Hinter dem Spiegelbild von mayu_bellachan (The world behind your face) ================================================================================ Kapitel eins ------------ Hinter dem Spiegelbild Wir standen uns gegenüber. Er sah mich erschrocken an, als er sah, dass ich eine Pistole aus der Innentasche meiner Bikerjacke zog. Und sie entsicherte. Seine Augen weiteten sich. Ich lächelte. Seine Angst gefiel mir. Sie balsamierte meine schwarze Seele. Er wandte sich um und wollte wegrennen, doch ich hob die Waffe, zielte und schoss ihm ins rechte Knie. Sein Schrei war so laut, dass er die Vögel aufscheuchte. Ich fing an zu lachen. Wie gut es tat ihn leiden zu sehen! "Wer bist du?", heulte er." Was willst du von mir? Hau ab!" Mein Lächeln wurde noch breiter. "Du weißt nicht, wer ich bin? Erinnerst du dich denn nicht mehr an mich? An das, was du mir vor zehn Jahren angetan hast?" Er sah mich an, doch er schien sich an nichts zu erinnern. " Na schön, dann werde ich dir die Geschichte erzählen, doch zuerst..." Ich ging langsam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Er umklammerte sein echtes Bein panisch und wollte es schnell wegziehen, als ich ihm mit voller Wucht auf das zerschossene Knie trat. Dabei hielt ich ihm den Mund zu, nicht dass uns noch jemand hörte. Er kreischte wie ein kleines Mädchen unter meiner Hand und sackte dann schließlich bewusstlos zusammen. Weichei!, dachte ich und zog seine Hände hinter seinem Rücken zusammen, genau wie seine Füße. Schließlich fesselte ich mit einem dicken Seil seine Hände und Füße so zusammen, dass er sich unmöglich befreien konnte. Von Weglaufen ganz zu schweigen! Dann setze ich mich neben ihm auf den Boden und wartete darauf, dass er aufwachte. Eine Stunde beobachtete ihn mit wachsendem Hass. Und dachte an Maya. Was sie wohl gerade machte? Dann fiel mir ein, dass ich ihm den Mund noch nicht versiegelt hatte, also zauberte ich ein schwarzes Klebeband aus meiner Tasche und klebte ihm den Mund zu. Davon wachte er auf. Seine Augen weiteten sich, als er sah, dass ich über ihm stand. Wahrscheinlich wurde ihm erst jetzt bewusst, dass dies kein Traum, sondern die beängstigende Realität war. "Mmh! Mmmhph!", war alles, was er zu Stande brachte, doch es klang in meinen Ohren wie: "Mach mich los!" "Tut mir Leid, geht nicht!", sagte ich und grinste ihn an. " Also , ich wollte dir doch erzählen, warum ich dir das hier antue", sagte ich, während ich mir eine Zigarette nahm und sie mir anzündete. Ich grinste bei dem Wort"antun". " Dazu muss ich aber erst mal zehn Jahre zurückgehen, bis zu meinem zwölften Geburtstag. Es war ein Samstag. Meine Mutter und ich sind damals in die Stadt gefahren, um uns eine schönen Tag zu machen. Mein Vater war übrigens zwei Jahre zuvor an Lungenkrebs gestorben." Ich machte eine Pause. "Er hat geraucht wie ein Schlot!", sagte ich mit halbem Lächeln. "Aber weiter: Es war ein schöner Tag, die Sonne schien. Wir gingen uns Kleider kaufen und aßen Eis zu Mittag. Als die Sonne untergegangen war – wir wollten uns gerade au den Heimweg machen – stießen wir auf eine Gruppe junger Männer. Da sie eine gefährlichen Eindruck machten, beeilten wir uns, schnellstmöglich an ihnen vorbeizukommen. Doch einer von ihnen hielt mich im vorbeigehen fest. "Komm mal mit, Kleine! Du siehst so gelangweilt aus. Lass mich dir die Langeweile austreiben!",sagte er und zog mich in eine düstere Seitenstraße.Meine Mutter lief ihm und den anderen Typen hinterher und herrschte sie an, sie sollten mich loslassen, sonst würde sie die Polizei rufen. Als sie die Polizei erwähnte, wurde der Kerl, der mich festhielt, wütend und zog ein