Gijinka von Shub_Niggurath ================================================================================ Kapitel 6: Breaking The Habit III --------------------------------- Der Kult um den Stahlkönig ist doch ein schlechter Witz... genauso wie seine „Pflichten“. Jede Spezies sieht sich als die Beste, die einzige, die zu einer Herrschaft über den anderen befähigt ist. Außer im Steinbruch. Der Steinbruch ist die älteste Stadt, in der sich die unsrigen, die sich von Mensch und Tier so stark unterscheiden, versammeln, und die einzige, in der verschiedene Untergattungen gleichgestellt nebeneinander existieren. Das liegt am Kult um den Stahlkönig. Seit der Stadtgründung zu harten Zeiten immer ein Stahlos, steht dieses riesige Exemplar an der Spitze der Gesellschaft und hat die Kompetenz alle zu befehligen, solange der Befehl mit dem Leistungs- und Gegenleistungssystem übereinstimmt. Selbst der arroganteste Faschist seiner Unterspezies kann sich einen der seinigen nicht als Stahlkönig vorstellen. Dabei gibt es bei weitem mächtigere Kreaturen. Doch in den Köpfen der Steinbruchbewohner hat sich das Bild vom königlichen Stahlos eingeprägt und ist nicht mehr ausradierbar – und wahrscheinlich wird sich das niemals ändern. Das Volk sieht in seinem Herrscher schon fast einen Gott. Fragt man einen Steinbruchbewohner, wen er oder sie für den Stärksten hält, ist stets die Antwort: „Der Stahlkönig“. Fragt man einen Steinbruchbewohner, wen er oder sie für den Weisensten hält, ist die Antwort keine andere. Nur wer sehr, sehr engen Kontakt zum Königshaus hat, wird anders antworten. Denn dann weiß man, dass die Pflichten des Stahlkönigs sich darauf beschränken, seine Muskeln zur Schau zu stellen und gegen viel zu schwache Gegner zu kämpfen – so beweist der Regent seine Stärke. Konkrete Beweise für seine nahezu göttliche Weisheit muss er keine erbringen. Es reicht eine stupide Antwort, wie „Wird schon werden“, wenn ein verzweifeltes Individuum fragt, was es tun soll. Weist er einem unentschlossenen Jüngling eine soziale Rolle zu, so wird das erste Wort, das ihm durch den Kopf geht, dem Fund des Steines der Weisen gleichgestellt. Schade eigentlich... der Kult um den Stahlkönig war tatsächlich einmal berechtigt. Vor zweitausend Jahren, oder mehr. Damals war der Steinbruch schließlich noch überschaubar, und die Ratschläge, die er verteilte, mussten Hand und Fuß haben, weil sonst das kleine, junge System auseinander brechen würde. Damals gab es schließlich auch noch Rivalen, andere Spezies, die sich an der Spitze sehen wollten, und keine andere Kreatur als ihre eigene als ihren Befehlshaber akzeptieren wollten. Gegen diese musste er antreten. Die Muskeln mussten wirklich auch etwas können und nicht nur gut aussehen. Doch Zeiten und Umstände ändern sich – aber hat sich erst ein derartig göttliches Bild in den Verstand des Volkes geprägt, so wird man es nicht von einem Tag auf den anderen ändern können. Dabei bräuchte man noch immer reale, nicht nur vorgeheuchelte Kraft und Intelligenz um den Steinbruch zu regieren. Das Leistungs- und Gegenleistungssystem ist durchaus nicht so beliebt, wie einige Tagträumer des Königshauses glauben. Schlechte Entscheidungen säen Zwietracht. Nur leider grollen die Bewohner dann gegen das System, und nicht gegen den Stahlkönig, der für den Dreck ja verantwortlich ist. Nie würden sie ihn stürzen. Die Bewohner würden ihn zwingen