Moonrise von MarySae (Untergang einer fremden Welt) ================================================================================ Kapitel 5: Wie kann man vertrauen? ---------------------------------- Kapitel 5 – Wie kann man vertrauen? Ich konnte nicht umhin, etwas erleichtert zu sein, als wir die beiden Frauen hinter uns lassen konnten. Dass die blonde Mary mich hasste, war nicht zu übersehen, doch Amanda war eigentlich ziemlich freundlich. Dennoch war sie mir nicht ganz geheuer. Warum glaubte sie mir? Immerhin kannten wir uns überhaupt nicht! Dass Lucy mir glaubte, lag wohl daran, dass sie mich in den letzten Stunden kennengelernt hatte und so bemerkt hat, dass ich doch ein normaler Mensch war. Doch trotz allem fühlte es sich gut an zu wissen, dass es noch zwei bis drei andere Leute gab, die mich nicht sofort verurteilten. Bald traten wir wieder aus dem Tunnel und standen erneut in der leeren Haupthalle. Plötzlich drehte sich Lucy schwungvoll um und grinste mich an. Misstrauisch beäugte ich sie. „Soll ich dir jetzt mal das Beste zeigen?“ „Ähm, ja.“, sagte ich nur, gespannt, was jetzt kam. „Dann komm mit!“, lachte sie, nahm mich wieder an der Hand und zog mich hinter sich her. Wie konnte man bloß so viel Energie haben? Wir stürmten in den etwas größeren Tunnel links von dem, der zum Fluss führte, und schnell merkte ich, dass dieser anders war. Und damit meinte ich nicht nur die Größe. Es war kein Tunnel, sondern eher eine Wendeltreppe. Lucy und ich rannten regelrecht den Weg hoch und manchmal wären wir fast mit uns entgegenkommenden Menschen zusammengestoßen. Ich sah nur aus den Augenwinkeln ihren finsteren Blick, als sie mich sahen. Ich hatte mehr damit zu tun, bei dem Tempo nicht hinzufallen. Ob Lucy vergessen hatte, dass mein Bein verletzt war? Doch ich sagte nichts. Zum Glück hielt mein Fuß das ohne Probleme aus. Nur diese seltsamen Schmerzen, die ich seit meiner Ankunft in dieser seltsamen Wüste hatte, flammten einige Male für wenige Sekunden wieder auf. Aber es war nicht so schlimm wie noch am ersten Tag. Was hatte das zu bedeuten? Bald kam mir helles Licht entgegen, welches meine Augen blendete. Verwundert kniff ich diese zusammen. Wo kam dieses intensive Licht her? Die Gänge und Höhlen lagen immer im Halbschatten. Wieso also war es hier so hell? Nach wenigen Schritten traten wir aus dem Gang hinaus und ich erschrak. Mit weit aufgerissenen Augen bemerkte ich, wo ich war. Die Sonne schien mir auf die schwarzen Haare, der sandige Boden unter mir glänzte weiß im Licht und der leichte Wind spielte mit meiner Kleidung. Staunend sah ich mich um. Wir standen vor der Spitze des Berges, aus dem wir zu kommen schienen. Vor mir, erstreckte sich eine riesige Stadt. Häuser aus Holz, Lehm und Steinen waren an einer Straße aufgefädelt und passten sich dem abfallenden Boden an. In weiter Ferne und ein paar hundert Meter weiter unten, stand etwas wie eine mehrere Meter hohe Mauer. „Was ist das hier?“, fragte ich erstaunt, während ich noch immer alles genau betrachtete. „Das ist Ategoto. Unsere letzte Hoffnung.“, sagte Lucy mit einem traurigen Lächeln im Gesicht. „Komm! Ich zeig dir einen Platz, wo du die Stadt besser sehen kannst!