Dearly BELOVED von ShirayukiOuji ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Nisei öffnete langsam und müde die Augen. Sein vibrierendes Handy hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Beinahe automatisch griff er neben sich auf den Nachttisch und drückte es leicht abwesend an sein Ohr. "Ja?" Die bedrückende Stille am anderen Ende ließ langsam Klarheit in seinen Geist fließen. Er setzte sich auf. "Hallo?" "Hör' mir genau zu. Das ist dein letzter Auftrag", sagte die Stimme. Keine Stimme war ihm je vertrauter gewesen. Er liebte sie. Und er liebte den, dem sie gehörte. Auch wenn er nur auf Zurückweisung stieß. "Ich höre", antwortete der Schwarzhaarige, ohne sich die Beunruhigung anmerken zu lassen. Sein letzter Auftrag? Wieso letzter Auftrag? Was sollte er tun? Wieder eine unangenehm lange Pause und dann die zwei Worte, die alles verändern sollten. "Geh, Nisei." Er riss die Augen auf. Plötzlich war er hellwach. "Was?", platzte es aus ihm heraus, doch das Gespräch war von der anderen Seite bereits beendet worden. Er starrte auf das leuchtende Display. Er sollte gehen? Einen Moment lang dachte er daran, zurückzurufen, doch dann besann er sich eines Besseren. Es hatte keinen Sinn. Wenn Seimei nicht mit ihm sprechen wollte, hatte er keine Chance. In ungewöhnlich kurzer Zeit hatte Lethargie Niseis Körper erfasst, während der Siebzehnjährige immer noch auf das Display, das vor wenigen Minuten noch den Namen seines Sacrifices, seines Geliebten, seines Gottes angezeigt hatte, sich nun verdunkelte und den Raum in erbarmungslose Schwärze fallen ließ, starrte. Leere legte sich in seine Augen. Keine Chance. Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Zwei Männer standen ihm gegenüber. Schlank, groß und unnahbar. Obwohl sie dicht beieinander standen, herrschte eine Distanz zwischen ihnen, die bis zu Nisei vordrang. Er blickte ihnen in die Augen. Blau. Doch verschiedener als Tag und Nacht. Die Augen des Einen waren wie kalter Stahl. Graustichig, scharf - und doch wie die einer Puppe. Seelenlos. Die Augen des Anderen durchbohrten ihn fast, so durchdringend und hypnotisch strahlten seine dunkelblauen Iriden. Nisei konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Er war wie in Trance. "Dein Name?", fragte der Erste und ließ seinen kühlen Blick auf ihm ruhen. Sofort spürte Nisei einen Widerstand im Inneren, doch trotzdem antwortete er: "Akame Nisei." "Nicht dieser Name", entgegnete sein Gegenüber mit abweisendem Unterton, der dem Jüngeren nicht entging. Seine Reaktion darauf war ein gekünstelt höfliches Lächeln, das seine Feindseligkeit offener zeigte als ein arroganter Blick es getan hätte. "Was für einen Namen meinst du, wenn nicht den, der in meiner Schülerakte steht?", fragte er mit von Aufsässigkeit durchzogener Stimme. "Den Namen, der auf deinem Körper steht", entgegnete der Zweite mit ruhiger, ebenfalls kühler Stimme. Ihr Klang war noch anziehender als seine Augen. Nisei hielt inne. Er verstand nicht. "Ich habe es dir doch gesagt, Seimei. Er kann es nicht sein. Ich spüre ihn nicht einmal." Der Angesprochene ließ seinen Blick nicht eine Sekunde lang zu seinem Begleiter schweifen, sondern durchdrang Nisei weiterhin, der sich vom Ultramarinblau gefangen nehmen ließ. Er spürte, wie sich die warmen Finger des Dunkelhaarigen um sein Handgelenk schlossen und ihn im selben Moment eine Energiewelle erfasste. "Ich aber. System aktiviert." Plötzlich erschienen große, schwarze Buchstaben auf Niseis Handrücken, die das Wort "BELOVED" bildeten. Sofort schien der blonde Mann, der Seimei eskortiert hatte, unruhig zu werden. Der Name war mit dem auf seinem Hals identisch. "Das...", begann er verzweifelt und blickte auf Seimeis Hand, die der von Nisei glich, "... kann nicht sein." Sein Sacrifice war ihm soeben entglitten. Seimei hatte seine wahre Waffe gefunden. Als Soubi versuchte, Nisei zur Seite zu stoßen, wich plötzlich jeder Widerstand und sein gesamter Körper wurde transparent. Er fiel durch Nisei hindurch, ohne dass dieser Notiz von ihm nahm. Es war, als hörte er auf zu existieren. Hilflos sah er ein letztes Mal zu seinem Sacrifice, dessen blaue Scheinwerfer ein Loch in seinen Brustkorb strahlten, dann schlug er besinnungslos auf dem Boden auf und riss diesen mit allem, was sich auf ihm befand, wie ein Leichentuch mit sich in die Tiefe. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Weiter kam er nie. Nie erfuhr Nisei, was aus Seimei und ihm wurde, wenn Soubis Welt um sie herum einstürzte. Immer wieder wachte er spätestens an dieser Stelle auf. Er starrte aus dem Fenster. Der Mond kämpfte gegen die Wolken, die ihn zu erdrücken suchten. Die Sichel war schmal und grau. Sein Licht drang nur schwach zu ihm durch. Es schlich lautlos im Raum umher, während der Schwarzhaarige, dessen Handy inzwischen zu Boden gefallen war, sich in Erinnerungen verlor. "Soubi?" Der Dunkelhaarige lächelte kalt. "Er liebt mich." Mit einer eleganten Bewegung drehte Seimei seiner Waffe den Rücken zu und begann langsam die Knöpfe seines schwarzen Seidenhemdes zu öffnen. "Aber ungewöhnlich ist das nicht. Er kann nicht anders. Er ist eine Waffe. Eine Waffe, die mir gehört." Auch wenn Nisei sein Gesicht nicht sah, so wusste er doch um Seimeis kaltes Lächeln, als er diese Worte aussprach. "Ich liebe dich nicht!", erwiderte er energisch, den Blick fest auf sein Sacrifice gerichtet. Die schwarze Seide glitt über dessen glatte, weiße Schultern und gab den Blick auf Rücken und Oberarme frei, die niemand je zu berühren gewagt hatte. Nisei musste sich beherrschen, nicht von hinten an ihn heranzutreten und genau das zu tun. Mit den Fingern Seimeis Wirbelsäule hinabzustreichen, seinen Oberkörper gänzlich zu entblößen, die Lippen auf seine helle Haut zu pressen... "Widerstand ist zwecklos, Nisei", erwiderte der Ältere kühl und entledigte sich nun ganz des schwarzen Stoffes, bevor er sich ein Stück zu ihm umwandte; gerade so weit, um ihn nichts von seiner nackten Brust sehen zu lassen, und ihn anlächelte, dass es Nisei beinahe umbrachte. Seimei war so rein. So unberührt. Dieser Körper schien heilig zu sein. Niemandem hätte er erlaubt, ihn zu berühren; ihm auch nur nahe zu kommen. Niemandem. Nisei betrachtete, sich mehr denn je seine eigene Unschuld zurückwünschend, die weichen Katzenohren und den dichten, dunklen Schweif, der sich, wenn Seimei angespannt oder nervös war, leicht, aber drohend hin und her bewegte. So konnte man ihn, auch ohne dass er sprach, deutlich verstehen. Als stiller Mensch schien der Ältere diese Weise des Ausdrucks zu bevorzugen. Sanft streichelte das Mondlicht seine blassen Wangen, als Nisei lautlos den Namen seines Sacrifices flüsterte. "Wieso soll ich gehen? Sag es mir..." "Du bist nicht anders als er." Seimei wandte sich nun gänzlich um und kam Nisei langsam näher. "Ihr gehört beide mir", lächelte er kalt und ließ die Distanz zwischen ihren Gesichtern schwinden. "Der Name bindet euch an mich. Dich und Soubi..." Seimei war seinem Fighter so nahe, dass dieser schwach seinen Duft wahrnehmen konnte. Nisei wich keinen Millimeter zurück. Mit leicht geöffneten Lippen starrte er auf die Seimeis, ohne die Worte wahrzunehmen, die über sie kamen. Seine ganze Konzentration galt dem Wunsch, Seimei zu küssen. "...mir. Mit Körper und Seele." Im nächsten Augenblick schritt Seimei an ihm vorbei und verschwand im Bad. Nisei, der sich sofort zu ihm umgedreht hatte, sah nur noch die Seide auf dem Boden. Langsam beugte er sich herunter. "Nein...ich liebe dich nicht", flüsterte Nisei und schloss die Augen, während er tief den Geruch des Hemdes, das er in den Händen hielt, einatmete. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Schwärze umgab ihn. Drückte seinen Körper zu Boden. Die einzige Lichtquelle war das Handy, das seine rechte Hand umschlossen hielt und schwach das blasse Gesicht Seimeis erleuchtete, während Dunkelheit und Stille die Tür des Raumes versperrten und niemanden zu ihm ließen. Er war allein. Endlich war er allein. Seine blauen Augen fixierten das Display, bis die Zeichen darauf verschwammen. Bis seine Waffe verschwand. Seine ehemalige Waffe. Nisei. Das von ihm kurz zuvor mühselig verdrängte Übelkeitsgefühl kehrte bei diesem Gedanken auf einen Schlag zurück und er zwang seinen Atem, wieder gleichmäßig zu gehen. Er konnte das Blut, das seine Hand verschmierte, riechen. Das Blut, das sich als groteskes Muster in den Teppich fraß. Das Blut, das seine Kleidung ruiniert hatte. Das Blut, dem er schon gar keine Beachtung mehr schenkte. Hörbar stieß er den zitternden Atem aus und schloss die Augen. Er klappte sein Mobiltelefon zu. Dann war es still. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Als plötzlich jemand das Licht einschaltete, erwachte Nisei aus seinem unruhigen Schlaf. Er war völlig verschwitzt. Doch noch bevor er seine Gedanken ordnen und seinen gegenwärtigen Zustand erfassen konnte, spürte er schon, wie sich zwei Hände neben seinem Kopf abstützten. "Seimei", hauchte er atemlos. Er wagte es nicht, sich zu bewegen, denn sein Sacrifice war ihm gefährlich nahe. So nahe, dass Nisei die Verachtung in den dunkelblauen Augen brennen sehen konnte. "Was ist denn los?", fragte er gezwungen, während er dem stechenden Blick seitlich auswich. Wie auf Befehl zog Seimei die Bettdecke zur Seite und musterte kurz Niseis Körper. Dann sah er ihm ins Gesicht: "Du hast gestöhnt." In dieser Sekunde sah und fühlte Nisei es auch: Er war stark erregt. Hörbar nach Luft schnappend griff er panisch nach der Bettdecke, um sie wieder über sich zu ziehen. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen und Adrenalin in jede Faser seines Körpers. Er betete, dass Seimei gehen möge. Doch er ging nicht. Nisei zitterte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er war wie gelähmt. "Was hast du geträumt?", wollte Seimei wissen und sah ihn mit kaltem Ausdruck in den Augen an. "Du hast meinen Namen gestöhnt." Schockiert starrte der 17-Jährige die Wand an, zu der sein hoffnungsloser Blick geflüchtet war. Seine Wangen glühten. Das musste ein Alptraum sein. Konnte er nicht aufwachen? ...Konnte Seimei nicht gehen? "Sag schon", forderte dieser und entriss ihm die Decke schließlich ganz. "Was hast du geträumt?" Nisei hatte sich sofort zur Seite gedreht und die Beine angezogen, als ihm der letzte Sichtschutz genommen wurde. Er dankte seinem langen Haar, sein Gesicht zu bedecken. "Gar nichts", hauchte er atemlos. Konnte Seimei nicht endlich gehen? "Hatten wir Sex?", fragte der Ältere unverblümt. "Nein!", entgegnete Nisei sofort. "Hatten wir Sex?", fragte Seimei erneut, langsam und eindringlich. Nisei schluckte und schwieg. Er spürte Seimeis Hand auf seiner rechten Schulter und wie er plötzlich grob daran aufs Bett gedrückt wurde, sodass er seinem Sacrifice den Oberkörper zuwenden musste und mit dem ganzen Rücken auf der Matratze lag. Ihm war klar, dass er ihm in dieser Position trotz angezogener Beine alles zeigte. Er wandte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Die ganze Situation war ein einziger Alptraum. Er spürte Seimeis Hand immer fester zudrücken und hatte das Gefühl, sein Herz durchschlüge jeden Moment seinen Brustkorb. "Hatten wir..." "Ja, verdammt!", keuchte Nisei verzweifelt, um, Seimei unterbrechend, dessen Worte nicht noch ein drittes Mal hören zu müssen. Der Ältere schnaubte missbilligend. "Das ist widerlich." Nisei biss sich auf die Lippe. Er scheiterte bei dem Versuch, ein weiteres Mal zu schlucken. "Du wünschst dir also, derjenige zu sein, dem ich meine Ohren gebe?" Nisei schwieg mit hämmerndem Herzen. Seimei fuhr fort: "Obwohl du mich - wie du sagst - nicht einmal liebst, möchtest du, dass ich meinen Körper an jemandem wie dir beschmutze?" Sarkastisch lachte Seimei auf. "Du hast ja nicht einmal mehr deine Ohren. Selbst wenn ich dich liebte, würde ich nicht mit dir schlafen." Nisei rührte sich keinen Millimeter, sondern lag einfach mit zur Seite gedrehtem Kopf und einer Falte auf der Stirn, die diese zwischen den zusammengezogenen Brauen teilte, auf dem weißen Bettlaken, über das seine schwarzen Haare flossen. Er konnte Seimei nicht antworten. Endlich ließ dieser seine Schulter los und richtete sich wieder auf. "Du brauchst mir nichts vorzumachen, Nisei. Dein Unterbewusstsein spricht eine deutliche Sprache." Seimei hatte Recht. Es hatte keinen Sinn. Er hatte ihn vom ersten Tag an geliebt. "Aber du hoffst vergebens." Seimei wandte sich ab. Während er auf die Tür zuging, mahnte er noch: "Sei nicht so laut bei dem, was du gleich tun wirst. Ich möchte schlafen." Seine schlanken Finger berührten den Lichtschalter. "Gute Nacht, Nisei." Mit diesen Worten schloss Seimei die Tür hinter sich und ließ seine Waffe allein. Nisei atmete stockend aus. