Heroes von Tricksy ================================================================================ Kapitel 8: Eight ---------------- „Hier, nehmen Sie das hier.“ Fushimasu drückte Tsukasa einen Stapel mit Papieren in die Hände, drehte sich wieder von ihm weg und durchwühlte ein weiteres Mal die Schublade. Kurz darauf landeten zwei weitere kleine Haufen bei Tsukasa, die er mit ungläubigen Blicken begutachtete. „So- die Letzten!“ „Haben Sie etwa das ganze Wochenende damit verbracht, Yagasumos Akten nach Beweisen zu durchforsten?“ „So in etwa, ja.“ Fushimasu schloss die Schublade und wandte sich mit einem stolzen Grinsen auf den Lippen wieder Tsukasa zu. „Ich meine, je schneller desto besser.“ „Stimmt, da haben Sie recht.“ Tsukasa kratzte sich am Kopf und bemerkte beschämt, das er in den letzten Tagen keinen einzigen Gedanken an seine wartende Arbeit verschwendet hatte. Allerdings hatte es dazu mehr oder weniger gute Gründe gegeben. „Ich danke Ihnen, um den Rest werde ich mich so schnell wie möglich kümmern.“ Mit diesen Worten reichte er Fushimasu zum Dank die Hand und drehte sich zum Gehen, spürte dann jedoch die Hand seine Kollegen auf seiner Schulter. Das ließ ihn verharren. „Bevor ich es vergesse“, sagte er, und Tsukasa meinte in seiner Stimme einen Anflug von Besorgnis zu hören, „Katashi will mit Ihnen reden. Worüber weiß ich leider nicht.“ „Oh“, machte Tsukasa, nun wirklich überrascht, während er über seine Schulter zurück zu Fushimasu blickte. „In Ordnung.“ „Was soll das heißen, krank? Das sind Polizisten, die müssen arbeiten bis die Würmer durch ihre Leichen kriechen!“ Karyu riss seinem Kollegen die Liste aus den Händen und studierte sie eindringlich. Als er sie bereits das vierte Mal überflog und sich das Ausmaß an fehlenden Hilfskräften nicht widerlegen ließ, seufzte er entnervt und rieb sich die Stirn. „Das sind doch mindestens zwanzig Mann! Wie kann das sein?“ „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Herr Matsumura.“ „Hab ich auch nicht erwartet.“ Er warf ein letztes Mal einen Blick auf das Blatt zwischen seinen Fingern, bevor er es auf den Tresen der Rezeption donnerte. „Okay, Planänderung: Die Herrschaften im Erdgeschoss und in der ersten Etage übernehmen jeweils einen Gang mehr als sonst. Als Ausgleich dazu pflanzt ein Teil aus den anderen Stockwerken später seinen Arsch in Form von Überstunden dann in diese Etagen um. Verstanden?“ „Äh- Natürlich.“ „Ja was stehen Sie dann noch hier rum? An die Arbeit!“ Karyu malträtierte seine Schläfe mit seinen Fingern, während er zusah wie der Mann auf und davon joggte, um seine Botschaft kundzutun. Als er hinter einer Ecke verschwand, wandte Karyu die Augen ab und blickte wieder auf die Liste neben sich auf dem Tresen. „Gott, ich kann so nicht arbeiten!“ „Der kann Ihnen leider auch nicht helfen, Herr Matsumura“ Erschrocken riss er seinen Kopf wieder hoch, sah sich um und verharrte schließlich bei einem Mann, der neben ihm zum Stehen gekommen war, in seiner Linken eine Aktentasche schwenkte und Karyu erwartungsvoll ansah. Der runzelte die Stirn, als ihm schließlich eine Polizeimarke unter die Augen gehalten wurde. „Mit wem habe ich die Ehre?“ „Das ist völlig egal, mir wurde nur gesagt, dass ich sie zur Justizvollzugsanstalt bringen soll.“ „Nur nicht so förmlich, in meiner Gegenwart dürfen Sie auch Knast sagen. Und warum bitte?“ „Hetatsu Shimasa befindet sich dort noch immer in Gewahrsam und heute hat er verlangt, mit einem gewissen Yoshitaka Matsumura zu sprechen.“ „Und woher wissen Sie, dass ich das bin?“ Der Mann mit dem Aktenkoffer deutete ein wenig verständnislos auf das Namensschild an Karyus Brust, dass er hier im Krankenhaus zu tragen hatte. „Nun, ich kann lesen.