“, meinte sie dann und zog mich hinter sich her. Wir liefen um ein zweistöckiges Gebäude herum, welches scheinbar auf dem höchsten Punkt des Berges zu stehen schien. Auf dessen Rückseite führte eine Wendetreppe auf das Flachdach des Hauses. Es war schwierig aufrecht stehen zu bleiben, da der Wind mit jedem Meter immer stärker wurde. Oben angekommen zog Lucy mich einmal quer über das Dach zu einer hüfthohen Steinmauer, die als Geländer diente. Neugierig hielt ich mich an der Mauer fest und sah mich in der Stadt um. Hier und da liefen Menschen, die ich jedoch nicht weiter beachtete. Wie ich vorhin schon bemerkt hatte, war die Stadt von einer großen Steinmauer umzäunt. „Wozu ist die Mauer gut?“, fragte ich neugierig. „Die ‚anderen’ versuchen immer wieder in unsere Stadt einzudringen. Diese vertragen aber keine Hitze, weshalb sie es nur Nachts versuchen. Und um uns davor zu schützen sind immer Wachen auf der Stadtmauer, die alles beobachten. Oft sind es auch einfach nur wilde Tiere, die unser Essen riechen.“, erklärte mir die Blonde. Ich nickte. „Warum lebt ihr nicht hier oben in der Stadt?“ Es war schon seltsam. Hier oben gab es eine komplett erhaltene Stadt und sie wohnten unten in engen und dunklen Höhlen. „Wie fühlen uns im Berg einfach wohler. Es gibt noch einige wenige, die in den Häusern wohnen, aber die meisten von uns ziehen die Höhlen vor. Hier oben gibt es Stürme und in der Regenzeit sollte man lieber nicht draußen sein. Der Berg hat einfach mehr Vorteile.“, lachte Lucy und ich stimmte ihr nickend zu. Es klang logisch. Schon am sonnigen Tag war es extrem windig. Meine Haare verdeckten mir teilweise die Sicht, und ich musste sie mit einer Hand im Zaum halten. Ich bereute es etwas, heute Morgen keinen Zopf gemacht zu haben. „Und was ist das?“, fragte ich einfach drauf los, als mir auf der rechten Seite etwas ins Auge fiel. Dort war eine Art Plantage, mitten in der Wüste! Drei oder vier Männer kümmerten sich gerade um kleine, blattlose Büsche und schleppten immer neue Eimer voll Wasser dahin. Ich hörte Lucy neben mir kichern. „Das ist unsere einzige Plantage über der Erde. Es ist verdammt schwierig diese am Leben zu erhalten.“ Sie lachte. „Die Wüstenbeere bringt kleine schwarze Beeren hervor. Diese schmecken besonders gut auf Brot und in Soßen.“ „Sowas habe ich ja noch nie gesehen! Diese ganze Stadt ist super!“, grinste ich. Es war wirklich erstaunlich, was diese Menschen zustande bekommen haben. Trotz ihrer Situation haben sie eine richtige Stadt mit funktionierendem System aufgebaut. Wow. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die blonde Frau mein Gesicht musterte. Schon seit wir die Höhlen verlassen hatten. Und mir war klar, was das bedeutete. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Auch, wenn du und die anderen es mir nicht glaubt, ich bin zum ersten Mal hier und halte nicht nach den Infizierten Ausschau, um ihnen Nachrichten zu übermitteln oder sonst was.“ Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus, die nur durch den tosenden Wind unterbrochen wurde. Ich hatte mit meiner Vermutung also ins Schwarze getroffen. Sie wollten mich testen. Sie wollten testen, wie ich reagiere, wenn ich diese Stadt sehe. Wenn ich wirklich ein Besessener wäre, hätte ich garantiert anders reagiert, als es normal gewesen wäre. Vielleicht hätte ich nach Möglichkeiten gesucht, die anderen reinzulassen oder selbst mit den brisanten Informationen zu verschwinden. Und um mich zu beobachten haben sie Lucy ausgewählt, weil sie mir anscheinend am nächsten steht. Die kennen wirklich keine Gnade. Betrübt ließ ich den Kopf hängen und schloss die Augen. Hatte ich wirklich gedacht, dass sie mir vertrauen? Ich bin ohne irgendwelche Beweise hier hereingeplatzt und scheine eine von den Feinden zu sein. Wie also können sie mir trauen? Weil ich das sage? Wie heißt es doch so schön?! ‚Schuldig, bis die Unschuld bewiesen wurde.’ Die Menschen hier schienen nach diesem Konzept zu leben. So lange misstrauisch sein, bis sie sicher sind, dass keine Gefahr droht. Vielleicht war das auch die einzige Einstellung, die ihnen das Überleben sicherte. „Hannah, hör zu. Ich-“, begann Lucy so leise, dass der Wind ihre Worte fast davon wehte. Doch ich wollte ihren Plan nicht hören. Es war mir egal. Sollten sie mich halt bespitzeln. War vielleicht auch besser so. „Ist schon ok.“, unterbrach ich sie lauter. „Ich kann euch verstehen. Ich hätte es wahrscheinlich auch so gemacht.“ Ja, vielleicht hätte ich das. „Lass uns wieder gehen. Ich soll mich doch nützlich machen.“, meinte ich noch und wandte mich zum Gehen. Lucy blieb noch kurz stehen, während ich schon langsam zur Treppe ging. „Es tut mir leid.“, sagte sie so leise, dass ich es kaum noch hören konnte. Ich antwortete nicht und versuchte die kleinen nassen Tränen zurückzuhalten. +++++ Wenige Minuten, in denen wir schweigend durch den dunklen Gang zurück in die Haupthalle gegangen waren, später, erreichten wir unseren ersten Arbeitsplatz. Amanda und Mary arbeiteten schon auf dem Licht durchfluteten Acker, als wir uns ihm näherten. „Hey Lucy! Hannah!“, strahlte Amanda uns freudig entgegen. Als die Schwarzhaarige meinen Namen erwähnte, zuckte ihre Freundin sichtbar zusammen, ignorierte uns aber völlig. Langsam und, wie sie wahrscheinlich meinte, unauffällig, verließ sie die Mitte des Feldes um in die gegenüberliegende Ecke zu verschwinden. Scheinbar hatte sie keine Lust auf mich. Aber mir war das ganz Recht. Ich hatte nämlich auch keine Lust auf ihre miesen Unterstellungen und Sticheleien. Ich hatte heute schon genug… „Hey!“, sagte Lucy fröhlich. Doch ob diese Fröhlichkeit echt war, konnte ich nicht sagen. „Hallo.“, meinte ich kleinlaut zu der Schwarzhaarigen. „Ich wusste gar nicht, dass ihr heute Schicht habt.“, meinte Lucy etwas verwundert. „Wir haben mit Sue und Tino getauscht.“, erklärte Amanda mit einem kleinen Seitenblick auf mich. Ich verstand sofort. Diese beiden wollten nicht mit mir zusammen arbeiten. Vielleicht hatten sie sogar angst vor mir. Eine mir unerklärliche Wut brodelte in mir hoch und ich musste mir Mühe geben, nicht das Gesicht zu verziehen. Wie konnten diese Menschen über mich urteilen, obwohl sie mich überhaupt nicht kannten! Was erzählten die Leute denn? Das ich aussehe, wie ein Monster und alle, die mir begegnen, sofort auffresse? „Mach dir nichts draus.“ Amandas Worte holten mich aus meinen Gedanken. Noch immer etwas hart blickte ich sie an. „Menschen haben Angst vor neuen Dingen.“ „Ja, ich verstehe das. Aber es ist nicht einfach, wenn die Menschen mich schon verurteilen, ehe sie mich kennen.“, sagte ich ernst. „Das glaub ich dir.“ Sie lächelte mich freundlich an. „Aber hör zu. Es sind nicht alle gegen dich. Nicht wenige setzen sich dafür ein, dass du nicht zu unrecht verurteilt wirst.“ „Es ist nur schwer, Leute zu finden, denen man wirklich vertrauen kann.