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Langsam erwachte er aus seiner Starre und hob das Handy vom Boden auf. Er hielt es fest in seiner Hand. In seinen rot glühenden Augen spiegelte sich das schwache Licht des Displays, als er immer wieder und wieder die Daten des letzten empfangenen Anrufs überflog. Sein Akku war beinahe leer. Er las sie ein drittes, viertes und fünftes Mal, als würde er durch dieses Ritual irgendetwas ändern können. Als könne er so den Befehl Seimeis rückgängig machen. Datum. Uhrzeit. Gesprächsdauer. Gerade einmal 16 Sekunden war er mit Seimei verbunden gewesen. Nur 16 Sekunden lang. Was konnte in 16 Sekunden zerbrechen? Name. Leise las Nisei ihn sich selbst vor. "Aoyagi Seimei." Minutenlang starrte er auf diese vier Zeichen. Er musste ihn zurückrufen. Er musste einfach. Vielleicht konnte er ihn erreichen. Vielleicht konnte er irgendetwas ändern. Er war Seimeis Waffe. Im Gegensatz zu Soubi sogar die, die wirklich für ihn bestimmt gewesen war. Sie beide, Seimei und Nisei, waren BELOVED. Sein Sacrifice konnte ihn nicht einfach wegschicken. Die von der Natur bestimmte Einheit konnte man nicht zerreißen. Soubi hatte er vielleicht fallen gelassen und dieser sich in seiner bedingungslosen Unterwürfigkeit sogar gefügt, doch Nisei würde sich nicht so einfach geschlagen geben. Er war nicht Soubi. Er war keine Fälschung. Er war Seimeis wahrer Fighter. Und er würde nicht gehen. Nicht ohne Ziel. Nicht ohne Grund. "Warum willst du, dass ich gehe, Seimei?", hörte er sich selbst erneut fragen. "Wohin willst du, dass ich gehe?" Sie teilten sich inzwischen eine große, stilvoll möblierte Wohnung, weil es praktischer war, den anderen Teil der Unit immer in seiner Nähe zu haben. Seimei seinen Fighter und Nisei... "Du bist mein Sacrifice, also lass mich gegen ihn kämpfen!" "Du irrst dich, Nisei. Ich bin nicht dein Sacrifice, du bist meine Waffe. Vor Nervosität hast du vielleicht nicht nachgedacht, darum sei dir verziehen. Also? Wo bleibt deine Entschuldigung, Nisei?" Mit starkem Herzklopfen drückte er auf die Wahlwiederholung und hielt sich das kleine Gerät ans Ohr. Nein. Sacrifice und Fighter konnte man nicht trennen. Nicht einmal, wenn man Aoyagi Seimei hieß und Götterstatus besaß. Das Freizeichen war zu hören. Niseis Hand zitterte leicht und plötzlich wusste er nicht mehr, was er überhaupt sagen wollte. Erneut das Freizeichen. Der Schwarzhaarige wurde im Sekundentakt nervöser. Was sollte er sagen, wenn Seimei ans Handy ging? Was tat er, wenn er nicht ans Handy ging? Immer noch das Freizeichen. Missbehagen schnürte ihm langsam die Kehle zu, als er sich vorstellte, Seimei wirklich nie wieder zu sehen. Noch einmal erklang das Freizeichen und dann war plötzlich besetzt. Seimei hatte den Anruf abgeblockt? Nisei starrte auf sein Handy. Sofort versuchte er es erneut, doch dieses Mal war sofort besetzt. "Das ist nicht dein Ernst!", schrie er und versuchte es ein drittes Mal. Dieses Mal schaltete sich die Mailbox ein. Bevor er es überhaupt ein viertes Mal versuchen konnte, schaltete sich sein Handy aus. Der Akku war leer. Mit voller Wucht schleuderte er es gegen die Wand. Tränen liefen über seine Wangen. Das Handy war zerbrochen, doch er hätte es sowieso nicht mehr gebraucht. Er hatte es nur zu dem Zweck besessen, immer und überall mit Seimei kommunizieren zu können. "Na gut...", sagte Nisei zu sich selbst und ballte die zitternden Hände zu Fäusten. Er stand vom Bett auf und wischte sich über das Gesicht. "Wie du willst, Seimei!" Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Er hatte Seimei sowieso niemals etwas bedeutet. Sein ganzes Leben nur auf ihn auszurichten, war dumm gewesen. Aber was hatte er schon zu verlieren gehabt? Sein Vater hatte Nisei mit 15 aus dem Haus geworfen. In dem Alter, in dem er auch seine Ohren verloren hatte. Seine Eltern hatten es ungefähr so aufgenommen, wie die Eltern einer 14-Jährigen, die diesen berichtete, schwanger zu sein. Nur, dass Nisei eben nichts gesagt hatte. Gar nichts. Man hatte es ja auch ohne seine Erklärung gesehen. Seimei stieß Nisei von sich. Dieser taumelte zurück und fing sich ab, um nicht zu fallen. Er war Seimei zu nahe gekommen - das las er aus dessen Blick. "Fass mich nicht an, Nisei", zischte der Ältere. Seine Ohren waren angelegt, als drohe ihm Gefahr, doch der Jüngere sah es nicht. "Jawohl, euer Majestät!", entgegnete er bissig und warf zwei lange, schwarze Haarsträhnen zurück. Er wollte nicht zeigen, dass er durch Seimeis Abweisung gekränkt worden war. Dieser blickte ihn kalt an. "Vergreif dich nicht im Ton", warnte er. Nisei schwieg daraufhin. Er wandte den Kopf zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und sei nicht immer so aufdringlich. Das kann ich nicht leiden." Nisei sah den Schmerz in Seimeis Augen nicht, als er schließlich sagte: "Dein Wunsch ist mir Befehl. Ich werde es nie wieder wagen, dich zu berühren!" Nisei verstand es nicht. Es war nicht so, dass Seimei nicht von ihm berührt werden wollte. "Gut. Dann geh jetzt." Er konnte es nicht. Er konnte die Berührungen nicht zulassen. "Eins noch, Seimei", wandte Nisei ein, ohne ihn anzusehen. "Ja?", hörte er dessen kühle Stimme und sprach an, was ihm seit der Nacht einige Wochen zuvor nicht mehr hatte aus dem Kopf gehen wollen: "Ist es wegen der Ohren? Weist du mich deswegen zurück?" Sofort wandte sich Seimei ab und schwieg. Sein Blick schweifte aus dem Fenster und verfing sich in kahlen Ästen, die gerade erst ihre letzten Blätter verloren hatten. "Glaubst du wirklich, es ist nur das?", gab er kühl zurück. "Ich empfinde nichts für dich, Nisei." "Bist du dir sicher?", flüsterte der Schwarzhaarige dicht neben Seimeis Ohr, während seine Hand sich langsam über dessen Brust bewegte. Der Jüngere war von hinten an ihn herangetreten und hatte sich leicht an den Körper vor sich gelehnt, während Seimeis Blick an der sterbenden Landschaft festgefroren war. "Ja. Hör auf damit. Sofort." Seufzend ließ Nisei von ihm ab. "Wie du willst", sagte er leise, bevor er einen Schritt zurück trat. Die stumme Sehnsucht in Seimeis Augen blieb ihm verborgen. Es gab wenige Tage, an die er sich so deutlich erinnern konnte wie jenen eisigen Novembertag. Er war so kalt und abweisend gewesen wie Seimei selbst und in Niseis Erinnerung haften geblieben, weil er sich selten so verletzt gefühlt hatte wie an diesem Tag. Seimeis ganze Gleichgültigkeit der Welt gegenüber war ihm plötzlich bewusst geworden. Und im Grunde war auch er ihm egal. Seimei hasste ihn nicht. Er nahm seine Existenz nur nüchtern hin, ohne sich viel darum zu kümmern. Wäre Nisei nicht sein Fighter, hätte der 19-Jährige ihn wahrscheinlich noch nicht einmal angesehen. "Vergiss aber nicht, dass es ab einem bestimmten Alter nicht mehr cool ist, immer noch Ohren zu haben." Seimei fuhr augenblicklich herum und fauchte Nisei mit eiskalter Stimme an: "Was weißt du schon? Hör auf, dich in mein Leben einzumischen. Ich bin niemand, der seinen Fokus wie der Rest der Welt auf Sex gelegt hat." Ein herablassender Blick begleitete seine Worte, um Nisei zu verstehen zu geben, dass er ihn für minderwertig hielt. "Ich bin nicht wie du, der seine Ohren schon mit 15 verloren hat." Diesen Satz sprach er mit betonter Abfälligkeit aus. Nisei schwieg erbittert. Er hörte die in den Worten mitschwingende Enttäuschung nicht einmal. "Ich wusste, dass du mich dafür verachtest", bemerkte Nisei nüchtern. Er blickte Seimei direkt in die Augen. Sein Tonfall und Ausdruck hatten sich verändert, während er endlich aussprach, was er immer schon unterschwellig wahrgenommen hatte. "Aber weißt du was? Ich wollte gar keinen Sex. Schon gar nicht in diesem Alter." Seimei musterte ihn stumm und legte langsam die Ohren an. "Ich habe meine Ohren bei einer Vergewaltigung verloren. Es war das demütigendste Erlebnis meines ganzen Lebens." Niseis Stimme war voll Bitterkeit, als er in Seimeis Gesicht sah, aus dem jegliche Emotion gewichen zu sein schien: "Aber das verstehst du nicht!" Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Trübes Neonlicht hatte sich im Flur ausgebreitet. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt saß er auf dem Boden und starrte auf die Fotos in seinen Händen. Ein selbstironisches Lächeln lag auf seinen Lippen, als er leise schnaubte, sich erhob und sie dabei fallen ließ. Er verschwand in Seimeis Zimmer, ging geradewegs auf die noch offene Schublade zu und nahm eine silberne Schere heraus. Nachdem er dies getan hatte, kehrte er zu den Erinnerungen auf dem Fußboden zurück. Lange betrachtete er jede Einzelne mit beinahe liebevollem Ausdruck. Als er beim vermutlich einzigen existierenden Portrait Seimeis angelangt war, nahm dieses Tun besonders viel Zeit in Anspruch. Er sah das schwarzblaue Haar, das in leichten Wellen ein edelblasses Gesicht mit tiefblauen, mandelförmigen Augen rahmte und strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die glatte Oberfläche des Lichtbildes, als wäre es tatsächlich Seimeis Haar, bevor er dessen Gesichtszüge noch einmal genau studierte. Seimei war in der Tat faszinierend. Gut erzogen, klug und allem voran noch niemals berührt worden. „Wie die heilige Jungfrau“, hörte Nisei seine eigene sarkastische Stimme im Flur verhallen. Er setzte die Schere an. Mit zwei kurzen Schnitten hatte er Seimeis Ohren abgetrennt. Sein Blick wurde kritisch, als er dem Bild erklärte: „Jetzt weiß ich, warum du so sehr darauf bedacht warst, deine Ohren zu behalten. Ohne siehst du schrecklich aus.“ Er küsste Seimeis Lippen auf dem Foto und ließ es achtlos fallen. „Aber auch ohne sie hätte ich dich geliebt.“ Ein irres Lachen folgte, schwand jedoch in kurzer Zeit wieder. Nisei schlug einmal hart gegen die Wand. ""BELOVED"! Dass ich nicht lache..." Seine Stimme barst vor Desillusionierung während das scharfe Metall seinem Sacrifice immer wieder und wieder die Unschuld raubte, bis kein Bild mehr übrig war, das Nisei nicht zerschnitten hatte. Er lächelte ein verzweifeltes Lächeln und hob Seimeis Portrait erneut vom Boden auf. Während er es betrachtete, flüsterte er leise: „Wieso?“, bevor ein letzter Schnitt Seimeis Kehle durchtrennte und das Bild endgültig zu Boden fiel. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Eine Tür wurde geöffnet und weiße Hackenschuhe bewegten sich über den weichen Fußboden, bis die junge Frau ihr Ziel erreicht zu haben schien. Im Raum selbst war es völlig dunkel, doch von der geöffneten Tür her drang noch schwaches, kaltes Licht herein. Sie ignorierte den Geruch, der sich inzwischen in dem kleinen Zimmer ausgebreitet hatte, obwohl er alles andere als angenehm war. Ihr Interesse, das etwas völlig Anderem zu gelten schien, verlieh ihr geradezu Immunität dagegen. „Was ist denn das? Ein Anruf?“ Blitzschnell hatte sie ihm das Handy entrissen, als dessen Klingelton die Stille durchbrochen hatte, und klappte es mit einem schadenfrohen Gesichtsausdruck auf. „Akame Nisei“, las sie laut vor und kicherte. Ihre rosafarbenen Augen verengten sich dabei zu Schlitzen. „Was er wohl will?“ Seimei atmete hörbar aus und erwiderte nichts. Nagisa wies den Anrufer ab. „Ach, so wichtig kann es ja nicht gewesen sein.“ Wieder kicherte sie auf ihre exzentrische Weise und schaltete das Handy ab, bevor sie es in ihrer Handtasche verschwinden ließ. „Tut mir wirklich Leid für dich, aber Ritsu sagte, dass ihr besser keinen Kontakt habt.“ Seimei rührte sich nicht. Seine Augen blieben weiterhin geschlossen; er wollte diese garstige Person nicht sehen müssen. Allein ihre Stimme reichte aus, Mordgelüste in ihm zu entfachen und die dazugehörigen Worte waren dieser Wirkung in keinster Weise abträglich. Nagisa sah auf ihn herab, während sie mit einer Hand eine wilde, hellblaue Haarsträhne um ihren Zeigefinger wickelte und die andere in die Hüfte stemmte. „Hast du gar nichts dazu zu sagen?“, wollte sie stirnrunzelnd wissen, doch wieder bekam sie keine Antwort. Verstimmt setzte sie schließlich hinzu: „Deiner Waffe Soubi hätte das nicht passieren müssen; aber du hast es verdient, Aoyagi Seimei!“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand mit rauschendem Kleid aus dem Zimmer, bevor sich die Tür klackend hinter ihr schloss. Seimei stöhnte leise. "Das werdet ihr mir büßen...", hauchte er, "alle beide." Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt. - Jean-Paul Sartre Langsam öffnete Nisei seine Augen, als jemand sanft seine Wange berührte. Er lag in seinem Bett, auf dessen Rand ein schlanker, junger Mann saß, dessen blaue Augen auf ihm ruhten. Der Fußboden seines Zimmers war ein einziges Chaos. Gürtel, Hosen, Jacken, Pullover, Unterwäsche. "System aktiviert." Die Buchstaben erschienen auf dem Handrücken der beiden jungen Männer. Der Schwarzhaarige langte nach den Kleidungsstücken, die er am häufigsten trug: einer schwarze Hose, einem hochgeschlossenen Oberteil in der gleichen Farbe und seinem dünnen, weißen Mantel. Er warf sie in seine offene Tasche. "Ich wünschte, du hättest deine Ohren noch. Dann..." Seimei verstummte. Niseis Augen weiteten sich. "Dann...?" Sie landeten auf einem roten Trenchcoat und einem Haufen Unterwäsche. Nisei griff nach dem Kabel seines Laptops und zog es mit einem Ruck aus der Steckdose. "Bring es zu Ende, Nisei. Das hier langweilt mich nur noch." Angesprochener lächelte, "Okay", und gab dem gegnerischen Fighter den Gnadenstoß. Das Team brach unter dem kaltem, ungerührten Blick BELOVEDs zusammen. Aufgrund des Platzmangels knurrend verstaute er den Laptop zwischen seinen Lieblingskleidungsstücken und richtete sich anschließend wieder auf. Sein Blick ging langsam durch das wüste Zimmer. Nisei strich zärtlich durch das schwarzblaue Haar des Schlafenden, der mit nacktem Oberkörper neben ihm lag und über den er sich beugte. Ihn ohne seine Ohren zu sehen, war ungewohnt für Nisei, doch trotzdem musste er lächeln. "Ich liebe dich, Seimei." Sein Blick blieb an einem roten Buch haften und er zog es zwischen den Anderen hervor. "»Das Sein und das Nichts«." Er hielt den Atem an, als Seimei sein Kinn festhielt und sich seinem Gesicht näherte. "Warum gibst du nicht endlich zu, dass du mich mehr liebst als dein Leben, Nisei?" Er spürte Seimeis Lippen auf den eigenen. Sarkastisch lächelnd ließ er das Buch zwischen die Kleidungsstücke auf dem Boden fallen. "Sartre. Hab ich sowieso nie verstanden." Vorsichtig trat er an Seimei heran, der, ihm den Rücken zuwendend, am Fenster stand und hinausblickte. Er schlang die Arme um den zitternden Körper des Älteren und schmiegte sich leicht an ihn, bevor dieser sich zu ihm umdrehte und das Gesicht in Niseis Halsbeuge