Heroes von Tricksy ================================================================================ Kapitel 4: Four --------------- Tsukasa fielen beinahe die Augen heraus, als er sah wie mehrere Dutzend Polizisten das Krankenhaus umschwärmten und sich an den Eingängen postierten. Weit und breit konnte er nichts gefährliches entdecken, und auch den Menschen verwehrten sie den Eintritt nicht. Sein Schritt drosselte ein wenig, als er auf den Haupteingang zuhielt. Die Männer schienen zu irgendeiner Spezialeinheit zu gehören, denn sie steckten von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung. Sie würdigten Tsukasa keines Blickes, als er an ihren vorüberging und das Krankenhaus betrat. Hier tat sich Ähnliches wie draußen. Tsukasa zählte auf einen Schlag um die vierzehn Polizisten die auf und ab gingen und sich mit den Angestellten unterhielten. Mehrere neue Patienten wurden auf Tragen durch die Gänge befördert. Vollkommen verwirrt hielt Tsukasa auf Fushimasu zu, der sich gerade von einem der Polizisten verabschiedete. Er bemerkte Tsukasa und schien erleichtert darüber, ihn zu sehen. „Fushimasu! Was um Himmels Willen ist hier los?“ Sie wandten sich beide beinahe automatisch in Richtung Rezeption und schritten auf sie zu. „Haben Sie nicht in die Zeitung gesehen? Gestern Nacht wurde das Shubou-Krankenhaus überfallen. Ein Amoklauf. Zwanzig Tote, davon viele Ärzte. Die meisten Patienten wurden in andere Krankenhäuser versetzt, weil man sie dort nicht mehr versorgen konnte.“ Tsukasa runzelte die Stirn und blickte sich um. Ihm fiel auf, dass das Foyer heute überfüllter als sonst war. Er erschauderte als er sich das vorstellte, was Fushimasu gerade berichtet hatte. „Der Amokläufer ist noch auf freiem Fuß. Deshalb der Polizeischutz.“ „Bitte, was?“ Tsukasa wich die Farbe aus dem Gesicht, als er seinem Kollegen einen Seitenblick zuwarf. Dieser nickte jedoch nur. „Wie man sieht ist man nicht fahrlässig. Eine ganze Polizeieinheit umschwärmt dieses Krankenhaus. Ich denke nicht, das man sich trauen wird, hier so eine Tat zu begehen.“ Bei dem bloßen Gedanken daran wurde Tsukasa der Mund trocken. Er schluckte und wurde langsamer, als sie die Rezeption erreichten. Im Weg stand ihnen ein großer Polizist, der sich seinen Helm unter den Arm geklemmt hatte und etwas mit einem der Ärzte besprach. Er hatte sich das schulterlange Haare zu einem Zopf gebunden. Er nickte etwas steif, womit die Unterhaltung wohl zuende war, und drehte sich um. Tsukasas Herz setzte aus. Es war jetzt ungefähr einen Monat her, als er Karyu das letzte Mal gesehen hatte. In der Zeit, in der er ihn nicht zu Gesicht bekommen hatte, bemerkte er erst, wie viel ihm an seiner Gesellschaft lag, und dass er ihn tatsächlich vermisste. Und jetzt stand er vor ihm, hatte seinen Dienst wieder aufgenommen. Seine Uniform ließ ihn ungewohnt gefährlich wirken, an seiner Hüfte entdeckte Tsukasa einen Schlagstock und eine Pistole. Karyu starrte ihn einen Augenblick an, dann lächelte er freundlich. „Lange nicht gesehen, Herr Oota.“ Tsukasa spielte mit dem Gedanken, ihm vor Freude um den Hals zu fallen, was aber aufgrund der Beweggründe völlig unpassend war. Ohnehin hätte es eine nicht gewollte Aufmerksamkeit erregt. „Wa-wa...“ Karyu rollte mit den Augen und packte ihn freundschaftlich bei der Schulter. Für einen Moment blickten sie einander an, dann ließ Karyu ihn wieder los. „Ich sehe, dass Ihre Freude kaum zu beschreiben ist.“ „Ich hätte nicht gedacht, Sie noch einmal hier zu sehen.“ Karyu lachte auf, und Tsukasa hielt an sich, dass ihm nicht der Mund auffiel. „Nun, man sieht sich bestimmt noch. Ich nehme jetzt meinen Posten ein.