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Ray Ban

FF zur Buchreihe S.T.A.L.K.E.R.
von

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Prolog

Vier Jahre. Fern ab von Zuhause. Alleine.
 

Vier lange Jahre und die beste Zeit seines Lebens musste der deutschstämmige David Rothe im Gefängnis von Ostrov / Ukraine verbringen. Er hasste jeden einzelnen dieser Tage. Tief in seinem Inneren, wurde der Drang, aus dem Trakt auszubrechen und in die Zone zurückzukehren, mit jedem Tag stärker.
 

Die Zone.
 

Und all ihre bemitleidenswerten Kreaturen. Das Werk von Wissenschaftlern, die sich nach der ersten Katastrophe im Jahre 1986 im AKW von Tschernobyl verschanzt hatten und ihren wahnsinnigen Experimenten nachgingen. Sie setzten die dortig lebenden Tiere einer überdimensionalen Strahlung aus, die sie mutieren liessen. Die Schäden und Deformationen, die sie erlitten, gaben diese von Generation zu Generation an ihre Nachkommen weiter. Aber sie eigneten sich auch Fähigkeiten an, die sie alle zu gefährlichen und unberechenbaren Bestien werden liessen. Um den Schutz vor Neugierigen zu gewährleisten, setzten sie diese Kreaturen in der Zone wieder aus und liessen sie verwildern. Zudem entwickelten die Wissenschaftler eine Maschine, die das Hirn lebender Wesen dermassen schädigte, dass diese im wahrsten Sinne zu Zombies wurden. Diese Schäden waren irreparabel und liessen sich niemals wieder kurieren.
 

Auch David verlor seine Eltern an diese perversen Experimente, als er sich mit ihnen im Alter von 16 Jahren auf einer Rundreise in der Ukraine befand. An jenem schicksalhaften Tag in der stillen Stadt von Tschernobyl, an dem sich sein Leben von Grund auf änderte. Anstatt sich mit Freunden in seinem Alter in Discos rumzudrücken und sich ein Mädchen nach dem nächsten anzulachen, hantierte er mit modernsten Maschinengewehren, entwickelte Überlebenstaktiken, streifte als Einzelgänger abgeschottet in dem unwirtlichsten Gebiet der Welt umher und kämpfte jeden Tag aufs Neue ums nackte Überleben. Anomalien, verstreut über die ganze Zone, jede tödlicher als die nächste, lauerten an jeder Stelle.
 

Sicher, er hatte mehr als nur einmal die Chance gehabt, um nach Hause zurückzukehren, doch zum einem hielt ihn der Ruf der Zone unbarmherzig im Griff und zum anderen wollte er endlich Gewissheit über das Schicksal seiner verschollenen Eltern haben, die vielleicht doch noch am Leben waren.
 

Vielleicht.

Kapitel 1

Ort: Die Zone

Gebiet: Wächterlager

Kontrolliert: Duty Fraktion
 

David fluchte, als er ein Kühlpad auf seine frische Beule legte, die bereits in allen Farben florierte. Wütend schaute er sich in seiner vorübergehenden Unterkunft im Lager der Wächter um. Blanke graue Wände, ein schmutziger Betonboden und ein stark mit Rissen durchzogenes Fenster starrten ihm entgegen. Deprimierender ging es wohl kaum noch. Und dieser Raum war noch obendrauf noch eine Art Suite für die Elite der einkehrenden Stalker. Die hiesigen Wächter der Fraktion Duty stellten jedem Stalker eine temporäre Bleibe zum Ausruhen und Erwerb neuer Ausrüstung zur Verfügung, der es bis in das Gebiet der Bar schaffte und Schutz, Erholung und einen Händler suchte. „Wenn ich etwas mehr hasse, als diese verdammten Sektenmitglieder der Monolithfraktion, sind es die Banditen von der Müllhalde!“ spie er in ätzendem Ton aus, während er ein leuchtendes Artefakt, das aussah wie ein Strang voll Perlen, in der Hand hin und her wiegte. Es hiess deshalb nicht umsonst Mamas Perlen. „Hoffe, dass dieses Artefakt es Wert war, dass wir diese Strapazen auf uns genommen hatten und der Erlös beim Händler stimmt. Sonst gibt es Tote.“
 

Neben ihm auf einem alten Holzstuhl, dessen Lehne bedrohlich bei jeder Bewegung knarrte, sass der Mitt-Vierziger Alexander Marinin, ein ehemaliger ukrainischer Kriminologe, der nun allerdings als Major im Dienst der Speznas stand. Auch er hatte seine Familie an die Zone verloren und brannte förmlich darauf, endlich Licht in die vermutlich grösste Verschwörung der Weltgeschichte zu bringen, um seinen ersehnten Frieden zu finden. „Reg dich nicht auf, David. Hätte schlimmer kommen können.“ sagte er und zündete sich eine ungefilterte Zigarette an. Es dauerte eine Weile, da er sich nur unter Schmerzen bewegen konnte. Er hatte sich an einer Brenner Anomalie verbrannt, als er auf der Flucht unaufmerksam wurde und den Ausläufer streifte. Zudem hatte er sich die rechte Schulter bei einem üblen Sturz ausgekugelt. Doch die Verbrennung und seine Schulter waren seine kleinsten gesundheitlichen Probleme. Durch das jahrelange ständige Rauchen war er von Krebs gezeichnet und hatte wohl nicht mehr lange zu leben. Die Artefakte aus der Zone konnten zwar sein Leben verlängern und seine Schmerzen lindern, aber ihn vollständig zu heilen, das konnten sie nicht. Zum Glück hatten beide noch Artefakte mit heilender Wirkung in ihren Taschen und Marinin hielt sich Steinblut an seine Schulter, das vor sich hin leuchtete, während es seinen Dienst tat und allmählich die Wunden schloss. David hingegen verzichtete darauf, sich Artefakte zum Heilen seiner Beule an die Stirn zu legen. Für solche minimalen Verletzungen wie eine Beule und ein paar Schürfwunden waren sie einfach zu kostbar und schwer aus den Anomalien, die sie hervorbrachten, zu bergen. „Siehs mal von der positiven Seite an, der Prügelknabe, der dir dein hübsches Feilchen verpasst hatte, hat unsere Ärsche vor den Kötern gerettet, die hinter uns her waren nachdem wir das Artefakt geborgen hatten.“
 

Der blonde Deutsche mit den blauen Augen grinste bei diesen Worten schief. „Auch wieder wahr, da hatten die Tölen anstatt deutsche Bratwurst und ukrainische Salami, Bandit a la Carta…“ Marinin brach in schallendes Gelächter aus, brach aber gleich wieder ab, als es ihm seine Schulter mit eine stechenden Schmerz vergalt. „Der war gut! Dein Zynismus wird nur noch von deinen Psi-Fähigkeiten übertroffen, David.“
 

Der Jüngere wurde auf einen Schlag hin wieder ernst. Ihn auf sein Psi-Talent hinzuweisen war im Moment keine gute Idee. Sie erinnerten ihn an Kim Raika. Kim. Tochter der grossen Marina Volchanova, die vor ein paar Jahren spurlos verschwand. Von ihr hatte sie ihre übernatürlichen Fähigkeiten vererbt. Und wegen diesen, wurde sie vor ein paar Tagen von der Monolith Fraktion verschleppt.
 

Wie es ihr wohl im Moment ging? David war fast krank vor Sorge um sie. Marinin musste ihn mit aller Gewalt zurückhalten, als sie vor seinen Augen gefangen genommen und weggeschafft wurde, damit er nicht blauäugig hinterher rannte und riskierte, ebenfalls zur Geisel zu werden. Glücklicherweise erleichterte ein Hochgeschwindigkeitsprojektil eines Monolith Scharfschützen, das David lahmlegte, seine Arbeit ungemein.
 

Nun befanden sie sich im Wächterlager der Duty Fraktion um sich Informationen und eine neue Ausrüstung zu besorgen. Aber wer konnte ihnen verlässliche Infos geben oder sich sogar anschliessen? David und Alexander misstrauten grundsätzlich jedem Menschen. Hier in der Zone war das eines der obersten Gebote.
 

Traue niemandem.
 

„Ach hier seid ihr! Hab schon das halbe Lager nach euch abgesucht! Der Wachposten namens Plichko hat mir gesagt, dass ihr wieder zurück seid.“
 

Ausser einem.
 

„Igel.“
 

Munter plapperte besagter Stalker, der gerade durch die ausgeleierte, knarrende Metalltüre kam, weiter. „Na? Habt ihr das Artefakt für die Startgebühr gefunden? Habt ihr unterwegs ein Picknick gemacht oder weshalb wart ihr solange weg? Ich hab uns alle bereits angemeldet. Die Arena öffnet ihre Pforten morgen um 20:00. Naja, bei Dunkelheit kämpfen ist nicht so mein Ding, aber wird schon werden. Wollt ihr beiden euch schon aus Ohr hauen oder gehen wir noch einen heben?“
 

David schaltete bereits nach 2 Sätzen ab und meinte nur noch dass er gerne schlafen wolle. Igel, der seinen Namen durch seine Haarfrisur zu verdanken hatte, redete einfach zu viel, wenn er gute Laune hatte und der Tag lang war. Deshalb war ihm Alexander als Partner lieber, zumindest, wenn er auf Artefaktjagd ging. Marinins ruhige und in sich gezogene Art gefiel ihm wesentlich besser. Das machte wohl das Alter aus.
 

Alexander hingegen fand Igels Angebot, noch einen trinken zu gehen, verlockend. Allerdings ging es ihm weniger darum, sich so schnell wie möglich die Birne wegzuknallen und lallend im Lager rumzutorkeln. Oh nein. Dies war die ideale Gelegenheit den jungen Stalker ein bisschen auszuhorchen. Seit ihrer ersten Begegnung hatte Marinin jedes Mal ein mieses Gefühl, wenn der Stachelkopf in der Nähe war. David meinte zwar, dass man ihm trauen konnte, aber Marinin machte sich da lieber selbst ein Bild. Irgendetwas stimmte nicht mit Igel. Und er würde herausfinden was.
 

David hingegen traute er. Damals, vor langer Zeit, als Alexander seine Familie beim zweiten Blowout der Zone verloren hatte, war der junge Deutsche das einzige, was ihm lieb war. Trotz anfänglicher Differenzen wuchs das Vertrauen und die Freundschaft mit jedem Abenteuer und jeder Gefahr, die sie zusammen bestanden. Nach so vielen Jahren waren keine Worte untereinander mehr notwendig um sich zu verständigen. Ein Blick oder eine Geste genügte schon und der andere wusste Bescheid. Oh ja, der kleine Rothe war für ihn wie sein eigener Sohn. Im Prinzip fühlte sich Alexander innerlich zerrissen. Einerseits liebte er David wie ein Familienmitglied und adoptierte ihn innerlich als Sohn, andererseits verglich er ihn ständig mit seinen verstorbenen Söhnen. Obwohl das ein völliges Absurdum war. Rothe unterschied sich nicht nur charakterlich von seinem ältesten Sohn Wasili, sondern auch im Aussehen. Honigblonde statt schwarze Haare, azurblaue Augen statt braune Rehaugen, kleiner als sein Ältester und schliesslich eine schlankere Figur, die jedoch durchtrainierter war. Im Charakter gab es zwar einige Gemeinsamkeiten, allerdings verflüchtigten diese sich sofort, wenn sich David wieder den Gefahren der unbarmherzigen Zone stellte. Machte Rothe in einem Augenblick noch einen trotzköpfigen, kindischen Eindruck, verschwand dieser sofort von einer zur anderen Sekunde hinter der klassischen Stalker-Gasmaske sobald Gefahr im Verzug war. Der grösste Unterschied zu Wasili waren Davids übernatürlichen Fähigkeiten. Der Junge fühlte die Emotionen seines Gegenübers, konnte dessen Gedanken lesen und sogar sein Handeln zeitweise kontrollieren. Telepath und Empath in einer Person vereint. Doch konnte der junge Stalker seine empathischen Fähigkeiten nicht gezielt nutzen. Zumindest noch nicht. Und solange war er für Monolith ein gefundenes Fressen.
 

Alexanders Gedanken wanderten gegen seinen Willen zum schlimmsten Feind der Zone. Nicht die abscheulichen und zugleich bemitleidenswerten Kreaturen. Die grösste Gefahr ging von den Anhängern der mysteriösen Sekte Monolith aus. Fanatiker, ja so konnte man sie bezeichnen, die an einen geheimnisvollen Monolithen im Zentrum der Zone, auch Wunschgönner genannt, glaubten, der einem alle Wünsche erfüllen konnte. Und die an Ausserirdische glaubten, die die Zone erschaffen hatten. Typische Fanatiker. Aber sie waren gefährlicher als jedes andere Wesen oder Anomalie, die in der Zone ihr Unwesen trieb. In Sachen Ausrüstung hatten sie nur das Beste vom Besten. Wie zum Beispiel die beiden Sturmgewehre GP37 und FT200M. Oder die Ausführungen der Dragunov. Wie die SVD, ein tödliches Scharfschützengewehr. Alexander konnte auch schwören, dass er einmal einen Monolith Scharfschützen, der sich zufällig in der Nähe ihrer Routen aufhielt, mit einer neuartigen Waffe gesehen hatte, deren Funktion und Name ihm unbekannt war. Als Major des Militärs kannte er sich mit vielen Waffentypen aus, die weltweit gehandelt wurden, aber diese Spezifikation war ihm fremd. Seine Nackenhaare stellten sich auf als er daran dachte, was für hübsche Überraschungen Monolith sonst noch im Ärmel haben könnte. Und was passieren könnte, wenn sie David in die Finger bekam, genauso wie sie die junge Telepathin Kim nun in ihrer Gewalt hatten.
 

Kim Raika. Wie es ihr wohl im Moment ging? Schliesslich wurde sie von diesen Fanatikern gegen ihren Willen verschleppt und die Tiefen der Zone, vielleicht die Geisterstadt Pripyat oder zum Zentrum des Übels, das AKW von Tschernobyl selbst, gebracht. Marinin glaubte allerdings nicht, dass sie ihr etwas antun wollten. Sonst hätten sie die junge Frau auf der Stelle getötet. Aus einem noch unerklärlichen Grund grasten Agenten dieser Fraktion die gesamte Zone nach Stalkern ab, die telepathische Fähigkeiten aufwiesen und entführten sie. Doch zu welchem Zweck? Für wissenschaftliche Experimente? Alexander hörte auch Gerüchte, dass in letzter Zeit auch angesehene Wissenschaftler und Ärzte ausserhalb der Zone spurlos verschwanden.
 

Irgendwas braute sich im AKW zusammen. Etwas Gewaltiges und Unberechenbares. Irgendwas…
 

„Hey! Herr EX-Major Marinin! Träumst du oder was? Los, lass uns einen trinken gehen!” Der ältere Mann hätte sich beinahe an seiner, zur Hälfte abgebrannten russischen Papirossi verschluckt und schier einen Herzinfarkt erlitten, als Igel ihn unsanft aus seinen Gedanken riss. Hatte er schon erwähnt, dass er diesen jungen Stalker nicht leiden konnte? Alexander knurrte etwas Unverständliches und folgte ihm zur wohl berüchtigtsten Schenke der Ukraine.

Kapitel 2

Ort: Die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Kim Raika fluchte als sie sich wieder einmal beobachtet fühlte. Konnte dieser Kochow endlich mal aufhören ihr nachzustellen? Im Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass David bei ihr wäre. Oder wenigstens ihre Waffen. „Notgeiler Sack! Zieh endlich Leine!“ schrie sie aus ihrer Zelle, als sie es schliesslich nicht mehr aushalten konnte. Kim hörte ein kurzes Rascheln, dann verhallten Schritte in dem langen, steril gehaltenen, weissen Gang. Nur nicht die Geduld verlieren, lautete jetzt die Devise und sich so gut wie möglich nichts anmerken lassen. Die junge Frau mit den silbernen Dreadlocks, hockte in einem Eck ihrer Zelle und umschlang ihre Knie mit ihren Armen. „Ihr verdammten Idioten kriegt mich nicht unter. Egal mit welchen Tricks!“ zischte sie.
 

Schnellen Schrittes versuchte Boris Kochow so schnell wie möglich den Trakt, in dem Kim Raika gefangen gehalten wurde, zu verlassen. Weshalb musste er immer in Schwierigkeiten geraten? Vor kurzem erst hatte er es geschafft, sich vor Professor O.O. Dobrynin zu etablieren und schon brachte eine Frau alles wieder durcheinander. Aber er konnte nicht anders, als immer wieder zu ihr zu gehen und sie zu beobachten. Obendrauf machte er sich sogar Hoffnungen, sie eines Tages berühren zu dürfen. Dazu war er bereit alles aufs Spiel zu setzen. Eines war sicher. Er, Kochow, würde wieder kommen.
 

Der Wissenschaftler mittleren Alters wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er fast mit einem Agenten zusammenstiess, der gerade die Schleuse passierte. „Agent Wronski! Können Sie nicht aufpassen, wohin Sie laufen?“ Der Agent mit den streichholzkurzen blonden Haaren starrte ihn unverwandt an. Offensichtlich wurde er im Moment von der Noosphäre gesteuert. Kochow war allerdings keineswegs erleichtert – im Gegenteil. Monolith Agenten verhielten sich zwar nicht aggressiv gegenüber dem Personal des AKW’s, allerdings konnte die Noosphäre alles wahrnehmen, was die Agenten sahen und hörten. Und so auch indirekt Dobrynin. Hoffentlich steckte das Kollektiv ihm nicht, dass er sich hier unten rumtrieb. Desweiteren lösten die Monolith Agenten im Allgemeinen und Wronski im Speziellen in ihm Unbehagen aus. Kräftiger gebaut als andere Agenten und mit einer stattlichen Grösse von 1.98 m wirkte der 35-jährige Agent auch ohne Drillich und MP-5 furchteinflössend. Darüber hinaus war auch Wronski der Grund, dass er sich bis auf die Knochen blamierte, als er Kim zum ersten Mal sah. „Sie haben keine Befugnis, sich in diesem Trakt aufzuhalten! Verlassen Sie sofort diese Etage.“ schnarrte Wronski los, der ein Tablett mit Nahrungsmitteln hielt. Offensichtlich waren diese für die Raika bestimmt, sonst würde Dobrynin niemals einen Agenten als persönlicher Butler einsetzen. Schon gar keinen, dessen Vorzüge im kämpfen lagen. Kochow nahm seinen letzten Mut zusammen, und keifte Wronski an „Was meinen Sie, wo ich wohl gerade hin will?! Guten Tag!“ Stolzen Schrittes lief er an dem hochgewachsenen Agenten vorbei. Wronski hingegen würdigte ihn keines Blickes, sondern setzte sich wieder in Bewegung. Bis zu seinem Todestag würde er wohl niemals einen Wissenschaftler verstehen. Und er wollte es auch nicht. Während er zielsicher auf Zelle VII239 zusteuerte, nahm er Kontakt mit seinem Vorgesetzten auf, um Bericht über den Zwischenfall zu erstatten.
 

In seinem privaten Labor, dass eine gute Aussicht auf die Tanks des Kollektivs bot, wollte sich Professor O.O. Dobrynin gerade eine weisse Linie zurechtlegen, als eines der vielen Monolith Panels zu blinken begann. Sichtlich verärgert bequemte er sich quer durch den Raum um nachzusehen, wer ihn gerade störte. Seine rechte Augenbraue erhob sich, als er sah, wer ihn gerade zu kontaktieren versuchte. Agent Wronski. Bei der Wahl, der Raika einen Bodyguard zur Seite zu stellen, fiel seine erste Wahl auf ihn. ‚Zuverlässiger Mann’ dachte der Professor. „Professor Dobrynin hier. Was haben Sie zu berichten, Agent Wronski?“ fragte er müde. Dobrynin war froh, dass nur der Audiokanal geöffnet war. Er machte im Moment einen miserablen, ungesunden und abgemagerten Eindruck. Das Kokain war zwar nicht der primäre Auslöser für seine angeschlagene Gesundheit, trug aber dennoch einen passablen Teil zum immer schnelleren körperlichen Verfall bei. Diese Droge konnte seine müden Gliedmassen nur für eine lächerlich kurze Zeit in Gang setzen. Nur der Gedanke, dass die junge Raika sich in seiner Gewalt befand und der deutschstämmige Telepath Rothe bald auch, sorgte dafür, dass er überhaupt noch längerfristig auf zwei Beinen laufen konnte, geschweige denn einen klaren Verstand hatte.
 

„Professor, soeben ist mir Doktor Boris Kochow im Gefängnistrakt begegnet. Vermute, dass er sich in der Nähe der Auserwählten aufgehalten hatte.“ Dobrinyn’s Blick verfinsterte sich schlagartig, als er Kochow’s Namen hörte. Der Kerl wusste ganz genau, dass er bereits in Ungnade war, aber dass er es noch darauf anlegte, aus dem Weg geräumt zu werden, war mehr als nur dämlich. Offensichtlich hatte da jemand Todessehnsucht. Was ihm allerdings mehr Sorgen machte, war der Fakt, dass er um die Raika herumschlich. Darauf musste er unbedingt ein Auge haben. „Agent Wronski, lassen Sie Kochow keine Sekunde aus den Augen und postieren Sie zwei Wachen vor der Zelle. Ich will keine unnötigen Zwischenfälle. Wir liegen mit dem Zeitplan ohnehin schon zurück. Bedenken Sie, es ist der Wille des Monolithen, die Auserwählten zu schützen.“ Ein kurzes Knacken ertönte durch die Audioverbindung und als Antwort leierte Wronski ein kurzes „Verstanden.“
 

Zufrieden trennte Dobrynin die Verbindung und schlurfte zurück zum Pult, das seine vorbereitete White Line parat hatte. Wenigstens auf seine Agenten konnte er sich verlassen. Das Herz des Professors fing an zu rasen, als er daran dachte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, dass der kleine Rothe bald in das Kollektiv integriert wird. Sein Blick wanderte durch die grosse Plexiglasscheibe, die sein Büro von dem düsteren Saal mit den grünlich leuchtenden Tanks trennte. „Tja, Irina, bald wirst du mit deinem Sohn wieder vereint sein.“ Sinnierte der Dobrynin „Ich habe ihm extra für dich einen besonderen Geleitschutz mit auf den Weg hierher gegeben. Niemand anderes als der ehrwürdige Anführer unserer Monolith Agenten, Dmitri Leuvkov, wird ihn zu uns bringen. Na? Ist das nicht eine besondere Ehre? Dein Kleiner wird sich ihm nicht entziehen können.“ Der Professor hätte schwören können, dass er die aufgeregte Stimme seiner ehemaligen ukrainischen Wissenschaftskollegin, Irina Walujew, in seinem Kopf hörte. „Jaja, reg dich nur auf. Aber du solltest dankbar sein, dass ich ihm unseren listigen Leuvkow zur Seite gestellt habe. Dein Sohn ist wirklich in besten Händen.“
 

Nur die stumme Glasscheibe bekam das hämische Grinsen des O.O. Dobrinyn mit.

Kapitel 3

Ort: Die Zone

Gebiet: Wächterlager – 100Rad

Kontrolliert: Duty Fraktion
 

Kein normaler Mensch würde sich in diese düstere Spelunke trauen. Im Prinzip würde sich überhaupt kein vernünftiger Mensch in die Nähe der Zone trauen.
 

In der Bar der Wächter eingebettet, befand sich das berüchtigte 100Rad. Dort trieben sich mehr zwielichtige Männer herum, als dass es womöglich blinde Hunde in der gesamten Zone gab. Alexander ignorierte sie so gut es ging und schaute möglichst niemanden ins bleiche und ausgemergelte Gesicht. Igel hingegen hatte keine Probleme damit. Er konnte jederzeit einen Stalker beobachten, ohne dabei erwischt zu werden. Seine geheiligte Ray Ban Sonnenbrille mit den dunklen Gläsern, die er wohl niemals abnahm, verhinderte es, dass sich jemand beobachtet fühlte.
 

Marinin und Igel liessen sich auf morsche, hölzerne Barhocker direkt an der Schanktheke nieder. Der hünenhafte Wirt schlich zu ihnen herüber um ihre Bestellungen aufzunehmen, nachdem er schnell ein paar Gläser abgewaschen hatte. Der junge schwarzhaarige Stalker mit der Igelfrisur orderte zwei Gläser Wodka. Allerdings ohne Alexander das Ohr abzubrüllen. Stattdessen bediente Igel sich der Zeichensprache, die der Wirt, der vor einiger Zeit einen Hörschaden durch eine Pumpgun davontrug, offensichtlich auf verstand. Zufrieden entfernte er sich wieder um ihnen einzuschenken. Der Major wunderte sich, über welche Fähigkeiten Igel sonst noch verfügte. Sein Misstrauen ihm gegenüber wuchs von Minute zu Minute. Oder war der junge Scharfschütze einfach nur ein Genie? Falls er Hintergedanken hatte oder etwas verheimlichte, würde Marinin das schon herausfinden. Dafür war er schliesslich zu lange im Kriminaldienst tätig, bevor er zwangsgebunden die Militärkarriere einschlagen musste.
 

„Woher beherrscht du die Zeichensprache?“ fragte er lauernd. Igel würdigte ihn keines Blickes und zuckte mit den Schultern. „Was heisst beherrschen, ich weiss gerade mal, wie man Wodka ordert und Danke sagt. Hab ich vom Wirt gelernt, als er mal ne ruhige Minute hatte.“ Alexander nickte, aber sein Unbehagen Igel gegenüber blieb.
 

Schweigend nahmen sie ihr erstes Glas ein. Alexander merkte, dass Igel nach ein paar ordentlichen Zügen am Glas den Kopf schräg legte, als ob er über etwas nachdachte. Augenblicke später wurde Igel unruhig und fing an, auf seinem Hocker herumzurutschen. Alexander musste innerlich schmunzeln. Igelköpfchen war voller Widersprüche und auf Grund seiner Aussagen und Verhalten erstellte wer Baustein für Baustein, wie ein Mosaik, ein kriminelles Profil. Er hatte den jungen Stalker schon in Aktion gesehen. Igel wurde nicht umsonst als bester Scharfschütze der Zone gehandelt. Seine absolute Selbstsicherheit im Umgang mit seiner SVDm2 war geradezu legendär. Ebenso wie seine Trefferquote, die bei quasi 100% lag, obwohl er grundsätzlich immer mit Sonnenbrille schoss. Und er war verbissen. Einmal ein Ziel ausgesucht, liess er wie ein Pitbull nicht mehr los. In Sachen lauern war er die Ruhe in Person und legte ein geradezu maskenhaft starres Gesicht an den Tag, wenn er sich als Heckenschütze irgendwo vergrub und eins mit der Natur wurde. Andererseits war er ein ziemlicher Kindskopf, leicht überheblich, besserwisserisch und sehr redselig. Es schien beinahe so, als ob sich in ihm zwei Persönlichkeiten manifestiert hätten, zwischen denen er beliebig hin- und her switchen konnte.
 

Aber aus unersichtlichen Gründen war der Sniper im Moment sehr nervös. Alexander erkannte es eindeutig an seiner Körperhaltung. Schien er jetzt schon bemerkt zu haben, dass er ihn aushorchte oder er wollte über einfach nur über etwas Spezielles sprechen?
 

„Willst du mit mir über was Bestimmtes sprechen?“ Igel fiel beinahe vom Barhocker als ihn Marinin ohne Vorwarnung aus seinen Gedanken riss. Peinlich berührt liess er den Wodka in seinem Glas im Kreis schwappen. „Kannst du etwa auch schon Gedanken lesen?“ murmelte er. Alexander brachte ein hämisches Grinsen zu Tage, das durch seine markanten Gesichtszüge und dem fehlenden Tageslicht allerdings eher bedrohlich wirkte. „Dein Körper spricht Bände. Also was ist los?“ hakte der Major nach. Was war los? Sonst plapperte das Igelköpfchen doch auch ohne Punkt und Komma über alles und jeden. Alexander hatte auf einmal das Gefühl, dass es sich um ein Beziehungsproblem handelte und er Beziehungsberater spielen müsste. Schlug der Wodka etwa schon nach ein paar Zügen zu? Klar, hier in der Zone gab es nur hochprozentigen Alkohol. Nicht dieses billige, nachgemachte Gesöff aus dem Westen. Doch selbst mit Hochprozentigem konnte der trinkfeste Alexander nicht so schnell blau sein. Igel vermied es, den Kopf zu heben und Alexander anzuschauen, obwohl seine Ray Ban ihn vor ungebetenem Augenlesen schützte.
 

„Es geht um David.“ flüsterte Igel.
 

Hätte Marinin Lotto gespielt, wäre er jetzt Millionär.

Kapitel 4

Ort: Die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Kim Raika war schon darauf vorbereitet, dass dieser verdammte Boris Kochow doch noch mal zurückkam, um sie zu beobachten. Allerdings spürte sie seine Präsenz nicht, sondern nur gähnende Leere, obwohl sie Schritte im Gang hörte. Sie entspannte sich ein wenig, obwohl sie auch nicht wirklich davon begeistert war, dass es diesmal ein Monolith Agent war, der sie aufsuchte. Wenigstens zeigten diese kein persönliches Interesse an ihr und liessen sie sonst auch unbehelligt. Vielleicht kam dieser vorbei, um sie wieder zu Dr. Frankenstein zu bringen. Innerlich lief bei ihr bereits ein Film ab, der ihr eine Möglichkeit zur Flucht bot. Allerdings schob sie diesen Gedanken gleich wieder beiseite. Es war nahezu unmöglich, alleine auszubrechen.
 

Als die junge Frau vor einiger Zeit hierher gebracht wurde, sah sie die befestigten und perfekt gesicherten Anlagen des AKW’s. Überall im näheren Umkreis befanden sich Monolith Stalker im Einsatz, sei es auf Patrouille, Wachdienst oder zur Abwehr eindringender Feinde wie Mutanten oder Stalker, die es irgendwie doch in die Nähe des Kraftwerks geschafft hatten. Dazu kam noch der Fakt, dass die Zahl der Agenten von Tag zu Tag stieg. Selbst wenn sie es schaffen sollte, das AKW hinter sich zu lassen, müsste sie sich durch Pripyat und den roten Wald kämpfen. Und diese standen unter Monolith’s Kontrolle. Ein absolut unmögliches Unterfangen, dies im Alleingang zu machen zumal ihr erstens ihre Ausrüstung abgenommen wurde und sie den Rückweg in die sicheren Gefilde nicht kannte.
 

Ihre Gedanken schweiften erneut zu David und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er hier bei ihr wäre. So hätte sie wenigstens Gesellschaft. Ein Teil von ihr hoffte inständig, dass der junge Deutsche kommen und sie retten würde. Kim musste unwillkürlich lächeln, als sie an ihn dachte. Obwohl er sozusagen, trotz seines jungen Alters, der Urvater der Stalker war, verhielt er sich nicht stalker-typisch. Klar, er war ein Einzelgänger und liess keinen an sich ran, aber dennoch liess er niemanden hängen, der ihn als Kamerad ansah. Und sie spürte, dass David sie gerne hatte. Obwohl sie sehr viel Zeit in der Zone verbrachte und dementsprechend geistig wie körperlich abgehärtet war, hatte sie gegen ihren Willen Gefühle für David entwickelt.
 

Kim schüttelte ihren Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen und versuchte sich einzureden, dass sie sich nicht in den jungen Deutschen verliebt hatte. Es war einfach grotesk. Liebe in der Zone. Widersprüche an sich. Damals, als sie noch als Teenager zu Hause in Skandinavien mit ihrer Familie lebte, hatte sie gerne die romantischen Daily Soaps im Fernsehen geschaut und hoffte, dass auch ihr eines Tages ein Ritter in strahlender Rüstung erschien, der sie davontrug. Aber das gehörte der Vergangenheit an. Ihre Naivität liess sie in dem Moment hinter sich, als sie den ersten Fuss in die Zone setzte.
 

Kim war so in sehr in ihre Gedanken vertieft, dass sie den Agenten nicht bemerkte, der gerade ihre Zelle betrat. Erst als er sie mit seinen kalten, grünen Augen eine Weile lang fixiert hatte, bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde. Sie fuhr vor Schreck und Wut über sich selbst herum und starrte ihn verärgert an. Die junge Frau erkannte den kurzhaarigen Agenten auf der Stelle wieder. Laut Kochow hiess er Wronski. Der Stalker hatte beim ersten Betreten des AKW’s verhindert, dass dieser perverse Wissenschaftler ihr zu nahe kam. Offensichtlich hatte das Kollektiv zu dieser Zeit das persönliche Interesse des Wissenschaftlers an ihr bemerkt und nun vorsichtshalber einen Agenten zu ihrem Schutz abkommandiert. Dieser Agent hier flösste wohl Kochow ziemlich Angst ein.
 

Wortlos legte Wronski das Tablett auf den Boden ab und sagte dann knapp „Sie haben 10 Minuten, danach werde ich das Tablett wieder mitnehmen.“ Daraufhin stiefelte er aus der Zelle und postierte sich, mit den Armen hinter seinem Rücken verschränkt, vor der Tür, die er zur Sicherheit wieder verriegelte.
 

Kim kniff die Augen zusammen und starrte ihm hinterher. Dem Typen fehlte es an einer gehörigen Portion Freundlichkeit. Überhaupt fehlte es allen Monolith Fanatikern generell an Freundlichkeit. Sie bewegten sich alle fast mechanisch und fixierten einen nie direkt, sondern schienen durch sie hindurch auf einen weit entfernten Punkt zu starren. Ferngesteuert durch die Noosphäre, die ihnen den Glauben an einen ausserirdischen Monolithen einflösste, den sie anbeteten und dessen Befehle ausführten.
 

