Bei Nacht in Venedig von Scarla ================================================================================ Kapitel 1: Zerstörte Träume --------------------------- Stille. Und Dunkelheit. Nur dies war es, was um Luna herum herrschte. Wie sollte es auch anders sein? Mitternacht war schon seid Stunden vorbei und außer ihr war vermutlich keiner mehr auf den Beinen. Schon gar nicht in der Nacht vor dem großen Karneval. Wer konnte schlief nun so lange wie möglich um morgen bis zum frühen morgen feiern zu können und fröhlich zu sein. Aber Luna war anders, schon immer gewesen. Sie liebte die Nacht und nutzte auch diese um am Fenster zu sitzen und die Stadt zu beobachten. Die Stadt des Mondes, wie sie gerne genannt wurde, die Stadt, die für ihren Karneval überall auf der Welt berühmt war, die Stadt, die seid Jahrhunderten schon Jahr für Jahr tausende von Menschen in ihre Gassen lockte um sie für eine Nacht nur vergessen zu machen, das es einen Unterschied gab zwischen einem Bettler und einem König. Und sei er noch so gering. Morgen war wieder jene eine Nacht, in der sie selbst ohne Begleiter, unerkannt, und froh darüber, die nächtlichen Gassen ihrer Stadt betreten und durchwandern konnte, ohne das irgendwer jemals auf die Idee käme, sie anders zu behandeln, als diesen, der neben ihr steht. Doch heute Nacht war es noch nicht so weit, heute Nacht saß sie noch auf der Fensterbank und beobachtete die menschenleeren Gassen, das schwarze Wasser, das leise rauschend immerwährend gegen den Stein der Mauer schwappte, und den Mond. Den klaren, vollen Mond, der ihr ihren Namen gab. Ihr Name, der vom Vollmond erzählte, der bald den Himmel in goldenes Licht tauchen würde. Ihr Vater hatte ihn einmal gehört, bei einem Volk das sehr weit weg lebte, von ihrer Stadt des Wassers und ihrem Land der Sonne, und vor langer Zeit. Und doch, vergessen hat er ihn nie. Er hat ihn in seinem herzen getragen und ihn dann seiner Tochter gegeben, die für ihn so wundervoll anzusehen war, wie der Vollmond selbst. So saß sie nun also da und sah, was in dieser Nacht kaum ein Auge erblickte, bis sie es nicht mehr aushielt und aufsprang. Sie zögerte nur noch einen kurzen Augenblick, dann lief sie los, durch die weiten Gänge des großen Hauses, oder des kleinen Palastes, her nachdem, welchen Standpunkt man bevorzugte. Sie kannte den Weg tausendmal war sie ihn schon gelaufen, bei Tag und auch bei Nacht und so fand sie ihren Weg trotz der vollkommenen Dunkelheit. Das Mondlicht fand seinen Weg nicht hierher. Sie blieb erst stehen, als sie vor einer einfachen Tür stand. Noch einmal zögerte sie, den Bruchteil einer Sekunde, fragte sich, ob er schon schlafen mochte, doch Luna wäre nicht sie selbst gewesen, wäre sie nun still und leise in ihr Zimmer zurück geschlichen. Immerhin klopfte sie leise, bevor sie die Tür öffnete, hindurch schlüpfte und wieder hinter sich schloss. »Nuova? Nuova, bist du noch wach?«, fragte sie in die Dunkelheit und stille hinein. »Natürlich, ich warte schon seid Stunden auf dich«, flüsterte es aus der Dunkelheit zurück. Nur einige Sekunden später flackerte das spärliche Licht eines Streichholzes auf und dann noch einmal deutlicheres Flammenspiel, als das Streichholz an eine Kerze gehalten wurde. »Ich wusste nicht, wann du wieder auf deinem Zimmer sein würdest«, entschuldigte sich Luna und trat zu dem jungen Mann, der ihr Bruder war. Sie setzte sich neben ihm aufs Bett und lehnte sich an ihn. »Ich habe mich davon gemacht, so bald ich konnte. Ich konnte ihr lachen nicht mehr ertragen, es hörte sich so künstlich an. Sie ist seltsam, ich mag sie nicht«, erklärte Nuova und legte einen Arm um seine Schwester. »Künstlich? Wie kann man sich denn künstlich anhören, wenn man aus Fleisch und Blut besteht?