“ Tsukasa nickte steif und sah zu wie Karyu einige Schritte rückwärts ging, zwinkerte und sich schließlich umdrehte. Nun klappte der Unterkiefer tatsächlich herunter und Fushimasu beäugte Tsukasa besorgt. „Doktor Oota?“ „Eh?“ „Alles in Ordnung?“ „Der Kerl hat mir zugezwinkert.“ Tsukasa wandte sich um und starrte Fushimasu fassungslos an. Das Licht der grellen Lampe brannte in Tsukasas Augen, und er wischte fahrig über sie. Sein Rücken tat weh, doch er stand nicht auf, um ein paar Schritte zu gehen. Dazu war er zu tief in seine Arbeit versunken. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr sagte ihm, dass Mitternacht bereits vorüber war. Ein Seufzen kam über seine Lippen und er streckte sich. „Ich bewundere ja, dass Sie bis spät in die Nacht hier sitzen und schuften.“ Tsukasa fuhr vor Schreck herum und hielt sich an der Tischkante fest, damit der Stuhl nicht umkippte. Er sah auf, und direkt in Karyus Gesicht. „Warum sitzen Sie in der Rezeption, und nicht in Ihrem Büro?“ Tsukasa rieb sich den Nacken und erhob sich nun doch. Das Stehen tat seinem Rücken unheimlich gut. „Eigentlich arbeite ich nicht wirklich“, gab er zu und lehnte sich an den Tisch. „Ich bleibe wegen Kaimah hier. Ihr geht es sehr schlecht.“ Karyus Stirn runzelte sich, so wie sie es immer getan hatte, wenn ihm etwas missfiel. Dass er am Morgen noch völlig ausgelassen war, sah man ihm nicht mehr an. „Noch nicht weitergekommen, wie?“ „Kein bisschen.“ Tsukasa lächelte gequält. Karyu erwiderte es und setzte sich auf den Stuhl direkt neben ihm. Schweigend legte er eine Pistole auf den Tisch. „Was soll das?“, fragte Tsukasa überrascht. Karyu überschlug seine Beine, lehnte sich zurück und blickte auf die Waffe. „Wenn ich eins aus meinen Fehlern gelernt habe, dann ist es, mehr Vorsicht walten zu lassen. Die könnten Sie gebrauchen.“ Karyu blickte zu Tsukasa auf, eine Weile geschah nichts. Dann streckte Letzterer seine Hand nach der Pistole aus und nahm sie vorsichtig in die Hand. Sie war im mindesten genauso schwer, wie er sie sich vorgestellt hatte. Ihr schwarzer Lauf glänzte im Schein der einsamen Lampe. Mit einem skeptischen Blick legte er sie wieder zurück. „Und Sie meinen, die ist nötig?“ „Sie haben mein Leben gerettet – jetzt rette ich vorbeugend Ihres.“ „Das Gebäude ist gut abgesichert.“ „Das hat noch nie etwas geheißen. Vertrauen Sie mir.“ Wieder blickte Tsukasa auf die Waffe, und bei dem Gedanken daran, sie zu gebrauchen, schüttelte es ihn. „Ich habe keinen Waffenschein.“ „Verstecken Sie sie.“ „In Ordnung.“ Karyus Augen lagen auf Tsukasa, und er konnte es deutlich spüren. Er hatte diese Blicke vermisst. „Sie sind wie gewandelt“, bemerkte er und hörte, wie Karyu leise lachte. „Und Sie wissen, wem ich das zu verdanken habe.“ Tsukasa lächelte flüchtig, bevor er noch einen Blick auf die Uhr warf. Er stemmte sich von dem Tisch ab, zog eine Schublade auf und legte die Pistole hinein. Er schnappte sich seine sieben Sachen und schritt um den Tresen herum aus der Rezeption heraus. „Was machen Sie?“, fragte Karyu überrascht und folgte ihm. „Ich werde nach der Kleinen sehen.“ „Nehmen Sie die Waffe mit.“ „Ach, machen Sie sich nicht solche Gedanken um mich. Passen Sie erst einmal auf sich selbst auf.“ Tsukasa wandte sich Karyu zu, der neben ihm hielt. Seine Stiefel hatten so ein dickes Profil, dass er noch ein Stück größer war, als ohnehin schon. Er begann zu grinsen. „Das kann ich bereits. Ich habe mich immerhin beinahe aus diesem Krankenhaus befreien können.“ „Oh ja. Das haben Sie auch sehr gut gemacht, bis zu dem Punkt, an dem Sie gegen die Drehtür geknallt sind.“ Tsukasa merkte, wie er nicht länger ernst bleiben konnte, seine Mundwinkel zogen sich in die Höhe. „Ich muss zugeben, dass ich meinen Spaß mit Ihnen gehabt hatte. Auch wenn Sie ja nicht gerade nett zu mir waren.