„Ich werde niemals nachgeben. Darauf könnt ihr Gift nehmen.“ Trotz dieser still ausgesprochenen Äusserung, merkte sie, wie ihr Magen beim Anblick des Abendessens anfing zu knurren. Immerhin hatte sie schon seit Tagen nichts mehr gegessen. Zögernd nahm sie einen Bissen und gab schliesslich ihrem Hunger nach.

Kapitel 5

Ort: Die Zone

Gebiet: Wächterlager

Kontrolliert: Duty Fraktion
 

David kam es so vor, als ob die Nächte immer finsterer wurden. In letzter Zeit schien nicht mal mehr der Mond. Es gab zwei Dinge, die ihn davor bewahrten, Bekanntschaft mit einer Mauer oder einem Schlagloch zu machen: die Suchscheinwerfer der Wachposten auf den Türmen, die im bestimmten Rhythmus wendeten und die Wege erleuchteten und seine telepatischen Fähigkeiten. Fähigkeiten, die er niemals haben wollte.
 

Rothe schlenderte durch die Gassen des Wächterlagers. Er hatte vor einer Weile versucht, sich schlafen zu legen, doch die Sorge um Kim liess ihm keine Ruhe. Also entschloss er sich, das Wächterlager genauer zu inspizieren. Das Lager war kein architektonisches Meisterwerk, es erfüllte lediglich seinen Zweck. Duty bestand aus ehemaligen Soldaten, die im Dienste des Militärs standen und für sie Missionen in der ,[i[Zone erledigten. Bis sie schliesslich von jenen dazu verdammt wurden, in der Zone zu bleiben und diese von Mutanten zu befreien. Im Gegenzug wurden die Wächter vom Militär mit Waffen und Nahrungsmitteln versorgt. Doch in letzter Zeit versiegte der Nachschub durch Überfälle von Banditen und Mutanten dermassen, dass sich Duty darin gezwungen sah, die bisher gesammelten Artefakte, die bisher kostenlos gehandelt wurden gegen Lebensmittel, die freie Stalker dabei hatten, tauschen oder sie als private Transporteure einzustellen um die Versorgung an Nahrung und Waffen auch weiterhin zu gewährleisten.
 

Auf seinem Weg kamen ihm hin und wieder ein paar Wächter und Solitärstalker - Stalker, die keiner Fraktion angehören und sich als Einzelgänger durch die Zone schlugen - entgegen, die ihn freundlich grüssten. David war es unangenehm, dass ihm soviel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Er war lieber alleine. Menschenmengen waren ihm schon in seinem früheren Leben ein Gräuel.
 

Es gab genau drei Menschen, denen er sein Leben anvertraute. Alexander, Igel und Kim.
 

Kim.
 

Allein schon ihr Name löste einen stechenden Schmerz in ihm aus. Wie konnte er es zulassen, dass sie von den Monolith Stalkern entführt wurde? Er hätte hinterher laufen und jeden einzelnen eliminieren müssen. Nur für Kim. Aber Alexander hatte ihn zurückgehalten. Ein Teil von ihm nahm das Marinin mehr als nur übel und hasste ihn dafür. Der andere Teil zeigte Verständnis für sein Handeln. Hätte David sie verfolgt, wäre er jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit ebenfalls gefangen genommen worden. Und hätte damit dem Feind direkt in die Hände gespielt und seine Arbeit erleichtert.
 

David schloss die Augen und ballte seine Fäuste. Die Zeit drängte. Mehr denn je. Kims Leben hing davon ab, wie schnell sie sie retten konnten. Sicherlich, sie war äusserst zäh und willensstark, aber alles hatte ein Ende, auch jeder noch so starker Charakter. Rothe merkte, dass sich sein Herz anfing, schneller zu schlagen. Die Verzweiflung nahm langsam aber sicher Oberhand und er verfluchte sich innerlich dafür. Und das konnte er in der Zone als Letztes gebrauchen. Vor langer Zeit, sogar schon vor seinem Leben in der Zone, schwor er sich, dass er sich niemals verlieben würde. Liebe war hinderlich und löste nur Probleme aus. Das sah er jedes Mal, wenn sich einer seiner damaligen Freunde bei ihm ausheulte oder rummaulte, wenn es mal wieder Stress mit der Freundin gab.
 

Dennoch konnte er im Moment nur noch an Kim denken. Es machte ihn fast wahnsinnig. Er schüttelte seinen Kopf, um endlich wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Zumindest versuchte er es.
 

Als er das Ende einer langgezogenen, heruntergekommenen Baracke erreichte und ums Eck bog, tat sich ihm die Sicht auf eine Art Lagerhalle auf, die allerdings mehr einem Gerüst aus nackten Stahlträgern glich. Fast wäre ihm entgangen, dass auf einem der höher gelegenen Träger ein Mann sass. David hatte ihn nur bemerkt, da der Mann eine glimmende Zigarette in der rechten Hand hielt, die eine kleine Rauchfahne aufsteigen liess. Ansonsten war die Figur so starr wie eine Salzsäule. Keine Bewegung. Rothe musste nicht genauer hinschauen, um sich zu vergewissern, um wen es sich handelte. Er konnte die Präsenz des Mannes nicht spüren. Es war etwas ganz besonderes, da David sofort spürte, wer oder was sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. Doch hier stiess er auf eine Art Barrikade. Also konnte es sich nur um Igel handeln. Aber was machte er denn hier draussen? War er nicht mit Marinin im 100Rad einen heben? Vielleicht hatten sie sich gezofft und sind vom Wirt rausgeworfen worden. Möglich wäre es, da Alexander und Igel wie Hund und Katz waren und er sich wunderte, dass beide sich nicht schon längst gegenseitig an die Gurgel gegangen waren.
 

David wusste nicht so Recht, ob er Igel Gesellschaft leisten oder sich auf die Suche nach Alexander begeben sollte. Er wähnte die Erfolgschancen ab, wer ihm vielleicht eine Antwort geben könnte und seine Wahl fiel auf den Scharfschützen. Dieser redete schliesslich wie ein Wasserfall während Alexander ein geschlossenes Buch war, wenn er nicht reden wollte.
 

Also suchte er nach einem Weg um auf das Gerüst zu kommen. Dies erwies sich als schwieriger als er dachte. David fand keinen vernünftigen Aufgang. Weder eine Treppe, noch einen quer liegenden Balken, auf dem er hätte hoch laufen können. Wie um alles in der Welt war Igel da hoch gekommen? Allerdings war bei diesem listigen Stalker alles möglich. Seine Hand wanderte beinahe aus Reflex in die Brusttasche seiner olivgrünen Kapuzenjacke, die seinen wertvollen Nachtstern enthielt. Seine Finger umschlossen das seltene und kostbare Artefakt aus der Zone und er spürte, wie er langsam den Boden unter den Füssen verlor. Ohne besondere Anstrengung schwebte er senkrecht ein paar Meter empor und landete schliesslich genau auf dem Streben, auf dem auch Igel sass. Langsam schlenderte er auf ihn zu und setzte sich schliesslich schweigend neben ihn.
 

Der Stalker mit den zu Stacheln hochgegelten, schwarzen Haaren schien David entweder zu ignorieren oder er hatte ihn gar nicht bemerkt. Letzteres fiel mit Sicherheit flach, da Igel als Scharfschütze hervorragende Sinne hatte und Davids Schritte für sein geschultes Gehör dem Trampeln eines Elefanten glichen.
 

Diese ungewohnte Stille war David allerdings gerade recht. Er genoss einfach die stille Zweisamkeit und das gleichmässige ruhige Atmen des Mannes neben ihm. Hin und wieder schielte er zu Igel nur um zu bemerkten, dass dieser sich keinen Millimeter bewegt hatte. Inzwischen war auch die ungefilterte Papirossi fast abgebrannt. Er bemerkte, dass Igel wohl nur zu Anfang ein paar Züge genommen hatte und dann den Glimmstengel ignorierte. Es schien beinahe so, als ob Igel mit seinen Gedanken gar nicht hier auf der Erde war, sondern ganz weit weg. Sein starres Gesicht, das einer Maske glich, und die dunkle Ray Ban, die er trotz der Dunkelheit aufbehielt, verliehen ihm eine geradezu unheimliche Aura.
 

Die einzige Bewegung, die Igel in der nächsten halben Stunde tat, war die heruntergebrannte Zigarette von sich zu werfen, bevor er sich seine Finger an ihr verbrannte.
 

Die lange, unbequeme Sitzerei auf dem Stahlträger machte sich langsam durch einen schmerzenden Hintern bemerkbar. David stand auf und streckte sich damit er seine Blutzirkulation wieder in Gang bekam. Dabei bemerkte er gar nicht, dass Igel in der Zwischenzeit ebenfalls seine sitzende Position verlassen hatte und nun hinter David stand.
 

„Du machst dir zu viele Sorgen um die Kleine. So hübsch wie sie ist, so zäh ist sie auch. Und diese Monolith Freaks werden ihr mit Sicherheit nichts tun. Vergiss nicht, wenn sie sie hätten töten wollen, hätten sie die Chance längst dazu gehabt. Du solltest lieber aufpassen, dass die dich nicht schnappen. Hab nämlich absolut keine Lust, dass mir diese Idioten jemanden, den ich gern hab, unterm Hintern wegklauen.“ murmelte der Scharfschütze und sprang mit einem eleganten Satz in die Tiefe.
 

David erstarrte zur Salzsäule. Hatte Igel ihm gerade gesagt, dass er ihn mochte? Vielleicht sprach auch der Wodka aus ihm. Was David allerdings am meisten irritierte, war der Fakt, dass Igel sein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben hatte, als er ihm diese Worte zuflüsterte. Als der Schwarzhaarige von ihm abliess, fühlte David einen kalten Wind um seinen Hals fahren. Es schien fast so, als wäre das ein Zeichen gähnender Leere und der junge Deutsche spürte, dass seine Wangen brannten. Lief er etwa rot an? Wenn ja, weshalb? Er wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Igel kein Interesse an ihm hatte. Zumindest kein Romantisches. Der Scharfschütze hatte mehr als nur einmal verdeutlicht, dass er auf Frauen stand. Und David selbst auch.
 

Und dennoch war er nun verwirrt.

Kapitel 6

Ort: Die Zone

Gebiet: Wächterlager

Kontrolliert von: Duty Fraktion
 

Es gab Tage, an denen Igel sein Leben verfluchte. Wie heute zum Beispiel.
 

Der schwarzhaarige Scharfschütze war ziemlich mies gelaunt. Wenigstens gingen ihm die hiesigen Stalker auf seinem Rückweg zu seinem Quartier aus dem Weg. Sonst hätte es vermutlich Verletzte oder gar Tote gegeben. Zuerst Alexanders Belehrungen und dann die Sache mit David. Er hatte sich mehr von seiner Aktion erhofft aber da hatte er sich offensichtlich zu früh gefreut. Wenigstens brachte er den Deutschen ins Grübeln, da dieser nach seinem Abgang noch eine ganze Weile wie zur Salzsäule erstarrt auf dem Metallträger stand. Der Igelkopf konnte sich ein kurzes, fieses Grinsen nicht verkneifen, das von einem vorbeigehenden Stalker wohl als aggressive Gebärde aufgefasst wurde. Jedenfalls hob dieser zum Zeichen seiner Friedfertigkeit beide Hände und ging seitwärts an ihm vorbei, um so schnell wie möglich das Weite ohne Zwischenfälle zu suchen. Das konnte dem schwarzhaarigen Stachelkopf nur Recht sein.
 

Igel war einer der wenigen Stalker, die im Lager der Wächter ein eigenes, beständiges Quartier hatten. Zwar besass das Zimmer nicht die Luxusausstattung eines fünf Sterne Hotels, aber dafür hatte er das Privileg, eine Dusche sein Eigen zu nennen, während sich die meisten Stalker mit der Gemeinschaftsdusche begnügen mussten. Auch hatte das Quartier zwei massive, schwere Fensterläden, die einem Blowout durchaus standhalten konnten. Der junge Sniper konnte sich seine Bleibe nur durch sein grosses Ansehen leisten. Sonst hätte er wohl mehr als nur Tag und Nacht ackern müssen, um die Miete abzustottern. Zwar war Igel die meiste Zeit über in der Zone unterwegs und sehr selten in der Bar, aber er war mehr als nur froh, dass er sich nicht ein kleines Quartier mit anderen Stalkern teilen oder gar in der Schlafhalle ruhen musste.
 

Igel liess sich rückwärts auf die ausgeleierte Liege fallen, die unter seinem Gewicht ein wenig quitschte. Komfort war hier in der Zone ein Fremdwort und ein richtiges, bequemes Bett ein Traum aus vergangenen Tagen. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und starrte an die Decke. Aus irgendeinem Grund machte sich eine grosse Unruhe und Unzufriedenheit in ihm breit. Am Liebsten hätte der Scharfschütze aus Frust das halbe Lager in die Luft gesprengt oder hätte sich ein paar Bloodsucker oder Snorks vorgeknöpft.
 

Doch seine Gefühle wurden durch eine mysteriöse mentale Barriere blockiert und kamen nur gedämpft an die Oberfläche. Und schliesslich sorgte auch sein Stolz dafür, dass er jeden Auftrag ohne Murren mit grösster Sorgfalt und ohne psychische Kontrolle ausführte. Er war nun mal der Beste, darin bestand kein Zweifel.
 

Igel befand sich gerade im Halbschlaf und driftete langsam aber sicher in die Tiefschlafphase ab, als sein PDA anfing zu blinken. Auch das noch. Konnte man ihm nicht wenigstens nach so einem miesen Tag ein bisschen Ruhe gönnen? Angesäuert rollte er sich auf den Bauch und griff nach dem Gerät.
 

‚Sind auf dem Weg ins Wächterlager.

Müssen Auftrag besprechen.

ETA 0300.

Treffpunkt nordwestliche Baracke.
 

-Spoiler & Doppelkinn’
 

Igel hätte am liebsten seinen silbernen Mini Computer gegen die Wand geworfen, sich umgedreht und die Decke über den Kopf gezogen. In einer halben Stunde müsste er schon wieder aufstehen und sich zum Treffpunkt begeben. Er setzte sich auf, um die ihm verbliebene Zeit für etwas Sinnvolles zu nutzen. Also fing Igel an, sein geliebtes Scharfschützengewehr, die SVDm2, zu warten und hoffte darauf, dass seine beiden Kumpanen so schnell wie möglich wieder die Flatter machten, damit er sich endlich schlafen legen konnte. Und er schwur sich innerlich, dass ihn dann nicht mal mehr ein Blowout aus seinem Schlaf riss.
 

In einem anderen Teil des Lagers lag auch Alexander Marinin wach. Nicht durch die Schnarcherei von anderen Stalkern. Davor wurde auch er zum Glück verschont. Dadurch, dass er und David DIE Ikonen der Zone waren, hatten sie eine Art Ehrenzimmer von den Wächtern erhalten. Sein deutscher Zimmergenosse schnarchte zum Glück nicht, sonst hätte er ihn eigenhändig vor die Tür gesetzt. Aber dafür schlief David diese Nacht mehr als nur unruhig. Ständig wälzte der Deutsche sich auf seiner Liege hin und her. Auch schien er im Schlaf zu murmeln. Hin und wieder hörte Alexander die Namen ‚Kim’ und ‚Igel’ fallen. Klar, er machte sich tierische Sorgen um die junge Skandinavierin und es war mehr als nur verständlich, dass er von ihr träumte, da er offensichtlich Hals über Kopf in sie verliebt war. Auch wenn David sich dessen nicht bewusst war. Was ihn aber überraschte, war, dass der Kleine im Schlaf auch Igels Namen nuschelte.
 

Hatte dieser verdammte Stachelkopf etwa seine Mahnung ignoriert und mit ihm gesprochen? Der junge Deutsche war im Moment ein einziges Nervenwrack und Igels Anwesenheit einfach kontraproduktiv. Verdammt. Dafür hatte er den Schützen doch ausdrücklich ermahnt, sich von David fernzuhalten. Zumindest für die nächste Zeit.
 

„Bitte nehmt mir Kim nicht weg … Igel weshalb tust du das … Bitte … erkennst du mich nicht … Kim du erkennst mich auch nicht …“
 

Bei diesen Wortfetzen fuhr Alexander kerzengerade hoch. Sein Gehirn arbeitete nun auf Hochtouren und jeglicher Anflug von Schlaf war verschwunden. Was hatte dies zu bedeuten? Er wusste, tief in seinem Inneren, dass David keine Albträume hatte. Dies lies nur einen logischen Schluss zu. Der Blonde schien gerade eine Vision zu haben. Eine, die noch eintreten würde. Es fuhr ihm durch Mark und Bein, als er anfing, sich einen Reim daraus zu machen. Igels Name in Zusammenhang mit Kim? Die junge Frau wurde doch von den Monolith Agenten entführt. Gab es womöglich doch einen Zusammenhang zwischen Monolith und Igel? Es war ziemlich schwer vorstellbar, da der Scharfschütze von jenen vor einiger Zeit schwer verletzt und fast gestorben wäre, wenn sich David nicht zufällig in der Nähe aufgehalten hätte. Aber es ist nichts unmöglich. Besonders hier in der Zone. Marinin fühlte ein plötzliches Unbehagen, als er daran dachte, dass Igel vielleicht doch ein verdeckter Agent sein könnte und den Auftrag hatte, David zu entführen. Und keine Mühen und Schmerzen scheute, um an sein Ziel, sprich David, zu kommen. Passen würde es. Und doch gab es Unstimmigkeiten. Igel hätte mehr als nur eine Gelegenheit gehabt, David zu betäuben und ihn davon zu schaffen. Auch hatte er ihm, Alexander, mit präzisen Schüssen aus seiner SVDm2 mehrmals das Leben gerettet. Ebenso umschiffte er geschickt die Patrouillen und Suchkommandos der Monolithen, sodass sie stets ohne besondere Zwischenfälle an ihre Ziele kamen. Das passte nicht ins Profil eines Verräters.
 

Und dennoch hatte Alexander stets ein flaues Gefühl im Magen, wenn er an Igel dachte.
 

Als David anfing, sich immer stärker im Bett herumzuwälzen, stand er auf und ging zu ihm herüber um ihn zu wecken. Jedenfalls hoffte er, dass der Junge aufwachte. Vorsichtig stupste er ihn an und sagte in einem beruhigenden Tonfalle Davids Namen. Allerdings kam keine Reaktion von ihm. Alexander versuchte es nochmals, diesmal lauter und rüttelte ein wenig an seinen Armen, die er beide festhielt. Ein Fehler. Just in diesem Moment riss David seine Augen auf und fing an, ihn zu attackieren. Der Überraschungsmoment sorgte dafür, dass er sich aus Marinins Griff mit Leichtigkeit lösen konnte und traf direkt mit der Faust in seine linke Wange. „DAVID! Hör sofort auf! Ich bin’s, Alexander!“ schrie er den Deutschen an, als dieser unablässig auf ihn eindrosch, während Marinin versuchte, sein Gesicht mit davor gehaltenen Armen zu schützen. „DAVID!“ brüllte er inzwischen und schaffte es, die Arme des Deutschen packen und ihn ins Bett zu drücken. „Lass mich los! Du sollst mich loslassen du verdammter Hurensohn!“ fauchte der Blonde.
 

Hätte Alexander nicht gewusst, dass David halluzinierte, hätte er ihm eine verpasst. Er hielt ihn solange auf dem Bett in festem Griff, bis sich die kleine Furie wieder einigermassen beruhigt hatte. Erst dann wagte es Alexander, seinen Griff ein wenig zu lockern und ihn erneut anzusprechen als er bemerkte, dass das Funkeln in Davids Augen anfing abzuklingen. „David? Komm wieder zu dir, Junge!“ redete diesmal in einem Flüsterton auf ihn ein. „Alexander?“ fiepte David beinahe flehend. „Ja, ich bin es.“
 

Als schliesslich Erkenntnis in Davids Augen erschien, lies Alexander ihn los. Aber der junge Deutsche umarmte ihn schliesslich wie ein kleines Kind, das seinen Teddy verloren und wieder gefunden hatte. „Es tut mir Leid! Bitte verzeih mir!“ schluchzte David in Alexanders Brust. Dieser wusste im Moment gar nicht, was er mit dieser Situation machen sollte. Da sass doch tatsächlich ein 24 Jahre alter, gefährlicher und durchtrainierter Stalker, nur mit einer Hose bekleidet im Bett, brach bald schier in Tränen aus und krallte sich in sein weisses Unterhemd. Was für eine bizarre Welt. Alexander erinnerte sich urplötzlich an seine beiden Söhne. Als sie noch klein waren und Albträume hatten, hatte seine Frau die beiden immer in den Arm genommen und hin und her gewogen. Allerdings waren die beiden zu dieser Zeit noch keine zehn Jahre alt. Es kam ihm beinahe makaber und weltfremd vor, wenn er das jetzt auch noch mit einem längst ausgewachsenen jungen Mann machen würde, aber ihm fiel im Moment nichts Besseres ein.
 

„Shhhh. Ist schon okay, David. Wir alle haben mal einen miesen Traum.“ Alexander versuchte sein inzwischen verstümmeltes väterliches Geschick heraufzubeschwören und ihm so beruhigend wie möglich ein paar Worte der Aufmunterung zukommen zu lassen. Hin und wieder strich er sogar David über die Haare, der alles über sich ergehen lies ohne ihn erneut zu attackieren.
 

„Ich hoffe, dass das ein Traum war. Das was ich gesehen hab war...“ David brach mitten im Satz ab und unterdrückte ein Schluchzen. „Du musst es mir nicht erzählen, Junge.“ Sprach Marinin, doch David schüttelte entschlossen den Kopf. Als er sich schliesslich soweit gefangen hatte, fing er an, von seinem Traum oder seiner Vision zu berichten, löste aber seine Umarmung jedoch nicht. Alexanders Nackenhaare sträubten sich immer mehr, je weiter David mit seiner Geschichte fortfuhr. Eine Horrorvision ohnegleichen. Nicht einmal das gefährlichste Wesen der Zone, der Chimär konnten dieser Story das Wasser reichen und er hoffte inständig, dass das nur ein Albtraum war.
 

„Ich will Kim und Igel nicht verlieren. Nicht so.“ endete Rothe. Seine Stimme klang müde, heiser und geschlagen. „Keinen von beiden. Ich hoffe, dass das alles nicht zur Wirklichkeit wird.“ Alexander hob seinen linken Arm und gab ihm zu verstehen, dass er nicht weitersprechen sollte, da seine Stimme beim letzten Satz wieder anfing zu zittern. „Keine Panik. Solange ich dabei bin, werde ich dafür sorgen, dass nichts von all dem eintritt. Versprochen.“ Eine glatte Lüge. Aber wenn es half, David zu beruhigen, würde er ihm das Blaue vom Himmel erzählen. Marinin spürte, wie David an seiner Brust nickte und dann seine Muskeln entspannte.
 

Eine ganze Weile sass er noch auf Davids Bett und hielt ihn fest, bis er merkte, dass der Junge eingeschlafen war. Der Major konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und legte ihn wieder in sein Bett und deckte ihn zu. Als er sich wieder auf den Weg in sein Bett machte, strich er dem Deutschen noch ein letztes Mal durch die Haare. „Du hast was Besseres verdient, als diese ganze Scheisse hier. Ich schwöre, dass wir das alles so schnell wie möglich aufklären und du endlich ein ganz normales Leben führen kannst. So wahr ich hier stehe, mein Sohn.“ Oh ja, David war für ihn zu seinem Sohn geworden und er wollte nur das Beste für ihn. Mit diesen Gedanken schlurfte er wieder in sein Bett und schlief nach kurzer Zeit ebenfalls ein.

Kapitel 7

Ort: Die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Agent Wronski befand sich gerade nach beendeter Schicht auf dem Weg in sein Quartier, als sein PDA anfing zu blinken. ‚Kommen Sie unverzüglich zum Kontrollraum.’ lautete die Nachricht. Er fragte sich innerlich, weshalb in letzter Zeit so oft nach ihm verlangt wurde. War Charon nicht Leuvkov’s rechte Hand? Ach ja, dieser hielt sich momentan im Monolith Hauptquartier in Pripyat auf und hatte alle Hände voll zu tun. ‚Die Auserwählten und Wissenschaftler finden’ lautete sein Auftrag. Monolith hielt die Fäden inzwischen sogar ausserhalb der Zone in der Hand. Viele wichtige Persönlichkeiten aus Politik und Militär befanden sich unter der Kontrolle ihres allmächtigen Monolithen. Deshalb konnten sie unter ihrem Deckmantel jegliche Entführungen und Auftragsmorde durchführen, ohne dass jemals etwas ans Tageslicht kam. Wronski war froh, dass er den Weg der Erleuchteten betreten hatte und der Monolith ihm Kraft und Glauben schenkte. Ihm war es egal, dass sich die hiesigen Wissenschaftler im AKW für was Besseres hielten. In seinen Augen waren sie ungläubige wilde Tiere, die des Monolithen Gnade unwürdig waren. Irgendwann würde er sie alle für ihre Verachtung strafen. Solange mussten sich die Gläubigen im Hintergrund halten und jeden Auftrag zur vollsten Zufriedenheit ausführen. So lauteten die Worte des Monolithen, die durch ihren Anführer Leuvkov verkündet wurden. Wronski lächelte ein wenig. Die Zeit würde bald kommen. Sehr bald.
 

Dobrynin wurde etwas ungeduldig. Sein bester Agent liess sich einfach zuviel Zeit, den jungen Rothe herzuschaffen. Charon konnte er schlecht abziehen, da seine Agenten mit anderen Entführungen beschäftigt waren und durch die ständigen Kontaktabbrüche zum Kollektiv so wie so schon unruhig wurden. Irgendwas war im Busch. Soviel stand schon mal fest. Solange das Kollektiv nur auf halber Kraft fuhr, entglitt ihm langsam aber sicher die Kontrolle über die Zone und die Monolith Agenten. Deshalb musste er jetzt Kim Raika unbedingt in den Verbund integrieren, obwohl sie noch nicht dafür bereit war. Das Kollektiv würde schon dafür sorgen, dass sie ihre Aufmüpfigkeit verlor und sich dem Willen der allmächtigen Noosphäre fügte. Seine Gedanken kreisten erneut zu dem letzten Individuum, dass er für die vollständige Kontrolle über die Noosphäre benötigte. Leuvkov muss seine Kreise nun enger ziehen und ihn so schnell wie möglich ins AKW schaffen. Da das Kollektiv immer mehr bröckelte und die telepathischen Verbindungen zu den Agenten immer öfter unterbrochen wurden, mussten die letzten Instruktionen an ihn durch Boten überbracht werden. PDA’s konnten abgehört oder gehackt werden. Selbst wenn er die Nachrichten löschen würde, gäbe es immer noch Wege und Mittel bei Verdacht sämtliche Informationen auf dem Minicomputer wieder herzustellen. Verdammte menschliche Technik. Die Boten zu schicken war ein gefährliches Unterfangen, da in letzter Zeit immer mehr Banditen und Söldner die Wege belagerten und auf alles ballerten, was ihre Wege kreuzte. Und das schwächelnde Kollektiv konnte sich nicht vollständig darauf konzentrieren, die Boten sicher durch die Zone zu dirigieren. Sie konnten sie nur für einige Instruktionen kurz durch die den Agenten eingepflanzten Symbionten posthypnotisch konditionieren. Aber sonst war jede Einheit auf sich selbst gestellt.
 

Dobrynin wollte gerade durch die Glastür in den Raum mit den Tanks gehen, als es an der gegenüberliegenden Tür piepte. Ah, sein Agent war hier. „Herein.“ Wortlos trat der hoch gewachsene blonde Agent ein und nickte dem Professor zu. „Sie wünschen mich zu sprechen?“ Dobrynin setzte sich in einen alten Ledersessel, der hinter einem antiken Schreibtisch stand. „Sehr wohl, Agent Wronski. Bitte berichten Sie, wie es um die Auserwählte steht. Sie müssen verzeihen, dass ich sie direkt hierher in den Kontrollraum gebeten habe, aber es gibt in letzter Zeit zu viele undichte Stellen, die ihre Ohren zur falschen Zeit am falschen Ort haben.“ Er stütze seine Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte sein Kinn auf die Handrücken während er Wronski abwartend ansah. Dieser stand in gewohnter militärischer Haltung aufrecht und mit den Armen im Rücken verschränkt vor ihm. SAS Drill vom Feinsten. „Die Auserwählte fängt inzwischen an, Nahrung aufzunehmen und verhält sich uns Agenten gegenüber nicht mehr feindselig. Sie glaubt, dass wir sie vor den Zugriffen Kochow’s schützen.“
 

Ein hinterhältiges Glitzern leuchtete in Dobrynin’s Augen auf. „Soso. Also ist der Wurm doch noch für was gut. Aber behalten Sie es für sich, Agent. Wir werden morgen um 0900 einen erneuten Anlauf starten und die Auserwählte in das Kollektiv integrieren. Sobald dieses Unterfangen von Erfolg gekürt wird, entledigen Sie sich Kochow’s. Zwei Agenten haben bereits in Moskau einen Wissenschaftler ausfindig machen können, der auf dem Gebiet der Biochemie eine wahre Koryphäe ist. Er befindet sich bereits auf dem Weg hierher.“ Wronski nickte, wartete aber ab, ob der Professor nicht doch noch was zu sagen hatte. „Passen Sie heute Nacht gut auf Kim Raika auf. Der Monolith hat die Befürchtung, dass heute Nacht irgendwas passieren wird. Wir müssen ihm so schnell wie möglich die Auserwählten opfern, damit er wieder in seinem alten Glanz erstrahlen kann. Das ist sein Wille und wir werden ihm dienen.“ Dobrynin legte seinen Kopf schief und kniff die Augen zusammen. Es missfiel ihm zutiefst, dass er sich als Jünger seiner eigenen Erfindung ausgeben musste, aber er hatte bereits eine Vorahnung, dass die Monolith Stalker allmählich anfingen, ihr eigenes Hirn zu benutzen und eine eigene Ideologie vom Monolithen erschufen und immer mehr anfingen, die Wissenschaftler verachteten. Immer wieder kam es zu Befehlsverweigerungen. Es missfiel ihm zutiefst, dass ihm die Kontrolle langsam aber sicher entglitt, aber wenn er es so drehen konnte, dass der Monolith kränklich erschien und dringend Hilfe brauchte, konnte er die Agenten wenigstens noch ein Stück weit unter Kontrolle halten. „Das wars. Sie können gehen, Agent Wronski.“ Der Stalker nickte und wandte sich ab, um zur Tür zu gehen.
 

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, vergrub Dobrynin sein Gesicht in seine Hände und seufzte tief. Weshalb liess sich Leuvkov so viel Zeit? Hätte er nicht vielleicht doch Charon schicken sollen? Leuvkov war dafür bekannt, dass er gerne spielte, aber dennoch führte jede Mission mit unglaublicher Präzision aus. An ihm konnte es nicht liegen. Doch Dobrynin befand es für besser, sich mit dem Anführer der Monolithen in Verbindung zu setzen.
 

Wer die Herrschaft wollte, musste mit Hindernissen rechnen. Aber die Zeit lief ihm einfach zu schnell davon.
 

Und dass die Erde auf einmal anfing zu beben, bestätigte seine Befürchtungen nur noch.

Kapitel 8

Ort: Die Zone

Gebiet: Wächterlager

Kontrolliert von: Duty Fraktion
 

Nachdem David schweissgebadet aufgewacht war, konnte er einfach nicht mehr einschlafen. Sein Traum ging ihm durch Mark und Bein. Er konnte ihn einfach nicht als Albtraum abtun und sich wieder schlafen legen. Um wieder zur Ruhe kommen tigerte er für eine Weile im Zimmer auf und ab. Doch seine Gedanken wanderten immer wieder zu Kim und er musste ständig an seinen Traum denken. Konnte er dem irgendwie entgehen? Er benötigte nicht mal eine Minute um nachzudenken, da sein Entschluss so wie so schon feststand. Also zog sich der Blonde schnell seine Flecktarnhose und seine Kapuzenjacke über, schulterte sein Sturmgewehr und verliess so leise wie möglich das Zimmer, ohne Alexander zu wecken, der inzwischen wieder schlief.
 

Es war gerade mal 0400 und zu dieser Stunde waren nur noch einzelne Wachposten im Freien. Ab und an ratterte ein MG für ein paar Sekunden los, dass auf blinde Hunde und Zombies zielte, die es wagten der Bar zu nahe zu kommen. Vermutlich war einer der Schützen Jiiri, ein junger Wächter, der noch voller Elan und Tatendrang steckte. Mögen ihm noch viele Abschüsse zu Gute kommen. Als er die Absperrung im Norden, die Richtung Militärbasis führte, erreichte, sah er, dass zwei dort postierte Wachen ihn bereits entdeckt hatten. Glücklicherweise verhielten sie sich ihm gegenüber nicht feindselig, das fühlte er, aber er nahm sich lieber in Acht. „Halt!“ rief einer von ihnen. „Was führt dich denn zu dieser Stunde hierher?“ fragte der andere. David antwortete trocken „Hab soeben einen neuen Auftrag vom Barkeeper erhalten und nur einen Tag Zeit dafür. Muss was aus der Basis von Freedom klauen hier her bringen. Deshalb muss ich sofort los. Wenn ich die noch bei Nacht erwische, hab ich leichteres Spiel, da die meisten pennen.“ Die beiden Wächter fingen an zu grinsen. „Na das hören wir aber gerne! Endlich mal wieder jemand, der es auf die Hundesöhne von Freedom abgesehen hat. Was sagen Chekhov und ich immer: Nur ein toter Freedom ist ein guter Freedom. Auf fröhliches Gelingen Junge! Und komm heil wieder zu uns zurück! Duty wird dir immer einen Ehrenplatz frei halten!“ Mit diesen Worten machten sie den Weg zur Militärbasis frei und David setzte seinen Weg unbeirrt fort.
 