“ „Oh, natürlich.“ Karyu rieb sich über die Augen und fragte sich ganz plötzlich, was Hetatsu von ihm wollte. Immerhin war er ja nicht derjenige, der einen ganzen Batzen an Toten auf dem Gewissen hatte – und Gottlob hatte er sich davon überzeugen lassen. Einfach gesagt: es gab nichts, was Hetatsu ihm anhängen konnte – falls er denn wollte – weder eine Teilschuld noch eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht wie sie sture Böcke wie er wohl benötigten oder was es sonst noch gab. Vielleicht wollte er, dass Karyu ihm einen Anwalt empfahl. Das konnte er sich sonst wo hinstecken! „Hat er denn“, Karyu machte eine Pause und vollführte mit seiner Hand eine Wendung, als wolle ihm das richtige Wort nicht einfallen, „Verlauten lassen, was genau er von mir will?“ „Das hat er, allerdings wurde ich nicht darüber informiert. Ich bin sozusagen nur der, der Sie zu ihm bringen soll.“ „Kann ich mich denn weigern?“ „Würde ich Ihnen nicht raten.“ Der Mann hob seine Augenbrauen und lächelte gequält, seine Arbeit schien ihm nicht besonders viel Spaß zu machen, gerade weil Karyu nicht einfach brav nickte und mit ihm ging. „Ob Sie’s mir raten oder nicht, unsere Reihen sind hier heute schon so oder so ziemlich ausgedünnt, da käme es sehr unpassend wenn ich mich aus dem Staub mache! Ich mache Ihnen ein Angebot, morgen-“ „Morgen“, wurde er unterbrochen, „ könnte es unter Umständen zu spät sein. Herr Shimasa ist ein kleiner Mann und wenn sogar die hohen Tiere des Polizeipräsidiums aufhorchen und nach Ihnen schicken, dann würde ich mir an Ihrer Stelle Gedanken machen. Ich denke, man erhofft sich von Ihrem Besuch, diesen Fall entgültig aus der Welt schaffen zu können. Also?“ Karyu schnaubte und wandte seinen Blick ab, direkt in die geschäftige Menge, zusammengewürfelt aus Angestellten und Patienten die wie aufgeschreckte Hühner durch die Gegend rannten und ihn und diesen suspekten Herrn gar nicht wahrnahmen. Dann seufzte er auf. „In Ordnung, Jack. Bringen Sie mich hin.“ „Jack?“ „Irgendwie muss ich Sie ja nennen, wenn Sie mir Ihren Namen schon nicht sagen wollen.“ Tsukasa sah von seiner Arbeit auf, als es zweimal leise an der Tür pochte, und diese schließlich geöffnet wurde. Herein trat Katashi, und Tsukasa legte den Stift beiseite. Er dachte daran, wie Fushimasu ihm Bescheid gegeben hatte und hatte kurz darauf beschlossen, Katashi in sein Büro einzuladen. Wo käme man bitte denn da hin, wenn Tsukasa ihm auch noch hätte nachrennen müssen? Immerhin war er von ihnen der Oberarzt. Als er Katashi anbot sich zu setzen durchschoss ihn wieder die Frage, was genau denn nun so dringlich sei, dass man mit ihm unter vier Augen reden wollte. Er meinte sich daran zu erinnern, kein Kummerkasten zu sein. Als Katashi ihm gegenüber Platz genommen hatte, regte sich vorerst niemand von ihnen, und Tsukasa kam die Luft im Raum mit einem Mal angespannt vor. „Aufgrund der Tatsache, dass ich noch Einiges zu erledigen habe, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir mitteilen was Ihnen auf dem Herzen liegt.“ Katashi faltete seine Hände im Schoß und stierte für einen Moment abwesend durch Tsukasa hindurch, bevor sich sein Blick wieder fing. „Es geht um Yagasumo. Ich denke, es wäre sehr unklug ihn kündigen zu wollen.“ Tsukasas Mundwinkel zuckten, und für einen Moment war er sich nicht sicher, ob sein Kollege scherzte oder nicht. Als sich der besorgte Ausdruck in Katashis Gesicht jedoch veränderte, wurden Tsukasa Züge hart. „Dieser Mann hat ein Menschenleben aufs Spiel gesetzt. Was ist an seiner Kündigung unklug?