«, lachte sie und schaute ihn aus großen, dunklen Augen an. »Ich weiß auch nicht… eben ein wenig, als würde sie gar nicht wirklich leben. Als wäre sie eine Puppe oder…«, Nuova dachte einen Moment lang nach, dann schien ihm etwas einzufallen. »Oder wie einer der metallenen Vögel, die unser Onkel in seinem Schlafzimmer hat. Du weißt, die, die ihn in den Schlaf singen.« »Ja, ich weiß, welche zu meinst. Sie sind schrecklich, echte Vögel sind viel schöner anzuhören«, antwortete sie verächtlich, schüttelte dann aber den Kopf. Sie möchte nicht über mechanische Vögel sprechen, sie wollte von dem Abendessen hören, bei dem sie ausgeschlossen worden war. »Wie heißt sie? Ist sie zumindest hübsch?« »Lotta oder so ähnlich. Aber hübsch ist sie wirklich nicht, jedes Straßenmädchen hat ein anmutigeres Gesicht, als sie«, schnaubte Nuova und dachte bei sich, dass es sowieso kein Mädchen geben konnte, das er jemals so lieb haben würde, wie Luna. Sie war für ihn mehr, als nur eine Schwester, sie war Freundin und Verbündete und Geheimniswahrerin in einer Person und das würde sich niemals ändern, dessen war er sich sicher. »Lotta, was für ein seltsamer Name«, lachte sie, vergessend, das auch ihr Name nicht alltäglich war. »Sie kommt nicht von hier, sie spricht nur sehr schlecht Italienisch. Ich glaube, dass sie aus dem Norden kommt. Vielleicht deutsche, vielleicht von noch weiter her. Schweden vielleicht oder Norwegen oder Finnland«, überlegte er. »Ich hätte sie gerne kennen gelernt, sie ist bestimmt viel interessanter und freundlicher, als du sie beschreibst. Du hast sowieso an jedem Mädchen etwas auszusetzen«, lachte Luna und warf sich auf das Bett, ihren Bruder mit sich ziehend. »Sie hat bei ihrer Auswahl geholfen, also kann sie gar nicht nett sein und Interessant und freundlich«, verteidigte sich Nuova, machte sich von seiner Schwester los und stand auf um ans Fenster zu treten. Luna wusste sofort, wenn er meinte. Keiner der beiden sprach den Namen ihrer Stiefmutter jemals aus. Ein unerschütterliches, kindliches Wissen, dass das, von dem man nicht sprach und das man nicht sah auch nicht existierte, hielt sie davon ab, obwohl sie jedes mal aufs neue eines besseren belehrt wurden. Sie existierte nicht nur, sie war auch voller guter Dinge und schmiedete eifrig Pläne, wie sie ihre unerwünschten Stiefkinder am schnellsten loswurde. Nuova in die Ehe mit einem Mädchen zu geben, das nicht nur weit weg lebte, sondern zudem auch noch nicht ganz unvermögend war, hielt sie für ihre beste Idee, obwohl sie bisher den geringsten Erfolg davon getragen hatte. Nuova hatte konsequent jedes Mädchen abgelehnt und sein Vater hatte ihn gewähren lassen. Der Vater ahnte nichts von dem twist, der zwischen seiner zweiten Frau und seinen Kindern existierte und versuchte einfach nur, es allen recht zu machen. Was bedeuten würde, die jeweils andere Partei hinfort zugeben, doch sie alle waren nicht dumm. Die beiden Kinder wussten, das er mit der Dame so glücklich war, sie seid langem nicht mehr, und wollten ihm dieses glück nicht abspenstig machen, nur weil sie selbst die Frau nicht mochten. Die wiederum wusste, sollte sie allzu offen zeigen, wie sehr ihr die Anwesenheit von Luna und Nuova missfiel, wäre sie es, die den kürzeren zog, denn das Wohl seines eigen Fleisch und Blut ging dem guten Herrn über alles. Und so versuchten sie einfach in aller Stille und Heimlichkeit, sich das Leben so schwer wie möglich zu machen. »Was mich wundert ist, dass sie noch nicht versucht, dich an den nächst besten zu verschachern«, brummte Nuova und schaute seine Schwester nachdenklich an. »Sie würde, wenn sie könnte, aber du kennst doch Vater. Ich bin seine kleine Prinzessin, mich wird er vermutlich erst auf seinem Sterbebett freiwillig in die Hände eines anderen Mannes geben. Und dann auch nur in die erlehsensten«, sie lachte glockenhell auf, schüttelte dann den Kopf. »Ein wenig nervig und hinderlich ist es schon, aber ich hatte sowieso noch nicht vor, zu heiraten, auch wenn ich den richtigen bereits kenne.