das System zu ändern, da er der einzige dazu Befugte ist, aber niemals würden sie eine andere Spezies als einen Stahlos akzeptieren oder das Amt ganz abschaffen. Nein, dazu sitzt der Kult um den Stahlkönig viel zu tief in den Knochen. Der Stahlkönig ist unantastbar. Dazu beigetragen hat auch, dass die letzte Handlung eines Stahlkönigs seine scheinbare Intelligenz beweist: An seinem Sterbebett muss er unter seinen priviligierten Kindern einen Erben wählen. Und da jeder Stahlkönig mindestens genau so fähig war, wie sein Vorgänger, betrachtet man seinen letzten Willen als den ultimativen Beweis seiner Intelligenz. Dass diese Entscheidung wahrscheinlich die einzige kluge war, die ein Stahlkönig in seinem erbärmlichen Leben getroffen hat, fällt dabei unter den Tisch. Und auf dem Erben lastet kein Druck, da diese wissen, dass das Volk sie so oder so lieben wird, egal, ob sie in Wahrheit Versager sind. Mein Name ist BERYL und ich bin eine potenzielle Erbin. Ja, ErbIN. Frau, nicht Mann. Als erste, heißt es, doch ich bezweifle, dass während der zweitausendjährigen Geschichte des Steinbruchs es keinen Stahlkönig gab, der nur Töchter hatte, welche haben erben müssen. Dass der Regent stets männlich sein muss, steht nirgends geschrieben, es ist bloß eine Tradition, dass immer ein Sohn erbt... doch gab es einmal nur eine Tochter, so musste es eine Stahlkönigin geben. Ausweichen auf andere Linien ist nur bei Kinderlosigkeit gestattet. Leider bin ich das einzige weibliche Kind von insgesamt dreizehn. Das heißt, schon bei meiner Geburt wurde ich aus dem gedachten Testament gestrichen. Vermutlich hätte ich meine Benachteilung akzeptiert, wenn man mir entsprechendes eingetrichtert hätte, doch meine Eltern haben einen pädagogischen Fehler begangen – ist war stets neben meinen Brüdern gleichwertig. Als unser Vater uns schließlich offerierte, dass er sich schon Gedanken über die Erbschaft mache und quasi einen Wettbewerb ausrief, protestierte ich, als er verkündete, dass sich ausgeschlossen sei, nur weil ich eine Frau bin. Jahrelang redete ich auf ihn ein, doch seine Antwort war immer, dass er mich zwar genau so liebe, wie seine Söhne, aber keine Reformation des Brauchs bewirken wolle, indem er mich zu den potentiellen Erben zählt. Darauf habe ich ihn herausgefordert. Der, der den Stahlkönig besiegt, muss sogar dann zu den potentiellen Erben gerechnet werden, wenn er nicht mit dem Königshaus verwandt ist. Ich denke, er hat nur angenommen, weil er mir keine Siegeschancen zuschrieb und hoffte, ich würde nach einer Niederlage endlich zu quengeln aufhören. Die Rechnung ging nicht auf, ich siegte. Der Stahlkönig benannte mich nachher als die beste Kriegerin im Steinbruch, noch vor Jet und Howlith, den anderen potentiellen Erben. Den meisten aber ist klar, dass dies nicht wahr sein kann. Mein trotteliger Vater weiß nämlich nicht, dass meine Taktik auf reiner Beobachtung basiert. Denn jeder Kämpfer hat Routinen im Stil. Zu neunzig Prozent ändert sich nicht ihre Geschwindigkeit und zu neunzig Prozent sind pro Attacke die Bewegungen identisch. Dies analysiere ich und nutze die Schwachpunkte im Rhythmus. Das mag clever klingen, ist es aber nicht – die Beobachtungszeit dauert und ich werde nie einen Kampf gegen jemanden gewinnen können, den ich noch nie analysiert habe. Die Anerkennung Jets, der um meine Strategie bescheid weiß, habe ich trotzdem. Und das ist eine