“ Katashi kratzte sich zögernd am Kopf und blickte sich einmal um, als befürchtete er, man könne sie beide belauschen. Als er sich wirklich sicher war, dass die allein waren – was in Tsukasas Büro anders auch gar nicht möglich war – befeuchtete er seine Lippen und wandte sich wieder Tsukasa zu. „Jeder hier weiß, dass er ein ziemlich einflussreicher Mann ist. Ehe wir uns versehen, wird Klage gegen uns erhoben, oder Schlimmeres.“ „Das lassen Sie meine Sorge sein. Wenn er jemanden verklagen will, dann bin ich das wohl.“ Tsukasa erhob sich, und er wusste nicht einmal, wieso er das tat. Wie von allein gesteuert ging er ein paar Schritte durch den Raum, nahm hier und da etwas in die Hand und stellte es wieder an seinen rechten Platz. „Wenn Sie mich fragen, dann kann er froh sein, nicht selbst vor Gericht zu landen. Dahin hätten wir ihn mit Leichtigkeit bringen können. Fahrlässige Tötung oder eher der Versuch ist nicht gerade das, was einem guten Bürger steht.“ „Wissen Sie denn wie weit seine Einflüsse reichen?“ „Was?“ Tsukasa wandte sich vom Fenster ab, vor dem er zum Stehen gekommen war und blickte fragend zu Katashi zurück, der immer noch brav auf seinem Stuhl saß und zu ihm aufsah. Allerdings schien er sich unter Tsukasas Blicken in seine Lehne zu drücken, Angst vor dem, was er zu sagen hatte. „Er hat sicherlich Kontakte in jeder Art von Gesellschaft. Was, wenn er das Gericht besticht?“ Er machte eine kleine Pause in der er zögert, doch dann schien er sich ein Herz zu fassen und fuhr fort: „Dass er Ihnen gegenüber Drohungen ausgesprochen hat, ist kein Geheimnis mehr, Doktor Oota. Sie sollten sie ernst nehmen.“ Tsukasa schnaubte und kam langsam zurück zum Schreibtisch, hinter dem Katashi saß. Als er angekommen war, blickte er eine ganze Weile auf die dunkle Holzplatte hinab, bevor er den Kopf schüttelte. „Das ist alles heiße Luft. Was sollte dieser Mann bitte gegen mich in der Hand haben?“ „Vielleicht trifft es nicht Sie, das habe ich ja nie fest behauptet.“ „Und wen bitte dann?“ Tsukasa stemmte seine Arme auf die Platte und sah entnervt auf den Arzt hinab, der erst etwas ängstlich zu ihm aufsah, dann aber schluckte und sich wieder gerade aufrichtete. „Menschen, die Ihnen etwas bedeuten.“ Tsukasa lachte auf. „Kommen Sie, woher soll er wissen wer mir was bedeutet?“ „Das ist auch kein Geheimnis mehr, falls es denn einmal eines war: Herr Matsumura?“ Tsukasa öffnete bereits seinen Mund, schloss ihn jedoch sogleich wieder, als Karyus Name genannt wurde. Er musterte Katashi eine Weile, dann stemmte er sich wieder ab, ging ein paar Schritte zurück und wandte sich mit besorgtem Blick wieder dem Fester zu. „Gut, habe verstanden.“ Karyu warf dem Mann neben sich einen skeptischen Seitenblick zu, als er den Wagen wendete und dann in die entgegengesetzte Richtung fuhr. „Was haben Sie verstanden?“ „Ich habe eine Nachricht über Funk bekommen“, antwortete er und tippte sich ans Ohr, an dem ein kleines Headset steckte, das Karyu bis eben nicht bemerkt hatte. „Herr Shimasa wurde aufs Revier gebracht, und da fahren wir jetzt auch hin.“ Karyu schnaubte und wandte seinen Blick aus dem Fenster. Er beobachtete die Menschenmassen, die an ihnen vorüberflogen, und die hohen Gebäude, die sich zu beiden Seiten wie hohe Mauern auftürmten. Unangenehm an seinen Traum erinnert, beschäftigte er seine Augen lieber mit der langweiligen Armatur des Autos. Als sie vor dem Revier parkten und ausstiegen, wurde Karyu zugleich in die Mitte von zwei schrankähnlichen Männern genommen, was ihm das Ganze ziemlich aufwendig erscheinen ließ. Immerhin sollte er bloß ein Pläuschchen mit jemanden halten, und