Moonrise von MarySae (Untergang einer fremden Welt) ================================================================================ Kapitel 12: Die gerechte Strafe und ein bekanntes Gesicht --------------------------------------------------------- Kapitel 12 – Die gerechte Strafe und eine bekanntes Gesicht Ich wusste nicht, wie lange ich hier schon saß. Meine Gefühle waren vollständig verschwunden. Alle bis auf eins: Trauer. Mit glasigen Augen starrte ich auf den Jungen vor mir. Er bewegte sich nicht mehr. Nichts an ihm schien noch menschlich. Seine Augen konnte ich nicht sehen, aber ich wollte es auch nicht. Ich hatte Angst davor, den leeren Ausdruck und die tiefen Schatten darin zu sehen... Der Tag schien zu dämmern, da sich die Umgebung langsam erhellte und die Hitze der Wüste zurückkam. Die Feuer waren erloschen. Nur der dichte, beißende Qualm stieg mir noch in die Nase. Ich hatte mich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht bewegt. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Still lief mir eine Träne nach der anderen über die Wange und tropfte auf meine im Schoß liegenden Hände. Ich fühlte mich so seltsam leer. Nichts schien mehr von Bedeutung zu sein. Mir war innerhalb von wenigen Sekunden alles total egal geworden. Nun gab es endgültig nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnt… „Hannah?“ Ich hörte die Stimme. Ich erkannte meinen Namen. Und doch fühlte ich mich nicht angesprochen. Wollte mich nicht angesprochen fühlen. Sollte doch kommen wer wollte! Am besten wäre es, wenn diese blöden Parasiten hier auftauchen und diese ganze Sache endlich beenden würden! Doch ich wusste innerlich, dass ich so einen Tod nicht verdient hatte… Nicht nachdem, was ich alles angerichtet hatte. Meine Strafe war es mit dieser Schuld leben zu müssen… „Hannah, was…?“ Irgendetwas veranlasste mich beim Klang dieser Stimme doch, meinen bleischweren Kopf zu heben und mit schwammigem Blick in Richtung der zerstörten Stadt zu sehen. Eine Gruppe von Menschen starrte mich fassungslos an. Ihre Augen waren geweitet, ihr Gesicht starr vor Schock und Angst. Ihre Körper waren übersät von Wunden, die nur notdürftig mit Kleidungsstücken verbunden waren. Obwohl ich einige davon schon seit meiner Ankunft auf diesem Planeten kannte, dauerte es doch mehrere Minuten, ehe ich es wirklich begriff. „Lucy? Taylor?“ Meine Stimme klang mir fremd. Es fühlte sich an, als hätte nicht ich diese Worte gesagt, sondern jemand, der neben mir stand. Auch wenn ich wusste, dass dort niemand war. Das bodenlose, schwarze Loch in mir schien alles zu verschlingen. „Ian… Ian? Was ist passiert?“ Noch ehe sie eine Antwort bekam, liefen ihr bereits die Tränen über die Wangen. Sie hatte das Undenkbare akzeptiert. Die Möglichkeit in Betracht gezogen. Den Tod gespürt… So langsam, als würde es in Zeitlupe ablaufen, bewegte sich Taylor auf mich zu. Die Augen immer starr auf Ian, seinen kleinen Bruder, gerichtet. Doch seine Gefühle blieben in ihm verschlossen. Kraftlos ließ ich den Kopf hängen und starrte weiter vor mir auf den Sand. Ich wusste, dass ich lieber gehen, ihn mit seinem Bruder allein lassen sollte, doch mein Körper wollte mir einfach nicht gehorchen. Wie ein Zombie stemmte ich mich gegen meine eigene Taubheit, versuchte das Gefühl wieder in meine Beine zurückkehren zu lassen, bis ich es geschafft hatte, mich annähernd aufrecht hinzustellen. Ungeschickt stolperte ich über den steinigen Boden, bis ich einige Meter zwischen mich und Ian gebracht hatte. Nur wenige Sekunden später sank Taylor schon neben dem Blonden in die Knie. Ab da ließ er seinen Tränen freien lauf. Das Schluchzen der letzten