« »Lupo spielt übrigens bereits heute Abend Maskenball und lädt alle herzlichst zu sich ein«, antwortete ihr Nuova und schaute dabei finster. Er und Lupo waren gute Freunde, dass seine über alles geliebte Schwester zu seinem besten Freund jedoch mehr Gefühle hegte, als zu ihm, passte ihn nicht. Und schon mal gar nicht in anbetracht dessen, was Lupo war. Luna und er waren aus gutem Hause, die Kinder eines reichen Kaufmanns, Lupo dagegen war ein Streuner. Er hatte einmal ein zuhause, doch das hatte er schon lange hinter sich gelassen, warum hatte er aber nicht erzählt. Ebenso wenig, woher er die Narbe hatte, die sein Gesicht so sehr entstellte, das er sogar dann eine Maske trug, wenn der Karneval schon lange vorbei, und der nächste noch weit weg war. Immer die gleiche, eine Wolfsmaske, denn Lupo bedeutete Wolf. Er arbeitete im Haus und wann immer zeit war, besuchten die Geschwister ihn, denn niemand konnte so wunderbar Geschichten erzählen, wie dieser junge Mann, der bloß ein Jahr älter war, als sie. Doch so sehr Nuova ihn als Mensch und auch als Freund mochte, so wenig wollte er, dass seine kleine Schwester mit ihm zu tun hatte. Das Luna das genau wusste und Lupo aus diesem Wissen und einem stillen Protest heraus schöne Augen machte, das konnte er nicht ahnen. »Wo feiert er denn? Ich möchte hingehen«, bemerkte sie neugierig und funkelte ihren Bruder abenteuerlustig an. »In der alten Halle unten im Hafen«, antwortete er, bemüht, sich seinen Unwillen nicht anmerken zu lassen. Er war ebenso sehr bereit, alles für seine Schwester zu geben, wie der Vater der beiden. »Ich hol mir schnell eine Maske und dann lass uns hingehen. Wie treffen uns am Hinterausgang«, rief sie ihm zu und war weg, bevor er ihr antworten konnte. Er schaute noch einen Moment auf die offene Tür, dann ging er zu seinem Schreibtisch und holte aus dem obersten Schubfach seine Maske. Luna lief in der Zeit durch die Gänge zurück, jedoch viel leiser als zuvor, denn sollte jetzt jemand aufwachen, konnte sie ihren nächtlichen Ausflug vergessen. Auch sie hatte ihre Maske im obersten Schubfach verstaut. Mit ihr in der Hand lief sie gleich weiter, machte sich nicht einmal die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen. Nur wenige Augenblicke später saß sie mit Nuova in ihrem Boot und fuhr zum Hafen. Das Fest hörten die beiden schon vom weiten, während sie langsam über das schwarze Wasser fuhren. Ab und an einmal erhellte Kerzenschein ihren weg, wenn zu dieser Nachtschlafenden Stunde doch einmal jemand nicht rasten und ruhen konnte, doch sie brauchten dieses Licht nicht. Sei wussten, wie gefährlich es war, doch sie vertrauten auf ihre Fähigkeiten und fanden den rechten weg. Es nur Augenblicke später sprang Luna an Land, ihr Gesicht bedeckt mit der weißen Maske, die einst ihrer Mutter gehörte und die sie nun Jahr für Jahr zum Karneval trug. Der Landungssteg um die alte Lagerhalle war nicht leer, überall lachten und feierten maskierte den Abend entgegen und sie alle begrüßten die Geschwister mit vollem glas und glänzender Laune, nicht wissend, wer sie waren. Nur Lupo wusste es, er hätte ihre Masken unter tausenden erkannt. Er kam lachend und voll Freude auf sie zu. »Meine Gäste, meine Freunde, wie wunderbar, euch hier zu sehen, ich habe ja schon nicht mehr damit gerechnet«, rief er und umarmte erst Luna, dann Nuova. »Eigentlich wollte ich auch nicht kommen, aber unsere Kindskönigin hat darauf bestanden«, antwortete er und lachte, obwohl ihm so gar nicht nach lachen zumute war. Er hatte Lupos blick gesehen, als er Luna erkannt hatte, und es war jener Blick, der ihn mit einem mal klar machte, das sie nun wirklich keine Kinder mehr waren, und das er nicht von Lupo verlangen konnte, Luna bloß als eine art kleine Schwester anzusehen. Für ihn war sie nun einmal eine junge Frau und er konnte nichts dran ändern. Er hätte ihn hassen