Blutige Lilie von Saedy (Der See des Vergessens) ================================================================================ Prolog: Die Rückkehr der Lilie ------------------------------ Disclaimer: Yu-Gi-Oh! gehört nicht mir und ich verdiene auch kein Geld damit. Schade eigentlich^^. Über Kommentare würde ich mich aber freuen, danke. “Und, willst du nicht endlich aufgeben?”, flüsterte eine Stimme in das Ohr des Mannes, der verkrümmt auf dem Boden lag und vor Schmerzen und Angst kaum noch verstand, was mit ihm geschah. Er wusste nur noch eines, er konnte diese Qualen nicht mehr ertragen, aber er wollte auch noch nicht sterben. Das einzige, was ihn noch ausfüllte, war Todesangst und Schmerz. “Bitte…”, röchelte er, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Dieser blutrünstige Killer vor ihm war absolut kalt und gewissenlos. Er würde nicht aufhören, bis er ihn getötet hatte. “Du willst sterben?”, missverstand der schwarzgekleidete Schrecken in Person ihn wahrscheinlich mit voller Absicht. “Gut, dann nimm das hier”, drückte er ihm eine violette Lilie in die Hand und schloss beinahe zärtlich seine Finger darum. “Sie wird dich in den Tod begleiten - dann bist du nicht so alleine”, sprach der selbsterklärte Todesengel, als würde er ihm damit eine Gnade erweisen. Blut, überall Blut, an den Wänden klebend, vom Tisch tropfend, ans Fenster gespritzt und in bereits teilweise geronnenen Lachen am Boden unter einem Menschen verteilt, der auf unglaubliche Weise zugerichtet war, kaum noch zu erkennen. Das Morgenlicht, welches durchs Fenster fiel, ließ das Blut in hellem Rot leuchten. Und in der Hand des Opfers eine violette Lilie. Das war alles, was Seto Kaiba in diesem Moment sah. Er spürte, wie ihm schlecht wurde und unterdrückte den Impuls einfach wegzurennen. In seiner dreijährigen Ausbildung zum Polizeibeamten hatte er zwar schon einiges erlebt, doch nichts kam an diese Gewalttat heran wie er sie hier vor sich sah, zumal er es bisher nur mit kleineren Verbrechen zu tun gehabt hatte. Erst die Stimme seiner älteren Kollegin, Rika Kawasaki, riss ihn aus seinem Entsetzen. Sie erkundigte sich bei einem der Polizeibeamten, die bereits früh Morgens, vor Beginn der Tagesschicht, an den Tatort gerufen worden waren und mit den Untersuchungen begonnen hatten, was diese bisher herausgefunden hatten. “Tja”, streifte der ältere Polizist seine Handschuhe wieder ab und schien nicht gerade unglücklich darüber, dass er nun abgelöst wurde, “die Haushälterin hat uns heute früh gegen 5:00 Uhr alarmiert. Sie hat ihren Arbeitgeber hier als erstes entdeckt. Die arme Frau steht unter Schock und wurde erstmal ins Krankenhaus gebracht. Bisher fehlt jede Spur, wie der Täter ins Haus gekommen ist. Es gibt keinerlei Einbruchsspuren. Also, entweder hat das Opfer ihn freiwillig hereingelassen oder er hatte einen Schlüssel. Und dieses Massaker hier”, der Polizist schauderte, “Sie sehen es ja selbst, das war kein normales Verbrechen. Da war offenbar jemand ganz schön wütend auf den Mann.” “Jemand? Das muss doch Violette gewesen sein?”, schlussfolgerte Kaiba mit Grausen in den Augen und starrte auf die Lilie in der Hand des Opfers. Obwohl es nun schon gut fünf Jahre her war, dass dieser Auftragskiller das letzte Mal in Erscheinung getreten war, erinnerte er sich noch zu gut an die Schlagzeilen von damals. Alle Nachrichten schienen sich nur noch mit dem blutrünstigen “Monster” zu beschäftigen, das das Land in Angst und Schrecken versetzte und stets eine violette Lilie am Tatort zurückließ, weshalb man ihm auch den Spitznamen Violette gegeben hatte. Niemand hatte je erfahren, wie er hieß oder aussah. Der Polizist von der Nachtschicht schaute ebenfalls zu der Lilie hin und runzelte die Stirn. “Möglich”, antwortete er. “Aber es kann ebenso gut ein Trittbrettfahrer gewesen sein. Immerhin ist Violette schon lange nicht mehr aktiv gewesen.” “Vielleicht hat er sich ja jetzt entschlossen, dass seine Pause lange genug gewährt hat. Oder ihm ist einfach das Geld ausgegangen, so dass er einen neuen Auftrag annehmen musste”, vermutete Kaiba. “Wie der Kollege bereits erwähnte, möglich ist alles”, wandte Kawasaki ein. “Bevor wir uns hier in unnötigen Spekulationen ergehen, sollten wir mit den Ermittlungen beginnen”, ermahnte sie ihren jungen Kollegen und warf auch einen abschätzenden Blick auf Katsuya Jonouchi, der mit grünem Gesicht bisher unbeweglich und entgegen seiner Art, still dagestanden und sich nicht gerührt hatte. Er starrte nur auf das Blut, sonst schien er nichts wahrzunehmen. “Jonouchi! Ist Ihnen nicht gut?”, sprach sie ihn forsch an. Der zuckte zusammen. “Geht schon”, erwiderte er schließlich, während Kaiba sich fragte, wie es sein konnte, dass dieser immer noch so empfindlich reagierte, immerhin tat er schon ein Jahr länger als er selbst bei der Polizei Dienst. Kaiba war zwar auch schlecht von dem Anblick, doch konnte er sich wenigstens soweit zusammenreißen, dass man es ihm nicht anmerkte - dachte er zumindest, bis Kawasaki sagte: “Nun, meine jungen Kollegen, ich weiß, das hier ist hart. Aber da müssen Sie durch. Falls es Ihnen ein Trost ist: Selbst den älteren Kollegen wird bei einem solchen Anblick schlecht. Eher müssten Sie sich Sorgen machen, wenn Sie dabei nichts fühlen würden. Und jetzt an die Arbeit!”, befahl sie. Kapitel 1: Der See der Vergessenheit ------------------------------------ Seufzend ließ Seto Kaiba seine Tasche und seinen Mantel auf das Sofa fallen und sich selbst gleich hinterher. Was für ein Tag! Er fühlte sich wie erschlagen, als er spät abends, nach etlichen Überstunden, wieder nach Hause kam. Außerdem fürchtete er, das Kotzen, welches er heute Morgen unterdrückt hatte, jetzt nachholen zu müssen. Jedenfalls war da ein furchtbarer Kloß in seinem Hals. “Ah, Schatz! Da bist du ja endlich!”, rief eine fröhliche Stimme. Kaiba musste unwillkürlich lächeln, als er sie hörte. Einen Moment später fiel ihm auch schon ein junger Mann um den Hals und ließ sich auf seinem Schoß nieder. “Guten Abend, wie geht es dir, mein Liebling?”, erkundigte er sich nach einem liebevollen Kuss. “Bestens, aber du siehst ja nicht gerade gut aus”, stellte sein Lebensgefährte fest und zupfte an Kaibas Krawatte, um sie schließlich zu lösen. “Oh, danke, dieses Ding hat mir schon regelrecht den Hals abgeschnürt”, seufzte er erleichtert und lehnte sich zurück. “Stimmt, dein armer, geschundener Hals schreit schon nach Zuwendung.” Mit diesen Worten beugte sich sein Freund hinunter und küsste ihn genau dorthin. Kaiba lächelte gequält. Offenbar war sein Geliebter wieder in dieser Stimmung, in der er am liebsten über ihn herfallen und alles Mögliche mit ihm anstellen wollte. Doch leider fühlte er sich dafür viel zu kaputt und ausgelaugt. Außerdem wurde er den Gedanken an das Blut nicht los. Das verdarb ihm gezielt die ganze Stimmung. “Atemu…”, schob er ihn deshalb mit einem entschuldigenden Blick von sich. Jener schaute ihn bedauernd aus seinen großen, violetten Augen an. Er wusste schon, was dieser Blick bedeutete. In den fünf Jahren, seit sie nun zusammen waren, hatte er bereits genug Gelegenheit gehabt, Kaiba genau kennen zu lernen. “Also, was ist los?”, rutschte er vom Schoß seines Freundes und setzte sich neben ihn. “Wir hatten heute einen besonders blutigen Fall zu bearbeiten. Kein schöner Anblick, kann ich dir sagen. Mir ist jetzt noch schlecht. Was für Grausamkeiten sich Menschen nur immer wieder einfallen lassen!” Atemu drückte verstehend seine Hand. “Glaub mir, darüber willst du gar keine Details wissen”, fügte Kaiba hinzu. Nach einem Moment des Schweigens, fragte er: “Du erinnerst dich doch bestimmt noch an diesen Auftragskiller Violette, der bis vor fünf Jahren aktiv war?” Atemu nickte. Er wusste noch, wie sie damals darüber gesprochen hatten, weil das wohl der größte Ausschlag dafür gewesen war, dass Kaiba sich dafür entschieden hatte, Polizist zu werden. “Willst du sagen, er ist jetzt wieder zurück?”, erkundigte er sich besorgt und beugte sich vor. “Nun, es ist noch nicht sicher, es könnte sich auch um einen Nachahmungstäter handeln, aber fest steht jedenfalls, dass er eine violette Lilie am Tatort hinterlassen hat. Und eigentlich”, zögerte Kaiba, “dürfte ich dir das gar nicht erzählen. Doch ich weiß ja, dass du nichts ausplauderst, mein Süßer”, lächelte er und küsste Atemu. “Nein, werde ich nicht”, versprach jener. “Und, wie läuft es im Spieleladen?”, wollte Kaiba wissen. “Bestens. Diese kleinen Biester, ähm, ich meine natürlich, Kinder, sind so hinter den neuen Karten her, als wären sie aus purem Gold.” Das war wieder so eine der Eigenarten Atemus, die Kaiba nicht verstand - sein Freund war Inhaber eines Spieleladens und das, obwohl er Kinder nicht ausstehen konnte. Wahrscheinlich tat er das nur, um dem Erbe seines verstorbenen Großvaters gerecht zu werden. Doch jedes Mal, wenn Kaiba ihn darauf ansprach, behauptete er felsenfest, dass ihm die Arbeit Spaß mache. Doch die meisten seiner Kunden waren eben Kinder und die konnte er definitiv nicht ausstehen, obwohl er das meistens gut zu verbergen wusste. “Das freut mich”, erwiderte Kaiba und schloss müde die Augen. “Oh, mein Engel ist aber müde”, stellte Atemu fest und küsste ihn auf die geschlossenen Augenlider, was Seto zum Lächeln brachte. “Hast du gedacht, du entkommst mir? Hast du das wirklich geglaubt?” Eine Stimme lachte höhnisch auf. “Hast schon geglaubt, ich wäre versunken im See der Vergessenheit. Doch sieh nur!” Er folgte der Aufforderung und erblickte in der Düsternis ein violettes Licht, das von Ferne herüberstrahlte. Darin eine schattenhafte Gestalt, die aus einem dunklen See herauswatete und doch vollkommen trocken schien. Aber wirklich erkennen, konnte man das nicht, denn man sah sie im Dunkeln nicht richtig. Selbst als sie näher kam und das violette Licht ihr ins Gesicht leuchtete, erkannte man sie doch nicht. Er schaute auf die Hand der Gestalt und erblickte eine violette Lilie. Plötzlich war alles voll von diesen Blumen, kein Fleck mehr unberührt und aus den Blüten schossen Ströme von Blut, ergossen sich über Berge von Leichen, die mit einem Mal da waren. Er schrie auf. Seto zuckte aus dem Schlaf hoch und wischte sich müde über die Augen. Was war denn jetzt los? Hatte er gerade einen Schrei vernommen oder das nur geträumt? Plötzlich spürte er einen zitternden Körper, der sich an ihn klammerte. “Atemu, was ist denn?”, flüsterte er und hielt seinen Geliebten schützend fest. Zuerst reagierte der gar nicht und Seto glaubte schon, er wolle nichts sagen. “Ich hatte einen furchtbaren Alptraum”, kam es schließlich in Form eines Hauchens über Atemus Lippen. “Er wirkte so real. Ich habe jetzt noch solche Angst.” “Scht, ist ja gut”, tröstete Seto. “Es ist ja vorbei.” Die beiden lagen eine Weile aneinander gekuschelt im Bett, bis er schließlich fragte: “Und, was hast du denn geträumt?” “Ich möchte nicht darüber sprechen”, nuschelte Atemu in sein Schlafanzughemd. “Aber das wird dir vielleicht helfen, den Schrecken des Traumes abzuschütteln und nicht noch mal so einen Alptraum zu bekommen.” “Hm”, machte sein Freund. Wenn er Seto jetzt erzählte, dass er von Violette geträumt hatte, dann würde der ihm bestimmt nie wieder etwas von seiner Polizeiarbeit erzählen um zu verhindern, dass er sich so darüber erschrak. Das war ja auch ziemlich kindisch von ihm, so auf eine bloße Erzählung zu reagieren. Sein Unterbewusstsein reagierte gerade so, als sei ihm der Auftragskiller persönlich über den Weg gelaufen. “Ach, ich… habe nur meinen… toten Großvater gesehen wie er aus dem Grab gestiegen ist und jede Menge andere Leichen um ihn herum, das ist alles”, behauptete er. “Du sag mal”, stockte Seto plötzlich. “Wie bin ich eigentlich ins Bett gekommen? Ich kann mich daran nicht erinnern.” Atemu neben ihm kicherte verhalten. “Du hast auf der Couch geschlafen wie ein Baby”, amüsierte er sich. “Da hab ich es einfach nicht über mich gebracht, dich zu wecken.” Seto bekam auf diese Aussage hin große Augen. “Willst du damit sagen, du hast mich ins Bett getragen?”, wunderte er sich. “Ach komm schon, so schwer bist du gar nicht”, piekte Atemu spielerisch einen Finger in Setos Bauch. “Hey, dann kann mein kleiner Superman mich ja demnächst immer ins Bett tragen”, spöttelte Seto. “Schönheit ist eben nicht alles”, konterte Atemu geschickt. “Das hat man ja heute gesehen”, ärgerte er seinen Freund ein bisschen. “Und du hast mich wirklich ins Bett getragen?” Der junge Polizist wurde rot um die Nasenspitze, was sein Lebensgefährte zum Glück nicht sehen konnte. Er wunderte sich doch immer wieder, was dieser kleine, zierlich wirkende Mann für eine Kraft hatte. Kapitel 2: Einsatzbesprechung ----------------------------- @Selena Danke für deinen Kommentar. Ja, mein Problem mit den Titeln neuerdings^^. Stimmt, "Der See des Vergessens" hätte besser gepasst. Am nächsten Morgen war Kaiba der letzte, der gähnend das Polizeirevier betrat. Erst war er so spät ins Bett gegangen, beziehungsweise gegangen worden, korrigierte er sich immer noch peinlich berührt, und nach Atemus Alptraum war er auch so schnell nicht wieder eingeschlafen. Sein Freund war komischerweise schon quicklebendig gewesen und hatte ihn mit Kaffee und Brot versorgt, während er sich unter Gähnen wieder mal gewundert hatte, dass Atemu offenbar wieder zum Frühaufsteher mutiert war. Inzwischen glaubte Seto, da einen Zusammenhang zu den Jahreszeiten zu sehen - im Winter schien sein Lebensgefährte in eine Art Langschlaf zu verfallen und im Frühling erwachte er mit der Sonne schon früh am Morgen. “Guten Morgen, Kawasaki”, begrüßte er seine Kollegin, mit der er sich schon relativ gut angefreundet hatte, was aber mehr von ihr ausgegangen war, da Kaiba nicht gerade ein offenherziger Typ war. Während der drei Jahre seiner Ausbildung hatte sie ihm viel beigebracht und er sie schätzen gelernt. Sie war 39 Jahre alt und mittlerweile 10 Jahre bei der Polizei. Davor hatte sie bei einer Sicherheitsfirma gearbeitet und sich nebenher weitergebildet. “Na, ob das ein guter Morgen ist, wage ich zu bezweifeln”, stellte sie keineswegs schlechtgelaunt fest. Im Gegenteil, die Tage, die so anfingen, schienen ihr richtig Spaß zu bereiten und das war wohl auch der Grund, warum sie in ihrem Beruf richtig aufging. “Morgen, Alter”, grüßte auch Jonouchi, der gerade um die Ecke gebogen kam, in seiner typisch saloppen Art. Kaiba warf ihm nur einen undefinierbaren Blick zu, was den blonden, jungen Mann aber nicht zu stören schien. “Nun, da jetzt alle vollzählig sind, geht’ s ab in den Besprechungsraum. Der Chef und die anderen warten schon auf uns”, deutete Kawasaki in die entsprechende Richtung und lief mit einem Klemmbrett unterm Arm los. Thema der Einsatzbesprechung war natürlich der gestrige, besonders blutrünstige Fall. Vor der einen Seite des Raumes, in dem sich die Polizisten um einen großen, runden Tisch versammelt hatten, stand ein Flipchart und ein Whiteboard war an der Wand dahinter befestigt. “Bitte, Kawasaki”, bedeutete Laurence Kakuta, der Chef der hiesigen Polizei-Präfektur, der Frau mit den hellbraunen, schulterlangen Haaren. Diese nickte und stellte sich neben das Flipchart. “Guten Morgen, liebe Kollegen”, begrüßte sie noch einmal alle Anwesenden zusammen. “Sie sind sicher bereits alle mit dem gestrigen Fall im Hause der Yokidas, unweit des Hafens, vertraut. Doch um es kurz noch mal zusammenzufassen: Gestern Nacht wurde der Eigentümer des Hauses, Herr Yokida, auf brutalste Weise niedergemetzelt. Überall in seinem Schlafzimmer waren Blutspuren verteilt. Um Ihnen mal einen Überblick zu geben, habe ich hier einige Fotos vom Tatort mitgebracht.” Kawasaki holte einige Bilder hervor, die sie früher am Morgen schon bereit gelegt hatte und heftete sie mit Magneten an die Tafel. Unruhe entstand unter den Kollegen, die gestern mit anderen Fällen beschäftigt gewesen waren und denen daher noch nicht das volle Ausmaß der Tat bekannt gewesen war. “Violette”, rief einer in den Raum und als wäre es ein Stichwort gewesen, waren plötzlich alle totenstill. Zu deutlich war die violette Lilie auf einigen Fotos zu erkennen. “Möglich”, gab Kawasaki zögernd zu. “Jedoch möchte ich betonen, dass noch nichts bewiesen ist. Es könnte sich ebenso gut um einen Nachahmungstäter handeln. Wollen wir nicht hoffen, dass diese Plage Japans wieder auferstanden ist.” Alle Anwesenden wussten nur zu gut, was Kawasaki damit ausdrücken wollte: Bereits vor fünf Jahren, als der Auftragskiller Violette das letzte Mal tätig gewesen war, hatte nicht nur die japanische Presse einen Riesenwind um diese Sache gemacht, sondern auch die ausländische. Fast überall wurde Japan nur noch mit dem blutrünstigen Killer in Verbindung gebracht und so der Ruf des Landes geschädigt. “Ich darf Sie deshalb bitten, niemandem gegenüber etwas dergleichen zu erwähnen”, fügte Kawasaki hinzu. Die Kollegen nickten. Sie konnten sich denken, was ihnen blühte, wenn etwas davon an die Öffentlichkeit drang. “So, nun zu dem, was wir bisher herausgefunden haben”, fuhr die Polizistin fort. “Zunächst zur Tatwaffe. Herr Yokida wurde offensichtlich mit einem Schwert ermordet.” “Mit einem Schwert?”, lachte einer der Kollegen auf. “Sie finden das wohl witzig?”, erwiderte Kawasaki scharf. “Nein, nein”, beeilte sich der Zwischenrufer zu versichern. “Der Täter hat selbst nach dem Tod seines Opfers nicht damit aufgehört, auf ihn einzuschlagen und mit dem Schwert förmlich in Stücke zu schneiden. Er muss eine ungeheuerliche Beharrlichkeit, ja einen Fanatismus geradezu, an den Tag gelegt haben, um den Mann so zu hinterlassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Denn Sie wissen ja, wie schwer so ein Schwert ist. Damit ein paar Mal zuzustechen ist eine Sache, aber jemanden so zu zerteilen wie es hier geschehen ist - das muss den Täter eine Menge Kraft gekostet haben. Knochen sind nicht so leicht zu durchtrennen.” Jonouchi schluckte. Auf dem Bildern war noch mal in aller Deutlichkeit zu sehen, dass nur der Torso des Mannes mit der Hand, die die Lilie hielt, noch erhalten war, so als hätte der Täter selbst das genau geplant. Plötzlich kam ihm eine Idee und er meinte: “Na, das muss doch jemandem aufgefallen sein, wenn Violette, äh, ich meine natürlich, der unbekannte Täter, so mir nichts, dir nichts mit einem riesigen Schwert durch die Straßen gelaufen ist. Bestimmt gibt es Zeugen, auch wenn es mitten in der Nacht war, das Stadtviertel ist belebt.” “Tja, normalerweise würde ich Ihnen da zustimmen”, stützte sich Kawasaki am Tisch ab. “Doch raten Sie mal, was für eine Veranstaltung in der Nähe des Tatorts zum betreffenden Zeitpunkt stattfand.” “Ähm, keine Ahnung, was denn?”, antwortete Jonouchi, aus der Bahn geworfen. Auf was wollte seine Kollegin hinaus? “Ich sage es Ihnen: Ein Treffen von Highlander-Fans, die natürlich alle in Kostüm und mit Schwertattrappen unterwegs waren.” Ein Stöhnen ging durch die Reihen der Kollegen. “Also hat der Täter dieses Fan-Treffen abgewartet, damit er dann mit seinem Schwert da lang spazieren kann, ohne aufzufallen?” vermutete Jonouchi. “Oder er hat von dem Treffen gehört und dann erst beschlossen, ein Schwert für die Tat zu benutzen”, warf Kaiba ein. “Nun, kommen wir wieder zu den Fakten zurück”, unterbrach Kawasaki die beiden. Sie ging zu einem Stapel Akten, die auf dem Tisch bereit lagen und verteilte sie an die Kollegen. “Das hier sind die bisherigen Erkenntnisse in dem Fall. Das betrifft auch alle Verwandten und bislang bekannten Freunde des Opfers. Jeder von Ihnen wird einen von diesen besuchen und ermitteln”, befahl sie. Kakuta nickte dazu nur. Er pflegte sich als Chef nur dann einzumischen, wenn seine Stellvertreterin korrigieren musste. Ansonsten erledigte er eher die Hintergrundarbeit, was die ganze Organisation mit einbezog. “Weitere Spuren des Täters wurden bisher nicht gefunden. Wir wissen lediglich, dass die Tat zwischen ein und zwei Uhr morgens stattgefunden haben muss”, schloss Kawasaki ihre Rede ab. “Aber die Spurensicherung ist noch bei der Arbeit. Doch falls es sich tatsächlich um den berüchtigten Auftragskiller handelt, dann finden wir vielleicht denjenigen, der den Auftrag zu diesem Mord gegeben hat.” Die Polizisten nickten zustimmend, standen auf und machten sich an die Arbeit. “Und, Kaiba”, rief Kawasaki. Angesprochener hielt inne und schaute herüber. “Wir beide werden zusammen die Frau des Opfers besuchen, die übrigens getrennt von ihrem Mann lebt und ihr ein paar Fragen stellen.” Kaiba nickte. Kaiba blickte sich um. Zusammen mit Kawasaki stand er vor dem Anwesen von Frau Yokida - ein in weiß gehaltenes Häuschen mit Garten. Zielstrebig und ohne zu zögern ging Kawasaki über die Einfahrt, nachdem die Hausbewohnerin ihnen das Tor automatisch geöffnet hatte, als sie sich über die Sprechanlage angemeldet hatten. “Guten Tag, kommen Sie doch rein”, erwartete sie eine deprimiert dreinblickende Frau um die vierzig, deren mittellanges, schwarzes Haar ihr in glanzlosen Strähnen vom Kopf hing und deren dunkelbraune Augen die Welt nicht mehr zu verstehen schienen. “Guten Tag Frau Yokida”, erwiderten die beiden Polizeikollegen und folgten ihr ins Haus. Auf einer geräumigen Couch im Wohnzimmer ließen sich die drei nieder. “Ich kann es immer noch nicht fassen, dass meinem Mann etwas so furchtbares angetan wurde”, begann Frau Yokida. “Wie kann ein Mensch nur so grausam sein?” “Sie haben unser herzlichstes Beileid”, erwiderte Kawasaki förmlich. “Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn wir Ihnen jetzt ein paar wichtige Fragen stellen.” “Nur zu”, versuchte die Frau tapfer zu bleiben und schniefte verhalten. “Ich will Ihnen gerne alles erzählen, was ich weiß.” Sie faltete ihre Hände nervös auf dem Schoß zusammen. “Nun denn. Ist es richtig, dass Sie vorhatten, sich von Ihrem Mann scheiden zu lassen?”, erkundigte sich Kawasaki. Frau Yokida seufzte. “Ja, das stimmt leider. Es ging einfach nicht mehr mit ihm. Trotzdem, ein solches Schicksal wünscht man nicht mal seinem schlimmsten Feind”, versicherte sie. “Da haben Sie Recht. Trotzdem muss ich Sie fragen, wo Sie sich vorgestern Nacht zwischen ein und zwei Uhr aufgehalten haben.” Kaiba hatte derweil seinen Notizblock aus der Tasche gezogen, um sich alles aufzuschreiben. Als Neuling, der gerade frisch mit der Ausbildung fertig war, musste er erstmal seiner älteren Kollegen den Vortritt lassen, bis er etwas mehr praktische Erfahrung gesammelt hätte. Eigentlich konnte er schon von Glück reden, dass er bei so einem schwierigen Fall bereits mit einbezogen wurde. “Ich weiß, das müssen Sie immer fragen, nicht wahr? Nun, da gibt es nicht viel zu sagen. Ich habe im Bett gelegen und tief und fest geschlafen.” “Und, kann das jemand bezeugen?” “Nein”, lachte Frau Yokida hysterisch. “Ich habe leider niemanden, der mich beim Schlafen beobachten würde.” “Verstehe. Und können Sie sich vielleicht denken, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, Ihren Mann zu töten? Gibt es irgendjemanden, mit dem er sich angelegt hatte?” “Wenn ja, dann weiß ich nichts davon. Der einzige, mit dem er sich immer gestritten hat, war unser zukünftiger Schwiegersohn. Aber dabei ging es nur um unsere Tochter. Deswegen wird er ihn wohl kaum umgebracht haben.” “Nun, wir werden sehen. Und wie steht es mit seiner Arbeit? War dort alles in Ordnung?” “Also, das weiß ich nun wirklich nicht. So viel hatten wir nicht mehr miteinander zu tun. Aber vielleicht fragen Sie mal direkt an seiner Arbeitsstelle nach”, empfahl Frau Yokida. “Das werden wir”, schloss Kawasaki und erkundigte sich noch nach einigen Kleinigkeiten, bevor sie zusammen mit Kaiba die Wohnung der Frau verließ. Kapitel 3: Feuerchen -------------------- So, hier kommt das nächste Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch und würde mich freuen zu hören, was ihr so vom Inhalt der Story denkt^^. Als Kaiba abends nach Hause kam, hing eine leichte Rauchfahne neben einem Fenster des Gebäudes und ein seltsamer Gestank wehte ihm entgegen. “Feuer!”, rief er schockiert, rannte zur Tür und brauchte scheinbar eine Ewigkeit, bis er sie aufgeschlossen hatte. Kaiba hustete, als er durch sein und Atemus Haus über den Flur hastete. Schnell ließ er alles fallen, was er bei sich hatte und stürmte in die Küche. Dichter, stinkender Qualm hatte sich breit gemacht. Es sah ganz so aus, als hätte jemand hier ein Essen mehr als nur verbrannt. Schnell öffnete Kaiba das Fenster und schaltete den Grill ab, wo ein verkokeltes, schwarzes Etwas, das wohl mal Fleisch oder Geflügel gewesen war, drin steckte. Anschließend brachte er sich hustend in Sicherheit und öffnete die anderen Fenster des Hauses, wo sich der Rauch auch schon ausgebreitet hatte. “Atemu!”, rief er laut. Er fragte sich, wo sein Freund steckte. Schnell lief er die Treppe nach oben, guckte in alle Zimmer und fand seinen Lebensgefährten schließlich auf ihrem gemeinsamen Bett tief und fest schlafend. Obwohl er verärgert war, dass sein Freund mal wieder versucht hatte zu kochen, was jedes Mal in einer Katastrophe endete, musste er lächeln, als er ihn da so friedlich liegen sah. Er sah im Schlaf so süß und verletzlich aus, während ihm eine blonde Strähne ins Gesicht fiel. Sanft rüttelte Kaiba an seiner Schulter. Mit einem kleinen Schrei schreckte Atemu hoch. “Oh, du bist es nur”, stellte er beruhigt fest und blinzelte den Schlaf aus den violetten, verschleiert wirkenden, Augen, während er sich langsam aufrichtete. “Tolle Begrüßung”, war Kaiba etwas beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust. “Tut mir leid. Ich war nur so erschrocken. Hm, was riecht denn hier so komisch?”, schnüffelte Atemu und zog dabei die Nase kraus. Kaiba seufzte innerlich, denn dadurch wirkte er nur noch niedlicher. Umso schwerer fiel es ihm, auf ihn böse zu sein. “Tja, was wohl?”, gab er leicht bissig zur Antwort. “Oh, nein!”, sprang Atemu entsetzt auf. “Mein armes Hähnchen! Es ist doch nicht etwa…?” Kaiba nickte nur betreten und mit einem Gesichtsausdruck, der so viel besagte wie: Ich hab es dir ja gesagt. Atemu rannte runter in die Küche und blieb traurig vor den Überresten seines Abendessens stehen. Dabei fing er an zu husten und die Augen tränten ihm. “Komm mit”, zog ihn Kaiba am Arm nach draußen. “Lass uns etwas Essen gehen, bis der Rauch sich verzogen hat”, schlug er vor. “Wir werden Anzu und Kevin bitten, solange auf das Haus aufzupassen, damit niemand einbricht, während die Fenster offen stehen.” Atemu nickte traurig. Ihre Nachbarn waren gute Freunde, die ihnen sicher gerne helfen würden. Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich… flüsterte eine Stimme, immer wieder und wieder, wollte nicht aufhören. Nur das eine… sonst nichts. Atemu blickte erschrocken auf. Was war das? Verstört versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Wurde er verrückt, dass er jetzt schon Stimmen hörte? “Ach, jetzt sei doch nicht mehr traurig”, versuchte Kaiba seinen Lebensgefährten aufzumuntern, während sie beim Abendessen im Restaurant saßen. “Es ist halb so wild - der Rauch wird sich bald verzogen haben und es ist ja auch nicht so, dass wir uns keinen neuen Ofen leisten könnten.” “Ja, stimmt schon”, seufzte Atemu. Seine rötlich-violetten Augen glänzten im flackernden Kerzenlicht. Diese Farbe, manchmal wirkt er dadurch wie ein Wesen aus einer anderen Welt, stellte Kaiba fest und ein Schauder lief ihm über den Rücken. Er liebte diese Augen und fürchtete sich gleichzeitig vor ihnen, weil sie ihm manchmal so fremd vorkamen. “Aber ich werde wohl nie lernen zu kochen. Ich bin so blöd”, jammerte Atemu. “Wie kann man aber auch nur dabei einschlafen!”, machte er sich selbst Vorwürfe. “Nein, du bist nicht blöd”, versicherte Kaiba. “Nur…” “Was?”, fuhr Atemu auf. “…schusselig”, beendete er den Satz. “Aber was wolltest du eigentlich während das Hähnchen in der Küche gegrillt hat, im Schlafzimmer?” “Ach, ich wollte mir nur ein Buch holen, weil es so lange gedauert hat, bis die Ente fertig sein sollte. Ich verstehe selbst nicht, wie ich dabei auf dem Bett einschlafen konnte. Wirklich, ich habe mich nur kurz hingesetzt, während ich im Nachtschränckchen nach dem Buch geguckt habe. Dabei muss es wohl passiert sein”, Atemu wirkte verwirrt. “Sagtest du nicht, es wäre ein Hähnchen gewesen?”, wunderte sich Kaiba. “Ach ja, stimmt, das blöde Ding.” “Siehst du, deshalb passiert dir auch so was: Du hasst kochen. Warum lässt du es dann nicht einfach bleiben?”, stützte Kaiba sein Kinn auf die gefalteten Hände und blickte seinem Freund in die Augen. “Ach, ich wollte dich doch nur mal überraschen. Ich dachte, du würdest dich darüber freuen, wenn ich dir auch mal was zum Essen mache. Na, das ist ja voll nach hinten losgegangen.” “Mach dir nichts draus”, empfahl der junge Mann mit den braunen Haaren und nahm über den Tisch hinweg Atemus Hand in seine, die ganz kalt war, wie er feststellte. “Hm”, machte jener und blickte nachdenklich in der Gegend umher, ohne sein Essen eines weiteren Blickes zu würdigen. “Du, Seto”, fing er plötzlich an. “Ich hatte einen ganz komischen Traum, während mein Hähnchen verkokelt ist.” “Was denn?” “Na ja, immer wieder hat irgendjemand gesagt: Ich hasse dich, ich hasse dich. Es schien gar kein Ende zu nehmen. Komisch was?”, lächelte Atemu, doch dabei wirkte er irgendwie leicht verzweifelt. Dass das kein Traum gewesen war, sondern er die Stimme im Wachzustand in seinem Kopf vernommen hatte, verriet er mal lieber nicht. “Willst du mir damit sagen, dass du unbewusst irgend etwas gegen mich hast?”, wunderte sich Kaiba. “Nein, nein”, beeilte sich Atemu zu sagen. “Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat. In letzter Zeit habe ich immer so merkwürdige Träume. Genau wie früher, bevor wir uns kennen gelernt haben. Ich dachte, seit ich mit dir zusammen bin, hat das ein Ende. Doch scheinbar wird mich das mein ganzes Leben lang verfolgen”, ließ der junge Mann den Kopf hängen. “Ach, komm schon, das sind doch nur Träume. Solange du sie dir nicht so sehr zu Herzen nimmst, können Sie dir auch nichts anhaben”, versuchte Kaiba seinen Freund aufzumuntern. “Vielleicht brauchst du auch nur mal etwas Abwechslung. Du hast selbst gesagt, dass dir die Arbeit im Spieleladen allein auf die Dauer zu eintönig wird.” “Schon. Aber ich will den Laden nicht aufgeben. Es ist ja nicht so, dass ich die Arbeit nicht mag. Doch der Spieleladen nimmt eben fast meine ganze Zeit im Anspruch, da bleibt kein Platz mehr für was anderes. Und eigentlich bin ich doch ganz zufrieden so”, überlegte der junge Mann und ließ die violetten Augen über die Esstische nebenan wandern. “Ich sage ja, du brauchst nur etwas Abwechslung. Das muss nicht gleich ein neuer Job sein. Wie wär’ s, wenn du dir einfach mal ein neues Hobby zulegst?” Atemu war nämlich eine absolute Leseratte, doch auf die Dauer war das allein wohl selbst für ihn zu wenig aufregend. “Ja, gute Idee. Dann muss ich mir nur noch überlegen, was ich machen soll”, meinte sein Lebensgefährte begeistert. “Sollen tust du gar nichts”, grinste Seto. “Außer vielleicht…” “An was denkst du schon wieder”, unterstellte Atemu, doch er konnte seinem Freund praktisch an der Nasenspitze ansehen, was der im Moment meinte. Das war mal wieder so typisch. “Was hast du heute eigentlich gemacht?”, wollte er nun wissen. “Habt ihr mehr über Viol…”, bevor Atemu weitersprechen konnte, hatte Kaiba ihm eine Hand auf den Mund gelegt und die Worte erstickt. “Scht! Doch nicht hier vor allen Leuten!”, befahl er leicht panisch. “Wenn das jemand rauskriegt…” “Okay”, machte sein Freund, als er die Hand wieder wegnahm. “Dann frag ich mal so: Habt ihr schon etwas herausgefunden über den Täter?” “Nein, noch sind wir nicht viel weiter gekommen. Wir haben erstmal die Verwandten und Bekannten des Opfers befragt. Erst waren wir bei seiner Frau, dann an seiner Arbeitsstelle und schließlich haben wir die Tochter besucht. Morgen wollen wir den Freund der Tochter befragen, der heute nicht bei ihr war. Das einzige, was wir bisher wissen, sind der ungefähre Todeszeitpunkt und dass die Tatwaffe ein Schwert gewesen sein muss.” “Oh”, machte Atemu überrascht. “Ein Schwert, wirklich?” Kaiba nickte. “Ja, doch leider hat uns das bisher auch nicht weitergebracht”, erklärte er enttäuscht. “Aber so eine Aufklärung braucht natürlich seine Zeit. Manche Fälle werden sogar nie gelöst”, stellte er verbittert fest. “Klar. Besuchst du mich am Samstag im Spieleladen?”, wollte Atemu wissen. “Ich hab nämlich ‘ne neue Deko eingerichtet. Ich will wissen, ob sie dir gefällt.” “Eine neue Deko?”, wiederholte Seto. “Du warst mal wieder ganz schön fleißig, was? Natürlich werde ich mir das mal angucken. Und jetzt komm mal her!”, forderte er Atemu auf und zog ihn am Kragen näher zu sich heran. Sein Geliebter lächelte, da er schon genau wusste, was er von ihm wollte. Seto seufzte zufrieden in den warmen Kuss, als sich ihre Lippen sanft berührten. An den Blicken um sie herum störten sie sich schon lange nicht mehr. Kapitel 4: Giftige Lilie? ------------------------- Schade, dass die Story so schlecht ankommt. Komisch, wenn ich mir besonders viel Mühe gebe, dann interessiert sich kaum einer für meine FFs, aber wenn ich nur aus Spaß einfach drauf los schreibe, dann mögen das wiederum viele Leute. Irgendwie widersprüchlich, oder? Was mach falsch *seufz*? Na ja, hier kommt jedenfalls das nächste Kapitel und den Lesern, denen die Story trotzdem gefällt, wünsch ich viel Spaß damit. Früh am nächsten Morgen verabschiedete sich Seto von Atemu, der sich mit einem Grummeln noch mal im Bett herumdrehte, obwohl er eigentlich auch um diese Zeit aufstehen müsste, um seinen Spieleladen zu öffnen. Doch wenn Atemu nicht von selbst aufstand, dann tat man gut daran, ihn auch nicht zu wecken. Das konnte einem mitunter nämlich schlecht bekommen. Mit einem Lächeln auf den Lippen und den Gedanken bei der letzten Nacht, beugte sich Seto noch einmal hinunter und küsste seinen Lebensgefährten auf die Wange, während er gleichzeitig mit den Händen durch dessen strubbeliges, doch weiches, Haar fuhr. “Wie bitte? Was soll das heißen, wahrscheinlich vergiftet?”, Jonouchi war von seinem Schreibtisch aufgesprungen und schrie aufgeregt in den Hörer. Kaiba schaute neugierig zu ihm herüber. “Nein, das ist ja furchtbar! Ja, genau… Sie haben Recht, das werden wir. Wir sind gleich da!”, beendete der junge Mann das Gespräch. “Was ist los?”, wollte Kaiba wissen. “Stell dir vor: Die Frau von Herrn Yokida, unserem Opfer, ist tot aufgefunden worden, wahrscheinlich vergiftet! Ihre Tochter und deren Freund fanden sie heute Morgen bereits tot im Esszimmer. Und in der Vase auf dem Tisch steht eine violette Lilie! Ist das nicht krass? Ich mein, eigentlich könnte es theoretisch auch Selbstmord gewesen sein, aber die Blume spricht eindeutig dafür, dass Violette mit seinem Auftrag offenbar noch nicht fertig war. Und außerdem lebte sie ja getrennt von ihrem Mann, so sehr wird sie wohl nicht über seinen Tod getrauert haben, dass sie sich deswegen umbringt.” Kaiba kniff die Augen zusammen. Jetzt hatten sie also noch ein Opfer. Dieser Violette - so denn es kein Trittbrettfahrer war - wurde wieder richtig unverschämt. “Wie auch immer es gewesen ist, lass uns lieber hinfahren!”, meinte er und schnappte sich seine Sachen. “Klar, ich sag noch Kawasaki Bescheid”, mit diesen Worten lief Jonouchi ins angrenzende Büro. Als Kaiba, Kawasaki und Jonouchi in Frau Yokidas Haus ankamen, trafen sie noch deren Tochter, Kyoko Yokida und ihren Freund an. Kyoko saß weinend auf der Couch im Wohnzimmer, während ihr Freund sie tröstend festhielt. Sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich, nur hatte sie braune Haare und hellbraune Augen. “Wie kann so was passieren?”, schluchzte sie den drei Polizisten entgegen. “Sie waren doch schon gewarnt durch den Tod meines Vaters. Wie konnten Sie es da zulassen, dass dieses Monster auch noch meine Mutter tötet?”, meinte sie vorwurfsvoll. “Wir verstehen, dass Sie aufgebracht sind”, versuchte Kawasaki zu beschwichtigen. “Doch niemand konnte damit rechnen, dass auch Ihre Mutter auf der Liste dieses Auftragsmörders” - sie verzichtete bewusst auf die Nennung Violettes - “stand. Sie haben unser herzlichstes Beileid. Doch leider müssen wir Ihnen jetzt ein paar wichtige Fragen stellen. Fühlen Sie sich dafür bereit?” Kyoko Yokida nickte und die drei Polizisten setzten sich um den Wohnzimmertisch. “Nun, wer könnte denn ein Interesse daran gehabt haben, Ihre Eltern umzubringen?”, wollte Kawasaki wissen. “Ich habe keine Ahnung”, schniefte die junge Frau in ein Taschentuch und starrte auf die Spitzendecke auf dem Tisch. “Bestimmt ist dieser Killer einfach durchgedreht und tötet jeden, der ihm in die Quere kommt. Haben Sie mal daran gedacht, dass das einfach ein verrückter Psychopath ist?”, schrie sie plötzlich und die Anwesenden zuckten zusammen. Kawasaki räusperte sich. “Nun, die beiden Taten lassen eher auf gezielte Mordanschläge hinweisen. Doch wie es auch immer sein sollte, vielleicht ist es besser, wenn Sie den Schock erstmal verarbeiten und morgen zu uns aufs Revier kommen”, stellte sie fest. “Sie möchten wir anschließend auch zu uns bitten”, wandte sie sich an den Freund der Frau. “Klar”, nickte der. “Haben Sie beide vielleicht eine Möglichkeit bis morgen Abend woanders unterzukommen?”, erkundigte sich die Polizistin. “Wir müssen den Tatort zwecks Untersuchungen nämlich vorerst absperren.” “Ja, meine Freundin kann bei mir übernachten. Das tut sie sowieso die meiste Zeit”, erklärte der junge Mann. “Dann lass uns lieber schnell verschwinden, ich halte es hier nicht mehr aus”, erklärte Frau Yokida und sprang auf. Als die beiden fort waren, wandten sich die drei Polizisten an die Leute von der Spurensicherung, die bereits fleißig im Esszimmer tätig waren. Das Opfer lag neben einem Stuhl auf dem Boden. Im Kontrast zu den schwarzen Haaren sah ihre Haut besonders blass aus. Ihre schwarzen Augen starrten leer in die Ferne. In ihren Zügen schien noch das blanke Entsetzen zu stehen. “Gestern hat sie noch gelebt”, flüsterte Kaiba erschüttert und schaute auf die violette Lilie, die in einer gläsernen Vase auf den Tisch stand. Seltsam war nur - und das fiel Kaiba sofort auf, da er sich mit den bisherigen Morden Violettes intensiv beschäftigt hatte - dass diese Lilie mehr einen zarten Rosaton aufwies, der nur leicht ins Violette ging. Der Auftragsmörder hatte bisher immer Lilien von einem besonders tiefen Violett mit rötlichem Schimmer an seinen Tatorten drapiert. War ihm diese Sorte vielleicht ausgegangen, oder hatte er aus einer Laune heraus diesmal eine andere Züchtung genommen? Auf dem Tisch befanden sich auch eine Teekanne und der Untersetzer einer Tasse, während die Tasse selbst zersplittert auf dem Boden lag. “Ist sie mit diesem Tee vergiftet worden?”, erkundigte er sich bei einem jungen Mann von der Spurensicherung, den er schon von früher kannte. Wie war noch gleich sein Name gewesen? Ach ja, Marik Ishtar. “Beliebt sind Tees natürlich immer, aber es könnte auch dieser angebissene Apfel gewesen sein”, vermutete Herr Ishtar und strich sich eine Strähne seines weißblonden Haares aus dem braunen Gesicht. “Das müssen wir im Labor erst untersuchen.” Kaiba nickte. Dass er es gleich nach Verlassen der Polizeischule und seinem Praktikum mit einer Mordserie, noch dazu mit dem berühmt-berüchtigten Violette zu tun bekäme, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Erst jetzt begann er wirklich zu realisieren, in was er da hineingeraten war. Doch er wäre nicht Polizist geworden, wenn er jetzt so einfach das Handtuch geschmissen hätte. Die Untersuchung des Tatorts, der Leichen und der näheren Umgebung der beiden Opfer sowie deren Verwandten und Bekannten, wurde in den nächsten Tagen fortgesetzt. Atemu pfiff fröhlich vor sich, räumte noch einmal die Drachen- und Ritter-Figuren in seinem Laden um und wischte hier und da Staub von den Auslagen. Anschließend schaute er mit einem Auge noch mal zu der Wand über dem Tresen hoch, wo er seine neue Deko angebracht hatte und vergewisserte sich zum wiederholten Male, dass es so perfekt aussah. Er freute sich, dass Seto ihn heute im Spieleladen besuchen wollte, denn sonst wäre er hier bestimmt noch vor Langeweile gestorben. Der Laden schien heute wieder Mal wie ausgestorben. Seit er die neuen Karten verkauft hatte, war es wieder still geworden. Irgendwas machte er falsch. Oder die Leute interessierten sich einfach nicht mehr für einen kleinen Spieleladen, sondern gingen nur noch in große Kaufhäuser, wo es mehr Auswahl gab und alles billiger war. Es war schon frustrierend. Andererseits konnte sich Atemu nicht beklagen, er hätte zu wenig Geld. Was aber nicht an den negativen Einkommen des Spieleladens lag und auch nicht an Setos nicht gerade reichlichem Gehalt. Atemu hatte nämlich vor mehreren Jahren schon, als er 18 wurde, das Geld seiner verstorbenen Eltern geerbt. Genauer gesagt, hatte er es bereits viel früher geerbt, aber bis dahin hatte sein Großvater, der ihn auch aufzog, über das Geld verfügt. Sein leiblicher Vater hatte die Familie sogar noch viel früher verlassen und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Atemu wusste bis heute nicht, was aus ihm geworden war und konnte sich auch gar nicht mehr an ihn erinnern, so lange war das jetzt schon her. Nur seinen Stiefvater kannte er noch, aber wenn er anfing über ihn nachzudenken, bekam er Kopfschmerzen, also ließ er es lieber bleiben. Er war sogar froh, dass dieser bei einem bis heute nicht geklärten Einbruch in ihr Haus getötet worden war. Zumindest hatte man ihm das erzählt, erinnern konnte er sich daran nicht mehr. Und auch seine Mutter war ihm egal gewesen, er hatte so einen Hass auf sie, noch heute… Aber auch sie war längst tot, bei einem Autounfall gestorben. Atemu ballte die Hände zu Fäusten. Warum fing er auch nur immer wieder an, darüber nachzudenken? “Ich hasse euch, also verschwindet endlich aus meinem Kopf, so wie ihr aus meinem Leben verschwunden seid”, flüsterte er und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war. Ein langes Gähnen ertönte und dem jungen Mann wurde bewusst, dass die Wirkung des Kaffees wieder nachließ, was ihn zu der Frage zurückführte, warum er in letzter Zeit ständig so müde war. So wenig schlief er doch gar nicht und mehr zu tun als sonst, hatte er auch nicht. “Nur mal kurz hinsetzen”, nahm er sich vor und schloss die brennenden Augen, während er sich auf einem braunen Hocker hinter dem Tresen niederließ und an die Wand lehnte, wobei einige Glöckchen, die an violetten Bändern aufgehängt waren, zu bimmeln begannen. Doch selbst das konnte den bereits halb Schlafenden nicht mehr munter machen. Und auch, als die Klingel der Ladentür ging, bemerkte er nichts. Erst, als Atemu plötzlich ein Tätscheln auf seiner Wange spürte, sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und wäre beinahe über den Hocker nach hinten gefallen, da vor ihm ein älterer Mann stand und ihm den Weg versperrte. Es dauerte einen langen Augenblick, bis Atemu sich entsann, wer derjenige war, der ihn jetzt so merkwürdig anlächelte: Ryota Otogi, der Onkel seines Freundes Ryuchi Otogi. Das musste ein Alptraum sein. “Na mein Süßer? So müde heute?”, sprach’ s und Atemu rollten sich sämtliche Zehennägel und Nackenhaare auf. Bei aller Liebe zu seinem Freund, aber dessen Onkel konnte er auf den Tod nicht ausstehen, da dieser ihn schon mehrmals ernsthaft angemacht hatte. Dass er schon vergeben war, störte den dabei nicht im Geringsten. Genauso wenig, dass er fast zwanzig Jahre jünger war. Dass Atemu ihn schon mehrmals hatte abblitzen lassen, schien dem Mann gar nicht aufgefallen zu sein. “Ich dachte, ich besuche dich mal, damit du nicht so einsam bist. Dein Laden läuft ja nicht so gut, wie’ s scheint”, blickte Otogi sich kritisch um. Atemu hätte am liebsten die Augen verdreht und ihn rausgeschmissen, aber seinem Freund zuliebe, bemühte er sich, gegenüber dessen Onkel wenigstens höflich zu sein - solange der es nicht zu weit trieb. “Ja, das wird schon wieder”, erwiderte er daher lediglich, klang dabei gelangweilt und stand lässig mit vor der Brust verschränkten Armen da, obwohl er innerlich angespannt war wie ein Flitzebogen. Jedoch schien das Otogi nicht aufzufallen, da Atemu schon immer gut darin gewesen war, den Gelangweilten ebenso wie den Langweiler zu spielen. “Ich könnte dir helfen, ein bisschen Pepp in die Bude zu bringen”, schlug Otogi überschwänglich vor. “Das ist ein nettes Angebot, aber ich komme schon klar, danke”, meinte Atemu freundlich lächelnd, während er den anderen tatsächlich am liebsten erwürgt hätte. Aber das konnte man ja nicht tun. “Na, wenn das so ist… Was hältst du davon, wenn wir mal wieder was zusammen unternehmen?” Mal wieder, war gut. In Wirklichkeit hatte Atemu noch niemals mit diesem schmierigen Typen etwas unternommen, dieser hatte sich lediglich ihm und seinem Neffen aufgedrängt. “Tut mir leid, aber dafür habe ich keine Zeit”, erwiderte Atemu schon etwas kühler. “Ah, ich versteh schon, dein Lover hält dich wie in einem goldenen Käfig, was? Sobald du einen anderen auch nur anguckst, wird er wütend, was? Aber darüber brauchst du dir keine Sorgen machen - Kaiba wird nichts davon erfahren, wenn wir uns ein bisschen vergnügen, na?”, zwinkerte der Onkel ihm zu und lehnte sich ganz dicht zu ihm vor, bis er dessen fauligen Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. Nun begann selbst Atemus steinerne Fassade der Höflichkeit von ihm abzubröckeln, als es in seinem Gesicht gefährlich zuckte und er einen großen Schritt zurückwich. “Ich hab es dir schon oft genug gesagt - ich habe kein Interesse an dir, also spar dir die stupiden Flirtversuche.” “Oh, ho, wer wird denn gleich so frech sein?”, ging Otogi den fehlenden Schritt nach vorne. Mittlerweile stand Atemu hinter dem Tresen mit dem Rücken zur Wand. “Weißt du, ich war bisher immer sehr nett zu dir, weil du ja der Freund meines Neffen bist. Aber irgendwo hat auch meine Geduld ihre Grenzen”, erklärte er. Aus den Augenwinkeln sah Atemu ein Messer aufblitzen, welches Otogi blitzschnell an seinen Hals legte. Der junge Mann riss die Augen auf. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Er hatte den Alten lediglich für sehr aufdringlich und schmierig gehalten, aber nicht für jemanden, der Gewalt anwenden würde um an sein Ziel zu kommen. “Also mach brav, was ich dir sage, wenn du nicht willst, dass dir was passiert!”, befahl er und packte Atemu an der Schulter. “Geh da durch!”, deutete er auf die Tür hinter dem Tresen, die zum Büro, der Kaffeeküche und den Lagerräumen des Spieleladens führte. Atemu blickte ihm wütend in die Augen, gehorchte aber gezwungenermaßen. Otogi schloss schnell die Tür zum Laden, deren Schlüssel im Schloss steckte, hinter ihnen. Grob schubste er Atemu vor sich her, in die Kaffeeküche hinein. “So und jetzt zieh dir die Hose aus!”, befahl Otogi mit gierig glitzernden Augen. “Das werde ich nicht tun!”, protestierte Atemu und starrte wütend zurück, während ihm allmählich klar wurde, dass die Sache, in die er so unversehens hinein geraten war, ziemlich ernst wurde. “Zieh sie aus, habe ich gesagt!”, brüllte Otogi, kam ihm mit dem Messer wieder gefährlich nahe und drängte ihn an die Wand. Atemu sagte sich, dass er doch irgendetwas tun müsste, allerdings war er angesichts der auf ihn gerichteten Waffe und der gierigen Blicke starr vor Schreck. Nur zu gut erinnerte ihn das an… Nein! Er kniff die Augen zusammen und blinzelte. Daran wollte er sich jetzt nicht erinnern. Niemals wieder! “Machst du jetzt, was ich dir sage?”, verlangte Otogi. In diesem Augenblick setzte irgendetwas in Atemu aus. Kapitel 5: Blackout ------------------- Fröhlich pfeifend, wie es sonst gar nicht seine Art war, ging Seto Kaiba auf den Spieleladen seines Lebensgefährten zu. Er freute sich einfach so sehr, nach diesem niederschmetternden Arbeitstag endlich Atemu wieder zu sehen. Eigentlich verwunderlich, dass er nach fünf Jahren immer noch so verrückt nach diesem war, dass er es kaum abwarten konnte. Dabei hatte er früher geglaubt, dass sei nur der Fall, wenn man frisch verliebt war. Mit einem Klingeln öffnete er die Tür des Ladens. “Atemu, ich bin da!”, rief er und bemerkte überrascht, dass der Laden leer war. Kurz warf er einen Blick auf die Wand hinter dem Tresen, wo ihm die neue Deko auffiel. Da hing doch tatsächlich ein Schwert, das wie echt aussah, in einer kunstvoll verzierten Scheide aus Leder. Kaiba schüttelte lächelnd den Kopf. Das war also die Überraschung, die sein Freund ihm hatte zeigen wollen. Aber wo steckte der bloß? Normalerweise stellte er ein Schild auf, wenn er nicht da war, selbst wenn er nur mal kurz auf’ s Klo musste. Nachdenklich öffnete Kaiba die Tür hinter dem Tresen und setzte gerade einen Fuß über die Schwelle, als ihm plötzlich Atemu in die Arme gelaufen kam. Fast hätte dieser ihn über den Haufen gerannt. “Hey, was ist los?”, erkundigte sich Kaiba überrascht und hielt ihn fest. “Nimm deine Pfoten von mir, du verdammter…” Atemu stockte mitten im Satz und schaute wütend nach oben, in Kaibas Augen. “Oh, du bist es”, stellte er lapidar fest. “Na, das ist ja mal ‘ne tolle Begrüßung. Was ist los?”, wollte Kaiba wissen. “Das geht dich nichts an!”, schlüpfte Atemu flink an ihm vorbei und in den Laden hinein. Kaiba schüttelte den Kopf. Was war denn seinem Freund nur über die Leber gelaufen? Er folgte ihm und wiederholte seine Frage, was mit ihm los sei. Schließlich schien sich Atemu zusammen zu raufen und erklärte, geringschätzig seine Fingernägel betrachtend: “Ach, da war nur so ein lästiger Kunde im Laden. Ich musste ihn rausschmeißen. Ich dachte schon, er wäre wiedergekommen.” “Hat er dir was getan?”, fragte Kaiba voller Sorge. “Nein, geht schon. Ich hätte ihn ja am liebsten erstochen, aber ich wollte dir nicht noch mehr Arbeit machen”, verkündete Atemu süffisant grinsend. Kaiba blickte ihn prüfend an. Manchmal kam ihm sein Freund wirklich wie ein anderer Mensch vor und er fragte sich, ob er jemals alle Geheimnisse seines Lebensgefährten lüften würde oder ob er das überhaupt wollte. Ohne Geheimnisse war das Leben ja schließlich auch langweilig. “Ist auch wirklich alles in Ordnung?” “Ja, wie oft denn noch?”, erwiderte Atemu und verdrehte genervt die Augen. “Hey, Schatz, ich bin’ s”, erinnerte Kaiba und nahm seinen Freund von hinten in die Arme. “Du tust ja fast so, als wäre ich derjenige gewesen, der dich belästigt hat. Was ist denn nun eigentlich passiert?” Sein Lebensgefährte zuckte unter der Umarmung zusammen, wie ihm mit Schrecken auffiel. “Hat er… dich etwa angefasst? Hat er dir wehgetan?” “Nein. Das hatte der Dreckskerl zwar vor, aber so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. Wie gesagt, habe ich ihn einfach rausgeschmissen. Und damit ist das Thema abgehakt, klar?”, mit diesen Worten befreite er sich aus Kaibas Umarmung. “Ich muss noch was erledigen”, erklärte er und lief wieder zurück in Richtung der Tür hinter dem Tresen. “Hey, warte!”, hielt Kaiba ihn auf, indem er ihn am Ärmel packte. “Sag, mal, kann es sein, dass du irgendwie sauer auf mich bist? Außerdem waren wir verabredet.” “Tu mir einen Gefallen, ja?”, wandte sich Atemu abrupt zu ihm um und Kaiba stockte, als er in die außergewöhnlichen roten Augen mit dem violetten Schimmer blickte, die nun zu fast schmalen Schlitzen zusammen gezogen waren. “Lass mich einfach in Ruhe, bevor ich mich vergesse!”, tippte er ihm auf die Brust. Es klang tatsächlich wie eine Drohung, was Kaiba überrascht zur Kenntnis nahm. Noch nie zuvor hatte Atemu so mit ihm gesprochen, auch wenn er sich manchmal komisch benahm. Der junge Polizist ahnte Schlimmes. Schließlich hatte er in seiner Polizeiausbildung gelernt, dass sich Menschen, die Opfer eines Schocks oder Traumas geworden waren, oft seltsam benahmen. Vielleicht war sein Freund doch überfallen worden, bevor er den Täter rausschmeißen konnte und schämte sich nur, das zuzugeben. Oder es war ihm durch den Schock unmöglich darüber zu reden und diese übermäßige Genervtheit war der Versuch, die Angst zu überspielen. Deshalb war Kaiba ihm in diesem Moment auch nicht böse, sondern höchst besorgt. Er ignorierte Atemus Drohung und folgte ihm. “Was willst du denn noch?”, rief der auch gleich genervt und lief ins Lager, wo er sich vor eine Kiste mit altem, unsortierten Spielzeug hockte und darin herumzuwühlen begann. Es schien fast so, als wolle er sich einfach mit irgendetwas beschäftigen, nur, um sich nicht mit Kaiba auseinandersetzen zu müssen. Doch der hockte sich einfach ebenfalls neben die Kiste und versuchte seinen Blick einzufangen. “Hey, Atemu. Vertraust du mir nicht mehr?”, erkundigte er sich sanft. “Hmpf”, brummte der lediglich und kramte weiter in der Kiste herum. “War das jetzt ein Ja oder ein Nein?”, lächelte Kaiba, der das Schmollen seines Freundes irgendwie süß fand. Plötzlich sprang dieser auf und da er schon befürchtete, dass Atemu wieder abhauen wollte, schnappte er ihn bei den Handgelenken und blickte ihm in die Augen. “Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst, oder? Alles, was dich bedrückt, mein Schatz. Wenn dieser Kerl dir was angetan hat…” Kaiba strich ihm zärtlich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Atemu senkte den Blick und schwankte, so dass er ihn festhalten musste. Liebevoll zog er ihn zu sich und streichelte ihm über den Rücken. “Ist dir schlecht?”, wollte Kaiba besorgt wissen. Atemu richtete sich wieder auf und schaute ihn überrascht an. “Was?”, guckte er sich verwirrt um. Es sah aus, als sei er gerade aus einem Traum erwacht. Vielleicht hat er jetzt den ersten Schockmoment überwunden, dachte Kaiba. “Es ist alles in Ordnung. Wenn dich etwas belastet, ist es besser, es rauszulassen.” “Nein, ich… Äh…”, stockte Atemu. Was war bloß passiert? Eben war er doch noch… Oh, Otogi, dieser Bastard! Er würde ihn umbringen! Ob nun Ryuchi sein Freund war oder nicht. Diesmal war dessen Onkel zu weit gegangen, eindeutig. “Was ist denn? Sagst du mir nun endlich, warum du so sauer bist? Willst du heute Abend vielleicht allein sein?” “Was, wie kommst du denn darauf? Ich bin nicht auf dich sauer.” Kaiba runzelte verwirrt die Stirn. Was war nur mit seinem Freund los? Diese Stimmungsumschwünge waren ja total merkwürdig. “Ich habe mich nur aufgeregt, weil dieser, argh, dieser Mistkerl versucht hat, mich zu betatschen.” “Was? Wer hat das getan?”, fuhr Kaiba vor Wut bebend auf, als er das hörte. Derjenige, der seinen Atemu anfasste, konnte sein blaues Wunder erleben! “Ach, nicht so wichtig”, wich der jedoch aus und blickte zur Seite. Das wäre gar nicht gut, wenn jetzt Kaiba Ryuchis Onkel zusammenschlagen wollen würde. “Hey, nicht so wichtig, sagst du? Was hat er mit dir gemacht, hm? Du bist ja völlig durch den Wind. Hat er etwa mehr getan, als nur versucht, dich anzufassen?”, packte er ihn aufgebracht bei den Schultern. “Nein, wirklich nicht”, versicherte Atemu. “Er hatte ein Messer dabei”, gab er nun zu. “Und deshalb konnte ich mich nicht wehren. Aber er hat mich nicht angefasst. Er wollte es, aber er hat es nicht getan, glaube ich.” “Glaubst du? Was meinst du damit? Du musst doch wissen, was er mit dir angestellt hat”, wunderte sich Kaiba. “Tja, das ist ja das Komische. Ich erinnere mich nicht, was passiert ist, nachdem er mich mit dem Messer bedroht hat. Ich weiß nur noch, dass ich fürchterliche Angst hatte und dann…nichts mehr. Ich hatte wohl einen Blackout”, fuhr sich Atemu nachdenklich mit der Hand durch die Haare. “Aber du hast ihn rausgeschmissen”, stellte Kaiba fest. “Wirklich?”, guckte Atemu ihn überrascht an. “Das hast du doch vorhin selbst gesagt. Erinnerst du dich nicht mehr?”, wunderte sich Kaiba. “Nein”, erwiderte Atemu und fragte sich verwirrt, ob die Sache mit den Blackouts jetzt schon wieder anfing, die er seit fast fünf Jahren überwunden geglaubt hatte. “Ich erinnere mich an nichts mehr, was passiert ist, nachdem der Kerl mich mit dem Messer bedroht hat. Er drängte mich in die Kaffeeküche und dann…”, der junge Mann zuckte mit den Schultern. “Ich weiß wirklich nicht mehr, was danach passiert ist. Aber wenigstens ist er weg”, schauderte er in der Erinnerung daran, was beinahe passiert wäre. Oder, war doch etwas passiert und er konnte sich deshalb nicht erinnern, weil sein Gehirn quasi den “Ausschalter” betätigt hatte? Wenn er Otogi tatsächlich rausgeschmissen hatte, dann hieße das doch, dass weiter gar nichts Schlimmes passiert war…, oder? Wieso konnte er sich also nicht erinnern? Atemu wollte im Moment nicht länger darüber grübeln und schaute auf. Kaiba hob die Hand und streichelte ihm über die Wange, was er mit einem erleichterten Seufzer zur Kenntnis nahm. “Vielleicht solltest du besser zu einem Arzt gehen und dich untersuchen lassen”, schlug Kaiba vor. “Wer weiß, was der Kerl mit dir gemacht hat, an das du dich nicht erinnern kannst. Wenn du einen Blackout hast, muss es was Ernstes gewesen sein.” “Aber es geht mir gut”, versicherte Atemu. “Nein, keine Widerrede. Ich begleite dich und pass auf dich auf.” Na toll, jetzt wollte Seto schon wieder den Beschützer spielen, wie Atemu genervt feststellte. “Mir geht es wirklich gut”, wiederholte er daher und weigerte sich standhaft, bei einem Arzt aufzukreuzen. Er hasste Ärzte und erst recht, wenn es darum ging, den Intimbereich zu untersuchen. Da konnte ihm sein Lebensgefährte sonst was erzählen. Außerdem merkte er doch, dass er nicht verletzt war, Blackout hin oder her. “Oh, hast du überhaupt schon meiner neuen Deko die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt?”, lenkte er nun Kaiba ab und deutete auf die Wand über dem Tresen. “Oh, ja, das Schwert, das hab ich schon gesehen”, erwiderte sein Freund mehr oder weniger begeistert und tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn, während er die Arme über der Brust gekreuzt hatte - so einfach wollte er sich nicht davon abbringen lassen, seinen Beschützerinstinkt auszuspielen. “Und hast du schon die kuriose Geschichte gehört, wie ich es gefunden habe?”, lehnte sich Atemu mit funkelnden Augen über den Tresen zu Kaiba hinüber. “Was, dazu gibt es auch noch eine Geschichte?” Vielleicht sollte er Atemu doch erstmal eine Ablenkung gönnen, um ihn später überreden zu können, sich untersuchen zu lassen. Außerdem interessierte ihn das jetzt doch. “Ja, stell dir vor: Eines Morgens habe ich es hier im Laden gefunden, einfach so! Als hätte es da jemand vergessen. Aber wer vergisst schon ein Schwert? Also hab ich es kurzerhand aufgehängt. Vielleicht kommt der Besitzer ja noch vorbei, dann hab ich halt Pech gehabt”, zuckte Atemu mit den Schultern. “Was, das war es schon? Und ich dachte, da kommt jetzt eine große Story mit Blut und Leichen…”, spöttelte Kaiba. “Nö, das hast du doch schon genug auf deiner Arbeit, oder?”, zwinkerte Atemu zurück. “Außerdem findet man nicht jeden Tag ein Schwert, noch dazu im eigenen Laden.” “Da hast du allerdings Recht. Das ist wirklich merkwürdig. Wer weiß, was für ein Freak dir das hinterlassen hat. Aber nun zurück zu diesem Kerl, der dich belästigt hat…” Atemu stöhnte genervt. Er wollte auf keinen Fall, dass Kaiba erfuhr, wer ihn angegriffen hatte. Denn dann würde auch sein Freund Ryuchi davon hören, was für ein Dreckskerl sein Onkel war und wäre am Boden zerstört - oder er glaubte Atemu gar nicht erst und würde nicht mehr mit ihm befreundet sein wollen. “Wer war das?”, vollendete Kaiba seine Frage. “Keine Ahnung”, log Atemu ohne mit der Wimper zu zucken. “Dann gehen wir auf’ s Revier und lassen ein Phantombild machen”, verlangte sein Lebensgefährte. “Weißt du, ich bin wirklich müde. Lass uns doch einfach nach Hause gehen, ja?”, bat Atemu. “Aber du kannst doch nicht zulassen, dass dieses Schwein einfach so davonkommt. Vielleicht kommt er sogar wieder und versucht es noch einmal… Atemu, du solltest wirklich…”, beschwor ihn Kaiba. “Ach, ich habe Kopfschmerzen. Lass mich einfach in Ruhe, okay?”, wies sein Freund ihn ab und machte sich daran, seine sieben