Überlebenden erfüllte die warme Morgenluft. Sie ließen all ihren Frust heraus, scherten sich nicht darum, was die anderen denken würden. Ebenso langsam, wie Taylor es eben getan hatte, bewegte sich nun auch Lucy auf den Blonden zu, ließ sich neben dem Schwarzhaarigen nieder, küsste ihn sanft auf die Stirn und nahm seine Hand in ihre. Wieder dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, ehe ich das Offensichtliche verstand. Deshalb war Lucy immer so besorgt um ihn. Deshalb hatte er sie beauftragt, auf mich aufzupassen. Deshalb sah man selten den einen ohne den anderen. Sie waren ein Paar. Ich wandte mich ab. Wollte dieses Bild der Trauer nicht sehen. Wollte nicht den Schmerz in ihren Augen sehen. Dieser Schmerz, den ich ihnen zugefügt hatte. Aus einem Grund, den ich nicht kannte. Das konnte nicht mehr so weitergehen! Zu viel Unheil war schon über diese Welt gekommen. Sie hatte wenigstens das Recht, zu erfahren, warum alles so enden musste! Die Leere in meinem Kopf hatte die Angst vertrieben. Ob ich leben oder sterben würde, war mir im Moment ziemlich egal. Ich wollte nur noch versuchen, den Grund für all dies zu erfahren und diesem unfassbaren Leid ein Ende zu setzten. Ich blickte in Richtung der steinigen Wüste. Wo sollte ich hin? Wie konnte ich die anderen finden? Und was sollte ich sagen? Ich wusste ganz genau, dass sie es waren, die die Stadt zerstört hatten und ich wusste auch, dass es meinetwegen geschehen war. Wieso waren sie aber verschwunden? Ja, ich war nicht da, doch hatten sie nur diesen einen Riesen zurückgelassen, um mich später noch zu holen? Hatten sie nicht erwartet, dass wir diesem Gegner gewachsen waren? Doch wenn noch jemand von denen hier wäre, hätten sie sich schon lange blicken lassen. Dann, wenn ich mich nicht einmal gewehrt hätte. Also blieb mir doch nichts anderes übrig, als sie zu suchen. Wenn ich einer der großen Städte zu nahe kam, würde mich schon jemand entdecken. „Hannah? Was hast du vor?“ Lucys Stimme holte mich aus meiner Gedankenwelt. Sie war aufgestanden und blickte mich mit tränenverschmiertem Gesicht an. Ich konnte nicht anders, als ihr kraftlos entgegen zu lächeln. Endlich hatte ich ein richtiges Ziel vor Augen. „Ich werde gehen. Zu den anderen. Nur so kann ich einen Teil des Leids gut machen, das ich euch angetan habe.“ Ihre Augen weiteten sich. Sogar Taylor blickte nun zu mir hoch. Ich sah die Tränen in seinen Augen und den Schmerz, der ihn quälte. Und dennoch gab er keinen Ton von sich. Er litt stumm. Er tat mir so leid. „Bist du verrückt? Die werden dich umbringen!“ „Ja, das weiß ich.“ Ich lächelte. Doch keine Fröhlichkeit lag darin. „Und ich weiß auch, dass ich daran nichts ändern kann. Aber ich will es wenigstens versuchen, verstehst du? Ich will wissen, warum das alles passiert ist! Außerdem habe ich so die minimale Chance einen Weg zu finden, wie man diese… Dinger von hier vertreiben kann.“ Ja, das war der Plan. Genau so und nicht anders. Einen Weg zur Vernichtung der Bakterien zu finden und dann zu sterben. Eins führt zum anderen. Mein Kopf war so klar in diesem Moment. Es gab für mich keine Alternativen. Nur diesen einen Weg. „Hannah, nicht!“ Lucys Tränen wallten erneut auf und liefen ihr heiß über die geröteten Wangen. Ich wollte sie nicht mehr weinen sehen. Genau dafür würde ich mein Leben aufgeben. „Mach dir keine Sorgen mehr! Bald werdet ihr hier wieder eure Ruhe haben und ein neues Leben anfangen können.