“ „Was aber bereits geklärt ist.“ „Ja. Wir haben es geklärt. Mit einem riesigen Strauß roter Rosen.“ Karyu lachte und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die nächstbeste Wand. Als er aufhörte, wurde es still. So still, wie es Nachts eigentlich auch sein sollte. Tsukasa musterte ihn lächelnd und drückte sich seine Zettelwirtschaft gegen die Brust. „Ich habe Sie vermisst.“ „Ich Sie auch.“ Bevor Tsukasa überhaupt realisiert hatte, was er da von sich gab, schoss aus Karyu die Antwort hervor. Perplex blickte er ihn an und lobte die Dunkelheit dafür, dass sie sein rotes Gesicht verbarg. Sie standen noch eine Weile reglos da, dann wandte Tsukasa sich ab. „Ich mache mich dann mal auf den Weg zu-“ „Warten Sie.“ Ehe Tsukasa ‚Ja’ oder ‚Nein’ hätte sagen können, packte Karyu ihn an der Schulter und drehte ihn wieder zu sich herum. Erschrocken blickte er zu Karyu auf, der seinen Griff um keinen Deut lockerte. Seine Augen waren auf eine eigenartige Weise aufgewühlt und durchbohrten ihn, und Tsukasa fühlte, wie ihm die Hände zitterten – eine Eigenart, die er nicht gerade vermisst hatte. Er tat nichts dagegen, als sich Karyus andere Hand auf seine freie Schulter legte. Karyu drehte ihn, ging ein paar Schritte, bis Tsukasa hinter sich die glatte Wand fühlte. Er hatte Angst vor dieser entschlossenen Note, die sich nun in Karyus Blick finden ließ, doch er tat noch immer nichts. Sein Atem kam ihm nun unnatürlich laut vor, und er nahm wahr, wie der von Karyu immer wieder seine Wangen streifte. Er kam ihm näher und näher, und Tsukasa konzentrierte sich auf die Wand hinter sich, fühlte wie Karyus Griff nachließ. Tsukasa wollte die Augen schließen, doch es gelang ihm nicht. Und schon im nächsten Moment küssten sie sich. Tsukasa fühlte erschrocken Karyus Lippen auf seinen liegen; seine Hände fuhren langsam seine Arme hinab. Ihm schossen so viele Dinge durch den Kopf, dass er meinte, er müsse zerbersten. Als er wieder zu sich kam, ließ er den Haufen an Blättern zu Boden fallen, packte Karyu und drückte ihn weg. Er hörte das leise Rauschen, mit dem sich die Zettel auf dem Boden verteilten. „Wa-was... was soll das werden?!“ Karyu sah ihn einen Moment lang stumpf an, dann lächelte er. „Ich bedanke mich.“ „Sie haben sich bereits deutlich genug bedankt!“ „Und Sie haben bloß Angst.“ „Was?“ Tsukasa starrte Karyu an und fuhr sich verwirrt über den Mund Er konnte noch immer seine Lippen spüren. Kopfschüttelnd stieß er ihn zur Seite und machte sich daran, die Blätter zusammenzusammeln. Soweit das jedenfalls mit zitterndem Körper und zerwühlten Gedanken funktionierte. Er stieß sich seine Fingerknöchel an dem kalten Boden, als er mit unberechneter Heftigkeit nach einem der Zettel griff. Ein leises Fluchen entfuhr ihm, dann klaubte er ihn auf. Er fühlte einen sanften Luftzug, dann kniete Karyu neben ihm. Tsukasa konnte ihn nicht ansehen und bemerkte nur aus den Augenwinkeln wie er ihm half. Seine Hände sammelten die Papiere wie motorisiert auf; in seinem Inneren geschah Geschehenes Revue, und er konnte es noch immer nicht fassen. Der letzte Zettel lachte ihm schadenfroh entgegen und er streckte die Hand nach ihm aus. In dem Moment, als er ihn berührte, spürte er etwas warmes auf seinem Handrücken – Karyu und er hatten gleichzeitig zugegriffen. Wie betäubt sah Tsukasa auf ihre Hände. Karyus Finger waren ein wenig länger als seine, und er bemerkte wieder das Ankh, das er sich tätowiert hatte. Tsukasas Hand, eben noch verkrampft, begann sich langsam aber sicher zu entspannen. Er spürte wieder diese Blicke auf sich, doch er regte sich