Sachen, die er wieder mit nach Hause nehmen wollte, in eine Tasche zu packen. “Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht”, erklärte Kaiba, um Fassung ringend. Am liebsten hätte er seinen Lebensgefährten jetzt bei dem Schultern gepackt und durchgeschüttelt, bis er wieder zur Vernunft kam. Und das, obwohl sie doch nun schon fünf Jahre zusammen waren und sich eigentlich besser kennen sollten. Doch Atemu blieb nach wie vor ein Rätsel. “Hey, tut mir leid, Schatz. Ich wollte nicht so schroff sein”, kam dieser nun auf ihn zu und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange, als er bemerkte, was er mit seinen gedankenlosen Worten angerichtet hatte. “Ich bin einfach fürchterlich gereizt durch den ganzen Stress und möchte nur noch in mein Bett.” Kaiba nickte geschlagen. “Schon gut. Aber morgen früh gehen wir gleich zu einem Arzt und danach lassen wir ein Phantombild erstellen, versprochen?”, guckte er ihn aus seinen blauen Augen so erwartungsvoll an, dass Atemu schmunzeln musste. “Okay, versprochen”, erwiderte er, tat noch ein paar Handgriffe im Laden, bis beide rausgingen und er abschloss. Kapitel 6: Märchenstunde ------------------------ Am nächsten Morgen wollte Kaiba dafür sorgen, dass Atemu sein Versprechen wahr machte und einen Arzt besuchte sowie ein Phantombild erstellen ließ. Doch leider war der kleine Schlingel “zufälligerweise” gerade heute sogar schon vor ihm aus dem Bett gefallen und hatte sich aus dem Staub gemacht, bevor er ihn aufhalten konnte. Was war nur mit seinem Freund los? An sein Handy ging er auch nicht, langsam machte sich Kaiba doch Sorgen um ihre Beziehung. Wollte Atemu ihn etwa aus seinem Leben ausschließen? Auf dem Polizeirevier angekommen, stürzte sich Kaiba erstmal in seine Arbeit und vergaß zunächst seine Sorgen. Er hatte sich fest vorgenommen, derjenige zu sein, der dem Auftragskiller Violette auf die Schliche kommen würde. Deshalb recherchierte er alles über die alten Mordfälle und verglich sie mit dem aktuellen. Dabei wurde sein Verdacht, dass der Mord an Frau Yokida nicht von Violette ausgeführt worden war, bestärkt. Denn es war nicht nur Tatsache, dass Violette bei diesem Fall zum ersten Mal eine andere Lilienart hinterlassen hatte, die stutzig machte. Es wäre auch das erste Mal, dass der Auftragskiller eine Frau tötete. Bei den bisherigen Ermittlungen war man zwar davon ausgegangen, dass das nur daran läge, dass oft Männer das Ziel von Auftragsmorden waren und Violette bisher nur noch keinen Auftrag erhalten hatte, eine Frau zu töten, doch Kaiba zweifelte daran. Er glaubte eher, dass der Killer vielleicht aus Prinzip keine Frauen tötete, weshalb auch immer. Denn es war einfach zu auffällig - bei den vielen Morden, die er damals begangen hatte, dass dies ausschließlich Männer gewesen waren. Kaibas Kollegin, Kawasaki, wertete derweil die Spuren aus, die man bisher gefunden hatte. Jonouchi war währenddessen zusammen mit Yamamoto losgezogen, um weitere Verwandte und Bekannte der Opfer zu befragen. “Das Labor hat eben angerufen”, holte Kawasaki Kaiba plötzlich aus seiner Versunkenheit über den Akten. “Man hat herausgefunden, dass Karoline Yokida durch Zyankali vergiftet wurde. Die Quelle fand man dabei auf ihrem Kamm, den sie kurz zuvor benutzt haben muss und im Wachbecken.” “Auf ihrem Kamm?”, wiederholte Kaiba überrascht. Er hätte doch eher vermutet, dass das Gift im Tee gewesen wäre, oder in dem angebissenen Apfel. Kämme und Äpfel, das hörte sich ja eher nach Schneewittchen an. “Ja, seltsam nicht wahr? Ich kann mir nur vorstellen, dass der Täter keine andere Möglichkeit hatte, das Gift zu verabreichen. Wahrscheinlich dachte Frau Yokida, dass ihr Kamm bloß ins Wasser im Waschbecken gefallen sei, während sie in Wirklichkeit die Cyanidlösung anfasste und so das Gift durch die Haut eindrang.” “Hm, also noch ein Punkt, der meine Theorie, dass nicht Violette hinter dem zweiten Mord steckt, bestätigt. Denn bisher hat er sich immer als absoluter Profi erwiesen. Er hätte doch sicher eine bessere Möglichkeit gefunden, das Gift zu verabreichen. Mal ganz abgesehen davon, dass er bisher noch nie mit Gift gearbeitet hat.” “Hey, du wirst doch wohl nicht zum Fan dieses Auftragskillers mutieren”, scherzte Kawasaki. “Nein, natürlich nicht. Ich bewundere lediglich sein Talent”, versicherte Kaiba. “Sein Talent zu töten?”, zog Kawasaki vorwurfsvoll eine Augenbraue hoch. “Jedenfalls, wenn deine Theorie stimmt, dann bedeutet das, dass der Auftraggeber diesmal selbst Hand angelegt hat. Entweder er konnte nicht das Geld für einen zweiten Mord aufbringen, oder Violette hat aus irgendeinem noch unbekannten Grund abgelehnt.” Kaiba sagte daraufhin nichts, denn seine Theorie, dass Violette keine Frauen tötete, war jetzt, wo er noch mal genau darüber nachdachte, vielleicht doch ein wenig zu weit hergeholt. Stattdessen holte er sein Handy hervor und versuchte noch einmal, Atemu zu erreichen. Wieder ging sein Freund nicht ans Telefon. Was war nur mit ihm los? Es ging bereits auf Mittag zu und Kawasaki begann sich schon Sorgen zu machen, weil Frau Kyoko Yokida nicht zum abgesprochenen Termin auftauchte. Sie war gerade am Überlegen, ob sie nicht anrufen sollte, als die junge Frau plötzlich zur Tür hereingestürmt kam. Ihr Haar machte den Eindruck, als sei sie in einen Wirbelsturm geraten, ihr Gesicht war ganz bleich und die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen. “Oh, Frau Kawasaki, da sind Sie ja. Sie müssen mir helfen!”, rief sie ganz aufgebracht, als wäre sie keineswegs sicher gewesen, die Polizistin hier zu treffen und klammerte sich an ihre schwarze Handtasche, als würde diese sie festhalten und nicht umgekehrt. “Was ist denn los? Beruhigen Sie sich doch!”, kam Kawasaki ihr entgegen. “Setzen Sie sich erstmal, hier”, forderte sie die junge Frau auf und geleitete sie zu dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch. “Was ist passiert?” “Das hier, das hab ich gefunden”, sprach Frau Yokida ganz überhastet und versuchte mit zitternden Fingern ihre Handtasche zu öffnen. Schließlich schaffe sie es und holte ein braunes Fläschchen hervor, welches sie der Polizistin reichte. “Hm, Zyankali”, stellte Kawasaki mit einem kritischen Blick fest. “Ich hab es bei meinem Freund gefunden”, erklärte Frau Yokida ganz entsetzt. “Ihre Mutter wurde tatsächlich mit Zyankali vergiftet”, erklärte die Polizistin. “Oh, mein Gott, dann war er es tatsächlich, der meinen Eltern das angetan hat”, schrie Frau Yokida hysterisch. “Das hätte ich niemals von ihm gedacht”, umklammerte sie ihre Handtasche, wie ein Ertrinkender ein Stück Holz. “Ganz ruhig, es wird alles wieder gut”, versuchte Kawasaki, die Frau zu trösten. “Kaiba, kannst du bitte mal einen Tee für Frau Yokida holen?” “Ja, klar”, brummte der junge Polizist. Eigentlich war es ihm gar nicht recht, derart in seinen Nachforschungen gestört zu werden. Aber als Jüngster auf dem Revier war man nun mal dazu verdammt, den Tee- und Kaffeeholer zu spielen. “So und jetzt erzählen Sie mir mal alles von Anfang an”, forderte Kawasaki die Tochter der Yokidas auf. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt und ein paar Schlucke von dem heißen, süßen Tee genommen hatte, begann sie zu erzählen. “Also, das war so: als ich heute Morgen den Müll rausgebracht habe, war da so ein streunender Hund, der die Mülltonne umgeworfen hatte. Er hat sich die Essensreste rausgesucht. Ich hab versucht, ihn zu verscheuchen und als ich es endlich geschafft hatte, begann ich den Müll wieder in die Tonne zu werfen. Dabei ist mir dieses Fläschchen aufgefallen. Danach bin ich auch gleich hierher gekommen. Ich konnte nicht glauben, dass es Hikari sein sollte, der meine Eltern umgebracht hat, aber diese Mülltonne wird nur von uns beiden benutzt.” Als wenig später Hikari Kobayashi, der Freund von Kyoko Yokida, festgenommen wurde, behauptete er natürlich seinerseits, dass Kyoko selbst ihre Eltern hatte loswerden wollen und nur zur Polizei gegangen sei, um von sich selbst abzulenken. Doch bei den späteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass Kobayashi es tatsächlich selbst gewesen war, der bei dem zweiten Mord Hand angelegt hatte, wobei er insgesamt ziemlich stümperhaft vorgegangen war, so dass es der Polizei nicht schwer fiel, weitere Spuren zu sichern und ihm den Mord nachzuweisen. Offenbar war er auf das Geld der Eltern seiner Freundin aus gewesen, die sehr reich gewesen waren. Er hatte sich wohl erhofft, sie zuerst zu heiraten und sich später von ihr zu trennen, um an das Geld zu kommen. Was den ersten Mord an Tama Yokida betraf, so gab er zu, dass er dafür Violette beauftragt habe, der sich später aber aus einem ihm unbekannten Grund geweigert hatte auch Karoline Yokida umzubringen. Auf die Frage, wie er denn mit Violette in Kontakt gekommen sei, antwortete er, dass er auf eine auffällige Zeitungsannonce aufmerksam geworden war, in der der Auftragskiller indirekt seine Dienste angeboten habe. Natürlich war die Annonce so umschrieben, dass man das nicht auf den ersten Blick erkennen konnte, sonst hätte die Zeitung diese wohl kaum geschaltet. Doch Kobayashi hatte einfach gehofft, dass er mit seiner Interpretation der Anzeige richtig lag und Erfolg gehabt. Nachdem er Violette telefonisch den Auftrag übermittelt hatte, wobei die Stimme des Killers verstellt gewesen war und ihm das Geld dafür überwiesen hatte, hatte er Violette den Schlüssel zu Tama Yokidas Haus übergeben, ihn dabei aber nicht getroffen, sondern einfach vor dem Haus unter der Fußmatte hinterlassen. Eigentlich konnte Kobayashi nicht mal sagen, ob Violette jetzt ein Mann oder eine Frau gewesen war. Auf diese Aussage hin wurden sämtliche Zeitungen nach weiteren Anzeigen Violettes durchsucht und tatsächlich fand man ein entsprechendes Inserat. Der Text der Anzeige war wirklich ziemlich unauffällig, wenn man nicht sehr viel hineininterpretierte. Noch am auffälligsten war die dabei zur Zierde abgedruckte Lilie in einer Ecke. Also nahmen sie Kontakt auf. Leider war Violette nicht so dumm und meldete sich aus einer öffentlichen Telefonzelle, so dass sie ihm selbst bei Zurückverfolgung des Telefonats nicht auf die Schliche kommen konnten. Kaiba hatte Kawasaki überzeugen können, den Anruf anzunehmen. Doch er hatte gerade mal drei Worte gesprochen, als Violette auch schon auflegte. Dabei konnte er sich doch mit diesen wenigen Worten noch gar nicht verraten haben. Das versicherten ihm auch seine Kollegen, die mitgehört hatten. Doch was hatte den Auftragskiller veranlasst, sofort aufzulegen? Und hatte es sich tatsächlich um Violette gehandelt? Dieses kurze Telefonat mit dem Auftragskiller wollte Kaiba für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Kopf gehen. Es musste doch einen Grund gegeben haben, warum Violette gleich wieder aufgelegt hatte. An Kaiba konnte es nicht gelegen haben, also war er vermutlich irgendwie gestört worden. Aber dann hätte er sich später noch mal gemeldet. Vielleicht rief er ja morgen noch mal an? Doch das hielt der junge Polizist irgendwie für unwahrscheinlich. Als er schließlich zu Hause ankam, richteten sich seine Gedanken jedoch wieder auf seinen Lebensgefährten Atemu. Denn dieser weigerte sich seit einer Woche, einen Arzt aufzusuchen und ein Phantombild von dem Mann, der ihn überfallen hatte, erstellen zu lassen. Außerdem ging er Kaiba ständig aus dem Weg. Langsam begann er sich wirklich Sorgen um ihre Beziehung zu machen. Es war noch nie vorgekommen, dass ihm sein Lebensgefährte so wenig anvertraute. Als er ihr gemeinsames Haus betrat, stellte er fest, dass sein Freund Besuch von Ryuchi Otogi hatte und fühlte wieder die längst vergessen geglaubte Eifersucht in sich auflodern. Eigentlich hatte er geglaubt, diese überwunden zu haben, doch nun, da Atemu Ryuchi offenbar mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm, war sie plötzlich wieder voll da. Er versuchte, dass Gefühl zu unterdrücken und sagte sich, dass zwischen den beiden mit Sicherheit nichts lief, doch das war gar nicht so einfach. “Guten Abend”, schreckte Seto die beiden aus ihrer Zweisamkeit, wobei er sich sehr beherrschen musste, Ryuchi nicht einen vernichtenden Blick zu schenken. “Oh, hallo, Seto”, sprang Atemu auf und begrüßte ihn unerwartet überschwänglich, wenn man daran dachte, wie er sich seit dem Vorfall vor einer Woche im seinem Spieleladen verhalten hatte. “Hallo Kaiba”, grüßte auch Otogi. “Na, dann will ich euch zwei Turteltäubchen mal nicht stören. Ich wollte sowieso gerade los”, verkündete er. “Und Atemu…ich werde schon dafür sorgen, dass meinem Onkel hören und sehen vergeht”, versprach er mit einem wütenden Funkeln in den Augen. So rauschte er davon und Kaiba fühlte sich, als wäre er der letzte, der in diesem Haus etwas mitkriegte. Er wollte schon nachfragen, wovon Otogi gesprochen hatte, als er durch seinen Freund abgelenkt wurde, der ihn gerade an einer besonders empfindlichen Stelle hinter dem Ohr küsste. “Uh, Atemu”, machte Kaiba und schloss ihn in seine Arme. “Warum auf einmal so anschmiegsam, mein Kätzchen?” “Ich hab dich doch in letzter Zeit vernachlässigt und das tut mir sooo leid”, betonte Atemu. “Ich erzähl dir alles, aber erstmal…”, mit diesen Worten dirigierte er seinen Freund Richtung Couch, wo er ihn am Kragen packte und mit sich hinunter zog. Kaiba ließ sich bei so etwas nicht zweimal bitten und die beiden versanken in einem leidenschaftlichen Kuss. Er bekam kaum mehr Luft, als sich Atemu schließlich von ihm löste, unter ihm hervorschlüpfte und sich auf ihn setzte. “Hab dich!”, neckte er und begann Kaibas Hemd aufzuknöpfen. “Hey, du bist ja ganz schön stürmisch heute”, stellte der junge Polizist fest. Aber genau genommen, war Atemu das schon immer gewesen. Man sah es ihm nicht an, da er so klein und zierlich war und oberflächlich betrachtet ein ruhiger Charakter, der nicht so sehr aus sich herausging. Doch wenn man ihn mal näher kannte, dann stellte man schnell fest, dass er auch ziemlich lebhaft sein konnte und sehr durchsetzungsfähig war. So durchsetzungsfähig, dass er sogar Kaiba damals damit überrumpelt hatte, um genau zu sein. “Wo bist du denn mit deinen Gedanken, Schätzchen?”, wollte Atemu wissen, woraufhin sein Lebensgefährte feststellte, dass der kleine Schlingel ihm schon das Hemd über die Schultern gestreift hatte. “Das ist nicht so wichtig, dafür weiß ich aber genau, wo du gerade mit deinen Gedanken bist”, neckte Seto zurück. “Ach ja?”, zweifelte Atemu. “Dann hast du auch sicher gewusst, dass ich das hier vorhabe.” Mit diesen Worten stürzte er sich auf seinen Freund und begann ihm den Bauch zu kitzeln. “Hey, Atemu, was soll das? Du weißt doch, dass ich furchtbar kitzlig bin”, beschwerte sich Seto und hielt sich lachend den Bauch, versuchte dabei die piesackenden Finger von sich zu schieben. Überrascht hielt er inne, als sich die Hände tatsächlich zurückzogen, nur im nächsten Augenblick einen überraschten Laut von sich zu geben, als Atemu ihm die Hose vom Hintern zog. “Hey, das war unfair”, beschwerte sich Seto, obwohl er eigentlich keinen Grund hatte, sich zu beklagen. “Wieso, du wusstest doch, was ich denke, oder?”, spöttelte Atemu und streichelte über die nackten Innenseiten seiner Oberschenkel. Augenblicklich verging Seto jegliche Lust auf eine Diskussion. Er stöhnte leise und ließ sich auf das Kissen hinter sich zurücksinken. Wenn Atemu ihn anfasste, wurde er immer schwach, allerdings sah er darin keinen Grund, sich zu beklagen. Nur hinterher wunderte er sich dann immer, wie sein Freund es geschafft hatte, ihn wieder mal zu überrumpeln, obwohl Seto doch eigentlich etwas ganz anderes vorgehabt hatte. So auch jetzt: Sie waren irgendwann im Bett gelandet und als Seto am nächsten Morgen aufwachte, hatte er kein Stück davon erfahren, was Atemu die ganze Woche vor ihm verheimlicht hatte. Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen, oder ihm böse sein sollte. Doch worüber er sich definitiv ärgerte, war die Tatsache, dass er am gestrigen Abend nichts von dem geschafft hatte, was er sich vorgenommen hatte. Und nun war er Atemu dankbar, dass der wenigstens den Wecker für ihn gestellt hatte. Jedenfalls war der mal wieder früher verschwunden als üblich und Seto musste alleine aufstehen - was gar nicht so einfach war, wie er feststellte, als er fluchend aus dem Bett stieg. Es schien, als habe es Atemu darauf angelegt, ihn im wahrsten Sinne des Wortes flachzulegen und zwar nicht nur für den gestrigen Abend. Trotzdem musste er zur Arbeit, da half alles nichts. Missmutig stapfte er in die Küche, machte sich einen Kaffee und spülte zwei Aspirin hinunter. Überraschenderweise fand er einen Zettel neben einem Frühstückstablett, auf dem “Iss was, Schatz”, stand. Normalerweise brachte Atemu ihm so gut wie nie Frühstück vom Bäcker mit, schon gar nicht unter der Woche. Das kam höchstens ein oder zwei Mal im Jahr vor. Wahrscheinlich wollte sich sein Lebensgefährte auf die Art dafür entschuldigen, dass er ihn am gestrigen Abend so hart rangenommen hatte. Seto lächelte, während er in ein Brötchen biss und den Schmerz schneller vergaß, als das Aspirin wirken konnte. Doch irgendwie hatte er gar keinen richtigen Hunger und aß nur die Hälfte. Eigentlich sollte er auf seinen Freund sauer sein, überlegte er. So wie der ihn Schachmatt gesetzt hatte. Seto wollte endlich wissen, was es mit diesem Überfall im Spieleladen auf sich hatte. Überraschenderweise ging Atemu diesmal ans Telefon. “Guten Morgen, Schatz, gut ausgeschlafen?”, lächelte er in den Hörer, dass man es auf der anderen Seite hören konnte. “Nicht wirklich”, gab Seto zu. “Du weißt ja, früh aufstehen ist nicht mein Ding. Ich muss jetzt los, aber ich wollte vorher noch mal hören, ob bei dir alles in Ordnung ist.” “Bei mir?”, wiederholte Atemu überrascht. So besorgt, dass Seto ihn schon so früh an der Arbeit anrief, war er normalerweise nicht. “Klar, bei mir ist alles bestens. Tut mir leid, dass ich die letzte Woche so abweisend zu dir war. Ich werde dir heute Abend alles erzählen”, versprach er. “Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich hab alles wieder im Griff. Hat dir das Frühstück geschmeckt?” “Ja, danke. Das ist ja mal ein ganz neuer Service. Das könnten wir öfter machen.” Atemu war sich nicht sicher, ob Seto noch vom Frühstück sprach und meinte deshalb mit dunkler Stimme: “Aber gerne, mein Schatz. Ich liebe dich und freu mich schon auf heute Abend. Da haben wir die ganze Nacht nur für uns”, meinte er, denn heute war Freitag. Seto lief beim Klang dieser Stimme eine Gänsehaut über den Rücken und er fragte sich, wie sein Freund es immer anstellte, so sexy zu klingen, wenn er das wollte. “Ja, ich freue mich schon darauf”, erwiderte er. “Mach’ s gut.” Kapitel 7: Die Tür zum Himmel ----------------------------- So, da dieses Kapitel so kurz ist und ich außerdem bis zum Einsendeschluss des Wettbewerbs mit hochladen fertig sein muss, werde ich morgen noch ein Kapitel hochladen. Wer möchte, kann auch gerne mal bei der Gemeinschafts-FF von HerzAs und mir vorbeischauen, die jetzt fast abgeschlossen ist. Sie heißt "Contagious" und es geht auch um Yami und Seto^^. Also dann, man liest sich *hoff*. Seto Kaiba stellte fest, dass es nach dem vorangegangenen Abend gar nicht so leicht war, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Vor allem, da er sich ständig fragte, was Atemu ihm wohl erzählen würde. An diesem Morgen gab es einen neuen großen Fall zu lösen, denn die Polizei hatte vor, einem Drogenboss endlich das Handwerk zu legen. Mithilfe eines Informanten war man ihm auf die Schliche gekommen und nun gedachte man, ihn bei einem vorgetäuschten Deal auf frischer Tat zu überführen. Die Übergabe sollte Jonouchi machen, was Kaiba ganz passend fand, da der blonde, junge Mann noch am ehesten als Junkie durchging. Für diese Bemerkung bekam er von Jonouchi beinahe eine Kopfnuss, hätte er sich nicht so schnell in Sicherheit gebracht. Der Deal sollte am Montagabend im Keller eines Spielkasinos stattfinden. Über den Vorbereitungen wurden sogar kurzzeitig die Nachforschungen über Violette auf Eis gelegt, was sich im Nachhinein allerdings als Fehler herausstellen sollte… Das Wochenende kam, doch Kaiba glaubte nicht, sich an den zwei Tagen erholen zu können, da seine Gedanken die ganze Zeit beim folgenden Montag waren. Als er nach Feierabend zu Hause ankam, musste er feststellen, dass Atemu diesmal Besuch von ihren Nachbarn, Anzu und Kevin Page hatte. Dabei hatte er gehofft, mit ihm alleine zu sein. “Hallo Kaiba”, grüßte ihn Anzu, die er bereits seit Schulzeiten kannte, mit einem freundlichen Lächeln. Vor zwei Jahren hatte sie den Amerikaner Kevin Page geheiratet, den sie bei ihrem Tanzstudium in den USA kennen gelernt hatte. Und wie es der Zufall wollte, hatten die Besitzer des Nachbarhauses dieses gerade zum Verkauf angeboten und nachdem Atemu den beiden davon erzählt hatte, waren sie auch sofort neben ihnen eingezogen. Gemeinsam saßen die vier nun am Esstisch, nachdem sie sich aufgrund Atemus mangelnder Kochkünste etwas beim Chinesen bestellt hatten. “Und, was macht die Arbeit Kaiba? Seid ihr Violette auf der Spur?”, erkundigte sich Anzu, die das ganz spannend zu finden schien. Kaiba hustete und hätte sich beinahe am Essen verschluckt. Vorwurfsvoll funkelte er Atemu an. “Ups!”, machte der und erklärte: “Tut mir leid Seto, ich habe gar nicht daran gedacht, dass das niemand erfahren soll”, blickte er seinen Lebensgefährten entschuldigend an. “Wir verraten auch nichts, Ehrenwort!”, schwor Anzu. “Nicht wahr, Kevin?” “Klar, aber nur, wenn du uns alles erzählst”, lachte der. Kaiba warf ihm einen bösen Blick zu. “Hey, das war doch nur ein Scherz. Du brauchst uns nichts zu erzählen, wir verstehen das”, hob Kevin beschwichtigend die Hände. “Klar”, fügte Anzu hinzu, sah aber enttäuscht aus. Damit war das Thema gegessen. Bei den folgenden Gesprächen hielt sich Kaiba heraus und warf nur gelegentlich ein Wort ein. Er war einfach nicht der gesellschaftliche Typ. Ihm reichte es vollkommen aus, Atemu bei sich zu haben und gelegentlich seinen kleinen Bruder Mokuba zu treffen, der vor ein paar Monaten achtzehn geworden war und sich eine eigene kleine Wohnung in der Nähe gesucht hatte. Es nervte ihn eher, dass sein Lebensgefährte dauernd irgendwelche Freunde und Nachbarn anschleppte, wozu leider auch sein Kollege Jonouchi zählte, der wenigstens heute zum Glück nicht mit von der Partie war. Später am Abend, als Anzu und Kevin endlich - Seto war darüber sehr froh - gegangen waren, setzten er und sein Lebensgefährte sich noch gemeinsam auf den Balkon und betrachteten die Sterne. “Wunderschön, nicht wahr?”, stellte Atemu fest, während er mit sehnsüchtigem Blick nach oben schaute, als wolle er selbst dort zwischen den Sternen sein. Irgendwie wirkte er plötzlich so verloren, als wäre all die Fröhlichkeit, die er eben noch in Gesellschaft von Anzu und Kevin an den Tag gelegt hatte, nur Fassade gewesen. Seto fragte sich, ob er seinen Geliebten jemals durchschauen würde. Wer war der wirkliche Atemu? Derjenige, der immer so fröhlich und unbeschwert war und sich liebevoll in seine Arme schmiegte, oder derjenige, der so verloren und einsam wirkte und niemanden in sein Inneres hineinblicken ließ, selbst seinen Lebensgefährten von sich wies? Seto verspürte plötzlich den Drang, Atemu festzuhalten, damit er ihm nicht entkommen konnte, damit er nicht vielleicht doch irgendwie zwischen den Sternen entschwand und verloren ging. “Atemu, ich liebe dich.” Schmerz klang in Setos Stimme mit, weil er plötzlich Angst hatte, seinen Geliebten nicht immer bei sich halten zu können. Erleichtert bemerkte er, wie dieser sich in seine Arme schmiegte und ihm über die Brust streichelte. “Seto, ich liebe dich auch”, blickte er aus seinen violett schimmernden Augen zu ihm auf und küsste ihn sanft auf die Lippen. “Weißt du wie das ist, wenn man plötzlich die Tür zum Himmel sieht und sie doch niemals erreichen kann? Es ist noch tausendmal schlimmer, als hätte man sie niemals erblickt.” “Wovon sprichst du, Atemu?”, nahm Kaiba das Gesicht seines Geliebten zwischen die Hände. “Ach, ich weiß es selbst nicht. Ich habe nur manchmal das Gefühl, als würde uns irgendetwas trennen und das macht mich so traurig. Ich will für immer bei dir bleiben”, erklärte Atemu und hielt sich an ihm fest. Seto war gerührt und erklärte: “Du irrst dich, nichts kann uns trennen. Das einzige, was das könnte, wären wir selbst. Aber da wir beide zusammen bleiben wollen, brauchst du keine Angst zu haben.” Seltsam, dachte Kaiba. Ich habe es ihm angesehen, diese Furcht, verloren zu gehen und selbst Angst bekommen. Vielleicht kenne ich ihn doch besser, als ich manchmal glaube. “Hm, du hast wohl Recht”, stimmte Atemu zu. “Es tut mir übrigens leid, dass ich dir die ganze Zeit nichts Genaues über den Überfall im Laden erzählt habe. Doch ich konnte einfach nicht darüber reden. Ich musste mir erstmal darüber klar werden, was zu tun ist.” “Und jetzt ist es dir klar?”, streichelte ihm Seto durchs Haar. “Ja.” Nach einer kurzen Pause erklärte Atemu: “Also, um die Wahrheit zu sagen, war es Ryuchis Onkel, der mich bedroht hat. Ich weiß selbst nicht mehr, wie ich es geschafft habe, ihn rauszuschmeißen, denn er hatte ein Messer dabei. Jedenfalls konnte ich dir das doch nicht einfach so sagen, bevor ich es Ryuchi erzählt hatte. Schließlich ist er mein Freund und ich wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er das über seinen Onkel erfährt. Doch wie sich gestern herausgestellt hat, kannte er seinen Onkel offenbar besser, als ich dachte. Er hat mir gleich geglaubt und wollte ihm mal gehörig die Ohren lang ziehen”, lächelte Atemu. “Das ist gut. Und wenn er damit fertig ist, bin ich dran um es noch mal richtig zu machen.” Kaibas Stimme bebte vor Wut. “Siehst du, genau das wollte ich vermeiden. Dabei bist du Polizist und solltest eigentlich am besten wissen, dass man keine Selbstjustiz übt.” “Aber wenn Ryuchi das tut, findest du es in Ordnung?”, empörte sich Kaiba. “Schließlich ist es sein Onkel”, meinte Atemu schlicht. “Außerdem will ich nicht, dass du wegen Körperverletzung ins Gefängnis kommst und deinen Job verlierst.” “Na gut”, gab sein Geliebter fürs erste nach. “Und du willst wirklich keine Anzeige erstatten? Ich meine, der Kerl ist einfach zu weit gegangen, ob es sich um Ryuchis Onkel handelt oder nicht, er hat eine Strafe verdient. Und außerdem muss man doch verhindern, dass er das noch mal probiert. Wer weiß, was hätte passieren können, wenn er dich überwältigt hätte.” “Hat er aber nicht”, stellte Atemu fest und gab sich dabei sicherer, als er war. In Wirklichkeit fragte er sich nämlich selbst noch, wie er es überhaupt geschafft hatte, sich aus dieser Situation zu befreien. Er konnte sich immer noch nicht daran erinnern. Und da er keine Lust darauf hatte, dass Seto ihn deswegen weiter löcherte, schmiegte er sich kurzerhand an ihn und küsste ihn sanft, zuerst auf den Hals und immer weiter nach oben. Sein Freund seufzte daraufhin zufrieden auf. Schließlich fragte Atemu: “Und, wie läuft es denn so bei deiner Arbeit?”, woraufhin Seto von der geplanten Überführung des berüchtigten Drogenbosses zu erzählen begann. Eigentlich dürfte er das zwar nicht, doch seinem Geliebten vertraute er da voll und ganz, dass er nichts erzählen würde. Obwohl, wenn man bedachte, dass er die Sache mit Violette schon gegenüber ihren Nachbarn ausgeplaudert hatte… Atemu war eben manchmal ein Schwätzer, aber tat dies keineswegs in böswilliger Absicht. Deshalb erinnerte Seto ihn lieber noch mal vorsorglich daran, niemandem etwas zu erzählen. Kapitel 8: Kugelige Überraschung -------------------------------- Am folgenden Montagabend wurde wie geplant der vorgetäuschte Drogendeal durchgeführt, wobei Jonouchi den aktiven Part übernahm, während seine Kollegen im Hintergrund Stellung bezogen, um im richtigen Moment eingreifen zu können. Über einen Informanten hatten sie erfahren, dass dieses Mal der Boss der Drogenbande persönlich anwesend sein würde. Der Deal fand im Keller eines Spielkasinos statt. Seto Kaiba stand in Zivilkleidung am Hinterausgang des Kellers Wache und hoffte, dass niemand hier vorbeikommen würde. Sollte doch jemand auf den Gedanken kommen, diese Tür zu benutzen, würde er einfach so tun, als sei er ein Gast des Spielkasinos, der sich auf der Suche nach der Toilette verlaufen hatte. Aber wahrscheinlich würde die Sache sowieso so schnell vorbei sein, dass er sich darüber keine Sorgen mehr machen musste. Der junge Polizist widerstand der Versuchung, die Tür einen Spalt zu öffnen und durchzugucken, denn damit hätte er sich nur verraten, falls gerade jemand zur Tür schaute. Er würde über sein Funkgerät schon rechtzeitig Bescheid bekommen, wann es an der Zeit war, hineinzugehen und die Dealer in Gewahrsam zu nehmen, und zwar dann, wenn Jonouchi sein Kodewort fallen ließ. Kaiba wartete… und wartete und wartete. Wieso dauerte das so lange? Das konnte doch nicht mehr normal sein. Vielleicht sollte er doch mal vorsichtig durch die Tür linsen? Er war gerade noch am zweifeln, als plötzlich hinter ihm eine Stimme und ein Klacken ertönte: “So, jetzt nimm mal schön die Hände hoch und dreh dich ganz langsam um!”, wurde er aufgefordert. Seto biss sich auf die Zunge, da war ja etwas ganz miserabel schief gegangen, wurde ihm klar. Er wandte sich um und blickte in den Lauf einer Pistole. Der Mann vor ihm kam nun auf ihn zu, klopfte seinen Körper ab und fand seine Waffe unter dem Jackett. “Ihr Bullen seid doch so dumm”, bemerkte der Fremde. “Und jetzt sag Lebewohl.” Der Mann hob die Waffe und zielte auf Setos Kopf. Jener schluckte krampfhaft. Sollte das schon sein Ende sein? Das konnte doch nicht sein, immerhin war er erst 23 Jahre alt und hatte noch praktisch sein ganzes Leben vor sich. Normalerweise war er kein ängstlicher Mensch, doch jetzt zitterte er, da er wusste, dass ihm hier niemand mehr heraushelfen konnte, wenn nicht ein Wunder geschah. Kaiba zuckte zusammen und kniff die Augen