“ Ich lachte. Und zu meiner eigenen Überraschung klang es aufrichtig. Ich winkte ihr noch einmal zu, blickte allen Überlebenden noch einmal ins Gesicht und wandte mich in Richtung Wüste. Auch wenn mir Lucys Schreie hinterher hallten, wusste ich doch, dass sie mir nicht nachkommen würde. Zu groß waren Angst und Trauer. Und vielleicht wusste sie, dass das der einzige Weg war… Dass das meine gerechte Strafe war… Die Sonne brannte vom Himmel. Einen Schritt nach dem anderen. Die Spuren im Sand verschwanden schon wenige Sekunden nach ihrer Entstehung. Der Wind trug sie ungesehen davon. Ich wusste nicht, wohin ich lief. Ich wusste nicht, wie lange ich in dieser Hitze ohne Wasser überleben konnte. Es war dumm so überstützt aufzubrechen, doch selbst mit längerer Planung wäre aus der völlig zerstören Stadt nichts mehr zu retten gewesen. Dennoch würde es schwierig werden, mein Ziel lebend zu erreichen. Was für eine Aussicht. Gut, wenn alles Mal nach Plan läuft… Ein seltsames Knacken ließ mich aufblicken. Ich war mir sicher, etwas gehört zu haben, doch es war weit und breit nichts als Sand und Gestein zu sehen. Machte diese fürchterliche Hitze mich schon verrückt? War ich kurz davor durchzudrehen? Wieso musste das ausgerechnet mir passieren…? Erneut dieses Geräusch. Es klang… wie ein Tier? Aber, was machte ein Tier hier in der Wüste? Ein kalter Schauer rann über meinen Rücken. War das der Grund, weshalb die Männer bei ihrem Trip so bewaffnet waren? Gab es hier wirklich wilde Tiere? Was sollte ich tun? Das Geräusch wurde lauter und ich sah, wie sich etwas zwischen den Felsen bewegte. Etwas Kleines, schnelles. Ein Knurren erfüllte die Luft. Viel zu schnell blickte ich von einer Richtung zur anderen, um den Ursprung des Geräusches auszumachen. Erst aus dem Augenwinkel heraus entdeckte ich ein schwarzes Etwas, was von einem nahe gelegenen Stein auf mich herunter starrte. Seine weißen Reißzähne glänzten in der Sonne. Mein Körper erstarrte. Plötzlich wollte kein Muskel mehr gehorchen. Ich kannte dieses Tier. Wie konnte ich auch meine Ankunft auf diesem Planeten vergessen? Wie konnte ich auch diese Schmerzen vergessen…? Seine stechend roten Augen musterten mich, während ich nichts anderes tun konnte, als zurückzustarren. Das schwarze Fell glänzte in der Sonne und einige Stellen um sein Maul herum leuchteten rötlich. War das… Blut? Ich stolperte langsam zurück. Wollte mehr Raum zwischen den Wolf und mich bringen. Doch ich erkannte bald, dass es sinnlos war. Das Tier sprang von einem Felsen auf den Nächsten. Es kam mir immer näher und schnitt die einzigen Fluchtwege ab. Panisch sah ich mich nach einem noch so kleinen Ausweg um. Immer das Knurren des Wolfes im Ohr. War es das? Sollte ich nicht einmal die Möglichkeit bekommen, wenigstens einen Teil dessen wieder gut zu machen, was ich angerichtet hatte? Mussten die Menschen weiter leiden? Schmerzhaft prallte ich mit dem Rücken gegen einen Stein. Ich tastete nach einer Spalte, irgendetwas, was mir helfen würde. Worin ich mich verstecken könnte. Doch da war nichts. Dieser massive Fels hielt mich da, wo ich war. Der Wolf sprang von einem nahegelegenen Stein herunter und landete direkt vor mir. Seine weißen Zähne gefletscht. Ängstlich blickte ich ihm in die katzenartigen Augen. Mir war bewusst, dass es wehtun würde. Sehr wehtun… Ein lautes Knallen ließ mich zusammenzucken und auch das Tier wich irritiert zurück. Suchend blickte ich mich um, aber außer Felsen und Sand war nichts zu sehen. Trotzdem hörte ich dieses Geräusch erneut und es schien, als würde es lauter werden. Und da war noch was… Ein… Wiehern? Erschrocken riss ich die Augen auf. Das konnte doch nicht etwa…? Plötzlich brach etwas gleißend Helles zwischen den Steinen hervor. Es tat fast weh in diese Richtung zu sehen. Automatisch kniff ich meine Augen zusammen. Das schwarze Tier sprang blitzschnell