vergrub. Stattdessen lag nun »Teleny« in seiner Tasche, deren Reißverschluss Nisei zuzog. In irgendeine Traumwelt muss man sich ja flüchten, wenn die Realität einen zu erdrücken scheint. "Nein; es tut nicht weh. Benutz mich wie du willst. Ich bin deine Waffe. Ich gehöre dir allein." Ein letztes Mal legte Seimei die Ohren an, als er auf Niseis Worte hin sein Becken nach unten drückte und mit einem unterdrückten Stöhnen in dessen Körper stieß. Von seiner Tasche abgewandt griff er nach seinen Kopfhörern. Mit seinem Lieblingslied auf voller Lautstärke ließ er sich auf sein Bett fallen und lehnte sich rücklings gegen die Wand. Er legte eine Hand über seine Augen. "Verschwindet endlich", hauchte er leise. "Verschwindet!" Die Musik dröhnte durch seinen Kopf, bevor er diesen mit voller Wucht gegen die Wand hinter sich schlug. Ein drückender Schmerz breitete sich vom Hinterkopf bis zu seinen Schläfen aus, während Niseis Illusionen langsam verblassten. Seimei hätte nicht mit ihm geschlafen. Seimei hätte nicht vor ihm geweint. Seimei hätte ihn nicht geküsst. Wieder spürte er Tränen in seinen Augen. Er ließ sie geschlossen. Konnte Seimei nicht jetzt vor ihm stehen und sagen, dass alles okay wäre? Dass er bei ihm bleiben solle? Dass er ihn brauchte? Als Nisei die Augen öffnete, lösten sich die Tränen aus ihnen und liefen über seine blassen Wangen. Nein. Seimei war nicht da. Nie hätte er ihm seine Ohren gegeben. Nie hatten sie wie die anderen Teams gekämpft. Wenn er Seimei gerufen hatte, war dieser oft einfach nicht erschienen. Nie hätte Seimei sich gewünscht, dass Nisei wie er... Nach einigen Minuten schaltete er die Musik aus, erhob sich vom Bett und einen Moment ertappte er sich dabei, gedanklich nach seinem Handy zu suchen, ohne das er niemals das Haus verließ. Er griff nach seiner vollgestopften Tasche und warf sie sich über die schmale Schulter. Nie war Seimei ihre Einheit so wichtig gewesen wie ihm. BELOVED. Geliebter. Eine einzige Lüge. Und dabei hatte er in der Schule der Waffen gelernt, dass Sacrifice und Fighter einander von Natur aus liebten - ob sie wollten oder nicht. Sein Sacrifice bildete da wohl die große Ausnahme. Nie hatte er ihn zärtlich berührt. Nie hätte er ihn zärtlich berührt. Er hatte ihn wie Soubi weggeworfen. Sich ihm entzogen; seine Existenz ihres Sinns beraubt und ihn zur Freiheit verurteilt. Nisei hatte für ihn gelebt. Denn Seimei war alles und das Einzige, das ihn nach seiner Vergewaltigung interessiert hatte. Und nun stürzte er. Wie Soubi in seinem Traum. Wie der, dem er sich immer so überlegen gefühlt hatte. Jetzt war er weniger Wert als er. Denn nicht einmal ein Kind wie Ritsuka brauchte ihn. Niemand schien ihn mehr zu brauchen. Er war nutzlos geworden. Nutzlos. Unsere Existenz wird durch die Existenz anderer definiert und gleichzeitig gefährdet. Die Hölle, das sind die Anderen. - Jean-Paul Sartre Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Das Gefühl, das er verspürte, war unerträglich. Unbekannt. In solch quälender Intensität völlig fremd. Es zerfraß sein Innerstes wie ein tödliches Krebsgeschwür. Wut und Hass - er hatte geglaubt, Gefühle solcher Art waren es, die Menschen in den Wahnsinn, an den Rand des Abgrunds trieben. Er hatte geglaubt, ein schlimmeres Gefühl könne es nicht geben. Doch er hatte sich getäuscht. Noch einmal zog die vergangene Stunde an ihm vorüber. Es konnte nicht geschehen sein. Noch einmal jagte ihn die Vorstellung, seine Eingeweide würden sich unnatürlich ineinander verknoten, unter dem dadurch verursachten Druck zerplatzen und in seinem Inneren ausbluten. Jeder einzelne Moment brannte sich in sein Gedächtnis ein. Alles. Jede unerwartete Bewegung, jedes sich in ihn bohrende Wort, jede qualvolle Sekunde lag vor ihm wie ein grauenhaftes Bild, das er nie hatte sehen wollen. Er selbst lag vor sich. In einer Lache - seinem eigenen Blut. Es zog sich rot aufflammend wie ätzende Säure durch sein Dasein und hinterließ einen tiefen Riss. Im ganzen Leben hatte er sich noch nie so ohnmächtig gefühlt. Es durfte nicht geschehen sein. Er war als das Vorbild seines kleinen Bruders immer stark und beherrscht gewesen. Jeder hatte ihn bewundert. Er hatte, als das beste aller Sacrifices seiner tatsächlichen Makellosigkeit wegen über Jedem gestanden. Unbesiegbar. Unberührt. Unerreicht. Unsterblich. Bis man ihm innerhalb einer einzigen Stunde alle Ehre geraubt und seinen Stolz gebrochen hatte. Es schien so unwirklich - kaum fassbar. Er hatte es nie auch nur in Betracht gezogen. Und nun hatte es ihn getroffen und zerstört. Wie sollte er seinem Fighter je wieder in die Augen sehen können? Nach allem, was er gesagt hatte? Nach allem, was er getan hatte? Es war unmöglich. Er sah vor seinem inneren Auge leise Verachtung in das leuchtende Grün fließen. In das gebrochene Stahlblau. Das tiefblaue Violett. In den Augen der ganzen Welt konnte er Verachtung lesen. Sie war wie eine Sprengmine, auf die er hatte treten müssen, als man ihn brutal und ohne Gnade in ihre Richtung gestoßen hatte. Es war vorbei. Das Bild des stolzen, kühlen Sacrifices war übermalt, zerknüllt, zerrissen und zerfetzt. Was ihn ausgemacht, ihm seinen distanzierten, überlegenen Charme erlaubt hatte, war zerbrochen wie eine Porzellanpuppe. Er selbst war zerbrochen. Seine Würde hatte ihm ins Gesicht geschlagen. Ihn angespuckt und sich mit echoendem Hohngelächter von ihm abgewandt. Wie hatte ihm die Kontrolle derart entgleiten können? So schnell? Es war wie ein Alptraum. Sein Selbst lag in Trümmern vor ihm, während sich bleierne Schwere durch seinen Körper zog. Nie wieder konnte er Nisei in die Augen sehen. Er war nicht nur geschlagen. Er war entwürdigt. Unterworfen. Gedemütigt. Zerstört. Die ihn durchglühende Scham narkotisierte ihn. Betäubte selbst den körperlichen Schmerz. Sie war das schlimmste Gefühl, das er jemals hatte ertragen müssen. Er konnte und würde seine Waffe nicht wieder sehen. Nie wieder. Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Sein geschundener Körper lag regungslos am Boden. Erst nach Einschalten der grellen Deckenbeleuchtung würde man das ganze Ausmaß seiner erlittenen Demütigung sehen können. Die sich in dunklem Rotviolett über seine Oberschenkel und das Gesäß ziehenden Hämatome; die sich langsam unter seinem Schritt braun färbenden Flecken auf dem harten Teppich; die einzelnen weißen Flecken dazwischen und das Fehlen seiner charakteristischen Körperfortsätze. Kraftlos, ohne sich zu rühren, mit leicht gespreizten Beinen lag er da. Seine schwarze Hose neben ihm, ebenso der abgetrennte, blutig verklebte, schwarzblaue Schweif. Das schwarze, hochgeschlossene Oberteil, das man ihm nicht wie den Rest seiner Kleidung gewaltsam vom Körper gerissen hatte, war noch leicht feucht, was für den 19-Jährigen besonders unter den Achseln spürbar sein musste. Es roch noch immer nach Sex in dem kleinen, dunklen Raum. Nach stöhnend veratmeter Luft; nach Männerschweiß und Samenflüssigkeit. Nach Blut, das inzwischen gerann. Während des Aktes war es flüssig und heiß von den Seiten seines Kopfes über die Wangen und dort aus seinem Körper gelaufen, wo man gewaltsam in ihn eingedrungen war, nun beschmutzte es, sich langsam dunkel färbend, sein Gesicht und seine Hände, während die - um beschämt seine völlige Blöße zu bedecken - mit letzter Kraft wieder angezogene, weiße Unterwäsche mittlerweile in Höhe des Steißes überdies eine dunkelrote Färbung zeigte. Die undurchdringbare Schwärze um ihn herum erlaubte ihm keinen Blick auf die katzenartigen Ohren, die unweit von seinem Kopf auf dem Boden lagen und seine leicht zitternde Hand fuhr langsam über den klebrig-verschmierten Teppich, bis sie eines davon berührte. Er umschloss das samtig weiche, an einer Seite inzwischen jedoch feuchtkalte Fell mit aller ihm noch innewohnenden Kraft, grub verzweifelt die Fingernägel hinein und kniff seine Augen fest zu, als könne er ungeschehen machen, wessen Resultat er gerade in der Hand hielt. Die locker gewellten Haarsträhnen waren an zwei Stellen seines Kopfes dunkelrot verklebt, sodass das sonst in edlem Blau schimmernde Haar dort beinahe schwarz wirkte. Sein blutüberströmtes Gesicht im Kontrast dazu war noch blasser, als man es sonst kannte, und die reine Marmorhaut schien plötzlich wie die einer Leiche. Er würgte, bevor er ein weiteres Mal leise stöhnte und die Augen noch fester schloss. Man hatte ihn erst mit harten Stößen aufgerissen und anschließend heißes Sperma, das noch immer in der Wunde brannte, in seinen deflorierten Körper gespritzt. Er spürte das übelriechende, dickflüssige Körpersaftgemisch an den Fingern kleben, die zitternd über seine Hinterseite gefahren waren, um diese davon zu befreien und glaubte sich jeden Moment übergeben zu müssen. Ungeachtet dessen, dass sie voller Blut war, presste er sich eine Hand auf den Mund, als er ein weiteres Mal zu würgen gezwungen war. Sein leerer Magen verkrampfte sich und kurze Zeit später lief ihm eine bittere, gelbgrüne Flüssigkeit über die schlanken Finger. „Wie widerlich du bist“, hörte er eine Stimme hinter sich und öffnete langsam die Augen, die er im nächsten Moment weit aufriss, während er ein schmerzvolles Stöhnen unterdrückte. „Tut's sehr weh?“ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Nisei berührte die Türklinke; drückte sie langsam herunter. Die Tür öffnete sich beinahe von selbst, als wolle sie, dass er den Raum, den sie zum Flur hin abgrenzte, endlich verließ und nie wieder betrat. „Dass du dich überhaupt noch hierher wagst, BELOVED.“ „Ich bin ebenso ein Teil von Sieben Monde wie du, ENDLESS“, entgegnete Seimei ungerührt und blickte seinem Gegenüber kühl in die Augen. Dieser verzog die Mundwinkel langsam zu einem verächtlichen Lächeln, bevor er ihm mit einer Hand einen harten Stoß gegen den Brustkorb versetzte und den 19-Jährigen im Anschluss kraftvoll gegen die nackte Wand hinter ihm presste. „Du verstehst es nicht, oder? Du gehörst nicht mehr zu uns.“ Er blieb stumm und versuchte so gut er konnte den unerträglichen Schmerz zu ignorieren, den der spitze, weiße Hackenschuh verursachte, der sich dort, wo sein Körper ohnehin am stärksten verletzt war, in ihn bohrte. Die blauen Augen waren fest zugekniffen, als dennoch ein ersticktes Keuchen über seine Lippen kam. „Was ist schlimmer? Der Körperliche oder der Seelenschmerz?“ Seine Hand umklammerte fest das starke Handgelenk des Silberhaarigen, der ihm gnadenlos ein feuchtes Tuch, das einen ätzend süßlichen Geruch verströmte, vor Mund und Nase hielt. Er reagierte nicht schnell genug, seine Atmung zu stoppen und so drangen die Dämpfe in seine Lungen. Augenblicklich lockerte sich sein Griff und ein Schwindelgefühl erfasste ihn. Er rammte dem Anderen abwehrend ein Knie in den Bauch, der laut aufkeuchte und fluchend zurückwich. „…Verstehe, Seimei. Du willst die harte Tour.“ „Du kannst aufhören, MERCILESS. Beides dürfte sich bei ihm decken. Seine Jungfräulichkeit ist ihm das Wichtigste gewesen.“ Ein kaltes, leises Lachen war zu hören, bei dem Seimei das Gefühl hatte, es würde sich durch seinen gesamten Körper bohren. Jemand hatte den Raum betreten. Er kannte diese unterkühlt ruhige Stimme. Sie hatte eine noch heftigere Wirkung auf sein Gemüt als die schrille weibliche. Er erwiderte nichts. Nur gedanklich stand er aus seiner erbärmlichen Haltung auf, ging auf seinen Vergewaltiger zu und stach ihn brutal nieder. Doch dazu war er physisch schon nicht mehr in der Lage. „Schade. Es war gerade so lustig. Du bist ein Spielverderber, Ritsu!“ Seimei schnappte nach Luft, nachdem ihm die Wucht, mit der er rücklings gegen die Wand geprallt war, den Atem geraubt hatte. Sofort spürte er, wie sich jemand gegen seinen Körper drückte und ihn so in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken suchte, was ihm angesichts Seimeis von der zuvorigen Betäubung herrührenden Schwäche auch gelang. „Lass mich sofort los, ENDLESS!“, fauchte er angewidert. Er scheute den Körperkontakt zu jedem Anderen – außer seinem Bruder. „Warum sollte ich?“, presste der Ältere angestrengt, dabei aber gefährlich ruhig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „Ruf doch deine Waffe, dass sie dich rettet.“ Seimei verengte die Augen zu Schlitzen. „Niemals.“ „Wie fühlt es sich an, das Bedeutendste im Leben für immer zu verlieren, BELOVED? Schmerzlich, nicht wahr?“ Nagisa blickte sich auf die Unterlippe beißend zu Boden. Sie wusste sofort, was Ritsu mit diesen Worten meinte und ballte eine Hand zur Faust. Da er direkt vor ihr stand, bemerkte er ihre Reaktion nicht. Seimei schwieg wie zuvor. Sein Blick hatte sich wenige Zentimeter über dem Boden im Raum verloren. Er versuchte die Worte zu ignorieren. Alles um sich herum zu ignorieren. Ritsu fuhr fort: „Dieses Gefühl hast du mir gegeben, als du Soubi zerstört hast. Elender Bastard. Ich hätte ihn dir niemals anvertrauen dürfen…“ Seine Worte wurden von einem leisen, schwachen Lachen unterbrochen. „Das ist der Grund?“, kam es plötzlich von Seimei. Seine Stimme war nicht sehr laut, aber dennoch gut zu hören. Diesmal war Ritsu derjenige, der plötzlich schwieg. „Dein Stolz wird dir das Genick brechen, BELOVED“, prophezeite der Ältere und presste das Tuch erneut auf Seimeis Mund, der die Ohren dicht angelegt hatte und inzwischen zu benommen war, um Widerstand zu leisten. Der Schmerz in seiner Lunge und dem Hinterkopf ließ nach, doch gleichzeitig trübten sich auch all seine anderen Wahrnehmungen. Die Frauenstimme, die plötzlich erklang, schien weit entfernt zu sein. Er verstand sie nicht. Seine Augenlider senkten sich langsam, während sein erneuter Griff um das Handgelenk des Anderen sich auflöste. Im nächsten Moment lag er bewusstlos zu Ritsus Füßen. Er warf einen Blick auf das, was vor ihm lag und erschauderte kaum merklich. Den gesamten Flur hindurch zogen sich zertrümmerte Erinnerungen über den Boden, die ihn aus leeren Augen anstarrten. Er riss den Blick von ihnen los und hielt ihn nun starr geradeaus, als er über die zerschnittenen Fotos zur Tür lief. Kapitel 13: Kapitel 13 ---------------------- „Wie konntest du nur, Ritsu?! Das ist Vergewaltigung!