zu, als ein dumpfer, kaum hörbarer, Schuss erklang. Im nächsten Moment öffnete er verwirrt die Augen, denn er begriff, dass er nicht verletzt war und starrte erstaunt auf den am Boden liegenden Mann, der ihn eben noch erschießen wollte und den es jetzt offensichtlich selbst erwischt hatte. Der junge Polizist blickte auf und entdeckte weiter vorne auf dem Gang die Gestalt eines zierlichen Mannes in einem pechschwarzen Anzug und ebenso schwarzer Sturmmaske, der nun mit gehobener Pistole auf ihn zukam. Was ging hier vor? Bekriegten sich hier zwei unterschiedliche Verbrecherbanden? Wenn ja, dann hatte Kaiba gerade erleichtert aufgeatmet, nur um von dem nächsten erschossen zu werden. Es sein denn, dieser wäre nicht besonders schlau und wusste nicht, dass er Polizist war, dann könnte er ihn vielleicht überzeugen, lediglich ein Gast zu sein, der sich verlaufen hatte. Doch die dunkle Gestalt kümmerte sich zu seinem Erstaunen nicht weiter um ihn und drängte sich einfach an ihm vorbei, sorgte lediglich dafür, dass er ihn nicht behinderte. Dabei ließ er eine Kugel fallen, ehe er durch die Hintertür den Keller betrat. Kaiba dachte im ersten Moment an eine Bombe, stellte aber schnell fest, dass es sich lediglich um eine Kugel aus Holz handelte. Sich darüber zu wundern, hatte er aber keine Zeit, steckte die Kugel einfach in die Tasche und folgte seinem unbekannten Retter, der kein Wort an ihn verloren hatte. Im nächsten Moment hielt er hustend den Ärmel vor sein Gesicht, offensichtlich hatte jemand eine Rauchbombe fallen lassen. Sehen konnte er gar nichts. Doch dafür umso mehr hören, denn es war ein ganz schönes Gerangel im Gange. Jemand fluchte, andere riefen Befehle durcheinander oder stießen gegeneinander oder gegen irgendwelche Möbel. In diesem Moment hörte er durch den Funkempfänger Jonouchi das Kodewort sprechen. Wenigstens würde jetzt die Verstärkung den Keller stürmen. Das alles war ja in einem Desaster geendet. Doch warum? Aber für Fragen war jetzt keine Zeit. Als sich der Rauch nach scheinbar etlichen Minuten endlich ein wenig gelichtet hatte, sah Kaiba jemanden am Boden liegen, einige andere Personen standen um ihn herum und keiner schien zu wissen, was los war. Auch Jonouchi stand verwirrt am Rande. Plötzlich rempelte ihn jemand von der Seite an, den er zuvor gar nicht gesehen hatte und stürmte auf den Hinterausgang zu. Kaiba verfluchte sich innerlich, seine Pflicht in dem Getümmel vergessen zu haben, und folgte dem Flüchtling. Er rannte die Treppe hoch, kam an zwei auf dem Boden liegenden Kollegen vorbei und riss die Notausgangstür im Erdgeschoss auf. Leider konnte er nur noch einen schwarzen Schemen flüchten sehen. Als Kaiba wieder im Keller ankam, war die ganze Sache schon vorbei. Die Kollegen hatten die Dealer gestellt und waren dabei, sie in Handschellen zu legen. Nur eine Gestalt rührte sich immer noch nicht und blieb weiterhin am Boden liegen. Es handelte sich um den Boss der Drogenbande, wie Kaiba bei näherem Hinsehen feststellte. “Er ist tot”, verkündete sein Kollege Yamamoto, nachdem er den Puls gefühlt hatte. Jetzt entdeckte Kaiba auch das Blut am Körper des Mannes und die Einschussstelle in der Brust. Was war hier nur geschehen? Wie hatte diese gut vorbereitete Aktion in einem solchen Desaster enden können? “Was genau ist passiert?”, fragte Kaiba. “Das müssten Sie doch eigentlich am besten wissen. Schließlich kam der Typ zur Hintertür herein, die Sie bewachen sollten”, blickte Yamamoto ihn vorwurfsvoll an. Kaiba warf ihm einen finsteren Blick zu und erklärte, wie der Schwarzgekleidete hereingekommen war. “Trotzdem, auch wenn man offensichtlich über unsere Aktion Bescheid wusste - woher, werden wir noch klären müssen - hätten Sie besser aufpassen müssen, dann wäre das erst gar nicht passiert. Das wird noch Konsequenzen für Sie haben.” “Yamamoto! Bevor Sie hier irgendjemandem Vorwürfe machen, sollten wir hier lieber erstmal für Ordnung sorgen und danach herausfinden, wie unsere Aktion bekannt geworden ist”, warf Rika Kawasaki ein, die gerade den Raum betreten hatte. “Jawohl Chefin”, meinte der leicht angesäuert. Kaiba hatte er noch nie leiden können und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Nun, zumindest hatten sie ihr Ziel erreicht, den Drogenboss und einen Teil seiner Bande zu überführen, wenn auch etwas anders, als erwartet, dachte Kaiba. Plötzlich erinnerte er sich der Holzkugel in seiner Tasche und zog sie hervor. Sie war ungefähr so groß wie eine Faust und besaß in der Mitte einen Schlitz wo man sie wahrscheinlich öffnen konnte. Er war aber nicht so dumm, das ohne vorherige Untersuchung zu tun, denn auch wenn es sich nicht um eine Bombe handelte, konnte dort drin zum Beispiel Gift sein oder ein wichtiges Beweismittel. Doch warum der mysteriöse Schwarzgekleidete eine solch seltsame Kugel hinterlassen hatte, konnte Kaiba sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er zeigte die Kugel seinen Kollegen und wollte sie gerade eintüten, als er versehentlich eine Stelle berührte, die unter seinem Finger nachgab. Plötzlich öffnete sich das Teil und Kaiba erschrak sich fast zu Tode, als ihm etwas ins Gesicht sprang. Verblüfft guckte er auf eine, an einer Sprungfeder befestigte, violette Lilie. In diesem Moment, als ihm klar wurde, wer der Schwarzgekleidete offensichtlich gewesen war, lief es ihm heiß und kalt den Rücken hinunter. Einige seiner Kollegen hatten sich um ihn herum gestellt und guckten ebenfalls überrascht auf die Kugel. Als Kaiba genauer hinein blickte, entdeckte er einen kleinen, zusammengefalteten Zettel, nahm ihn heraus und öffnete ihn. “Für dich, mein süßer Polizist”, las Jonouchi verblüfft, der ihm über die Schulter gelinst hatte, die aus einer Zeitung herausgeschnittenen Buchstaben. Kaiba ballte verärgert die Hand zur Faust. “Der Typ macht sich über uns lustig. Kein Wunder, immerhin führt er die Polizei schon seit Jahren an der Nase herum”, stellte er fest. “Aber wieso bezeichnet er Polizisten als süß? Er konnte ja nicht wissen, dass du da sein würdest”, meinte Jonouchi. “Willst du damit etwa sagen, ich sei süß?”, brauste Kaiba auf und wandte sich mit drohend erhobener Faust dem blonden Kollegen zu. “Nein, wie käme ich denn dazu”, hob Jonouchi abwehrend die Hände. “Aber wenn Violette doch nicht wusste, wer seine Kugel bekommen würde, dann hat er damit ja mal alle Polizisten pauschal als süß bezeichnet, oder nicht?”, wunderte er sich. “Ach, du bist so blöd, Jonouchi”, meinte Kaiba verärgert und steckte den Zettel wieder in die Kugel. “Nein, so blöd ist das gar nicht”, wandte Kawasaki ein. “Überlegen Sie doch mal: Würde ein Auftragskiller wie Violette - gesetzt dem Fall, es handelt sich nicht um einen Nachahmungstäter - alle Polizisten als süß bezeichnen, egal, wer seine Kugel bekommt? Also bliebe nur der Schluss, dass er wusste, wer hier sein würde. Das heißt, nicht nur diese andere Bande - wahrscheinlich auch Drogendealer - waren über unsere Anwesenheit aufgeklärt, sondern auch Violette, und zwar nicht nur darüber, dass wir da sein würden, sondern auch genau, wer. Und es wurden ja schon früher Profile von Polizeipsychologen aufgestellt, wo vermutet wird, dass Violette auf Männer steht.” “Er hat mir das Leben gerettet”, stellte Kaiba nun, blass werdend, fest. “Das hätte er nicht tun brauchen. Er hätte einfach abwarten können, bis ich erschossen worden wäre und sich dann dem Bandenmitglied zuwenden können. Stattdessen hat er mich nicht mal beachtet, mal abgesehen davon, dass er mich beiseite gestoßen und mir die Kugel zugerollt hat.” “Stimmt. Warum hat er das getan? Da stellen sich interessante Fragen auf, wie zum Beispiel, ob Violette in irgendeiner Beziehung zu Ihnen steht”, stimmte Kawasaki zu. “In Beziehung zu mir? Also jetzt gehen Sie mit Ihren Vermutungen aber zu weit”, wandte Kaiba ab. “Vielleicht”, gab Kawasaki zu. “Hey”, legte Jonouchi ihm eine Hand auf die Schulter und grinste. “Vielleicht hat Violette uns ja ausspioniert. Dabei bist du ihm dann aufgefallen und er hat sich in dich verknallt.” “Quatsch nicht, du Affe”, wischte Kaiba ärgerlich die Hand von seiner Schulter. Wenn Jonouchi nicht indirekt dafür verantwortlich gewesen wäre, dass er mit Atemu zusammen gekommen war, indem er sie und einige Freunde damals mit auf einen Skiurlaub genommen hatte, wäre sicher schon ein offener Streit zwischen den beiden ausgebrochen. Und natürlich hielt sich Kaiba auch zurück, weil sie Kollegen waren. Hätte er allerdings geahnt, dass er in Zukunft den Spitznamen “Violettes Liebling” auf dem Polizeirevier bekommen würde, hätte er sich vielleicht nicht mehr so gut beherrschen können. Nachdem die Drogendealer abgeführt worden waren, fanden sich die Beamten des Polizeireviers noch zu einer abendlichen Abschlussbesprechung ein. Dabei kam man zu einem sicheren Schluss: Irgendjemand hatte ihre Aktion verraten. Ihr Informant würde es kaum gewesen sein, denn davon hätte er nichts, im Gegenteil. Also konnte der Verräter nur ein Polizist sein. Irgendjemand, der sich hatte bestechen lassen und wahrscheinlich auch in Drogengeschäfte verwickelt war. Außerdem hatte es jemand auf den Boss der Dealer abgesehen gehabt und Violette beauftragt. Dabei konnte es sich nur um eine rivalisierende Bande handeln. Doch wenn diese von der Polizeiaktion gewusst hatte, warum hatte sie nicht einfach abgewartet, dass sie festnahmen und stattdessen einen Killer beauftragt? Die Antwort konnte nur sein, dass sie aus irgendeinem Grund hatten sicherstellen wollen, dass der Boss der rivalisierenden Dealerbande nichts ausplauderte. Und zur Sicherheit hatten sie nicht nur Violette geschickt, sondern auch noch einen ihrer Leute. Doch warum hatte Violette dann jemanden, der zu seinen Aufraggebern gehörte, erschossen? Fest stand jedenfalls, dass der Verräter unter ihnen gestellt werden musste und dass ihr Informant nun unbedingt Personenschutz brauchte. Zu diesem Zweck wurden erstmal zwei Beamte von der Nachtschicht abgestellt. In den nächsten Tagen sollten dann Kaiba und Jonouchi dies übernehmen. Na toll, dachte sich Kaiba angesäuert auf diesen Auftrag hin. Wahrscheinlich hielt man ihn doch für unfähig, dass man ihn jetzt für diese dumme Arbeit einteilte. Spät in der Nacht kam Seto nach Hause und war so fertig, dass er nicht mal seinen Taschenschirm aufspannte, als es anfing zu regnen. Doch es waren auch nur ein paar Schritte vom Parkplatz bis zum Haus. Drinnen ließ er alles stehen und liegen und aß nur einen kleinen Snack, um danach einfach neben einem selig schlafenden Atemu ins Bett zu fallen. Bevor ihm die Augen zufielen, nutzte er allerdings noch die Gelegenheit, sich näher an die Wärmequelle anzukuscheln, wobei sein Freund ein leises Murren von sich gab, aber nicht aufzuwachen schien. Kapitel 9: Anonymer Spender --------------------------- Hallo, liebe Leser. Vielen Dank nochmal für eure Kommentare. Es freut mich zu erfahren, was ihr so über die Story denkt. Das nächste Kapitel lade ich dann schon wieder diesen Sonntag hoch^^. “Hmpf, Pfannkuchen, lecker! Hab schon seit Ewigkeiten keine mehr gegessen”, kommentierte Mokuba Kaiba am nächsten Abend, während er am Tisch saß, die Füße wie eine Schlange um den Stuhl gewickelt hatte und sich die Süßspeise mampfend in den Mund stopfte. “Tja, wenigstens etwas, das ich kochen, beziehungsweise, backen kann”, erwiderte Atemu etwas verlegen, ob des Lobes und legte die Küchengeräte beiseite, um sich zu Mokuba an den Tisch zu setzen. Dieser hatte sich spontan entschlossen, seinem großen Bruder und dessen Lebensgefährten einen Überraschungsbesuch abzustatten. Seto war zwar noch nicht zu Hause, würde aber bald von der Arbeit zurück sein. Die Zeit hatte Atemu genutzt, um für ihren Gast Pfannkuchen zu backen. “Aber pass bloß auf, dass du dich nicht überfrisst”, kommentierte Atemu mit einem kritischen Blick auf Mokubas Mund, worin die Pfannkuchen mitsamt Ahornsirup so schnell verschwanden, als werfe man sie in einen Höllenschlund. Mokuba schluckte krampfhaft, würgte den letzten Bissen hinunter und meinte: “Keine Sorge. Ich kann essen wie ein Scheunendrescher und mir wird nie schlecht.” “Ja, das glaube ich auch”, bemerkte plötzlich eine spöttische Stimme von hinten. “Oh, Seto! Da bist du ja endlich!”, empfing Mokuba seinen großen Bruder. “Na, das ist ja ‘ne tolle Begrüßung”, stellte der fest, nahm Mokuba aber doch in die Arme. “Das du dich auch mal wieder blicken lässt…” “Hey, das ist doch nicht meine Schuld, wenn du ständig arbeitest. Wann soll man dich denn da schon mal besuchen kommen?”, sprach Mokuba vorwurfsvoll und stemmte die Hände in die Hüften. “So viel arbeite ich nun auch wieder nicht”, protestierte Seto. “Doch tust du”, beharrte sein kleiner Bruder. “Hey, ich weiß ja, dass ihr beiden euch gerne streitet, zumindest seit du älter geworden bist, Mokuba, aber eigentlich wollte ich gerade in Ruhe und Frieden mit euch essen”, bremste Atemu die beiden Nervensägen. “Und außerdem scheinst du mich vollkommen vergessen zu haben”, stellte er fest und schaute gespielt vorwurfsvoll zu Seto hoch. Dieser seufzte ergeben, beugte sich zu seinem Freund hinunter und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. “Wow, gehorcht auf’ s Wort”, staunte Mokuba, wofür er einen bösen Blick seines Bruders kassierte. Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch und aßen das, was der Vielfraß noch übrig gelassen hatte. “Und, wie lief’ s denn so an der Arbeit?”, erkundigte sich Atemu bei Seto. Der gab erstmal nur ein Grummeln von sich und beschäftigte sich lieber mit einem Stück Pfannkuchen. Schließlich bequemte er sich zu sagen: “Tja, von den aktuell laufenden Ermittlungen krieg ich erstmal nicht viel mit. Ich wurde zum Leibwächter auserkoren, zusammen mit Jonouchi”, verkündete er mit bissigem Tonfall. “Wir stehen uns die ganze Zeit die Beine in den Bauch, beobachten diesen reichen Schnösel von einem Informanten und ich muss mir auch noch die blöden Kommentare meines werten Kollegen anhören.” “Du Armer”, kommentierte Atemu mit einem spöttischen Funkeln in den Augen. Sein Geliebter ließ sich aber nicht provozieren, sondern fragte im Gegenzug: “Und, wie war dein Tag?” “Och, nichts Besonderes. Stinklangweilig wie immer. Ich habe Spielzeug von A nach B geräumt, abgestaubt, die Abrechnung gemacht und zwei, drei Kunden empfangen, die sich in meinen Laden verirrt hatten.” Atemu klang allerdings, als würde er sich darüber keine großen Sorgen machen. Seto dagegen fragte: “Verdienst du denn auch noch genügend Geld um den Laden zu halten? Nicht, dass du mir noch pleite gehst.” “Ach, nein. Ich komm schon zurecht. Mach dir da mal keine Sorgen”, versicherte Atemu. Ganz so sorglos, wie er tat, wirkte er dabei aber nicht. Doch es reichte, um Seto von weiteren Fragen abzuhalten. Dabei war Atemu aber nicht wegen des mangelnden Geldes besorgt, sondern aus einem ganz anderen Grund… Er seufzte. Vielleicht sollte er doch Seto um Rat fragen. Immerhin war dieser Polizist und könnte ihm in so einer Angelegenheit am besten helfen. Aber was war, wenn dieser anonyme Spender dann tatsächlich davon erfuhr? Doch wie sollte der das überhaupt bemerken, wenn er nur Seto davon erzählte? Es war nämlich so, dass eine mysteriöse Person Atemu bereits seit einigen Jahren hin und wieder - und dafür aber große Summen - auf sein Konto überwies. Er hatte jedoch keine Ahnung von wem das Geld kam und lediglich eine Nachricht erhalten, in der der anonyme Spender behauptete, Atemu sei wie ein Bruder für ihn und deshalb wolle er ihm helfen. Er sollte aber niemandem davon erzählen - nicht mal Seto - weil sonst die Spenden auf der Stelle aufhören würden. Er konnte sich aber beim besten Willen nicht erklären, wer das sein sollte. Schließlich hatte er keinen Bruder oder irgendwelche mysteriösen Freunde aus der Vergangenheit, die ihm so nahe gestanden hatten. Da war nur Jonouchi und der hatte auch nur sein Polizeigehalt. Außerdem war er nicht der Typ, der so geheimnisvoll tat. Auch Ryuchi schloss Yami aus. Eine Nachforschung bei der Bank hatte ebenfalls kein Ergebnis gebracht. Und er konnte doch nicht die ganze Zeit irgendwelche Geldspenden von einem Unbekannten annehmen. Was war, wenn dieser sie eines Tages einfordern würde? Und selbst wenn nicht, konnte er das doch nicht einfach so annehmen. Auf der anderen Seite blieb ihm aber keine Wahl, da sein Spieleladen, den er von seinem Großvater geerbt hatte, sonst Pleite gehen würde. Das konnte er doch nicht zulassen. Immerhin war er das einzige, was ihn noch an Sugoroku erinnerte - was wiederum Atemu daran erinnerte, dass er mal wieder dessen Grab besuchen sollte. Das sah bestimmt schon ganz verwildert aus. Aber es war jedes Mal eine Qual für ihn, dieses Grab zu besuchen. Deshalb tat er es so wenig wie möglich. Und dann waren da noch diese mysteriösen Blackouts, die ihm eigentlich sogar noch mehr Sorgen bereiteten. Er hatte das schon mal vor ungefähr fünf Jahren gehabt und gehofft, dass sie für immer verschwunden wären. Doch in letzter Zeit tauchten sie wieder vermehrt auf und das nicht erst seit Erscheinen von Ryuchis Onkel. Was sollte er nur tun, wenn das so weiterging? Immerhin hatte er keine Ahnung, was er während dieser Zeit tat. Er könnte jemanden überfahren, ohne es hinterher zu wissen. Oder einfach jemandem etwas erzählen und später keine Ahnung mehr davon haben, was sich auch negativ aufs Geschäft auswirken konnte. Er könnte sich mit Seto streiten und das dann vollkommen vergessen haben. Er könnte sich von ihm trennen, ohne es zu merken… Außerdem waren da noch diese merkwürdigen Träume, die ihm so real vorkamen. Langsam aber sicher verfiel Atemu in Panik. “Hey, was ist los, Schatz?”, holte ihn Seto aus seinen Ängsten. “Ach, ich… dachte nur daran, dass es mal wieder Zeit wäre, Großvaters Grab in Ordnung zu bringen”, wich Atemu aus, denn er hatte seinem Freund nie etwas von diesen Blackouts erzählt, außer im Fall von Ryuchis Onkel, aber das hatte Seto auf den Schock zurückgeführt. Er hatte keine Ahnung, dass das bei Atemu öfter vorkam. “Ach so”, erwiderte Seto lediglich, da er das Thema schon kannte. Er wusste, wie schwer sich sein Freund damit tat. “Ich kann dich begleiten”, bot er an. “Danke, Seto. Aber ich wird’ das schon schaffen”, versicherte er. Ja, das würde er. Mokuba blickte die beiden verstohlen von der Seite her an. Zum wiederholten Male fragte er sich, was Seto an diesem Langweiler so toll fand. Okay, Atemu war nett, sah gut aus und war auch einigermaßen intelligent. Aber trotzdem der langweiligste Mensch auf Erden, wie Mokuba fand. Er machte immer dasselbe, hatte keine besonderen Hobbys, tat nie etwas auch nur ansatzweise Aufregendes und wenn man sich auf ein längeres Gespräch mit ihm einließ, langweilte man sich zu Tode. Jedenfalls empfand es Setos kleiner Bruder so. Wie konnte es einen Menschen geben, der so unaufregend war? Anfangs hatte er geglaubt, dass Seto das auch schnell merken würde, doch im Laufe der Zeit wurde er eines besseren belehrt. Nun ja, vielleicht brauchte sein großer Bruder ja genau so einen Menschen, der ihn aus seinem aufregenden Leben als Polizist wieder jeden Tag zurück in die Normalität führte. Aber wenigstens konnte Atemu gut Pfannkuchen backen. Kapitel 10: Yamis Problem ------------------------- Ein junger Mann stand auf der Anhöhe des Schießplatzes, ließ sich vom Wind die blonden Haarsträhnen ums Gesicht wehen und zielte hinauf in die Lüfte, wo er nach mehreren Versuchen einige Tontauben abschoss. Der Platzwart wunderte sich, dass dieser heute so oft danebenschoss, denn er kannte den Mann und hatte schon regelmäßig dessen Schießkünste, so musste man es fast nennen, beobachten können. Er hatte so gut wie nie daneben geschossen, egal wie schwierig es war. Doch heute hatte er wohl einen schlechten Tag. Das bestätigte sich auch, weil er ihn leise vor sich hin fluchen hörte, als er etwas näher kam. Yami schoss noch einige Male, bis er schließlich frustriert die Waffe sinken ließ. So konnte das nicht weitergehen. Für heute machte er wohl besser Schluss, bevor er sich noch blamierte. Es hatte sowieso keinen Sinn, da er sich nicht konzentrieren konnte. Wieso musste Atemu auch so doof sein? Wegen ihm könnte er jetzt Ärger bekommen, wenn er Pech hatte. Und im besten Fall würden einige blöde Gerüchte aufkommen, von wegen, dass er Polizisten süß fand. Aber die Sache an sich war ja nicht das Schlimmste - nein, das wirklich Beängstigende war, dass Atemu es überhaupt geschafft hatte, das zu tun. Niemals war es ihm gelungen, ihn so in den Hintergrund zu drängen, ihm einfach dazwischen zu funken. Wenn das so weiter ging, würde er immer mehr Kontrolle erlangen, und an allem Schuld war nur dieser blöde Seto Kaiba. Oh, wie gern hätte er ihn erschossen! Aber dann hätte Atemu ihm wohl noch mehr dazwischengefunkt. Außerdem wäre das zu auffällig, da man Kaiba leicht mit ihm in Verbindung bringen konnte. Er musste in Zukunft wirklich auf Atemu aufpassen. Yami verließ den Schließplatz und beschloss, sich am besten seinem Gewächshaus zu widmen. Das hatte auch mal wieder Pflege nötig. Da es noch mitten am Tag war und es keine Vertretung für Atemus Spieleladen gab, hatte Yami ihn kurzerhand geschlossen. Nun gut, das machte zwar keinen guten Eindruck auf die Kunden, aber dafür bekam Atemu ja schließlich genug Geld von ihm. Jetzt doch wieder etwas besser gelaunt, da er sein Gewächshaus liebte, betrat Yami den Spieleladen und ging die Treppe zum Keller hinunter. Es handelte sich um einen sehr kleinen Keller, der zudem mit Kisten voller Spiele, Werkzeug und anderem Kram zugestellt war. Eigentlich war der Keller zu klein, im Vergleich zum Erdgeschoss. Das hatte auch seinen Grund. An der hinteren Wand räumte Yami ein paar Kisten beiseite. Anschließend drückte er an bestimmten Stellen dagegen, so dass sie sich wie von Zauberhand öffnete und ein ganz anderes Reich freigab. Dort drinnen befanden sich in Reih und Glied in den Boden gesetzt, unzählige Pflanzen, zwischen denen schmale Pfade verliefen, damit man hindurchgehen konnte. Angestrahlt wurde das Ganze von vielen großen UV-Lampen, Spezialanfertigungen, die das fehlende Sonnenlicht ersetzten. Was außerdem auffiel, war, dass die meisten Pflanzen wunderschöne Lilien waren, in einem dunkelvioletten Ton mit einem rötlichen Schimmer. Yami lächelte zufrieden, als er seine Blumen betrachtete. Sie gediehen wirklich prächtig, man sollte nicht meinen, dass sie das Sonnenlicht vermissten. Sie leuchteten regelrecht unter den Strahlen der Lampen. Alles hier unten war peinlich ordentlich und sauber. Sogar die Pflanzen schienen sich an diese Ordnung zu halten - kein Blatt machte den Eindruck an der falschen Stelle zu sitzen oder gar zu liegen, keine Blüte war verwelkt und nirgendwo waren dunkle Stellen zu sehen. Man sah wirklich wie sehr Yami sich um seine Pflanzen kümmerte. Neben seiner Arbeit war es das einzige Hobby, das er hatte. Das Tontaubenschießen zählte er eher zur Übung für die Arbeit, obwohl er es normalerweise auch gerne machte. Das einzige, was diese Ordnung störte, war das große Regal, das eine ganze Wand einnahm. Dort lagerten nicht nur Gärtnerwerkzeuge und Dünger, sondern auch alle möglichen Arten von Waffen. Na ja, eines war doch gut an Kaiba, sinnierte Yami. Er lieferte ihm nämlich manchmal ganz brauchbare Informationen für seinen Job. Vielleicht war es doch ganz gut, dass es ihm wegen Atemu nicht möglich gewesen war, ihn einfach von diesem Drogendealer erschießen zu lassen. Doch auf der anderen Seite stellte Kaiba auch ein Risiko für ihn dar. Er konnte viel leichter auffliegen, als wenn er alleine leben würde. Zum Beispiel diese Sache mit dem Schwert: er hatte es noch nach unten in den Keller bringen wollen, es dann aber nicht mehr geschafft, weil Atemu partout nicht weiterschlafen wollte. Dann musste er dieses Schwert natürlich noch ausgerechnet gut sichtbar im Spieleladen aufhängen! Aber gerade diese Auffälligkeit sorgte andererseits für Sicherheit, denn wer würde dahinter schon eine Mordwaffe vermuten? Yami beschloss, jetzt endlich mit den Grübeleien aufzuhören und kümmerte sich um seine Pflanzen. Seto Kaiba hatte derweil ganz andere Probleme: Er befand sich zusammen mit Jonouchi auf dem Grundstück ihres Informanten und spielte Leibwächter. Doch anstatt, dass sich dieser silberhaarige, arrogante Amerikaner brav in sein Haus zurückzog und dort seine Teekränzchen feierte, hatte er sich zu den beiden Polizisten begeben und bezog sie einfach in seinen Plausch mit ein. Anscheinend hatte er keine Freunde und benötigte etwas, womit er seine Langeweile bekämpfen konnte. Das Ergebnis war, dass er Kaiba und Jonouchi tierisch nervte mit seiner nasalen Stimme. Hätte Kaiba nicht gewusst, dass Pegasus mal verheiratet gewesen war, hätte er schwören können, dass dieser sie gerade anmachte. Aber vielleicht war diese Heirat auch nur Tarnung für seine Homosexualität gewesen. Oder er war bi. Auf jeden Fall war er unglaublich lästig. Kaiba versuchte, sich gar nicht erst auf ein Gespräch einzulassen und gab nur hier und da einen Kommentar ab, mit der Bemerkung, dass er sich auf seine Arbeit konzentrieren wolle. Zunächst schien das auch zu klappen, denn Pegasus quatschte daraufhin Jonouchi ein Ohr ab. Doch kaum war dieser mal zwei Minuten weg um in Richtung Toilette davonzuspazieren, wandte sich Pegasus wieder ihm zu und dieses Mal machte er eindeutigere Aussagen. Seto glaubte, sich zu verhören und wäre am liebsten geflüchtet. Wie konnte man nur so dreist sein? Schließlich griff er zum letzten Mittel und verkündete, dass er bereits vergeben sei. Pegasus griff sich ans Herz und rief dramatisch: “Oh, mon dieu, das werde ich nie verwinden.” “Ich dachte, Sie sind Amerikaner”, bemerkte Jonouchi, der zum Glück gerade wieder zurückkam. Kaiba atmete erleichtert auf. “Das bin ich auch. Aber ein bisschen Französisch hat noch keinem geschadet, oder?” Dir schon, wenn du nicht bald damit aufhörst, dachte Kaiba, enthielt sich aber eines Kommentars. Jonouchi stichelte ihn später auch noch damit, dass er jetzt schon den zweiten Verehrer unter Kriminellen hatte und ging ihm damit tierisch auf die Nerven. Seto war heilfroh, als der Tag nach scheinbar endlos langen Stunden endlich vorbei war. Er fühlte sich wie erschlagen, nach dieser langweiligen Arbeit und den lästigen Anmachen Pegasus, der sich von der Auskunft, dass er bereits vergeben war, nicht lange hatte abhalten lassen. Zuhause angekommen, freute er sich, Atemu wieder zu sehen. Jedoch wurde seine Vorfreude enttäuscht, da dieser nicht da war. Hatte sein Freund mal wieder länger im Laden zu tun? Dabei gab es doch angeblich immer so wenig zu tun. Also griff er zum Telefon und wählte die Handy-Nr. seines Geliebten. Kurz darauf nahm jener auch ab und meldete sich mit einem: “Ja, hallo?”, das ziemlich kalt und abweisend klang. Das war sonst gar nicht Atemus Art - normalerweise meldete er sich immer mit einem fröhlichen “Hallo” und einem liebevollen “wie geht’ s dir?