Messer aus seiner Hosentasche. "Habt ihr das gehört, Jungs?!Die Alte will uns echt die Bullen auf den Hals hetzen!" "Ja, das werde ich, wenn du nicht sofort meine Tochter loslässt!",erwiderte meine Mutter wütend. "Gar nichts wirst du, du Schnepfe!",brüllte der mit dem Messer und stürzte sich auf sie Erst da merkte ich, wie betrunken er war. Ich sah, wie die zwei mit einander rangen,wie er meine Mutter packte und sie sich seinem Griff entwand. Ich sah wie er das Messer hob und schrie auf als sie davon stürzte. Ich schrie wie von Sinnen:Das Messer! Das Messer! Doch es verfehlte sein Ziel nicht. Meine Mutter sank, das Messer im Rücken, zu Boden und ich stürzte zu ihr. Als ich sie in die Arme nahm war alles voller Blut!Sie keuchte auf, und alles, was sie noch sagte war: "Lauf weg, Natalie!". Und mit diesen Worten starb sie in meinen Armen. Ich war so geschockt, dass ich ihren Tod gar nicht richtig realisierte und darauf wartete, dass sie wieder aufstehen und rufen würde: Reingelegt! Ich wollte dir nur einen kleinen Schrecken einjagen, weil ich testen wollte, ob dein Herz noch richtig funktioniert und nicht stehen bleibt! Doch sie blieb unbewegt. Ich wurde erst als mich einer dieser Typen hochzerrte in die brutale Wirklichkeit zurück geholt. Ihr Mörder. Einer seiner Freunde fragte ihn: "Ey Ty, alter, was solln wirn jetz mit der Kleinen machn? Die hat ja alles gesehn!" "Was fragst du da noch so blöd?",gröhlte er,"Los Jungs! Lasst uns ein bisschen Spaß haben!" Es war die schlimmste Nacht meines Lebens. Ty vergewaltigte mich und die anderen schauten seelenruhig zu, feuerten ihn sogar richtig an,grölten, lachten und soffen. Danach rammte er mir das Messer in den Rücken und sie ließen mich blutend auf der Straße liegen. Ich hörte noch wie einer von ihnen sagte:>Tyson Bishop, du bist ein echtes Schwein!" und er antwortete:"Ich weiß, man!"Wenigstens wusste ich nun seinen Namen!" Eine Weile starrte ich zu Boden und kämpfte mit dem Hass und der Verzweiflung, die angesichts der Bilder, die bei diesen Erinnerungen aufkamen,in mir aufloderten. Ich bemühte mich, wieder meine Maske der Gelassenheit und Kälte aufzusetzen, die ich den vergangenen Jahren perfektioniert hatte. Dann hob ich den Blick und sah in sein erschrockenes, vor Angst verschwitztes Gesicht. "Ah." ,sagte ich tonlos. " Jetzt erinnerst du dich also, nicht wahr...Tyson Bishop alias William Brandon? Schau, ich habe die letzten zehn Jahre meines Lebens nur einem einzigen Ziel gewidmet-dich zu finden! Ich hatte ja nur deinen Nickname und dein Gesicht. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass der Sohn unseres ehemaligen Bürgermeisters ein pädophiles, versoffenes Schwein ist?!" Ich lachte laut auf. Kalt. Hart. "Aber weiter: Ich lag also blutend auf der Straße, ein Messer im Rücken, als eine Frau mich fand,die zufällig an dieser Gasse vorbeikam. Sie rief sofort den Notarzt und ich wurde in ein Krankenhaus gebracht. Das erzählte man mir jedenfalls, als ich auf der Intensivstation aufwachte. Ich konnte mich an nichts erinnern. Nur ein Name spukte mir im Kopf herum:Tyson Bishop. Stundenlang dachte ich fieberhaft darüber nach, wo ich diesen Namen schon mal gehört hatte, als ein Arzt zu mir ins Zimmer kam. Irgendwie ahnte ich Schreckliches,schon als ich sein bekümmertes, angespanntes Gesicht sah. "Fräulein Whitelock...einen guten Tag wünsche ich Ihnen. Wie ist Ihr Befinden?",fragte er mich, was mir seltsam vorkam. " Müssten Sie das nicht eigentlich wissen? Ich fühle mich besch-...mies!", antwortete ich grimmig. "Nun, den Grund, warum ich zu Ihnen komme,werde ich Ihnen gleich näher erläutern doch zunächst wäre es angebracht, Ihnen die vergangenen Ereignisse zu erklären. Sie haben seit einem Monat im Koma gelegen!" Ich schwieg entsetzt und er fuhr fort:"Wie ich hörte, können Sie sich an nichts von dem erinnern, was vor einem Monat vorgefallen ist.