nicht. Benebelt beobachtete er, wie Karyus Hand Tsukasas Finger spreizte und sich langsam um sie schloss. Zögernd legte Tsukasa seinen Kopf zurück und blickte zu Karyu auf. Er meinte ein verzeihendes Lächeln zu sehen, obwohl er ja irgendwie derjenige war, der sich entschuldigen sollte. Karyus Blick wandelte sich, und er schien auf etwas zu warten. In dem Moment, als er in seine Augen sah, blendete Tsukasa alles Erdenkliche um sie herum aus. Es gab nun tatsächlich nur ihn und diesen großen, schlaksigen Polizisten, in den Tsukasa vernarrter war, als er sich eingestand. Er fragte sich, warum er noch zögerte. „Ach, was solls“, sagte er leise und küsste Karyu mit solch einer Heftigkeit, dass dieser fast nach hinten über fiel. Erschrocken darüber, wie schnell er darauf einging, legte Tsukasa schnell seine Akten beiseite, bevor Karyu ihn packte, umschlang und sie beide vom Boden hievte. Sie taumelten nun an die gegenüberliegende Wand, Tsukasas Rücken prallte gegen einen kleinen Blechwagen und schob ihn scheppernd aus dem Weg. Erneut fühlte er hinter sich die kühle Wand, doch er kümmerte sich nicht um sie. Karyu war warm, und er presste sich an ihn, als hätte er Angst, andernfalls könne er sich in Luft auflösen. Seine Hände versuchten irgendwie Halt an seinem Kopf zu finden, bei dem Versuch riss er Karyu versehentlich das Haarband heraus und letztendlich verschränkte er die Hände in seinem Nacken. Für einem Moment, in dem Karyu sein ganzes Gewicht gegen ihn drückte, blieb ihm die Luft weg, doch das war egal. Irgendwie war gerade alles egal. Tsukasas Hirn wandelte sich mehr und mehr zu einem Vakuum, die Berührungen nahm er dafür umso intensiver wahr. Mit einem Schlag holte er sich selbst zurück in die Wirklichkeit und schlug die Augen auf. Er keuchte erschrocken, löste sich von Karyu, ließ ihn jedoch nicht los. Der atmete genauso wie er flach und heftig und blickte aus halb geschlossenen Augen auf Tsukasa hinab. Es vergingen etliche Sekunden, die sich ins Unendliche zu ziehen schienen, und für einen kleinen Augenblick schien es so, als näherte sich Tsukasa erneut Karyus Gesicht, zog sich jedoch zurück. „Ich-“, setzte er an, brach ab und schnappte ein weiteres Mal nach Luft. Karyu sah ihn erwartungsvoll an, was Tsukasa darin bekräftigte, keinen ordentlichen Satz zustande zubringen. Er schloss die Augen und atmete tief ein. „Ich sollte jetzt nach Kaimah sehen.“ Karyu lächelte, als wäre diese Aussage selbstverständlich gewesen. „Gut.“ Tsukasa erwiderte das Lächeln nickend und lachte weggetreten. Er starrte Karyu noch immer an und ließ ihn nicht los. „Gut.“ Eine ganze Weile tat sich gar nichts, dann schien Tsukasa es gemerkt zu haben und zog beinahe ruckartig seine Hände zurück. Karyu tat es ihm – wenn auch weniger elektrisiert – gleich, und machte Tsukasa Platz. Der stürzte sich förmlich auf seine Unterlagen, hob sie auf und klammerte sich mit dem Rücken zu Karyu an sie, als wolle er sich mit ihrer Hilfe davon überzeugen, dass er nicht träumte. „Grüßen Sie die Kleine von mir.“ „Ja.“ Tsukasa drehte sich zu Karyu um, lächelte flüchtig und machte sich benommenen Schrittes auf den Weg. „Herr Oota?“ „Ja?“ „Sie gehen in die falsche Richtung.“ „Oh.“ Sich innerlich ohrfeigend blieb Tsukasa stehen, drehte auf dem Absatz um und ging schnellen Schrittes an Karyu vorbei, ohne zu bemerken wie dieser grinsend den Kopf schüttelte. Er beobachtete, wie Tsukasa um die nächste Ecke verschwand. Fushimasu rückte sich seine Brille zurecht und konzentrierte sich auf den Zucker, den er in seinen Kaffee löffelte. Tsukasas Augen klebten an den kleinen Dunstschwaden die aus dem Becher aus billigem Plastik aufstiegen. Sie wehten zu ihm herüber, umschwebten seine Augen und verteilten sich in der Luft. Fushimasu redete über irgendwas, das schloss Tsukasa daraus, dass sich sein Mund bewegte. Aber verstehen tat er nichts. Fushimasu nahm einen Schluck, stellte den Becher wieder ab und verzog das Gesicht. Anscheinend hatte er sich die Zunge verbrannt, oder noch nicht genug Zucker im Kaffee. „Jedenfalls ist es Fakt, dass es so nicht weitergehen kann. Nicht wahr?