“. Was wohl passiert war, dass er sich so mies gelaunt anhörte, als wolle er sagen, rutscht mir doch alle den Buckel runter? “Hallo, Schatz”, steuerte Seto dem entgegen, indem er versuchte, fröhlich zu klingen, obwohl er eigentlich auch eher schlechte Laune hatte. Vom anderen Ende hörte er ein entnervtes Seufzen. “Ja, was gibt’ s?” Oha, das hörte sich ja schlimmer an, als Seto befürchtet hatte. “Na, ich wollte nur mal nachfragen, wann du nach Hause kommst, mein Lieber.” Das geht dich einen feuchten Kehricht an, hätte Yami am liebsten geantwortet, stattdessen brummte er ein “Bin gleich da”, in den Hörer und legte auf. Dieser Seto könnte ihm getrost gestohlen bleiben. Er konnte ihn einfach nicht ausstehen. Nur Atemu zuliebe ertrug er dessen Gegenwart. Apropos Atemu, der könnte sich ja auch mal wieder zeigen. Aber aus irgendeinem Grund wollte er selbst dann nicht auftauchen, als Yami bereits vor der Haustür stand. Nun mach schon, dachte er an Atemu gerichtet, doch der ließ nicht mal erkennen, dass er ihn überhaupt wahrnahm. Nun ja, wie denn auch, wenn er nicht mal von seiner Existenz wusste? Doch normalerweise kam er schon zum Vorschein, wenn Yami sich zurückziehen wollte. Musste er sich nun etwa selbst mit Seto abgeben? Das konnte ja heiter werden. Er hasste es, wenn dieser versuchte, ihn anzufassen oder gar zu küssen. Aber wahrscheinlich würde in so einem Augenblick sowieso Atemu zum Vorschein kommen, da er dem bestimmt nicht widerstehen konnte. Also drückte Yami innerlich seufzend die Klinke herunter. Aus der Küche duftete es verführerisch - wie es aussah, hatte Seto bereits begonnen, sich etwas zum Abendessen zu machen. Jetzt erst merkte Yami, wie hungrig er war, als lautstark sein Magen knurrte. Er hatte das Mittagessen vollkommen vergessen und dementsprechend Nachholbedarf. Doch wenn er da jetzt reinging, konnte er sich erstmal auf eine Kussattacke gefasst machen und das war im Moment wohl ziemlich das letzte, auf das er Lust hatte. Sollte er sich einfach darauf verlassen, dass Atemu dann endlich auftauchte? Nun ja, im Notfall konnte er Seto ja immer noch von sich stoßen, mit der Begründung, dass ihm nicht danach sei. Das würde diesem zwar komisch vorkommen, aber was sollte es? Mit diesem Vorsatz betrat Yami die Küche. “Hm, was gibt es denn schönes?”, kam er auf den Kochtopf zu, als ihm der verführerische Duft noch stärker in die Nase stieg und ihm das Wasser schon im Mund zusammenlief. “Nichts da!”, schnappte sich Seto seine voreilige Hand, um sie vom Topf fernzuhalten. “Das gibt’ s erst, wenn du schön brav bist”, neckte er seinen Freund. “Du scheinst ja heute keinen großen Wert auf meine Gesellschaft zu legen”, das klang schon ernster. “Wie kommst du denn darauf?”, flötete Yami. “Na ja, wer hat sich denn am Telefon so patzig angehört, hm?” Mit diesen Worten zog Seto ihn einfach mal an den Händen zu sich. Yami geriet ins Schwitzen. Wenn Atemu sich jetzt aber nicht bald mal sputete… Es war ja schon schlimm genug dessen Erinnerung daran, was er jede Nacht mit Seto trieb, mit sich herumzuschleppen. Aber live miterleben musste er das nun wirklich nicht. “Na, was hast du, mein Lieber?”, hatte Seto ihm liebevoll eine Hand an die Wange gelegt und streichelte ihm darüber. “Was? Mir geht’ s gut”, versicherte Yami verkrampft und musste sich stark zusammenreißen, um Atemus Freund nicht einen kräftigen Tritt zu verpassen, damit dieser ihn los ließ. Als Seto sich über ihn beugte, um ihn zu küssen, wich er plötzlich aus, schlüpfte flink wie eine Katze unter dessen Armen hinweg, lief wie der Blitz zur Küchentür und sagte nur noch: “Ich glaub, ich hab doch keinen Hunger”, bevor er auch schon durch die Tür verschwunden war. Seto guckte ihm nur noch perplex hinterher. Solches Verhalten war er von Atemu nicht gewohnt. Was war nur mit ihm los? So langsam begann er sich doch Sorgen zu machen. Also ging er seinem Lebensgefährten hinterher, die Treppe zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer hinauf und öffnete vorsichtig die Tür. Drinnen fand er einen jungen Mann vor, der es sich gerade auf der Fensterbank bequem gemacht hatte und sehnsuchtsvoll hinaus in den schwarzen Himmel starrte, während es im Zimmer stockdunkel war. “Willst du mir nicht sagen, was los ist?”, erkundigte sich Seto sanft. Atemu rührte sich kein Stück, also trat er schließlich hinter ihn und legte ihm fürsorglich eine Hand auf die Schulter, wobei er spürte, wie sein Freund sich verkrampfte. Doch so einfach wollte er nicht aufgeben und zog ihn in seine Arme, um ihn zärtlich festzuhalten. Aber Atemu schien so steif wie ein Brett. Yami wusste zum ersten Mal seit langem nicht, was er tun sollte. Es war einiges so seltsam in letzter Zeit. Nicht nur, dass Atemu gerade in diesem Moment nicht auftauchte, sondern auch, dass er es vor kurzem zum ersten Mal geschafft hatte, ihn zurück zu drängen… Nun, wenn er plötzlich so dominant wurde, warum zog er sich dann ausgerechnet jetzt zurück? Yami rutschte von der Fensterbank, wobei Seto ihn festhielt und wieder auf die Füße setzte, dabei wäre er auch ganz gut wieder von alleine hinunter gekommen. Aber was sollte er machen, wenn dieser Klammeraffe ihn so festhielt? “Lass mich in Ruhe, okay!”, verlangte er und ging zielstrebig zur Tür. Man, hatte Atemu seinem Macker nie beigebracht, wann er allein sein wollte? Der folgte ihm ja auf Schritt und Tritt. So auch jetzt, als er wieder nach unten ins Wohnzimmer ging. “Ich hab gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen, du bist ja lästiger als eine Schmeißfliege!”, entfuhr es Yami. Seto blickte ihn schockiert an. So was hatte ihm sein Lebensgefährte noch nie an den Kopf geworfen. Was war nur passiert, dass er plötzlich so seltsam war? “Hey, Atemu! Was soll das, hm?”, ging er auf ihn zu und hielt ihn bei den Armen fest. “Wieso bist du so sauer? Hab ich dir irgendwas getan?” “Ach, lass mich einfach los, bevor ich mich vergesse!”, fauchte Yami zurück. Er fühlte sich schon den ganzen Tag so unwohl und jetzt bekam er auch noch Kopfschmerzen. Warum verstand dieser Typ denn nicht, dass er sich nur mal ausruhen wollte, und zwar alleine? “Na schön, wenn du es so willst, mein Lieber! Irgendwann ist nämlich auch meine Geduld mal am Ende”, funkelte Seto böse zurück. “Wenn du in so einer Stimmung bist, hat es wohl sowieso keinen Sinn mit dir zu sprechen”, mit diesen Worten wandte er sich ab und verschwand endlich. Leider in das gemeinsame Schlafzimmer, also musste sich Yami mit dem kleinen Gästezimmer begnügen, aber das war ihm lieber, als neben diesem lästigen Lebensgefährten Atemus zu liegen. “Ich hätte ihn doch erschießen sollen”, murmelte Yami vor sich hin, als er hinauf ins Gästezimmer ging. Doch dafür war es leider zu spät, denn er wusste, wie sehr Atemu an ihm hing. Dieser würde bestimmt nicht zulassen, dass er so etwas tat. Wahrscheinlich wäre er noch nicht mal in der Lage, sich von Kaiba zu trennen, ohne das der einen Aufstand machte. Kapitel 11: Irrfahrt -------------------- Hallo, dieses Wochenende kommen wieder zwei Kapitel, also, das nächste am Sonntag. Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen. Am nächsten Morgen wachte Atemu mit höllischen Kopfschmerzen auf und noch dazu im Gästebett. Hinzu kam, dass er keine Ahnung hatte, wie er dahin gekommen war. Verwirrt blickte er um sich. War er nicht bereits aufgestanden gewesen und auf dem Weg zum Spieleladen? Wieso lag er jetzt plötzlich wieder im Bett und noch dazu in diesem Zimmer? Er blickte auf die Uhr an der Wand und stieß einen kurzen Schrei aus. Es war bereits nach acht Uhr. Er war viel zu spät dran, um seinen Laden rechtzeitig zu öffnen. Hastig sprang er aus dem Bett, lief in Setos und sein Schlafzimmer, um sich eilig umzuziehen und fragte sich, warum sein Freund ihn nicht geweckt hatte. Der war natürlich auch schon längst bei der Arbeit. Atemu stürmte wie ein Wirbelwind durchs Haus und verzichtete dabei auf sein Frühstück. In Rekordzeit wurde er fertig, schnappte sich sein Fahrrad - sie hatten nur ein Auto und Atemus Spieleladen lag näher - und raste davon. Nachdem Atemu in rasendem Tempo seinen Spieleladen geöffnet, einige Ständer draußen aufgestellt und sonstiges vorbereitet hatte, atmete er erstmal tief durch. Dabei wunderte er sich, dass er nicht völlig außer Atem war, nach dieser Rumhetzerei. Obwohl er nie Sport machte - das hielt er für Mord - war er doch erstaunlich gut in Form und wunderte sich dann in solchen Ausnahmefällen, wo er seinen Hintern mal schneller bewegen musste, woher das kam. Einige Bekannte von ihm, die ebenso wenig Sport trieben, konnten beispielsweise nicht mit ihm mithalten und wären wohl schon auf halber Strecke zusammengebrochen, hätten sie ihn heute morgen begleiten müssen. Wie es aussah, hatte er Glück im Unglück gehabt, denn es hatte noch kein Kunde vor der verschlossenen Tür gewartet. Eigentlich hätte er es sich ja denken können, schließlich verirrte sich nie jemand so früh in seinen Laden. Warum verschob er die Öffnungszeiten eigentlich nicht auf später? Acht Uhr war doch etwas zu früh für einen Spieleladen, der noch dazu wenig Kunden hatte. Und jetzt war Atemu wieder so langweilig, dass er Zeit hatte, sich Gedanken zu machen, wie er bloß ins Gästebett gekommen war. Schon wieder ein Blackout? Und dann hatte er noch so komische Träume gehabt … Vielleicht sollte er doch mal einen Arzt aufsuchen. So konnte das ja schließlich nicht weitergehen. Wie es wohl Seto ging? Vielleicht hatte er ja Zeit für ein kurzes Gespräch. Also beschloss Atemu, ihn mal bei der Arbeit anzurufen. In seinem Büro erreichte er ihn nicht, aber am Handy ging er schließlich ran. “Guten Morgen, Seto, wie geht’ s dir?”, rief er fröhlich in den Hörer. “Ich habe heute Morgen ja total verschlafen und keine Zeit mehr, dir einen guten Morgen zu wünschen. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte”, lachte Atemu ein wenig verlegen. “Ach, meldet sich der feine Herr auch mal?”, giftete Seto zurück. “Das ist ja fein, dass du plötzlich deine gute Laune wieder gefunden hast, mir hast du sie jedenfalls verdorben. Da musst du dir schon eine gute Entschuldigung ausdenken, um das wieder gut zu machen.” Atemu hielt überrascht den Hörer von sich, als er nur noch ein Tuten vernahm, ehe er auch nur ein Wort erwidern konnte. Was war denn in Seto gefahren? Der tat ja gerade so, als hätte er ihm was Böses getan. Aber Atemu konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was los war. Moment, war vielleicht irgendetwas während seines Blackouts passiert? Hatte er Seto beleidigt und es einfach vergessen? Das erinnerte ihn an seinen seltsamen Traum, indem er sich mit seinem Freund gestritten hatte. Atemu seufzte traurig und stutzte plötzlich, als sein Blick auf die Funkuhr mit Datumsanzeige auf dem Tresen fiel. Moment, heute war doch Mittwoch. Wieso stand da auf der Uhr, dass heute schon Donnerstag wäre? Funkuhren gingen doch nie falsch! Oder doch? Atemu schaltete hastig den kleinen Tischfehrnseher ein und guckte im Videotext nach. Ja, auch dort stand, dass heute Donnerstag war. Das konnte doch nicht sein! Atemu ließ sich geschockt in den Stuhl zurückfallen. War seine Erinnerung daran, mittwochs schon mal aufgestanden und den Laden geöffnet zu haben, etwa doch richtig? Nachdem er plötzlich im Gästebett aufgewacht war und sich an den weiteren Verlauf des Tages nicht erinnern konnte, war er nämlich davon ausgegangen, dass er das nur geträumt hatte und in Wirklichkeit der Mittwoch erst anfing. Aber anscheinend hatte er diesmal einen längeren Blackout gehabt. Anders konnte er sich das nicht erklären. Atemu kam zu dem Schluss, dass er wohl oder übel doch zu einem Arzt gehen musste. Dabei hasste er das und vermied es wo es nur ging. Doch so konnte es wirklich nicht weitergehen. Wer wusste schon, was er noch anstellte und sich hinterher nicht mehr erinnerte? Am Ende würde Seto ihn noch verlassen, weil er sich mit ihm stritt und dann nicht mehr daran erinnern konnte. Am besten ging er auf der Stelle zu seinem Hausarzt, bevor er es noch endlos vor sich herschob und noch sonst was passierte. Deshalb schrieb er einen Zettel, dass der Laden heute aufgrund von Krankheit geschossen war, hängte ihn in die Tür und machte sich auf die Socken, oder besser gesagt, auf die Pedale. Wo war noch mal dieser Arzt? Atemu fluchte, denn irgendwie hatte er sich verfahren. Dabei hätte er schwören können, zu wissen, wo er ihn finden konnte. Aber es schien, dass er wirklich zu lange nicht mehr dort gewesen war. Atemu fuhr suchend in mehrere Straßen der Umgebung, aber auch hier kein Erfolg. Das konnte doch nicht sein! Also noch mal zum Ausgangspunkt zurück, vielleicht war der Arzt ja doch in der Straße, an die er ursprünglich gedacht hatte und er hatte das Haus in der Eile nur übersehen. Atemu wurde plötzlich schwindlig und er konnte gerade noch vom Rad springen. Was war denn jetzt los? Er zuckte zusammen, als er aufblickte und merkte, dass er plötzlich ganz woanders war, als eben noch. Das ging doch jetzt nicht mehr mit rechten Dingen zu! Oder wurde er komplett verrückt? Er schüttelte den Kopf und beschloss kurzerhand, die Sache erstmal zu ignorieren. Schließlich half es auch nichts, wenn er hier herumstand und grübelte, also setzte er sich wieder aufs Rad und fuhr weiter. Seltsam, diese Gegend hier kannte er nun überhaupt nicht. Er schaute noch mal auf die Uhr und erschrak, als er bemerkte, dass er eine kappe Stunde verloren hatte. Also doch wieder ein Blackout. Atemu suchte erstmal nach einem Straßenschild, da er keine Ahnung hatte, wie er jetzt wieder zurückfinden sollte. Schließlich sprach er einen Passanten an, der ihn mitleidig anlachte und einen total komplizierten Weg zu erklären versuchte. Es kam wie es kommen musste: zwei Stunden später hatte Atemu immer noch nicht in bekanntere Gefilde zurückgefunden und langsam wurde er es nicht nur leid, sondern bekam auch noch einen Riesenhunger, zumal er das Frühstück ausgelassen hatte. Deshalb begab er sich erstmal in ein Fastfood-Restaurant, das er eine Weile später fand, als er schon glaubte, verhungern zu müssen. Die Leute dort staunten nicht schlecht, als er eine Riesenportion, die für mindestens drei große Männer gereicht hätte, verschlang. Jetzt müsste er nur noch einen Laden finden, der Stadtpläne verkaufte. Doch leider war ihm das Glück nicht hold. Nach einiger Zeit des Herumfahrens landete er plötzlich in einer ziemlich reichen Gegend, was man an den großen Anwesen erkennen konnte. Atemu wollte schon herumdrehen, da das hier bestimmt nicht der richtige Weg war, als er plötzlich eine vertraute Gestalt zu erkennen glaubte. Das war doch nicht etwa Seto, der ihm da den Rücken zuwandte? Doch, das musste er sein, er trug auch eine Polizeiuniform. Begleitet wurde er von einem Typen mit langem, silbernem Haar. Was für ein glücklicher Zufall. Atemu radelte näher und wollte schon nach Seto rufen, als der silberhaarige Typ jenen plötzlich zu sich zog und auf den Mund küsste. Seto schien sich auch nicht dagegen wehren zu wollen, da er etliche Sekunden einfach nur starr dastand. Nach ebenso vielen Sekunden des lähmenden Entsetzens seitens Atemu, schnappte er sich wütend und verletzt sein Fahrrad und fuhr in die entgegengesetzte Richtung weiter. Das durfte doch nicht wahr sein! Sein Seto knutschte heimlich während der Arbeit mit anderen Typen herum! Das hätte er niemals von ihm erwartet. Atemu wollte es nicht, doch er konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen. Er hatte wirklich geglaubt, Seto würde ihn allein und für immer lieben. Wie konnte er sich nur so getäuscht haben? Kapitel 12: Mord im Sinn ------------------------ Ah, das war so was von eklig gewesen, wie Pegasus ihm seine Zunge in den Rachen gesteckt hatte! Seto hatte immer noch das Gefühl, gleich kotzen zu müssen, weshalb er sich erstmal auf dem schnellsten Wege zum Bad begab und sich den Mund auswusch. Außerdem putzte er sich noch gründlich die Zähne - sicher war sicher. Aber wieso musste auch ausgerechnet ihm so was passieren? Er hatte doch schon gemerkt, dass Pegasus was von ihm wollte und nicht so einfach locker ließ. Und dann hatte er sich so überrumpeln und von ihm abknutschen lassen. Er war wie gelähmt gewesen vor Überraschung und Ekel. Zum Glück hatten seine Vorgesetzten Verständnis gehabt, als er darum gebeten hatte, von diesem Leibwächter-Job sofort abgezogen zu werden. Offensichtlich war er sogar so weiß wie ein Leichentuch geworden, weshalb Jonouchi angeraten hatte, ihn gleich nach Hause zu schicken. Dafür war er ihm sehr dankbar. Seto war zwar sonst nicht so empfindlich, doch in dieser Hinsicht schon. Er hoffte, dass Atemu bald nach Hause käme und sich nicht wieder so komisch anstellen würde. Er brauchte ihn jetzt, damit er ihm diese eklige Erinnerung wegküsste. Leider würde es aber noch ein paar Stunden dauern, bis Atemu nach Hause käme. Umso überraschter war Seto, als, nicht lange nach dieser Überlegung, sein Lebensgefährte förmlich ins Haus stürmte, an ihm vorbei raste, ohne ihn eines Blickes zu würdigen und im Schlafzimmer verschwand, wo er laut vernehmlich den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Anscheinend hatte sich Atemu seit gestern nicht wieder normalisiert, eher im Gegenteil. Doch jetzt reichte es Seto wirklich. Das konnte doch so nicht weitergehen. Er musste herausfinden, was mit Atemu los war. Deshalb rannte er die Treppe hinauf und klopfte lautstark gegen die Schlafzimmertür. “Atemu, das ist auch mein Schlafzimmer, falls du dich erinnerst!”, rief er hinein. “Du kannst ja das Gästebett benutzen!”, schrie Atemu nach einigen Augenblicken zurück. Na nu, die Stimme hörte sich an, als ob er schluchzte. “Hey, Atemu, was ist los, verdammt noch mal?”, verlangte Seto zu wissen. “Das fragst du noch, du Idiot?”, fauchte sein Lebensgefährte zurück. “Ach komm schon, mach diese blöde Tür auf und lass uns miteinander reden”, versuchte Seto einzulenken. “Das kannst du dir sparen!”, waren Atemus letzte Worte. Danach herrschte Funkstille, egal wie sehr Seto gegen die Tür hämmerte. Irgendwann gab er es auf und setzte sich einfach vor die Tür. Er wollte auch nicht weggehen, falls sein Freund wieder herauskommen sollte. Aus irgendeinem Grund hatte er nämlich furchtbare Angst, dass dieser einfach aus seinem Leben verschwinden könnte, wenn er nicht ganz genau aufpasste. Das war natürlich absurd, warum sollte er das so einfach tun? Aber andererseits hatte Seto bisher auch nicht geglaubt, dass Atemu sich einmal so seltsam gegenüber ihm verhalten würde und das ohne Grund. Er hatte plötzlich furchtbare Angst, allein gelassen zu werden, so wie damals… Schließlich raffte er sich doch auf und ging hinunter zum Telefon, um Mokuba anzurufen. “Was ist los, Seto?”, fragte der auch gleich, als er dessen leicht verzweifelt klingende Stimme vernahm. Sein großer Bruder erzählte ihm daraufhin, wie seltsam und abweisend sich Atemu seit gestern benahm und das er Angst hatte, dieser würde ihn verlassen. “Aber so wie du das erzählst, habt ihr euch doch bloß ein bisschen gestritten, oder? Wieso sollte er dich gleich verlassen?”, erkundigte sich Mokuba. “Du hast ja Recht, aber ich habe so ein komisches Gefühl. Außerdem haben wir uns ja nicht einfach so gestritten, denn ich habe keine Ahnung, warum wir uns überhaupt gestritten haben und was überhaupt mit Atemu los ist.” “Das ist bestimmt nur irgendein blödes Missverständnis, da bin ich mir sicher”, versuchte Mokuba seinen großen Bruder zu beruhigen. “Weißt du was? Ich komm einfach mal bei dir vorbei, was hältst du davon?” “Aber nein, das ist nicht nötig, dass du jetzt noch hier her kommst. Du musst doch auch arbeiten.” “Ach was, das macht mir nichts aus”, versicherte Mokuba. “Ich bin so schnell da, wie ich kann.” Seto stellte erleichtert das Telefon auf die Station zurück. Auf seinen kleinen Bruder konnte er sich ebenso verlassen, wie dieser auf ihn. Er beschloss, noch einmal zum Schlafzimmer hochzugehen und diesmal würde er es aufbrechen, wenn Atemu nicht freiwillig aufmachte, das schwor er sich. Er rief nach seinem Lebensgefährten durch die Tür hindurch, doch der gab wieder keinen Ton von sich, egal, was er sagte. Selbst als er androhte, die Tür aufzubrechen, kam keine Reaktion. Letzteres gab den Ausschlag, dass Seto sich nun tatsächlich dazu durchrang, die Tür aufzubrechen. Er holte sich ein Brecheisen aus dem Werkzeugkoffer, setzte es an der Schlafzimmertür an und brauchte aber einige Anläufe, bis die doch einigermaßen stabile Tür nach einer scheinbaren Ewigkeit endlich nachgab. Wer wusste schon, ob sich Atemu inzwischen nicht irgendetwas angetan hatte, so verzweifelt, wie er vorhin geklungen hatte. Wer wusste schon, was tatsächlich passiert war, dass er sich so seltsam benahm? Seto stürmte ins Zimmer und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass es leer war. Das einzige, was sich bewegte, waren die Vorhänge im Wind der offenen Balkontür. Nein, das konnte doch nicht sein! Atemu war doch nicht wirklich hier aus dem ersten Stock heruntergeklettert? Oder hatte er gar versucht, sich umzubringen? Doch dafür wäre der erste Stock ein wenig zu niedrig, wenn man auch ganz sicher gehen wollte, am Ende eines solchen Sprunges wirklich tot zu sein. Schnell rannte Seto auf den Balkon, versuchte mit den Blicken die düstere Dämmerung zu durchdringen, konnte aber glücklicherweise keinen reglosen Körper am Boden entdecken. Erleichtert atmete er auf. Was hatte sich sein Freund bloß dabei gedacht? Und wieso, wieso, verdammt noch mal, lief er einfach so davon? Endlich! Endlich konnte er diesen lästigen Seto Kaiba loswerden, dachte sich Yami schadenfroh über das Zerwürfnis zwischen jenem und Atemu. Denn sein anderes Ich würde jetzt bestimmt nichts mehr dagegen haben, wenn er ihn tötete. Wie lange hatte er schon auf diesen Augenblick gewartet! Diese ganzen, endlos scheinenden, fünf Jahre hatte es Atemu erfolgreich geschafft, ihn immer mehr in den Hintergrund zu drängen. Fast hatte er schon befürchtet, dass er irgendwann ganz verschwinden würde. Bis zu der Zeit, da Atemu sich, wenn er es auch nicht zeigte, immer unglücklicher fühlte, da Seto so viel arbeitete und kaum Zeit für ihn hatte und außerdem der Spieleladen so schlecht lief, dass er an sich selbst und seinem Leben zweifelte. Da war der Zeitpunkt gekommen, dass Yami endlich wieder öfter zum Vorschein kommen konnte, bis er es schließlich geschafft hatte, seine Karriere als Auftragskiller wieder aufzunehmen. Und jetzt würde er auch endlich diesen lästigen Seto Kaiba loswerden können! Wenn er nur auf Atemus Erinnerungen stieß, wie die beiden es miteinander taten, wurde ihm furchtbar schlecht, denn es fühlte sich so an, als hätte er selbst das erlebt. Atemu hatte das Problem ja umgekehrt nicht. Er wusste nichtmal von der Existenz Yamis. Fast zärtlich ließ Yami seinen Blick über die Lilien schweifen, die er in seinem Gewächshaus angepflanzt hatte. Diese Blumen waren nicht einfach nur irgendwelche schönen Pflanzen für ihn, sondern quasi seine Ersatzfreunde, da er sonst keine hatte. Schließlich lebte Atemu sein Leben. Er selbst war nur der Schatten in der Dunkelheit, der Beschützer, aber auch Mörder. Er strich über den Blütenkopf einer Lilie, der sich bereits ganz geöffnet hatte und bald verblühen würde. Hm, das passende Geschenk für Seto, dachte er bei sich. Er hatte Atemu verletzt, also musste er sterben. Genau wie all die anderen verhassten Männer. Denn eigentlich hatte er Seto nur in seiner Nähe zugelassen, da er Atemu so viel bedeutete. Ja, Yami hasste alle Männer auf dieser Welt, sogar sich selbst. Wäre Atemu nicht gewesen, wüsste er nicht, ob er wirklich hätte weiterleben wollen. Vielleicht ja, weil er auch große Angst vor dem Tod hatte, aber bestimmt nicht, weil ihm dieses Leben gefiel. Mokuba blickte äußerst besorgt auf seinen großen Bruder, denn so wie jetzt hatte er ihn noch nie erlebt: Der saß schluchzend am Küchentisch und schien weder ein noch aus zu wissen, nachdem Atemu so plötzlich verschwunden war. Natürlich hatte er seinen Kollegen Bescheid gegeben, damit nach ihm gefahndet würde. Aber was sollte er jetzt tun? Sämtliche Straßen von Domino persönlich ablaufen? Irgendwie schien sein Denkprozess in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, denn Mokuba kam auf das Naheliegenste und rief sämtliche Freunde und Bekannte Atemus an, ob er womöglich dort aufgetaucht war. Doch leider ergab das keine Spur. “Vielleicht ist er ja im Spieleladen”, kam Seto plötzlich in den Sinn, nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. “Ja, das ist eine gute Idee. Los, fahren wir hin, großer Bruder!”, forderte Mokuba ihn auf und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Allerdings mussten sie zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass auch dort keine Spur von Atemu zu finden war. Traurig und niedergeschlagen kam Seto mit seinem Bruder im Schlepptau wieder nach Hause. Was sollte er jetzt noch machen? Sie hatten wirklich alle Möglichkeiten, wo Atemu geblieben sein könnte, abgeklappert. “Hey, mach dich nicht so fertig. Atemu wird schon wieder auftauchen, wenn er sich erstmal beruhigt hat”, war sich Mokuba sicher. “Und wenn er das tut, les ich ihm erst mal die Leviten, wie er so abhauen kann, ohne vorher Bescheid zu sagen!”, ereiferte sich der jüngere Bruder. Seto blickte ihn vorwurfsvoll an. “Ich will einfach nur, dass Atemu zurückkommt”, äußerte er sich. Mittlerweile war er nämlich so besorgt, dass er seinem Freund alles verziehen hätte, wenn der nur wieder auftauchte. Er glaubte auch nicht, dass das alles Atemus Schuld war. Sicher beruhte die Sache nur auf einem großen Missverständnis. Ja, das musste es sein, anders konnte Seto sich die plötzliche Flucht seines Freundes nicht erklären. Mokuba erwiderte daraufhin nichts, weil er wusste, wie sehr Seto an Atemu hing. Doch sollte der Kerl wieder auftauchen, würde er trotzdem mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Einfach so abzuhauen - aus welchem Grund auch immer - und seinem großen Bruder damit wehzutun - so was tat man einfach nicht! “Gut, Seto. Kann ich dich hier alleine lassen, oder machst du dann irgendwelche Dummheiten?” “Du tust gerade so, als seist du der große Bruder”, stellte jener fest. “Mach dir mal keine Sorgen, ich komme schon klar”, versicherte er. Als Seto an diesem Abend spät zu Bett ging, konnte er kein Auge zutun. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere und hatte ständig das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen, doch er wusste einfach nicht, was. Am nächsten Morgen war er so erledigt, dass er sich den Tag freinahm. Außerdem wollte er die Zeit lieber nutzen, um nach Atemu zu suchen. Er hatte zwar keine Ahnung, wo er mit seiner Suche beginnen sollte, aber auf etwas anderes konnte und wollte er sich sowieso nicht konzentrieren. Kapitel 13: Entführung ---------------------- Hallo liebe Leser, tut mir leid, dass ich diesmal eure Kommentare nicht beantworten konnte, hab einfach keine Zeit dafür gefunden. Aber diesmal klappt es bestimmt wieder, spätestens am Freitag, da is' ja frei. Am Sonntag kommt wieder das nächste Kapitel. Und jetzt wünsch ich euch viel Spaß beim Lesen. Yami hatte derweil die Nacht in seinem Versteck hinter dem Keller des Spieleladens verbracht. Zwischen all den Lilien hatte er sich einen Schlafsack ausgerollt und darin eingewickelt. Auch er hatte nicht gut geschlafen, doch wenigstens zwischendurch mal die Augen zumachen können, im Gegensatz zu Seto. Er hatte gemerkt, dass dieser am gestrigen Abend im Laden gewesen war und nach Atemu gesucht hatte. Doch das Geheimversteck hatte er zum Glück nicht entdeckt. Müde streckte sich Yami und stand auf. Nach ein paar Dehnübungen und einem pampigen Frühstück aus der Dose, welches er in der Mikrowelle heiß gemacht hatte, überlegte er, wie er Seto am besten loswerden könnte, ohne dass man seine Spur aufnehmen konnte. Denn es war diesmal etwas komplizierter als sonst, da es in diesem Fall eine persönliche Beziehung zwischen ihm - oder besser gesagt Atemu - und dem zukünftigen Opfer gab. Da würde die Polizei am ehesten ihn in Verdacht haben. Selbst wenn er die ausgesuchte Lilie bei Seto ablegte, wäre Atemu nicht gleich von jedem Verdacht ausgeschlossen. Außerdem hatte er sich seltsam benommen, und war dann verschwunden. Das machte ihn noch mehr verdächtig. Aber auf der anderen Seite wollte Yami Seto auch nicht so einfach aus dem Hintergrund ermorden. Nein, er sollte leiden bevor er starb und erkennen, was er ihm angetan hatte, indem er mit Atemu zusammen war. Fast wäre Yami verschwunden… Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, wie er sich die Freiheit schaffen konnte, Seto nach seinen Vorstellungen zu töten… Seto ließ sich niedergeschlagen auf die Couch fallen, als er an diesem Nachmittag total fertig nach Hause kam. Er hatte an allen möglichen Orten nach Atemu gesucht, nebenbei immer wieder versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, tausend SMS geschrieben und noch mal seine Freunde angerufen. Doch sein Lebensgefährte schien wie vom Erdboden verschluckt. Nach höchstens fünf Minuten Pause, die er sich gegönnt hatte, raffte er sich wieder auf und machte sich schnell einen Kaffee, damit er überhaupt noch in der Lage war, etwas zu tun. Anschließend ging er in sein Arbeitszimmer, setzte sich an den Computer und erstellte Suchanzeigen mit Atemus Foto darauf. Einen Teil würde er selbst an öffentlichen Plätzen aufhängen, den anderen Teil annoncierte er in verschiedenen Zeitungen. Zwar würde die Polizei auch nach Atemu fahnden, doch Seto fand, dass, je mehr er tat, desto größer die Chance wurde, dass die Suche wirklich Erfolg hatte. Auf dem Polizeirevier hätte er auch noch andere Fälle bearbeiten müssen, was ein weiterer Grund war, weswegen er sich freigenommen hatte und die Suche lieber von zu Hause aus anging. Diese Arbeit am Computer dauerte länger, als er gedacht hatte und zudem ging ihm zwischendurch noch die Druckertinte aus, so dass es schon dunkel war, als er sich auf den Weg machte, die Ausdrucke aufzuhängen. Zum Glück bot sich Mokuba an, ihm dabei zu helfen. Als Seto am Abend wieder zurückkam, fühlte er sich, als hätte man ihn durch einen Fleischwolf gedreht. Nicht nur, dass er die Nacht nicht geschlafen und ununterbrochen nach Atemu gesucht hatte, auch das viele Koffein, welches er hinuntergeschluckt hatte, entfaltete nun die negative Seite seiner Wirkung und schien mit seinen Nerven Klavier zu spielen. Müde und abgeschlagen ging er hinauf ins Schlafzimmer und wollte sich gerade aus dem Nachtschränkchen eine Schlaftablette holen, damit er wenigstens diese Nacht zur Ruhe kam, als er aus dem Augenwinkel auf dem Bett etwas Violettes schimmern sah. Entsetzt riss er die Augen auf, als er erkannte, dass es sich um die Blüte einer Lilie handelte, die mit ihrem satten Farbton verführerisch glänzte. Darunter lag ein gelber Briefumschlag. Und jetzt bemerkte Seto auch, warum es so kalt im Zimmer war: Die Balkontür stand offen und die Vorhänge wehten im Wind, als wollten sie ihm einen stummen Gruß entsenden. Seto ging vorsichtig hinüber und wünschte sich derweil, er hätte seine Dienstwaffe nicht auf dem Revier zurückgelassen. Er spähte auf den Balkon, doch zu seiner Erleichterung war dort niemand. Auch draußen war in der Dunkelheit niemand zu erkennen. Schnell schloss er die Balkontür. Mit zitternden Fingern klaubte Seto den gelben Umschlag auf und schalt sich im nächsten Moment einen Narren, weil er ihn ohne Handschuhe angefasst hatte und somit Fingerabdrücke darauf hinterließ. Aber wenn dieser Umschlag wirklich von dem Auftragskiller Violette sein sollte, dann wären sowieso keine Spuren von diesem auf dem Papier. Dafür war er viel zu sehr Profi. Trotzdem holte sich Seto nun erstmal Handschuhe, bevor er auch noch das Innere des Briefes anfasste. Anschließend holte er den Brief hervor und staunte nicht schlecht, als er sah, dass der gelbe Zettel darin handschriftlich beschrieben war. Eine Handschrift verriet immer eine Spur. Im nächsten Moment stutzte er. Das war doch Atemus Handschrift! Aber das konnte nicht sein! Dort stand in schöner, doch seltsam unregelmäßiger Schrift, so wäre der Schreiber sehr unsicher gewesen: Lieber Seto, es tut mir so leid, dass ich abgehauen bin. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Und dann hat er mich erwischt. Er will, dass du… (An dieser Stelle war der Text durch einen großen Tintenfleck unterbrochen) … Naturschutzgelände außerhalb Dominos kommst. Zum Salzbrunnen, sofort, nachdem du den Umschlag gefunden hast. Sonst wird er mich (An dieser Stelle war wieder Tinte verschmiert) …töten. Und wenn du nicht alleine und unbewaffnet kommst, ebenfalls. Er will kein Geld, du sollst einfach nur kommen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht will er sich an der Polizei rächen. Er sagt mir nichts. Dein, dich liebender, Atemu Seto sackte zitternd vor dem Bett zusammen. Die einzigartige Lilie besagte nur allzu deutlich, wer mit er gemeint war. Also hatte dieses Schwein Atemu entführt! Voller Wut und Angst zerknüllte er das Briefpapier und bemerkte zu spät, dass er da gerade Beweismaterial beschädigte. Vor Schreck ließ er das Knäuel fallen. Warum ausgerechnet sein geliebter Atemu? Seto bemerkte es gar nicht, als ihm Tränen aus den Augen zu laufen begannen, als hätte man einen Kanal geöffnet. Schluchzend hielt er sich die Hände vors Gesicht. Was, wenn Atemu da nie wieder lebend herauskam? Was war, wenn Violette ihm bereits etwas angetan hatte und jetzt ohne sein Opfer auf Seto wartete? Was wollte der Auftragskiller überhaupt von ihm? Wieso tat er das? Wenn Violette ihn hätte tot sehen wollen, hätte er nur abzuwarten brauchen, als dieser Drogendealer ihn hatte erschießen wollen. Nein, stattdessen hatte Violette ihn damals sogar gerettet und ihm diese Kugel zugeworfen, mit dem Zettel auf dem stand: Für dich, mein süßer Polizist. Wieso hatte er das getan, wenn er etwas gegen ihn hatte? Seto schauderte, als er daran dachte, dass Violette dafür bekannt war, seine Opfer gerne zu foltern, wenn er die Möglichkeit dazu besaß. Vielleicht stellte das so eine Art perverse Befriedigung für ihn dar und er hatte ihn damals nur gerettet, weil ihm Setos Tod sonst zu schnell gegangen wäre. Vielleicht hatte er ihm deshalb auch diese Kugel zugeworfen. Und hatte er gewusst, dass Seto unter den Polizisten sein würde oder war das nur Zufall gewesen? Wenn ja, dann wäre es jedenfalls ein merkwürdiger Zufall gewesen. Doch, was immer auch der Grund war, eines stand für Seto fest: Er würde Atemu da raus holen, und wenn er selbst dabei drauf ging. Er wusste nur noch nicht, wie er es anstellen sollte. Und sollte er wirklich niemanden von seinen Kollegen um Hilfe bitten, so wie es Violette gefordert hatte? Es wäre dumm gewesen, alleine zu gehen, aber andererseits könnte der Auftragskiller davon Wind bekommen, wenn er jemanden mitnahm, vor allem, wenn man bedachte, dass es offensichtlich einen Verräter bei der Polizei gab. Und Mokuba würde er bestimmt nicht damit hineinziehen und in Gefahr bringen. Zudem hatte es auch geheißen, dass er sofort kommen sollte und wer wusste, wie lange der Brief hier schon lag? Jetzt, wo Seto so langsam wieder klar zu denken begann, fragte er sich, wie Violette überhaupt ins Haus gekommen war, um die Lilie mit dem Brief abzulegen, ohne Einbruchsspuren zu hinterlassen. Aber natürlich, schlug er sich gegen den Kopf, er hat Atemus Schlüssel benutzt. So weit her war es mit seiner Denkfähigkeit dann wohl doch nicht. Aber, halt, wenn er den Schlüssel gehabt hatte, wieso hatte dann die Balkontür im ersten Stock offen gestanden? Die konnte man doch nur von innen öffnen. Das hieß, Violette war erst ganz normal zu Tür reingekommen und hatte dann die Balkontür geöffnet, aus welchem Grund auch immer. Aber klar - dafür konnte es nur einen Grund geben - Seto musste ihn überrascht haben, als er wieder nach Hause kam. So hatte Violette nicht mehr die Möglichkeit gehabt, wieder ganz normal durch die Tür nach draußen zu gehen und musste aus dem ersten Stock fliehen. Seto stand mit wackeligen Beinen und zerknitterter Kleidung auf, in seinen blauen Augen stand ein merkwürdiger Ausdruck, so als wolle sich gerade der Ozean auftun und jemanden verschlingen. Jonouchi rubbelte sich gerade die vom Duschen nassen Haare, als das Telefon klingelte. Das konnte um diese Zeit ja wohl nur Honda sein. “Hey, was gibt’ s, Kumpel?”, nahm er deshalb das Gespräch an. “Ich…”, hörte er eine brüchige Stimme. Danach keinen weiteren Ton. “He, wer ist denn dran?”, wunderte der blonde Polizist sich. “Hilf mir”, sprach die Stimme weiter und Jonouchi guckte verblüfft das Telefon an. “Kaiba, Alter, bist du das?”, wollte er verwundert wissen. So mitgenommen hatte sich sein Kollege und Freund - auch wenn dieser letzteres gerne bestritt - noch nie angehört. Kapitel 14: Treffpunkt Salzbrunnen ---------------------------------- Also, dieses Kapitel ist "etwas" verrückt *hüstel*. *Es nur mal zur Vorwarnung gesagt haben wollte*. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem. Während sich Kaiba die größten Sorgen machte, hatte es sich Yami auf einem Stuhl bequem gemacht und die Beine auf dem Tisch davor lang gestreckt. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lehnte er sich lässig zurück, als wäre das hier gerade ein normaler, gemütlicher Freitagabend. Gekleidet war er so, wie er es am liebsten hatte, nämlich in eine schwarze, enge Lederhose und ein gleichfarbiges T-Shirt mit einer Lederjacke darüber. Um den Hals hatte er ein schwarzes Band aus demselben Material mit silbernen, spitzen Nieten daran. Auch die Handgelenke zierte ähnlicher Schmuck. Lächelnd und an das kommende Vergnügen denkend, spielte er mit dem Messer in seiner Hand. Er leckte sich über die Lippen, als er daran dachte, was er noch mit Kaiba anstellen würde. Anschließend hätte der bestimmt für den Rest seines Lebens keine Lust mehr auf Sex - nun ja, so lange würde er danach aber auch wieder nicht leben. Wenn er mit ihm fertig wäre, würde ihm nämlich etwas ganz entscheidendes fehlen: Blut. Yami liebte Blut, besonders wenn es in Strömen floss, weshalb er es, wenn möglich, auch vorzog seine Opfer möglichst langsam zu töten. Yami freute sich schon auf Setos Gesichtsausdruck und den Schock, wenn dieser bemerkte, dass sein geliebter Freund Violette war und ihn umbringen wollte. Dass das so nicht ganz stimmte - immerhin war er Yami und damit eine andere Person als Atemu - konnte Seto ja nicht ahnen. Das Versteck hinter dem Keller im Spieleladen Atemus war keineswegs Yamis einziges. Im Moment hockte er in einer kleinen, aber schicken, Holzhütte auf dem großen Naturschutzgebiet neben Domino. Der Salzbrunnen, zu dem er Seto bestellt hatte, lag fast am anderen Ende des Grundstückes. Nicht, dass Atemus Freund noch auf die Idee kam und Freunde mitbrachte, die dann sein Versteck aufspürten. So hatte er einen relativ großen Sicherheitsabstand, da das Naturschutzgebiet ein sehr weiträumiges Areal umfasste. Es war ein schönes Fleckchen Erde, wo man auf einzigartige Weise die Natur genießen konnte. Yami war froh, endlich mal wieder hier her zu kommen, auch wenn er es gerne bei Tageslicht getan hätte, denn momentan konnte man in der Finsternis kaum die Hand vor Augen sehen, da es hier draußen nur auf den befestigten Pfaden ab und zu eine Laterne gab. Aber wozu gab es Taschenlampen? Auch im Inneren der Hütte hatte Yami kein Licht eingeschaltet, sondern nur eine Kerze entzündet und die Fensterläden geschlossen, so dass man nichts von außen sehen konnte. Langsam musste er sich aber mal auf den Weg machen, sonst würde Seto noch vergeblich beim Brunnen auf ihn warten. Vorsichtig schlich sich Seto durch die Dunkelheit in Richtung dieses Salzbrunnens, an den Violette ihn bestellt hatte. Verdammt, warum musste es hier nur so dunkel sein? Seine Taschenlampe wollte er nicht einschalten, um zu verhindern, dass der Auftragskiller ihn schon von weitem sah. Da hätte er sich ja auch gleich als Zielscheibe präsentieren können. So erhellten nur der Mond und ein paar einzelne Sterne seinen Weg. Glücklicherweise kannte er die Stelle mit dem Brunnen, sonst hätte er sie in der Dunkelheit wohl nicht gefunden. Doch auch so war es schwierig genug, sich an den Weg zu erinnern. Alle paar Schritte stolperte er über einen Stein oder eine Wurzel, die er nicht sah. Ein anderes Mal wiederum war er in die falsche Richtung gegangen und hatte wieder umkehren müssen. Bei bloßem Mondschein sah aber auch alles irgendwie gleich aus. Endlich! Endlich berührte Setos Hand den rötlichen Stein des Brunnenrandes, der im Düsteren dunkelgrau wirkte. Er fühlte sich kalt an und Seto unterdrückte ein Schaudern. Alles sah hier so unheimlich aus. Überall waren dunkle Schatten, von denen man nicht wusste, ob es sich nur um Bäume und Sträucher handelte, oder ob sich Violette hinter einem von diesen versteckte. Außerdem strich der Wind durch die Büsche und Tiere raschelten im Gestrüpp. Der Auftragskiller könnte sich praktisch neben ihn stellen - er würde es weder sehen noch hören, wenn dieser sich nur einigermaßen leise bewegte. Hektisch blickte Seto sich um. Doch auch das brachte ihm nichts, denn plötzlich spürte er eine flüchtige Berührung in seinem Rücken, die er fast für den Wind gehalten hätte, doch im nächsten Moment schrie er auch schon auf, als etwas mit Wucht auf seine Hand, die noch auf dem Brunnen lag, niedersauste. Als er sich vor Schmerz krümmte und die Hand fest an den Bauch presste, bekam er auch schon einen Tritt in die Rippen ab, der so fest war, dass Seto im nächsten Augenblick am Boden lag. Jemand setzte sich auf ihn und schlug ihn ins Gesicht, so dass er sich kaum noch rühren konnte. Mit aller Macht stemmte er sich gegen das Gewicht auf seiner Hüfte, versuchte, den Schmerz zu ignorieren und wollte die Person abwerfen, als ihm etwas ins Gesicht gesprüht wurde, woraufhin Seto nur noch schreien und sich die Augen zuhalten konnte. Verdammt, wie hatte Violette ihn nur so überraschen können? Er hatte überhaupt keine Chance gehabt, zu reagieren. Und alle auf der Polizeischule erlernten Selbstverteidigungs-Techniken für die Katz. Er war einfach überrascht worden, dabei hatte er doch gewusst, auf was er sich einließ! Doch die Realität holte einen manchmal gnadenlos ein und plötzlich wurde alle Theorie durch die Praxis zunichte gemacht. Schon wurden Setos Arme auf seinen Rücken gedreht und er hörte das Einrasten von Handschellen, die sich um seine Gelenke drehten. “Hey, auf die Füße! Steh auf!”, bellte ihn jetzt eine Stimme an. Seltsam, die klang so ähnlich, wie Atemus. Aber Atemu hatte nie so herrisch herumgebrüllt und außerdem tat Seto alles weh, deshalb dachte er nicht weiter darüber nach. Das einzige, worüber er sich sorgte, war das Messer, dessen Spitze er plötzlich im Rücken spürte. War das jetzt alles? War es jetzt schon vorbei? Und dabei hatte er Atemu noch nicht mal helfen können. Was war, wenn ihm das gleiche passierte oder schon passiert war? Er könnte es sich niemals verzeihen, wenn Atemu seinetwegen leiden oder gar sterben müsste. Nur, weil er Polizist war und irgend so ein Irrer meinte, ihn in seine absurden Rachepläne mit einbeziehen zu müssen. Seto liefen Tränen aus den Augen, die diesmal nicht nur vom Gas, das ihm in die Augen gespritzt worden war, herrührten. In Erwartung des nahenden Todes, richtete er sich unter Aufbietung aller Kräfte auf und fragte: “Was hast du mit Atemu gemacht? Was hast du feiges Schwein ihm angetan?” Das Messer in seinem Rücken zuckte unkontrolliert, schnitt dabei seine Jacke ein und ritzte die obere Hautschicht ein wenig an. Seto biss sich auf die Zunge und schmeckte gleich darauf Blut. “Du hast keine Fragen zu stellen! Und jetzt bleib mal schön still stehen!”, befahl Violette und begann damit, Seto am ganzen Körper nach versteckten Waffen und möglichen Sendern zu untersuchen. Als er nichts fand, deutete auf den Brunnen, wo er seine Aufmerksamkeit auf eine Strickleiter lenkte, die er nun von der Seite aus einem Gebüsch holte, am Brunnen fest machte und sie an der Innenwand hinunterließ. Wieder war Seto aufgefallen, dass die Stimme des Auftragskillers der Atemus so ähnlich war, doch er tat es als Zufall ab. Nur unter heftigem Blinzeln konnte er überhaupt erkennen, was Violette da tat. Und dieser trug offensichtlich eine Sturmmaske, so dass Seto sein Gesicht nicht sehen konnte. “Los, runter da!”, herrschte Violette ihn an. “Tja, gerne doch. Ist ja auch so einfach mit Handschellen”, erwiderte Kaiba in sarkastischem Tonfall. Doch sein Gegenüber ließ sich anscheinend nicht provozieren und nahm ihm lediglich die Handschellen ab. Stattdessen holte er eine Pistole unter seiner Jacke hervor, die er drohend auf ihn richtete und dies merken ließ, indem er ihm erstmal den Lauf in den Rücken rammte. Also musste sich Kaiba wohl oder übel fügen und den dunklen Schacht hinuntersteigen. Das war alles andere als einfach und dass er nichts sehen konnte, war dabei noch das geringste Problem, denn seine linke Hand schmerzte, als würde man ihm glühende Messer hineinstechen, seine linke Seite protestierte ebenfalls stark gegen die Bewegung, sein Kopf tat weh und die Augen brannten wie die Hölle. Mühevoll ertastete er die Sprossen der Leiter und unter heftigem Blinzeln vermochte er sich gerade so zu orientieren. Trotzdem war er oft kurz davor, abzustürzen. Zum Glück war der Schacht nicht allzu tief. Der Boden des Brunnens war ausgetrocknet, es sah so aus, als sei er schon seit langer Zeit stillgelegt. “Wo bringst du mich hin?”, wagte Seto zu fragen, doch statt einer Antwort bekam er einen leichten Stoß in den Rücken, der ihm zu verstehen geben sollte, weiterzugehen. Seto stolperte vorwärts und konnte dabei die Hand vor Augen nicht sehen. Er fragte sich, wie er hier laufen sollte, ohne irgendwo gegen zu stoßen oder zu stolpern. Doch im nächsten Moment schaltete Violette glücklicherweise eine Taschenlampe an. Aber auch jetzt fiel es Seto schwer, etwas zu sehen, da er noch unter den Nachwirkungen des Tränengases litt. Jedenfalls erkannte er, dass er sich nun zu einem Tunnel hin bewegte, der sich an einer Seite der Brunnenwand auftat. Er musste nur den Kopf einziehen und sich ein wenig bücken, schon ging es weiter. Violette hinter ihm hatte aufgrund seiner geringeren Größe keine derartigen Probleme. Seto fragte sich, wohin in aller Welt der Auftragskiller ihn bringen würde. Wahrscheinlich in irgendein Versteck, wo niemand ihn finden würde. Nach einem scheinbar endlosen Marsch durch den dunklen Tunnel, durch einige Abzweigungen hindurch - Seto glaubte schon, keinen Schritt mehr tun zu können vor lauter Schmerzen in seiner Hand, die wahrscheinlich gebrochen war - als Violette endlich anhielt und einen Gullideckel über ihnen öffnete. An einer Leiter, die dort hochführte, kamen sie nach oben. Seto stellte fest, dass sie immer noch irgendwo tief im Wald steckten. Sein Entführer schubste ihn weiter nach Vorne. “Wann sind wir endlich da?”, presste Seto zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er konnte wirklich nicht mehr weiter und hielt sich schmerzverkrümmt die linke Hand. “Hier, nimm das!”, forderte Violette ihn auf und drückte ihm zwei Tabletten in die Hand. Seto beäugte sie kritisch. “Keine Angst, dass ist nur ein Schmerzmittel - nicht, dass ich dich den Rest des Weges noch tragen muss, du bist nämlich ziemlich schwer”, erklärte der Auftragskiller spöttisch. “Wenn ich dich gefügig machen will, habe ich andere Methoden als Drogen.” Seto zuckte unter den Worten zusammen, denn jetzt wurde ihm die Ähnlichkeit Violettes Stimme mit Atemus geradezu unheimlich gewahr. Doch das konnte nicht sein, sagte er sich. Das musste alles ein dummer Zufall sein, wahrscheinlich noch gesteigert durch die Tatsache, dass er sich nach seinem Freund sehnte. Atemu würde so etwas schließlich niemals tun. Er war kein blutrünstiger Auftragskiller. Allerdings musste er schon zugeben, dass auch die Gestalt Violettes der Atemus sehr ähnlich war. Er hatte die gleiche Größe und dieselbe schmale Statur. “Nun mach schon!”, zischte sein Entführer. Seto riss sich zusammen und schluckte die Tabletten hinunter. Er hoffte nur, dass er damit keinen Fehler machte. Anschließend gingen sie weiter, während er hoffte, dass dieses angebliche Schmerzmittel endlich zu wirken beginnen möge. Seto atmete auf, als sie eine Hütte erreichten, die offensichtlich Violettes Ziel war. Sie gingen hinein und der Auftragskiller schubste ihn aufs Bett, wo er ihn wieder mit Handschellen ankettete. Dabei schmerzte seine Hand so sehr, dass ihm kurzzeitig die Sinne schwanden. Die Tabletten schienen überhaupt nicht zu wirken. Aber vielleicht hatte er es nur ihnen zu verdanken, dass er nicht zusammengebrochen war. Violette knipste das Licht an und kam mit einem Glas Wasser an, wie Seto blinzelnd feststellte. “Augen auf!”, befahl er. Seto kniff die Augen zusammen. “Nun mach schon, oder soll ich deutlicher werden!”, forderte sein Entführer scharf. “Wo ist Atemu?”, wollte Seto wissen, denn er konnte ihn nirgends in der Hütte sehen. “Mach die Augen auf, dann erfährst du, wo Atemu ist”, versprach Violette. Also öffnete Seto die Augen. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Im nächsten Moment hatte er das Glas Wasser im Gesicht, und zwar so schnell, dass er, obwohl er die Augen reflexartig wieder geschlossen hatte, einen Teil davon hinein bekommen hatte. Schlagartig wurde er aus seiner, durch Erschöpfung und Schmerz verursachten, Lethargie gerissen. Verwundert stellte er fest, dass die Wirkung des Tränengases sich fast ganz verflüchtigt hatte. Das Wasser hatte ihm offensichtlich die Augen ausgespült. “Na, kannst du jetzt endlich wieder sehen?”, erkundigte sich Violette mit spöttischer Stimme. Seto nickte mit hasserfülltem Blick auf die schwarzgekleidete Gestalt. “Und jetzt sag mir, wo Atemu ist! Was hast du mit ihm gemacht?”, verlangte er zu wissen. “Oh, keine Sorge, Atemu geht es gut”, versicherte Violette und stülpte sich aufreizend langsam die Sturmmaske vom Gesicht. Darunter kam auch seine unverwechselbare Haarpracht zum Vorschein, die jetzt ziemlich verwirrt und geplättet aussah. Seto sah violette Augen schelmisch aufblitzen. Er riss die Augen weit auf. Das konnte nicht sein! Er musste halluzinieren! Ja, das musste es sein. Das, was er hier sah, konnte nicht wahr sein! Sein Verstand weigerte sich, die Tatsachen zu akzeptieren. Mit einem bösen Lächeln kam Yami auf ihn zu und setzte sich auf den Bettrand. In der Hand hatte er wieder sein Messer. Da hatte er Seto ja ganz schön geschockt. Der schien regelrecht erstarrt vor lauter Schreck. Nur gut, dass er zuvor die Videokamera aktiviert hatte, die genau auf das Bett ausgerichtet war. So hätte er diese Szene immer in schöner Erinnerung, auch, wenn Seto bald nicht mehr da wäre… “Na, was ist? Hat’ s dir die Sprache verschlagen?”, spottete Yami und spielte mit seinem Messer herum. “Willst du gar nichts sagen?” “Atemu…?”, brachte sein Opfer mit brüchiger Stimme hervor. “W-warum? Wie…?” Seto blinzelte heftig, so als müsse er sich vergewissern, dass er nicht fantasierte. “Du willst wissen, warum? Nun, ich will es dir erklären: Du warst du perfekte Tarnung - ich wusste, dass du Polizist werden wolltest - und welcher Auftragskiller wäre schon freiwillig mit einem Polizisten zusammen? Nein, darauf würde sicher nie jemand kommen. Also das perfekte Alibi, sozusagen. Na ja, ich muss zugeben, du bist ja auch ganz süß, das kommt noch dazu.” “Was? Nein, das kann nicht sein! Du bist nicht der Atemu, den ich kenne!”, brachte Seto gequält hervor und weigerte sich, das Gesagte zu akzeptieren. “Das kann nicht sein, du kannst mir nicht all die Zeit etwas vorgespielt haben. So gut kann sich niemand verstellen. Nicht die ganzen Jahre über, jede Sekunde…” “Jede Sekunde? Wie viele Sekunden gab es denn, in denen du nicht bei mir warst und stattdessen lieber deiner Arbeit nachgegangen bist, hm? Du kennst mich doch gar nicht wirklich. Du weißt nicht einmal, dass ich nicht Atemu bin”, eröffnete Yami. “Die ganze Zeit hast du nichts mitgekriegt, hast nicht wahrhaben wollen, wenn sich dein Freund mal seltsam verhielt oder sich offensichtlich an etwas nicht erinnern konnte. Aber du bist nie auf den Gedanken gekommen, dass da noch ich bin. Du willst wissen, wovon ich rede, hm?”, meinte Yami, beugte sich vor und schnitt Seto plötzlich ins Bein, als er merkte, dass dieser ihm in eine Ohnmacht abzudriften schien. Schlagartig wurde der junge Polizist wieder wach. “Hör mir gefälligst zu!”, fauchte Yami. “Das bist du mir schuldig. “Weißt du, wie sehr ich dich gehasst habe, die ganze Zeit? Ständig diese Erinnerungen Atemus durchleben zu müssen, als wären es meine eigenen, wie du ihn angefasst hast…” Yami verdrehte die Augen, so als würde die Erinnerung ihm jetzt noch Panik bereiten. “Ich schwöre dir, wenn du ihn genommen hättest, hätte ich dich auf der Stelle getötet.” Wenn er ihn genommen hätte? Sprach er von der Tatsache, dass Atemu nie hatte unten liegen wollen? Dass er panische Angst davor gehabt hatte? Irgendwann in all den Jahren hatte es selbst Seto aufgegeben, nachzufragen, warum er solche Angst davor hatte. Irgendwann hatte er sich einfach damit zufrieden gegeben, Atemu bestimmen zu lassen, wo es in ihrem Sexleben langging. Er liebte ihn und das war genug. “Wenn du nicht Atemu bist, wer bist du dann?”, stellte Seto die entscheidende Frage. “Wer ich bin?”, Yami lachte hysterisch auf. “Ich bin Atemus Schatten, aber gleichzeitig sein Beschützer. Ich konnte nie ein Leben führen wie er, denn diese Gesellschaft kotzt mich an. Aber wenn du es genau wissen willst - die Fachmedizin würde wohl sagen, dass ich eine dissoziative Identitätsstörung habe. Da ist nicht nur Atemu in diesem Körper“, erklärte Yami, „sondern auch ich. Atemu weiß nicht mal von meiner Existenz - er konnte sich nie erinnern, was er getan hatte, wenn ich aktiv war - doch ich weiß ganz genau Bescheid. Jede seiner verdammten Erinnerungen hat er mir aufgedrängt. Ich hasse ihn und liebe ihn zugleich. Er ist wie ein Bruder für mich, aber leider ohne eigenen Körper und das… kann ich nicht länger akzeptieren.“ Yami nahm die Klinge seines Messers in die Hand und schnitt sich selbst ins Fleisch, wobei er die Zähne fest zusammenbiss. „Ich will, dass er verschwindet. Ich kann seine Gegenwart nicht mehr ertragen.“ „Nein, Atemu, lass das“, rief Seto entsetzt, als er Blut aus der Hand seines Freundes fließen sah. Erschrocken versuchte er, zu verarbeiten, was er da gerade gehört hatte. Wenn er das richtig verstanden hatte, hatte Atemu - oder vielmehr der Andere, der sich Violette nannte, gerade gesagt, dass er eine Multiple Persönlichkeit war? Aber, das konnte doch nicht sein, das hätte er doch merken müssen! Atemu hatte sich immer ganz normal verhalten, oder? Plötzlich erinnerte sich Seto mit Schrecken an all die kleinen Details, die ihm nicht so wichtig erschienen waren: Atemu, wenn er sich manchmal an etwas nicht erinnerte, was teilweise erst am Tag davor passiert war, oder wenn er todmüde war, wo er behauptete, die ganze Nacht durchgeschlafen zu haben. Oder wenn er sich mal wieder so seltsam verhielt, als wäre er ein anderer. Seto hatte das auf irgendwelche Stimmungsschwankungen zurückgeführt. Doch jetzt? War das alles…Violette gewesen? War sein Freund wirklich verrückt - ein verrückter, blutrünstiger, menschenverachtender, brutaler Mörder? Denn meistens tötete Violette seine Opfer nicht schnell und schmerzlos - es sei denn, er hatte keine andere Möglichkeit - sondern langsam und grausam, folterte sie geradezu. “W-wieso tust du das alles, Atemu?”, wagte Seto schließlich zu fragen. Das alles kam ihm immer noch wie ein ganz böser Traum vor, sonst hätte er wohl gar nichts mehr denken, sondern nur noch schreien können. “Atemu?! Du nennst mich Atemu? Hast du es nicht kapiert, Atemu existiert bald nicht mehr, ich sorge dafür, dass er verschwindet!”, sprang Yami auf und schrie Seto an. “Nenn nie wieder diesen Namen in meiner Gegenwart! Ich heiße Yami, kapiert?” “So nennst du dich also?”, erwiderte Seto kühl und war über die plötzliche Ruhe in seiner Stimme selbst verwundert. Wahrscheinlich war er bereits über den Punkt zu fühlen hinaus. Wahrscheinlich war er schon so geschockt, dass er nicht mehr dazu in der Lage war. “Ja, das bin ich, verdammt!”, es war, als wolle er sagen, dass er auch das Recht hatte, zu leben, ein ganz normales Leben zu führen wie Atemu. Nicht nur ein Schatten sein zu müssen. “Und ich hasse dich! Ich werde dich für all das büßen lassen, was du mir angetan hast!” “Dafür, dass ich dich geliebt habe?”, warf Seto ein. “Du hast nicht mich geliebt, sondern Atemu”, stellte Yami klar und verdrehte die Augen, als bereite es ihm Schmerzen, darüber nachzudenken. Seto kam es so vor, als wäre Atemu kurz davor, endgültig den Verstand zu verlieren. “Aber du bist Atemu”, insistierte Seto. “Auch wenn du… wenn sich dein Bewusstsein irgendwann in zwei verschiedene Persönlichkeiten gespalten hat, du bist immer noch Atemu. Und wer immer dir das angetan hat, dass du so geworden bist, ich will, dass du weißt, dass ich auch diesen anderen Teil von dir liebe.” Denn Seto wusste, dass eine Multiple Persönlichkeitsstörung nicht einfach so entstand, sondern nur durch schwere traumatische Erfahrungen in der frühen Kindheit. Er fragte sich, was Atemu wohl durchgemacht hatte, dass aus ihm das geworden war, was er jetzt war. Und er fühlte sich schuldig, weil er in all den Jahren nicht bemerkt hatte, was mit seinem Freund los war. Wie hatte er nur so blind sein können? “Wie kannst du das sagen?”, fuhr Yami auf. “Du weißt, was ich getan habe! Du als Polizist weißt es sogar sehr genau. Wie kannst du behaupten, jemanden wie mich zu lieben? Nein, du willst doch bloß wieder lebend hier heraus kommen.” “Es tut mir leid, dass du das glaubst. Ja, ich weiß, was du getan hast und ich bin froh, dass du dir deiner Schuld bewusst bist. Aber ich kenne auch den anderen Teil von dir und diesen Teil liebe ich immer noch”, stellte Seto klar. “Aber Atemu ist nicht bloß ein anderer Teil von mir oder ich von ihm. Atemu ist tatsächlich ein anderer, eine ganz andere Persönlichkeit, verstehst du das nicht?”, funkelte Yami ihn aus seinen violetten Augen gefährlich an. “Genug geredet!”, beschloss er. “Kommen wir zur Sache!” Damit beugte er sich vor und befreite Seto ruckartig von seiner Jacke, wobei er aber die Handschellen nicht löste, sondern einfach das Leder aufschnitt. “Die wirst du sowieso nicht mehr brauchen”, erklärte er. Seto, dem sowieso schon ziemlich kalt gewesen war, fing nun an zu zittern. Doch ihm war klar, dass nicht nur die Kälte daran schuld war. Was hatte der andere Atemu mit ihm vor? Würde er ihn jetzt genauso qualvoll töten wie seine anderen Opfer? Auch das Hemd wurde ihm jetzt aufgeschnitten. Yami machte den Eindruck, als wolle er sich gleich einem wilden Tier auf ihn stürzen um ihn mit Haut und Knochen zu verschlingen. Als Seto schon glaubte, dass ihm nun auch noch die Hose runtergrissen würde, stoppte Yami sein Tun und setzte sich auf seine Hüfte. Anschließend zog er unter seiner Kleidung noch ein anderes, kleineres Messer hervor, das aber nicht weniger scharf aussah. “Na, was soll ich dir einritzen?”, erkundigte sich Yami in fast freundlichem Tonfall. “Das macht doch Spaß”, erklärte er auf Setos entsetzten Blick hin. “Ein paar Schnitte von mir hast du ja schon. Aber das hier werde ich genießen. Na, willst du nichts sagen? Plötzlich stumm geworden?” Yami beugte sich zu Setos Brust hinab, das Messer im Anschlag. Kapitel 15: Dein anderes Ich ---------------------------- “Warte, Atemu!”, rief Seto panisch. “Ich weiß, dass du noch da bist! Tu das nicht, lass dein anderes Ich nicht gewinnen!” Seto bemerkte, wie Yami zögerte und da wusste er, dass er noch eine Chance hatte. “Bitte, ich liebe dich”, flehte er. “Unsinn!”, fuhr Yami auf und hielt ihm das Messer an die Kehle. Seto zuckte zusammen, als seine Haut eingeritzt wurde. Hatte er Yami eben so verärgert, dass dieser ihn gleich töten würde? Würde er jetzt sterben? In Erwartung des nahen Todes begann er stärker zu zittern und Tränen liefen ihm über die Wangen. Doch Yami beherrschte sich und zog das Messer wieder zurück. “Nein, du sollst lange leiden, so wie ich gelitten habe”, erklärte er bestimmt. “Du wirst mich nicht dazu bringen, dich schneller zu töten, auch wenn du noch so oft sagst, dass du Atemu liebst. Das stimmt ja sowieso nicht, wie wir gesehen haben.” “Wie kommst du darauf, dass das nicht stimmt?”, wollte Seto verwundert wissen. “Ach, muss ich dich noch extra daran erinnern? Aber na ja, du denkst wahrscheinlich, ich hätte nichts mitgekriegt, was? Da täuscht du dich aber, mein Lieber.” Irrte Seto sich, oder war da plötzlich eine Veränderung in der Stimme seines Freundes aufgetreten? “Wovon sprichst du?”, fragte Seto weiter. “Ich rede natürlich von diesem silberhaarigen Typen, den du abgeknutscht hast!”, rief Yami wütend und packte Seto am Hals, um ihn zu würgen. “Ich hasse dich!” Seto versuchte, nach Luft zu schnappen und spürte schon, wie ihm die Sinne schwanden, als er endlich losgelassen wurde. Keuchend und hustend holte er Luft. Sein Hals schmerzte fürchterlich. Als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ihm bewusst, dass Yami eifersüchtig war! Und das, obwohl er behauptet hatte, dass nur sein anderes Ich, Atemu, ihn lieben würde. Seto sollte einen silberhaarigen Typen geknutscht haben? Aber ja, es gab nur einen Typ mit silbernen Haaren, der ihn geküsst hatte - Pegasus. Er verzog schmerzlich das Gesicht, als er daran dachte. “Glaubst du, das hätte ich freiwillig getan? Dieser Mann mit den silbernen Haaren, dieser Pegasus, wir sollten Leibwache für ihn spielen und dabei…” “Darunter hast du natürlich verstanden, seinen Leib auch mal ein bisschen näher zu erkunden”, unterbrach Yami und es sah so aus, als wolle er ihn gleich allein durch seine Blicke erdolchen. “Aber das kann mir ja egal sein”, sagte er mehr zu sich selbst als zu Seto, “ich hatte sowieso vor, dich zu töten.” “Nein”, erwiderte Seto, ohne sich ablenken zu lassen. “Pegasus hat mich angemacht. Obwohl ich ihm deutlich zu verstehen gegeben habe, dass ich nichts von ihm wollte, hat er mich plötzlich überrascht und geküsst”, erklärte er unter mehrfachem Husten. “Ach ja, und weil du es so schrecklich fandest, hast du das natürlich mehrere Sekunden über dich ergehen lassen”, stellte Yami sarkastisch fest und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich war nur geschockt, das ist alles. Bevor ich in der Lage war, mich zu rühren, sind ein paar Sekunden vergangen. Aber wenn du es genau wissen willst - ich fand es total eklig und wärest du dagewesen und hättest mir zugehört, statt wegzulaufen, dann hätte ich dir das auch erzählt. Aber du willst mich ja sowieso töten, also bringen wir es hinter uns”, meinte Seto und blickte zur Seite. Dabei wirkte er so verloren, als hätte er aufgegeben. Die Worte und dieser Anblick bewegten irgendetwas in