“ Das war jetzt nicht nur eine Antwort auf Amandas Satz, sondern auch ein kleiner Seitenhieb auf Lucy. Doch ich sah sie nicht an, weshalb ich nicht sehen konnte, wie sie darauf reagierte. Ich war ihr sehr dankbar für alles, was sie für mich getan hatte, doch wenn die Menschen hier sich schützen dürfen, dann möchte ich das auch. Kampflos gebe ich nicht auf. Das war nie meine Art. Amanda kicherte. „Da musst DU dir keine Sorgen machen. Du bist sehr mutig und hast scheinbar ein gutes Auge für die Menschen. Mit Ian, Taylor und Lucy hast du ein gutes Händchen bewiesen.“ Hatte ich das? Ja, die drei waren nett und sie halfen mir. Aber ich kannte sie erst kurz! Ich wusste kaum was über sie! Ihre Ziele und Wünsche. Und sie wussten genauso wenig über mich. Und dennoch hatten sie sich für mich eingesetzt. Eine Fremde. Amanda hatte Recht. Vielleicht hatte ich wirklich eine gute Menschenkenntnis. Ich lächelte. „Ja, stimmt.“ „Na dann lasst uns mal anfangen! Das Feld pflügt sich leider nicht von alleine!“, lachte Amanda und kam zu mir rüber. Sie wollte das Thema wohl erstmal damit abbrechen. Aber wie ich sie bis jetzt kennengelernt hatte, würde sie später noch einmal darauf zurückkommen. „So, dann zeig ich dir mal, wie du uns helfen kannst.“ Sie warf einen kurzen Blick auf mein, noch immer bandagiertes, Bein. „Natürlich wirst du nicht so helfen müssen wie die Anderen. Deine Verletzung muss erst einmal wieder richtig verheilen.“, lächelte sie freundlich. Ich lächelte zurück. „Danke, aber ihr braucht keine Rücksicht darauf zu nehmen. Ich kann arbeiten wie jeder andere auch. Ich brauche keine Sonderbehandlung.“, meinte ich bestimmt. Ich wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden und den anderen nur bei der Arbeit zusehen. Dies war ein wichtiger Job, damit alle heute Abend etwas auf ihren Tellern hatten. Außerdem wollte ich mir von anderen nicht anhören ich wäre unnütz und zu nichts zu gebrauchen. „Wow. Ein ganz schön taffes Mädchen.“, lachte Amanda. „Wie alt bist du?“ Ich war etwas verwundert über diese Frage. „Äh… 17.“ Die junge Frau nickte anerkennend. „Du bist ganz schön reif für dein Alter.“ Die Schwarzhaarige bückte sich, hob eine kleine, grüne Schaufel sowie einen weißen Eimer vom Boden auf und reichte mir diese. „Gut, dann kannst du die Erde etwas auflockern und das Unkraut rausrupfen.“ „Ja!“, kam es von mir und gleich hockte ich mich zwischen die Pflanzen mit den seltsamen Früchten und begann mit der Arbeit. ++++++++++ Wenn ich die anderen drei so sah, hatte ich noch eine der leichteren Aufgaben. Aber ich musste gestehen, dass ich meine Verletzung unterschätzt hatte. Mein Bein schmerzte nach zwei Stunden auf dem Boden sitzen, höllisch. Alle paar Minuten musste ich mir eine neue Sitzposition suchen, die mir annähernd bequem erschien. Doch nach weiten paar Minuten stellte sich diese Annahme als falsch heraus. Doch ich ließ mir nichts anmerken. Ich arbeitete normal weiter, auch wenn ich oft einen leisen Schmerzenslaut unterdrücken musste. Ich achtete auf mein verletztes Bein und hoffe nur, dass es nicht wieder anfing zu bluten. Zwischen den Frauen herrschte eisige Ruhe. Mary, die weit Abseits von uns stand, hatte noch nicht ein Wort gesagt, seit ich hier war. Auch zwischen Amanda und Lucy war nicht wirklich eine Unterhaltung zustande gekommen. Die beiden redeten zwar ab und zu miteinander, doch es waren immer eher belanglose Dinge, die schnell geklärt waren. Ich hingegen versteckte mich etwas zwischen den Pflanzen, damit die Leute, die an dem Feld vorbeigingen, mich nicht sofort entdeckten. So konnte ich mir einige blöde Sprüche und Anmerkungen ersparen. Doch ich wusste auch, dass ich nicht ewig vor den Bewohnern dieser Höhlen weglaufen konnte. Aber ich konnte ja versuchen, es so lange wie möglich rauszuzögern. „Hallo, die Damen!