nicht die Welt retten. Das schienen die Herren an seiner Seite jedoch anders zu sehen, und während sie sich auf den Haupteingang zu bewegten, warfen sie immer wieder Blicke zu beiden Seiten, als erwarteten sie einen Angriff oder eine Invasion, oder was es denn noch so gab. Der Mann, dem Karyu den liebevollen Namen Jack gegeben hatte, rief ihm kurz zu, dass er noch irgendwo irgendetwas zu erledigen hatte und machte sich in eine andere Richtung auf und davon. Mit rollenden Augen seufzte Karyu auf und ergab sich in sein Schicksal. Ein jäher Schwall von Stimmen und klingelnden Telefonen schlug auf Karyu ein, als sie das Gebäude betraten und sich durch die Massen schlängelten. Ihn wunderte es nicht, hier so viele Menschen anzutreffen, wie es sonst eigentlich nicht üblich war. Der Attentäter auf das Shubou-Krankenhaus war immer noch auf freiem Fuß, und die Fahndung nach ihm hielt so ziemlich jeden auf Trapp. Karyus nicht gerade gesprächige Begleiter lotsten ihn durch eine Traube aufgeschreckter Sekretärinnen und führten ihn in einen der Gänge dahinter. Dass sie auf die Verhörzimmer zusteuerten war Karyu mehr als bewusst, und er sich mit einem Mal, wieso ihm zwei Bewacher ans Bein gehängt wurden, obwohl man doch wusste, dass er sich hier auch allein zurecht fand. Dämliche Welt. An der dritten Tür rechts blieben sie stehen, und Karyu zwängte sich aus der Mitte, um sich weniger eingeengt zu fühlen. Gerade als er die beiden Kerle fragen wollte, was zur Hölle das alles sollte, deutete einer von ihnen auf die noch verschlossene Tür, während sich der andere an seinen Schlüsseln zu schaffen machte. „Jungs, ich weiß, dass ich da rein soll.“ Derjenige, der gerade noch auf die Tür gezeigt hatte, brummte und wandte sich wieder von Karyu ab. Der hob skeptisch die Augenbrauen Langsam war er sich nicht mehr so sicher, ob diese Individuen über die menschliche Sprache verfügten. Vielleicht waren das gezüchtete Kampfmaschinen. Was auch immer sie waren, Karyu vergriff sich jeglichen weiteren Kommentar. Als das Schloss leise klickte, drückte er schnell die schwere Stahlklinke hinunter und betrat den Raum, allein um von diesen unheimlichen Gestalten wegzukommen. Als er eingetreten war, schloss er die Tür energisch hinter sich und wurde von ziemlich kläglichen Lichtverhältnissen empfangen. In der Mitte des Raumes stand ein breiter, stabiler Tisch, auf dem ungemütlichen Stuhl dahinter sah Karyu eine menschliche Silhouette, die er sofort erkannte. Mit zuckenden Mundwinkeln ging er ein paar Schritte in den Raum hinein und blieb wieder stehen. Seine Augen wanderten zu den zwei kleinen Fenstern die ihm gegenüber lagen, und deren Jalousien hinuntergezogen worden waren. Dann atmete er tief ein, zog den zweiten Stuhl zurück und ließ sich darauf fallen. Hetatsu Shimasa lehnte sich nach vorne und faltete seine Hände, die auf dem Tisch lagen. Karyu musterte sie abschätzend. „Also raus damit. Ich hab nicht ewig Zeit.“ Scheinbar überrascht von Karyus mehr oder weniger fahrigen Aussage, richtete Hetatsu sich wieder gerade auf. Karyu fühlte die schmalen Lichtstreifen auf seinem Gesicht, während er die Augen zu Schlitzen verengte, noch einen Blick zu den Fenstern warf und sich wieder auf den anderen Mann fixierte. „Ich warte!“, bellte er. „Bleiben Sie ruhig!“ Hetatsu breitete beschwichtigend die Hände vor sich aus und befeuchtete seine Lippen. Er ließ die Hände wieder auf den Tisch sinken und sie strichen langsam über seine Oberfläche. „Es geht um das Urteil, das ja noch nicht entgültig über mich gefällt wurde. Das Gericht sagt, es gäbe zu wenig Aussagen.