Yami. “Scheiße!”, rief Yami und hielt sich den Kopf, wobei sein Messer klirrend zu Boden fiel. Er wollte nicht, dass sich Atemu wieder dazwischen drängte, ihn wieder verdrängte. Er wollte diesen Kaiba endlich loswerden und diesmal würde sein anderes Ich ihn nicht davon abhalten! Seto bemerkte den inneren Kampf und beschloss, noch etwas nachzuhelfen. “Ich liebe dich, Atemu!”, erklärte er bestimmt und mit offenem Blick. “Nein!”, heulte Yami und bäumte sich wie unter Schmerzen auf. “Halt’ s Maul! Du weißt ja gar nicht…” Er zuckte zusammen, drehte die Augen nach hinten und fiel kraftlos auf Seto. Dieser blickte ihn besorgt an. Was sollte er jetzt machen? Er kam hier nicht los, seine Hand schmerzte wie die Hölle, Atemu war bewusstlos und wer wusste schon, ob er oder Yami die Kontrolle haben würde, wenn er wieder aufwachte? Und was war mit Jonouchi, dem er Bescheid gesagt hatte? Wo blieb der Kerl bloß, wenn man ihn brauchte? Oder hatte er seine Spur gar verloren? Nach etlichen Minuten begann sich der reglose Körper auf Seto zu bewegen. Beinahe wäre er selbst in die Bewusstlosigkeit abgedriftet. Als er nun die sich rührende Wärmequelle auf sich spürte, zwang er sich, die Augen zu öffnen. Ein lang gezogener Schrei hallte durch die Hütte. Atemu hatte die Hände vor den Mund geschlagen und blickte entsetzt auf seinen Freund hinab. “W-was ist passiert?”, fragte er schließlich, sichtlich verwirrt. “Wo sind wir und warum bist du gefesselt?” Offensichtlich hatte Atemu mal wieder nichts mitbekommen. “Ich hatte so einen schrecklichen Traum, der war fast so, wie das hier… Oder bin ich noch gar nicht aufgewacht?” “Nein, Atemu. Du bist leider wach”, erklärte Seto. “Bitte, sei so gut, und mach mich los!”, forderte er seinen Freund auf. “Aber wie?”, blickte Atemu ihn offensichtlich verwirrt an. “Der Schlüssel ist in deiner Jackentasche”, klärte Seto ihn auf. “Oh”, machte Atemu ahnungslos und griff in seine rechte Jackentasche. “Diese Kleidung…”, bemerkte er dabei irritiert. Schließlich hatte er Seto von den Handschellen befreit, der dabei einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich gab. “Was ist? Was ist denn mit deiner Hand passiert?”, fragte Atemu entsetzt. “Das willst du nicht wissen”, meinte Seto. “Habe ich etwa…?”, rief Atemu schockiert. Seto blickte ihn überrascht an. Hatte er etwa doch etwas mitbekommen? “Ich habe geträumt, dass jemand sich in meinem Körper bewegt und deine Hand mit einem Hammer zertrümmert hat”, erklärte sein Lebensgefährte. “Ich fürchte, das war kein Traum”, erklärte Seto und versuchte, sich aufzurichten, woraufhin Atemu sich ein wenig zur Seite bewegte, um ihm Platz zu machen. “Wie meinst du das?”, wollte sein Freund mit schreckgeweiteten Augen wissen. “Was ist wirklich passiert?” Seto fragte sich, ob er Atemu sagen sollte, was er erfahren hatte. Aber wenn jener sowieso alles wie im Traum erlebt hatte, dann wusste er es vielleicht schon und wollte es nur nicht wahrhaben. Schließlich entschloss er sich dazu, Atemu die ganze Wahrheit zu sagen. Nur so konnte er vielleicht erreichen, dass Yami nicht wieder die Oberhand gewann. Vielleicht schlug seine Maßnahme aber auch ins Gegenteil um. Und trotzdem, Seto fand es wichtig, dass Atemu erfuhr, was wirklich mit ihm los war. Also fragte er erstmal vorsichtig: “Wie ging dein Traum weiter?” Seto lehnte sich an die Wand hinter dem Bett und versuchte, sich ein wenig zu erholen. Seine Hand spürte er mittlerweile fast gar nicht mehr. Atemu erzählte es ihm ungefähr so, wie es tatsächlich passiert war, nur dass seine traumhaften Erinnerungen einige Lücken aufwiesen, zum Beispiel da, wo es um die Existenz Yamis als seiner zweiten Persönlichkeit ging. Daraufhin seufzte Seto und erklärte, dass das alles wirklich passiert war. Sein Lebensgefährte schaute ihn wiederum nur geschockt an. “Dann bin ich…so was wie ein Schlafwandler? Und hätte dich dabei beinahe umgebracht?”, schlussfolgerte er entsetzt. “Nein”, schüttelte Seto den Kopf. “Es ist leider viel mehr als das. Du bist… Du hast noch ein anderes Ich in dir, sozusagen. Vielleicht hast du schon mal davon gehört, man nennt es Multiple Persönlichkeit. Er, der andere in dir, nennt sich Yami. Er weiß von dir, kann sich an alles erinnern, was du erlebst, aber du… du hast immer nur geglaubt, du träumtest, nicht wahr?”, fragte Seto sanft. Atemu schluckte krampfhaft. Ihm kamen plötzlich wieder die vielen Blackouts in den Sinn, die er sich nie hatte erklären können. Und die Nächte, in denen er glaubte, durchgeschlafen zu haben und trotzdem todmüde war. Ebenso wie die wirren Träume, die so real erschienen waren, diese blutigen, grausamen Träume, die Stimmen… Atemu riss entsetzt die Augen auf. “W-was habe ich getan?”, fragte er mit zitternder Stimme. “Ich meine, was habe ich getan, während ich glaubte, zu träumen? Oder in den Zeiten, an die ich mich nicht erinnern kann? Ich habe oft von Leichenbergen und Seen aus Blut geträumt, alles so ein grausamer Kram. Aber das kann doch nicht wirklich passiert sein?” Atemu blickte ihn aus seinen violetten Augen flehend an, so als wolle er ausdrücken: bitte sag mir, dass das nicht wahr ist! “Nein, natürlich nicht. Aber es war vielleicht eine Allegorie auf das, was wirklich passiert ist. Nun, wie auch immer, wir sollten sehen, dass wir von hier verschwinden”, lenkte Seto ein, da er vollkommen fertig war und außerdem Atemu die letzte Wahrheit vielleicht doch besser ersparen sollte, bis sie wieder sicher zu Hause und erholt waren. Aber was hieß schon sicher, solange Yami - Violette - existierte? Atemu nickte - er wollte auch einfach nur weg von hier. Er verstand das alles nicht. Was hatte er nur getan? Trug er wirklich eine andere Persönlichkeit in sich? “Stillgestanden und Hände über den Kopf!”, schrie es plötzlich von der Tür her und die beiden erschraken ziemlich. “Jonouchi!”, stellte Kaiba im nächsten Moment grimmig fest. Sein Kollege stand dort mit der Waffe im Anschlag und zielte auf sie. Doch als er bemerkte, dass dort nur er und Atemu auf dem Bett saßen und sonst niemand da war, ließ er verwirrt die Waffe wieder sinken. “Nanu? Ich hätte schwören können, Violette wäre hier”, stellte er fest. “Wo hat sich dieser Dreckskerl verkrochen?” “Keine Ahnung. Er hat sich plötzlich aus dem Staub gemacht, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Wahrscheinlich hat er die Annäherung deiner Dinosaurierfüße bereits bemerkt und ist geflohen”, log Kaiba ungeniert. Er wusste zwar selbst noch nicht, wie er mit der Tatsache zurechtkommen sollte, dass sein Lebensgefährte der Auftragskiller war, doch war ihm ganz klar, dass er die Sache zunächst selbst regeln wollte. All die Jahre, die er mit Atemu zusammengewesen war… Er konnte doch nicht einfach alles aufgeben. Und außerdem war Atemu krank, er konnte nichts dafür, oder doch? Wollte Seto sich das alles nur schönreden? Er stellte frustriert fest, dass er nicht mehr klar denken konnte. Das alles war im Moment einfach zu viel und kam ihm vor, wie ein böser Alptraum. “Na schönen Dank auch! Da macht man sich die Mühe und versucht, deinen arroganten Arsch zu retten und was bekommt man dafür?”, regte sich Jonouchi auf. “Entschuldige, Jonouchi, das hat er bestimmt nicht so gemeint, er ist nur müde und gereizt”, verteidigte Atemu seinen Lebensgefährten. “Nicht wahr, Seto?” Doch statt einer Antwort, fiel der plötzlich kraftlos auf das Bett zurück und rührte sich nicht mehr. “Oh, nein! Seto, was ist mit dir? Sag doch was?”, beugte sich Atemu panisch über ihn und versuchte, ihn wachzuschütteln. “Schnell, Jonouchi, ruf einen Krankenwagen!”, befahl er. “Klar”, erwiderte der und zückte sein Handy. Kapitel 16: Die Blumen des Todes -------------------------------- Vielen Dank für eure Kommentare. So, hier kommt diesmal ein Monsterkapitel mit 11 Wordseiten. Nächstes Wochenende dann das letzte Kapitel + Epilog. Ich hoffe, es gefällt euch. Viele Grüße, Saedy Nachdem Kaiba mit einem Gips am linken Handgelenk und der Anordnung, sich möglichst viel Ruhe zu gönnen, aus dem Krankenhaus entlassen worden war, kam es unweigerlich zu der Situation, dass er wieder mit Atemu allein zu Hause sein würde. Einen Moment, den er seit seinem Zusammenbruch fürchtete. Denn einerseits liebte er Atemu immer noch, andererseits war ihm nun erst so richtig klar geworden, mit wem er da eigentlich zusammen gelebt hatte. Trotzdem konnte er es immer noch nicht fassen. Yami, das andere Ich seines Freundes, war Violette, dieses blutrünstige Monster, das für seine schlimmen Taten überall bekannt war. Es dürfte einfach nicht wahr sein! Schließlich war er fünf Jahre lang mit ihm zusammen gewesen - wie konnte es nur sein, dass ihm nie etwas aufgefallen war? Ganz im Gegenteil, er hatte Atemu immer sehr geliebt. Und inwieweit konnte man Atemu von Yami trennen? Waren sie wirklich zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten? Fest stand jedenfalls, dass sie sich gegenseitig mehr oder weniger beeinflussten… Zum Beispiel hatte Yami eine Eifersucht gezeigt, die eigentlich nur Atemu zustand, da er doch zuvor behauptet hatte, Seto gar nicht zu lieben. Und Seto war in der Lage gewesen, mit dem, was er zu Yami sagte, zu Atemu vorzudringen. Doch wie weit ging diese Beeinflussung? Was würde Violette als nächstes tun? Hatte er immer noch vor, Seto umzubringen? Und würde es ihm gelingen, wieder die Kontrolle zu erhalten? Aber das waren nicht die einzigen Fragen, die Seto beschäftigten. Was sollte er denn jetzt tun - Atemu anzeigen? Ihn in eine geschlossene Psychiatrie einweisen lassen? Und was war seinem Geliebten in der Kindheit bloß widerfahren, dass er eine weitere, völlig gestörte, Persönlichkeit entwickelt hatte, um überleben zu können? Seto hatte sich nämlich während seines Krankenhausaufenthalts weiter über das Krankheitsbild der dissoziativen Identitätsstörung informiert und erfahren, dass in sehr vielen Fällen lang anhaltender Missbrauch und Misshandlung in der frühen Kindheit die Ursachen für eine solche Störung waren. Dabei war ihm aufgefallen, dass Atemu eigentlich nie viel über seine Kindheit erzählt hatte. Überhaupt hatte er nie von sich aus über die Vergangenheit geredet, lediglich seinen Opa hatte er öfters erwähnt. Und Seto hatte ihm jegliche Information über sein Leben, bevor er ihn kennen gelernt hatte, aus der Nase ziehen müssen. Trotzdem war sein Freund jedes Mal geschickt Fragen ausgewichen… Vorsichtshalber trug Kaiba jedenfalls ein Messer bei sich, für den Fall, dass Yami wieder auftauchen würde und ihn immer noch umbringen wollte. Außerdem hatte er Mokuba von allem erzählt - wenn man sich auf Jonouchi verließ, war man ja bekanntlich verlassen - und ihn vorgewarnt, dass, falls er sich nicht regelmäßig bei ihm meldete, etwas passiert sein musste. Mokuba hatte die ganze Geschichte auch erst nicht glauben wollen - immerhin war Atemu seiner Meinung nach der Langweiler in Person - doch als er gemerkt hatte, dass sein Bruder es durchaus ernst meinte, wollte er ihn zunächst davon abhalten, überhaupt weiterhin mit Atemu in einem Haus zu leben und überreden, den Auftragskiller von seinen Kollegen festnehmen zu lassen. Doch Seto konnte das einfach nicht über sich bringen. Er hing noch viel zu sehr an Atemu. Und vielleicht schaffte er es ja, Yami davon abzuhalten, wieder zu morden? Sein Verstand sagte ihm zwar, dass das Wunschdenken war, doch seine Gefühle ließen sich nicht so einfach unterdrücken. Als Kaiba, der mit der Bahn nach Hause gefahren war, dort ankam, empfing ihn Stille. Natürlich, Atemu war immer noch im Spieleladen und arbeitete. Deshalb hatte er ihn auch nicht vom Krankenhaus abholen können. Oder war Yami wieder zum Vorschein gekommen und führte erneut einen Auftragsmord aus? Stumm setzte sich der junge Polizist auf das Sofa im Wohnzimmer und starrte auf den Fernseher, ohne ihn einzuschalten. Es war, als liefe vor seinem inneren Auge ein ganz eigenes Programm ab. Er erinnerte sich, wie er Atemu damals im Spieleladen von dessen Großvater kennen gelernt hatte, auf der Suche nach seltenen Duel-Monsters Karten. Zu der Zeit war er noch ganz besessen von dem Spiel gewesen, ebenso wie sein zukünftiger Freund. Seto war erst siebzehn gewesen und hatte damals schon den Wunsch entwickelt, Polizist zu werden, wobei er davon geträumt hatte, den Auftragskiller Violette zu fassen, der bereits seit ca. einem Jahr sein Unwesen getrieben hatte. Atemu war zu der Zeit einundzwanzig Jahre alt gewesen - dass er vier Jahre älter als Seto war, sah man ihm aufgrund seiner zierlichen Figur aber gar nicht an - das hieß, schon damals, als er ihn kennen gelernt hatte, war sein Freund ein Mörder gewesen. Mit Wehmut erinnerte Seto sich daran, wie sie sich bei einem gemeinsamen Skiurlaub bei dem auch Jonouchi, Anzu und Honda mit von der Partie gewesen waren, näher gekommen waren. Eigentlich war Seto damals nur wegen Atemu mitgekommen. Dann die fünf Jahre, die sie zusammen gelebt hatten, was sie sich aufgebaut hatten, die Vertrautheit, die Liebe… Sollte das alles jetzt vorbei sein? Von einem Tag auf den anderen? Und war Atemu ebenso schuldig, oder nur seine andere Persönlichkeit? Aber selbst, wenn es nur Yami war, jener war ebenso ein Teil dieses Menschen, wie Atemu. Man konnte die beiden nicht trennen, man konnte nur versuchen, diese gespaltene Persönlichkeit, wenn schon nicht zu heilen, dann wenigstens wieder soweit zueinander zu führen, dass sie beide wieder normal leben konnten. Aber selbst der Weg dahin schien fast unmöglich. Immerhin hatte Atemu nicht “einfach” nur eine gespaltene Persönlichkeit, sondern war zudem überaus gefährlich. Noch immer wusste Kaiba nicht, was er jetzt tun sollte. Nach einer scheinbaren Ewigkeit ging endlich die Haustür auf und Atemu trat ein. Seto hörte seine Schuhe auf den Flur treten und kurze Zeit später öffnete sich auch die Wohnzimmertür. “Seto?”, sprach Atemu seinen Lebensgefährten zögerlich an. Auch ihm ging die Sache vom letzten Freitag nicht mehr aus dem Kopf. Seitdem fragte er sich, was es mit seinem anderen Ich auf sich hatte. Auch hatten er und Seto seit dem Vorfall nicht mehr miteinander gesprochen, jedenfalls nicht mehr, als ein gelegentliches “Hallo” und “Wie geht es dir?”. Sein Freund hatte ihm ja nichts weiter über diesen ominösen Yami verraten wollen. Das einzige, was er wusste, war, dass jener es war, der Seto entführt hatte und auch sonst kein Unschuldslamm sein konnte. Obwohl Atemu die ganze Zeit über krampfhaft versucht hatte, sich zu erinnern oder Zugang zu seiner anderen Persönlichkeit zu bekommen, es ging einfach nicht. Eher bekam er Kopfschmerzen. Wenigstens hatte er in den letzten Tagen keinen Blackout mehr gehabt, das deutete immerhin darauf hin, dass Yami nicht mehr aktiv gewesen war - es sei denn, es wäre geschehen, während Atemu geschlafen hatte. “Oh, Atemu…”, blickte sein Lebensgefährte ihn irgendwie hilflos und gequält wirkend an. Atemu setzte sich neben ihn und wollte seinen Freund in den Arm nehmen, doch der stand auf und begann, im Zimmer auf- und abzulaufen, ohne etwas zu sagen. Atemu folgte ihm mit seinen Blicken und wartete auf eine Reaktion. Doch als keine erfolgte, meinte er schließlich: “Seto, was immer ich auch getan habe, während…der Andere aktiv war - es tut mir Leid.” Nun blieb sein Geliebter stehen und wandte seinen Blick endlich vom Boden ab. “Was du getan hast…”, erwiderte Kaiba und ließ den Satz unvollendet. Atemu schien keine Ahnung zu haben, zu was er als Yami imstande war. Wie sollte er ihm das nur beibringen? Und wie sollte ihr gemeinsames Leben mit dieser Tatsache weitergehen? Konnte es überhaupt ein weiteres “gemeinsam” geben? “Irgendetwas verschweigst du mir doch”, stellte Atemu fest. “Bitte sag mir, was los ist! Was habe ich getan?”, schaute er seinen Freund mit flehendem Blick an. Der schaute zweifelnd, ob er ihm die Wahrheit sagen sollte, zurück. Schließlich atmete er tief durch und erklärte: “Atemu, das ist jetzt sehr schwer zu sagen, aber du…”, sollte er jetzt gleich mit der Tür ins Haus fallen, oder versuchen, es ihm schonend beizubringen, wenn das überhaupt möglich war? “Atemu, dein anderes Ich… er hat sehr schlimme Dinge getan, weißt du?” Seto ging nun auf seinen Freund zu und setzte sich neben ihn. “Was für Dinge?”, fragte der mit einem Schlucken, als Seto nicht weiterredete. “Du kennst doch Violette?” Atemu nickte. “Ja, was hat das mit mir…?”, begann er und stockte. “Du bist, nein, dein anderes Ich, ist Violette”, brachte Seto es schließlich heraus. “Nein! Das kann nicht sein!” Atemu sprang vom Sofa auf. “Weißt du, was du da sagst?” Immerhin war Violette nicht nur ein Auftragskiller sondern zudem auch noch der blutrünstigste, dessen Taten jemals bekannt geworden waren. “Ja, das weiß ich leider nur zu genau. Und du kannst dich wirklich an nichts erinnern?” “Nein!”, schrie Atemu. “Du bist ja verrückt! Auch wenn da ein anderes Ich in mir ist, so was würde ich nie tun!”, rief er aufgebracht und rannte aus dem Wohnzimmer. “Na, das habe ich ja toll hingekriegt”, seufzte Seto zu sich selbst, stand auf und lief seinem Lebensgefährten hinterher. Nach einigem Hin- und Her fand er ihn schließlich im Badezimmer, wo dieser über der Kloschüssel hing und sich übergab. “Du weißt es also”, stellte der junge Polizist mit Blick auf den Rücken seines Freundes fest. Denn was für eine andere Erklärung sollte es geben, dass dieser sich plötzlich übergab? “Nein, nein, es ist nicht wahr! Das ist nicht wahr”, wiederholte Atemu immer wieder, als könne nur dadurch alles ungeschehen werden. Schließlich stand er von der Kloschüssel auf und wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser. “Atemu, bitte sieh mich an!”, verlangte Seto. “Wir müssen jetzt überlegen, was zu tun ist. So kann es nicht weitergehen”, stellte er fest. “Atemu!”, wiederholte er und drehte ihn an den Schultern zu sich herum. “Sag doch etwas, geht es dir gut?” Doch der sackte plötzlich in sich zusammen und Seto hielt ihn fest. Einen Augenblick später kam er wieder zu sich und durchbohrte ihn mit einem eiskalten Blick. “Yami”, stellte Seto fest. “So ist es”, erwiderte dieser missgelaunt und wollte sich an ihm vorbei drängen. Doch so einfach war das nicht. “Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht gleich umbringen sollte”, zischte Yami, dem es gar nicht gefiel, so festgehalten zu werden und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. “Du kannst es nicht”, meinte Seto lapidar. “Jetzt, da Atemu weiß, dass ich ihn nicht betrogen habe, ist es dir nicht mehr möglich, weil er das nicht zulassen würde, nicht wahr?” “Ach ja, und wieso bist du dir da so sicher?”, grinste Yami fies. “Du hast ihn immerhin gerade ziemlich schockiert. Wer weiß, vielleicht ist er deshalb so abgelenkt, dass er es gar nicht merkt, wenn ich dich mal schnell umbringe”, tippte er ihm nun mit dem Zeigefinger auf die Brust, nachdem er losgelassen worden war und verließ das Badezimmer. “Nun, ein zweites Mal schaffst du es nicht, mich zu überwältigen”, war Seto sich sicher. “Und nun möchte ich von dir hören, was passiert ist, dass in dir zwei verschiedene Persönlichkeiten entstanden sind und du zu einem Auftragskiller geworden bist. Da Atemu sich offenbar nicht erinnert, wirst du in den sauren Apfel beißen müssen.” Der junge Polizist blickte Violette erwartungsvoll an, so als wäre er überzeugt, dass dieser ihm alles erzählen müsse. “Das geht nicht gar nichts an”, erwiderte Yami düster und steckte die Hände in die Hosentaschen. “Wenn du es mir nicht erzählst, dann wird das hier ganz einfach: Ich melde dich der Polizei und die entscheiden dann, was mit dir passiert. Wahrscheinlich landest du in einer geschlossenen Psychiatrie und ich bezweifle, dass es dir da gefallen würde.” “Das würdest du nicht wagen! Immerhin verlierst du dann auch Atemu.”, stellte Yami fest, hörte sich aber schon nicht mehr ganz so sicher an. “Nun, wenn du es darauf ankommen lassen willst!”, erwiderte Seto und ging in Richtung Telefon. “Dann rufe ich jetzt eben meine Kollegen.” “Nein warte!”, rief Yami, als Seto schon die Nummer wählen wollte. “Ich erzähle dir alles, aber ruf nicht an!” “Gut dann fang mal an!”, forderte Seto, nachdem er sich auf der Couch niedergelassen hatte und blickte ihn erwartungsvoll an. Yami setzte sich auf die andere Seite, möglichst weit weg von Atemus Freund und starrte auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. “Du willst also wissen, wie alles begann?”, sagte Yami und sein Blick verdüsterte sich. Obwohl er im Gegensatz zu Atemu nicht so zimperlich war - wenn es um seine eigene Vergangenheit ging, fiel es selbst ihm unglaublich schwer, darüber zu sprechen, ja sogar, sich auch nur bewusst daran zu erinnern. Er wollte einfach nur vergessen, so wie Atemu - der hatte es gut. Nun ja, die Kurzfassung würde für Kaiba auch reichen. “Ich weiß nicht mehr genau wann und wie es passiert ist, dass da auf einmal Atemu und ich waren, wo es vorher doch nur Atemu gegeben hatte, von dem ich nur ein anderer Teil gewesen war. Doch irgendwann waren wir plötzlich zwei verschiedene Persönlichkeiten, weil ich, wir es nicht mehr ertragen konnten, was sie mit uns getan haben.” Yami machte eine Pause und wurde blass im Gesicht, bei der Erinnerung daran. “Sie? Deine Eltern?”, vermutete Seto. “Ja, und nein. Ich hatte nur einen Stiefvater, solange ich mich erinnern kann. Mein leiblicher Vater war schon vor langer Zeit auf Nimmerwidersehen verschwunden. Ich denke, ich war so etwas wie ein Sklave für ihn. Ich hatte kein eigenes Leben und musste immer nur das tun, was er wollte. Selbst wenn ich perfekt gewesen wäre, hätte er mich wahrscheinlich immer noch geschlagen, weil er mich hasste und weil er es liebte, mir wehzutun. Und zu anderen Zeiten hat er mir gezeigt, wie sehr er mich liebte”, Yami lachte hysterisch auf. “Ist das nicht verrückt? Er hasste und liebte mich gleichzeitig.” Seto lief ein Schauder über den Rücken. Wollte Yami ihm gerade erzählen, dass sein Stiefvater ihn nicht nur geschlagen, sondern auch vergewaltigt hatte? “Und meiner Mutter war es egal, sie hat es ignoriert und mich im Stich gelassen. Irgendwann habe ich es nicht mehr ertragen. Ich habe ein Messer genommen und in meinem Bett versteckt. Als mein Stiefvater wieder einmal abends zu mir kam, habe ich einfach zugestochen. Alles war voller Blut. Danach…ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich das alles geschafft habe, aber ich habe das Messer verschwinden und es so aussehen lassen, als wäre ein Einbrecher der Mörder, so wie ich es immer in den Krimiserien gesehen hatte. Niemand konnte sich vorstellen, dass ein Kind mit gerade mal sechs Jahren seinen eigenen Stiefvater umbringt. Es wurden auch keine Beweise dafür gefunden. Bei seiner Beerdigung, da…”, Yami stockte. “Ich weiß noch, ich stand mit Mutter an seinem Grab und sie warf weiße Blumen hinein. Und ich fragte sie, was das soll. Da antwortete sie: ‘Lilien sind die Blumen des Todes.’ Da lief mir ein Schauder den Rücken hinab und ich fragte mich, wie die weißen Lilien wohl aussehen würden, wenn sie sich mit Vaters Blut vermischen würden”, erklärte Yami. Seto, dem schon ganz übel allein von der Erzählung geworden war, ging plötzlich ein Licht auf. Deshalb also hinterließ Violette immer eine rötlich-violette Lilie bei seinen Opfern. Nun erzählte Yami weiter: “Nachdem dies vorbei war, nachdem alles vorbei war und ich nichts mehr tun konnte, da passierte etwas Merkwürdiges: Mir entglitt plötzlich die Kontrolle und mein Körper bewegte sich, ohne mein Zutun. Ich hörte mich Dinge sagen und sah mich etwas tun, als wäre ich in einer Art Trancezustand. Doch dabei benahm ich mich ganz normal, normaler sogar, als es jemals zuvor der Fall gewesen war. Es dauerte lange, bis ich begriff, dass das gar nicht mehr ich war, sondern jemand anders, der meinen Körper kontrollierte, der sich auch Atemu nannte, aber nicht ich war. Nur manchmal, wenn der andere Angst hatte und nicht weiterwusste, erlangte ich die Kontrolle zurück. Später gelang es mir jedoch, öfter wieder aktiv zu werden. Doch noch immer war ich wie ein Schatten neben Atemu. Ich war wie die Dunkelheit in seinem Herzen - denn er, er konnte frei und glücklich sein, weil er sich an nichts böses erinnerte - deshalb nannte ich mich von da an Yami.” Der junge Mann machte eine Pause und schien mit den Gedanken ganz weit fort. “Irgendwann bemerkte ich, dass ich mich lebendiger fühlte, wenn ich Tiere quälte und später Menschen. Wenn ich Blut fließen sah, das war, als würde es, während es die anderen verließ, mich stärken. Ich erinnere mich noch gut, wie entsetzt Atemu war, als er eines Tages seine tote Katze fand”, lachte Yami, doch es war kein glückliches Lachen. “Er verstand nicht, dass seine Mutter, unsere Mutter”, korrigierte er sich, “ihm böse war, weil er angeblich die Katze getötet hatte. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich das gewesen war. Nun ja, irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass es das Beste für mich wäre, wenn ich gleich mein Hobby zu meinem Beruf machen würde und wurde Auftragskiller.” Seto schwieg auf diese Erzählung hin. Das musste er erstmal alles verdauen. Auch Yami starrte zunächst nur düster vor sich hin. Dann fügte er noch hinzu: “Später ist meine Mutter dann bei einem Autounfall gestorben - und ehrlich gesagt, ich war froh, als ich sie los war und bei meinem Großvater einziehen konnte. Und, hast du nun genug gehört?” Seto nahm dies zum Anlass, noch mehr zu erfahren, wo Yami schon mal so mitteilsam war. “Und wie war das, als du, ich meine Atemu, und ich zusammen kamen. Was hast du dabei empfunden? Hast du mich wirklich nur gehasst und wolltest mich ausnutzen, weil ich vorhatte Polizist zu werden? Und wieso hast du damit aufgehört zu morden, als ich mit Atemu zusammen kam? Ich meine, der Zeitpunkt, dass du genau vor fünf Jahren damit aufgehört hast, ist schon auffällig.” “Ja, reite nur darauf herum!”, zischte Yami und funkelte Kaiba böse an. “Ich wollte ja weiter machen, aber ich konnte nicht mehr, da Atemu sich zu stark in den Vordergrund gedrängt hat. Ich konnte gar nichts mehr tun, immer wollte er die Kontrolle behalten, um die ganze Zeit mit dir zu verbringen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihn davon abgehalten, dir überhaupt erst zu nahe zu kommen. Aber als ich bemerkte, wie sehr deine Gegenwart ihn stärkt, da war es zu spät. Ich konnte dich nicht mehr loswerden. Erst, als Atemu begann, sich mit seinem Leben so sehr zu langweilen, dass er zu nichts mehr Lust hatte, bekam ich mehr und mehr meine Kontrolle zurück und konnte wieder meinen Beruf ausüben.” “Atemu langweilte sich?”, wunderte sich Seto. “Davon habe ich gar nichts bemerkt. Das wäre mir doch aufgefallen.” “Ach”, lachte Yami höhnisch. “Du bist auch nicht gerade der Blitzmerker, wenn es um Gefühle geht, was? Außerdem konnte es Atemu wirklich sehr gut verbergen, wie deprimiert er eigentlich war. Nur das alltägliche Zusammensein mit dir hat ihn vor einem Zusammenbruch bewahrt - aber bilde dir bloß nichts darauf ein, wie du siehst, hat das ja auch nicht mehr viel gebracht. Atemu fühlte sich wie in einem goldenen Käfig gefangen - und ich habe mich daraus befreit.” “Indem du mordest?”, erwiderte Seto kritisch. “Ja, genau”, grinste Yami. “Willst du vielleicht ein Kostprobe?”, stand er auf und ging auf ihn zu. “Du gehst mir langsam aber sicher auf die Nerven.” Kaiba packte Atemus anderes Ich am Handgelenk, als dieser ihm für seinen Geschmack zu nahe kam. “Du solltest jetzt lieber wieder Atemu raus lassen”, verlangte er. “Warum sollte ich?”, erwiderte Yami und setzte sich wieder auf die Couch. “Wo es doch gerade so schön gemütlich ist.” Damit verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. “Was soll ich jetzt mit dir machen?”, fragte er sich. “Die Frage ist wohl eher, was ich mit dir mache”, erwiderte Seto unbeeindruckt, stand auf und beugte sich zu ihm hinab. Ehe Yami sich’ s versah, spürte er dessen Lippen auf seinem Mund. Er riss die Augen auf. Warum tat dieser Mistkerl das? Er wollte ihn von sich stoßen, doch Seto hielt ihn eisern fest und setzte sich sogar noch mit dem ganzen Gewicht auf seinen Schoß, damit er ihm nicht entkommen konnte. Yami bekam es mit der Angst zu tun - bisher hatte Seto immer nur Atemu geküsst und auch wenn er sonst immer alles von seinem Trancezustand aus miterlebt hatte, so war es doch ganz anders, es wirklich selbst zu erleben. Yami versuchte so sehr sich zu wehren, dass Seto schon loslassen wollte. Doch plötzlich wurde sein Kuss erwidert. Als er dann tatsächlich zurückwich, bemerkte er eine deutliche Veränderung im Gesicht seines Lebensgefährten. “Atemu, du bist es wieder nicht wahr?”, stellte er fest. Also war es wirklich so, dass er Yami oder umgekehrt Atemu nur zu erschrecken brauchte, damit der jeweils andere hervorkam. Einzig allein dazu war der Kuss nämlich gedacht gewesen. Atemu blickte ihn verwirrt an. “Ist er wieder…?”, wollte er wissen. Er erinnerte sich nicht mehr, wie er vom Bad zur Couch gekommen war. Sein Freund nickte. “Puh, du bist ganz schön schwer”, stöhnte Atemu, denn Seto saß ja immer noch auf seinem Schoß, den er jetzt endlich verließ und sich neben ihn setzte. “So, wir sollten uns jetzt wohl überlegen, wie es weitergehen soll”, meinte Kaiba und hatte dabei einen Arm um Atemus Schultern gelegt. “Dieser andere in mir ist also wirklich…Violette?”, erkundigte sich Atemu zögerlich. “Ja. Sag mal, an was erinnerst du dich eigentlich aus deiner Kindheit?” Atemu fuhr es heißkalt den Rücken hinunter - dieses Thema hatte er bisher immer geschickt zu umgehen verstanden, denn er hasste es sich an die Vergangenheit zu erinnern und daran, was vor seinem siebten oder sechsten Lebensjahr - so genau wusste er das nicht mehr - passiert war, konnte er sich gar nicht erinnern. Eigentlich hatte sein Leben erst von da an angefangen. “Nun ja, eigentlich, ich weiß nicht, an meinen Stiefvater erinnere ich mich gar nicht mehr. Ich habe irgendwann später erst erfahren, dass es ihn überhaupt gab, da meine Mutter ihn