Sein Herz fing an zu rasen, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er sich auf einer Mission ohne Wiederkehr befand und er alleine war. Doch er konnte jetzt nicht Kehrt machen und wie ein geschlagenes feiges Hündchen zurück krebsen. Er war nicht umsonst der erste Stalker, der je die Zone betreten hatte. Er schärfte seine Sinne, um vorher sehen zu können, wo sich Anomalien und Mutanten befinden können und setzte seinen Weg in die gefährlichen Tiefen des Armeelagers fort.
 

Langsam aber sicher trat die Morgendämmerung ein. Durch den langsamen, aber stetigen Temperaturanstieg fing das feuchte Gras an zu dampfen und ein dichter Nebelschleier kroch von den Talsenken herauf. Aus der Ferne konnte er einen Pseudogiganten röhren hören, der wohl gerade ein mutiertes Wildschwein gerissen hatte und sich nun an dessen verstrahlten Fleisch labte. Stalker hassten Dunkelheit und Nebel wie die Pest, da ab und an auch mal ihre Nachtsichtgeräte ausstiegen und sie sich quasi blind fortbewegen mussten. Taschenlampen halfen leider auch nicht viel. Deren Lichtkegel waren einfach zu klein und die Batterien für eine optimale Beleuchtung einfach zu schwach. Zu dieser Stunde wurden die meisten Stalker von nachtaktiven Kreaturen wie die Bloodsucker getötet. Oder sie rannten in die nächste Anomalie, die im Dunkeln unsichtbar lauerte. Egal ob sie solo oder im Team unterwegs waren. Auf seinen Streifzügen mit Alexander, Igel und Kim kam David häufig an einzelnen toten Solitärstalkern und ab und zu sogar an ganzen Zügen von Fraktionsstalkern wie Duty vorbei, die unvorsichtig in Anomalien wie Fleischwölfe oder Karussells traten und ihr Leben liessen. Von letzterer Anomalie zeugten lediglich verwitterte Waffen oder andere Ausrüstungsteile in einigen Metern Entfernung vom Ableben ihrer Opfer. Ein Karussell zerlegte die Unglücklichen, die in sie traten, in ihre atomaren Bestandteile.
 

David legte einen Gang zu, da laut seinem PDA ein paar hundert Meter weiter ein Dorf verzeichnet war, dass sich ‚Das Dorf der Bloodsucker’ nannte. Der Minicomputer konnte zwar nicht bestätigen, ob dort tatsächlich diese Mutanten hausten, aber er wollte sein Glück auch nicht herausfordern und nachschauen – zumal er für eine Erkundungstour sowieso keine Zeit hatte. Sein silberner Minicomputer zeigte ihm dafür eine schön übersichtliche Karte über dieses Gebiet auf. Er musste einen Bogen um das Dorf machen und sich östlich halten. Auf der Strasse bleiben war auch keine Option. Sonst wäre er für Wegelagerer ein gefundenes Fressen. Also ging er etwas versetzt neben der Strasse und nutzte jeden Baum und jedes Gebüsch, um sich Deckung zu verschaffen.
 

Selbstverständlich war er schon einmal hier gewesen. Aber das waren andere Zeiten. Damals gab es keine Stalker oder Fraktionen, die sich bis aufs Blut bekriegten. Es ging einzig allein um die Erforschung der Zone. Wie mysteriöse Fraktion mit Namen Clear Sky von deren Existenz er in der Bar erfahren hatte. Diese allerdings, so hörte er, verschwand vor einiger Zeit aus unerklärlichen Gründen aus der Zone. Sei es durch einen Unfall oder sonst was. Auf alle Fälle bestätigten einige Stalker, dass Clear Sky auf dem Weg nach Norden ins AKW war.
 

Auch waren vor vier Jahren keine gefährlichen Mutanten wie Snorks oder Bloodsucker unterwegs. Es gab lediglich die mutierten blinden Hunde, ein paar armselige Zombies und hin und wieder mal lief ihm ein Controller über den Weg, der allerdings bei Weitem ungefährlicher war als heute. Mehr war nicht. Damals hatte David nur sein Jagdgewehr, eine Winchester, und seine übernatürlichen Fähigkeiten, die ihn am Leben erhielten.
 

Doch nun war alles anders. Nun hatte er eine Ausrüstung vom Feinsten zur Verfügung. Geigerzähler, Detektoren, spezielle Medikits für Verletzungen, Spezialnahrung, das PDA und hervorragende Waffen. Im Prinzip müsste es ein Kinderspiel sein, ins AKW zu gelangen, doch der Schein trug. Auch die hiesigen Mutanten entwickelten ihre Sinne und Fähigkeiten stets weiter, die intelligenteren von ihnen hatten sogar Strategien, wie sie ganze Gruppen reissen konnten ohne auch nur bemerkt zu werden. Ebenso gab es inzwischen zu viele menschliche Feinde in der Zone. Überall konnte ein Heckenschütze lauern oder man rannte direkt einer feindlich gesinnten Patrouille oder Gruppe in die Arme. Hier, im Vorhof zur Hölle, galt nur: erst schiessen, dann fragen. Selbst wenn man einer Fraktion freundlich gesinnt war, hiess das nicht gleich, dass sie kein ‚Friendly Fire’ auf einen eröffneten. Dann waren da noch die selbsternannten Beschützer der Zone. Die Monolithen. Diese waren der Grund, weshalb es quasi unmöglich war sich dem AKW nähern ohne durchsiebt zu werden. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, gab es in der Nähe des Roten Waldes eine Art Strahlung, die einem das Hirn wortwörtlich schmelzen liess. Wer ihr zu nahe kam, musste sein Dasein fortan als dummer Zombie fristen, der nur noch sinnlose Wortfetzen von sich gab.
 

David schauderte als er an seine Optionen dachte. Er konnte zwischen einem Übel und dem anderen wählen. Auf alle Fälle war Rückzug keine Lösung. Er musste etwas unternehmen oder er würde auch ohne den Hirnschmelzer verrückt werden. So setzte er einen Fuss vor den nächsten und versuchte sein Gleichgewicht zu halten, da er offensichtlich vor Nervosität schwankte.
 

Oder nicht?
 

Er hielt auf der Stelle inne als er merkte dass der Boden unter ihm tatsächlich leicht vibrierte. Kaum spürbar, aber sie war da. Gleichzeitig fing auch sein Kopf an schmerzen. Glühende Stiche bohrten sich in sein Hirn und er hatte das Gefühl, vor Schmerz gleich ohnmächtig zu werden. Er erinnerte sich auf einmal daran, dass er genau diese Symptome schon mehrmals hatte: Herzrasen, Kopfschmerz, Zittern, Nervosität. Ebenso erinnerte er sich an ein leichtes Beben, das nun immer intensiver wurde.
 

Abrupt riss er seinen Kopf in die Höhe und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass der Himmel sich aus Richtung des AKWs im Norden trotz des dunklen Nachthimmels schlagartig errötete und grelle Blitze das Firmament durchzogen. Zur Bestätigung seiner Vorahnung hörte er auf einmal ein dumpfes Donnern.
 

Ein Blowout.
 

Ausgerechnet jetzt.
 

Diese Phänomene sorgten dafür, dass sich die Zone ständig ausweitete. David versuchte sich zusammen zu reissen. Schiere Panik half jetzt nichts. Im Gegenteil. Wenn er jetzt der Kopf verlor, würde er sterben. Der Blondschopf schaute mit zittrigen Händen auf sein PDA um den nächstbesten Unterschlupf herauszufinden. Er befand sich bereits zu weit von der Bar weg, als dass er es noch rechtzeitig zurückschaffen könnte. Die einzige Option ist die Basis der Freedom Fraktion im Süd-Osten des Gebiets. Diese befand sich ungefähr zehn Minuten im Laufschritt entfernt. Ohne auch nur einen Moment daran zu denken, dass diese Fraktion ihm gegenüber vielleicht feindlich gesinnt wäre, setzte er sich in Bewegung. Glücklicherweise hatte er nicht soviel Marschgepäck dabei und sein Nachtstern half ihm, sich leichter fortzubewegen. Das Donnern kam immer näher und der Himmel über ihm färbte sich inzwischen blutrot. Blitze zuckten nun direkt über seinem Kopf und ein starker Wind riss ihn fasst von den Füssen. Das Tosen wurde so unerträglich, dass er seine Arme hochriss sich die Ohren zuhielt. Aus seinen Augenwinkeln heraus sah er, dass einige Mutanten in Panik an ihm vorbei nach Süden rannten um ebenfalls irgendwo Schutz zu suchen. Er konnte schwören dass auch drei Pseudowesen unter den Flüchtenden dabei waren. Doch das kümmerte ihn im Augenblick herzlich wenig, er musste unbedingt die Basis erreichen.
 

Der Boden bebte immer stärker und David hatte erhebliche Probleme sich auf den Beinen zu halten. Doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund konnte er den Nachtstern nicht aktivieren, sodass er schweben konnte und so zumindest dem Beben entgehen konnte. Das Artefakt glühte zwar in seiner Brusttasche, machte aber keine Anstalten, ihn in die Höhe zu tragen.
 

Ein paar hundert Meter vor ihm tat sich auf einmal durch den Sturm aus Staub, Wasser, Nebel und herumfliegendem Geäst die Sicht auf die riesige Basis der Freedom auf.
 

David atmete erleichtert auf. Er würde es mit Sicherheit dorthin schaffen. Durch seine Euphorie konzentrierte er sich nicht mehr auf die Umwelt und bemerkte zu spät einen grossen Ast, der ihm durch eine enorme Druckwelle entgegengeflogen kam.
 

Auf einmal wurde alles um ihn herum schwarz.

Kapitel 9

Ort: Die Zone

Gebiet: Militärbasis

Kontrolliert von: Freedom Fraktion
 

Einige Sonnenstrahlen, die durch ein beschädigtes Fenster eines kleinen heruntergekommenen Zimmers traten, trafen David dermassen heftig ins Gesicht, dass er blinzeln musste und sich eine Hand vor die Augen hielt, als er langsam zu Bewusstsein kam. Rasende Kopfschmerzen begleiteten ihn, als er den Kopf drehte um sich im Raum umzuschauen. Das letzte, an das er sich erinnern konnte war, dass ihn ein grosser Ast am Kopf traf, als er um sein Leben rannte. Draussen hörte er die aufgeregten Lautsprecherdurchsagen eines Schreihalses, der offensichtlich Entwarnung gab und sich die Bewohner dieses Areals wieder blicken lassen konnten. Der Blowout war demnach also vorbei.
 

Wie um alles in der Welt war er hier her gekommen? Dies war definitiv die Basis der Freedom Fraktion, da der Schreihals ständig was von Freedom brabbelte. Oder halluzinierte er? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war ein entgegenkommender Ast, der auf ihn zu geflogen kam.
 

David wollte sich aufrichten, als ihm ein stechender Schmerz in der rechten Schulter und Schwindel, ausgelöst durch die Kopfschmerzen, einen Strich durch die Rechnung machten und er sich kraftlos wieder ins Bett fallen lies.
 

„Nana, jetzt schalt aber mal n Gang zurück Junge!“ tönte es durch eine offene Tür. Rothe starrte in die Richtung, aus der die Stimme kam und suchte automatisch nach seiner Waffe, die leider am anderen Ende des Zimmers an der Wand lehnte. Auf dem Gang sass ein Stalker mit dem klassischen Freiheits-Sturmanzug und schaute neugierig ins Zimmer. David hatte ihn nicht bemerkt, da er sich augenblicklich nicht auf seine Fähigkeiten konzentrieren konnte. Die Schmerzen waren im Moment einfach zu stark.
 

„Wo bin ich hier?“ krächzte er. Die Wache an der Tür grinste. „Oha, da hat wohl jemand ganz schön was an die Birne bekommen. Du bist hier der Basis der Freedom Fraktion. Du bist doch David Rothe, nicht wahr? Freut mich, so eine Ikone bei uns zu haben. Unser Anführer Lukasch würde gerne ein paar Worte mit dir wechseln, wenn du wieder fit bist! Ach ja, und du kannst so lange bei uns bleiben wie du willst! Immer eine Ehre, dich bei uns zu haben! Mein Name ist Max.“ Gespielt salutierte er. Max schien sich offensichtlich zu freuen, dass er hier war. Doch David hatte nicht vor, sich allzu lange hier aufzuhalten oder sich ihnen gar anzuschliessen. Er musste so schnell wie möglich wieder fit werden und seinen Weg fortsetzen. Um Kims Willen.
 

„Wie bin ich hierher gekommen?“ fragte er Max. Dieser grummelte ein wenig und wollte nicht so richtig mit der Sprache rausrücken. David war momentan nicht in der Lage, seine Fähigkeiten konzentriert einzusetzen und ihn mittels Empathie zum Sprechen zu bringen. Das würde mit Sicherheit in die Hose gehen. Also musste er ihn wohl oder übel verbal bearbeiten. „Naja, kurz bevor der Blowout unsere Basis erreichte, hämmerte so n Typ wie wild an die Tore. Wollten zuerst nicht aufmachen, da die glühende Eruptionswelle immer näher kam, aber wir liessen ihn schliesslich doch noch rein, als er sagte, dass er dich dabei hatte. Der Typ hat dich wie n Sack über seine Schultern geworfen gehabt als wir die Tore öffneten.“ David war nun hellwach und setzte sich abrupt auf. Dabei ignorierte er den aufkommenden Schwindel und die Übelkeit. „Jemand hat mich gerettet und hier her gebracht? Und das war keiner von euch?“ Max nickte. „Yo. Warn n Kerl mit ner Igelfrisur und Sonnenbrille. Ein komisches aber lustiges Kerlchen, ehrlich.“ Die Wache scharrte verlegen mit dem Fuss auf dem staubigen Boden. Der Deutsche hingegen fixierte ihn jetzt wie ein Adler, der gerade seine Beute erblickt hatte. Irgendwas verheimlichte Max. „Igel hat mich gerettet? Und wo ist er jetzt? Sag es mir!“
 

Max fand auf einmal seine Stiefel und den Boden ganz interessant und wollte nicht so recht antworten. Auch konnte er Davids Blick nicht länger standhalten. „Sag es mir! Ich muss wissen wo er ist!“ harkte David noch mal nach und achtete darauf, dass er nicht allzu laut wurde. Stalker vertrugen es nicht, wenn sie jemand anfuhr. „Tja, unser Boss glaubt, er sei ein Monolith Stalker und deshalb haben wir ihn gefangen genommen… und befindet sich im Moment in einem Verhör.“ Rothe glaubte nicht was er da hörte. „WAS? Seid ihr bescheuert? Igel ist mein Freund! Er ist kein Monolith!“ Er konnte es einfach nicht fassen. „Wenn das wahr ist, solltest du dich besser beeilen. Unsere Leute sind überhaupt nicht davon begeistert, einen hirnverbrannten Monolith Fanatiker in unserer Basis zu haben. Die wollen ihn nach dem Verhör exekutieren damit er nix über uns bei denen ausplaudert.“
 

Doch David hörte nur noch das Wort exekutieren und stürzte aus dem Bett. Die Kopfschmerzen schienen schier sein Hirn zur Explosion zu bringen, doch verdrängte er das Hämmern. Die ersten paar Meter schwankte er gefährlich und wäre beinahe der Länge nach auf den Boden geknallt, doch der Deutsche biss sich auf die Zähne und rannte wie vom Teufel getrieben die Treppen herunter. Als er fast unten war, rief ihm Max von oben noch hinterher, dass sich Igel bei Lukasch in einer Arrestzelle im südlichen Trakt befand.
 

Einige Freedom Stalker staunten nicht schlecht, als ein nur mit Boxer Shorts und Verbänden bekleideter junger Mann über das Areal spurtete. Schrauber, der gerade zufällig seinen Kopf aus einem Fenster seiner Werkstatt steckte, schüttelte nur den Kopf und murmelte irgendwas von verrückten Flitzern und das die Moral von Freedom auch nicht mehr die war, was sie mal war. Die anderen hingegen fanden das Schauspiel jedenfalls lustig. Der Schreihals am Megaphon, der Non Stop Kriegsparolen über das Gelände plärrte, schien ihn wohl auch bemerkt zu haben und wies noch gröhlend darauf hin, dass der Kleine für einen Flitzer noch zu viele Klamotten anhatte und stellte die Reggae Musik ein wenig lauter.
 

David war das alles herzlich egal. Er durfte einfach nicht zu spät kommen. Er rannte so schnell es seine Erschöpfung zuliess zum Bunker, in dem Igel gefangen gehalten wurde. Trotz seiner im Vergleich zu anderen Stalkern kleinen Körpergrösse, stiess er zwei vor dem Bunker postierte Wachen um. Ein paar Meter weiter hörte er Stimmen.
 

„Rede endlich, du verdammter Hurensohn!“ dröhnte ihm eine Stimme entgegen, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen. David konnte sich denken, dass es sich um den Anführer Lukasch handelte. Aber es war ihm herzlich egal. Ihm fiel in dem Moment ein Stein vom Herzen, als ihm bewusst wurde, dass Igel noch am Leben war.
 

„Hört auf!“ schrie er als er durch die Tür hereingestürmt kam. Drei Freiheitler, die sich zum Schutze Lukaschs’ ebenfalls im Raum befanden, drehten sich innerhalb von Sekundenbruchteilen herum und zielten mit ihren Sturmgewehren auf David. Freedom bezog ihre Waffen von der NATO, soviel war klar. Auch wenn es diese westliche Institution niemals zugeben würde. „Er ist kein Monolith Stalker!“ Rothe brachte nur noch ein Keuchen zusammen, als er sich mit beiden Händen an der Tür festhielt, die nach innen offen stand. „Er ist okay. Lasst ihn frei.“ Sagte er dann wieder mit festerer Stimme. Danach taumelte er zu Igel, der gefesselt auf einem Stuhl sass und versuchte, ihn von seinen Fesseln zu befreien.
 

Sein Freund sah aufs Übelste lädiert aus. Er blutete stark am Kopf und aus dem Mund. Erstaunlicherweise hatte seine Sonnenbrille einen Flug in das nächste Eck auf wundersame Weise überstanden und wies keinerlei Fraktur auf. Anders als bei Igel selbst. Dem Scharfschützen selbst wurde offensichtlich das Nasenbein gebrochen und war der Bewusstlosigkeit ziemlich nahe. Dadurch, dass ihm seine Kapuzenjacke runtergerissen wurde und er nur noch seine Flecktarnhose und sein Tank Top anhatte, wurden ihm hoher Wahrscheinlichkeit auch noch ein paar Rippen gebrochen. Igel versuchte seine Augen zu öffnen, doch es misslang ihm. So konnte er nur noch eines machen: Davids Namen flüstern. Seine Stimme versagte allerdings und so brachte er nur ein erbärmliches Krächzen aus seiner Kehle. „Hab gewusst, dass du mich nicht hängen lässt. David.“ „Keine Sorge, Igel, ich hol dich hier raus.“ Doch bevor David weiter an dem Knoten rumhantieren konnte, der Igels Hände an der Rücklehne des Stuhls band, wurde er von hinten gepackt und von ihm fortgezerrt. Ein Stalker mit Bart und kalten Augen trat in sein Sichtfeld und starrte ihn unverwandt an.
 

„Du bist schneller wieder aufgedacht, als wir dachten. Was macht dich so sicher, dass er kein Monolithen Sektenarschloch ist?“ Seine Stimme klang eisig. „Schau doch auf seinen rechten Unterarm. Da ist keine Tätowierung mit der Aufschrift S.T.A.L.K.E.R. zu sehen.“ zischte David. „Ach ja? Und wer gibt uns die Garantie, dass er die Tätowierung nicht irgendwie vertuschen kann? Haben in letzter Zeit immer mehr Monolith Arschlöcher erwischt, die keine Tätowierung am Arm hatten, die aber definitiv zur Fraktion gehörten.“ David schaute ihm direkt und herausfordernd in die Augen. Er hasste Machtspielchen und ging ihnen so gut es ging aus dem Weg, aber hier war es unvermeidlich. Hier durfte er keine Schwächen zeigen und keine Antworten geben. „Und wer gibt MIR den Beweis, dass er wirklich ein Monolith Stalker ist?“ fragte er herausfordernd. Lukasch ging zu Igel herüber und riss seinen Kopf unsanft an den stacheligen Haaren hoch. Dieser stöhnte dabei schmerzvoll auf. „Dieser Typ hier kam letztes Jahr bei uns vorbei um sich uns anzuschliessen. Können uns noch genau an ihn erinnern. Er war ein hervorragender Schütze und aus diesem Grund postierten wir ihn am Übergang zum Roten Wald um eindringende Monolithen auszuschalten. Hatte sich wohl damals übernommen. Jedenfalls rannte er einem Flüchtenden hinterher in den Roten Wald und ward seitdem nie mehr gesehen. Dachten, er wäre dem Hirnschmelzer zum Opfer gefallen oder sonst was. Und jetzt hämmert er fröhlich bei einem Blowout mit unserer grossen Ikone auf dem Rücken an unsere Tore. Wenn das mal nicht nach Verschwörung riecht.“ Lukaschs’ Stimme klang ätzend und David fing an, sich auch so zu fühlen.
 

Er wusste nichts über Igels früheres Leben. Rein gar nichts. In dieser Hinsicht war es aber auch seine eigene Schuld; er hatte nie danach gefragt. Igel war zwar redselig wie ein Wasserfall, doch Konversation bestand ausschliesslich aus Smalltalk über Bettgeschichten oder wenn er doch mal etwas Vernünftiges von sich gab, kam er mit neuen und durchaus funktionierenden Ideen, wie man schnell und ohne grossen Aufwand an Geld oder seltene Artefakte gelangen konnte.
 

„Vielleicht ging ihm deine Art gegen den Strich. Oder er hatte Mist gebaut und traute sich nicht, zu euch zurückzukehren und er deshalb wieder seiner eigenen Wege ging.“ zischte der Deutsche und wunderte sich, dass er nicht schon längst einen Schlag ins Gesicht bekommen hatte. Lukasch starrte ihn einfach nur an. Seine Leibwache hingegen hielt sich dezent im Hintergrund. Entweder wussten sie, dass die Diskussion gleich zu eskalieren schien oder sie verfolgten das Schauspiel aus reiner Neugier und verhielten sich deshalb ruhig in der Hoffnung, dass keiner von ihnen rausgeworfen wurde und deshalb später nichts mehr zu tratschen hatte. Schon allein der Anblick, dass ihr Anführer sich mit einem nur in Unterhosen bekleideteten Typen stritt, war mehr Wert als sämtliche Artefakte der Zone zusammen. Wenn Blicke töten könnten, wäre David jetzt wohl mehr als nur einmal gestorben. „Wir sind Freedom. Unser Ziel ist es, die Zone zwecks Forschungen für jeden frei zugänglich zu machen. Wir schrecken auch nicht davor zurück, Terroranschläge zu verrichten und Massaker zu veranstalten. Uns kann sich jeder anschliessen, der an das Gleiche glaubt, wie wir. Keiner geht bei uns irgendeine Verpflichtung ein. Er kann kommen und gehen, wie er will.“ Sagte er monoton. Eine ganze Weile lang fixierte er mit kalten Augen den Deutschen. Die Luft in der Zelle knisterte vor Anspannung regelrecht. „Also gut. Nimm ihn mit. Aber du allein trägst die Verantwortung dafür, wenn er sich irgendwann als Sektenmitglied outet. Wenn dem so wäre, hoffe ich, dass das nicht hier in dieser Basis passiert, sonst muss ich euch leider beide kaltmachen.“ sagte er und mit einem Wink befahl er seinen Leuten, ihm zu folgen und den Bunker zu verlassen, ohne den Deutschen und seinem Begleiter auch nur eines Blickes zu würdigen.
 

Auf einmal stand David mit Igel alleine im Bunker da. Schweigend hing er seinen Gedanken nach; Lukaschs’ Worte waren wie eine Faust in den Magen. Erst, als Igel anfing zu husten, wurde er sich wieder seiner Umwelt bewusst und machte sich darauf, seinen Freund zu befreien. Bevor er Igel hoch half, setzte er ihm noch seine Ray Ban auf. „Du scheinst einen Faible dafür zu haben, dich in Schlägereien zu verwickeln.“ murmelte David als er Igels linken Arm um seine Schulter legte um ihn beim Laufen zu unterstützen. Der Stachelkopf grinste gequält und gab mit heiserer Stimme und unter diversen Hustanfällen leidend zurück „Und du bringst dich generell immer in Schwierigkeiten. Siehe Wildschwein von damals, der doppelköpfiger Bloodsucker im Moorbahntunnel, der Zwischenfall mit dem Feuerkäfer auf dem Bauernhof und der heutige Blowout. Und nur so nebenbei: nette Unterhosen hast du da an.“ David schaute ein wenig verlegen auf die Seite und sagte etwas Unverständliches. Freundlich war es auf alle Fälle nicht gemeint, da Igel die Wörter ‚Idiot und Arschloch’ raushören konnte. „Ist ja gut, David, ich liebe dich auch.“ Sein Lachen erstarb allerdings kurz darauf und er jaulte vor Schmerz, als ihm zum Dank eine angebrochene linke Rippe gänzlich gebrochen wurde. „Geschieht dir Recht. Ich verreck fast vor Sorge um dich und renn schier nackig und dem Gefühl, dass mein Kopf gleich explodiert, über die halbe Basis und du hast nichts besseres zu tun, als dumme Sprüche loszulassen.“ maulte der junge Deutsche. Igel lächelte nur gequält.
 

Einige Mitglieder von Freedom konnten sich ein Gelächter einfach nicht verkneifen und tuschelten miteinander, als sie die beiden über den Platz zu Davids vorübergehendem Quartier wandern sahen. „Wie ein altes Ehepaar sag ich nur.“ lästerte Schrauber während er eine GP37 reparierte. Chef, der Koch der Fraktion, der gerade neben ihm stand, schüttelte ebenfalls den Kopf und pflichtete ihm bei. „Auf alle Fälle wird’s mit den beiden da nicht langweilig, denke ich. Apropos lustige Leute. Hab schon ewig nichts mehr von Scar und Strelok gehört. Glaubste, dass beide draufgegangen sind? Soll ich mal Geizhals fragen? Der ist durch die vorbeikommenden freien Stalker immer bestens informiert.“ Schrauber zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder dem Sturmgewehr zu. Das Gespräch schien für ihn abgehakt zu sein.

Kapitel 10

Ort: die Zone

Gebiet: Bar der Wächter

Kontrolliert von: Duty Fraktion
 

Alexander wusste nicht so Recht, ob er vor Wut schäumen oder sich krank sorgen sollte. Da verschwand dieser verdammte Bengel einfach aus dem Lager der Wächter, während er schlief. Hätte er nicht einmal einen Tag warten können, bis sie in der Arena das Geld für die Schutzanzüge zusammenhatten? Normalerweise machte sich Alexander keine allzu grossen Sorgen um David. Der Kleine hatte schon mehr als einmal bewiesen, dass er auch ganz gut alleine in der Zone überleben konnte. Schliesslich lebte er schon seit seinem 16.ten Lebensjahr hier. Die vier Jahre Gefängnispause strich Alexander aus seinem Gedächtnis. Nur dass dieses Mal vieles anders war. David befand sich in einem geistig verwirrten Zustand als er verschwand. Nach schier unendlich langer Durchfragerei bei diversen Wächtern bekam der Major endlich die Information von den Wachen am nördlichen Ausgang, dass David sich ihm Gebiet Militärbasis aufhielt.
 

Gerade als Marinin sich auf den Weg machen wollte, fing der Boden an leicht zu vibrieren. Die beiden Wachen schauten sich nur kurz an und schon rannte einer von ihnen an die Sirenen und löste den Alarm aus. Kurz darauf kam die Lautsprecherdurchsage, dass sich alle Stalker unverzüglich in die Schutzräume zu begeben hatten, da ein Blowout nahte.
 

Alexanders Herz fing an ungesund zu rasen, als er das Wort Blowout hörte. Schmerzhaft erinnerte er sich daran, dass durch so ein unnatürliches Phänomen seine Frau, seine kleine Tochter und seine beiden Söhne umkamen. Marinin wollte David schon hinterrennen und hoffen, dass er ihn noch vor dem Blowout finden würde, doch die beiden Wachen zerrten ihn an seiner Jacke zurück. „Sind Sie wahnsinnig, Major? Niemand geht kurz vor einem Blowout ins Freie. Wir müssen Sie bitten, so schnell wie möglich den Schutzraum mit uns aufzusuchen.“ sagte eine der Wachen.
 

Alexander funkelte wütend die Wachen an und starrte auf das Gelände hinter der Absperrung. In einiger Entfernung sah er einige Lichter aufblitzen, die sich schnell näherten. Es handelte sich um Stalker, die sich in der Nähe der Bar befanden und nun so schnell sie konnten in diese Richtung rannten um Schutz zu suchen.
 

Just in diesem Moment rannte etwas, genauer gesagt, jemand an ihnen und der Absperrung vorbei. Alexander erkannte aus seinen Augenwinkeln eine männliche Gestalt mit Stachelfrisur. Igel. So ein Schwachkopf. „Hey du! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Komm sofort zurück, du Idiot!“ riefen beide Wachen im Einklang. Marinin hingegen traute seinen Augen nicht. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, die auf ein Artefakt vermuten lies, raste der Stachelkopf nach Norden. Er musste lebensmüde sein, dass er im Angesicht der drohenden Gefahr das sichere Lager verliess und aufs offene Gelände rannte. Marinin selbst konnte aber keine tadelnden Worte von sich geben, wollte er doch selbst vor ein paar Augenblicken blindlings das Lager verlassen und nach David suchen. Die Richtung, die Igel einschlug, führte ihn hoffentlich zu Rothe. „Ich hoffe du findest David. Und ich hoffe, dass ihr beide überlebt. Bring mir meinen Kleinen wieder. Wenn du es schaffst, werde ich nie wieder ein böses Wort über dich verlieren, Igel.“ dachte er, als er sich noch einmal in Richtung Militärbasis umdrehte. Doch seine Gedanken wurden durch einen starken Hustenanfall unterbrochen. Sein Körper würde das ganze nicht mehr lange mitmachen, soviel war klar.
 

Ohne Gegenwehr liess er sich von den beiden Wachen in den nächstgelegenen Schutzbunker schleifen, während er hustend zum rot verfärbten Himmel aufsah.
 

Igel rannte im wahrsten Sinne so, als ob der der Tod persönlich hinter ihm her wäre. Was auch zutraf. Der Blowout kam bedrohlich nahe. Die Hitze wurde langsam aber sicher unerträglich und das donnernde Getöse der energetischen Entladungen am Horizont liessen ihn fast taub werden. Dennoch konnte er nicht umkehren. Eine mysteriöse Kraft sorgte dafür, dass er stets nach vorne preschte und ihn zielsicher an einen unbekannten Ort führte. Seine grösste Sorge galt im Moment einfach David. Er musste ihn unbedingt finden.
 

Der Sturm verdichtete sich und es wurde immer mühsamer, zu rennen. Trotz der beiden Artefakte, die seine Ausdauer stärkten. Steine flogen ihm um die Ohren und er musste Acht geben, dass er nicht von einem umherfliegen Querschläger getroffen wurde. Seine innere Stimme sagte ihm, dass David genau von so einem Teil getroffen wurde und nun bewusstlos auf dem Boden lag. Auch sagte sie ihm, dass sich der junge Deutsche in der Nähe befand. Igel fluchte, als ein scharfer Gegenstand, vermutlich ein Metallteil eines vor sich hin rostenden Autos an ihm vorbei flog und seine linke Wange streifte. Igel ignorierte den Schmerz und konzentrierte sich darauf, die Gegend zu sondieren. Sein Instinkt flösste ihm ein, dass David nur noch ein paar Meter von ihm entfernt war.
 

Und tatsächlich. Durch die Wand von Staub, Dreck, umher fliegenden Gegenständen hob sich in fünf Meter Entfernung eine auf dem Boden liegende dunkle Silhouette ab, die eindeutig menschlich war. Igel war sich hundertprozentig sicher, dass es sich um David handelte. Er behielt recht. Ein paar Sekunden lang hatte er die Befürchtung, dass der reglos am Boden liegende Blonde tot sei, doch sein Instinkt sagte ihm, dass er noch am Leben war. „Oh scheisse, David! Komm wieder zu dir!“ rief Igel gegen den Sturm. Bei ihm angekommen, vergewisserte er sich nur kurz, dass David noch atmete. Er hatte angesichts der immer näher kommenden Gefahr keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Fluchend warf er den Jungen über seine Schulter und rannte schnurstracks zum erstbesten Unterschlupf, der ihm einfiel: die Basis der Freedom Fraktion.
 