“ „Wozu braucht man da bitte Aussagen? Können Sie nicht einfach zugeben, dass Sie Scheiße verzapft haben?“ Karyus Augen hatten sich langsam an das Zwielicht gewöhnt, und er konnte schwach erkennen, wie sich ein peinlich berührtes Lächeln auf Hetatsus Lippen legte. „Ich glaube, dass es nur menschlich ist, wenn man sich selbst nicht hinter Gitter bringen will. Deswegen habe ich mein Recht zu schweigen genutzt.“ Er wurde mehrere stille Sekunden von Karyu angestarrt, bevor dieser sich mit den Händen übers Gesicht fuhr und sich auf seinem Stuhl zurücklehnte. „Sie haben mit Absicht einen Befehl missachtet und dadurch mehrere Menschen ins Verderben gestürzt. Und jetzt sind Sie noch so dreist und behaupten, dass es menschlich ist, für diesen fatalen Fehler nicht gerade zu stehen? Ich glaube, wir sollten da mehr Licht in die Angelegenheit bringen!“ Mit einem Mal sprang Karyu von seinem Stuhl auf, ging geradewegs auf die beiden Fenster zu und beachtete nicht, wie Hetatsu sich wegduckte, als er an ihm vorbeiging. Er blieb vor dem rechten stehen, starrte auf die Schnur der Jalousie und nahm sie in die Hand. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen wegen Ihnen gestorben sind?“ Mit einem kräftigen Ruck zog Karyu an der Schnur, und das grelle Sonnenlicht durchflutete jäh den kleinen Raum. Hetatsu hatte sich ihm zugewandt und versteckte seine empfindlich gewordenen Augen hinter seinem Arm. „Aus Ihrem Schweigen schließe ich, dass Sie es nicht wissen. Oder eher, dass Sie es verdrängen. Soll ich es Ihnen sagen?“ Karyu schlenderte zum linken Fenster, blieb auch dort stehen und griff nach der feinen Schnur, zog einmal kräftig daran und brachte noch mehr Licht ins Dunkel. „Dreiundzwanzig” Seine Augen brannten und er sah nur weiß, während er eine ganze Weile stillschweigend hinaus blickte. Als er sich wieder zu Hetatsu umdrehte, sah er ihn nur verschwommen, hinter einem Meer von grellen Punkten. „Wussten Sie, dass ich beinahe der Vierundzwanzigste war? Das konnte durch eine Reihe glücklicher Zufälle verhindert werden.“ „Davon habe ich gehört, es tut mir aufrichtig-“ „Dreizehn Männer meiner Einheit.“ „Herr Matsumura, ich-“ „ Zehn Geiseln “ „Hören Sie mir doch zu, ich weiß, dass das alles ein schrecklicher-“ „RYUUSEN MAKOTO!“ „Das sind wirklich erschütternde Verluste, aber-“ „UCHA TATSURO!“ „Herr-“ „Halten Sie den Rand!“ Karyu machte einen großen Satz auf Hetatsu zu, der erschrocken zurückwich. Er musterte ihn verachtungsvoll und schritt mit bebendem Körper um den Tisch herum, dann sank er wieder auf seinen Platz. „Sie schreiben Ihren Namen mit dem Blut dieser Leute, und wollen sich aus der Affäre ziehen? Eine für Sie positive Aussage von mir werden Sie nicht bekommen – und das war es doch, was Sie wollten, nicht wahr?“ Schweigen erfüllte den nun erhellten Raum und während Karyus Augen an Hetatsu hafteten wie die einen Raubtieres an seiner Beute, begann er langsam jedoch deutlich zu nicken. Karyu verzog den Mund zu einem höhnischen Grinsen, dann lehnte er sich so weit vor, wie er es konnte. „Dann passen Sie gut auf, ich sage es nur ein einziges Mal. Passen Sie auf?“ Wieder nickte Hetatsu, nun schien er jedoch wieder seine Fassung zurückerlangt zu haben. Auch er beugte sich nun weiter zu Karyu vor. „Bevor ich Ihnen helfe“, begann dieser und forschte mit bösen Blicken in den Augen des Anderen, „ schneide ich mir eher den Schwanz ab.“ Mit diesen Worten stand Karyu auf, schob grob seinen Stuhl beiseite und wandte sich zum Gehen. Was Hetatsu jetzt tat war ihm egal, er wollte einfach weg von hier, jetzt, wo die Sache erledigt war. „Das wäre eigentlich gar nicht so schlimm, nehme ich an. Ich habe gehört, in Ihrer Beziehung soll es davon ohnehin zwei geben.