Ehre. Mein älterer Bruder ist ein chauvenistischer, aggressiver, faschistoid angehauchter Perfektionist, der an eine Über- und Unterordnung nach Kraftmaß glaubt. Immer schon, nicht erst, seitdem er einen Metallmantel trägt. Dass er dann seine jüngere, kranke Schwester als gleichberechtigt akzeptiert, ist eine absolute Ausnahme. Und dafür liebe ich ihn am meisten von meinen Geschwistern. Auch wenn ich ihm aufgrund seiner Aussagen gerne die Fresse polieren würde, kann ich es nicht, dank der Meinung, die er von mir hat. Jet ist auch der einzige, der keinen Hehl um meine Krankheit macht. Er sieht mich dank meiner mysteriösen Krankheit, wegen der mein Körper kaum Strapazen aushält, als fragil, doch als niemanden, den man extra leicht anpacken muss. In seinen Augen bin ich nicht schwach. Und erst recht nicht beschützenswert. Der einzige Grund, warum er noch nicht gegen mich angetreten ist, ist das Wissen, dass er verlieren würde. Zu gut kenne ich seine schlichte Taktik, einfach drauf zu hauen und zu schauen, was passiert. Seitdem er jedoch den Metallmantel trägt bin ich nicht mehr siegessicher. Das Artefakt, das eigentlich ich fand und ihm nur vor die Nase legte, machte ihn furchteinflößend, noch grausamer, als er von Natur aus ist. Er kennt keine Hemmungen mehr. Er schlägt im Kampf verpönterweise in den Rücken. Und selbst durch genaueste Analyse würde ich eine Attacke von hinten irgendwann nicht erwarten und standhalten können. Zum Glück hat er bis jetzt, nie bemerkt, dass ich zweifle. Jet ist allerdings nicht wegen seiner verstärkten Aggressivität beängstigend, sondern wegen seiner Aussagen. Wenn er von Buchstaben und Diagrammen spricht, die sich vor seinen Augen auflisten, welche er im Bruchteil einer Sekunde liest und danach seine Entscheidungen trifft, denkt man, einem Psychopathen gegenüberzustehen. Sonderlich klug war Jet nämlich nie. Dass er nach dem Tragen des Metallmantels plötzlich zum Genie geworden sein könnte, dass einen Verstand schneller als das Licht hat, macht die Sache noch unheimlicher. Dazu behauptet er ständig nachzudenken. Er philosophiert über soziale Missstände, Geschlechterrollen, Güterverteilung und ähnlichem. Dabei wirken seine Ausführungen polemisch und nicht überdacht, sondern spontan dahergeredet. Mein Bruder behauptet jedoch, dass jedes Detail genau überdacht ist. Vermutlich machen diese Theorien nur in einem kranken Geist Sinn. Ich glaube Jet, dass er viel nachdenkt, doch ich würde nie abstreiten, dass er irre ist. Oft frage ich mich, ob ich auch so geendet wäre, wenn ich den Metallmantel trüge. Ich hätte es getan, wäre Howlith nicht anwesend gewesen, als ich ihn zufällig im Wald ausgrub. Überglücklich wollte ich ihn anlegen, doch der Trottel hat mich abgehalten, meinte, mein Körper könne die folgende Mutation nicht ertragen. Da ich nicht auf ihn hörte, hat er ihn mir entrissen. Rasend vor Wut habe ich mich nicht auf seinen Kampfstil konzentriert, und einfach draufgehauen. Natürlich war’s wirkungslos. Es war kein offizieller Kampf, doch ich habe verloren. Das einzige Mal. Gegen meinen bescheuerten Bruder. Da ich nicht wollte, dass ausgerechnet Howlith mir den Ruhm wegschnappt, indem er den Metallmantel anlegt, haben wir uns darauf geeinigt ihn wieder zu vergraben. Ich wählte eine Stelle, wo Jet ihn finden würde, der einzige meiner Brüder, der den ich als diesem Ding würdig erachtete. Ich hasse Howlith. Man