Igel machte wohl die schnellste Flatter seines Lebens, trotz der über 100kg, die auf seinem Rücken lasteten. Er trug nicht nur David, der mit seinen knappen 70kg als Fliegengewicht unter den Stalkern galt. Der Scharfschütze hatte auch noch Davids Rucksack, seinen eigenen und sein SVDm2 im Gepäck. Er wünschte sich im Moment nichts Sehnlicheres, als ein schickes modifiziertes Exoskelett, dass seine Tragkraft verstärkte, ausgerüstet mit vielen hübschen Beschleunigungsartefakten. ‚Ich hoffe, ich schaff’s noch rechtzeitig. Wird verdammt eng werden.’ dachte er sich, als er langsam aber sicher die riesige Basis der Freedom durch den Sturm erblickte. ‚Wehe, die machen nicht auf.’ Diesen Gedanken schob er allerdings schnell beiseite.
 

Durch die Artefakte war er dermassen in Schwung, dass er fast gegen die verschlossenen Tore der Basis knallte. Mit dem ihm noch freien Arm hämmerte er so wild gegen das Tor, wie er nur konnte. Auch schrie er aus vollen Leibeskräften. Irgendeiner von denen musste ihn einfach hören.
 

Das Getöse hinter ihm wurde immer lauter und er spürte, dass seine Kleidung inzwischen klatschnass war. Nicht wegen einer Erschöpfung. Eine riesige Welle aus radioaktiver Hitze kam von hinten mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zu. Wenn jetzt keiner aufmachte, waren sie verloren. „Kommt schon, ihr Säcke! Macht auf! Ich hab David Rothe bei mir! Wollt ihr eure Ikone einfach so sterben lassen, weil ihr euch aus Angst vor dem Blowout in die Hose pisst?“ rief er ein letztes Mal.
 

Gerade als Igel sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte und anfing, mit seinem Leben abzuschliessen, öffnete sich quitschend das Tor hinter ihm und er wurde auf ziemlich unsanfte Art und Weise in die Basis gezerrt.
 

Gerade, als er sich noch rechtzeitig in die Eingangshalle gerettet hatte, nahmen ihm die zwei Wachen der Freedom, die ihm das Tor geöffnet hatten, David von der Schulter runter und musterten ihn. „Kein Zweifel, es ist Rothe.“ sagte einer trocken. „Yo, der hat verdammt noch mal tierisches Glück gehabt.“ meinte der andere.
 

Erst jetzt erlaubte Igel sich zu entspannen. „Danke Jungs, dass ihr unsere Ärsche gerettet habt. Hab schon gedacht, ihr lasst uns vor dem Tor wie Wolfsratten elendig verrecken.“ sagte Igel während er die beiden Freitheitler in ein leeres Zimmer im Obergeschoss des Trakts begleitete. Als einer von ihnen David auf eine Liege hievte, drehte sich der andere zu ihm herum und nickte ihm zu. „Hehe, wir stehen halt auf starke Auftritte, Buddy.“ Igel grinste zurück während er die Rucksäcke und seine Scharfschützengewehr auf den Boden stellte und sich streckte. „Genau wie ich.“ Der Freiheitler, der David gerade am verarzten war, drehte sich ebenfalls um. „Sag mal wie bescheuert muss man eigentlich sein, bei einem Blowout draussen rumzurennen?“ er konnte es einfach nicht fassen, dass bei so einer Gefahr ihr Idol draussen fast ums Leben kam. „Das kannst du David fragen wenn er wieder wach ist. Er ist von unserem Unterschlupf plötzlich verschwunden und ich bin ihm hinterher, um ihn zu suchen. Ist schlimmer als ein Balg, wenn ihr mich fragt. Wenn ich den als Sohn hätte, bräuchte ich keinen Hirnschmelzer mehr. Der würde mich auch so schon wahnsinnig machen. Seit ich ihn kenne, hab ich das Gefühl, dass mir mit jedem Tag mehr graue Haare wachsen. Dabei bin ich doch erst 32 Jahre alt.“ Beide Wachen brachen in schallendes Gelächter aus, das aber sofort wieder verstummte und synchron salutierten, als ihr Anführer durch die Tür kam. Igel bemerkte ihn nicht, da das Donnern des inzwischen über der Basis wütenden Blowout’s den Widerhall der Fusstritte verschluckten und er zu dem noch mit dem Rücken zur Tür stand.
 

Igel drehte sich um und erstarrte erstmal. Verdammt, dieser Lukasch war tatsächlich noch am Leben. Zum Glück hatte der Scharfschütze seine Sonnenbrille auf, so merkte es niemand, dass er seine Augen zusammenkniff. Lukasch schien ihn jedoch sofort zu erkennen, denn seine Augen weiteten sich kurz und er holte ohne jegliche Vorwarnung mit der rechten Faust aus. Der harte Schlag traf Igel mitten ins Gesicht. Das Knacken eines Knochens war deutlich zu hören. Offensichtlich hatte die Kraft in der Faust ausgereicht, Igel das Nasenbein zu brechen. „Arrggh. Was soll das? Hab ich irgendwas getan? Ich dachte, Gastfreundschaft wird hier noch grossgeschrieben! Hab den Kleinen vor dem Blowout gerettet, da er kopflos aus der Bar abgehauen ist.“ jaulte Igel auf. „Schnauze, Monolithenschwein.“ brüllte Lukasch, während aus dem Gang zwei weitere Freiheitler in spezieller Schutzpanzerung, den sogenannten Exoskeletten hereinstürmten und völlig perplexen Igel an beiden Armen packten. „Lukasch? Der Typ ist ein Monolith?“ fragte Max, der vor Schreck ein Medikit auf den Boden fallen liess und sich seinem Anführer zuwandte. „Allerdings. Ich erinnere mich an den Typen nur allzu gut. Nichts weiter, als ein kleiner Verräter.“ Igel schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Monolith, Mensch. Hab nur damals die Flatter gemacht, weil ich mitbekommen hab, dass mich einer eurer Leute auf dem Kicker hatte und mich umlegen wollte.“ jammerte er. „Quatsch. An deiner Stelle hätte ich mir ne bessere Ausrede zurechtgelegt. Du bist nichts weiter, als ein kleiner Verräter. Und dass du jetzt auch noch den jungen Rothe in deiner Gewalt hattest, ist die Höhe! Was hattest du Sektenschwein vor? Den Jungen zu eurem ach so allmächtigen Wunschgönner bringen und ihn opfern?“ donnerte Lukasch.
 

Verzweifelt versuchte sich Igel, aus dieser Zwickmühle zu befreien. „Hey, das ist totaler Humbug. Ich bin Davids Freund und beschütze ihn vor diesen Monolith Fanatikern, die ihn entführen wollen! Und deren Wunschgönner kann mich mal kreuzweise!“ Doch der Anführer von Freedom schien für seine Erklärungen taube Ohren zu haben. „Ihr drei. Bringt diesen räudigen Hund in die Arrestzelle. Ich werde ihn später ein wenig befragen. Falls er versucht abzuhauen, stellt ihn ruhig. Aber tötet ihn nicht. Das werde ich höchstpersönlich übernehmen. Max, du passt auf unseren neuen Schützling auf. Dem Kleinen darf nichts passieren. Sorg dafür, dass es ihm an nichts fehlt. Aber pass auf, dass er nicht auch bei uns ausbüxt.“ sprach Lukasch und begab sich auf den Weg in die Kommandozentrale.
 

Kurz bevor Igel von den drei Stalkern abgeführt wurde, drehte er seinen Kopf zu David, der ohnmächtig auf der Liege lag. Er wollte etwas sagen, doch einer der Männer hatte ihn just in diesen Moment bewusstlos geschlagen. Kraftlos sackte Igel zusammen. Max schüttelte den Kopf, als der Mann von den anderen aus dem Zimmer geschleift wurde und drehte sich wieder zu David um. „Tut mir echt Sorry um deinen Freund, Junge.“ flüsterte er und postierte sich auf einem Schemel vor der Tür um Wache zu halten.

Kapitel 11

Ort: die Zone

Gebiet: Militärbasis

Kontrolliert von: Freedom Fraktion
 

Stöhnend versuchte Igel, seine Schmerzen auszublenden. Eine gebrochene Nase, eine blutende Wunde am Kopf und drei gebrochene Rippen waren Bilanz seines Verhörs mit dem Anführer der Freiheit. David stand, inzwischen wieder bekleidet, in Gedanken versunken am Fenster und starrte nach draussen. Der Blowout war zwar vorbei, doch hat er einem ziemlich heftigen Regenguss Platz gemacht. Dicke Regentropfen hämmerten geradezu auf die sanierungsbedürftigen Dächer. Ab und zu rannte ein Team mit ein paar Verletzen über den Platz um sie ins Lazarett zu bringen. Unmittelbar nach dem Blowout sendete Freedom Trupps los, die nach überlebenden Mitgliedern an ihren Aussenposten suchten, sie durch neue ersetzten und die Verletzten zur ärztlichen Behandlung in die Basis zurückbrachten. Wahrscheinlich verfuhr Duty im Moment ebenfalls so.
 

Max schenkte ihnen wenigstens soviel Vertrauen, dass er die Tür zu ihrem Quartier schloss, war aber dennoch auf der Hut und hatte sein Sturmgewehr stets griffbereit. „Wie’s aussieht, sitzen wir hier für ein Weilchen fest.“ bemerkte Igel, der sich aufsetzte und David musterte. Das Steinblut, das er an seine gebrochene Nase hielt, pulsierte mit beruhigender und heilender Wirkung vor sich hin und tat seinen Dienst. Er spürte, dass die Schmerzen allmählich verebbten. Nur seine Rippen waren etwas widerspenstiger und die Schmerzen dort hielten sich hartnäckiger. Vielleicht hatte er sich die Lunge gequetscht und die Schmerzen strahlten von dort zusätzlich ab. David nickte nur, beachtete ihn aber nicht weiter. „Du könntest mir wenigstens ein Dankeschön sagen, dafür, dass ich deinen Hintern gerettet hab. Dass würden meine gebrochenen und schmerzenden Rippen sehr begrüssen.“ maulte der Igelkopf. Wieder erntete er nur ein Nicken. „Hörst du mir eigentlich zu?“ Er erhielt abermals ein Kopfnicken und sah, dass der Körper des jungen Mannes leicht bebte. Igel seufzte theatralisch. David war ein hoffnungsloser Fall. Ihm ging wohl die Kleine nicht aus dem Kopf. Verdammt, der ging es doch sicherlich besser als ihnen beiden.
 

Dadurch, dass Igel auf Grund eines gehörigen Aufmerksamkeitsdefizits auf Davids Seite vor sich hin schmollte, merkte er zuerst nicht, dass dieser Schwierigkeiten hatte, aufrecht zu stehen. Erst als er noch mal mit jammern anfangen wollte, um ein Gespräch in Gang zu bekommen und ihn genau ansah, bemerkte er, dass David die Augen immer wieder zusammenkniff und sich kleine Schweissperlen auf seiner Stirn bildeten. Hatte der Ast ihm etwa eine Gehirnerschütterung verpasst? Igel verdrängte seine Schmerzen so gut es ging und sprang aus dem Bett, um David zu stützen bevor dieser noch Bekanntschaft mit dem harten, staubigen Boden machte. Gerade noch rechtzeitig. Rothe war schon dabei, nach hinten zu schwanken, doch wurde er noch rechtzeitig von dem Scharfschützen aufgefangen.
 

David lag wie eine leblose Lumpenpuppe in seinen Armen und bewegte sich nicht. Igel hielt ihn so gut es ging fest und achtete darauf, dass der Kleinere nicht aus Versehen seine Rippen streifte. Er überlegte sich schon, wie er einigermassen schmerzfrei David rüber auf die Liege tragen konnte, als sich der Deutsche wieder regte. „Igel? Was ist gerade passiert?“ fragte er verwirrt. Der Stachelkopf zog eine Augenbraue nach oben. „Du hattest wohl gerade einen Blackout. Du solltest dich besser ausruhen. Halbtot und geschwächt nützt du nichts. Genauso wie ich.“ gab Igel trocken zurück. Dadurch dass David ein ganzes Stück kleiner als sein Begleiter war, konnte er seinen Kopf ein wenig nach links drehen, sodass er Igels Herzschlag lauschen konnte. Der ruhige Rhythmus sorgte dafür, dass er sich entspannte. Dabei bemerkte er gar nicht, dass Igel seine Arme um seinen Bauch schlang und den Kopf auf den seinigen legte.
 

„Jag mir nie wieder so einen Schreck ein, David. Versprich mir, dass du nie wieder so eine selbstmörderische Aktion durchführst. Ich bin vor Angst um dich fast gestorben.“ nuschelte Igel in sein blondes Haar. „Sorry, Igel, ich kann nichts versprechen.“ antwortete David müde. „Hattest du etwa allen Ernstes vor, alleine nach Prypjat und zum AKW zu gehen?“ Igel kannte die Antwort sowieso schon, aber er musste fragen. „Ja. Für Kim würde ich alles machen.“ David schien es wohl sehr schlecht zu gehen, denn er verhielt sich sehr kleinlaut und wehrte sich gar nicht gegen Igels Fragen. Wäre Davids Zustand ‚normal’ würde er seine Barriere wieder aufziehen und in rüde abweisen. Doch dieses Mal nicht. Zudem liess er auch Körperkontakt zu. Der Schwarzhaarige wusste von Alexander, dass David sich nicht gerne anfassen liess. Typisch Einzelgänger mit einsamer Vergangenheit. Eine ganze Weile standen beide am Fenster und beobachteten das, trotz des heftigen Gewitters, rege Treiben der Freiheit.
 

„Würdest du auch versuchen, mich so verbissen zu retten und ständig an mich denken, wenn ich an Kims Stelle wäre?“ Die Frage musste einfach sein. Auch wenn ein Teil von ihm die Antwort gar nicht wissen wollte, brannte der andere förmlich darauf. Davids Schweigen bestätigte seine schlimmste Annahme. „Weißt du, ich würde es tun, wenn du gefangen wärst. Ich würde dich sogar in der Hölle selbst suchen, David. Und weißt du warum? Weil ich dich sehr gerne hab.“ Als immer noch keine Antwort kam, löste Igel enttäuscht seine Arme und trottete zu einem kleinen, vor sich hin rostenden Metalltisch, um sich neues Steinblut an die Rippen zu halten. Als er die Mitte des Raumes erreicht hatte, fuhr er fast vor Schreck herum, als zwei Hände seinen Rücken berührten und sich in seinem Tank Top krallten. David. Igels Mundwinkel wanderten ein wenig in die Höhe.
 

„Ich weiss nicht, was ich sagen geschweige denn machen soll. Nur ein einziges Mal in meinem Leben war ich so verwirrt. Das war der Tag, an dem ich meine Eltern verloren habe. Und jetzt fühle ich mich genauso. Ich will Kim nicht verlieren. Ich weiss, dass ich sie liebe. Aber… aber ich habe auch dich sehr gerne. Bitte verzeih mir. Ich bin nicht normal.“ Die letzten Wörter flüsterte David dermassen leise, dass man genau hinhören musste.
 

Igel drehte sich und nahm David erneut in seine Arme. „David. Ich mache mir keine Illusionen um eine perfekte Friede Freude Eierkuchen Beziehung. Aus diesem Alter bin ich längst raus. Ich weiss ganz genau, dass ich immer in Konkurrenz zu Kim stehen werde. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin, wenn du mich brauchst.“ Igel legte seinen Kopf schief und merkte, dass sich David wieder verkrampfte und sich sein Blick verdüsterte. „Hehehe, hab mich noch nie in meinem Leben so sülzen hören. Ist überhaupt nicht meine Art oder? Was meinst du?“ Der Stachelkopf versuchte, die Stimmung wenigstens ein klein wenig aufzuhellen. Er merkte, dass Davids Mundwinkel etwas zuckten und er hörte ein leises Flüstern. „Danke, Igel.“ Der Scharfschütze nickte und half David auf die Liege und legte ihm ein Stück Steinblut auf den Kopf, damit dieser seine Gehirnerschütterung kurieren konnte. Als Igel sich zum Gehen wandte, hielt ihn David an seiner Hose zurück. Der junge Deutsche hatte den Kopf von ihm weggedreht und starrte an die Wand. „Geh nicht.“ nuschelte er leise. Igel nickte langsam. „Keine Angst. Ich renn dir schon nicht weg. Im Gegenteil. ICH muss aufpassen, dass DU nicht wieder abhaust. Ausserdem werd’ ich mich glaub eh nicht alleine hier in der Freedom Hochburg umsehen. Nicht, dass die Säcke mir schon wieder was brechen.“ Daraufhin nahm er Davids Hand von seiner Hose und strich kurz über sie.
 

Der Schwarzhaarige lief zu seinem Rucksack und packte das Reinigungsequipment für seine Waffen aus. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und lehnte mit dem Rücken zur Liege. Eine ganze Weile lang hörte David zu, wie Igel sein Scharfschützengewehr, zwei Pistolen der Marke Makarov, die Kampfmesser und später auch sein eigenes Sturmgewehr, eine GP37 des Waffenherstellers Heckler & Koch, wartete. Schliesslich schlief er durch das Klicken der Sicherungen und dem Prasseln des Regens ein und merkte nicht, dass Igel sich kurz mit unlesbarer, starrer Mine zu ihm umdrehte.

Kapitel 12

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Kim konnte nicht mehr länger gegen ihre Müdigkeit ankämpfen. Ihr Körper und ihr Geist machten es nach Tagen der Schlaflosigkeit einfach nicht mehr mit. Um sich vor dem Schlaf zu drücken, setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden und meditierte. Die junge Frau hoffte, dass sich ihr Körper so wenigstens ein bisschen erholen konnte, ohne in die Schlafphase wechseln zu müssen. Sie wollte nur 20 oder 30 Minuten meditieren. Doch irgendwann siegte die Erschöpfung und ohne, dass sie es bemerkte glitt sie in ein einen tiefen, traumlosen Schlaf. Sogar ihre hoch sensiblen telepathischen Fähigkeiten, durch die sie jedes Lebewesen in ihrer Nähe erfassen konnte, waren durch die Überanstrengung wie lahmgelegt. Dadurch merkte sie nicht, dass sich jemand vorsichtig ihrer Zelle näherte.
 

Zu dieser frühen Stunde war im Kraftwerk nicht viel los. Nur draussen auf dem Areal tummelten sich die Wachposten. Dennoch schlich Kochow durch die Gänge zu den Arrestzellen um nicht doch per Zufall entdeckt zu werden. Hier konnte man sich nirgends verstecken, im Gegensatz zum Inneren des Sarkophages, der durch die vielen Trümmer mehr als genügend Verstecke bot. Hier gab es nur unendlich lange Gänge und einige Türen, die in Labors oder Büros führten. Doch diese waren weitestgehend abgeschlossen.
 

Boris wusste von seinem Kollegen Iwan Mirsowsk, dass heute um 0900 erneut ein Versuch starten würde, der die kleine Raika in den Verbund des Kollektivs integrieren sollte. Dann wäre dies die letzte Chance, sie noch ‚lebend’ zu sehen. Wenn sie sich im Tank mit dem flüssigen Nährstoff befand, glich sie mehr einer Toten. Alle Funktionen des Körpers wurden normalerweise auf ein Minimum heruntergefahren, sodass der physische Körper gerade noch existieren konnte. Die Psyche allerdings arbeitete unter dem Einfluss der Noosphäre auf Höchstleistung. „Um die Zone unter Kontrolle zu halten.“ Sagte Dobrynin. Doch Kochow wusste nur zu gut, dass der Professor nicht alles, was er wusste, preisgab. Natürlich nicht. Wer wollte auch schon die Weltherrschaft teilen?
 

Langsam und vorsichtig kam Kochow der kleinen Zelle näher, die Kim Raika als Insassin hatte. Vor der Tür angelangt schaute er sich noch mal in alle Seiten um und presste dann sein Ohr an das Metall um zu hören, ob Kim sich bewegte und somit wach war. Als er keinerlei Bewegung von innen hörte, ging er freudig davon aus, dass sie schlief. Was für ein Glück! So konnte er sie endlich einmal von Nahem sehen.
 

Er öffnete so leise er konnte die schwere Metalltüre, die trotz seiner Bemühungen leicht knarrte. Hoffentlich würde die Kleine dabei nicht aufwachen. Langsam schob er seinen Kopf durch den kleinen Spalt und lugte in die Zelle hinein und sah Kim schlafend auf dem Boden. Wie schön sie doch war, wenn sie schlief! Sein Herz fing an schneller zu schlagen und sein Puls beschleunigte sich, als er ihr sich vorsichtig näherte. Nur noch einen Schritt trennte sie von ihm. Kochow kniete sich neben sie und schaute sie sich für eine Weile an. Sie hatte wirklich eine perfekte Figur. Schlank und dennoch an richtigen Stellen gepolstert. Boris merkte, dass langsam aber sicher seine Hose eng wurde. Doch er würde jetzt auf keinen Fall den Rückzug antreten. Im Gegenteil. Die Kleine war die erste Frau, der er jemals so nahe war. Für ihn gab es damals, als er noch jung war, nur sein Studium und später seine Arbeit. Ebenso gab es hier im AKW auch keine Frauen, bis auf zwei. Und diese waren Mitglieder des Kollektivs. Sonst lebte kein einziges weibliches Wesen in einem Umkreis von 30km in dieser menschenfeindlichen Zone. Dobrynin hatte das so veranlasst, damit sich sein Personal voll und ganz auf die Forschung konzentrieren konnte und nicht durch weibliche Kurven abgelenkt wurde.
 

Wie würde sich ihre Haut anfühlen, wenn er über sie strich? Langsam streckte er seine Hand aus und berührte ihren Arm. Als sie nicht reagierte wurde Kochow ein wenig mutiger und fing an, sie zu streicheln. Immer darauf bedacht, sie nicht zu wecken, wanderte seine Hand den Arm hinauf, über die Schulter, die Flanke wieder herab, bis sie auf der Hüfte stehenblieb. Sie fühlte sich einfach unglaublich an! Das war besser als die Pornos, die er heimlich in seinem Büro schaute. Bei weitem besser.
 

Die Beule in seiner Hose machte ihm inzwischen ganz schön zu schaffen. Kochow hielt seinen Atem an als er den Reissverschluss öffnete. Ein kurzer Gedanke kam ihm in den Sinn, schnell in eines der Labore zu schleichen und ein Betäubungsmittel zu entwenden. Vielleicht könnte er dadurch sogar weiter gehen als er es ursprünglich vorhatte. Dieser Gedanke war wirklich verlockend. Und die Kleine würde es gar nicht merken. Doch er würde mit dieser Aktion zu viel Zeit verlieren, da das nächste Labor sich nicht gerade in nächster Nähe befand. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen. Vielleicht könnte er sie fesseln? Boris schaute sich suchend in der Zelle herum und suchte nach etwas Passendem. Viel gab es hier nicht. Sein Blick fiel auf die Baumwolldecke, die neben Kim lag. Könnte er damit ihre Füsse fesseln? Und mit seinem Gürtel ihre Hände auf ihren Rücken, damit sie nicht zuschlagen konnte? Ein Versuch war es auf alle Fälle wert. Wenn es missglücken würde, könnte er immer noch flüchten. Die Raika konnte ihm eh nicht mehr gefährlich werden, da sie in ein paar Stunden in das Kollektiv integriert wird. Jegliche Gewissensbisse verflogen in diesen Momenten. Kochow konnte nur noch an eines denken: Kim ein einziges Mal zu besitzen.
 

Er drehte die immer noch schlafende Kim auf den Bauch, zupfte an ihrem Leibchen und ergriff ihre Arme. Der dünne Ledergürtel würde seine Dienste tun, da war er sich ziemlich sicher als er die Enden an den Handgelenken zusammen gezurrt hatte.
 

Kochow war gerade mit dem Ausziehen und Fesseln fertig und begutachtete das, in seinen Augen, Meisterwerk einer entblössten und gefesselten Kim Raika und wollte sich gerade weiter ans Werk machen als ihn von hinten etwas in den Rücken drückte. „Keine Bewegung.“ knurrte eine tiefe Stimme hinter ihm. Der Wissenschaftler wurde kreidebleich und hatte das Gefühl, dass er einem Herzinfarkt nahe war. Das metallene Etwas, dass sich in seinen Rücken presste, war nichts anderes als die Mündung einer MP5. „Bitte! Nicht schiessen! Ich wollte doch nur…“ fing Boris an zu jammern. Weit kam er allerdings nicht. Ein ziemlich heftiger Fausthieb sorgte dafür, dass er an die nächstgelegene Wand knallte und eine kurze Benommenheit verursachte.
 

Als er wieder zu sich kam, hatte ihn jemand am Kragen seines Laborkittels gepackt und hielt ihn jetzt gegen die Wand. Seine Beine hatten jegliche Bodenhaftung verloren. Hilflos baumelte er ein paar Zentimeter über den Boden. Kochows Augen weiteten sich vor Schreck, als er direkt in das kalte Gesicht eines Agenten mit grauen Augen starrte. „Scar, kontaktiere sofort Professor Dobrynin. Er wird darüber entscheiden, ob wir ihn unter Arrest stellen oder gleich entsorgen sollen.“ brummte Wronski, der hinter Scar stand und ihn mit einem vernichtendem Blick fixierte. „NEIN! Bitte nicht! Ihr braucht mich doch! Ohne mich können keine neuen Brüder in euren Kreis aufgenommen werden!“ Boris wusste, dass es sinnlos war, höher zu pokern. Er konnte jetzt noch darauf zu hoffen, dass er am Leben bleiben würde. „Was meinst du, Bruder? Wäre es möglich, dass ich ihn auseinandernehmen kann? Eine kleine Folter? Aber ohne dass er stirbt?“ fragte Scar und grinste dabei finster. Kochows lief kalkweiss an und er fing an verzweifelt herumzuzappeln. Wronski schüttelte seinen Kopf, während er auf Kim zulief, um sie aus ihren Fesseln zu befreien. „Und ich dachte, Leuvkov hätte eine sadistische Ader. Ich werde dich für Kochows Hinrichtung vorschlagen wenn Dobrynin grünes Licht gibt. Was gut sein kann. Hab vorhin mitbekommen, dass Charon einen besseren Biochemiker hierher bringt, der seine Aufgabe übernehmen wird. Sprich, der hier ist überflüssig.“ Grinste der blonde Agent hämisch und ergötzte sich offensichtlich daran, dass Kochow vor Angst unter Scars Händen wegstarb.
 

Kim, die durch den Lärm ziemlich unsanft geweckt wurde, fuhr wie von einer Biene gestochen kerzengerade auf. Zumindest versuchte sie es. Die Fesseln sorgten dafür, dass sie sich kaum rühren konnte. „Was geht hier vor! Welches Schwein hat mich gefesselt?“ kreischte sie beinahe hysterisch als sie das Szenario vor ihr erfasste und bemerkte, dass ihr Leibchen nach oben geschoben und sie keine Unterhose mehr besass. Vor Rage und Scham fing sie an, sich auf dem Boden herumzuwinden. Wronski, der sich inzwischen daran machte, den Gürtel von ihren Armen zu lösen, nahm jeden Schlag und Tritt, den er von Kim erhielt, mit eiserner Gelassenheit hin. Sogar als sie ihn biss, verhielt er sich ruhig. „Lass mich los, du Schwein! Fass mich nicht an!“ keifte sie, als Wronski das Laken von den Füssen nehmen wollte und griff ihn wie eine Furie an.
 

Kochow, der inzwischen von Scar aus der Zelle geführt wurde, drehte sich noch einmal und starrte sie reumütig an. Als Dank wurde er mit Scars MP5 ziemlich unsanft in den Rücken geschlagen. „Los, beweg dich!“ brummte er und schob ihn mehr als nur unsanft vor sich her.
 

Obwohl Kochow inzwischen aus Kims Blickwinkel verschwunden war, beruhigte sie sich kein bisschen. Im Gegenteil. Sie keilte mit dem letzten bisschen Kraft, die ihr geblieben war, aus und hatte sogar eine erstaunliche Trefferquote. Vielleicht lag es auch daran, dass Wronski sich auch nicht gegen ihre Schläge und Tritte wehrte, sondern alles geduldig einsteckte. „Beruhigen Sie sich! Sie sind in Sicherheit.“ Gelassen versuchte er, die Kleine zu beruhigen, während sie ihm in blinder Wut das Gesicht zerkratzte. „Von wegen Sicherheit! Ihr Schweine wollt mich in diese verdammten Tanks stecken, damit ich genauso ende wie meine Mutter! Ihr und eure perversen Experimente könnt mich mal kreuzweise!“ fauchte sie und schlug erneut blindlings um sich herum. „Ihre Rage wird hier auch nichts ändern. Wenn Sie sich weiterhin unkooperativ verhalten, muss ich Sie zu meinem Bedauern ruhigstellen.“ Antwortete er monoton und packte Kim mit eisernem Griff an beiden Armen, damit sie aufhörte sein inzwischen blutig gekratztes Gesicht noch weiter zu malträtieren. Stattdessen keilte sie mit ihren Beinen aus und traf ihn ziemlich hart in die niederen Regionen seines Körpers. Dennoch verzog er keine Miene und wartete ab, bis ihr die Luft ausging.
 

Nach schier endlosen Minuten sackte Kim erschöpft zusammen und hing wie ein Lumpensack in Wronskis Griff. „Ich hasse euch! Euch alle! Wie könnt ihr mir so was antun!“ Ob es Tränen aus Wut oder aus Resignation waren, konnte Wronski bis heute nicht sagen. Er liess die inzwischen am ganzen Körper zitternde Kim los und nahm wieder seine militärische Haltung ein; mit beiden Armen hinter seinem Rücken verschränkt. Kim währenddessen schwankte rückwärts ein Eck und liess ich an der Wand herunter gleiten. Mit eng angezogenen Knien vergrub sie ihren Kopf zwischen ihren verschränkten Armen. „Ihr werdet mich niemals klein kriegen. Ich werde mich wehren. Bis zum letzten Atemzug. Niemals werdet ihr mich in die Tanks stecken. Vorher sterbe ich!“ schluchzte sie unkontrolliert.
 

Nach einiger Zeit merkte Kim, dass sie keine Antwort erhielt und schaute sich mit geröteten Augen herum. Die Zellentür stand sperrangelweit offen. Im Prinzip eine hervorragende Fluchtmöglichkeit. Doch je mehr sie versuchte, ihren Körper dazu zu bewegen, aufzustehen und sich davon zu machen, desto mehr dankte er es ihr mit heftigen Krämpfen und Kopfschmerzen. Plötzlich bemerkte sie, dass sich etwas neben ihr bewegte und schaute auf die Seite. Überrascht stellte Kim fest, dass der Agent sich neben sie niedergelassen hatte und gerade aus ins Leere starrte. Tief in ihr machte sich ein Gefühl breit, dass ihr sagte, dass sie nicht die einzige sei, die sich alleine und verlassen fühlte. War es jetzt schon soweit? Hatte sie inzwischen Mitleid mit den Anhängern des Monolithen? Hatte das berüchtigte Stockholm-Syndrom zugeschlagen? Kim durfte es nicht zulassen, dass sie jetzt noch mit diesem Agenten sympathisierte. Mitgefangen - Mitgehangen hiess es doch schliesslich.
 

„Bist du freiwillig zu diesen Idioten übergelaufen?“ Sie konnte sich diese Frage nicht verkneifen. Es gab schliesslich nichts zu verlieren. Mehr als keine Antwort konnte sie nicht bekommen. „Der Monolith hat mir das Leben gerettet. Vor langer Zeit stand ich als Militärstalker im Dienst der SpezNas. Mein Team wurde von Chimern zerrissen. Als ich dem Tode nahe war, erschienen die Monolith Stalker und retteten mich. Da meine Mission fehlgeschlagen und mein Trupp tot war, konnte ich nicht mehr zurückkehren. Also schloss ich mich ihnen an.“ sagte er beinahe reumütig. Kim vermutete, dass er im Moment nicht von der Noosphäre kontrolliert wurde, sonst würde er mit Sicherheit nicht so offenherzig reden. Das Gespräch wurde aber innerhalb weniger Augenblicke wieder unterbrochen als Wronski seinen Kopf schief legte und sein Blick sich wieder versteinerte. Sie wusste inzwischen, dass dies nur eines zu bedeuten hatte: Die Agenten empfingen neue Befehle. Als Bestätigung stand er auf und starrte sie kurz unverwandt an bevor er aus der Zelle hinausging und die Tür wieder verschloss.
 

Kim war nun wieder alleine. Erst jetzt wurde sich die junge Frau vollends bewusst, dass sie die ganze Zeit über splitterfasernackt neben dem Agenten gesessen hatte.