“ Eine männliche Stimme unterbrach meine Gedanken und ließ mich aufsehen. Ein Mann mit blonden, langen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, und einer Brille im Gesicht, lächelte uns freundlich an. Hugh, der Arzt. „Hugh! Wie schön dich mal zu sehen! Du kommst ja so selten aus deiner Praxis, dass ich schon manchmal vergesse, dass es dich gibt!“, lachte Amanda über ihren Witz. „Amanda, meine Liebe. Ich habe so viel zu tun, dass ich kaum Freizeit habe. Wenn ihr etwas vorsichtiger sein würdet, hätte ich auch weniger zu tun.“, gab Hugh charmant zurück. „Das glaube ich gerne!“, grinste die Schwarzhaarige. „Auch jetzt bin ich nur geschäftlich hier.“ Die junge Frau zog kurz eine Augenbraue hoch und blickte dann zu mir. War ja klar, dass ich wieder in den Mittelpunkt geraten musste… Ich hielt kurz die Luft an, um eventuelle Schmerzenslaute gleich im Keim zu unterdrücken, und stand aus meiner sitzenden Position auf. So normal wie möglich, ging ich zum Rand des Feldes, wo Amanda, Hugh und jetzt auch Lucy standen. „Genau dich suche ich!“, lächelte Hugh mich an. „Das habe ich mir fast gedacht.“, lachte ich zurück. Hugh war mir eigentlich von Anfang an sympathisch. Er war ein netter, ruhiger Mann, der sehr vorsichtig beim Umgang mit Menschen zu sein schien. „Ich war eben in deinem Zimmer, habe das aber nur leer vorgefunden. Und jetzt muss ich feststellen, dass du schon auf dem Feld arbeitetest.“ Ein kleiner Vorwurf schwang unüberhörbar in seinem Worten mit. Ich wollte gerade was dazu sagen, doch Lucy war schneller. „Da musst du dich bei Simon und Jack bedanken.“, meinte Lucy mit einem ziemlich sauren Unterton. Ich musste darüber leicht schmunzeln. Ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sie ebenfalls leicht lächelte. Auf einmal wirkte sie viel gelöster. Vielleicht war ich doch zu grob zu ihr gewesen. „Das war ja klar.“, meinte Hugh ruhig, doch er schien nicht sehr gut auf die beiden zu sprechen zu sein. Aber er versteckte seine Wut schnell wieder und kehrte zu seinem eigentlichen Anliegen zurück. „Na ja, jetzt ist es eh zu spät, dich davon abzuhalten. Würdest du bitte mit mir kommen, Hannah?“ Ich sah die anderen beiden Frauen an, welche mir leicht zunickten. „Ja.“ „Lucy“, sagte Hugh dann an diese gewand, „ich bringe sie nachher wieder in ihr Zimmer, einverstanden?“ Die Blonde nickte. „Natürlich. Ich werde heute Abend mal vorbeischauen“ Der Arzt nickte zufrieden. „Dann sehen wir uns später, meine Damen.“, säuselte der Blonde wieder und wandte sich ab. Ich wusste in dem Moment gar nicht, was ich machen sollte. Ich sah Lucy kurz an, sagte: „Bye“ und ging Hugh hinterher. ******** Er führte mich wieder durch die dunklen Gänge und nach drei Kreuzungen hatte ich bereits die Orientierung verloren. So brauchten sich die Menschen hier wenigstens keine Sorgen machen, dass ich auf einmal abhauen könnte. Und ich denke das war auch der Grund, weshalb sie mich hier so offen rumspazieren ließen. Nach einigen Minuten erreichten wir Hughs Arbeitszimmer und er wies mich an, mich auf eines der Betten zu setzten. „Leg bitte dein Bein hoch.