würde mich nicht wie eine Glasfigur behandeln, wenn er sich nicht ständig wie mein Beschützer aufführen würde. Wegen ihm hatte ich in Kindertagen keine Freunde. Er verfolgte mich, beobachtete mich beim Spielen und funkte dazwischen, wenn ich nur irgendwie berührt wurde. Könnte ja zum Knochenbruch führen. Seine Fürsorglichkeit und mahnenden Worte, wenn man mich auch nur umarmte, schreckte alle so ab, dass bald niemand mehr Kontakt zu mir haben wollte. Auf der anderen Seite färbte sein „Pass auf“, „Mach das nicht“, „Das kannst du nicht“, und ähnliches Blabla auf viele Leute ab. Ständig versucht man mir bei den banalsten Aufgaben unter die Arme zu greifen. Wortwörtlich... Howlith hat sich bis heute nicht geändert. Er kann zwar nicht mehr jeden meiner Schritte kontrollieren, doch gibt er immer noch sein Bestes, sich in mein Leben einzumischen. Ständig redet auf mich ein, und warnt vor Verletzungs- und Sterberisiken. Dabei habe ich oft genug bewiesen, dass ich mich zwar gerne selbst herausfordere, aber meine Grenzen kenne. Und auch führt er mittlerweile ein Privatleben, in das ich eigentlich nicht hineinpasse. Verheiratet und fünf Kinder, Beruf als Arzt... sollte er seine Freizeit nicht lieber damit verbringen, sich um eine Familie zu kümmern, als seiner Schwester hinterher zu rennen? Vermutlich hasst mich seine Gattin deswegen – ich werde immer die erste Frau in seinem Leben bleiben, und das Interesse an mir wird ihm immer an erster Stelle stehen, nicht das seiner Kinder. Leider... und ein so verblendeter Mensch will Stahlkönig werden!? Objektiv gesehen, wäre Howlith ein besserer Stahlkönig, als Jet, doch sein ewiges Desinteresse an Regierungsgeschäften disqualifiziert ihn. Der beste Beweis für seinen Gleichmut ist, dass er Arzt wurde, um Abstand von der Königsfamilie zu nehmen. Einst sagte er auch, dass er gar nicht erben will. Ich frage mich dann, warum er das Kettchen, das ihn als potentiellen Erben kennzeichnet, nicht ablegt? Ich frage mich auch, warum Vater es ihm überhaupt gab. Nur weil stark ist? Das ist eine extrem schlechte Begründung, wenn man bedenkt, dass Howlith noch nie einen richtigen Kampf geführt hat. Im Gegensatz zu Jet hat er nicht unsere anderen Brüder im Gefecht halb tot geprügelt und erst recht keinen Metallmantel gefunden. Er würde es nie wagen unseren Vater herauszufordern. Kurz gesagt, es gab noch nie eine Lage, in der er seine Stärke hätte beweisen können. Die einzige Antwort ist, dass Howlith unserem Vater sehr ähnlich ist – ein Pazifist, der versucht an jedem Einzelschicksal Teilnahme zu zeigen, einer der helfen, heilen, retten, schützen will. Wahrscheinlich hofft Vater, dass mit seinem Erbschaftsantritt keine Tradition gebrochen wird, was unausweichlich ist, wenn Jet oder ich den Thron besteigen. Betrachtet man die Situation von diesem Standpunkt, ist es fraglich, ob der Wettstreit um Vaters Gunst nicht schon längst ausgetragen ist und Howlith erbt. Ich will jedoch nicht wahr haben, dass alles schon verloren ist oder sich Vater nicht umstimmen lässt. Ich will dem Stahlkönig beweisen, dass Howlith durch seinen Unwillen und sein Desinteresse unfähig sein wird. Und wenn ich das geschafft habe, muss ich nur mehr zeigen, dass ein Traditionsbruch besser ist, als ein irrer Perfektionist als Nachfolger. Mein Name ist Beryl und ich bin eine potentielle Stahlkönigin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)