“ Die Wangen des Mädchens waren vor Scham und Wut gerötet. „Du widerst mich an! Er ist doch noch ein Kind!“ „Sei still, Nagisa. Dein Gekreisch tut einem in den Ohren weh“, entgegnete er leicht genervt, aber dennoch völlig ruhig. Die 18-Jährige schlug daraufhin kraftvoll auf die Oberfläche des Schreibtisches, an dem der junge Direktor der Shichisei-Schule saß, während er am Laptop zu arbeiten versuchte, und fuhr unbeirrt fort: „Einen Teufel werd‘ ich tun! Wie konntest du nur mit diesem Kind schlafen?! Du gemeiner…“, ihr schienen die Worte zu fehlen, “Sadist!“ Der junge Mann lachte leise. „Sadist?“, wiederholte er. „Warum? Er wollte es. Ich habe nichts getan, was gegen seinen Willen gewesen wäre.“ Nagisa biss sich auf die Unterlippe und langsam füllten ihre Augen sich mit Tränen. „Ich habe nicht von Soubi geredet…“, gab sie mit einem Hauch Bitterkeit in der Stimme zurück. „Er wird sie dir nie ersetzen können! Kannst du sie nicht endlich vergessen?“ Er sah seinem Schüler kühl, aber beinahe zärtlich in die Augen und bedächtig, fast sanft, strichen seine Finger über den rauen Stoff, der sich wie eine Viper um dessen Hals wand. Er war ihm sogar nahe genug, um Soubis schwachen Duft wahrnehmen zu können, der noch immer der Gleiche und ihm eigen geblieben war, während er selbst sich langsam vollends in das Ebenbild seiner Mutter verwandelt hatte. Er schien geradezu wie ihre männliche Ausführung – lediglich charakterlich unterschieden die beiden sich. Sie hätte sich Ritsu zu widersetzen gewagt. Dies war - neben den spezifischen Geschlechtsmerkmalen - in der Tat die einzige Differenz zwischen ihr und ihrem Sohn. „Was hat er dir angetan? Eine Verletzung?“ Das Gesicht des Blonden zeigte nicht die geringste Regung. „Nein. Er hat mir lediglich seinen Namen gegeben.“ Ritsus eisblaue Augen weiteten sich und einen Moment später hatte er Soubi den Verband vom Hals gerissen. Sein Blick haftete auf der Narbe, die sich wie ein Halsband durch die blasse Haut zog, und war voller Wut und Entsetzen. Sein Schüler wich ihm aus, bevor Ritsu ihn erneut auf seine Augen richten konnte und so entgingen ihm alle Gefühlsregungen, die sich kurzzeitig in des Älteren Blick spiegelten. „An dieser Stelle…“, begann Ritsu angewidert, doch schon unterbrach Soubi ihn: „Es ist gut so. Jeder soll sehen können, wem ich gehöre.“ Wie auf Befehl griff Ritsu daraufhin nach Soubis Oberarm, den er festhielt, während seine freie Hand sich an der Wand, an welcher der Blonde lehnte, abstützte. „Soubi-kun…“ Ihre Lippen waren sich so nahe, dass nur wenige Zentimeter die beiden noch voneinander trennten. In Ritsus Augen spiegelte sich verzweifelte Sehnsucht. Sehnsucht und Reue. Soubi, der den Blick nicht einen Moment von den blauen Augen seines ehemaligen Lehrers abwandte, legte mit sanftem Druck eine Hand auf dessen Brust und ein leises, seltenes Lächeln zeigte sich auf Ritsus Lippen. Sein Schüler stieß ihn hart von sich. “Lassen sie das bitte, Sensei. Ich gehöre jetzt jemand Anderem.“ Seine Stimme klang unbeteiligt und kühl. All die sich beinahe überschlagenden Gefühle, die Ritsu früher hatte in ihr hören können, waren erloschen. Und zurück geblieben war nichts als Leere. In Soubi und ihm. Er hatte einen Fehler begangen. Einen Fehler, dessen Folgen er gerade zu spüren bekam. Seine Seelenspiegel begannen zu erblinden. Ein weiteres Mal, ahnend, dass es keinen Sinn haben würde, näherte er sich dem Jüngeren, versuchte ihn zu berühren. Erneut entzog Soubi sich ihm. „Soubi-kun“, begann der Silberhaarige kühl, „Liebst du Aoyagi Seimei?“ Sein Gegenüber antwortete ohne zu zögern: „Ja. Ich liebe ihn.“ Ritsus Blick rutschte daraufhin von dem Jüngeren ab, an ihm vorbei in den Raum und blieb an einem unbestimmten Punkt hängen. Er erinnerte sich an das Sacrifice, dem Soubi nun diente. Mit vierzehn Jahren war Seimei bereits ein durchtriebener, arroganter Junge gewesen, der ihm, Ritsu, mit Leichtigkeit seinen besten Schüler entwunden hatte, denn seine Höflichkeit, Anmut und Intelligenz vermochten jeden, der ihm begegnete, zu täuschen. Zumindest empfand es Ritsu so. Er konnte und wollte sich nicht eingestehen, den so unschuldig wirkenden Jungen falsch eingeschätzt, ja, unterschätzt zu haben. Der Preis dafür war, das Einzige, was ihn noch an die Liebe seines Lebens erinnerte; ihr bis aufs Haar glich – wie Ritsu sich früher oder später hatte eingestehen müssen – sogar ihren Platz eingenommen hatte, für immer zu verlieren. Es nicht nur zu verlieren, auch noch mit anzusehen, wie man es zerstörte. Wieso liebte Soubi diesen Bastard? Wie konnte er? Er, die perfekte Waffe, der Ritsu wie keiner Zweiten seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte? Wie konnte diese Waffe damit glücklich sein, von einem Sacrifice wie Aoyagi Seimei derart missbraucht zu werden? Ohne Soubi anzusehen erwiderte der Ältere bitter: „Er weiß deine Fähigkeiten nicht zu schätzen.“ „Er weiß es. Warum sonst hätte er mich gewählt?“, entgegnete Soubi kalt und ansonsten ohne jegliche Emotion Ritsu gegenüber. Dieser biss die Zähne hinter geschlossenen Lippen zusammen. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gern gehen“, fügte der Blonde ohne Umschweife an und griff nach dem Verband, den Ritsu ihm vom Hals gerissen hatte. Noch bevor Soubi den Raum verlassen hatte, war Stille, eiserne, kalte Stille darin eingekehrt. Ritsu, der allein zurück geblieben war, starrte mit leerem Blick und einer Falte des Zorns auf der Stirn vor sich auf den Boden und murmelte wie in Trance: „Aoyagi Seimei…“, wobei er unbemerkt die Hand zur Faust ballte. Nagisa, die die gesamte Unterhaltung durch einen Spalt der leicht geöffneten Bürotür verfolgt hatte, drückte sich mit dem Rücken fest gegen die Wand, an der sie inzwischen lehnte. Als Soubi den Raum verlassen hatte, war sie bereits um die Ecke verschwunden gewesen, um unentdeckt zu bleiben. Sie hatte das Gespräch nur zufällig mitbekommen, doch nun, Dank ihres neuen Wissens um Ritsus Gefühle, wusste sie, was zu tun war. Konzentriert studierte sie den Fußboden, während die Hoffnung, ihn ein für alle Mal von seiner toten Waffe abzulenken, in ihr langsam zum Leben erwachte. Flüsternd wiederholte sie seine Worte: „Aoyagi Seimei“, bevor sie entschlossen den Kopf hob und sich von der Wand abstieß. Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- „So sehr hast du ihn geliebt, ENDLESS?