Kapitel 13

Ort: die Zone

Gebiet: Militärbasis

Kontrolliert von: Freedom Fraktion
 

„Müsst ihr wirklich schon gehen? Wollt ihr nicht doch noch ein bisschen länger bleiben? Draussen giessts es wie aus Eimern.“ fragte Max, als er bemerkte, dass sich die beiden ‚Gäste’ abmarschbereit machten. „Yo. Euer Boss ist ja nicht gut auf uns zu sprechen. Deshalb verziehen wir uns so schnell wie möglich bevor er noch auf dumme Gedanken kommt.“ Gab Igel trocken zurück. Er hatte schon lange mit Freedom abgeschlossen und wollte nur noch weg. Max liess seinen Kopf ein wenig hängen. „Kann man wohl nichts machen. Aber lasst euch ab und zu mal blicken. So nebenbei: Wo wollt ihr denn jetzt hingehen?“ David schaute dem Stalker direkt in die Augen. „Nach Pripyat.“ Max lachte los. „Du willst mich jetzt verarschen, oder? Nach Pripyat. Der Witz ist gut. Echt!“
 

Als David keine Regung zeigte, stockte ihm der Atem. „Das ist nicht dein Ernst! Bisher ist noch kein Stalker von dort lebend wieder zurück gekommen! Das ist reiner Wahnsinn!“ stotterte er. Allein schon der Gedanke an den Hirnschmelzer und die Geisterstadt selbst jagte ihm einen Schock ein. „Das ist mein voller Ernst. Ein Freund von mir ist von den Monolith Stalkern entführt worden. Ich muss ihn unbedingt wieder da raus holen.“ Sagte der Deutsche ruhig. Max brachte sein Unverständnis durch Kopfschütteln zum Ausdruck. „Junge, hör mal zu. Selbst wenn dein Freund noch am Leben ist – diese Freaks haben ihn schon längst umprogrammiert. Dem kann man nicht mehr helfen. Ausserdem: ganze Züge von uns wurden von diesen Fanatikern im Roten Wald regelrecht geschlachtet. Da gibt’s kein Durchkommen!“ Max klang beinahe hysterisch.
 

Igel hob seine Hand in die Höhe um ihn zur Ruhe zu bringen. „Ist schon okay. David und ich wissen schon, was wir tun. Ausserdem war ich schon mal im Roten Wald. Hätte es fast bis nach Pripyat geschafft, wenn mir nicht die Munition ausgegangen wäre. Auf alle Fälle weiss ich wie man den Hirnschmelzer umgehen kann.“ Max zog die Augenbraue hoch und antwortete sarkastisch. „Ach ja? Dann kann ja überhaupt nichts schiefgehen.“ Er trat zur Seite, um die beiden aus dem Zimmer zu lassen. „Wie ihr wollt. Ich halte euch nicht auf. Macht’s gut.“ Gab er kurz und knapp von sich. Igel nickte und David verabschiedete sich kurz von ihm. Gemeinsam liefen sie die verwitterten Treppen hinab.
 

Als sie über den matschigen Hof liefen, bemerkten sie, dass sich eine Gruppe schwer bewaffneter Freiheitler vor dem Haupttor versammelt hatte und von Lukasch Anweisungen bekam. Igel rümpfte die Nase. „Planen die ne Invasion?“ Sein Begleiter schaute ihn nur schräg aus den Augenwinkeln an und ignorierte ihn ansonsten. Er schaute in den Himmel und rümpfte die Nase. So schnell würde der Regen sicher nicht aufhören. Erdrückende dunkle Wolken verdunkelten den gesamten Himmel. Es schien fast so, als ob es ein böses Omen wäre.
 

Sie hatten fast das Tor erreicht, als Lukasch die beiden bemerkte und sie zu sich winkte. „Endlich aufbruchbereit?“ fragte er. David spürte, dass sich der Freedom’s Anführer zusammen nehmen musste, um nicht allzu unfreundlich zu wirken. „Ja. Danke, dass ihr uns vor dem Blowout gerettet habt. Wir sind euch was schuldig. Aber jetzt müssen wir gehen. In Richtung Roter Wald.“ sagte David freundlich aber bestimmt. Im Gegensatz zu Max gab sich Lukasch nicht überrascht. Zwar hob auch er eine Augenbraue und schielte mit vernichtendem Blick auf Igel, aber sonst war keine Regung zu sehen. Hinter ihm trat ein schwarzhaariger Stalker mit kurzem Bart vor und musterte den Deutschen. „In Richtung Roter Wald? Wir brechen gerade in diese Richtung auf, um unseren dort stationierten Posten zu verstärken.“ Cap beäugte die beiden Männer eingehend. „Sagt bloss, dass ihr mit diesen Anzügen da hinein wollt. Dann könnt ihr gleich einpacken. Ohne spezielle Schutzausrüstung gibt es kein Durchkommen mehr. Seit dem Blowout hat unser Vorposten dort einen unglaublich starken Anstieg von Radioaktivität festgestellt. Auch bemerkten sie, dass der Hirnschmelzer seinen Wirkungsradius erweitert hat und fast bis zu unserem Posten reicht.“ Ein weiterer Stalker aus Caps Zug meldete sich zu Wort. „Würden euch ja die entsprechende Ausrüstung geben, aber Geizhals hat uns die letzten verfügbaren Anzüge gegeben, die Schutz gegen Strahlung bieten. Es wird ne ganze Weile dauern, bis er eine neue Lieferung bekommt. Tut uns leid.“ Beinahe entschuldigend wandte sich Cap an David. „Wenn ihr genug Kohle habt, könnt ihr direkt nach Yantar gehen und euch bei Professor Sacharow Schutzanzüge zulegen.“
 

Als David etwas entgegnen wollte, nahm Igel ihn in den Schwitzkasten und wuschelte ihm durch die Haare. „Siehst du Kleiner? Deine Aktion hat gar nichts gebracht! Jetzt müssen wir uns doch die Kohle in der Arena verdienen.“ Dann wandte er sich an die Gruppe Freiheitler. „Also machts gut Jungs! David und ich hauen ab.“ Der junge Deutsche versuchte indes sich aus der Umklammerung zu befreien während Igel ihn aus dem Tor ins Freie schleifte. Lukasch schaute besorgt in deren Richtung. „Stimmt was nicht Boss?“ fragte Cap. Der Anführer der Freedom starrte ihn an. „Dieser Igel ist ein Agent. Mit ziemlicher Sicherheit. Der hat wohl den Auftrag, den kleinen Rothe zu entführen.“ „Sollen wir ihn beobachten lassen?“ Lukasch schüttelte den Kopf. „Negativ. Wir können keinen unserer Leute entbehren. Hab vorhin die Liste der durch den Blowout Getöteten bekommen. Die Verluste sind gravierend. Sorgt einfach dafür, dass wenn in sie in den Roten Wald kommen, nicht weitergehen. Nehmt dann Rothe gefangen und legt seinen Begleiter um.“ Cap nickte und machte sich wieder daran, seinen Zug zu inspizieren um ohne grosse Probleme zum nördlichen Vorposten zu kommen.

Kapitel 14

Ort: die Zone

Gebiet: Militärbasis

Kontrolliert von: Freedom Fraktion
 

Ein ganzes Stück von der Basis entfernt fing David an, sich unter Igels Griff heftig zu winden. „Lass mich los, Igel!“ fluchte er. Der Sniper grinste nur und liess ihn dann gnädigerweise los. „Deine Aktion, den Superhelden zu spielen, war vollkommen für die Katz’. Jetzt stehen wir wieder da, wo wir angefangen haben.“ sagte Igel ernst als er die Gegend nach Gefahren sondierte. Zumindest versuchte er es. Durch den Blowout wurde die Natur erhitzt und dampfte nun durch den kühlen Regen. Riesige Schwaden aus Dampf und Nebel durchtränkten das gesamte Gebiet. David allerdings war das herzlich egal, er brummte und vermied es seinen Begleiter anzuschauen. „Ist ja gut Igel. Hör auf, das noch breit zu treten.“ Der Schwarzhaarige hingegen schien ihn nicht zu hören und hakte noch weiter. „Weisst du, als ich aus dem Lager gerannt bin, hab ich Alexander gesehen, der von den Wächtern aufgehalten wurde. Er wollte sich wohl auch auf die Suche nach dir machen. Junge, da wirst du sicher ne nette Standpauke zu hören bekommen, wenn wir wieder dort sind.“
 

David blieb stehen und starrte Igel scharf an. „Alexander ist nicht mein Vater. Ich lasse mir von keinem vorschreiben, was ich zu tun habe. Ich habe euch nie darum gebeten, mich zu begleiten. Wenn dir oder Alexander etwas nicht passt, ist das nicht mein Problem. Ihr könnt jederzeit eurer eigenen Wege gehen.“ Igel trat ein paar Schritte zurück. Entweder wollte er seine Ohren durch Davids Gebrüll schützen oder er wollte sich einer eventuell anbahnenden Schlägerei entziehen. Der Scharfschütze fuhr mit der rechten Hand durch sein Haar, das durch den Regen den Igellook verloren hatte und nun tropfend herabhing. „Ist ja gut… Hab keine Lust mit dir zu streiten. Besonders nicht - .“
 

Weiter kam er nicht. Igel wurde brutal von etwas auf den Boden gerissen und nun, wie durch eine unsichtbare Hand, mit rasender Geschwindigkeit über den Boden fort geschleift. David erstarrte nur für einen Sekundenbruchteil, aber allein das reichte schon aus, dass auch er zu Boden ging. Sein Sturmgewehr flog dabei im hohen Bogen davon. Doch im Gegensatz zu Igel, dessen Gebrüll noch in der Nähe zu hören war, wurde er nicht fortgezerrt. Rothe griff nach seinem Kampfmesser und stach in die Luft, die merkwürdig vor ihm flimmerte. Das Messer traf auf einen Widerstand und bohrte sich in etwas. Kurz darauf hörte er ein grauenvolles Fauchen, dass durch ein kräftiges Gewitterdonnern untermalt wurde, und starrte unmittelbar darauf in zwei milchige Augen. An der Stelle, in der das Messer steckte, materialisierte sich langsam eine unansehnliche, mit Narben übersäte, lederartige braune Haut. Ein Bloodsucker. Eines der grauenvollsten Wesen, dass in der Zone umherstreifte. Dieser hier befand sich wohl zusammen mit seinem Artgenossen auf der Jagd. Unmittelbar nach einem Blowout befand sich das gesamte Sperrgebiet in einem Ausnahmezustand. Viele Lebewesen, Menschen als auch Mutationen, kamen aus ihren Verstecken heraus um nach Aas, bzw. Vermissten zu suchen. Im Prinzip war diese Situation für die gefährlicheren Fleischfresser nichts weiter als eine gigantische Anrichte. Sowohl Aas als auch Frischfleisch tummelte sich gerade zu auf dem Gelände. Heute war es für sie sogar noch einfacher and Beute heranzukommen. Der dichte Regen, der aufsteigende Dampf und das grollende Donnern des Gewitters sorgten für eine ideale Atmosphäre für Jäger.
 

David wurde, ausgelöst von abscheulichem Mundgeruch, von schierer Übelkeit überwältigt, als das Wesen seinen eierförmigen Kopf zu ihm herabbeugte und ihn mit wahnsinnigen Augen anfunkelte. Die vier Tentakel, die die Lippen ersetzten, klatschen bedrohlich gegeneinander. Der Stalker schaute zur Seite und suchte nach seinem Gewehr. Dieses lag allerdings zu weit von ihm entfernt, als dass er es hätte benutzen können. Selbst wenn, hätte er nur geringe Chancen, den Bloodsucker zu töten. Das Wesen schien das zu wissen, es liess sich Zeit und töte ihn nicht sofort. Es schien fast so, als ob es sich daran ergötzen würde, dass seine Beute verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Der Sauger riss David an seinen Armen nach oben, sodass dieser ein paar Zentimeter über der Erde baumelte. Das Messer, das er in Bauch des Monsters gerammt hatte, sorgte zwar dafür, dass eine ansehnliche Menge dunklen Blutes aus der Wunde floss, aber es war bei Weitem nicht genug um den Sauger ernsthaft zu verletzen.
 

David konnte Igel inzwischen nicht mehr hören. Auch hörte er keine Schüsse fallen. Der Scharfschütze hatte nur seine SVDm2 im Gepäck. Dieses Gewehr war bei Nahkämpfen absolut untauglich. Rothe konnte nur hoffen, dass Igel sich was einfallen liess. Doch im Moment war die Sorge um seinen Freund zweitrangig, sein eigenes Leben ging vor. Es konnte hier noch nicht zu Ende sein. Schliesslich hatte er noch eine Mission zu erfüllen. Verzweifelte Tritte gegen den Rumpf des Blutsaugers brachten das Wesen nur noch mehr in Rage. David fühlte, wie sich die Tentakel langsam um seinen Hals schlangen, während die glasigen Augen ihn nur aus ein paar Zentimeter Entfernung fixierten. Das schwere Schnauben wich einem geradezu sanften Klicken, als das Wesen anfing ihm das Blut auszusaugen. Rothe spürte förmlich wie ihm seine Kraft verlies und ihm kalt wurde. ‚Nein! Nicht jetzt! Das darf nicht sein!’ Davids Gedanken überschlugen sich und er versuchte, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen. Doch was sollte er jetzt tun?
 

‚Lass los! Verdammt noch mal LASS LOS!’. Fast wie ein Mantra dachte der Deutsche nur noch an diese Wörter. Alle anderen Gedanken waren auf einmal verschwunden. Er fühlte auch keine Todesangst mehr. David fühlte einfach gar nichts. Er konnte auch seine Umwelt nicht mehr wahrnehmen. Es war fast so, als ob sich alles um ihn herum in Nichts auflösen würde. Es gab nur noch ihn und den Bloodsucker. War es denn nun soweit? Fühlte es sich so an, wenn man stirbt? Völlige Ruhe? Davids Wahrnehmung veränderte sich schlagartig. Dort, wo sich noch vor ein paar Sekunden der Kopf des Saugers befand, hatte sich ein merkwürdiges humanoides Geflecht aus Nervenleit- und Blutbahnen aufgebaut.
 

Schlagartig erinnerte sich der Deutsche wieder. Damals, als ihn das Militär als 16 Jährigen unmittelbar nach dem Busunglück halb tot im Sperrgebiet fand und in ein Militärkrankenhaus brachte, hatte er so etwas schon einmal erlebt. Mit seinem behandelnden Arzt. Doktor Getman. So brachte er ihn dazu, geheime Dinge herauszuplaudern, über die Getman nicht mit ihm reden wollte. So bekam er raus, dass der leitende Arzt des Krankhauses David als Versuchskaninchen behalten wollte.
 

Erweiterten sich seine telepathischen Fähigkeiten nur, wenn er einen gewissen Stresspegel erreichte? ‚LASS LOS! LASS LOS! LASS LOS! Schmerz! Ich will dass du Schmerzen spürst und mich loslässt!’ schrie David in Gedanken und seine Sinne fixierten das pulsierende Nervengeflecht vor seinen Augen. Sein Kopf fing an erneut zu schmerzen. Es fühlte sich an, als ob tausende Stacheln sich in sein Hirn bohrten. Doch galt seine ganze Konzentration dem Monster vor ihm.
 

Dann geschah das Unfassbare. Der Bloodsucker liess ihn wie jemand, der sich die Finger verbrannt hatte, los. David fiel auf seine Knie und stützte sich auf seinen Händen hab. Dabei hielt er aber stets Blickkontakt zu dem Monster und schrie innerlich, dass der Sauger Schmerzen erleiden soll. Das Wesen schrie gequält auf, krümmte sich immer wieder und hielt sich mit seinen bekrallten Händen den Kopf um ihn vor dem ungebetenen mentalen Eindringling zu schützen. ‚Ich will, dass du verschwindest. Auf der Stelle’ befahl David, während er aufstand und seinen Angreifer anstarrte. ‚Sofort! Und lass das Messer fallen!’ Das Monster drehte sich zu ihm. Wenn es in der Lage gewesen wäre, einen ängstlichen Gesichtsausdruck zu mimen, hätte es dies wohl getan. David spürte die Angst, die es ausströmte. Sein Überlebensinstinkt war grösser als sein Verlangen zu fressen. Mit leisen Klickgeräuschen trat der Bloodsucker mit langsamen Rückwärtsschritten den Rückzug an. Mit einer Pranke riss es sich Davids Messer aus dem Bauch und warf es auf den Boden. Das Wesen, das Rothe noch immer als pulsierendes Geflecht wahrnahm, verschwand langsam hinter dem dichten Regenschleier.
 

David starrte noch ein paar Minuten lang konzentriert in die Richtung, in die sich der Sauger zurück gezogen hat. Plötzlich sackte er in sich zusammen und fing an zu zittern. Entweder hatte das Monster bereits zuviel Blut ausgesaugt oder er hatte sich mit dieser Aktion überanstrengt. Seine Sinne fingen an, sich wieder zu normalisieren und er begann jetzt auch, seine Umgebung wieder wahr zu nehmen. Rothe krallte seine Finger förmlich ins nasse, ungesund aussehende Gras um das Erdreich zu fühlen. Er konnte noch immer nicht richtig begreifen, was gerade passiert war. Auf alle Fälle war die Gefahr gebannt und er war am Leben. Doch irgendetwas…
 

Igel! David rappelte sich auf und stolperte, immer noch überwältigt von dem eben Geschehenen, in die Richtung in die Igel gezerrt wurde. Er konnte nur hoffen, dass sich sein Begleiter noch in der Nähe befand, da er seine Präsenz nicht spüren konnte. Der Regen peitschte ihm in das Gesicht und verwischte etwaige Schleifspuren, die Igel hinterlassen haben könnte. Rothe hatte nach einiger Zeit das Gefühl, dass er sich im Kreis bewegte. Was wenn Igel bereits tot war? Als er über den nächsten Hügel Richtung Norden lief, stiess er gegen etwas Metallisches. Sein Herz setzte für ein paar Sekunden aus. Im Gras lagen Igels Scharfschützengewehr und seine Ray Ban Sonnenbrille. David konnte durch den Matsch nicht erkennen, ob das Blut, das an beiden Gegenständen klebte, Igels oder dem zweiten Bloodsucker gehörte. Er steckte die Sonnenbrille in seine Brusttasche, warf sich das Gewehr über die Schultern und setzte sich wieder in Bewegung. David konnte nicht nach ihm rufen. Das würde andere Jäger so sicher anlocken, wie das Amen in der Kirche. Falls es einen Gott gäbe, würde er hier im Sperrgebiet auf alle Fälle wegschauen. Hier herrschte allenfalls der Teufel. Die Zone wurde nicht um sonst ‚Vorhof zur Hölle’ genannt. Jeder, der sich hier aufhielt, sprang früher oder später von seinem Glauben ab. So war das hier. Hier galt nur ‚Fressen oder gefressen werden’.
 

Davids Schritte wurden immer langsamer bis er schliesslich ganz stehen blieb. Es war vollkommen sinnlos nach Igel zu suchen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, kniete sich hin und hämmerte auf den Boden. In ihm machte sich ein Schuldgefühl breit. Wenn er sich nicht mit Igel gestritten hätte, wäre er nicht abgelenkt gewesen und hätte die Bloodsucker gespürt als sie sich näherten. Er konnte sich nicht einmal bei Igel entschuldigen geschweige denn verabschieden. Dabei hatte Igel ihm zuvor gesagt, dass er immer bei ihm blieb. Was für eine erbärmliche Lüge. Schmerzhaft erinnerte er sich an seine Eltern. Auch mit ihnen hatte er sich gestritten; kurz bevor sie verschwanden. Er war einfach zu dickköpfig und angesäuert gewesen, als dass er sich entschuldigen wollte. Seine Eltern, dann Kim, von der er sich ebenfalls nicht verabschieden konnte, und jetzt Igel. Menschen, die er liebte.
 

Damals, als David sich für das Leben in der Zone entschied, schwor er sich, sein Dasein als Einzelgänger zu fristen. Zumindest solange, bis er Licht in die vermutlich grösste Verschwörung der Welt gebracht und seine Eltern gefunden hatte. Schon damals versuchte er, Alexander auf emotionaler Distanz zu halten. Aus Angst, dass er sich an den todkranken Kriminologen binden könnte. Doch war es bei einem kläglich gescheiterten Versuch geblieben.

Kapitel 15

Ort: die Zone

Gebiet: Militärbasis

Kontrolliert von: Freedom Fraktion
 

Der junge Stalker wollte sich am Liebsten sein ganzes Leid von der Seele schreien, als er eine ihm vertraute Stimme aus einigen Metern Entfernung hörte. „Hilfe! Hilf mir!“ David erstarrte. Das war doch Igels Stimme?! Also lebte er doch noch! Er wollte schon einen Schritt in die Richtung, aus der das abgehakte Geheul kam, setzen, doch sein Körper wollte nicht so recht. Tief in seinem Inneren hielt ihn etwas zurück. „Igel?“ fragte er misstrauisch. Seine innere Eingebung sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. „Hilf mir! Bitte!“ kam es wieder. „Ich will nicht sterben!“ David kniff die Augen zusammen und versuchte sich zu konzentrieren. Die Stimme gehörte Igel, ohne Zweifel, aber etwas war nicht in Ordnung. Die Tonlage war korrekt aber… Dann fiel es ihm ein. Igel sprach einen harten nordrussischen Dialekt. Doch hier sprach er eindeutig Surschyk. Weshalb sollte er in einem womöglich verletzten Zustand auf einmal eine andere Aussprache haben?
 

David nahm sein letztes bisschen Konzentration zusammen und fixierte seine Sinne auf die Stelle aus der die Stimme kam. Dort fühlte er die faulige Präsenz einer Mutation. Eine Mutation, die die menschliche Sprache beherrschte? Sicher, die Controller konnten einige leichte Sätze sprechen, aber eine vernünftige Konversation konnte man von ihnen nicht erwarten. Doch dieses Wesen hier, schien wohl nur drei Wörter zu beherrschen.
 

David ging im Geiste eine Checkliste durch, die die verschiedenen Monsterarten beinhaltete. Es musste sich hier um ein Pseudowesen handeln. Rothe biss sich auf die Zunge. Diese feigen Kreaturen schnappten menschliche Stimmen auf, meist Hilferufe und imitierten sie, um die ahnungslosen Gefährten, die nach dem Vermissten suchten, in eine Falle zu locken. Der Blonde erinnerte sich an einen Film aus seiner Jugend, in dem ein ausserirdisches Wesen die gleiche Taktik anwandte, um an seine Beute zu kommen. Doch das Alien war ein intelligenter Jäger. Das Pseudowesen hier war eines der feigsten Kreaturen in der Zone. Es vermied grundsätzlich den offenen Angriff.
 

David setzte seinen Rucksack ab und brachte Igels Scharfschützengewehr zum Anschlag. Durch ein speziell angefertigtes Zielfernrohr fand er nach einigem Suchen in einer Mulde zwischen zwei Büschen eine schwarze, deformierte Gestalt. Hier hatte sich das Monster also versteckt. Er zielte direkt auf den Kopf und drückte ab. David war ein miserabler Scharfschütze, da er die Ballistik dieser Waffen nicht kannte und Angriffe aus dem Hinterhalt seines Erachtens feige war. Er konnte nur hoffen, dass er sofort treffen würde. Der Schalldämpfer sorgte zwar dafür, dass das Wesen nicht erkennen konnte, wo er sich befand, doch würde er es sicherlich nicht darauf ankommen lassen. Für alle Fälle hatte er sein eigenes Sturmgewehr entsichert neben sich liegen. Rothe hatte Glück. Das Wesen fand noch nicht einmal die Zeit, einen Schrei von sich zu geben, sondern sackte leblos in sich zusammen.
 

David atmete auf. Auch diese Gefahr war jetzt gebannt. So bizarr es auch klang, er war beruhigt, dass die Kreatur Igels Stimme nachgeäfft hatte. Demnach war der Bloodsucker hier vorbeigekommen und das Pseudowesen schnappt Igels Hilferufe auf. Er lief also in die richtige Richtung. Nur war es mehr als nur unwahrscheinlich, dass sein Begleiter noch am Leben war. Dafür hatte David zu viel Zeit verloren. Dennoch hatte er ein letztes Fünkchen Hoffnung und machte sich wieder auf den Weg.
 

Rothe zog sein PDA aus der Tasche und schaute sich um. Er lief geradewegs in die Hölle des Löwen. Das Dorf der Bloosucker befand sich laut der Karte direkt vor ihm. Der Sauger hatte wohl vor, sich Igel mit seinen Artgenossen zu teilen. Schöne Vorstellung.
 

Durch den Regenschleier konnte er schon die zerfallenen Gebäude des Dorfes ausmachen. David verlangsamte seine Schritte und ging von nun an gebückt vorwärts. Dabei achtete er darauf, dass er von Deckung zu Deckung lief. Vielleicht waren die Sauger so intelligent und hatten unsichtbare Wachposten aufgestellt. Der starke Wind brachte ihm abscheuliches Gebrüll entgegen und die Luft roch bereits in dieser Entfernung nach frischem Blut. David musste sich bei dem Gedanken, dass dieses Blut Igel gehören könnte, übergeben. Wenn dem wirklich so war, durfte keine dieser Kreaturen weiterleben. Rache fand David zwar als primitiv und nutzlos, es würde seinen Freund nicht wieder lebendig machen, aber es verschaffte ihm ein gewisser Weise eine Art Abschied und er würde einen Schlussstrich ziehen können.
 

Vorsichtig betrat er das Dorf und spähte zwischen Rissen in den Gebäuden auf den vor ihm liegenden Dorfplatz. David hatte das Gefühl als ob jemand mit einem Messer fröhlich in seinen Eingeweiden herumstocherte, als er Zeuge eines abscheulichen Blutgelages wurde. Auf dem Platz stapelten sich geradezu menschliche Körper. Zwischen den Leichen tummelten sich sogar Teile von anderen Mutanten, die sich wohl ebenfalls zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten und von den Bloodsuckern gerissen wurden. Zwischen den acht Bloodsuckern versuchten ein paar blinde Hunde und Pseudohunde, immer wieder, einige Leichenteile zu erhaschen. Obwohl diese Kreaturen allesamt blind waren, hatten sie durch die unnatürliche Evolution, die Darwin wohl die Haare zu Berge stehen liess, ihre noch verbliebenen Fähigkeiten erweitert und nahezu perfektioniert. Ihr Gespür führte sie an praktisch jede Beute. Normalerweise rissen stets lebende Wesen. Aber wenn sich die Gelegenheit bot, machten sie auch vor Aas nicht Halt. Wie Kojoten und Hyänen stahlen sie einige Teile und rannten in wilder Eile davon. Der Deutsche musste erneut würgen, doch mit eiserner Disziplin verkniff er es sich diesmal.
 

Doch wie sollte er angesichts dieser Übermacht an Monstern verfahren? Selbst wenn er sein Sturmgewehr auf Vollautomatik umschaltete, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihn nicht doch einer der Sauger oder ein Köter erwischte? Sein Blick wanderte zu Igels SVDm2. Sollte er es wagen, sie noch einmal zu benutzen? Genug Sicherheitsabstand hatte er ja. David könnte versuchen, sich auf den gegenüberliegenden Turm, der vermutlich mal als Kornsilo fungiert hatte, zu schleichen und aus luftiger Höhe nach unten schiessen. Immerhin konnten weder die blinden Hunde als auch die Bloodsucker nicht klettern. Somit wäre er in relativer Sicherheit.
 

Gerade in dem Moment, als er seinen Rucksack und sein Sturmgewehr abnehmen wollte um leichter und agiler zu werden, packte ihn etwas von hinten und hielt ihm den Mund zu. David war zwar viel gewohnt und geriet selten in Panik, doch seine Nerven lagen durch die vergangenen Erlebnisse mehr als blank. Er wollte sich schon zur verzweifelten Gegenwehr setzen als er eine ihm wohlbekannte Stimme vernahm. „Ssshhhhh. Ganz ruhig. Ich bin es. Ich lasse dich jetzt los. Schrei bloss nicht.“ David nickte und sein ‚Angreifer’ liess ihn langsam los. Sofort drehte sich der Deutsche um und starrte ungläubig in graue Augen. Seine Mund formte zwar einen Namen, doch glich es mehr einem Fisch, der auf dem Trockenen nach Sauerstoff schnappte. Er brachte einfach keinen Ton heraus. Der Unglaube sass einfach zu tief. Zitternd hob er seine Hände und strich über Igels Gesicht um sich zu vergewissern, dass er nicht nur eine gemeine Illusion, ausgelöst durch Stress, war.
 

„Igel.“ Ein erneuter Anlauf, mehr als nur seinen Namen zu sagen schlug fehl. David schaute entrüstet weg. Es war einfach zu schön um wahr zu sein. Erst als der Schwarzhaarige seinen Kopf wieder in seine Richtung drehte und ihn in den Arm nahm schaute er wieder auf. Igel grinste. Er hatte sich an seiner linken Wange verletzt, offensichtlich ein Krallenangriff, doch die Wunden waren nicht allzu tief. Der Scharfschütze beugte sich leicht runter sodass sich Stirn und Nasen berührten. „Ist ja gut. Erklärungen gibt’s später. Wollen wir hier nicht ein wenig zusammen aufräumen? Hier gibt’s sicher jede Menge wertvolle Dinge, die wir mitgehen lassen und teuer verkaufen können.“ Pervers war kein Ausdruck. Wie konnte Igel jetzt von Leichenfledderei und Hausplünderungen reden? Jetzt wo David Gewissheit hatte, dass er noch gesund und munter am Leben war? Besonders das böse Funkeln in seinen grauen Augen und das listige Grinsen, das im krassen Gegensatz zu seinem liebevollen Ton, den eigentlich nur ein Liebhaber beim Liebespiel hatte, stand, machte ihn nervös. Aber es war definitiv Igel. Daran bestand kein Zweifel. Wie in Trance konnte David nur nicken und sein Partner grinste noch breiter.
 

„Das nenn ich mal Service, du hast ja meine SVDm2 mitgebracht.“ Lachte er gedämpft während er sein Gewehr aufnahm. „Du hast den Vorratsspeicher auf der anderen Seite wohl auch schon ausgemacht, was? Du bleibst hier und steigst aufs Dach. Dort hinten befindet sich eine Leiter. Ich werde auf den Turm gehen und sie von dort erledigen. Ich werde dir mit meiner Taschenlampe dreimal Zeichen geben wenn ich bereit bin. Ok?“ David nickte und nahm beinahe mechanisch seine GP37 auf und wanderte zurück zum Spalt in der Fassade. Seine Gedanken überschlugen im Moment einfach zu sehr, als dass er sich der jetzigen Situation richtig bewusst wäre. Doch dann drehte er sich noch einmal um, zog die Sonnenbrille aus seiner Tasche und streckte den Arm aus um sie seinem Besitzer zurückzugeben. Igel grinste und setzte sich sein verloren geglaubtes Stück sofort auf die Nase und berührte David noch mal kurz an der Schulter. Danach machte er sich auf den Weg zum Turm.
 

In weniger als fünf Minuten sah David die Leuchtsignale vom gegenüberliegenden Turm. Der Scharfschütze hatte es also unbemerkt dort hin geschafft. Der Blonde hatte das Gefühl, als ob er jegliches Zeitgefühl verloren hatte und entweder in Trance agierte oder das alles wirklich nur ein Traum war und er im Sterben lag. Dass der Sieg über den Bloodsucker und das Pseudowesen und Igels Rückkehr nichts weiter als Einbildung war. Doch darüber konnte er sich später Gedanken machen. Es galt erstmal hier im Dorf klar Schiff zu machen. Durch weitere Lichtzeichen gab ihm Igel sein erstes Ziel durch. Der Scharfschütze würde sich den Sauger auf der von ihm aus gesehenen linken Seite vornehmen. Er selbst, David, sollte auf den Mutanten auf der gegenüberliegenden Seite erledigen. Rothe hatte zwar eine Zielvorrichtung für Präzisionsschüsse, doch einen Schalldämpfer hatte er nicht. Sie mussten also so schnell wie möglich arbeiten. Beinahe zeitgleich gaben sie den ersten Schuss ab. Während Igel sein Ziel genau in den Hinterkopf traf und der Sauger frontal in den Leichenhaufen klatschte, traf David sein Ziel nur in den Hals, was die Kreatur aber glücklicherweise in den, wenn auch nicht in den sofortigen, Tod riss.
 

Die mutierten Wesen wirbelten herum, wussten aber nicht so recht, aus welcher Richtung die Bedrohung kam. Zwei der Bloodsucker machten sich auf der Stelle unsichtbar, um der Gefahr zu entgehen. Die Hunde stoben auseinander, doch rannten einige von ihnen vor Panik in eine nahe gelegene Elektroanomalie. Die elektronischen Schocks sorgten, dafür dass die Tiere sofort zuckend starben. Zwei weiter Blutsauger befanden noch auf dem Platz, allerdings waren sie höchste Alarmbereitschaft gesetzt und sondierten das Areal. Glücklicherweise sorgte der Regen dafür, dass Davids Sturmgewehr keine Rauchfahne aufstiegen liess und so, zumindest für den Moment, unentdeckt blieb. Einer beiden Bloodsucker fiel der Länge nach auf den Boden. Igel hatte also einen weiteren getroffen. Der noch übrig gebliebene machte sich ebenfalls daran, sich unsichtbar zu machen, doch David stellte sich auf, schrie und schoss in seine Richtung. Er musste die Kreatur auf sich aufmerksam machen, sodass Igel genug Zeit hatte, um genau zu zielen. Das Wesen starrte mit bösen Blicken zu ihm auf und brüllte in Rage. In dem Moment, als es auf ihn zu rennen wollte, traf ihn Igel ebenfalls in den Kopf. Zumindest war der Dorfplatz jetzt gesäubert.
 

Doch es verblieben noch zwei Blutsauger. David spürte die blinde Wut, die von ihnen ausging. Die überlebenden blinden Hunde hingegen sind unter der Führung eines Pseudohundes geflüchtet. Von ihnen ging keine Gefahr mehr aus.
 