“ „Auf jeden Fall.“ „Gut, dass Sie da genauso denken. Ohne Ihren Einfluss ist der Laden hier sowieso aufgeschmissen.“ „Tatsächlich?“ „Gut. Einer von uns muss Yagasumo sein Kündigungsschreiben überreichen.“ „Was?“ Fushimasu tauschte mit Tsukasa einen verwunderten Blick und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Es knarrte leise, und die Rollen die sich langsam über den Boden bewegten knackten. „Ich denke, Sie sind einverstanden.“ „Mit ehm... was?“ „Mit Yagasumos Kündigung! Nachdem, was er sich bei Herrn Matsumura geleistet hat, wird es höchste Zeit dafür!“ Tsukasa dachte nach, dann beschloss er, diese Idee nie zuvor gehört zu haben. Das schien sein Kollege zu bemerken. „Sie haben mir nicht zugehört!“, bemerkte er entrüstet. Tsukasa zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich war wohl sehr- äh... in Gedanken.“ Na und wie er das war. Immer wenn er abschweifte, dann tat er es zu der vergangenen Nacht. Und immer wenn er dort angelangt war, dann fragte er sich wieder, ob er nicht nur geträumt hatte. Im jeden Gesicht, dass er heute gesehen hatte, hatte er Karyu gefunden. Sogar in diesen verdammten Kaffeewölkchen. Er schüttelte den Kopf, um etwas wacher zu werden. „Naja, das ist kein Wunder. Sie haben die halbe Nacht hier verbracht.“ „Ja.“ Tsukasa lachte verlegen. „Ja, das habe ich.“ Fushimasu bat ihm seinen Kaffee an und Tsukasa nahm dankend einen Schluck. Der Koffein schoss ihm in rasanter Geschwindigkeit durch den Körper. „Nun“, setzte er an und stellte den Becher ab. „Wenn wir eine eindeutige Mehrheit haben, dann bin ich bereit das Schreiben zu verfassen und-... oooh, verstecken Sie mich!“ „Wa-“ Tsukasa schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und deutete so unauffällig wie möglich mitten ins Foyer, durch das genau in diesem Moment drei Polizisten schritten. Fushimasu hatte nicht die geringste Ahnung, was er meinte, aber er folgte seinem deutenden Finger und rollte sich todesmutig vor ihn, damit ihn keiner sehen konnte. Doch es war schon zu spät. Der mittlere der Männer löste sich aus der kleinen Gruppe und kam mit wippendem Gang auf die Rezeption zugelaufen. Karyu stemmte eine Hand in die Hüfte und stützte sich mit der anderen am Tresen ab. Er hatte die Augenbrauen gehoben und beobachtete das Stück Tsukasa, dass der noch sehen konnte. „Hey. Verstecken Sie sich etwa vor mir?“ Tsukasa schob vorsichtig Fushimasus Schulter beiseite und lugte hinter ihm hervor. Jähe Röte stieg ihm ins Gesicht und er schüttelte den Kopf. „Mein Kollege hier... er hatte etwas auf dem Kittel.“ Karyu und Fushimasu sahen ihn gleichermaßen zweifelnd an. Ersterer nickte andächtig und sah zu, wie Tsukasa den Stuhl samt Kollegen wieder zur Seite schob. „Da das jetzt geklärt ist, haben Sie kurz Zeit?“ „Ich?“ Karyu rollte mit den Augen und lachte einmal auf. „Wer sonst?“ Tsukasa zögerte und warf noch einen Blick auf Fushimasu, dann erhob er sich, ging einige Schritte von ihm weg und lehnte sich über den Tresen. Karyu folgte ihm und tat es ihm nach. Eine ganze Weile standen sie so da, bis Tsukasa ein peinlich berührtes Lachen entfuhr. „Also“, meinte er, befeuchtete seine Lippen und schlug einmal leicht auf die Plattform unter seinen Händen. „Was gibt es?“ „Wollen Sie mit mir ausgehen?