zurück und starrte dem Schimmel mit gefletschten Zähnen entgegen. Doch das Pferd ließ sich nicht einschüchtern. Es scharrte wild mit den Füßen und fauchte ohrenbetäubend laut. Schritt für Schritt wich der knurrende Wolf zurück. Ich starrte nur unbeteiligt auf die Szene, die sich mir bot. Doch das Risiko schien ihm zu groß zu sein, denn mit einer einzigen Bewegung war er bereits über den Felsen hinter mir gesprungen und verschwunden. Wie gebannt musterte ich das weiße Pferd. Und es blickte mich an. Es blieb kein Zweifel. Sie war es. „Koleha?“ Langsam löste ich meine verkrampften Finger von dem Felsen und stolperte auf den Schimmel zu. Wo kam sie her? Wieso hatte sie mir geholfen? Ihre schwarze Mähne wehte sanft in der leichten Briese. Majestätisch schüttelte das Pferd ihren Kopf. Vorsichtig legte ich meine Hand an ihre Seite. Erneut zogen mich ihre pechschwarzen Augen sofort in ihren Bann. „Koleha?“, fragte ich sie erneut mithilfe meiner Gedanken. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es dasselbe Pferd ist, wie das, was ich vor einiger Zeit in der Stadt getroffen hatte! „Hannah. Wie schön dich lebend wiederzusehen.“ Ich hätte vor Freude weinen können. „Du bist es wirklich. Wie schön.“ Ein sagenhaftes Glücksgefühl schien mich einzuhüllen. Das war ein Wunder! Ich legte auch die andere Hand auf eine Seite ihres Kopfes und berührte mit meiner Stirn ihre weiche Haut. „Geht es dir gut?“ Ich hörte Sorge in ihrer Stimme. Ich nickte leicht. „Mir ist… nichts passiert.“ Doch gleich holte mich die Vergangenheit ein. „Aber Ian… Die Stadt…“ Meine Augen brannten und ich vergrub mein Gesicht tiefer an ihrem Hals. „Ich weiß. Ich habe es gesehen. Nur durch ein Wunder konnte ich entkommen.“ Ihr leises Wiehern beruhigte mich. „Es ist alles meine Schuld.“ Da war es wieder… Das bodenlose, schwarze Loch in mir drin, was alles unter Schmerzen verschlang. Sie schüttelte sanft ihren Kopf. „Nein. Ist es nicht. Glaub mir. Du kannst am wenigsten dafür“ Mehr sagte sie nicht. Stattdessen schubste sie mich mit ihrem Kopf an. Ich sah auf. „Wo willst du hin? Was genau hast du jetzt vor?“ „Ich werde gehen. Zu Denen. Das ist alles, was ich noch tun kann.“ Mein Kampfgeist war noch nicht gebrochen. Es gab noch immer so etwas wie einen Funken Hoffnung in mir. „Dann steig auf. Ich bringe ich zu ihnen.“ Ich erstarrte. „Nein! Nein, das geht nicht! Sie würden dich töten! Du…“ Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Nicht sie auch noch… Koleha scharrte mit den Hufen. „Mach dir keine Sorgen um mich. Komm. Wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Ich sah ihr in die Augen. Obwohl es die Augen eines weißen Schimmels waren, sahen sie denen der Menschen unglaublich ähnlich. Ihre ganze Art und Weise erinnerte mich mehr an einen Menschen, als an ein Tier. Es war unglaublich, wie tief man in ihre Seele blicken konnte. Ungeduldig schüttelte das Pferd ihre schwarze Mähne. Immer wieder stupste sie mich mit ihrem Kopf an. Auch wenn es mir widerstrebte. Sie schien sich absolut sicher zu sein. Und außerdem war das wahrscheinlich die einzige Möglichkeit mein Ziel zu erreichen, bevor ich in dieser Wüste jämmerlich verdursten würde. Ich wandte mich um und stellte mich neben ihren Rücken. Doch ein Problem gab es… Wie reitet man, bitte? Das Tier überragte mich fast mit seinem Rücken! Wie sollte ich da hochkommen? Obwohl ich Koleha nicht berührte schien sie meine Gedanken lesen zu können. Sie bewegte sich etwas zur Seite, bis sie neben einem kleineren Felsen stehen blieb. Ein perfekter Vorsprung für mich zum Aufsteigen. Ich lächelte sie dankbar an und sprang mit einem Satz auf den Stein, um mich von dort aus auf ihren Rücken zu ziehen. Ich war nur froh, dass niemand in der Nähe war, denn elegant sah mit Sicherheit anders aus. „Kann es losgehen?“, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf, als es mir endlich gelungen war, mich auf ihren Rücken zu setzen. „Denke schon.“, sagte ich laut und versuchte mich an ihrer Mähne festzuhalten, ohne ihr wehzutun. Sofort galoppierte sie los. Es war ein unglaubliches Gefühl. Der heiße Wüstenwind fühlte sich zum ersten Mal erträglich an. Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit raste der Schimmel im Slalom zwischen den Felsbrocken hindurch. Ich legte eine Hand auf ihren Hals. „Wo genau willst du hin?“, fragte ich sie. Es war immer noch ungewohnt meine Fragen nur zu denken und sie nicht laut auszusprechen, doch irgendwie gewöhnte man sich daran. „Zu ihrer momentanen Hauptstadt. Sie haben sich nahe bei uns angesiedelt. Ich habe sie dort schon einmal gesehen.“ Hauptstadt? So nah an den Menschen? Da stellt sich die Frage, wer da das größere Risiko eingegangen war… Der Rest des Weges verlief ruhig. Die Sonne brannte vom Himmel und ich schwitze so stark, wie noch nie in meinem Leben. Meine Kleidung klebte an meinem Körper und meine Haare hingen mir ins Gesicht. Unangenehm. Koleha schien die Hitze, trotz ihrer schwarzen Mähne, nichts auszumachen. Sie jagte wie ein Blitz durch die Felsbrocken, ehe diese kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden. Ich hing in dieser Zeit meinen Gedanken nach. Die wenigen Tage, die ich auf diesem Planeten verbracht hatte, kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Es war so viel passiert. Soviel schlechtes. Soviel grausames. Und dennoch… Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich darüber gefreut habe, die Menschen hier kennenzulernen. Lucy, Taylor, Hugh und vor allem… Ian. Ich wusste es jetzt. Ich fragte mich, wie ich so etwas Offensichtliches übersehen konnte… Ich hatte mich in ihn verliebt. Diesen aufgeweckten, mutigen Jungen. Den Jungen, der für mich sein Leben gegeben hatte… Doch mir war eins bewusst. Er hatte sich um mich gekümmert, damit seine Familie, seine Freunde, in Frieden leben konnten. Das war sein wichtigstes Ziel. Und ich würde alles daran setzten, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen… Ich wischte mir die letzten Tränen aus meinem Gesicht und richtete meinen Blick in den Himmel. Dort leuchtete sie. Wenn auch nur schwach, da die Sonne ihr Licht fast verschluckte. Die Erde. Unglaublich, wie schön sie war. Jeder Mensch sollte einmal die Möglichkeit haben, den Planeten von oben zu sehen. Vielleicht würden sie dann erkennen, wie wertvoll unsere Mutter Erde war… Wir ritten den ganzen Tag. Meine Kehle brannte höllisch. Ich könnte wirklich etwas zu trinken gebrauchen. Und auch Kolehas Kräfte schienen zu schwinden. Doch sie galoppierte tapfer weiter. Auch meine Vorschläge, dass sie mal eine Pause machen sollte, schlug sie aus. Ich war ihr unendlich dankbar für alles, was sie für mich getan hatte… „Wir sind da.“ Ihre Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich war so in Tagträume versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie weit wir vorangekommen waren. Vor uns lag eine Stadt. Zumindest würde ich das so nennen. Man konnte diesen Ort nicht mit denen auf der Erde vergleichen. Es waren keine Wolkenkratzer, richtige Straßen oder ähnliches zu sehen. Diese Stadt bestand aus höchstens zweistöckigen Hütten und sogar einigen Häusern aus Stein. Die Straßen waren hauptsächlich aus festgetretener Erde oder Pflastersteinen gemacht. Die Wüste war noch nicht so weit vorgedrungen. Einige Bäume säumten die Straßen oder ragten zwischen den Häusern hervor. Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten und senkte sich erneut, um der Nacht Platz zu machen. Ungeschickt sprang ich von Kolehas Rücken und wäre fast noch über meine eigenen Füße gestolpert. Mein Blick galt der fast völlig im Dunkeln liegenden Stadt. Nur ein Punkt war beleuchtet. Ein großes Feuer schien in der Mitte der Stadt zu brennen. Dort mussten sie sein… Ich wandte mich zu dem weißen Schimmel und legte meine Hand erneut auf ihren weichen Hals. Ihr Kopf drehte sich so, dass ihre schwarzen Augen genau in meine blickten. „Verschwinde jetzt von hier. Solange du noch kannst.“ Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Sie legte ihren Kopf schief. „Bist du sicher, dass du alleine klarkommst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Du weißt, warum ich hier bin.“ Sie senkte ihren Kopf. „Leb wohl und danke für alles.“ Schnell zog ich meine Hand zurück, um ihre Worte nicht länger hören zu können. Ich hatte Angst davor… Wir wussten beide, dass das ein Abschied für immer war. Und es stimmte uns beide traurig. Doch eigentlich hätte ich sie nie kennenlernen dürfen. Ich war nicht Teil dieser Welt und es würde ihr erst wieder besser gehen, wenn ich auch wieder verschwunden bin. Fremdkörper gehören nicht hierher. Und darum mussten auch diese Bakterien verschwinden. Langsam setzten sich meine Beine in Bewegung. Sie fühlten sich mit jedem Schritt schwerer an. Es war kein Gutes Gefühl genau zu wissen, dass das der letzte Weg sein würde. Dass bald alles ein Ende hat. Das stand fest. Nur wie genau das Ende aussehen würde, war noch nicht klar. Und ich würde alles dafür tun, damit es so endet, wie ich das wollte. Ohne mich umzusehen ging ich durch die Reihen von Häusern hindurch. Nur aus den Augenwinkeln erkannte ich einige ganz zerstörte Häuser. Doch scheinbar waren diese Leute dabei, die Stadt wieder aufzubauen. Überall standen Bretter, Steine und sonstiges Baumaterial herum. Sie hatten wohl vor, länger zu bleiben. Ein seltsames, nichtmenschliches Knurren entwich meiner Kehle, worüber ich mich selbst erschreckte. Doch meine Wut war so groß, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ. Meine noch immer verletzten Finger, ballten sich zu Fäusten. All meine angestauten Gefühle wallten in mir hoch, sodass es mir schwer fiel, mich darauf zu konzentrieren, ruhig zu bleiben. Ich hatte nur diese eine Möglichkeit und die durfte ich nicht vergeben… Knirschende Geräusche mischten sich zu meinen Schrittgeräuschen. Immer mehr… Menschen kamen aus den Schatten der Häuser und schlossen sich hinter mich zu einer Traube zusammen. Ich versuchte nicht in Panik zu geraten, doch dass meine Schritte sich beschleunigten, konnte ich nicht verhindern. Auch wenn ich wusste, dass das keinen Sinn hatte. Aber andererseits wollte ich das so schnell wie möglich hinter mich bringen… Ich folgte der gepflasterten Straße, bis ich die Stadtmitte erreichte. Ein riesiges Feuer brannte auf der Mitte eines riesigen Platzes, der scheinbar kreisrund angelegt worden war. Es sah aus, wie bei einem Osterfeuer. Bretter und Baumreste lagen neben dem brennenden Haufen und wahrscheinlich war das, was gerade verbrannt wurde, nichts anderes. Ich blickte stur gerade aus und versuchte die vielen hundert dazugekommenen Leute einfach zu ignorieren, was mir jedoch echt schwer fiel. Auf halbem Wege blieb ich stehen. Vor dem prasselnden Feuer, welches die in Dunkelheit getauchte Stadt mit leuchtenden Farben überzog, bildeten sich mehrere Silhouetten ab. Das Licht verzerrte ihre Konturen, doch ich war mir sicher, etwas wie einen Stuhl, der auf einem hölzernen Podest stand, sowie 4 Personen zu erkennen. Plötzlich wurde es ganz still. Niemand rührte sich mehr von seinem Platz. Die Welt schien angehalten zu haben. Nur das Knistern des brennenden Holzes durchbrach die Stille. Funken regneten wie glitzernde Sterne vom Himmel, bevor sie auf dem Boden liegend erloschen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du freiwillig kommst.