Vorsichtig stieg David vom baufälligen Dach herunter und musste aufpassen, dass er nicht auf den durchnässten Ziegeln ausrutschte. Er fühlte, dass sich ein Sauger in einem der Räume unter ihm aufhielt und darauf wartete, dass er herunter kam. Das Katz und Maus Spiel konnte also beginnen. David war darauf gefasst. Mit Hilfe des Nachtsterns schwebte er hinunter und presste sich sofort mit dem Rücken zur Wand. Die Kreatur hielt sich am Ausgang auf. Wenn er nach draussen wollte, musste er durch diese Tür gehen. Auf leisen Sohlen und stets das Gewehr nach vorne gerichtet schlich er vorwärts. Für einen gewöhnlichen Stalker, wäre das hier eine psychologische Tortur höchsten Grades. Zwar war auch David momentan ebenfalls mehr als nur aufgewühlt und musste sich konzentrieren aber seine Fähigkeiten gaben ihm dafür einen gewaltigen Vorteil. Der Deutsche näherte sich langsam dem Ausgang. Obwohl er sich so vorsichtig wie möglich bewegte, knarrten die Holzdielen auf einmal auf. Er hielt sofort in seiner Bewegung inne und zielte mit seinem Sturmgewehr, das er vorher noch auf Dauerfeuer eingestellt hatte, in Richtung Ausgang. Der Bloodsucker wurde durch das Knarzen aufgeschreckt und machte den letzten Fehler seines Lebens. Er verliess die sichere Mauer neben der Tür und trat in die Ruine. Trotz Stealth Modus durchsiebte ihn die GP37 förmlich. Stöhnend brach die Kreatur, die durch die Treffer wieder sichtbar wurde, zusammen. David trat an den Körper heran und gab dem zuckenden Wesen den Gnadenschuss.
 

Als er den Hof betrat, fand er Igel, der bereits drauf und dran war, die toten Körper nach Waffen und Artefakten zu durchsuchen. David spürte die Gegenwart des letzten Bloodsuckers nicht. Also musste ihn der Scharfschütze erwischt haben. Er kniete sich ebenfalls hin und starrte auf die ihm nächstgelegene Leiche. Es handelte sich um einen freien Stalker, da dieser kein Fraktionsabzeichen auf seinem Anzug aufwies. Der Deutsche knirschte mit den Kiefern. Der Mann, nein das war kein Mann, war höchstens 18 Jahre alt. Vielleicht handelte es sich um einen Neuling, der geradewegs ins Verderben gerannt war. David schloss die Augen des Toten, die vor Schreck weit aufgerissen waren. Er empfand zwar kein Mitgefühl für den blutjungen Stalker, da sich dieser mit Sicherheit freiwillig dazu entschieden hatte, sich als Glückritter in der Zone zu versuchen, aber dennoch erwies er ihm die letzte Ehre. Im Gegensatz zu ihm hatte er die Wahl gehabt. David hingegen nicht. Der Ruf der Zone hielt ihn fest. Er konnte nicht weg.
 

„Na sieh mal einer an.“ Hörte er Igel neben sich sagen. „David komm mal her.“ Rothe stand auf stellte sich neben ihn. „Was ist?“ fragte er als er in dieselbe Richtung wie Igel starrte. Er betrachtete die drei Leichen genauer und war mehr als nur erstaunt als er erkannte, dass zwei von ihnen der Monolith Fraktion angehörten. Der dritte, der unter den beiden begraben war, trug einen orange farbigen Wissenschaftleranzug und war gefesselt. „Diese beiden hier haben wohl einen Wissenschaftler entführt und wollten ihn sicherlich in ihr Hauptquartier bringen. Doch zu welchem Zweck? Und ausserdem dachte ich immer, dass diese Idioten von Mutantenangriffen sicher seien? Naja, vielleicht sind die auch direkt in den Blowout reingeraten.“
 

Igel rümpfte die Nase und nahm einen grossen Koffer auf, den der tote Wissenschaftler in seinen Armen hielt. Der Scharfschütze pfiff, als er den Inhalt sah. „Na DAS nenn ich mal ein Gewehr!“ David beugte sich vor und starrte auf das wohl eigenartigste Gewehr, das ihm jemals unter die Augen kam. „Das Ding hat ja gar kein Magazin. Nicht mal ne Vorrichtung dafür hat es. Mit welcher Munition feuert denn das Ding?“ fragte er. Igel neigte seinen Kopf auf die Seite. „Keine Ahnung. Aber wir werden es schon herausfinden. Auf alle Fälle nehmen wir das Teil mal mit." Wie ein kleines Kind, dass ein neues Spielzeug erhalten hatte, strahlte er über beide Ohren und krallte sich förmlich in den Koffergriff damit er ihn bloss nicht verlor.
 

„Sag mal Igel, wie kommt es dass du noch am Leben bist? Der Bloodsucker hat dich doch mitgeschleift.“ Der Schütze fing an zu lachen. „Naja weißt du, ich hatte einfach Glück. Als mich der Sauger in das Dorf gezerrt hatte und mich aussaugen wollte, rannte in purer Raserei, aus welchen Gründen auch immer, ein fetter Pseudogigant ins Dorf. Den Saugern hat das nicht so ganz gefallen, dass so ein Fleischberg uneingeladen in die Runde platzte und griffen ihn an.“ Igel deutete auf den toten Riesen, der an einem lädierten Zaun lag. Seine säulenartigen Beine und die kurzen Arme ragten steil in die Höhe. „Hab den Tumult ausgenutzt und mich verdünnisiert. Gerade als ich einen sicheren Weg aus dem Dorf rausgefunden hab, bist du aufgetaucht.“ redete er weiter. David nickte, sagte aber nichts. Das Adrenalin, dass ihn die letzten Stunden versorgte, lies nach und sein Körper fing inzwischen an zu zittern. Igel durchsuchte die Taschen der toten Männer und fand ein grosses Stück Steinblut, das er David gab. Dieser griff nach dem Artefakt und legte es sich an seinen Hals. Der Schwarzhaarige stand schliesslich auf und schaute sich um. „Es ist besser wenn wir so schnell wie möglich von hier abhauen. Wer weiss, ob noch mehrere Bloodsucker, die draussen gejagt haben, auf dem Rückweg sind.“ David stand nun ebenfalls auf und setzte sich mit ihm zusammen in Bewegung. Ohne auch nur einmal zurück zu dem Berg von Leichen zu schauen verliess er das Dorf.

Kapitel 16

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

„Ich bitte Sie höflichst, zu kooperieren, Fräulein Raika. Bedenken Sie, dass das Schicksal der Welt in Ihren Händen liegt. Ohne Sie kann das Kollektiv die Noosphäre nicht unter Kontrolle halten und somit wird sich die Zone immer weiter ausdehnen, bis sie schliesslich die ganze Welt verschlungen hat!“ O.O. Dobrynin versuchte mit allen Tricks und Suggestionen, die wild gewordene Kim Raika zu besänftigen. „Von wegen! Ihnen liegt nichts an der Sicherheit der Welt! Ihnen ist es egal, ob sich die Zone ausdehnt oder nicht. Sie sind nur an einem interessiert: die Eroberung der Welt. Dafür ist Ihnen jedes Mittel recht!“ schrie sie wutentbrannt.
 

Der Professor nahm ihre Ausbrüche zur Kenntnis und lief zu einem der Tanks, in dem sich eines der Kollektiv Mitglieder befand. „Aber, aber meine Liebe. Ich habe nicht im Geringsten die Absicht, die Welt zu kontrollieren. Mir geht es lediglich darum, die instabile Noosphäre mit Ihrer Hilfe wieder unter Kontrolle zu bringen. Sonst kann ich für nichts garantieren. Sie wollen doch auch nicht, dass die Welt zu Grunde geht. Ihre Mutter hier hat das erkannt und sich in den Verbund integriert. Leider schwächeln inzwischen einige Mitglieder dermassen, dass wir sie, sagen wir auf Urlaub schicken müssen, damit sie sich erholen. Genau dasselbe werden wir auch mit Ihnen machen. Sie werden sich nicht ständig in den Tanks aufhalten.“
 

Kim rümpfte sich die Nase und lief zum Tank, in dem sich ihre Mutter befand. Trotz der merkwürdigen Flüssigkeit, in der sie schwamm, machte sie einen relativ gesunden Eindruck. Aber dennoch. Der Gedanke daran, nicht mehr die Kontrolle über sich selbst zu haben und sich dem Verbund und Dobrynin zu beugen, jagte ihr mehr als nur Unbehagen ein. Ihre Finger wanderten über das Spezialglas des Tanks. Dobrynin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Offensichtlich brauchte es doch nicht so viel Überredungskunst um die Raika zu integrieren. Sie schien wohl im Moment ernsthaft darüber nachzudenken, sich anzuschliessen. „Fräulein Raika, ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen nichts Böses will. Im Gegenteil. Sie können sogar mit Ihrer Mutter kommunizieren.“ Flötete er weiter.
 

Die junge Frau ballte plötzlich ihre Hände zu Fäusten und schlug dem Professor direkt ins Gesicht. Der Getroffene ging augenblicklich zu Boden und hielt sich die bereits heftig blutende Nase. Kim liess allerdings nicht von ihm ab. Mit gezielten Tritten bearbeitete sie ihn auf brutalste Weise. Zwei Agenten eilten herbei und hielten die Silberhaarige fest, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten konnte. „Verdammt lasst mich los! Seht ihr denn nicht, dass ihr alle nur von diesem Schwein benutzt werdet?“ Ächzend rappelte sich Dobrynin wieder auf und wischte sich das Blut mit seinem weissen Laborkittel ab. „Nun gut. Ich habe versucht, Sie auf äusserst freundliche Art und Weise zu bitten, mit uns zu kooperieren. Aber nun müssen härtere Massnahmen ergriffen werden. Das Wohl der Welt steht über das Wohl eines Einzelnen.“ Er zog aus seiner Kitteltasche eine präparierte Spritze und bewegte sich auf Kim zu. „Verpiss dich du Schwein! Lass mich in Ruhe!“ keifte sie weiter und versuchte, mit ihren Beinen zu treten. Gezielt traf der Professor eine Vene und pumpte langsam die Flüssigkeit in Kims Körper.
 

Ihre Wahrnehmung fing an nachzulassen. Alles drehte sich und sie fühlte, wie sie ihre Kraft verlor. Kraftlos fing sie an zu lallen und sie spürte, dass heisse Tränen ihre Wangen herunterliefen. „Was macht ihr mit mir?“ Wronski, der sie fest im Griff hatte und einige harte Treffer eingesteckt hatte, starrte sie unverwandt von oben herab an. Ob es die gestörte Wahrnehmung oder die Wirklichkeit war; Kim glaubte, dass er ein „Bitte, mach es uns nicht noch schwerer als es ohnehin schon ist.“ zu ihr flüsterte bevor sie das Bewusstsein verlor.
 

Die Agenten trugen Kim zu dem ihr zugeteilten Tank. Dieser war nach ihrem ersten Ausbruch inzwischen wieder repariert und gereinigt worden. Dobrynins Assistent schaute prüfend auf die junge Frau. „Professor, was wenn sie noch einmal dem Kollektiv widersetzt und erneut aufwacht? Wir können dann nicht mehr garantieren, dass ihr Hirn keinen Schaden davonträgt.“ Doch Dobrynin winkte ab. „Das ist nicht von Belang. Ihr Körper als auch ihr Hirn kann einen irreparablen Schaden davontragen. Wir haben lediglich dafür zu sorgen, dass ihr Verstand und ihre Fähigkeiten vollkommen funktionieren. Der Rest ist irrelevant. Ich habe bereits ein Mittel anfertigen lassen, die ihre Körperfunktionen auf nahezu Null herunterfährt.“ Der Assistent nickte. „Also werden wir sie in eine Art physische Kryostase versetzen?“ Der Professor bejahte dies und wandte sich wieder seiner neuesten Errungenschaft zu, die inzwischen an Sauerstoffschläuche und EEG artige Geräte angeschlossen war. Die Agenten schlossen langsam den schweren Tank und entfernten sich schliesslich. Dobrynin gab einem weiteren Wissenschaftler, der im Kontrollraum stand, mit der Hand das Zeichen, dass er den Tank mit der Nährflüssigkeit füllen konnte.
 

„So meine Liebe. Jetzt werden wir sehen, ob du dich immer noch gegen den Verbund wehren kannst.“ Lachte er finster und starrte noch eine Weile in den Tank. „Auf alle Fälle wird dein Freund auch bald dir sein. Dann kannst du zusammen mit deiner Mutter, seiner Mutter und ihm selbst fröhliche Familie spielen.“
 

Zufrieden lief er mehr als langsam mit hinter seinem Rücken verschränkten Armen zurück in den Kontrollraum.
 

Kurz vor einer Dekontaminationsschleuse fand Wronski seinen Partner Scar, der sich mit einem Trupp Stalker zum Aufbruch bereit machte. „Neuer Einsatzbefehl?“ fragte er knapp. Scar nickte und winkte seine Leute durch die Schleuse. „Korrekt, zwei Befehle um genau zu sein. Bei dem Blowout kamen einige Brüder mit einem Waffentechniker ums Leben. Gross kratzen tut es mich zwar nicht, aber der Techniker hatte eine verbesserte Version unserer neuen Gauss dabei. Diese sollen wir so schnell wie möglich bergen, damit sie nicht in falsche Hände fällt. Der zweite Befehl lautet, dass wir Leuvkov bei seiner Mission unterstützen sollen. Er hat uns selber angefordert.“
 

Wronski trat auf die Seite und klopfte ihm auf den Rücken. „Auf gutes Gelingen, Bruder. Möge der Monolith Euch beschützen.“ Sagte er.
 

Scar tippte mit seiner Hand gegen seine Stirn und trat dann ebenfalls durch die Schleuse.
 

Bald, sehr bald wir der Monolith in seiner vollen Pracht erstrahlen.
 

„KIM!“

Kapitel 17

Ort: die Zone

Gebiet: Bar

Kontrolliert von: Duty Fraktion
 

Auch Duty war nach dem Sturm dabei, nach Vermissten zu suchen. Beinahe im Sekundentakt prasselten neue Todesmeldungen von Stalkern aus der ganzen Zone auf die PDAs ein. Dieser Sturm war offenbar verheerender als die bisherigen. David und Igel hatten deshalb ihre Minicomputer abgeschaltet; das ständige Gepiepe ging ihnen mit der Zeit ziemlich auf die Nerven. Als die beiden sich langsam dem nördlichen Eingang näherten, kam ein Trupp mit zwei Schwerverletzten auf Tragen an ihnen vorbei. Sie wiesen ziemlich üble Verbrennungen auf und schrien vor Schmerzen. Auch jedes noch so seltene Artefakt hatte seine Grenzen. Ab einem gewissen Verletzungsgrad gab es schlichtweg keine Aussicht auf Heilung mehr.
 

Am Eingang der Bar stand Kizenko, der sich mit einem Klemmbrett und Stift bewaffnet hatte.

Er führte offensichtlich Buch über die Stalker, die verletzt in die Bar gebracht wurden. „Dieser hier gehört zu Kategorie I, der andere zu III.“ Die Mitglieder des Trupps nickten und liefen weiter. Als Kizenko David und Igel erblickte, atmete er erleichtert aus und winkte sie herbei. „Ihr seid also doch noch am Leben. Wir haben schon das Schlimmste befürchtet. Ihr beide habt wohl mehr Glück als Verstand.“ David nickte nur während er den nächsten eintreffenden Zug von Verletzten beäugte. Kizenko stöhnte „Das nimmt gar kein Ende. Seit Stunden kommen Verletzte aus allen Himmelsrichtungen an. Unser Lazarett ist bereits hoffnungslos überfüllt. Wir sind inzwischen dabei, die Verletzten in Kategorien einzuteilen. Ihr wisst ja was das heisst.“ Igel bejahte dies und wollte David weiterzerren als Kizenko ihn zurückhielt. „Übrigens, euer Major hatte kurz nach dem du das Lager verlassen hattest einen Zusammenbruch.“ Dies lies David aufhorchen „Alexander? Geht es ihm gut?“ fragte er aufgebracht. Kizenko nickte während er ohne Anteilnahme die Namen der Verletzten anhand der Dog Tags auf die Liste setzte. „Den Umständen entsprechend. Der Krebs nagt heftig an ihm. Ich frage mich, wie er überhaupt noch in der Lage ist, sich hier in der Zone aufzuhalten.“ David schüttelte den Kopf. „Wo ist er jetzt?“ „Im Lazarett.“ antwortete Kizenko knapp und schaute dabei nicht mal auf. „Der hier gehört zu Kategorie III.“
 

David und sein Begleiter verabschiedeten sich von ihm und begaben sich in Richtung Lazarett. „So ein Dummkopf. Der könnte sich mit der Zeit, die ihm noch bleibt, ein schönes Leben ausserhalb des Sperrgebiets machen.“ murmelte Igel mehr zu sich selbst als zu seinem Partner. David funkelte ihn erbost an. „Er wäre nicht Alexander, wenn er das machen würde. Du magst ihn wohl nicht allzu sehr, oder?“ Der Schwarzhaarige starrte ihn perplex an und wäre fast auf dem matschigen Untergrund ausgerutscht. „So hab ich das nicht gemeint. Ja ich geb’ zu, dass ich ihn nicht sonderlich leiden kann, aber das tut nichts zur Sache. Ich meine, wenn du weißt, dass du stirbst, wirst du doch alles daran setzen, dass du dein restliches Leben so schön wie möglich gestaltest? Wie zum Beispiel ein Haus an einem See?“ sinnierte er. Rothe drehte seinen Kopf leicht auf die Seite und betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. „Sein grösster Wunsch ist es, endlich Gewissheit zu haben weshalb seine Familie damals sterben musste, Igel. Er will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Das ist alles, was er sich erhofft. Mehr will er nicht.“ sagte der Deutsche ernst. Igel seufzte laut. Im Prinzip war er froh, dass er selbst nicht in Alexanders Situation war, aber wenn das David an die Nieren ging, färbte die düstere Stimmung auch auf ihn ab. Langsam trottete er hinter dem Deutschen her.
 

„Du wünscht dir ein Haus an einem See, Igel?“ fragte David ihn aus heiterem Himmel. Sein Begleiter nickte und schaute in den immer noch verregneten Himmel auf. „Ja, tue ich. Ist daran was falsch? Wenn ich es hier schaffe, einen monetären Volltreffer zu landen, bin ich schneller von hier weg, als du ‚Snork’ sagen kannst. Wenn ich mir das Szenario hier ansehe, mit all den Sterbenden ringsherum, wünsche ich mir, dass das so schnell wie möglich passiert und ich verduften kann. Hier wird’s mir langsam zu brenzlig. Ich wünsche mir ein grosses, gemütliches Haus am See. Weit weg von hier. Ich weiss schon genau wie es aussehen wird. Ein weisser Anstrich, schwarze Ziegel, alles im Landhausstil eingerichtet. Nur meine kleine Werkstatt nebenan hat den modernsten Firlefanz. Da kann ich in meiner Freizeit rumbasteln. Ein grosser Garten und die Strasse, die zur Hofeinfahrt für, soll eine Allee sein. Mit grossen Bäumen.“
 

David blieb abrupt stehen und Igel lief auf ihn auf. „Was ist? Hab ich was Falsches gesagt?“ Der Kleinere drehte sich um und starrte ihn an. „Bis auf die Werkstatt hast du exakt mein Haus in Deutschland beschrieben.“ Igel starrte zurück. „Was? DU hast in so einem Haus gelebt?“ David nickte leicht reumütig. „Ja. Mein Vater war ein angesehener Arzt. An Geld fehlte es uns wirklich nicht. Meine Mutter, die durch das Tschernobyl Unglück 1986 einen Strahlenschaden davontrug, wurde deshalb in eine Spezialklinik in Deutschland eingewiesen. Ihr behandelnder Arzt war mein Vater. Nach dem Unfall hier haben meine Grosseltern das Haus übernommen, sodass es nicht verkauft werden musste. Als mich die Militärs damals ein paar Mal in der Zone geschnappt haben und nach Deutschland ausgewiesen haben, blieb ich dort eine Zeit lang. Aber ich kam immer wieder hierher zurück.“ Der Stachelkopf nickte. „Hätte ich wirklich nicht gedacht. Sag mal David, wenn die ganze Sache hier vorbei ist und du ein Ziel erreicht hast, gehst du dann für immer nach Hause?“ Der Blonde musste unwillkürlich grinsen. „Ich weiss worauf du hinaus willst. Du willst dich wohl als Untermieter einschleichen?“ sagte er spitz. Igel strich in Verlegenheit seine Hand durch sein klatschnasses Haar. „Erwischt. Wäre aber doch ne tolle Idee. Oder willst du mich etwa loswerden?“ David lachte „Nein das nicht, Igel! Aber wenn du mitkommst, geht Alexander auch mit. Darauf bestehe ich.“ Sein Partner seufzte. „Hätt’ ich mir eigentlich denken können. Naja egal, ich kann ihm ja aus dem Weg gehen.“ Den Kopf schüttelnd setzte sich David wieder in Bewegung um nach Marinin zu sehen.
 

Gerade in dem Moment als David die Baracke, die sich Lazarett schimpfte, betrat, kam ihm Alexander bereits entgegen. Bevor der Deutsche überhaupt etwas sagen konnte, hatte er sich schon eine schallende Ohrfeige eingefangen. „Wofür war die denn?“ zischte er während er sich die Hand an sein brennendes Ohr hielt. „Das weißt du ganz genau Junge. Wie konntest du nur so dämlich sein alleine da raus zu gehen? All die Jahre, die ich dich gekannt habe, dachte ich dass du von intelligenter Natur seiest. Hab mich aber gewaltig getäuscht. Aber eigentlich hätte ich es besser wissen sollen.“ brummte Marinin. Igel hielt sich dezent im Hintergrund, verfolgte aber interessiert den Streit zwischen den beiden.
 

Als es den Feldärzten nach einer Weile auf Grund der Lautstärke zu bunt wurde, flogen alle drei kurzerhand aus dem Lazarett und sie einigten auf einen Waffenstillstand. Allerdings war keiner von beiden zufrieden und sprachen eine Zeit lang kein Wort miteinander. Erst als der Major einen heftigen Hustenfanfall bekam, sprach David wieder. „Kizenko hat mir gesagt, dass es dir wieder schlechter geht.“ Alexander winkte ab. „Geht schon wieder. Mach dir da mal keinen Kopf. Wir sollten uns lieber auf den Kampf in der Arena heute Abend konzentrieren.“

Kapitel 18

Ort: die Zone

Gebiet: Bar – später Yantar

Kontrolliert von: Duty Fraktion - Keine
 

Zuerst der nervenaufreibende Kampf gegen die Stalkerkiller in der Arena der Wächter. Danach der Überraschungsangriff des Militärs auf das Lager. Weshalb griffen sie ihre eigenen Verbündeten an? Duty arbeitete doch inoffiziell mit dem Militär zusammen? Alexander behauptete doch steif und fest, dass General Simak keinen Fuss in die tieferen Gebiete der Zone setzen würde.
 

David und seine Begleiter hatten Glück im Unglück. Das Preisgeld für den Kampf war zwar hinüber, doch sein Team schaffte es wohlbehalten aus der belagerten Basis indem sie durch einen geheimen Tunnel flohen.
 

Ein Hubschrauber, der sich zufällig in der Nähe befand, wurde durch David mit Hilfe seines Nachtsterns gekapert. Durch Alexanders Flugkünste begaben sie sich auf direktem Weg nach Yantar. Allerdings musste Marinin durch den beschädigten Heckrotor notlanden, sodass sie den restlichen Weg zu Fuss fortsetzen mussten.
 

Als sie die Grenzen zu Yantar erreichten, trafen sie auf den sandfarbenen Pitbull Gagarin, der durch eine Anomalie sein Herrchen Khan verloren hatte. Was aber nicht weiter schlimm war, da der Hund von jenem auf brutalste Weise misshandelt wurde.
 

Auf ihrer Flucht mussten sie einen Grossteil ihrer Ausrüstung im Lager von Duty aufgeben und hatten nur das Nötigste dabei. Doch der Weg führte sie auf keinen Fall zurück. Obwohl es David inzwischen bewusst war, dass er geradewegs in eine Falle tappte, trieb er seine Gruppe weiter. Um Kims Willen. Die Hoffnung, dass sie noch am Leben war und seinen Feinden einen Schritt voraus war, hatte er bis dato noch nicht aufgegeben.
 

Gagarin trottete mit wedelndem Schwanz vor David her. Dabei schaute er immer wieder zurück und passte auf, dass sein neues Rudel nicht zurückfiel. Hin und wieder lief er im Bei Fuss Tempo neben Igel und leckte ihm über seine Hand. Dafür tätschelte der Schütze seinen Kopf. David musste dabei leicht lächeln. Immer wieder ertappte er sich dabei, dass er Kim vergass und an Igel dachte. Er fühlte sich mit Sicherheit nicht so weich und zerbrechlich an wie Kim. Wenn er ihm nahe war, beschleunigte sich jedes Mal sein Puls und eine Unruhe machte sich in ihm breit. Und das tat ihm verdammt weh. Seine Gefühle hatte er in dem Moment erforscht und anerkannt, als Igel ihm seine Zuneigung gestand. Ja, er liebte ihn. Ob er ihn allerdings mehr liebte wie Kim wusste er nicht so recht.
 

Auf einmal blieb der Pitbull abrupt stehen und spitze die Ohren. Auch David hielt inne und starrte in dieselbe Richtung wie Gagarin. Alexander rückte ein Stück näher zu dem Blonden und flüsterte leise „Was ist los? Ist da etwas?“ David nickte und entsicherte sein Sturmgewehr. Igel nahm seinen Feldstecher zur Hand und sondierte das Gelände. David dirigierte ihn nebenher. „Auf 1500. Da ist irgendetwas. Aber genau erfassen kann ich es nicht.“ Der Stachelkopf stellte die Okulare feiner ein und bemerkte, dass sich etwas mit unglaublicher Geschwindigkeit zwischen den Büschen bewegte. Aufgrund der Statur musste dieses Wesen früher einmal menschlich gewesen sein. Es trug zerfledderte Kleidung und Armeestiefel. Das markanteste hingegen war die Gasmaske, die ein langer Schnorchel zierte. „Ein Snork.“ stellte Igel fest. „Diese Biester sind normalerweise nie alleine.“
 

Ein löwenähnliches Fauchen hinter ihnen bestätigte ihn in seiner Annahme. Alexander fuhr herum und feuerte. Er musste getroffen haben, denn das Wesen brüllte erbost auf. Doch anstatt sich zurückzuziehen sprang der Snork aus dem Gebüsch. Die Sprungkraft dieses Monsters war unglaublich. Mühelos überbrückte es die Distanz zwischen ihm und dem Major. Durch die Wucht des Aufpralls wurde Alexander zu Boden gerissen und sah dem Snork nun direkt ins blutige Gesicht. Zumindest in einen Teil des Gesichtes. Der Unterkiefer des Biestes lag frei und es fletschte bösartig die vergilbten Zähne.
 

Gagarin reagierte blitzschnell und sprang dem Snork an den Hals um seine Fänge darin zu versenken. Das Wesen brüllte vor Schmerz auf und ergriff mit seinen Armen den Hund um ihn abzuschütteln. Doch ein Pitbull, der bereits zugeschnappt hatte, konnte man nicht mehr so einfach abschütteln. Obwohl Gagarin durch die Luft geschleudert wurde, als der Snork in Panik davon springen wollte, liess er nicht los. Das dunkle Blut lief ihm bereits die Schnauze herunter und der Snork fing an, erbärmlich zu röcheln. Alexander, der sich inzwischen aufgerappelt hatte, starrte fasziniert auf das Monster, das langsam aber sicher zu Tode blutete. So ein Pitbull hatte doch etwas Gutes. Sparte Munition.
 

David und Igel hatten indes andere Probleme. Ihr Gegner ging wesentlich intelligenter vor. Geschickt wich es Davids Kugeln aus und zog seine Kreise langsam enger. Igel hielt zwar eine Makarov in der Hand, doch er war ein schlechter Pistolenschütze und zielte mehr auf gut Glück auf den Snork. „Scheisse, das Vieh ist zu schnell! Solange es in Bewegung ist, ist ein Treffer nahezu unmöglich!“ fluchte David. Seine Sinne erfassten zwar, wo das Wesen sich befand, aber wohin es als nächstes rannte, das konnte er nicht sagen.
 

Doch aus zunächst unersichtlichen Gründen, hörte der Snork auf einmal auf sich zu bewegen. David spürte, dass das Wesen gerade getötet wurde. Aber von wem? Er konnte nichts spüren. Als durch das Gebüsch ein Stalker trat, entspannte er sich zwar ein wenig, doch er hielt das Sturmgewehr auf den Brustkorb des Mannes. Der dunkelhaarige Stalker hob eine Hand als Begrüssung und näherte sich langsam. „Ist okay Jungs, ich bin einer von euch.“ rief er von weitem. Igel lies seine Pistole sinken während Alexander, der sich vom Anblick des blutenden Snorks abgewandt hatte, genau wie David auf den Neuankömmling zielte. „Ich nehme an, dass ihr auf dem Weg ins Forschungslabor seid. Wenn ihr wollt, bringe ich euch dort hin. Hab dort ebenfalls Geschäfte zu erledigen.“ sagte er ruhig. Der Stalker machte einen ausgeglichenen und erfahrenen Eindruck. Er musste wohl ein Veteran sein, der hier schon seit Jahren unterwegs war. „Mein Name ist Ghost.“ stellte er sich vor während er sich wieder in Bewegung setzte.
 

Auf dem Weg ins Labor klärte Ghost David auf, dass er gerade eine neuartige Erfindung der Wissenschaftler testete, dass die Aura eines Menschen unterdrückte. Deshalb also konnte er ihn nicht spüren. „Ab hier sollten wir uns leise fortbewegen. Hier häufen sich in letzter Zeit immer mehr Zombies, die dem Hirnschmelzer zum Opfer fielen.“
 

David und seine Gefährten fühlten sich sichtlich unwohl, als sie durch das Zombie verseuchte Gebiet marschierten. Die sinnlosen Wortfetzen, die die untoten Männer vor sich hermurmelten, waren schon von weitem zu Hören. Der blonde Stalker hoffte inständig, dass er keinen dieser Zombies erschiessen musste und verliess sich darauf, dass Ghost ihn und seine Begleiter ohne Feindkontakt zum Forschungslabor bringen konnte. Mitleid empfand er zwar keines und er würde ohne mit der Wimper zu zucken abdrücken, das hatte er schon öfter gemacht, aber dennoch war es ihm unangenehm, ein Wesen zu erschiessen, das noch einigermassen das Aussehen eines Menschen hatte. In letzter Zeit merkte er überhaupt, dass er immer mehr verweichlichte. Aus welchem Grund auch immer. Und das sorgte für noch mehr Unbehagen.
 

„Wenn man sich ruhig verhält, kann man die Zombies von hinten erstechen, ohne dass sie es überhaupt mitbekommen. Manchmal laufen welche direkt an mir vorbei und registrieren mich nicht mal.“ erklärte ihnen Ghost, als sie fast das Labor erreicht hatten. Marinin konnte es sich nicht verkneifen, den Stalker ein wenig auszuhorchen. „Du verkehrst hier wohl öfter oder? Du machst mir aber nicht den Eindruck, dass du dich hier freiwillig aufhaltest.“ Ghost nickte. „Ja, ich arbeite seit einiger Zeit für Professor Sacharov. Aber das war nicht immer so. Es sind Dinge passiert, die ich nicht beeinflussen konnte.“ erklärte er beinahe entrückt. Leise fragte er den Major. „Hast du vielleicht einen Stalker namens Strelok getroffen oder von ihm gehört?“ Marinin schüttelte den Kopf. Ihm war kein Mann bekannt, der auch nur ansatzweise so hiess. Ghost entschuldigte für seine Frage und redete bis zum Eingang des Labors kein einziges Wort mehr. Wer war dieser Strelok?

Kapitel 19

Ort: die Zone

Gebiet: Yantar

Kontrolliert von: keine Fraktion
 

Das Labor der Wissenschaftler glich mehr einem riesigen Bunker als einer Forschungszentrale. Beissender Gestank von diversen Desinfektionsmitteln kam der Gruppe entgegen, als sie die erste Schleuse passierten. David fühlte sich mehr als nur unwohl, dieser Geruch weckte in ihm ungewollte Erinnerungen.
 

Ghost begab sich zu einem Tresen auf der linken Seite des Bunkers und warf einen bleiernen Behälter auf die Theke. Durch das Scheppern wurden einige in ihre Arbeit vertiefte Wissenschaftler aufgeschreckt und starrten durch ihre Helme in ihre Richtung. Hinter dem Tresen rackerte sich in einem Käfig ein mit Elektroden bestückter Tushkano, ein mutiertes Rattenwesen, im Laufrad ab. Ein Mann, jenseits der 60 drehte sich langsam herum und schlurfte an den Tresen. „Ah, Ghost. Hast du die Artefakte, um die ich dich gebeten habe?“ fragte er. Der Stalker nickte und schob ihm den Behälter zu.
 