“ Tsukasa starrte Karyu volle drei Sekunden ausdruckslos an, dann fiel ihm der Mund auf und er öffnete und schloss ihn immer wieder, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Könnten Sie die Frage noch einmal wiederholen, ich glaube ich-“ „Wollen Sie mit mir ausgehen?“, fragte er noch einmal und tippte Tsukasa mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Sie mit mir.“ Er zog seinen Finger zurück und deutete nun auf sich, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Tsukasa nickte langsam und bedächtig, als würde er erst jetzt begreifen, was Karyu von ihm wollte. Dann wandte er ganz langsam seinen Kopf zur Seite, blickte auf Fushimasu, der ihnen neugierige aus der Ferne zusah, und sah wieder zurück zu Karyu. „Das hier ist nicht der richtige Ort, um solche Fragen zu stellen“, sagte er in so einem Ton, als würde er Karyu unauffällig fragen, ob er die Lieferung dabei hatte. „Ach, kommen Sie. Hier sind alle so ignorant, es würde noch nicht einmal irgendwer Notiz davon nehmen, wenn ich lautstark verkünde, dass Sie gut küssen.“ Wieder vergingen einige Sekunden, in denen Tsukasa Karyu bloß anstarrte. Er wandte erneut seinen Kopf ab und fragte sich, auf was um alles in der Welt er sich da eingelassen hatte. „Springen Sie ins kalte Wasser, ich werde Sie schon nicht fressen.“ Tsukasa kratzte sich am Kopf, und man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn lebhaft arbeitete. „Wissen Sie... also... ich denke, dass wir... wie soll ich sagen, es ist... ja. Ja.“ Bei dem letzten Wort drehte er sich wieder zu Karyu und schlug zur Untermauerung seine Hände auf den Tresen. Der schien sich sichtlich über seine Entscheidung zu freuen und lächelte ihn fröhlich an. „Ich freue mich.“ „Ich mich auch.“ „Ich hole Sie heute Abend ab.“ „In Ordnung.“ Sie starrten sich noch einen Moment wie hypnotisiert an, dann drehte Karyu um und entfernte sich vom Tresen. Tsukasa sah ihm noch immer verdattert hinterher. Auf einmal blieb Karyu stehen, schien nachzudenken und drehte wieder um. Mit einem verlegenen Lächeln trat er zurück an den Tresen und legte wie beiläufig seinen Arm auf ihm ab. „Wo wohnen Sie eigentlich?“ Tsukasa starrte sich im Beifahrerspiegel an und konnte sich immer noch nicht erklären, wieso er ‚Ja’ gesagt hatte. Das Auto summte leise und das Geräusch lullte ihn irgendwie ein, während er auf die beleuchteten Straßen Tokyos blickte, die sie durchfuhren. Immer wieder warf er Blicke nach rechts und beobachtete Karyus schattiges Profil, sein Gesicht war entspannt, und immer wieder tanzten ihm Lichtstreifen über die Wangen, wenn sie an größeren Lichtquellen vorüberfuhren. Seine linke Hand lag auf der Gangschaltung, er betätigte sie mit einer beneidenswerten Ruhe. Tsukasa mochte seine Art, zu fahren. „Wo genau geht es eigentlich hin?“ Karyu lächelte. „Lassen Sie sich überraschen.“ Ein Schwall von Stimmen und lauter Musik schlug ihnen entgegen, als Karyu die Tür zu dem Lokal aufdrückte und Tsukasa den Vortritt ließ. Der trat mit einem skeptischen Blick ein, wartete brav bis Karyu es ihm gleich tat und nahm die Räumlichkeit nun genauer unter die Lupe. Direkt zu ihrer Linken befand sich eine lange Bar, die Leute tummelten sich an ihr, sodass Tsukasa fast nichts vom Tresen sehen konnte. Manche Barhocker rutschten so ohrenbetäubend über den Boden, dass sie sogar die Musik übertönten. Ansonsten ließen sich hier überdimensionale Mengen an recht ausgefallenen Sitzecken finden. In der Mitte des Raumes standen mehrere Glastische; die Leute die hier saßen beugten sich immer wieder vor, um den anderen besser zu verstehen. Tsukasa fühlte, wie Karyu nach seiner Hand griff und ihn quer durch das Lokal zog. Er