“ Ich tat, was er gesagt hatte und der junge Mann zerschnitt sogleich den festen Verband darum. Als mein Bein frei lag, musste ich erstmal schlucken. Es war noch immer rot und geschwollen und die Nähte der Wunden klafften aus dem Fleisch, doch es sah schon besser aus, als ich es das letzte Mal gesehen hatte. Dennoch kam in mir eine gewisse Übelkeit hoch, als ich das blutige Bein sah. M e i n blutiges Bein. Ich ließ mich langsam nach hinten auf das Bett sinken und starrte die Decke über mir an, an der die Lichtpunkte einiger Öllampen flackerten. „Du kannst kein Blut sehen, was?“, hörte ich Hugh lachen, während ich spürte, dass er etwas mit meinem Bein anstellte. „Nein, nicht wirklich.“ Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Und schon gar nicht bei mir selber. Darum fand ich es so besser, einfach dem Fachmann zu vertrauen und nichts weiter dazu zu sagen. „Haha, kann ich verstehen!“, meinte der Blonde hörbar belustigt und auch mir schlich sich ein kleines Lächeln aufs Gesicht. „Tut es noch sehr weh?“ Ich überlegte kurz. Denn immerhin wollte ich, zumindest ihm, die Wahrheit sagen. „Eigentlich nicht. Nur vorhin, als ich die zwei Stunden auf dem Boden gesessen habe, fing es wieder an zu brennen. Laufen und alles geht aber erstaunlich gut.“, erklärte ich ihm. „In Ordnung.“, meinte Hugh nur und dann herrschte wieder Stille zwischen uns beiden. „Darf ich dich mal was fragen?“, fing er plötzlich wieder an und ich wurde hellhörig. „Natürlich.“ „Ich möchte nicht zu aufdringlich erscheinen, aber ich muss gestehen, dass ich sehr neugierig bin.“ Er schien sich etwas rausreden zu wollen. Ich schmunzelte. „Ich verstehe.“ „Also… Wo genau kommst du her?“ Diese Frage überraschte mich etwas. Aber im positiven Sinne. Er schien mir wirklich zu glauben, dass ich nicht von hier kam. Zumindest wollte ich mir das einreden. „Ich weiß nicht genau, wie ich das sagen soll. Ich weiß ja nicht mal, wo ich hier eigentlich bin.“, meinte ich ehrlich. Denn wie sollte ich sagen, wo ich herkomme, wenn ich nicht mal eine Idee hatte, wo ich hier war. Hugh blieb kurz still. Er schien mich nicht unterbrechen zu wollen. Ich seufzte leise und fuhr dann fort. „Die Stadt, in der ich wohne, heißt Berlin und ist die Hauptstadt von Deutschland. Hast du davon schon mal was gehört?“ Ich hatte zwar Angst vor der Antwort, doch das hier war wahrscheinlich meine einzige Chance etwas zu erfahren. Stille. „Nein, tut mir Leid.“ Ich seufzte schwer und musste mich wirklich beherrschen nicht sofort loszuweinen. Auch wenn ich es irgendwie von Anfang an gewusste hatte, bohrte sich die Wahrheit wie ein Messer in meinen Kopf. Ich wusste nicht, wo ich mich hier eigentlich befand, doch eins war klar: Das hier war nicht die Erde. Aber was dann? Ich habe mich doch eben noch in Berlin befunden und hatte einen Unfall! Wie kann ich in der nächsten Sekunde ganz wo anders sein, in einer Welt… die es eigentlich gar nicht gibt? Oder war ich doch… tot? War das hier eine Art Himmel? Oder vielleicht doch die Hölle? Doch was hatte ich getan? Warum hatte ich das verdient? Habe ich irgendwas in meinem Leben falsch gemacht? „Hannah…“ Hughs Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Ich spürte ein Stechen in der Brust meine Augen brannten. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir heiße Tränen über die Wangen liefen und schon das Kopfkissen unter mir befeuchteten. Verschämt wischte ich diese Wassertropfen weg. „Tut mir leid, ich habe etwas die Beherrschung verloren.