“ Die Stimme kam mir bekannt vor. Dieses falsche freundliche… Ich schwieg. Ein Lachen ertönte. „So machst du uns die ganze Sache wirklich einfacher.“ Vergiss es… „Ich bin bestimmt nicht hier, um mich euch anzuschließen. Nicht nach allem, was ihr getan habt…“ Die Worte klangen eher wie ein Knurren und meine Fäuste zuckten gefährlich. Fast so, als würden sie gleich von alleine dem Typen eine reinhauen. „Das ist höchst bedauerlich.“ Schon wieder diese gewollt freundliche Masche… Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Der Typ, der vor kurzem noch vor den Mauern der Stadt stand! Der Kerl, mit dem ich mich unterhalten hatte! Diesmal würde er mir endlich verraten, was hier eigentlich gespielt wird… „Ich bin hier, um zu erfahren, was das ganze Theater eigentlich soll. Warum bin ich hier? UND WARUM HABT IHR ALLE GETÖTET?“ Meine ganze Wut schien in meinem Inneren zu explodieren. Es tat regelrecht weh. Sein Lachen ertönte. Doch es lag keine Freude darin. „Das war ein nötiges Opfer. Immerhin haben diese Menschen sich gegen uns gestellt. Wir konnten nicht zulassen, dass sie hinter ihren Mauern etwas ausheckten…“ Tränen des Zorns wallten in mir hoch und ich hatte nicht die Kraft, sie groß zurückzuhalten. Meine Sicht verschwamm. „Aber warum?“ Diesmal war meine Frage kaum mehr als ein Flüstern. „Weil wir dich brauchen. Du musst uns helfen. Du musst den Platz unserer Königin einnehmen.“ Mein Herz setzte aus. Mein Atem stockte. Was hatte der Typ da gerade gesagt? Königin? Ich starrte ihn fassungslos an. Meine Hände hingen nur noch schlaff an meiner Seite herunter. „Ja, du wirst unsere neue Königin! Endlich werden wir die Macht bekommen, diesen Planeten gänzlich einzunehmen!“ Eine Art raunen ging durch die Menge und plötzlich änderte sich die Atmosphäre. Man konnte die Erwartung quasi riechen. Mein Blick wanderte über das Podest. Die anderen Männer hatten sich keinen Millimeter gerührt, seit der Kerl angefangen hatte, mit mir zu reden. Doch plötzlich fiel mir noch eine weitere Person auf, die ich bisher nicht gesehen hatte. Der breite Holzstuhl, der mich von der Form her an eine Art Thron erinnerte, hüllte sie fast völlig in seinen Schatten. Nur ab und zu traf ein Lichtschein die zierliche Person. Ihre langen, schwarzen Haare umrahmten in leichten Locken ihr nach unten geneigtes Gesicht. Ich stolperte einen Schritt zurück. Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet. Das Atmen fiel mir schwer. Ein seltsames Schwindelgefühl befiel mich und mein Magen zog sich krampfartig zusammen. Das… das war… unmöglich! Nein! Das konnte… einfach nicht sein! Mein Verstand spielte mir einen Streich! Das war alles! Ja, genau, ich wurde langsam verrückt! „Wie ich sehe, erkennst du sie wieder.“ Seine Stimme klang nur noch gedämpft in meinen Ohren. Das Rauschen darin übertönte sie. Meine Beine drohten unter mir wegzuknicken und ich wusste, dass ich nichts dagegen tun konnte. Langsam hob sie ihren Kopf und als sich ihre Augen öffneten und sie mich ansah, gaben meine Beine endgültig nach. Mit einem dumpfen Geräusch landete ich auf dem Fußboden. Schmerzen spürte ich nicht. Nur die grässliche Übelkeit, wenn ich in ihr Gesicht sah. Wenn ich in MEIN Gesicht sah… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)