“ Selbst jetzt noch war Seimeis Stimme spöttisch und herablassend. Selbst wenn er blutend und gedemütigt am Boden lag, zu zerstört sich überhaupt zu rühren. „Wenn ich Etwas besitzen will, lasse ich es doch nicht los. „Ritsus Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ich würde dir raten, mich nicht noch weiter zu reizen. Wenn ich wollte, könnte ich dich auf der Stelle umbringen.“ „Nur zu, ENDLESS. Stell dir selbst ein Armutszeugnis aus, auf einen am Boden Liegenden noch einzutreten.“ Tatsächlich spürte Seimei nur einen Moment nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, einen Fuß auf dem Rücken, der die Luft aus seinen Lungen presste. Er keuchte schmerzerfüllt auf. Ritsu grinste. „Ich bereue nichts.“ „Verflucht seist du.“ Seimeis Stimme klang angestrengt. Der körperliche Schmerz betäubte zwar sein Innerstes, löschte sich jedoch nicht selbst aus. Sein Leben war zerstört. Der Schmerz erinnerte ihn daran. Ritsu hatte ihm genommen, auf was er immer stolz gewesen war. Niemand hatte seine Grenzen so sehr missachtet, seine Angst vor körperlicher Nähe. Er hatte ihn durch und durch entwürdigt. Dafür hätte Seimei ihn töten können. „Ich will dich weinen sehen“, flüsterte Ritsu. Doch Seimei tat es nicht. Stattdessen ließ er lediglich ein verächtliches Schnauben hören. „Da kannst du lange warten.“ Ritsus Blick wurde eiskalt. „Was wird wohl Soubi-kun dazu sagen, dass du deine Ohren verloren hast? Und erst deine andere Waffe?“ Die Worte schnitten sich wie ein Messer in Seimeis Brust. „Ich hörte, dass du sie genau so schlecht behandelst wie Soubi-kun“ „Er heißt Akame Nisei“, warf Nagisa ein. Ritsu lächelte boshaft, als er sich ein Stück zu Seimei herunterbeugte. „Akame Nisei…Was wird er dazu sagen?“ In Seimei zog sich plötzlich alles wie bei einem Krampf zusammen. Die Klinge hatte sein Herz erreicht. Er verspürte den Drang, laut aufzuschreien. Doch er tat es nicht. „Vielleicht…“ Ritsu wandte sich um zu Nagisa und hielt ihr seine Hand entgegen. Die Blauhaarige erwiderte den kühlen Blick und zog leicht errötend etwas aus ihrer Tasche, das sie in ihres Kollegen Hand legte. Enttäuscht, dass er sich sofort wieder von ihr abwandte, ließ sie den Blick auf Ritsu ruhen, während dieser das Handy einschaltete. „…verachtet er dich“, beendete er seinen Satz mit einem kalten Lächeln. Da das Gerät durch keinen Code vor fremden Zugriffen geschützt war, konnte Ritsu direkt ins Adressbuch gelangen, aus dem er den eben genannten Namen auswählte und anrief. „Aber wie auch immer er es aufnimmt, erst einmal muss er erfahren, dass sein Sacrifice sich seiner Ohren entledigt hat.“ Mit einer eleganten Bewegung hob der Silberhaarige das Handy an sein Ohr, während sein kalter Blick auf den verhassten Rivalen gerichtet war. Dessen Augen weiteten sich in Entsetzen. „Nein…“, keuchte er. „Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren, findest du nicht?“ „Nein. Hör sofort auf damit“, knurrte Seimei drohend, als hätte er auch nur die geringste Chance gegen ENDLESS. Zitternd, den intensiven Schmerz dicht unter seinem Steiß ignorierend, versuchte er aufzustehen, um Ritsu das Handy zu entreißen. Nisei sollte nicht erfahren, was sich in diesem Raum abgespielt hatte. Unter keinen Umständen. Er sollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er sich in ihn verliebt hatte. „Hallo? Spreche ich mit Akame Nisei?“ Seimeis Herz überschlug sich. Sein Versuch, zurück in den Besitz seines Handys zu gelangen, scheiterte an einem schmerzhaften Tritt Ritsus in seinen Bauch, woraufhin er endgültig zusammenbrach. Laut keuchend ging er in die Knie. „Dein Sacrifice ist seine Ohren los. Nur, dass du bei eurem nächsten Treffen nicht irritiert bist.“ Nach diesen Worten klappte Ritsu das Handy zu und warf es vor Seimei auf den Boden. Er musste nicht wissen, dass niemand erreichbar gewesen war. Viel interessanter fand Ritsu Seimeis Reaktion auf diesen Anruf; der einzige Grund, warum er nach Einschalten der Mailbox am anderen Ende nicht gleich wieder aufgelegt hatte. „Dafür stirbst du, ENDLESS.“ Seimeis Stimme war durch seine Wut noch einmal erstaunlich kraftvoll und laut geworden. Ritsu, der sich in keiner Weise davon beeindrucken ließ, lachte auf. „Kann es sein, dass er dir mehr bedeutet, als du zugeben willst?“ Der Jüngere schwieg und Ritsu fühlte sich bestätigt. „Liebst du ihn vielleicht sogar?“, fragte er mit einem diabolischen Grinsen. „Nur vor jemandem, den man wirklich achtet, schämt man sich so sehr.“ Der Lehrer pausierte einen Moment, bevor er zum Gnadenstoß ansetzte: "War er etwa derjenige, mit dem du zum ersten Mal schlafen wolltest?“ Seimei verzog keine Miene. Die Klinge durchbohrte sein Herz. Nagisa war bereits verschwunden und nun wandte sich auch Ritsu zum Gehen. Mit den Worten „Lektion Eins. Nicht alles im Leben läuft nach Plan“ ließ er das andere Sacrifice zurück, dessen blaue Augen inzwischen ausdruckslos ins Leere starrten. Während Seimei sich schließlich kraftlos vornüber fallen ließ, schloss er sie wie in Zeitlupe. Es strömten derart viele Empfindungen auf ihn ein, dass er das Gefühl hatte, nichts mehr wahrzunehmen. „Nisei…“ Die Verzweiflung, die ihn nun vollständig durchbohrt hatte, ließ ihn die Augen fest schließen und seine Stimme brechen, als er erstickt hauchte: „Rette mich…“ Epilog: Epilog -------------- In dem Moment, als Nisei die Haustür öffnete, spürte er schon den eiskalten Luftzug, der sofort bis in seine Lungen drang. Die Welt vor seinen Augen war in Schnee gehüllt; bedeckt vom allesverschlingenden Nichts. Das tote Jahr, das am Ende des Monats begraben werden würde, lag kalt und erstarrt vor ihm; hinter ihm die Überreste seines eigenen Lebens. Er zog den Gürtel seines dünnen Mantels enger um seinen Körper und trat, vor Kälte zitternd, nach draußen, sodass der Schnee unter seinen Schritten knirschte - das einzige Geräusch, das weit und breit zu hören war. Die Sonne ging bereits auf, doch trotzdem war es totenstill an diesem Sonntag. Keine Menschenseele auf den Straßen. Niemand. Nichts. Sein stummer Abschied blieb vom Rest der Welt unbemerkt. Langgezogen stieß er seinen in der eisigen Luft kondensierenden Atem aus und drehte sich ein letztes Mal zur Tür um. Ob er jemals hierher zurückkehren würde? Wollte er das überhaupt? Mit einem Menschen zusammenleben, der rein gar nichts für ihn übrig hatte? Nein. Er hasste Seimei. Sein Blick lag wieder fest auf dem verschneiten Weg vor sich. Er senkte den Kopf. Oder überwältigten ihn in Wirklichkeit nur Wut und Trauer? War es wirklich Hass? Oder war es Enttäuschung? Verletzter Stolz? Für einen Moment schloss Nisei die Augen. Er wusste es nicht. „Nein…“, hauchte er. Es war Leere. Sie ließ das lebendige Rot verblassen. Er öffnete die Augen und zeigte es der ebenso leer scheinenden Welt. In diesem Moment fiel die Tür hinter ihm zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)