ließ es wortlos geschehen und blickte weiterhin um sich. Es war schon eine Weile her, seit dem er das letzte Mal auswärts gewesen war. Karyu steuerte mit ihm auf eine der hinteren Ecken zu – Tsukasa durchfuhr der Gedanke, dass er wohl meinte sie seien dort ungestört – und bot ihm an, Platz zu nehmen. Tsukasa ging wie mechanisch auf die rote Ledercouch zu, setzte sich und versank beinahe in ihr. Karyu beugte sich zu ihm über den Tisch und schien ihn irgendetwas zu fragen. Tsukasa verstand es nicht, er war von den ganzen Eindrücken auch noch viel zu benebelt um sich noch einmal zu erkundigen. Er nickte wortlos, und beobachtete dann wie Karyu umdrehte und sich auf den Weg zur Bar machte. Tsukasas Augen wanderten an die gegenüberliegende Wand, an der eine Uhr hing, die in nervenden Farben leuchtete. Es war jetzt bald Mitternacht durch, und irgendwie hatte sich sein Kopf an Karyus Schulter verirrt. Als er das merkte, fiel ihm erst auf, wie dieser sich nach und nach herangepirscht hatte. Zuerst hatte er noch ihm gegenüber Platz genommen, dann war er so unauffällig wie möglich um den Tisch herumgewandert, und ehe Tsukasa sich versehen hatte, sackte neben ihm das Polster der Couch noch ein wenig tiefer. Tsukasa streckte die Hand nach seinem Drink aus, nur zwei Zentimeter fehlten, damit er ihn erreichen konnte. Ansonsten hätte er sich bewegen müssen, und das wollte er als Allerletztes. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so wohl gefühlt hatte. Karyus Arm legte sich um seine Taille und er rückte ein Stück näher an ihn heran. „Sind Sie etwa schon müde?“ Tsukasa hob den Blick und traf direkt auf Karyus Augen. Er hatte die Augenbrauen gehoben und lächelte auf ihn herab, er musterte Tsukasa eindringlich, auch wenn es nicht den Anschein hatte. Er wusste, dass er nicht mehr wirklich nüchtern war, aber er freute sich, dass er in diesem Zustand Karyus Nähe genießen konnte, ohne sich irgendwelche Gedanken und Vorwürfe machen zu müssen. Seine Mundwinkel verzogen sich und er erwiderte das Lächeln. „Nein.“ „Sie sehen aber so aus.“ „Ich bin nicht müde.“ Um das zu bestätigen hob er – wenn auch irgendwie ungern – seinen Kopf und setzte sich gerade auf, jedoch ohne ein Stück von Karyu fortzurutschen. Sie forschten einen Moment lang in den Augen des anderen, dann griffen sie gleichzeitig nach ihren Gläsern. Tsukasa entfuhr ein Lachen, dann bot er an, anzustoßen. In Karyus Augen blitzte Freude auf. Es tat ihm gut, Tsukasa so entspannt zu sehen. Ein leichtes Vibrieren ging durch Tsukasas Hand, das Klingen des Glases wurde von der Musik übertüncht. Er beobachtete fasziniert, wie die Spirituosen an die Glasränder schwappten, und sich winzige Wellen bildeten. Er nahm einen großzügigen Schluck und fühlte, wie die Flüssigkeit warm seine Kehle hinunterlief und ihn ein wohliges Schauern durchfuhr. Wieder trafen sich ihre Augen, und Tsukasa forschte nachdenklich in Karyus Gesicht. Dann grinste er. Karyu hob ob dieser Reaktion die Augenbrauen. „Ist irgendwas?“ Tsukasa stellte das Glas mit schwerer Hand wieder ab; der Tisch schepperte leise. „’Sie bemalt ihr Gesicht, um ihr Gesicht zu verstecken.’“ „Und das soll mir was sagen?“ „Sie tragen Make-up.“ „Sie doch auch.“ Tsukasa kam ob Karyus Verwirrung nicht umhin, zu lachen; der Arm um seine Taille wärmte ihn durch die Kleidung. „Menschen haben oft etwas zu verbergen, wenn sie sich kostümieren. Nach außen kehren sie Fröhlichkeit, aber in Wahrheit weiß niemand so recht, was in ihnen vorgeht. Eine Art Ambivalenz im Charakter, sozusagen.“ Karyus Griff verfestigte sich ein wenig, und er nahm noch einen Schluck seines Drinks. „Wow“, meinte er. „Und ich dachte, Sie wären schon betrunken.