Professor Sacharov bemerkte erst nach ein paar Augenblicken, dass Ghost in Begleitung mehrerer fremder Stalker war. Er schaute alle prüfend an und rieb sich sein Kinn. „So ein Ansturm an Stalkern bin ich gar nicht gewohnt. Was treibt euch hierher?“ Igel trat einen Schritt nach vorne. „Wir benötigen drei Strahlenschutzanzüge, Professor. Ich hatte gehofft, dass wir von Ihnen welche erhalten können. Wir können Sie mit seltenen Artefakten bezahlen.“
 

Der Professor nickte langsam. „Was habt ihr mir denn zu bieten? Dann können wir verhandeln.“ Ghost staunte nicht schlecht als David dem Professor die Artefakte zeigte. Eine ganz schöne Auswahl hatte der Kleine da dabei. Ein Nachtstern, Mamas Perlen, zwei Mikas, einen Blitz und einen Kloss. Sacharov beäugte jedes einzelne Artefakt. „Sehr schön. Jedes Artefakt scheint in einem guten Zustand zu sein. Allerdings befürchte ich, dass das alles für drei Schutzanzüge nicht reichen wird. Die meisten Artefakte, bis auf Mamas Perlen wurden von uns bereits erforscht und aufgrund dessen sind die Preise gefallen.“
 

Das Team starrte bestürzt den Wissenschaftler an. Waren die ganzen Mühen schon wieder umsonst? David ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Das konnte doch nicht wahr sein. Igel legte ihm zur Beruhigung seine Hand auf die Schulter und grinste in an. Der Blonde verstand nur Bahnhof. Weshalb grinste er ständig? „Keine Angst. Du hast was vergessen. Wir bekommen schon das, was wir wollen.“ sagte er. Der Stachelkopf näherte sich dem Professor und legte den Koffer, den er aus dem Dorf der Bloodsucker mitgehen liess, auf die Theke. „Ihr Wissenschaftler wollt etwas Neues erforschen? Dann hab ich was Hübsches für euch. Haben wir vor kurzem von den Monolithen abgestaubt.“ Er öffnete behutsam den Koffer und Sacharovs Augen weiteten sich als er dessen Inhalt erblickte. Automatisch wanderten seine Hände in Richtung der Waffe doch Igel hielt ihn auf. „Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag. Sie dürfen diese neuartige Waffe erforschen und im Gegenzug dafür erhalten wir die Anzüge. Deal?“
 

Die Verlockung war für einen Wissenschaftler einfach zu gross. Sacharov kniff die Augen zusammen und nickte. „Also gut. Wir werden euch die Anzüge anfertigen und wir erforschen diese Waffe. Doch wird es zwei Tage dauern, bis die Schutzanzüge fertig sind. Wenn ihr wollt, könnt ihr solange Ghost zur Hand gehen.“ Alexander schaute zu besagtem Stalker rüber. Dieser nickte. „Dagegen habe ich wirklich nichts. Im Gegenteil. Ist mal ne Abwechslung nicht alleine umherzustreifen.“
 

„Sehr schön. Dann ist alles geklärt. Dann habe ich den ersten Auftrag für euch. Ein Händler namens Sidorowitsch in Kordon hat wieder eine monatliche Lieferung Artefakte für uns bereit. Leider ist das Dorf der Stalker von Banditen belagert worden und somit kann er keinen Boten schicken. Eure Aufgabe ist es, zusammen mit den dortigen Stalkern die Banditen zu erledigen und die Lieferung zu mir zu bringen.“ Alle vier nickten.
 

Ghost wandte sich an sein neues Team. „Wollt ihr euch ausruhen oder seit ihr aufbruchbereit?“ „Wir müssen uns erst mit neuen Waffen und Munition eindecken. Einen Teil der Ausrüstung haben wir im Lager der Wächter verloren.“ sagte David. Ghost trat ein wenig näher. „Also ist es wahr, dass das Militär die Bar angegriffen hat? Ich dachte, dass das nur wieder eine Ente von Freedom sei.“ David schüttelte entrüstet den Kopf. „Nein, das ist die Wahrheit, wir waren mitten drin, als sie mit der Bombardierung begonnen hatten.“ Ghost schwieg für eine Weile. Es kam David so vor, als ob er tiefgründig über diese neue Situation nachdachte. Dann wandte er sich an einen Wissenschaftler und bat ihn darum die drei mit neuen Waffen und Munition auszustatten.
 

„Ich warte draussen auf euch.“ Sagte der Stalker und wandte sich zum gehen. David schaute ihm mit unlesbarem Gesicht hinterher. Alexander legte eine Hand auf seine Schulter. „Was ist?“ Der Kleine murmelte bedrückt vor sich hin. „Wir waren fast am Roten Wald, fast am Ziel. Und jetzt entfernen wir uns weiter denn je. Zurück nach Süden, zum Kordon. In die falsche Richtung.“ Der Major merkte, dass David langsam aber sicher die Hoffnung verlor. Merkwürdig war auch, dass er von ‚wir’ sprach. Und, dass er über Kim kein Wort verlor. Konnte es sein, dass David allmählich jegliche Hoffnung verlor, dass er Kim jemals wieder sehen würde? Oder war da was anderes bzw. jemand anderes im Spiel? Seine Augen wanderten unweigerlich zu Igel rüber, der immer noch mit Sacharov über die neue Waffe diskutierte.
 

Alexander hörte sich aus Frustration seufzen. Ihm kam es in letzter Zeit so vor, als ob alles um ihn herum zusammenbräche und er verzweifelt nach jedem Halm griff, den er finden konnte. Er wusste, dass seine Uhr bald abgelaufen sein würde, sein Zustand war schlimmer, als er zugab. Aber David zuliebe sagte er nichts. Es würde den Kleinen nur noch mehr aus der Bahn werfen. Nein, er musste sein und Davids Ziel unbedingt erreichen. Koste es was es wolle.
 

Wieder hörte er sich seufzen.

Kapitel 20

Ort: die Zone

Gebiet: Kordon

Kontrolliert von: keine Fraktion
 

Wenigstens blieben sie von Überfällen oder sonstigen Hindernissen verschont. Auch Ghost wunderte sich über ihr schnelles Vorankommen. Das Gebiet der Müllhalde war quasi ausgestorben. Hatte der letzte Blowout die Bevölkerung der Zone dermassen dezimiert oder verkrochen sich Menschen als auch Kreaturen in irgendwelchen Löchern, aus Angst, dass noch etwas Grösseres auf sie zukommen könnte? Eine schier erdrückende Stille lag auf der Gruppe. Die Anspannung war fast unerträglich. Fast die ganze Strecke über redeten sie kein einziges Wort. Alexanders Gespür sagte ihm, dass es eine Art Ruhe vor dem Sturm sei. Wie ein drohender, tödlicher Schatten lag sie über ihnen, hinter ihnen, neben ihnen, vor ihnen, ja sogar unter ihnen. Beobachtete, wartete, lauerte.
 

Je weiter die Gruppe nach Süden kam, umso unruhiger wurden sie. Auch bemerkten sie, dass das Militär hier eine ungewöhnlich starke Präsenz hatte. Ständig patrouillierten Hubschrauber an den Grenzen entlang. Ebenso hatten sie an strategischen Punkten Posten aufgestellt, die niemanden durchliessen.
 

„Wenn hier soviel Militär rumkriecht frage ich mich, weshalb das Stalkerdorf von Banditen überrannt wurde.“ sprach David mehr zu sich selbst als zu den anderen. Ghost ergriff das Wort bevor die anderen beiden es konnten. „Man merkt, dass du viel verpasst hast, als du im Knast warst.“ bemerkte er. „Dem Militär ist es egal, wer in der Zone die Kontrolle hat. Wenn man überhaupt von Kontrolle reden kann. Innerhalb von einem Tag kann sich alles ändern. Die haben sich inzwischen in die Randgebiete zurückgezogen und sorgen dafür, dass keine Mutationen aus dem letzten Perimeter kommen. Besonders nach Blowouts ist die Gefahr deutlich erhöht.“ „Aber warum haben sie dann die Bar angegriffen?“ schnitt ihm David das Wort ab. Ghost zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Interessiert es dich?“ fragte er zurück. David schüttelte den Kopf. „Im Prinzip nicht die Bohne, aber ich mag es nur nicht, wenn man gerade versucht mir den Hintern weg zu bomben.“
 

Alexander indes hatte andere Probleme. Da er und Igel die Nachhut bildeten, wurde er das Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurden. Immer wieder schaute er um sich. Auch Igel wandte immer öfter den Kopf nach hinten. „Du merkst es also auch?“ flüsterte der Major. Der Stachelkopf nickte. „Jo, irgendwas oder irgendjemand verfolgt uns. Das gefällt mir gar nicht.“ Alexander rückte etwas näher ran. „Mir auch nicht. Hab schon ein mieses Gefühl seit wir aus Yantar raus sind.“
 

Auf einer Anhöhe blieb Ghost stehen und lange zum Feldstecher. „Da vorne ist das Stalkerdorf.“ erklärte er. Auch David schaute durch sein Fernglas. „Merkwürdig. Ich sehe keinen Rauch aufsteigen. Da vorne steht eine Wache. Aber es ist kein Bandit. Wie kann das sein? Haben die freien Stalker es geschafft, die Banditen aus eigener Kraft zurück zu schlagen?“ fragte er. Alexander rümpfte die Nase. „Kann sein, dass die Banditen ein mieses Spiel spielen und sich als freie Stalker verkleidet haben.“ Ghost nickte als er seine AK entsicherte. „Durchaus möglich. Wir sollten auf der Hut sein. Folgt mir.“
 

Die Wache vor dem Stalkerdorf bemerkte die Gruppe relativ schnell und griff zum Sturmgewehr. Zwar schoss er nicht, aber es war ihm schon von Weitem anzusehen, dass er sie misstrauisch beäugte. „Halt! Wer seid ihr? Gebt euch zu erkennen!“ rief er ihnen zu als die Stalker in Hörweite waren. „Professor Sacharov hat uns geschickt! Mein Name ist Ghost.“ Die Wache entspannte sich ein wenig als er Ghosts Namen hörte, doch das Gewehr steckte er dennoch nicht weg.
 

Als die Gruppe vor dem Wächter stand bemerkten sie, dass einige Stalker in ihre Richtung blickten. Glücklicherweise hatte aber keiner seine Waffe gegen sie gerichtet. Marinin wandte sich an die Wache. „Ich dachte ihr seid von Banditen belagert worden?“ fragte er misstrauisch. „Das war auch korrekt. Wir wurden von Banditen belagert. Gerade als uns die Munition ausging sind die einfach abgezogen. Haben sich zum Bauernhof im Osten zurückgezogen. Keine Ahnung warum.“ Der Major schielte zu Ghost. Dieser war gerade dabei seine AK wegzustecken. Offensichtlich kannte er den Wächter.
 

„Ghost, du hast dich lange nicht bei uns blicken lassen. Wolf wird mit Sicherheit hoch erfreut sein, dich wieder zu sehen.“ Er schielte auf Ghosts Begleiter. „Du hast ein neues Team am Start?“ fragte er neugierig. Der Stalker schüttelte den Kopf. „Nicht direkt. Sie helfen mir, Sidorowitschs Lieferung nach Yantar zu bringen. Danach trennen sich unsere Wege wieder.“ David spürte Ghosts Bedauern. Obwohl er sie erst so kurz kannte, hatte der Stalker sich bereits an die drei gewöhnt.
 

Die Wache trat bei Seite und liess die vier Stalker schliesslich ein.
 

Kordon, der Vorhof der Hölle.

Kapitel 21

Ort: die Zone

Gebiet: Kordon

Kontrolliert von: keine Fraktion
 

David mochte Sidorowitsch nicht. Er verkörperte das klassische Beispiel eines schmierigen Halsabschneiders. Klar, der Händler war eine Koryphäe in der Zone und hielt sich hier schon seit vielen Jahren auf, doch das war kein Grund, gleich vor ihm auf die Knie zu fallen. „Ghost, du hast dich lange nicht mehr hier blicken lassen. Es tut mir sehr leid um deine Freunde. Aber es freut mich, dass du wohl auf bist.“ sprach er träge.
 

Zähneknirschend nahm Ghost die Lieferung entgegen, die ihm der Händler auf den Tresen knallte. Sidorowitsch rechnete auch nicht mit einer Antwort. Schweigend verliess der Stalker den Bunker und verschwand im Stalkerdorf. David, der zurück geblieben war, schaute den Händler fragend an. Dieser bemerkte dies und setzte mehr als gelangweilt zur Antwort an, während er an einer Hähnchenkeule nagte. „Ghost hatte vor Kurzem seine Teamgefährten verloren. Zwei sind verschwunden, einer gestorben. Mehr weiss ich nicht. Und nun geh. Und viel Erfolg auf deiner Jagd.“ brummte er und lehnte sich wieder in seinen alten Stuhl zurück.
 

Als David aus dem Bunker trat bemerkte er, dass Alexander und Igel miteinander tuschelten. Na so was. Jetzt vertrugen sie sich auf einmal. Auf alle Fälle war das besser als Streitereien.
 

Der junge Stalker blickte in den Himmel und kniff die Augen zusammen. Den Rückweg nach Yantar würden sie bei Tag nicht mehr bewältigen. Nachts ging er ungern auf Wanderung, trotz seiner Fähigkeiten und eines perfekt eingespielten Teams. Die Wesen, die zu dieser Zeit aus ihren Löchern krochen, waren viel zu gefährlich. Es machte auch ohnehin wenig Sinn, überstürzt zum Labor zu rennen, die Anzüge würden sowieso noch nicht fertig gestellt sein. Er wandte sich an seine Gefährten. „Wir bleiben heute Nacht hier. Seid ihr einverstanden?“ Alexander zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Verlor David seinen Biss? Er hatte fest damit gerechnet, dass der kleine Hitzkopf darauf bestanden hätte, sofort wieder aufzubrechen. Igel hingegen nickte zufrieden.
 

„Also gut, dann machen wir hier Rast.“ sagte Marinin und schlurfte mit einem Hustenanfall voraus.
 

Allmählich brach die Nacht über das Dorf herein. Ebenso kamen einige junge Stalker von ihrer Erkundungstour zurück, die sich hier, im Kordon niedergelassen hatten. Weiter als bis zur Müllhalde trauten sich nur die verwegeneren Rookies oder Teams.
 

Einige Stalker hatten aus einer Mülltonne ein Lagerfeuer gebastelt und erzählten sich Geschichten oder tauschten ihre heutigen Erlebnisse aus. Einer von ihnen spielte auf einer alten Gitarre, die schon einmal bessere Tage gesehen hatte. David und seine Gefährten gesellten sich ebenfalls zu ihnen und lauschten den fremden, traurigen Klängen.
 

Nimble, ein junger Stalker, nicht älter als David, war gerade dabei, Ghost darum zu bitten, dass er von seinen Abenteuern erzählen sollte. Veteranen waren in allen Teilen der Zone stets gerne gesehen, besonders bei den Neulingen. Plötzlich stand Nimble auf und machte auf sich aufmerksam. „Alle mal herhören. Der Veteran Ghost wird uns von seinen Abenteuern erzählen. Ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit.“ Um das Lagerfeuer wurde es innert Sekunden mucksmäuschenstill. Nur das Knistern des Feuers und das Hundegeheul in der Ferne konnte man noch hören.
 

Ghost war zwar kein sonderlich guter Geschichtenerzähler, aber dennoch hingen die Stalker an seinen Lippen und verinnerlichten jedes seiner Abenteuer. Das waren Geschichten, aus denen Legenden geschmiedet wurden. Als Ghost schliesslich an die Stelle kam, in der sein Team Pripyat hinter sich liess und zum AKW vorstiess, konnte man die Spannung und Neugier förmlich riechen. Für David, der die ganze Zeit über schweigend zugehört hatte, wurde die angespannte Atmosphäre schier unerträglich. Die Gefühle der anderen prasselten unentwegt auf ihn herein und er bekam Kopfschmerzen. Am Liebsten wollte er aufstehen und sich so weit es ging von ihnen entfernen damit er wieder Ruhe hatte. Doch entgegen seiner Schmerzen hielt es ihn am Lagerfeuer. Wenn Ghost etwas über den Aufbau des AKWs sagen konnte, waren diese Infos für Kims Rettung mehr als Gold wert.
 

Als Ghost geendet hatte, war die Menge schier aufgebracht. Ein dokumentierter Vorstoss zum AKW war für die meisten Stalker ein Ding der Unmöglichkeit. Einige von ihnen fingen an, den Veteranen über Details auszufragen, die er entweder bewusst ignoriert hatte, oder nicht detailliert genug erzählte. David kam es in gewisser Hinsicht so vor, als ob er gerade in einer Menge Teenies sass, die sich über einen Superstar hermachte, der ein Interview gab. Was in gewisser Hinsicht auch der Wahrheit entsprach. Die Stalker, die Ghost durchlöcherten, waren allesamt nicht älter als Mitte Zwanzig.
 

Schliesslich erbarmte Nimble sich und fokussierte seine Aufmerksamkeit auf David. „Hey, hab schon die ganze Zeit studiert, woher ich dich kenne. Du bist David Rothe, nicht wahr? Du hast uns sicher auch interessante Sachen zu sagen. Die Nacht ist noch jung, also erzähl, wie war es denn hier, vor der Zeit der Stalker?“ David wollte automatisch zu einer Notlüge ansetzen und sagen, dass es sich um eine Verwechslung handle, doch es war zu offensichtlich, dass er wirklich der Echte war. „Kann schon sein.“ knurrte er verstimmt. Ihm war im Moment nicht danach über seine Vergangenheit zu reden. Es ging niemanden was an. Er stand auf und wandte sich zum Gehen. „Vielleicht ein anderes Mal.“ sagte er und verschwand in einem der Bunker.
 

Nimble starrte dem Deutschen perplex hinterher. Danach wandte er sich Alexander. „Ein redseliger Kerl nicht wahr?“ fragte er ihn. Der Major nickte nur. Auch ihm war nicht nach Reden zumute. Apropos reden. Wo war das Plappermaul namens Igel wenn man es mal brauchte? Er hätte das gesamte Dorf die ganze Nacht über ohne besondere Anstrengungen unterhalten können. Irgendwie musste er sich klammheimlich abgesetzt haben.
 

David wollte sich gerade auf einer ausgeleierten Liege schlafen legen, als es an der Stahltür klopfte. Hoffentlich war es nicht dieser Nimble. Er wollte im Moment seine Ruhe haben. Angesäuert schlurfte er zur Tür. „Wer da?“ rief er barsch. „Ich bin’s, Igel. Kann ich reinkommen ohne getötet zu werden?“ Rothe seufzte resigniert als er die Tür ein wenig öffnete. Vorsichtig schob sich der Igelkopf durch den Spalt und blickte sich um. „Was für Ehre in einem Bunker zu nächtigen.“ grinste er. David rollte die Augen. „Erspar dir deinen Humor, mir ist im Moment nicht nach lachen zumute.“ Igel hob beide Hände. „Okay, okay. Ist ja gut.“ David kam näher und schaute ihm direkt in die Augen, bzw. in die Ray Ban. Trotz des gedämpften Glühbirnenlichtes konnte er sich in den Gläsern spiegeln sehen. Tiefe Augenringe zierten sein Gesicht. Angewidert von seinem eigenen Antlitz nahm er vorsichtig Igels Sonnenbrille ab. Wie der Kerl in der Dunkelheit damit sehen konnte war ein Rätsel. Zum Vorschein kamen wolfsgraue Augen, die einem durch Mark und Bein fuhren. Ein stechender Blick, der einen vollkommen durchleuchtete.
 

David konnte dem Blick nicht lange standhalten und schaute entrüstet auf den Boden. Er hasste solche Machtspielchen. Er merkte, dass Igel langsam näher kam. Und er wusste augenblicklich, was er vor hatte. Noch hatte David die Chance, ihn aufzuhalten. Doch wollte er das? Sein Verstand warnte ihn davor, jetzt nachzugeben. Doch sein Herz und sein Körper sahen das anders. Rothe hasste sich dafür, dass er anfing leicht zu zittern.
 

Igel hob mit seiner rechten Hand Davids Kopf. „Schau mich an.“ flüsterte er. „Ich -“ Weiter kam der Blonde nicht. Igel hatte bereits seine Lippen mit den seinigen versiegelt. In dem Moment, als David in die Arme des Schützen geschlossen wurde und seine Nähe spürte, hatte er sich entschieden.
 

Für Igel.

Kapitel 22

Ort: die Zone

Gebiet: Kordon

Kontrolliert von: keine Fraktion
 

Ob es der grösste Fehler seines Lebens oder das Beste war, das ihm widerfuhr, konnte David bis heute nicht sagen.
 

Doch in jener Nacht blendete er alle Zweifel, alle Sorgen und Ängste aus. Igel war für ihn da. Nur für ihn. Und liebte nur ihn. Ihn allein.
 

Das genügte.
 

David wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Hatter überhaupt geschlafen? Und war das alles etwa nur ein Traum? Oder brachte sein Hirn im Zuge eines Schutzmechanismus dieses Gespinst zustande? Dass es Wünsche, Sehnsüchte, Ängste, Depressionen, Aggressionen und Wut, all jene Gefühle, zusammen mischte und die Erlebnisse letze Nacht das Endprodukt waren?
 

Vorsichtig langte er auf die Seite um zu überprüfen, ob Igel bei ihm war. Doch er fand nur gähnende Leere vor. Die Stelle neben ihm war kalt und leer. Tief durchatmend versuchte er sein inzwischen pochendes Herz zu beruhigen und verfluchte sich. Träumereien gehörten nicht hierher in die Zone. Dafür gab es keinen Platz. Man wäre schneller tot, als einem lieb war.
 

Also nur ein Traum.
 

Doch als er die Ray Ban neben einem Scharfschützengewehr liegen sah, hatte David das Gefühl, dass ihm jemand einen miesen Streich spielte. Also musste Igel doch hier gewesen sein. Ein Funken Hoffnung kam in ihm auf, den er aber gleich wieder bei Seite schob. Sicherlich hatten sie sich nur gestern Nacht über etwas unterhalten und Igel hatte seine Sachen hier liegengelassen.
 

David schwang sich aus dem Bett, das gefährlich quitschte. Es würde den nächsten Stalker sicher nicht mehr tragen können. Vorsichtig nahm er die Ray Ban in seine Hände und betrachtete sie eindringlich. Die Gläser waren dermassen dunkel gehalten dass keiner die Augen, die sich dahinter verbargen, sehen konnte.
 

Der Blonde war dermassen in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, dass jemand von hinten an ihn herangetreten war.
 

„Gefällt dir meine Ray Ban so sehr? Wenn du willst schenke ich sie dir.“
 

David fuhr herum und stiess mit Igel zusammen. „I-ich …“ Der Sniper legte ihm einen Finger auf die Lippen und grinste. „Na na, jetzt aber. Stottern ist nicht dein Ding. Und dumm dreinschauen schon gleich gar nicht.“ David stand wie angewurzelt im Raum und starrte sein Gegenüber an. Zweifel über die letzte Nacht kamen in ihm auf. Er wusste nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. Glücklicherweise holte Igel ihn aus seiner misslichen Lage raus indem er seinen Kopf nach unten beugte und ihn küsste.
 

Kein Traum.
 

David löste sich langsam von Igels Lippen. Er spürte, dass seine Wangen glühten. Sicherlich sah er aus wie eine Tomate. Der Blonde wandte einen Kopf auf die Seite, er wollte Igel nicht in die Augen schauen. Es war ihm ohnehin schon mehr als nur unangenehm, in diesem Zustand gesehen zu werden; splitternackt und mit zerzausten Haar. Obwohl Igel ihn inzwischen entblösst gesehen hatte, sass eine Art Scham zu tief in seinen Knochen. Diese Situation, war fremd, makaber, ja surreal. Er hatte in Sachen Liebesbeziehungen keine Erfahrung. Seine Jugend wurde ihm hier, vor acht Jahren geraubt.
 

Igel vergrub seinen Kopf in Davids Halsbeuge. „Was ist?“ flüsterte er. „Ich weiss nicht, was ich jetzt machen soll. Ich bin mit dieser Situation vollkommen überfordert.“ Der Scharfschütze strich ihm durch die blonden Haare. „Hey, wir zwei schaffen das schon, ja? Wir haben doch schon schlimmere Sachen überstanden. Da wird das hier doch einfach sein oder?“ David sah nicht sonderlich begeistert aus. Igel meinte es zwar gut und bemühte sich wenigstens um eine gute Stimmung, doch das hatte im Moment umgekehrte Auswirkungen. „Igel, lass das. Ist schon ok.“
 

David wandte sich ab und sammelte seine Sachen zusammen. Für ihn war es beinahe unerträglich dass Igel ihn dabei aufmerksam beobachtete. Seine Blicke bohrten sich sprichwörtlich in seinen Körper. David biss sich auf die Zähne. Er hatte im Gefängnis von Ostrov zwei Mal täglich nackt vor den Wärtern stehen müssen. Und das hatte ihm rein gar nichts ausgemacht.
 

Er warf seinen Rucksack über die Schulter und klemmte seinen Parka unter den linken Arm. „Weißt du wo man sich hier waschen kann?“ fragte er. Der Scharfschütze nickte leicht. „Waschen ist übertrieben, es gibt hier ein paar gefüllte Regentonnen.“ Besser als nichts. Damals, als David die ersten Jahre in der Zone verbrachte, hatte er sein Zelt in der Nähe eines Baches aufgestellt. Das Wasser war gerade sauber genug, dass es ihm für eine Katzenwäsche reichte, doch trinken konnte man daraus nicht. Dafür war es zu kontaminiert.
 

Wie es Igel trotz der lebensfeindlichen Gegend fertig brachte, stets einen gepflegten Eindruck zu machen, war ihm ein Rätsel. Auch machte er im Gegensatz zu vielen anderen Stalkern einen völlig gesunden Eindruck. Sehr merkwürdig.
 

Eilig lief er über eine zerfallene steinerne Treppe aus dem Bunker und reinigte sich so gut er es konnte und überprüfte danach sein Gepäck auf Vollständigkeit bevor er sich zusammen mit Igel in Richtung Ausgang in Bewegung setzte.
 

Alexander wartete bereits zusammen mit Ghost am Ende des Dorfes. Unter dem missbilligenden Blick des Majors, riskierte es David nicht, etwas zu sagen. Er wusste selbst, dass er spät dran war.

Kapitel 23

Ort: die Zone

Gebiet: Müllhalde

Kontrolliert von: keine Fraktion
 


 

Da war es wieder.
 

Dieses Gefühl, verfolgt zu werden. Eine bedrückende Dunkelheit, die sich unaufhaltsam näherte und die Kreise immer enger zog. Inzwischen umschloss diese Dunkelheit sie fast vollständig aus allen Richtungen kommend. Sie griff nach jedem einzelnen Herzen und flüsterte ihnen mysteriöse Worte ins Ohr.
 

Obwohl die Gruppe mehr als nur zügig lief, zogen sie das Tempo immer wieder fluchtartig an. Wie Vieh, das des Meisters Peitschenhieb bekam, damit es schneller lief. Keiner von ihnen wagte es, eine Rast einzulegen. Nicht einmal eine kurze Verschnaufpause. Immer wieder schaute sich der eine oder andere um, um sich zu vergewissern, dass seine Gefährten noch da waren. Der Pitbull Gagarin lief mit eingezogenem Schwanz neben David her und winselte in unregelmässigen Abständen. Zur Beruhigung legte der Deutsche ihm immer wieder die Hand auf den Kopf und tätschelte ihn. Er selbst blickte möglichst unauffällig zu Igel, um sich selbst zu beruhigen. Erst als Marinin durch einen heftigen Hustenanfall gezwungenermassen halten musste, legten sie eine Zwangspause ein.
 

Seine Anfälle wurden von Tag zu Tag schlimmer. Lange würde der Major sicher nicht mehr durchhalten. Zitternd stützte er beide Hände auf seinen Knien. Der schwere, dumpfe und trockene Husten gefiel David gar nicht. Er zog ein Stück Steinblut aus seiner Tasche und hielt es dem Major an die Brust während er ihn etwas stützte. „Scheisse, ich hab das Gefühl als ob ich von innen aufgefressen werde.“ presste Alexander hustend hervor. Doch bevor David etwas sagen konnte, hob er eine Hand. „Keine Angst, geht schon wieder. Ich bleibe dir noch erhalten. Ob du willst oder nicht.“ David schüttelte resigniert den Kopf. „Alexander, ich hab noch nie im Leben so einen sturen Bock wie dich gesehen. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Glaubst du ich hab nicht gemerkt, dass du Blut spuckst und urinierst?“ Der Major schwieg. Rothe tigerte im Kreis und versuchte so, seine aufkommende Wut zu bändigen. Seine Wangen fingen durch das aufwallende Blut an zu kribbeln. „Verdammt, wenn wir doch nur mehr Zeit hätten…“
 

Auf einer Anhöhe ein paar Meter weiter sondierte Ghost mit einem Feldstecher die Gegend. Igel leistete ihm dabei Gesellschaft während er sich eine Zigarette drehte. „So ein mieses Gefühl hab ich schon lange nicht mehr gehabt. Irgendwas stinkt bis zum Himmel.“ meinte Ghost. „Wer oder was auch immer es ist, es folgt uns schon seit wir die zerstörte Bar nach dem Angriff des Militärs verlassen haben. Könnten es vielleicht Militärstalker sein?“ sinnierte Igel, der sich inzwischen die Papirossi in den Mund gesteckt hatte und nun eindringlich eine Nachricht auf seinen PDA einhämmerte. Ghost schielte zu ihm rüber und starrte fragend auf den Minicomputer. „Ich frag ein paar Freunde, ob die vielleicht was gesehen haben oder auch das Gefühl haben von irgendwas verfolgt zu werden. Falls das nicht der Fall sein sollte, hab ich so langsam das Gefühl durchzudrehen. Wenn dem so ist, wird’s höchste Zeit von hier für ne Weile zu verschwinden und zu warten, bis die lockeren Schrauben im Kopf wieder fest sitzen.“
 

Ghost wandte sich wieder dem Feldstecher zu. „Du treibst dich hier in dem Fall auch schon länger hier rum was? Merkwürdig, dass ich dich noch nie gesehen habe. An jemanden wie dich würde ich mich sofort erinnern.“ Igel schaute zum ihm auf und grinste. „Liegt daran, dass ich für ne Weile bei Freedom war. Stationiert war ich als Scharfschütze am Übergang zum Roten Wald. Vielleicht hast du mich deshalb nie gesehen. Ich war der, der aufm Schützenturm stationiert war. Als ich von Freedom abgehauen bin, hatte ich ne kleine Gang am Start. Haben uns dann wie typische Loner in der ganzen Zone rumgedrückt und sind nie sesshaft geblieben.“ Der Veteran nickte. „Achso. Hmmm. Der Major hat inzwischen aufgehört zu husten. Wir sollten besser wieder aufbrechen.“ sagte Ghost während er sein Fernglas wieder in den Rucksack steckte.
 

Auch das Gebiet um die Bar, Rostock, war wie ausgestorben. Eine Chimäre, die zufällig ihren Weg kreuzte, starrte sie unverwandt an und ergriff sofort die Flucht. Das allein war Grund zur höchsten Besorgnis. Keine dieser pantherartigen Bestien würde die Chance auf Menschenfleisch verstreichen lassen.
 

Aus der Ferne sah man immer noch die Rauchschwaden, die von der völlig zerstörten Basis der Wächter aufstiegen. Wie viele Männer dort ums Leben kamen? Bestimmt trieben sich dort inzwischen Stalker und Banditen herum, die sich noch verwendbare Waffen und andere nützliche Utensilien unter den Nagel rissen.
 

David bemerkte, dass Igel immer unruhiger wurde. Ständig blickte er um sich und starrte in die Ferne. Das passte ganz und gar nicht zu dem stets optimistischen Stalker. Rothe schloss zu ihm auf. „Was hast du? Hast du was gesehen?“ flüsterte er. Dabei griff er kurz nach Igels Hand und drückte sie kurz. Der Schwarzhaarige drehte den Kopf in seine Richtung. „Nein, aber ich wird das Gefühl nicht los, dass in den Büschen was ist.“ murmelte er. Ghost, der ebenfalls neben dem Schützen lief entsicherte sein Sturmgewehr. „Ich geh mal in die Büsche und schau nach was da los ist. Mir geht das ganze langsam an die Nieren. Bleibt hier, ich geh allein.“ sprach er und entfernte sich augenblicklich von der Gruppe.
 

Nach schier unerträglich langem Warten hielt es David nicht mehr aus. „Ghost ist schon seit fast einer halben Stunde fort. Da muss was passiert sein.“ Alexander stimmte ihm zu und schaute auf seine Uhr. Für einen erfahrenen Scout wie Ghost war das viel zu lange. „Wir sollten nach ihm suchen.“ meinte er, während er ein volles Magazin in sein Gewehr schob. Sicher war sicher.
 

Igels PDA fing an zu vibrieren.
 

Was danach geschah, konnte David nur noch schemenhaft wiedergeben. Doch an eines erinnerte er sich ganz genau.
 

Der Schmerz des Verrates.
 

Aus den umliegenden Büschen und Ruinen stürmten sie hervor. Schwer gepanzerte und bewaffnete Stalker. Systematisch, geradezu ferngesteuert schnitten sie ihnen die Wege ab und umstellten sie.
 

David und seine Freunde hatten nicht einmal den Hauch einer Chance, überhaupt auf diese Situation zu reagieren. Es ging zu schnell. Innerhalb von Sekunden spürten sie, wie sich Gewehrläufe in ihre Körper bohrten. Die Aussicht, sich kämpfend zu befreien und zu fliehen, war gleich Null. Auf einen Einzelnen von ihnen kamen zehn Gegner. Sie wären schneller tot gewesen als dass sie das Wort Njet sagen konnten.
 

Der Kleidung nach zu urteilen waren es keine Angehörigen von Duty. Auch das Militär und Freedom konnten sie ausschliessen. Nein, diese Männer hatten graue Camouflage-Anzüge mit geschlossenen Atemsystemen und grünen Schutzwesten. Auf ihren Schultern befand sich ein Patch, auf dem ein Flügel mit einer Sonne abgebildet war.
 