können, doch er tat es nicht. Lupo konnte nichts dafür, keiner konnte etwas dafür, dass die Zeit nichts so bleiben ließ, wie es einst gewesen war, so sehr man es sich auch wünschte. »Dann habt tausend dank, meine Kindskönigin«, lachte der junge Mann und verbeugte sich vor Luna, nicht ahnend, was in dem Kopf seines besten Freundes vor sich ging. »Natürlich, um nichts auf der Welt würde ich ein fest verpassen, bei dem der Karneval begrüßt wird«, lachte Luna und bevor einer die zurückhalten konnte, hatte sie sich auch schon unter die Festgäste gemischt. Nuova und Lupo schauten ihr lächelnd nach, dann trennten auch sie ihre Wege. Trotz allem war es ein schönes Fest, sie lachten viel und keiner ahnte, wer sich unter ihrer Verkleidung versteckte, sodass sie auch nirgends ausgeschlossen wurden. Der Morgen dämmerte bereits, als Nuova zum Boot zurückkehrte und auf seine Schwester wartete. Er wartete lange, doch sie tauchte nicht auf. Irgendwann beschloss er, sie zu suchen. Er ging in die alte Halle, die mittlerweile leer war, denn die anderen Feiernden waren schon gegangen. Und hier vernahm sie ein murmeln aus einer Ecke hinter den Kisten. Nur zögernd ging er hin, denn wer wusste schon, wer sich in diese stille Ecke zurückgezogen hatte, doch als er um die Kisten herumlief, sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Luna und Lupo saßen hier beisammen in schönster Eintracht und flüsterten leise. Im ersten Augenblick wollte er wieder gehen, denn sie beide hatten ihn noch nicht bemerkt, dann aber stieg eine so unbändige Wut in ihm hoch, das er schnellen Schrittes zu den beiden hinlief, Lupo grob packte und zur Seite stieß. Lupo stolperte und fiel zu Boden, schaute von da aus verwirrt zu Nuova hinauf. »Nuova! Was tust du?«, rief Luna und sprang erschrocken auf. »Jetzt ist Schluss Luna, ich lass mich nicht mehr zum Narren halten!«, schrie er, außer sich vor Wut. »Aber es hält sich doch niemand zum narren, wie kommst du bloß auf diese Idee?«, fragte das Mädchen verwundert. »Aber natürlich! Du tust es schon wieder! Oder willst du mir wirklich erzählen, das dieses«, er schaute verächtlich auf Lupo hinab, der verstört und vollkommen verwirrt auf dem Boden saß und die beiden beobachtete, »das dieses Individuum dir nichts bedeutet? Das du nur in aller Freundschaft mit ihm zusammen gesessen hast? Ich weiß, das er für dich mehr ist, als ein Bruder, ich weiß, das er dir mehr bedeutet, als ich!« Verblüfft schaute Luna ihn an. Sie hatte seine Reaktion nicht verstanden, aber seine Vorwürfe kamen ihr so absurd und abwegig vor, dass sie ihn einige Minuten lang nur fassungslos anstarrte. »Nuova, aber«, begann sie, schüttelte dann aber den Kopf. Ein bitteres Lachen stieg in ihr auf. »Nuova! Wie kommst du nur auf solche Ideen? Lupo bedeutet mir nicht mehr als ein Freund, nicht eine Sekunde lang! Bisher warst immer du es, der mir am wichtigsten war, wie kannst du bloß auch nur eine Sekunde daran zweifeln?« »Wie ich daran zweifeln kann? Wie vertraut ihr eben beisammen gesessen habt, lässt da schon den einen oder anderen Zweifel aufkeimen«, antwortete er bitter, »zumal du immer wieder von ihm sprichst, als wäre er bereits dein Verlobter.« Luna schaute ihn wieder sprachlos an, schüttelte dann aber langsam und traurig den Kopf. »Du hast es nie verstanden, oder?«, fragte sie leise und schaute ihn traurig an. »Was gibt es denn da zu verstehen?