich leise und platzierte mich an den schwarzen Steinen. Der Kampf konnte beginnen. Es fing völlig harmlos an; solide Figurenentwicklung, ein kleiner Abtausch, Rochade auf beiden Seiten. Die ersten zehn Züge blieben unspektakulär wie meistens bei uns, doch dann geschah endlich etwas. Wie gewöhnlich befand ich mich in der aktiveren Position und griff seine Figuren an, was er geschickt zu verhindern wusste. Ich staunte, ausnahmsweise stellte er nicht nach zwanzig Zügen durch Unachtsamkeit die erste Leichtfigur ein. Darin bestand nämlich sein größtes Problem, aber heute strengte er sich wirklich an, das gefiel mir. Fast kein sinnloses Hin- und Hergerücke mit Bauern oder dem König. Außerdem versuchte er langsam aus der Defensive in die Offensive zu wechseln, was ihm an manchen Stellen fast gelang. Ich musste wirklich sehr aufpassen, um keine Figur zu verlieren oder sie ungünstig hinzustellen. Doch unerwartet zog er seine Figuren aus der Angriffsposition zurück, schien sich zu verrechnen und ließ sich einzügig Matt setzten. Eigentlich schade, denn hätte er an einigen Ecken konsequenter gespielt, wäre ich in deutlichen Bedrängnissen gewesen. „Scheiße...“ Antonios Blick haftete niedergeschlagen an dem eingekesselten König in der Ecke und ohne sich weiter um mich zu kümmern, sprang er auf und verließ hastig den Raum. „Was geht denn jetzt ab?“ Verblüfft starrte ich auf die inzwischen geschlossene Tür und fragte mich, was er mit diesem eher kindischen Abgang bezwecken wollte. Sonst machte es ihm eigentlich nichts aus zu verlieren, er grinste mich dann schief an und verlangte eine neue Runde. Vielleicht war heute etwas bei ihm in der Schule passiert, was ihn zu einer solchen Reaktion getrieben hatte? Nach einer Fünf in Deutsch und einem verlorenen Spiel hatte ich auch einmal meinem Gegner einen Turm an den Kopf geworfen. Frustration äußerte sich nun mal irgendwie. „Pirmin, hat er verloren?“ Überrascht zuckte ich zusammen, als sich Paula von hinten auf meine Stuhllehne stützte. „Nach was sieht es denn aus?“ Sie seufzte und ich wunderte mich nun ernsthaft, was heute los war, die beiden benahmen sich extrem merkwürdig. „Armer Antonio.“ „Kannst du mir mal erklären, was das alles soll? Antonio heult fast, weil er zum hundertsten Mal gegen mich verloren hat und du tust auch so, als würde die Welt untergehen.“ „Okay, ich sag es dir.“ Sie setzte sich auf Antonios Platz und meinte schlicht: „Er ist in dich verliebt.“ „Wie?“ Erstens beantwortet das kein Stück meine Frage und zweitens konnte das nicht sein, die wollten mich sicher reinlegen. „Es ist so, wie ich sage. Leider. Du kannst ihn nicht leiden, stimmts?“ „Naja, sein Verhalten geht mir manchmal ziemlich auf den Geist.“ „Das hat er gemerkt und hat versucht, dass du ihn wenigstens halbwegs akzeptierst, indem er ein einziges Mal gegen dich gewinnt.“ Das klang alles andere als logisch, aber Antonios Gedankengänge hatte ich noch nie verstanden. „Aha, und was hat das mit heute zu tun?“ „Mit der Zeit hat er eingesehen, dass das nichts bringt und entschieden, falls er heute verliert, dich für immer in Ruhe zu lassen.“ Klang für mich gar nicht so schlecht, schließlich wollte ich nichts von Antonio, aber ich konnte mir vorstellen, dass es für ihn schwer sein musste, wenn er tatsächlich auf mich stand. Seltsame Vorstellung, dass ein Junge in mich verliebt war. „Ich rede kurz mit ihm.“ Immerhin ging es hier auch um mich. Paula schien davon nicht allzu begeistert zu sein, doch sie ließ mich gehen. Ich fand mein Zielobjekt allein im Flur hockend und an die Wand starrend. Nun kam der Moment der Wahrheit. „Antonio, bist du wirklich in mich verliebt?“ Ich wusste, es hörte sich nicht sehr einfühlsam ein, aber das war keiner meiner Stärken. Sein Gesicht wurde schlagartig blass. „Und wenn s so wäre?“ „Dann wäre es sehr unpraktisch für dich, weil ich nicht an Jungs interessiert bin.“ „Wusste ich sowieso.“ Betrübt musterte er seine Schuhe. „Woher weißt du es?“ „Von Paula.“ Hoffentlich war er nun nicht wütend auf sie. „Na toll.“ Unvermutet erhob er sich und nahm seine Jacke vom Haken. „Vergiss es einfach, ist besser für uns. Ich werde dich nicht mehr belästigen. “ Mit diesen Worten verließ er den Schachklub und ließ mich überfordert und verwirrt zurück. Zwar wusste ich nun, warum er sich die ganze Zeit so extrem an mich gehängt hatte, aber die Auflösung erfreute mich nicht gerade. Seufzend ging ich zurück zu Paula, die mit mitfühlend meine Hand tätschelte. So hatte ich mir meinen Nachmittag nicht vorgestellt, ganz und gar nicht. Antonio hielt auch tatsächlich sein Versprechen. Er ließ mich in Ruhe. Denn er kam nie wieder hier her. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)