“ Karyu, der gerade Hand an die Klinke legen wollte, hielt inne. Hinter seiner Stirn begann es zu arbeiten, zum einen fragte er sich, wie das alles bis zu einem angeklagten Ex-Polizisten durchdringen konnte, und zu anderen, ob Hetatsu wirklich so lebensmüde war und Karyu nun provozieren wollte. Langsam und bedächtig drehte er sich wieder um, sah Hetatsu, der wohl seine letzten paar Reste Mut zusammengekratzt hatte und mit unberührtem Blick zu Karyu aufsah. „Ich glaube, mit wem ich eine Beziehung habe, geht Sie einen feuchten Dreck an.“ „Das ist doch dieser Arzt, oder? Der, der Sie gerettet hat.“ Karyus Augen verengten sich zu Schlitzen, er ließ die Klinke wieder los und ging einen Schritt zurück zu Hetatsu. „Sie fragen sich bestimmt, woher ich das weiß. Nun, das hat sich durch ihre Einheit schnell herumgesprochen. Ich-“ Weiter kam er jedoch nicht. Karyu war auf den Tisch zugestürzt, hatte sich darüber gelehnt und Hetatsu so heftig am Kragen gepackt, dass er ihn damit von seinem Stuhl zerrte. „EIN falsches Wort und Sie sind ziemlich am Arsch, mein Guter.“ Karyu rüttelte am Kragen, sodass Hetatsus Kopf vor und zurück geworfen wurde. Er begann etwas unverständliches zu Murmeln, dann deutete er auf die Tür hinter Karyu, dem mit einem Mal ein Licht aufging. „Das da draußen sind Ihre Typen, nicht wahr?“ Mit einem Schnauben schubste er Hetatsu zurück, sodass er beinahe mit seinem Stuhl nach hinten überkippte. Als er sich gefangen hatte, nickte er. „Ich habe sie gebeten einzuschreiten, falls die Situation eskalieren sollte.“ „Da haben Sie wohl einmal in Ihrem Leben intelligent gehandelt. Herzlichen Glückwunsch. Wenn diese Schränke da draußen nicht wären, könnte ich für nichts garantieren. Was auch immer Sie mit der Sie-sind-der-Freund-des-Arztes-Nummer erreichen wollten – das ging eher nach hinten los. Sie-“ Er hielt inne, während er Hetatsu noch immer anstarrte. Für einen Moment sah er sie beide in einer schmalen Gasse Tokyos stehen. Karyu mit einer leeren Waffe, wehrlos, überfordert und Hetatsu war einfach da. Er stand vor ihm und tat nichts, das Einzige, was Karyu wusste, war dass er Masa getötet hatte. Die Wände kamen näher und näher und Karyu presste nun die Augen zusammen, um die Erinnerungen an den Traum zu verjagen. Er öffnete sie wieder, wandte sich wieder ab und jäh begann Hetatsu wieder auf ihn einzureden. Er hörte nicht hin, riss die Tür auf und ging hinaus. Kaum dort angekommen machten die beiden Schränke wieder Anstalten, ihn von beiden Seiten abzusichern, doch er wand sich zwischen ihnen hindurch und ging schnellen Schrittes voraus. Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er sich durch die überfüllten Gänge und Räume kämpfte, ein Mann rempelte ihn an, ein anderer stieß an der Schulter mit ihm zusammen. Dinge, die ihn immer schneller werden ließen. Als er schließlich ins Freie trat, atmete er tief durch, bevor der den Straßenrand nach dem Polizisten absuchte, der ihn hierher gebracht hatte. Er entdeckte seinen Wagen und auch, dass er darin saß und eilte auf ihn zu. Mit einem überdosierten Ruck riss Karyu die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Platz sinken. „Ich bin hier fertig“, sagte er atemlos. „Jetzt bringen Sie mich zurück.“ „Herr Matsumura, geht es Ihnen nicht gut?“ „JETZT FAHREN SIE SCHON, VERDAMMT NOCH MAL!“ Ohne ein weiteres Widerwort, begann der Mann den Wagen auszuparken. Karyu blickte schluckend aus dem Fenster, und sah, wie sich das Polizeirevier langsam entfernte. „Verzeihen Sie... ich... ich habe schlecht geschlafen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)