“ Er räusperte sich unglücklich und dachte einen Moment nach, ehe er fortfuhr:"In der Nacht des 14. März sind sie, wie vermutet wird, zum Opfer einer Vergewaltigung geworden. Die Täter sind vermutlich Mitglieder einer Straßengang. Ihre...Mutter konnten wir leider nicht mehr retten, man konnte nur noch ihren Tod feststellen, als man sie fand. Der eigentliche Grund meines Besuches beläuft sich jedoch darauf, dass Sie...einen gut entwickelten Fötus in sich tragen." Er wurde immer leiser, während er das sagte und ich hatte plötzlich ein seltsames Rauschen in den Ohren. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Das war nicht möglich! Ich musste ihn falsch verstanden haben! Das...das KONNTE nicht sein!" ...was heißt das?",fragte ich schließlich, da ich mir sicher war, er meinte etwas anderes. "Sie sind schwanger.",antwortete er und besiegelte diese Tatsache mit einem schweren Seufzen. "Nun komme ich zu Ihnen, weil es noch die Möglichkeit einer Abtreibung gibt. Selbstverständlich würden wir diesen Eingriff in einem solchen Fall auch ohne die Einverstän-" "Nein!",unterbrach ich ihn leise und wurde dann immer lauter."Nein!Nein!NEIN! Das ist nicht wahr! Sie lügen,das kann nicht wahr sein! Das muss ein Irrtum-""Es tut mir Leid,aber ich kann Ihnen versichern, dass es kein Irrtum ist! Ich werde Sie jetzt wohl besser alleine lasse, damit Sie diese Nachricht verarbeiten können. Davon abgesehen brauchen Sie Ruhe,ich bitte Sie daher inständig nichts Unüberlegtes zu tun . Doch bitte denken Sie gut über Ihre Entscheidung nach, denn eine Abtreibung bedeutet, ein weiteres unschuldiges Leben auszulöschen." Mit diesen Worten ließ er mich mit meinem unerträglichen Schmerz und nackter Verzweiflung zurück. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich so da lag und ins Leere starrte. Als dann endlich seine letzten Worte zu mir durchdrangen,ließ ich mich von meiner Verzweiflung übermannen und verbrachte die ganze Nacht heulend im Bett. ...denn eine Abtreibung bedeutet, ein weiteres unschuldiges Leben auszulöschen. Ich weinte wegen meiner Mutter, weil ich mich an nichts anderes mehr erinnern konnte und wegen des Kindes. Als der Arzt am nächsten Morgen wieder kam, stand mein Entschluss jedoch fest: Ich würde nicht zum Mörder eines Unschuldigen werden, so wie Jene, die meine Mutter auf dem Gewissen hatten. Ich würde das Kind austragen und über es wachen. Zwar war es zur Hälfte das Kind der Person, die mein Leben zerstört hatte,aber es trug keine Schuld für die Tat diese Mannes. Es war MEIN Kind und es war unschuldig! Acht Monate später brachte ich eine wunderschöne Tochter zur Welt. Ich nannte sie Maya und gab sie weg zu der einzigen Person, die Alles wusste,meiner Cousine, doch ich blieb immer in ihrer Nähe und bestand darauf, auch bei ihrer Erziehung mitzuwirken. Ich setzte meinen Entschluss in die Tat um und zog bei meiner Cousine ein. Tag und Nacht wachte ich über dieses Kind, das ich so vergötterte; sie war mein Trost,mein Ein und Alles, das Einzige, was mich noch an diese Welt band! Doch ich konnte mich nie von meiner Trauer befreien, denn die Tatsache,dass ich nur als ihre Schwester existierte traf mich jedes Mal von neuem und erinnerte mich an das, was ich zu vergessen versuchte..." Ich brach ab, als ich merkte, dass mein Sichtfeld bis zur Unkenntlichkeit verschwamm und wischte mir die Tränen schnell am Ärmel meiner Jacke ab. Ich