“ „Ich bin auch betrunken.“ Karyu grinste breit und stellte sein Glas beiseite. „Dann trage ich halt Make-up. Sie können mir nicht sagen, dass es Ihnen nicht gefällt - Wobei mich dieser ganze Sie-Quatsch nervt. Wollen wir uns nicht langsam das Du anbieten?“ „Hiermit biete ich das Du an.“ „Angenommen.“ Sie lachten beide und Tsukasas Kopf sank wieder wie automatisch auf Karyus Schulter. Für eine Weile blickte er wie weggetreten um sich, dann nahm er wahr, wie Karyu mit seinem Glas vor Tsukasa schwenkte. Er nahm es entgegen und blickte fragend auf. „Auf uns?“, fragte Karyu grinsend. „Auf uns.“ Über den Platzmangel fluchend, bretterte Karyu geradewegs auf ein Halteverbot zu und parkte ein. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Tsukasa kurz stutzte, sich aber schnell wieder entspannte. Er fragte sich, wie so etwas wie stutzen in seinem Zustand überhaupt möglich war. Mit fliegenden Fingern zog er die Handbremse und stieg aus dem Wagen. Tsukasa tat es ihm nach und schlug die Tür zu. Er schwankte leicht, und stützte sich auf Karyu, als dieser neben ihn trat. Mit einem Lächeln legte er einen Arm um ihn, um ihm richtigen Halt zu bieten. Tsukasa klammerte sich an ihn und langsamen Schrittes bewältigten sie die paar Meter bis zur Eingangstür des Hochhauses. „Wohl etwas zu tief ins Glas geschaut, wie?“ „Scheint so. Sag mal, stehsu da nich im Halteverbot?“ „Ach, keine Sorge. Ich liefer dich oben ab und bin wieder weg.“ Die Tür schwang auf, und bevor Karyu zur Treppe gehen konnte, zog Tsukasa ihn an der Jacke zurück und deutete auf den Fahrstuhl. Sie stolperten Arm in Arm in die kleine Kabine und Karyu fragte sich einen Augenblick lang, ob dieses Ding überhaupt für mehr als nur eine Person geeignet war. Er sah zu, wie Tsukasa den Knopf zum zehnten Stock drückte. Als er sich wieder zu ihm umdrehte sah er ihm in die Augen, und Tsukasa sah ihm in die Augen, und aus einem einfachen Impuls heraus küssten sie sich. Karyu fühlte wie sich Arme fest um ihn schlangen und drückte Tsukasa fester an sich. Sie ließen erst voneinander ab, als die Fahrstuhltür mit einem leisen Pling aufsprang und sie beide in den zehnten Stock entließ. Karyu beobachtete wie Tsukasa es schaffte, mit zitternden Fingern den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Er drückte die Tür ein wenig zu heftig auf, und sie knallte gegen die Wand. Er drehte sich mit einem entrückten Blick zu Karyu um, und der schloss ihn unverblümt in die Arme, um sich zu verabschieden. Tsukasas Finger krallten sich in seinen Rücken, sein heißer Atem schlug Karyu gegen den Hals. Er bemerkte wie Tsukasa ein paar Schritte in Richtung seiner Wohnung machte. Karyu löste sich ein wenig von ihm und blickte auf ihn hinab. Tsukasas Hände wanderten von seinem Rücken über den Nacken zum Gesicht und strichen Karyu eine Strähne aus der Stirn. „Bleib hier“, bat er leise und der süßliche Geruch des Alkohols wehte Karyu um die Nase, der ihn vergessen ließ, dass draußen sein Auto im Halteverbot stand und wartete. Wortlos kam er der Bitte nach, überbrückte zusammen mit Tsukasa die letzten Schritte in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich, ohne ihn loszulassen. Ihre Lippen fanden sich erneut und sie stolperten sich küssend den Flur entlang, stießen hier und da gegen eine Wand oder Mobiliar, aber beachteten es nicht. Karyu merkte, wie Tsukasa ihn in eine bestimmte Richtung dirigierte und irgendwann blind eine Tür öffnete. Sie traten in den Raum und gingen weiter, immer noch eng umschlungen, bis sie auf Widerstand stießen. Lautlos stürzten sie auf eine weiche Matratze und Karyu begrub Tsukasa unter sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)