nie erwähnte. Und meine Mutter, tja, die lebte in ihrer eigenen Welt und hatte nichts für mich übrig. Sie hat mir halt zu Essen besorgt und was man sonst so zum Leben braucht, das war es dann aber auch schon. Ich glaube, ich war ihr einfach egal.” “Denkst du das wirklich?”, fragte Seto erschüttert. Atemu nickte und schien kurz davor, in Tränen auszubrechen. “Scheiße, ich kann immer noch nicht darüber sprechen, ohne gleich loszuheulen”, stellte er fest und wischte sich über die Augen. “Schon gut, wenn es sein muss, dann lass es raus”, meinte Seto, nahm ihn in den Arm und streichelte ihm über den Rücken. “S-seto, was wirst du jetzt tun?”, fragte Atemu schließlich, voller Angst in der Stimme. Wenn sein anderes Ich wirklich Violette war, dann… Würde Seto überhaupt noch mit ihm zusammen bleiben wollen? Es wunderte Atemu sowieso, dass sein Freund ihn noch im Arm hielt und tröstete - er hatte erwartet, dass er ihn nun hassen und ins Gefängnis stecken würde. Aber wenn sein anderes Ich all diese schlimmen Morde begangen hatte, dann hatte er wohl auch nichts anderes verdient… “Hasst du mich jetzt?” “Nein, das könnte ich nie”, lächelte Seto und blickte Atemu in die verweinten Augen, doch es war ein trauriges Lächeln, weil er wusste, dass es nie wieder so sein würde, wie es mal war. “Dein anderes Ich ist Violette, nicht du. Und du kannst nichts dafür, dass du irgendwann zwei Persönlichkeiten entwickelt hast. Das, was dir passiert ist, ist wirklich furchtbar, das würde kein Mensch unbeschadet überstehen und du konntest es eben nur auf diese Weise. Nein, ich liebe dich nach wie vor, Atemu und das wird auch immer so bleiben, egal was passiert, das verspreche ich dir.” “Seto… ich werde dich auch immer lieben”, blickte Atemu ihm in die Augen, so dass es dem jungen Polizisten noch schwerer fiel, das zu tun, was er tun musste. Nein, er konnte es nicht, er konnte es wirklich nicht. Vielleicht gab es ja noch eine andere Lösung? “Atemu”, holte Seto tief Luft. “Ich weiß, es wird dir nicht gefallen, aber trotz dessen, geht es nicht so weiter wie bisher. Ich meine, wer weiß, ob Yami weiter morden wird? Du kannst ihn nicht davon abhalten, denn du bemerkst es ja nicht mal, wenn er die Kontrolle über dich gewinnt. Ich will dich aber auch nicht der Polizei ausliefern. Doch es gibt vielleicht auch noch eine andere Möglichkeit. Aber nur dann, wenn du und besonders Yami eine Bedingung erfüllt.” “Was meinst du?” “Du musst dich selbst in die Behandlung einer geschlossenen Psychiatrischen Klinik begeben und Yami muss mir versprechen, nie mehr zu morden.” So jetzt war es also raus. Was würde sein Freund und vor allem Yami dazu sagen? “Ich weiß, das hört sich hart an, aber glaub mir, wenn du es nicht freiwillig tust, dann wird alles noch tausend Mal schlimmer. Dann wirst du noch eine lange Untersuchungshaft und etliche Verhöre, Gerichtstermine und so weiter durchmachen müssen, bevor du letztendlich wahrscheinlich doch in einer geschlossenen Psychiatrie landen wirst - wenn nicht sogar schlimmeres. Und dann wird es auch nicht so leicht sein, wie wenn du freiwillig dort hin gehst.” “Verstehe”, erwiderte Atemu traurig und blickte zu Boden. Der Gedanke, in eine psychiatrische Klinik gehen zu müssen, sein Seelenleben bloßzulegen und für eine ganze Weile keinen Kontakt mehr zu Seto haben zu dürfen - denn in so einer Anstalt war es in den ersten Zeit nicht mal erlaubt, zu telefonieren, damit man von der Außenwelt nicht beeinflusst wurde - gefiel ihm überhaupt nicht. Aber offenbar gab es ja keine bessere Möglichkeit. Doch, die gibt es, zuckte plötzlich ein Gedanke durch seinen Kopf, der nicht von ihm zu sein schien. Seine Hände verkrampften sich. Kaiba wurde völlig überrumpelt, als Atemu sich plötzlich auf ihn stürzte und gezielt zu Boden schlug. Hinzu bekam er noch ein paar schmerzhafte Tritte in die Magengegend. Ehe er sich’ s versah, hatte sein Freund ihm schon so zugesetzt, dass er sich für einige Augenblicke nicht mehr rühren konnte, auch, als dieser nun von ihm abließ und in Richtung Küche verschwand. Der war wirklich gut, wie er zu seinem Leidwesen feststellte. Aber er war ja auch selbst schuld, dass er nicht erwartet hatte, dass Yami wieder auftauchen und sich auf ihn stürzen würde. Er musste wieder auf die Beine kommen, bevor… Er krümmte sich auf dem Boden und versuchte den Schmerz zu ignorieren, als er aufstehen wollte. Aber da war es schon zu spät. Der Auftragskiller war wieder da und zwar mit einem beeindruckend aussehenden Küchenmesser, welches er ihm an die Kehle hielt und sich nebenbei auf seine Hüfte setzte. “Au”, entfuhr es Kaiba, da Yami in der Nähe der Stelle saß, wo er ihn zuvor getreten hatte. “Du kannst dich glücklich schätzen: im Gegensatz zu den anderen Leuten, die von mir getötet wurden, wird es für dich kein langes, qualvolles Ende werden. Weil du so lieb zu Atemu warst, will ich mal nicht so sein. Ich lasse mich nun mal nicht einsperren, das wirst du verstehen.” Mit diesen Worten hob er das Messer. Kaibas Augen weiteten sich vor Entsetzen. Yami würde doch nicht… “Bitte nicht, Atemu!”, flehte Seto und kniff im nächsten Moment die Augen zusammen. Er fürchtete wirklich, dass das hier sein Ende sein würde und begann zu zittern. Plötzlich hörte er das Messer auf den Boden klimpern und riss die Augen wieder auf. “Ich kann es nicht.” Yamis, Atemus? Stimme zitterte, als er sich die Hände vors Gesicht hielt und schluchzte. Ehe Kaiba sich von seiner Überraschung erholen konnte, hatte sein Lebensgefährte sich das Messer blitzartig wieder geschnappt, war von ihm gesprungen und hielt es nun gegen sein eigenes Herz gerichtet. “Ich lasse mich nicht einsperren”, wiederholte Yami. “Lieber sterbe ich”, damit schloss er die Augen. “Nein, tu das nicht!”, rief Kaiba in Panik, richtete sich entgegen seiner Schmerzen auf und stürzte sich auf seinen Freund, so dass beide zusammen zu Boden fielen. Dabei fiel Yami auch das Messer aus der Hand. Er wehrte sich verzweifelt gegen Seto, der ihn mit seinem Gewicht fest am Boden hielt. Dagegen konnte auch der Auftragskiller mit seiner Erfahrung nicht ankommen. “Lass mich los!”, schrie Yami. “Du willst mich doch eh nicht, du willst nur verhindern, dass ich sterbe, weil Atemu dann auch stirbt. Aber uns gibt es nun mal nur zusammen und er will auch nicht in diese Psychiatrie. “Lass mich los!”, wiederholte Yami keuchend. Als er nach einigen Minuten endlich den größten Widerstand aufgab, drehte Seto ihm die Hände auf den Rücken und beförderte ihn Richtung Schrank, wo er in der Schublade seine Handschellen aufbewahrte. Mit diesen fesselte er Yami an die Bank in der Küche. “Du bist so dumm”, meinte er und holte sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. Nachdem er einen ordentlichen Schluck Wasser zu sich genommen hatte, erklärte er: “Du bist ein Teil von Atemu und wie du schon so schön erkannt hast, gehört ihr zusammen. Und auch, wenn es mir nicht gefällt, was du getan hast - glaub mir das ist sogar noch untertrieben gesagt - so ist mir das sehr wohl bewusst. Und würde ich nur die schöne Oberfläche von Atemu lieben, das, was er nach außen hin preisgibt, dann hätte ich dich schon längst meinen Kollegen übergeben.” Yami guckte ihn auf diese Erklärung hin überrascht an. Er sah nur Setos Augen, die traurig in die Ferne blickten. “Willst du damit sagen, dass du mich auch…ein bisschen liebst?”, erkundigte sich Yami zögernd. In diesem Moment - man konnte es kaum glauben - sah dieser blutrünstige Auftragskiller plötzlich wie ein einsamer, zurückgelassener Mensch aus, der sich nur nach Liebe sehnte. Jedenfalls kam es Seto so vor. Vielleicht - nein wahrscheinlich - war Yami auch nur so geworden, da er niemals geliebt worden war. “Ich kann dich lieben - wenn du mich lässt”, flüsterte Seto nach einem langen Augenblick. Daraufhin war Yami erstmal sprachlos. Jemand wie Seto, der dazu auch noch Polizist war, wollte ihn, einen Auftragskiller, der unzählige Morde begangen hatte, lieben? Der wollte ihn doch nur weichkochen, oder? Aber er sah so ehrlich aus… Konnte jemand so gut lügen? Und außerdem hatte er Recht: würde er ihn nicht lieben, dann wäre er längst nicht mehr hier. Yami senkte verzweifelt den Kopf. Was sollte er nur tun? Er wollte nicht in diese Klinik gehen, das würde er nicht überleben. Da starb er lieber gleich. Aber andererseits war da noch Seto… Er wünschte sich so sehr, dass dieser ihn auch lieben würde, nicht nur Atemu. Und genau deswegen hatte er ihn die ganze Zeit gehasst, weil Seto mehr Gefühle in ihm auslöste, als gut für einen Auftragskiller war. Er hatte ihn loswerden wollen, weil diese Gefühle wehtaten - sie schienen ihn innerlich auszubrennen. Und jedes Mal, wenn Seto mit Atemu geschlafen und er wie in Trance alles mitbekommen hatte, dann wusste er nicht, was er als erstes empfinden sollte: Ekel, weil dies ihn an seinen Stiefvater erinnerte, oder Eifersucht, weil er nicht wie Atemu sein konnte, weil ihn nie jemals jemand lieben würde. Die ganze Zeit hatte er diese Gedanken erfolgreich verdrängt, hatte sich ganz auf seinen Hass auf Seto und die übrige Welt konzentriert, so dass er gar nicht bemerkt hatte, warum er Atemus Freund wirklich hasste, oder hassen wollte. “Ach, fuck”, erklärte er schließlich und blickte auf einen Küchenschrank, als wäre der besonders interessant. “Du mit deiner Gefühlsduselei. Mach doch, was du willst.” Eigentlich schrie alles in ihm danach, Seto zu sagen, dass er ihn auch liebte, doch das konnte er einfach nicht. “Nun, es ist deine Entscheidung”, erwiderte Seto. “Gehst du freiwillig in eine Klinik und versprichst, niemanden mehr umzubringen, oder willst du lieber erstmal ins Gefängnis?” “Wenn ich dir etwas verspreche, wer sagt dir, dass ich dich nicht einfach anlüge?”, wollte Yami wissen. “Wenn du es mir sagst und mir dabei ehrlich in die Augen siehst, dann will ich dir vertrauen. Und sollte sich später herausstellen, dass du mein Vertrauen missbraucht hast, dann werde ich dich wieder einfangen und zur Strecke bringen. Dann werde ich allerdings keine Gnade mehr kennen. Also, wie entscheidest du dich?” Yami wusste nicht, was er denken sollte. Er war völlig durcheinander und das war ihm schon lange nicht mehr passiert, und wenn, dann immer nur im Zusammenhang mit Seto. Doch nie war es so schlimm gewesen, immer hatte er noch gewusst, was er wollte. Jetzt aber schien sein Denken wirklich auszusetzen und die Gefühle tobten wie ein Sturm durch seinen Kopf. Es tat fast körperlich weh, so sehr quälten ihn diese. “Bitte, töte mich! Erlöse mich!”, brachte er schließlich hervor. Kaiba sah ihn schockiert an. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. “Ich halte das nicht mehr aus. Mach, dass es aufhört!”, heulte Yami. “Ich will das nicht mehr, ich will nicht mehr…” Mit diesen Worten schlug er seinen Kopf fest gegen die harte Tischkante. “Atemu, was machst du da?”, rief Kaiba entsetzt und sprang vor, um ihn davon abzuhalten. Ehe ihm das gelang, hatte Yami seinen Kopf noch einmal auf den Tisch geschlagen. Und offenbar war er dabei nicht zimperlich gewesen, denn nun guckte er Kaiba, der seinen Kopf festhielt, ziemlich benommen an. Der stellte fest, dass sein Geliebter unter den Haaren blutete. Entsetzt drückte er ihn an sich und hielt ihn fest, einfach nur fest. “Atemu, tu so was nicht. Bitte verletzte dich nicht.” “Mach, dass es aufhört!”, schluchzte Yami an seiner Brust. “Was soll aufhören? Was soll ich machen?”, fragte Seto verzweifelt. “Liebst du mich wirklich?”, wollte Yami nach einem endlosen Augenblick wissen. “Ja”, erwiderte der ohne zu zögern. Er spürte noch einmal ein Aufbäumen des Körpers in seinen Armen, dann war es plötzlich still. Yami hatte dass Bewusstsein verloren. “Keine Sorge, ich werde mich um dich kümmern”, flüsterte Seto und küsste ihn auf die Haare. Kapitel 17: Flucht ------------------ Seto Kaiba befand sich wieder auf dem Polizeirevier und ging seiner Arbeit nach. Obwohl es nur ein paar Tage gewesen waren, in denen er sich frei genommen und um Atemu gekümmert hatte, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Jonouchi hatte den Kollegen erzählt, dass Atemu von “Violette” entführt worden war und sie beide ihn befreit hatten. Was tatsächlich vorgefallen war, davon hatte niemand außer Mokuba eine Ahnung. Es gab ja auch keine Spuren von dem Auftragskiller - schließlich waren da nur er und Atemu gewesen und niemand wusste, was wirklich los war. So hatte Seto auch die Begründung, Atemu müsse in eine psychiatrische Klinik, weil er durch die Entführung traumatisiert worden sei, als Vorwand gegenüber den Kollegen, Bekannten und Freunden genommen, dass dieser für die nächsten Monate nicht mehr bei ihm zu Hause wohnte. Seto hoffte nur, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte und Yami sich an sein Versprechen, niemanden mehr zu ermorden, halten würde. Wenn nicht, dann machte er sich damit ebenso schuldig. Nein, genau genommen hatte er das bereits getan, denn er deckte nicht nur eine, sondern mehrere Straftaten. Aber er konnte nicht anders, er liebte Atemu viel zu sehr und wollte ihn nicht verlieren. In der Zwischenzeit hatte sich auf dem Revier auch einiges getan. Seine Kollegen hatten nämlich aufgedeckt, wer der Verräter in ihren Reihen war. Oder genauer gesagt, war dieser bei der Spurensicherung tätig gewesen. Es hatte sich um Marik Ishtar gehandelt. Das hatte man bei einer peinlichen Untersuchung aller, die von dem Drogendealerfall gewusst hatten, herausgefunden. Ishtar hatte zwar alles getan, um seinen Verrat zu vertuschen, doch letztendlich war es im nicht 100%ig gelungen und man hatte herausgefunden, dass er das Geld, welches er von den Drogendealern erhalten hatte, auf das Konto seiner Schwester in Ägypten überwiesen hatte. Und nun saß Kaiba hier über seiner Arbeit und kam sich vor, als wäre er mitten aus seinem Leben heraus in etwas Fremdes gerissen und dabei allein gelassen worden. Er vermisste Atemu schrecklich und wunderte sich gleichzeitig über sich selbst, weil er ihn immer noch liebte, wo er ihn, oder besser gesagt, sein anderes Ich, doch eigentlich hassen müsste. Kaiba hätte nie geglaubt, dass er mal einen Mörder lieben würde. Doch nun sah er in ihm einfach nur noch eine zerstörte Seele, die sich in dieser Gesellschaft nicht mehr zurecht fand und nicht mal sich selbst ertragen konnte. Kaiba hatte dafür gesorgt, dass er sofort von der psychiatrischen Klinik benachrichtigt würde, falls Yami etwas anstellen oder abhauen sollte. Er konnte nur hoffen, dass nichts passieren würde und dass sein Geliebter sich auch nicht selbst etwas antat. Sorgenvoll kaute er auf seinem Stift und fragte sich, wie es mit seinem Leben jetzt weiter gehen sollte. Denn eines wusste er: er konnte nicht einfach so weiter machen wie bisher, als sei nichts gewesen. Jeden Tag wenn er zurück in sein nun einsames Haus kam, wurde er spätestens daran erinnert, dass sich alles verändert hatte. Doch er musste einfach die nächsten Monate, bis Atemu zurückkam, ertragen und hoffen, dass alles gut ging. Endlich, nach vielen Wochen des Ausharrens und Wartens, war es so weit, dass Atemu wenigstens wieder Briefe aus der psychiatrischen Klinik heraus schreiben durfte. Kaiba war unendlich erleichtert, als er nun einen Brief in der Hand hielt und hätte ihn beinahe zerrissen, in dem Versuch, ihn so schnell wie möglich aufzumachen. Lieber Seto, ich hoffe, es geht dir gut. Was machst du so? Bitte erzähl mir was und wenn es dir noch so unbedeutend erscheint, denn hier ist es schrecklich langweilig. Ich gehe jeden Tag entweder zu einer Einzel- oder Gruppentherapie oder nehme an irgendwelchen Kursen teil, denen man mich zugeteilt hat, weil man es gut für meinen Heilungsprozess hält. Einer davon ist Sport - fast wie damals in der Schule - und ich hasse es. Dann löst mich immer Yami ab und legt sich mit den anderen an. Aber keine Sorge, er bleibt friedlich - für seine Verhältnisse. Eigentlich sollte Yami gar nicht mehr auftauchen, bei den vielen Medikamenten, die ich zu mir nehmen muss. Sie sagten, dass würde ihn ausschalten. Aber beim Sportkurs setzt er sich trotzdem immer durch. So einfach ist er wohl nicht kleinzukriegen. Ach, ich fühle mich so schrecklich einsam hier. Es ist wohl meine eigene Schuld, da ich mich vor den Menschen hier zurückziehe. Aber ich möchte nicht, dass mir jemand zu nahe kommt und etwas darüber erfährt, warum ich wirklich hier bin. Auch in der Gruppentherapie habe ich nichts gesagt und ich glaube, der liebe Therapeut verzweifelt schon an mir. Aber ich werde das schon durchstehen. Bald ist es ja vorbei und dann kann ich wieder zu dir zurückkommen. Das kann ich doch, oder? Ich liebe dich, Atemu Kaiba hielt den Brief, teils erleichtert, teils voller Sorge, in der Hand. Einerseits war er froh, dass Atemu scheinbar durchhielt und Yami noch nichts angestellt hatte, andererseits hörte sein Freund sich nicht gerade glücklich an. Doch, was hätte er auch anderes erwarten sollen? Dass er total happy war, weil er sich nun in einer geschlossenen Psychiatrie befand und Therapien durchziehen musste? Aber dass Atemu tatsächlich daran zweifelte, wieder zu ihm zurückkehren zu dürfen, machte ihn traurig. Schnell machte er sich daran, Atemu zurück zu schreiben. Weitere Wochen gingen ins Land, in denen Kaiba ähnlich lautende Briefe, wie den ersten erhielt. Bei Atemu schien alles gleich zu bleiben. Wenigstens ereignete sich nichts Negatives, wenn sein Freund auch nicht gerade viele Fortschritte zu machen schien. Aber so etwas ging eben nicht von heute auf morgen. Immerhin hatte er mit seinen Problemen schon sein ganzes Leben lang gelebt und so leicht konnte man sich nicht ändern. Er hoffte nur, dass Atemu in der Klinik nicht länger so einsam blieb. Es war auch für Kaiba nicht leicht und er lebte nur durch die Ablenkung an seiner Arbeit weiter und die Hoffnung, dass Atemu bald wieder bei ihm sein würde. Auch Mokuba half ihm, so gut es eben ging. Eines Tages erhielt Kaiba einen Anruf von der Klinik, in dem es hieß, dass Atemu verschwunden sei. Man wisse nicht, wie er es überhaupt geschafft hatte, abzuhauen und ließ überall nach ihm suchen. Auf diese Nachricht hin, ließ Kaiba geschockt das Telefon fallen, packte sogleich seine wichtigsten Sachen und begab sich zu der praktisch am anderen Ende Japans befindlichen Klinik. Dort angekommen, suchte er überall nach Hinweisen in Atemus zurückgebliebenen Sachen und fragte dessen Therapeuten und Mitpatienten aus. Doch niemand hatte eine Ahnung, wo sein Freund sein könnte. Die Therapeuten erklärten ihm jedoch, dass Atemu sich nie wirklich geöffnet und stets eine Mauer um sich herum aufgebaut habe. Er sei wie die Mitte eines Tornados gewesen, wo sich niemand je hinein gewagt hätte. Auf die Frage, was genau der Therapeut damit meine, antwortete dieser: “Nun, er schien ein ganz harmloser, netter junger Mann zu sein, solange man sich nur oberflächlich mit ihm beschäftigte. Doch sobald man versuchte näher an ihn heran zu kommen, dann zog er sich entweder zurück und wenn das möglich war, dann rastete er aus, teilweise ist sogar seine andere Persönlichkeit zum Vorschein gekommen, trotz der Medikamente.” Diese Auskunft schockierte Seto, obwohl er es doch eigentlich hätte wissen müssen, war er doch der einzige, der über Yamis Existenz als Auftragskiller Violette Bescheid wusste. Doch in den Briefen hatte Atemu immer so geschrieben, als sei alles ganz harmlos. Seto musste sich eingestehen, dass er trotz allem immer noch blind vor Liebe war. Sonst hätte er es erst gar nicht so weit kommen lassen und Atemu gleich der Polizei übergeben. Doch er wäre auch jetzt noch nicht dazu in der Lage, musste er sich eingestehen, selbst wenn er wüsste, wo sein Freund steckte. Kaiba begann, überall in der Gegend nach Atemu zu suchen, verteilte Vermisstenanzeigen an Passenten und hängte solche an Bäumen auf. Schließlich musste er jedoch aufgeben und an seine Arbeit zurückkehren, wollte er diese nicht verlieren, da sein Jahresurlaub nun ausgeschöpft war. Und all die Sucherei schien nichts gebracht zu haben. Ein paar Tage später erhielt er jedoch einen Brief. Mit zitternden Händen begann er, diesen zu öffnen, da er an der Handschrift der Adresse erkannte, dass es sich bei dem Absender um Atemu handeln musste. Das Papier war mit lauter Tintenkleksern versehen und die Schrift ziemlich schlecht lesbar. Es sah so aus, als hätte der Schreiber geweint. Lieber Seto, es tut mir sehr leid, dass ich dir so viele Sorgen mache. Und es tut mir unendlich leid, dass ich mein Versprechen nicht halten und in dieser Klinik bleiben konnte. Ich habe wirklich alles versucht, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Wäre ich noch länger dort geblieben, wäre ich durchgedreht. Ich weiß, du wirst mich jetzt bestimmt hassen und mich der Polizei übergeben wollen, so wie du es damals gesagt hast. Ich würde so gerne wieder zu dir zurückkommen und alles vergessen. Ich wünschte, es wäre wieder so wie früher und Yami existierte nicht. Aber es wird niemals wieder so sein. Doch ein Leben ohne dich kann ich auch nicht ertragen. Es tut mir leid. Lebewohl. Atemu Geschockt blickte Kaiba von dem Brief auf. War es wirklich das, wonach es sich anhörte? Wollte Atemu ihm damit sagen, dass er sich umbringen würde? Ja, der letzte Satz war ziemlich eindeutig. Nein! Das dürfte nicht sein! In seiner Verzweiflung zerknüllte Kaiba das Papier und schmiss es zu Boden. Er fuhr sich aufgebracht durch die Haare und überlegte, was er tun könnte. War es nicht schon zu spät? Was, wenn Atemu sich gleich, nachdem er den Brief abgeschickt hatte, umgebracht hatte? Und wo sollte er ihn suchen? Kaiba hob den Briefumschlag auf und stellte fest, dass dieser von einem Ort nahe der Klinik abgeschickt worden war. Dort musste er also zuerst suchen. Vorher telefonierte er aber noch alle Krankenhäuser ab, ebenso wie er sich durch seine Beziehungen bei der Polizei versicherte, dass Atemu noch nicht gefunden worden war. Doch niemand schien eine Spur von ihm zu haben. In Anbetracht der Tatsache, dass Atemu sich wahrscheinlich umbringen wollte, oder es sogar schon getan hatte, war Kaiba sein Beruf auch egal und er beschloss, weiter nach seinem Freund zu suchen. Sicher hätten seine Kollegen im dem Fall auch Verständnis dafür. Sie um Hilfe bitten, konnte er aber nicht, denn dann müsste er ihnen den Brief zeigen und sie würden sicher Fragen stellen, Fragen, die er nicht beantworten konnte. Still saß Atemu am Wegesrand an einem Baum des Waldes gelehnt, der hinter ihm begann. Der Herbst hatte die Blätter der Bäume rot gefärbt und ein dickes Polster aus solchen unter ihm geformt. Im Schneidersitz saß er da, mit einem Rucksack und seinen wenigen Habseligkeiten. Er fragte sich, was er jetzt tun, oder wo er hingehen sollte. Eigentlich hatte er ja vorgehabt, sich von diesem Leben zu verabschieden, denn er wusste, ewig ohne Seto zu leben, würde er nicht aushalten. Und zurück konnte er nicht mehr, da sein Geliebter ihn bestimmt ins Gefängnis stecken würde, jetzt, wo er sein Versprechen gebrochen und ihn so enttäuscht hatte. Aber konnte es einfach nicht. Er war so ein Feigling. Und da war ja auch noch Yami. Obwohl damals, bei Seto, er derjenige gewesen war, der sich hatte umbringen wollen, war nun seltsamerweise er es, der weiterleben wollte. Weshalb, das war Atemu ein Rätsel, da er immer noch keinen direkten Kontakt zu Yami finden konnte. Doch jedes Mal, wenn er versucht hatte, sich umzubringen, war irgendetwas Merkwürdiges dazwischen gekommen und Atemu kam nicht umhin zu denken, dass Yami dahinter steckte. Und wenn Yami sich einmal nicht eingemischt hatte, dann hatte er, Atemu, sich nicht überwinden können. “Seto, ich wünschte, ich könnte zu dir”, flüsterte Atemu vor sich hin und küsste das Foto seines Geliebten, das er in den Händen hielt. Und was war, wenn er sich stellte und ins Gefängnis ging? Würde Seto ihn dann vielleicht manchmal besuchen kommen? Oder würde gar nichts mehr von ihm wissen wollen? Während Atemu so vor sich hingrübelte, wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen… Epilog: Glücklich und in Frieden? --------------------------------- Eines Abends - Kaiba kam gerade von einer längeren Suchaktion in der Nähe der psychiatrischen Klinik wieder nach Hause - legte er müde seine Tasche auf den Boden, ohne sie weiter zu beachten und ging Richtung Wohnzimmer. Wie es hier aussieht, dachte er mit einem Blick durch den Flur. Er hatte schon seit einer Ewigkeit keine Zeit mehr gehabt, aufzuräumen oder sauberzumachen. “Sag kein Wort!”, tönte es ihm plötzlich vom Wohnzimmer her entgegen, als er gerade im Begriff war, über die Türschwelle zu treten. Überrascht blickte er auf und stellte fest, dass dort auf dem Sofa Atemu saß! Er konnte es nicht glauben - litt er jetzt schon an Halluzinationen? Atemu jedenfalls sah etwas abgemagert aus und schien sich einen neuen Klammottenstil zugelegt zu haben, da er eine enge, schwarze Lederhose und ein ebensolches Shirt ohne Ärmel trug, worunter sich seine Muskeln abzeichneten. Außerdem hatte er ein schwarzes Nietenhalsband umgelegt und trug ebenso schwarze, breite Armbänder. Wow, ging es Kaiba durch den Kopf und im nächsten Moment schüttelte er ihn, um ihn wieder klar zu bekommen. Da saß auf einmal nach wochenlanger Suche sein fast schon todgeglaubter Freund und er dachte gleich an so was! “Atemu!”, rief er überglücklich und stürzte sich förmlich auf ihn. “Du lebst!” Mit diesen Worten nahm er ihn in die Arme und drückte ihn ans sich, strich ihm zärtlich über den Rücken und durch die Haare. “Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Wie geht es dir? Was hast du bloß angestellt?” Beinahe hätte er losheulen können vor Freude, dass Atemu wieder da war und lebte. “Nenn mich nicht Atemu”, korrigierte jener ihn. “Und ich, ich habe ausnahmsweise mal nichts angestellt”, funkelte er ihn spöttisch an. “Nein, diesmal war dein lieber Atemu der Böse.” “Yami”, stellte Kaiba perplex fest. “A-aber…” “Nun, Atemu, er wollte sich umbringen. Er hat es in dieser Klinik nicht mehr ausgehalten und zurück zu dir wollte er auch nicht, weil er dann ins Gefängnis gemusst hätte”, erklärte Yami. “Aber jetzt bin ich derjenige, der weiterleben will, auch wenn ich dafür in den Knast gehe.” “W-warum?”, war das einzige, was Kaiba hervorbrachte, da sich erstmal von dem Schock erholen musste. Yamis Miene wandelte sich auf die Frage hin schlagartig. Zunächst sagte er nichts, doch nach einer Weile des vor sich hin Starrens erklärte er: “Ich will nur, dass du mich besuchen kommst.” “Oh”, machte Kaiba. “K-klar.” Mit dieser Bitte hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Nicht von Yami. Plötzlich wandte sich dieser zu ihm um, stürzte sich auf ihn und ehe Kaiba sich’ s versah, saß Yami schon auf seinem Schoß und küsste ihn. Kaiba, der Atemu schon seit einer Ewigkeit vermisste, küsste ihn nach der ersten Überraschung zurück. “Warum?”, wiederholte er schließlich mit verschleiertem Blick, nachdem sich die beiden wieder voneinander gelöst hatten und Yami von Kaibas Schoß heruntergerutscht war. “Weil ich will, dass du mich auch liebst. Ja, guck mich nicht so ungläubig an. Atemu hat in dieser Klinik vielleicht nichts dazugelernt, aber ich schon. Ich weiß jetzt, was ich wirklich will und kann das auch ausdrücken. Du darfst nicht vergessen, dass ich eigentlich der richtige Atemu bin.* Denn ich bin derjenige, mit den kompletten Erinnerungen an die Vergangenheit. Doch ich wurde zum Schatten und er, meine zweite Persönlichkeit, zu meinem Schutzmantel. Beide einzeln sind wir nur halbe Menschen, können nie ganz sein. Atemu ist oft so oberflächlich. Ich, ich bin die Tiefe, aber auch der Schmerz, den er nicht ertragen muss und das Böse.” “Ich liebe euch beide”, erklärte Kaiba voller Inbrunst und nahm Yami in die Arme. “Wir werden das schon schaffen”, streichelte er ihm durch die Haare. “Und irgendwann…” “…leben wir dann glücklich und in Frieden”, vollendete Yami den Satz mit einem traurigen Schmunzeln, wobei sie beide wussten, dass das niemals sein würde. Yami blinzelte und sein Gesichtsausdruck änderte sich von zufrieden in zweifelnd und ängstlich. “Atemu?”, sprach Kaiba fragend. So langsam lernte er ganz gut, die beiden voneinander zu unterscheiden. “Ja, ich… Seto, es tut mir so leid, dass ich dich enttäuscht habe. Ich habe wirklich alles versucht, um weiter in dieser Klinik zu bleiben, aber ich habe es nicht geschafft. Kannst du mir das jemals verzeihen?” “Ach, Atemu”, seufzte Kaiba. Es fiel ihm doch so schwer, seinem Geliebten böse zu sein, obwohl er es verdient hätte. Aber er hatte sich einfach nur riesige Sorgen gemacht und wenn sein Freund ihn mit so großen, bittenden Hundeaugen ansah, dann konnte er ihm erst recht nicht böse sein. Kaiba wünschte, die Zeit würde stehen bleiben und sie könnten all die Probleme vergessen, die noch auf sie zukommen würden. Er nahm Atemus Gesicht in seine Hände und erklärte: “Natürlich verzeihe ich dir. Aber Yami hat schon Recht. Du- ihr, müsst euch stellen und endlich die Wahrheit sagen, auch wenn das bedeutet, dass du ins Gefängnis kommst. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit wie du dich von deiner Schuld befreien kannst.” “Ich verstehe”, erwiderte Atemu traurig. “Seto, können wir nicht einfach die Zeit stillstehen lassen und ewig zusammen bleiben, so wie jetzt?” ENDE Anmerkung: Dieses Ende habe ich so halboffen gelassen, weil sich jeder selbst denken kann, was noch passieren wird. Wenn ich an dieser Stelle weitergeschrieben hätte, wäre jegliche Handlung nur noch vorausschaubar und damit langweilig geworden. Ich hoffe, die Geschichte hat euch im ganzen ein bisschen gefallen und würde mich freuen, eure Meinung zu hören. Macht' s gut, Saedy *Zur Erklärung: Wenn Yami sagt, dass er eigentlich der richtige Atemu ist, ist das nur seine Meinung, weil er alle Erinnerungen an die Vergangenheit besitzt. Atemu ist aber genauso “echt”. Sie sind beide Teile der ursprünglichen Persönlichkeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)