schaute zum ihm und sah, wie sich in seinem Blick Angst, Entsetzen, und Trauer widerspiegelten. Also fürchtete er trotz allem immer noch um sein Leben und gleichzeitig bereute er! Dieses Schwein! Ich lächelte wütend und gleichzeitig auch unbeholfen. "Weißt du, warum ich weine?",fragte ich ihn. "Weil es so verdammt traurig ist; diese Kind hat so einen Vater nicht verdient. Es tut mir so weh, dass sie etwas von dir in sich tragen muss! Weißt du, mit tat es auch weh, zu wissen, was ich da in mir trug. Doch ich konnte dieses Kind einfach nicht hassen. Weil es unschuldig war." Ich seufzte schwer und schwieg eine Weile,bevor ich ein Foto aus meiner Jackentasche zog. "Schau sie dir an, deine Tochter! Das war an ihrem 10.Geburtstag vor zwei Monaten! Diese Kind hat eine besseren Vater verdient!",zischte ich und hielt ihm das Foto unter die Nase. Er zuckte zurück,als ich ihn so anfuhr,doch das hübsche kleine Kindergesicht auf dem Foto zog schnell seine Aufmerksamkeit auf sich. Beinahe begierig starrte er es an, als wollte er sich jede Linie ihres Gesichtes einprägen. Ich steckte das Foto zurück in meine Tasche, und sah noch, wie das Leben,das in sein Gesicht gekommen war,schlagartig wieder verschwand. Dann ließ ich mich wieder neben ihm fallen und saß eine Zeit lang so da,doch es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Maya – das Kind, das für mich die Welt bedeutete. Ich hatte mich ihr gegenüber immer so schuldig gefühlt; schuldig für das, was ich ihr angetan hatte. Jedes Mal, wenn mir die Schuld, die mich niederdrückte, zu groß geworden war, war ich in die Kirche geflohen. War vor dem Kreuz zusammengebrochen und hatte geweint. Stundenlang. Ewig. Ich hatte GOTT und Jesus Vorwürfe gemacht,ihnen meine unkontrollierte Wut und Trauer entgegen geschleudert und wieder geweint. Doch sie hatten mir verziehen. Mich wieder auf die Beine gestellt und mir Kraft gegeben. Kraft, den Hass in mir zu unterdrücken. Denn auch wenn ich mir geschworen hatte, dieses Kind nicht zu hassen, überkam es mich manchmal. Und dann war ich weggerannt. Doch das, was ich hassen sollte, was ich hassen musste,war dieses...Individuum neben mir! Dieses Stückchen Dreck; nichts weiter als beseelter Dreck! Ich wandte mich ihm erneut zu und fing mit leiser Stimme an wieder zu erzählen:" Ach ja, ich wollte dir auch noch erzählen, wie ich dich gefunden habe!Zehn Jahre habe ich dafür gebraucht. Alles , was ich erreicht habe, meinen Schulabschluss, meinen Beruf, meine eigene Wohnung...das alles hab ich nur erreicht, um dich zu finden! Nachdem ich die Schule mit Bravour beendet hatte überlegte ich, was ich tun sollte. Zuerst brauchte ich Informationen zu den Kleinkriminellen dieser Stadt. An die konnte ich entweder dadurch gelangen, dass ich mir ein Beziehungsnetzwerk im Nachtleben durch Drogen dealen oder Ähnliches spann, oder dadurch, dass ich Polizistin wurde. Ich entschied mich für Letzteres. Es war nicht schwer, meine Motivation trieb mich bis zum Äußersten und ich bestand jede Prüfung; ungeduldig und fieberhaft suchte ich in den Akten für kleinkriminelle Jugendliche und junge Erwachsene. Ich fand unter über 50 Leuten sieben, die infrage kamen, doch auch diese Sieben erwiesen sich als Nieten, zumal ich mir jeden Einzelnen von ihnen vornahm. Die Ungewissheit war zum Verrücktwerden! Ich konnte schließlich nicht sicher sein, ob du die Stadt nicht verlassen hattest,ob du überhaupt noch am Leben warst! Um mir Gewissheit zu verschaffen nahm ich in einem Nachtklub einen Job als Kellnerin an. Und endlich, etwa ein halbes Jahr nachdem ich dort angefangen hatte, hörte ich einen besoffenen Typen am Tresen