«, fragte Nuova kalt. »Lupo bedeutet mir nicht mehr, als es jeder andere meiner Freunde auch tut. Das ich ausgerechnet ihn zu meinem Liebsten machte, mein Bruderherz, lag daran, das ich genau wusste, das er dir und Vater nicht gefallen würde, es hätte auch jeder andere sein können. Ich hatte die Hoffnung, dass ihr beide vielleicht endlich verstehen würdet, dass ich nicht eure Puppe bin und dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen will, das ihr mich mein Leben leben lassen würdet, aber zumindest du hast es nicht verstanden, im Gegenteil. Du hast nicht verstanden, das ich hinaus will aus dem goldenen Käfig, den Vater und du mir errichtet habt, hinausfliegen, um auf einem einfach Zweig zu landen, der mir so viel besser gefällt«, traurig wandte sie sich ab. »Luna, ich«, begann Nuova, doch wusste er nicht, was er sagen sollte und so blieb er still und schaute traurig zu Boden hinab. Lupo stand langsam auf. »Wir haben uns überlegt, was wir dir zum Geschenk machen sollen, immerhin haben wir in ein paar tagen Geburtstag«, erklärte Luna leise und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Eine ganze Weile herrschte Stille zwischen den beiden Jungen. »Es tut mir leid, Lupo, ich wusste nicht…«, begann Nuova, doch sein Freund schüttelte den Kopf. »Ich wusste auch nicht, dass ihr so wenig an mir liegt«, antwortete er und schaute dem Mädchen traurig hinterher. »Ich wusste nicht, dass sie sich so eingesperrt gefühlt hat«, flüsterte Nuova. »Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig wir manchmal von denen wissen, die uns am liebsten sind. Aber nimm dir den Streit nicht so zu herzen, sie wird es dir verzeihen. Wenn du es jemals schafft, deine Eifersucht hinter dir zu lassen, ansonsten verlierst du sie«, Lupo schüttelte den Kopf und lächelte aufmunternd. Nuova schaute ihn an, wie in einem Traum, dann nickte er. »Es tut mir wirklich Leid. Sei mir nicht böse«, bat er, und wieder verneinte Lupo lächelnd. »Nie«, antwortete er und lächelte ein lächeln, das unter seiner Maske niemand sah. Und das war auch gut so, denn es war kein glückliches lächeln. Zum ersten mal hatte er hören müssen, was sein bester Freund wirklich über ihn dachte, erfahren müssen, was es hieß von der Oberschicht verspottet zu werden, und es tat weh. Und doch, niemals würde er das seinen Freund wissen lassen. »Ich glaube, ich muss mit Luna sprechen«, begann er vorsichtig und Nuova nickte. Sie war noch nicht weit gelaufen, er brauchte nicht lange, um sie einzuholen. Sie blieb stehen, als sie seine Schritte hörte. »Bitte entschuldige, Lupo«, flüsterte sie. »Das weiß ich noch nicht«, antwortete er. »Ich wollte dir nicht weh tun, das musst du mir glauben.« »Das glaube ich dir sofort, Luna. Und doch, man wird nicht gerne benutzt.« Sie nickte: »Es tut mir leid. Ich habe nie darüber nachgedacht, was ich dir damit antue.« »Natürlich. Wir merken nicht immer, wenn wir anderen weh tun. Aber es ist auch egal. Es ist nun einmal, wie es ist. Was wirst du jetzt tun?« »Ich weiß es noch nicht. Erst einmal nach Hause gehen und versuchen, mich mit Nuova wieder zu versöhnen. Du weißt, ich kann nicht mit ihm zerstritten bleiben.« »Und danach?« »Ich denke, ich werde fortgehen aus Venedig. Heute Abend hat meine Kindheit geendet, jetzt wird es Zeit, eine Frau zu sein, und die Zeit des Lernens soll nicht in der gleichen Stadt stattfinden, in der ich meine so glückliche Zeit des Kindseins verbrachte.« »Ich glaube, Nuova will auch gehen. Er hat es zwar nicht gesagt, und auch nicht angedeutet, aber ich glaube, auch er hat heute Nacht seine Kindheit hinter sich gelassen.« »Und deine?«, fragte sie und schaute ihn traurig an. »Die hat schon vor langer Zeit geendet«, antwortete er und nahm seine Maske ab. Im hellen, leichten Licht des Morgens stach die Narbe hart hervor, wie ein Messer, das gefährlich blitze, bevor es Leben zerschnitt. »Erzählst du sie mir irgendwann einmal?« »Die Geschichte, die vom Ende meiner eigenen Kindheit kündet? Ja. Aber nicht heute. Du solltest gehen, bald werden sie aufstehen und sich wundern, wo du bleibst.« Luna nickte und ging. Es sollte das letzte mal für eine lange Zeit sein, das sie Lupo sah, denn noch am selben Abend verließ sie die Stadt. Und auch Nuova ging fort, zusammen mit Lotta. Doch das sie einander wieder sehen würden, dessen waren sich sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)