“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Nein, du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr schwer für dich sein muss. So weit weg von Zuhause und niemanden den du kennst. Tut mir leid, dass du unter solchen Umständen zu uns gestoßen bist.“ Seine Stimme klang leiser als sonst und irgendwie… mitleidig. Er hatte tatsächlich Mitleid mit mir. Hieß das auch, dass er meine Geschichte glaubte? „Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich hatte einen Autounfall und bin hier aufgewacht. Dazwischen fehlt mir alles.“, erklärte ich ihm mit leiser und brüchiger Stimme. Mein Kopf war seltsam leer. Obwohl ich jetzt die Gewissheit hatte, dass ich im Nirgendwo festsaß, war ich erstaunlich ruhig. Doch ich wusste, dass das noch nicht alles war. Irgendwas war da in mir, was bald hervorkommen könnte. „Das tut mir alles so leid.“, meinte der Blonde und stand auf. Ich hob meinen Kopf und sah, dass mein Bein bereits wieder verbunden war. Diesmal war der Verband nicht ganz so dick, wie beim letzten Mal. Hugh ging zu einer Art Schreibtisch, der am anderen Ende stand und packte das restlichte Verbandszeug wieder in einen der Schränke. Ehe ich mich ganz aufgesetzt hatte, kam er auch schon wieder zurück. Das weiße Tuch, was er mitgebracht hatte, legte er in meine Hand. Ein Taschentuch. „Ich kann dir leider auch nicht sagen, was mit dir passiert ist, aber ich werde alles tun, um das herauszufinden. Und solange werde ich nicht zulassen, dass einer von den anderen dir was antut. Versprochen.“ Ungläubig starrte ich den jungen Mann an, der mich lächelnd, aber dennoch ernst, anblickte. Ich sah in seinen Augen, dass er ernst meinte, was er eben gesagt hatte. Ein seltsames Gefühl kroch in mir hoch. „Vielen Dank.“, meinte ich leise und wischte mir die heißen Tränen aus dem Gesicht. Langsam stand ich auf, da mir aufgefallen war, dass Hugh mehrmals zur Tür und wieder zurück zu seinem Schreibtisch geblickt hatte. Wahrscheinlich hatte er noch andere Dinge zu erledigen und wollte mich deshalb schnell in mein Zimmer bringen. „Ich müsste dich jetzt leider wieder zurück in dein Zimmer bringen.“, meinte er etwas beschämt darüber, mich so schnell wieder loswerden zu müssen. Das würde jedenfalls zu ihm passen. Ich lächelte. „Natürlich. Du hast sicher noch andere Patienten. Ich will da gar nicht weiter stören.“ „Danke.“, meinte Doc dann ebenfalls lächelnd und öffnete die Tür. Lange liefen wir durch die nur spärlich beleuchteten Gänge, ehe wir die Tür zu dem Raum erreichten, die mir im Moment als Unterschlupf diente. „Vielen Dank, Doc. Für alles.“, meinte ich noch, ehe ich das Zimmer betrat und die Tür hinter mir wieder schloss. Kurz lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Wand. Ich musste einmal tief durchatmen. Meine Augen schlossen sich wie von selbst, bis ich mich langsam wieder normaler fühlte. Doch ein seltsamer Geruch stieg mir in die Nase und ich öffnete meine Augen wieder. Auf dem Tisch in der Ecke stand wieder ein Tablett voll mit Essen. Lucy musste es mir vorbeigebracht haben. Doch etwas fiel mir daran ins Auge. Ein weißer Zettel lag oben auf dem Essensteller. Neugierig ging ich zu dem Tisch rüber und las den Satz, der fein säuberlich auf dem Papier stand. „Es tut mir leid!“ Ich konnte sofort sehen, dass diese Schrift einer Frau gehören musste und wusste gleich, wem ich diese zuordnen musste. Eine kleine Träne rann mir über das Gesicht. Amanda hatte Recht. Ich konnte ihnen wirklich vertrauen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)