reden: "...und sein Vater is jetz in Ruhestand gegang. Mann, ey, Ty hats gut sag ich dir! Seine Alten sin stinkreich, die verkehrn in höchsten Kreisen." Ich fragte, ob dieser Ty Tyson Bishop war. " Un ob, meine süße, das größte, glücklichste Arschloch auf Erden! Un ich sag dir – den wird nie jemand wegn Drogn oder so drankrieng! Dem sein Vater vertuscht doch, was für'n Kerl sein Sohn is! Der William isn guter Junge, der wird jetz Bänker! Geht an die Börse, Geld machen! Wird halt auch son feiner Pinkel Na ja, wer weiß, wies da zugeht, da wird doch auch mit verdecktn Kartn gespielt..." "Sag, wie heißt dieser William mit Nachnamen?", fragte ich steif, während mein Puls zu rasen begann. " Ey, das geht dichn Scheiß an, du Schlampe! Hast dich wohl in ihn verknallt, was? Ja, ja, sein Vater warn feiner Pinkel, der Bürgermeister persönlich! Willst wohl seine Kohle, was? Aber ich sags dir, ..." Ich ließ ihn weiter vor sich hinlallen und dachte nach. Dein betrunkener Freund hatte mir mehr Informationen geliefert, als ich mir je erhofft hatte. Der letzte Bürgermeister der Stadt war J.W. Brandon gewesen und hatte vor etwa zwei Monaten einem jüngeren Anwärter weichen müssen. Zwei Söhne: Sebastian Brandon und William Brandon.William Brandon. Alias Tyson Bishop. Ty, der mein Leben und das meiner Tochter zerstört hatte. Endlich! Nach all der Zeit und all den Strapazen hatte ich ihn! Doch diese überwältigende Gefühl des Triumphs währte nicht lange, ich musste es schließlich irgendwie hinbekommen diesen Typ zu fangen, ohne dass es irgendjemand mitbekam. Einen Monat beobachtete ich dich pausenlos. Ich ließ mich krankschreiben, mit der Begründung, ich hätte eine schwere ansteckende Krankheit. Du warst nie wirklich alleine, das merkte ich schnell. Und das vereinfachte die Sache auch nicht gerade, also versuchte ich, etwas über deine Persönlichkeit herauszufinden und schrieb dir diese Drohbriefe, um deine Reaktion auszutesten. Ich war erstaunt, dass du den Munde gehalten hast und wartete lange darauf, dass du es doch jemandem erzählen würdest, da ich mir nicht sicher sein konnte. Als aber immer noch nichts passierte, wagte ich mich einen Schritt weiter vor und verlangte ein Treffen. Ich installierte überall Kameras am Treffpunkt und verfolgte von meiner Wohnung aus, wie du mit deinen versteckten Wachen aufgetaucht bist, die mich wahrscheinlich bei der ersten Gelegenheit totgeprügelt hätten, wäre ich tatsächlich gekommen. Mir wurde klar, dass du nicht so blöd warst, wie ich gedacht hatte. Du warst einfach nur stolz wie ein Pfau! Aber dieser Stolz und die Tatsache, dass du dir dein bald schon schönes Leben nicht verpfuschen lassen wolltest, machten dich naiv. Dass dich kurz darauf diese Frischluftbedürfniss überkam, kam mir mehr als gelegen und ich tat das, was nur ein Verrückter tun würde: Ich ging zu dir und sagt dir auf den Kopf zu, dass ich diese Drohbriefe verfasst hatte. Du hast mich gepackt und ausgelacht und deine Aufpasser herbeigepfiffen. Ich entwandte mich deinem Griff und floh in den Wald. Dass mir diese Hohlköpfe auch noch folgten, war mehr Glück, als ich erwartet hatte und dein Pech. Ich schlug beide nieder, denn es war eine einfachere Lösung, sie niederschlagen, als sie umzubringen. Und ich wollte ja auch nur einen Mord begehen, nur einen Tod verschulden – deinen!" Er starrte mich an, ich starrte zurück. Hier saßen wir nun, ein Mann und eine Frau, die sich vielleicht nie kennengelernt hätten, die sich vielleicht kennengelernt und geliebt oder sich verabscheut hätten, wenn sich das Schicksal nicht auf so ungünstige Weise eingemischt hätte. Wobei, dachte ich nun bitter und schnaubte -woraufhin er zusammenzuckte- nichts ist Zufall. Auch das, was sich vor zehn Jahren ereignet hatte, war vom Schicksal bestimmt gewesen. Und jetzt saß ich hier, neben dem Mörder meiner Mutter, dem Vater meiner Tochter und dem Mensch William Brandon und hatte es in der Hand, über sein Leben zu entscheiden. Ich dachte noch mal an die vergangenen Jahre zurück, und mir wurde klar ,dass ich für zwei Menschen gelebt hatte: für Maya und für ihn. Fast so als ob ich für meine Familie gelebt hätte. Für Mann und Tochter. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich mir ihn als meinen Mann vorstellte. Er hustete und ich wurde aus meine Gedanken gerissen. Wir starrte uns immer noch an. Reflexartig beugte ich mich vor und riss ihm den Klebestreifen vom Gesicht. "Sag was!", verlangte ich. Er starrte mich nur ungläubig an. Dann holte er tief Luft. Er zitterte, seine Angst war nicht verschwunden, außerdem musste er höllische Schmerzen haben – ich hatte ja sein Knie zerschossen! Dann fragte er, mit heiserer, flüsternder Stimme: "Deine Tochter...Maya...wie..geht es ihr?" Er traute sich nicht zu sagen, dass es seine Tochter war, und das irritierte mich seltsamerweise. Ich musste lachen. Es war kein bitteres Lachen, eher klang es tieftraurig in meinen Ohren " Es geht ihr gut. Keine Sorge, ich kümmere mich gut um deine Tochter!" Ich machte eine kurze Pause. "-Aber das wirst du nicht mehr mitbekommen!", fügte ich dann lächelnd hinzu. " Bitte!", keuchte er. "Warte! Ich bin nicht mehr der, der ich damals war! Ich bin nicht mehr dieses drogenabhängige Schwein, dass du in Erinnerung hast-" "Aber es geht nicht darum, was du bist! Es geht darum, was du warst!",sagte ich, lauter als beabsichtigt. "Und das, was du warst, hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin! Das du durch mich stirbst, hast du selbst zu verschulden! Du hast mit dieser Tat dein eigenes Todesurteil unterzeichnet." "Nein!",flüsterte er und das letzte Bisschen Farbe wich aus seinem Gesicht. Wie in Trance, mit weit aufgerissenen Augen, schüttelte er den Kopf, erst langsam, dann immer heftiger. "Nein,bitte tu das nicht! Wenn du das tust, wirst du zu dem, was ich schon bin! Dann bist du keinen Deut besser als ich! Willst du wegen mir in die Hölle kommen?" Jetzt versuchte er also an mein Gewissen zu appellieren ,um sein armseliges Leben zu retten! "Versteh es doch endlich!", seufzte ich und genoss diesen Anblick der nackten Angst und Verzweiflung. "Ich habe längst alle Grenzen jenseits der Humanität überschritten! Ich bin so weit gegangen -ja, zu weit gegangen, um jetzt umzukehren! Ich bin an einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt! Meine Verzweiflung wurde zu Wut, meine Wut zu Hass und mein Hass...zu Wahnsinn!", das letzte Wort schrie ich ihm entgegen, bevor ich einen Satz zurück machte und meine Waffe zog. Er erstarrte und seine Augen wurden glasig, als er meine Pistole sah. Meine Hand zitterte und die Tränen stiegen in meinen Augen auf. Das, wogegen ich ankämpfte schwoll an, wurde immer größer und schließlich brach es aus mir heraus. Die Tränen liefen über und mein unregelmäßiger Atem ging in stockendes Schluchzen über. " Was ist nur aus mir geworden?", flüsterte ich. " Sieh mich an, und sag,was ist aus mir geworden?!" Ich brüllte ihn an und sackte dann innerlich zusammen. Die Erkenntnis, sich nicht mehr im Griff zu haben und dem Wahnsinn zu verfallen, das war es, was mich gerade innerlich zerbrach, zerriss. Ich sah ihm in die glasigen Augen. Und dann bewegte sich mein Körper, der nicht mehr mir allein gehörte, von allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)