Monolith-Stalker.
 

„Waffen her. Sofort.“ rief einer barsch zu David. Dieser machte allerdings keine Anstalten, dem Befehl folge zu leisten. „Leck mich.“ giftete er zurück. Für seine freche Antwort wurde er hart in den Magen geschlagen, sodass er keuchend zu Boden ging. „Ich sagte Waffen her. Alle.“ schnarrte der Monolith erneut. David, der sich wieder aufrappeln wollte wurde mit einem Fuss auf dem Rücken wieder unsanft auf den Boden befördert. „Alexander, Igel, hört nicht auf dieses Arsch.“
 

Neben ihm hörte er Marinin stöhnend zusammenbrechen. „Alexander!“ rief er aufgebracht und fing an, sich auf dem Boden zu winden um sich zu befreien. Unsanft wurde er von einem Stalker an den Haaren gepackt auf die Knie gerissen. „Was macht ihr Schweine da?“ presste er hervor. Eine Weile lang sagte keiner etwas. Und dann…
 

„Nur unsere Arbeit.“
 

Diese Stimme kannte er. So vertraut.
 

Seine Sinne mussten ihn täuschen.
 

Denn inmitten der Monolith-Stalker stand er.
 

Mit kalter Mine schritt er langsam auf David zu und starrte auf ihn herab.
 

„Süsse Träume, Süsser.“
 

Alles was er noch fühlte war ein stechender Schmerz.
 

Die Welt fing an sich drehen und er fiel in eine schwarze Leere.

Kapitel 24

Kapitel 24

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Verrat.
 

Stille.
 

Dunkle Gänge.
 

Stille.
 

Arrest.
 

Stille.
 

Gefesselt.
 

Schmerz.
 

Schritte.
 

Kälte.
 

Die Tür öffnet sich.
 

Licht dringt ein.
 

Höhnisches Lachen.
 

‚Nein…’
 

‚Wo bist du Kim?’
 

Das Kollektiv kontrollierte die Zone . Es kontrollierte die Menschen. Es kontrollierte die Mutationen. Sie sind die Sieben. Einst waren sie Individuen. Jetzt sind sie nur noch durch ihre physischen Körper getrennt. Im Geiste aber Eins. Das Ergebnis jahrelanger Forschung in geheimen russischen Instituten.
 

Es war allgemein bekannt, dass Russland seit Lenins Lebzeiten unter seiner schützenden Hand Versuche mit Menschen durchführten. Um einen Supermenschen zu züchten. Allen anderen überlegen. Die perfekte Welt durch die perfekte Gesellschaft.
 

Anfangs gab es viele Freiwillige. Alle waren sie aus dem gemeinen Volk. Doch die Ergebnisse waren nicht zufrieden stellend. Also fing eine Selektion statt. Leute, männlich als auch weiblich, mit paranormalen Fähigkeiten wurden aufgespürt.
 

Doch arbeiteten die meisten nicht auf freiwilliger Basis mit. Entsprechende Zielpersonen, die sich widersetzten, wurden über Nacht verschleppt und deren Existenz aus sämtlichen Unterlagen gelöscht.
 

Als ihre Forschungen nach vielen Jahren endlich erste Erfolge verzeichneten, wurden andere Länder auf sie aufmerksam. Spionage war an der Tagesordnung. So kam die Frage auf, wo sie in Ruhe ihre Forschungen vorantreiben konnten, ohne dass etwas ans Tageslicht kam.
 

Ob die Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 ein tragischer Unfall oder geplant war, kann bis heute keiner sagen. Tschernobyl gehörte ebenso zu den ewig ungelösten Geheimnissen wie die sagenumwobene Area 51 in den USA.
 

Doch für die Wissenschaftler war dieses Gebiet nach der Katastrophe der ideale Ort für ihre Experimente. Verseucht durch die Strahlung, hielt das AKW jeden ungebetenen Gast fern. Mit voranschreitender Zeit wurden die Reihen von Regierung und Militär der Sowjetunion, später Russland und Ukraine, an den richtigen Plätzen von ferngesteuerten Menschen unterwandert. Menschen, die das Ergebnis der Forschung waren. Die Wissenschaftler aus der Zone hatten die Vorherrschaft.
 

Vorerst.
 

Dann begann es.
 

Der erste verzeichnete Blowout. Die Ausdehnung der Zone, die neue Phänomene in diesem Gebiet erschuf. In deren Gebiet physikalische Gesetze ausser Kraft gesetzt wurden und deren Bewohner jeglicher Theorien der Evolution widersprachen. Der erste Eintrag in die Geschichtsbücher. Horrorstoff für Schüler in aller Welt.
 

Das Zeitalter der Stalker wurde eingeläutet. Glücksritter, die sich in die Zone wagten um deren Reichtümer zu plündern. Auf der Jagd nach den sogenannten Artefakten, ein Nebenprodukt der Forschung, die viel Geld einbrachten.
 

Die hiesigen Mutationen hielten die Stalker nicht davon ab, immer tiefer vor zu dringen. Sie waren zu gut ausgebildet. Viele von ihnen hatten jahrelange militärische Ausbildungen genossen. Desertierte Mitglieder der deutschen GSG 9, der amerikanischen Delta Force, der britischen SAS oder der russischen Speznas tummelten sich in diesem unwirtlichen Areal.
 

Es war höchste Zeit zum Handeln. Trotz des noch instabilen Kollektivs, die mit Mühe und Not ihre Schläfer in Politik und Militär, überwachen konnten, wagten die Wissenschaftler es, gefangen genommene Stalker einer Massen-Gehirnwäsche zu unterziehen um sie für ihre Zwecke einzusetzen. Und so wurden sie geboren. Die Monolither. Die persönliche Armee der Herren der Zone.
 

Kontrolliert durch das Kollektiv. ‚Wir sind die Sieben.’ Zu denen auch nun auch Kim Raika gehörte.
 

Doch hatte Verbund die junge Frau noch nicht vollständig integriert. Immer wieder zeigten die Monitore Abweichungen ihrer Hirnströme an. Besonders seit der ultimative Anwärter, der junge Deutsche David Rothe, sich endlich bei ihnen eingefunden hatte. Die Hirnströme der Raika schlugen immer wieder panikartig aus.
 

Professor O.O. Dobrynin, leitender Wissenschaftler des Projekts, stand lächelnd vor jenen Monitoren. „Tja, meine Liebe. Wärst du doch von Anfang an kooperativ gewesen. So würdest du jetzt nicht so leiden. Dir wäre es jetzt egal, dass dein Freund im Zuge der Integration eine, sagen wir mal, ‚Sonderbehandlung’ bekommt. Wenn du dich fügen würdest, würdest du jetzt nicht mit ansehen müssen, was unser Anführer der Monolither, Leuvkov, mit deinem Freund macht.“
 

„Kim.“
 

“David.“
 

Das Kollektiv konnte ihren Geist nicht vernichten. Sie würde bis zum Schluss dagegen ankämpfen. Doch das, was man ihr antat, würde sie noch in den Tod verfolgen. Grausame Bilder, die der kranke Professor ihr vor ihrem geistigen Auge vorführte. Doch ihre ganze Wut, ihre Verachtung, ihr Hass, richtete sie gegen eine einzige Person. Einer Person, von der sie dachte, dass man ihr vertrauen konnte.
 

Igel.
 

Sie mochte ihn von Anhieb an. Jemand, der sich nicht link verhielt, loyal und sogar ein wenig verrückt war. Er hatte ein fröhliches Gemüt und liess sich seine gute Laune nur selten verderben. Sie hatte ihm vertraut. Genau wie David. Ihm konnte man wirklich vertrauen. Und deshalb mussten sie beide nun leiden. Sie hätten es beide wissen müssen. Vertrauen war in der Zone tödlich. Im wahrsten Sinne des Wortes.
 

Hätte Kim in ihrem jetzigen Zustand weinen können hätte sie es wohl getan. Der bemitleidenswerte kleine Rest ihres Bewusstseins fing Davids Gefühle wie ein Schwamm auf. Der Doktor projezierte sie auf sie über. Abscheu, Verrat, Einsamkeit, Wut, Hass. Aber auch Liebe. Liebe? Für wen? Ihm gegenüber? Sie spürte es. Er liebte ihn. Und dies schmerzte ihn als auch sie mehr als alles andere.
 

Damals, als sie alle noch gemeinsam die Zone durchstreiften, war sie glücklich. Auch bei David spürte sie eine tiefe Zufriedenheit, sogar Freude. Obwohl alle, bis auf Igel, eingeschworene Einzelgänger waren, zogen sie die Gesellschaft des Anderen vor.
 

Kim, die altes Team durch Verrat verloren hatte, stand anfangs der ganzen Truppe misstrauisch gegenüber. Denn keiner von ihnen war ein Chorknabe. Auch sie nicht.
 

David und Igel hatten beide schon im Gefängnis gesessen. Alexander kam etwas glimpflicher davon, war aber dennoch ein durch das Militär korrupt.
 

Und sie? Sie verschwand über Nacht aus ihrem Heimatland. Sie hatte durch Zufall erfahren, dass ihre Mutter, die grosse Volchanova, noch am Leben war. Und sie hier in der Zone. Sie wollte sie suchen.
 

Trotz allem etablierte Kim sich mehr als nur gut in die aussergewöhnliche Gemeinschaft und innerhalb kürzester Zeit kam eine Art Routine in ihr Zusammenleben ein.
 

Das war ein Fehler. Routine war tödlich. Genau das führte dazu, dass jegliche Vorsichtsmassnahmen ausser Acht gelassen wurden.
 

Fataler Fehler.
 

Doch jetzt war es zu spät.
 

Nach Aussen hin machte Kim einen sehr ruhigen Eindruck. Ihr Körper schwebte ohne jegliche Rührung in der grünen Nährstoffflüssigkeit ihres Tanks. Nur tief in ihrem Inneren toste ein Sturm der Wut und Verzweiflung.
 

Sie bekam alles mit.
 

Was ihr vermeintlicher Kamerad ihrem Freund antat.
 

Er flüsterte ihm verachtende Worte ins Ohr. Auch in ihr eigenes. Sie sah es, sie hörte es. Sie glaubte sogar, Davids Schmerzen, physische als auch psychische, zu spüren.
 

„Weißt du wie lange ich darauf gewartet habe das zu tun was ich schon immer tun wollte? Ich habe es gehasst, dir Honig ums Maul zu schmieren. Jede einzelne Sekunde meines verdammten Lebens in deiner Nähe habe ich gehasst. Ich habe es gehasst dir vorzugaukeln, dass ich dich liebe. Jetzt, jetzt endlich kann ich zeigen, was ich wirklich von dir halte.“
 

Hätte Kim schreien können hätte sie es getan. Hätte sie eine Schusswaffe halten können hätte sie abgedrückt. Ohne mit der Wimper zu zucken.
 

Er folterte ihn. Er tat ihm Gewalt an. Er liess ihn bluten. Liess ihn leiden. Sie spürte förmlich seinen Hass, seine Grausamkeit. Seine ätzenden Worte brannten sich in sie ein. Auch Davids Gefühle würden sie auf ewig heimsuchen. Sie fühlte Furcht. Furcht vor ihm. Doch wessen Furcht war es? Ihre eigene oder Davids? Mit jedem Tag, jedes Mal, wenn Schritte im Gang vor der Zelle hallten und die schwere Zellentüre geöffnet wurde, bekam sie Angst. Bekam er Angst. Angst vor dem, was Leuvkov dieses Mal im Sinn hatte. Und leideten zusammen. Doch sie leidete nur stumm mit.
 

„Irgendwie war es eine Herausforderung, dich zu erobern. Du warst ne ziemlich harte Nuss. Doch am Schluss warst du mir doch unterlegen. Manipulation gehörte seit ich Kind war zu meinem Leben. Darin bin ich bestens ausgebildet. Du hättest besser auf deinen Major hören sollen. War ein schlauer, misstrauischer, alter Sack. Bei ihm musste ich sogar noch mehr aufpassen als bei dir."
 

Sie sah wie er um ihn herumschlich und ihn abschätzig beäugte. "Was meinst du? Habe ich nicht für meine Leistung einen Oscar verdient? Kategorie Best Actor?“
 

„Ich hasse dich!“
 

Darauf folgte ein diabolisches Lachen.
 

„Das tust du nicht. Ich sehe immer noch Liebe in deinen Augen. Du hoffst insgeheim immer noch, dass das was ich hier mache ein Trick ist um die Monolither und Wissenschaftler auszutricksen und euch alle hier wieder rauszuhauen. Träum weiter. Weisst du, wen du hier vor dir hast? Ich bin Leuvkov. Anführer der Monolither."
 

Kim sah, wie David zu ihm aufschaute. Waren seine Augen geweitet? Vor Furcht? Vor Erkenntnis?
 

"Du...?"
 

"Genau. Du hast mich heute noch nicht mal gebissen. Wenn du weiterhin so brav bist, bin ich diesmal vielleicht etwas sanfter zu dir. Oder stehst du lieber doch auf…“
 

„Sei still!!“
 

Die Antwort folgte auf dem Fusse. Ein Schlag ins Gesicht. Mit einer Peitsche? Einer Gerte? Kim wusste es nicht.
 

Kim wollte es nicht mehr hören. Wollte es nicht mehr sehen. Doch sie konnte das Szenario vor ihrem geistigen Auge nicht abschalten. Was auch immer sie versuchte, es schlug fehl. Sie wollte schreien. Aus ihrem Gefängnis ausbrechen. Zur Zelle laufen und Igel töten. Auf langsame und grausame Weise. Er hatte es nicht anders verdient.
 

Wenn Alexander noch am Leben war, bekam vielleicht auch er alles mit? Musste alles ohnmächtig mit ansehen? Mit anhören? War er genau so wütend?
 

Vielleicht.
 

Heute. Sie wusste nicht mehr was für ein Tag heute war. Geschweige denn die Uhrzeit.
 

War es Tag? Oder war es Nacht?
 

Aber heute.
 

Heute war er noch nicht bei David gewesen.
 

Hatte er vielleicht die Lust an seinem abartigen kranken Spielchen verloren?
 

Oder war er bereits wieder draussen unterwegs, um ein neues Opfer zu suchen?
 

Dann mussten sie heute vielleicht keine Angst haben.
 

Doch hallende Schritte im Gang machte seine – und ihre – Hoffnungen zu Nichte.
 

‚Warum, Igel? Warum nur?’
 

„Wir haben dir vertraut.“

Kapitel 25

Kapitel 25
 

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Vor vielen Jahren war alles besser. Vor wirklich vielen Jahren.
 

Du hast dich diesmal wirklich übernommen, Alexander. Du hättest es bei einem unlösbaren Kriminalfall belassen sollen.
 

Nur kam die Einsicht zu spät.
 

Bereue ich es, dass ich damals dem kleinen Rothe geholfen habe und jetzt selber in der Scheisse sitze?
 

Alexander schüttelte seinen Kopf und lehnte dann seine Stirn an die poröse Wand seiner dunklen Zelle. Für ihn war es in einer gewissen Hinsicht ironisch. Damals, als Kriminologe, sorgte er dafür, dass Verbrecher in Zellen geworfen wurden. Jetzt sass er selbst in einer. Alles wegen seiner Sturheit und seinem Hang, unlösbare Aufgaben zu lösen.
 

Nein. Ich bereue nichts. Rache ist das Einzige, was ich noch habe.
 

Vor seinem geistigen Auge tauchte seine Familie auf. Seine Frau und seine drei Kinder. Er sehnte sich in diesem Moment danach, sie alle wieder in seine Arme schliessen zu können. Wieder in den Alltag zurück. Mit all seinen dummen kleinen Nichtigkeiten.
 

Er wollte wieder das feine Essen seiner Frau kosten, die ihm immer vorhielt, dass er zu wenig esse. Seine kleine Tochter, das jüngste Kind der Familie, zu einem späteren Zeitpunkt aufklären, was Kondome sind. Seinem zweiten Sohn erlauben, sich auf eine Sprachreise zu begeben. Ja, er wollte sogar wieder mit seinem ältesten Sohn stundenlang über seine geliebten Ego-Shooter diskutieren, die seiner Ansicht nach verboten gehörten.
 

Das Gesicht seines Ältesten, Wasili, wich einem Jungen mit blondem Haar. Verängstigt und verschlossen bohrte sich der Blick seiner blauen Augen in ihn. Einsam und verlassen sass er nur mit einem weissen Krankhausleibchen bekleidet am obersten Ende eines Krankbettes. Mit dem Rücken zur Wand gepresst, von der bereits der Putz abfiel.
 

Rache und David.
 

Alexanders Gedanken schweiften zu seiner ersten Begegnung mit David. Auch das war vor vielen Jahren. Er wusste damals nicht warum er sich für einen ausländischen Jugendlichen, der seine Familie bei einem ‚Unglück’ verloren hatte, verantwortlich und hingezogen fühlte.
 

Jetzt wusste er es.
 

Er ist genau wie ich. Alleine.
 

Der Major drehte seinen Kopf in Richtung Zellentür.
 

Wie lange sitze ich schon hier in diesem verdammten Dreckloch? Wenigstens was zum Rauchen hätten sie mir geben können.
 

Alexander war alles andere als dumm. Raffiniert, gerissen und misstrauisch. Er wusste, wie er die Zellentür knacken konnte. Doch wusste er noch nicht, wie er sich unbemerkt an den Horden von Monolithern vorbei schleichen konnte. Obendrein noch mit David und Kim im Schlepptau.
 

David war stark genug um sich gegen mehrere Fanatiker zu verteidigen. Doch Kim vermutlich nicht. Er wusste zwar nicht, wie die ‚Auserwählten’ Mitglieder des Kollektivs wurden, aber eines wusste er mit Sicherheit. Gesund für den Körper war es nicht.
 

Alexander verzog sein Gesicht zu einer wütenden Mine und kniff die Augen zusammen. Wieder wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit.
 

Raffiniert, gerissen und misstrauisch.
 

Dies traf auch auf seinen ‚ganz speziellen Freund’ zu.
 

„Keine Angst, vertrau mir einfach. Wird schon schiefgehen! Meine Pläne sind bisher immer aufgegangen!“
 

Wenn ich Igel in die Finger bekomme, dann…
 

Bevor er seinen Mordgedanken am Stachelkopf beenden konnte, hörte er schwere Schritte im Gang. Wer auch immer das war, er musste sehr gross und schwer sein. Und es sehr eilig haben.
 

Beinahe brutal wurde am Schloss seiner Zelle gerüttelt und schliesslich die Tür aufgestossen. Alexander musste ein paar Mal blinzeln um sich an die eindringende Lichtflut zu gewöhnen. Ein Hoch auf den, der weisse Wände und grelle Halo Lampen erfunden hatte.
 

Ebenso barsch wurde er am Arm gepackt und auf den Gang herausgeschleift.
 

„Wer zum Henker sind Sie?“ brachte der Major nach Luft ringend heraus.
 

Entweder ignorierte die Person ihn oder wollte nicht antworten. Stattdessen zog sie ihn mit einer beinahe Knochen brechender Kraft und einem ungemein schnellen Tempo den gesamten Gang entlang zu einem alten Aufgang am Ende des Traktes.
 

„Ich will wissen was los ist!“ forderte Alexander noch einmal.
 

„Der Plan hat sich geändert.“ war das Einzige, was der Mann monoton als Antwort gab.
 

Gar nicht gut.

Kapitel 26

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Beinahe gelangweilt sass Leuvkov auf Dobrynins Schreibtisch. Anders als der Pitbull Gagarin, der ihn seit der Gefangennahme begleitete. Dieser lag unter dem Tisch und schaute aufmerksam dem herumwuselnden Professor zu.
 

O.O. Dobrynin indes tigerte nervös im Raum auf und ab. „Hey, beruhigen Sie sich doch, Professor. Mir ist vom Zusehen schon schwindelig.“ beschwerte sich Leuvkov. Der Professor hielt auf der Stelle inne und fixierte den Igelkopf mit zusammengekniffenen Augen. „Sie haben wohl gar keinen Respekt, Leuvkov.“ Der Monolither gähnte. „Den hat man bei meiner Geburt vergessen.“ gab er trocken zurück und griff gelangweilt nach Kim Raikas Akte, die aufgeschlagen neben ihm lag. Dobrynin seufzte laut und wandte sich von ihm ab. „Wenn ich Sie nicht dringend bräuchte, hätte ich Sie schon längst rekonditioniert.“ Leuvkov grinste.
 

„Rekonditioniert? Selbst wenn Sie mich nicht so dringend bräuchten wie Sie behaupten, wäre das keine gute Idee.“ Dobrynin drehte sich wieder zu ihm und zog eine Augenbraue nach oben. „Oh?“ Der Stalker hob seine Hände theatralisch in die Höhe. „Eine Rekonditionierung bedeutet, dass meine Persönlichkeit neu programmiert wird und ich automatisch nicht mehr selbstständig denken kann. Eine Verschwendung angesichts meiner Fähigkeiten. Wäre doch zu schade, wenn der Anführer Ihrer Privat Armee zu einem willenlosen Zombie wird. Ausserdem brauchen die Priester mich. Sie sehen in mir den Boten des Monolithen. Meine Rekonditionierung würde sie in ihrem Glauben erschüttern. Und wir brauchen die Priester, damit die anderen ruhig bleiben. Gibt in letzter Zeit sowieso immer mehr Aufmüpfige, die anfangen alles zu hinterfragen. Charon hat mir vorhin per PDA berichtet, dass er Agenten, die ausserhalb der Zone agieren, zurück ordern musste, da er immer wieder den Kontakt zu ihnen verloren hatte. Symbiont am Arm hin oder her.“
 

Beinahe abfällig stimmte Leuvkov den Gesang des Monolithen ein – ein Gebet, dass die Herrlichkeit ihres Heiligtums, den Monolithen beschreibt.
 

Dobrynin ballte seine Hände zu Fäusten. Leuvkov war und würde immer eine Bedrohung seiner Autorität bleiben. So sehr es ihm auch missfiel, er hatte Recht. Er brauchte ihn. Wronski und Charon waren zwar gute Stalker und hatten Führungspositionen inne, aber für die Stellung des Propheten waren sie dennoch nicht geeignet. Beide standen unter der direkten Kontrolle des Kollektives und hatten keinen freien Willen. Beide verhielten sich zu unselbständig. Anders als Leuvkov.
 

„Wollen Sie wirklich keinen neuen Symbioten?“ fragte Dobrynin während er ungeduldig auf einen gerade anspringenden Drucker schaute. Endlich. Die Auswertung von Rothe kam. Leuvkov, der Kims Akte mit Interesse studierte, schaute kurz auf. „Auf den Symbionten kann ich gut und gerne verzichten. Die Noosphäre hat mir zwar hin und wieder ein paar gute Tipps gegeben, aber auf die wäre ich selber auch gekommen. Ich sehe den Symbionten nur als lästigen Parasiten an, der sowieso nichts taugt.“ Leuvkovs Stimme wurde lauernd. „Wollen Sie mir etwa indirekt sagen, dass Sie es lieber hätten, wenn ich den Symbionten wieder anlege? Damit Sie mein Handeln wieder ein Stück weit kontrollieren können? Mich wieder beobachten können?“
 

Der Professor ignorierte seine Fragen. Der Stalker wusste die Antworten sowieso. Stattdessen nahm er die Auswertungen aus dem Drucker und studierte sie inbrünstig.
 

Der Stalker gähnte noch einmal während er sich ein paar Schwarz-Weiss Fotos in Kims Akte ansah. Fotoaufnahmen, die vor einiger Zeit von Agenten geschossen wurden, damit sie in der Zone identifiziert werden konnte. Der Stalker bemerkte gar nicht, dass Dobrynin ein triumphales Grinsen aufgesetzt hatte.
 

„Herzlichen Glückwunsch, Monolith 1. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie Rothe so schnell in die Knie gezwungen haben. Die mentale Barriere, die er so lange aufrecht erhielt, um sich der Noosphäre zu entziehen, ist restlos gefallen. Die Auswertungen zeigen, dass er aufgegeben hat. Sein Geist ist gebrochen und er wartet nun darauf, sich seiner Bestimmung zu fügen.“ sagte der Professor erfreut. „Wirklich gute Arbeit, Leuvkov.“
 

Überrascht liess Leuvkov Kims Akte auf den Boden fallen und riss seinen Kopf in die Höhe. Gagarin stand auf und fing an zu bellen. Er spürte die Aufgewühltheit seines Herren. „Was?“ fragte er verblüfft.
 

Der Professor kam zu ihm herüber und zeigte ihm die Auswertung. Leuvkov riss ihm fast die Blätter aus der Hand und starrte eine Zeit lang angestrengt auf die Ergebnisse. „Gibt’s doch nicht.“ murmelte er, nachdem er sich langsam wieder gefasst hatte. Dobrynin lachte auf. „Und ob. Wirklich sehr gute Arbeit. Damit sind wir fast wieder im Zeitplan.“ Er lief zum Kontrollpult und wählte die Pieper seiner Wissenschaftler an. „Hier ist Professor Dobrynin. Begeben sie sich umgehend zu Labor 498/a. Wir werden sofort mit der Integration David Rothes beginnen.“
 

Leuvkov trat zu ihm und starrte ihn durch seine Ray Ban an. „Was? Schon jetzt?! Ist es dafür nicht doch noch zu früh?“ Dobrynin hob eine Hand als Zeichen, dass er schweigen solle. „Ganz im Gegenteil. Wenn wir jetzt nicht beginnen, könnte sich Rothes mentaler Zustand wieder bessern und er würde seine Barriere wieder hochziehen. Weshalb fragen Sie? Keine Sorge, ich habe bereits ein neues Ziel für Sie ausgewählt, dem Sie sich voll und ganz widmen können. Sie werden demnächst aufbrechen.“ Der Stalker starrte ihn für ein paar Sekunden ungläubig an. Trotz seiner Ray Ban konnte man erkennen, dass er seine Augen zusammen gekniffen hatte. Schliesslich schüttelte er ungläubig seinen Kopf. „Darum geht’s nicht, Professor. Ich halte es für noch zu früh. Sie kennen den Kleinen nicht so gut wie ich.“ Dobrynin runzelte die Stirn. „Wollen Sie mir damit etwa sagen, dass Rothe mit Absicht seine Barriere fallen gelassen hat und nur darauf wartet, in den Verbund aufgenommen zu werden? Dass er dann mit seiner Integration das Kollektiv stören wird?“ Der Professor trat so nahe an Leuvkov heran, dass er sich selbst in der Sonnenbrille betrachten konnte. „Oder haben Sie persönliche Gründe dafür, dass Sie dagegen sind?“
 

Der Stalker schnaubte. „Natürlich nicht. Wo denken Sie hin?“ Dobrynin runzelte die Stirn und lachte dann auf. „Sehr schön. Ich werde für die erste Zeit persönlich den kompletten Verbund überwachen. Machen Sie sich keine Sorgen. Begeben Sie sich unverzüglich in ihr Quartier und warten neue Befehle ab.“ sagte der Professor in einem leicht überheblichen Ton. Leuvkov starrte ihn unverwandt an. „Verstanden?“ harkte er noch einmal nach. „Verstanden.“ gab er monoton zurück und verliess augenblicklich das Kontrollzentrum.
 

Während er in sein Quartier eilte, kontaktierte er auf einem verschlüsselten Kanal Wronski. „Wronski hier.“ meldete sich dieser monoton. „Hier Leuvkov. Wir haben ein Problem. Triff mich sofort in meinem Quartier.“ „Verstanden. Ich bin sofort da.“
 

So hab ich mir das nicht vorgestellt. Zeit für Plan B.

Kapitel 27

Ort: die Zone

Gebiet: AKW

Kontrolliert von: Monolith
 

Sie kommen.
 

Seiner Erschöpfung und Schmerzen zum Trotze, hob David seinen Kopf und starrte unverwandt die beiden Männer an, die in seine kleine Zelle stürmten. Einer von ihnen begutachtete ihn missbilligend während er ihn von seinen Fesseln befreite. Der Zweite hatte sein Sturmgewehr entsichert im Anschlag. David musste grinsen. „Habt ihr Jungs immer noch dermassen Angst vor mir?“ Prompt traf ihn ein harter Schlag gegen sein Schienbein. „Schnauze. Mitkommen.“
 

Professor Dobrynin lehnte sich zufrieden an eine Konsole und wartete darauf, dass Rothe endlich zu ihm kam. Marinin, der vor ein paar Minuten von zwei Agenten ins Kontrollzentrum geführt wurde, versuchte sein Bestes um seinen Zorn im Zaum zu halten. „Sie sind verdammt mutig, dass Sie mich am Leben lassen.“ Dobrynin liess sich mit seiner Antwort ein wenig Zeit und wog seinen Kopf ein wenig hin und her. „Ich bitte Sie, Major, Sie kennen die richtige Antwort sicherlich schon.“ Alexander schnaubte. Allerdings. Er wollte, dass Marinin mit ansehen musste, wie David in das Kollektiv integriert wurde. „Sie verdammter…“ Alexander verstummte als sich eine Tür öffnete, die in ein Nebenzimmer führte, und Igel herein kam. Wirklich ideales Timing, jetzt aufzutauchen. Er biss sich auf die Zunge und verfolgte Igels Bewegungen mit zusammengekniffenen Augen.
 

„Marinin. Immer cool bleiben.“ fragte Igel als er direkt vor ihn trat und ihn herausfordernd durch seine Sonnenbrille ansah. „Fick dich…“ spie Marinin und verpasste Igel mit einer rekordverdächtigen Geschwindigkeit eine Kopfnuss. Zwei Agenten, die seine Flanken bewachten, schlugen Marinin mit ihren MP5 in den Magen und in die Kniekehlen, sodass er zu Boden ging. Igel, der sich fluchend eine Hand an den Kopf hielt, wollte gerade eines seiner Messer ziehen als Dobrynin ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Ganz ruhig, Leuvkov. Du kannst dich später immer noch amüsieren wenn das hier vorbei ist.“ Igel zuckte mit den Schultern. „Wenn’s sein muss. Bringt Marinin ins Nebenzimmer. Ich hab was Hübsches für ihn vorbereitet.“ Die Wachen nickten und zerrten den Major barsch ins Zimmer. Während er an Igel vorbeiging starrte er ihn an. „Leb wohl, alter Freund. Du weißt, was du zu tun hast.“ Igel nickte stumm und wandte sich von ihm ab.
 

Kopfschüttelnd lief Dobrynin mit den Armen auf dem Rücken verschränkt an Leuvkov vorbei, um den durch die Scheibe klar erkennbaren leeren Glastank zu begutachten, der für Rothe vorbereitet wurde. „Hmm, ich kann nicht glauben, dass ich wirklich am Ende meines Ziels angelangt bin. Was meinst du, Leuvkov? Was soll ich als nächstes tun? Die Zone ausweiten? Oder nach und nach die Kontrolle über die Staaten übernehmen?“ Leuvkov schnaubte. „Von mir aus können Sie machen was Sie wollen. Sie wissen, dass ich Ihre Methoden nicht sonderlich befürworte.“ Der Professor kicherte schelmisch. „Sie wären nicht Leuvkov, wenn Sie immer meiner Meinung wären.“ Der Stalker schüttelte den Kopf und wandte sich zur Haupttür. Übertrieben freundlich verbeugte er sich elegant. „Wenn Sie mich für einen Moment entschuldigen, werter Herr Professor. Ich seh’ mal nach, wo David bleibt. Er hätte längst hier sein sollen.“ Ohne sich umzudrehen nickte Dobrynin während er weiterhin durch die Glasscheibe schaute. Kurz bevor die Tür sich schloss pfiff Igel kurz nach Gagarin, der bellend aufsprang und sich durch den Spalt zwängte.
 

Auf dem Gang kam David dem Mann entgegen, den er am Wenigsten sehen wollte. Igel. Er wusste nicht, ob er sich von seinen Wachen losreissen und eine MP abnehmen sollte um ihn auf der Stelle zu töten. Grinsend kam ihm der schwarzhaarige Stalker entgegen. David blieb stehen um tief Luft zu holen und ballte seine Hände zu Fäusten. Igel bemerkte dies und hob in abwehrender Haltung die Hände. „Hey, jetzt lass aber mal. Hab’ mir eben schon ne Kopfnuss von Marinin eingefangen. Ach ja bevor ich’s vergesse mein Lieber. In 15 Minuten ist alles vorbei.“ Davids Augen weiteten sich. Was meinte er damit? Dass er nur noch 15 Minuten Herr seiner Sinne war?
 

Igel schob sich an den Wachen vorbei und drückte kurz Davids Schulter bevor er weiter den Gang entlang lief. David starrte ihm hinterher. Gagarin, der schwanzwedelnd um David herumsprang schaute zwischen ihm und Igel her. Erst, als der Schwarzhaarige wieder nach ihm pfiff, lies er von David ab und folgte ihm.
 

„Ich dachte du wolltest dabei sein wenn ich integriert werde? Oder kotzt es dich einfach nur an, dass DU nicht der jenige bist, der den ‚Du-wirst-jetzt-assimiliert-Knopf’ drücken kann?“ rief er ihm hinterher. Doch Igel winkte nur ab, ohne sich umzusehen. „15 Minuten!“ gab er als Antwort.
 

Zum ersten Mal stand David dem Professor gegenüber. Sein Aussehen erinnerte ihn an eine Mischung aus Ian McDiarmid und Anthony Hopkins. Auf jeden Fall sah dieser Mann alt und krank aus. Lächelnd kam Dobrynin David näher. „Endlich sehe ich Sie in spe. Ich freue mich, Sie hier begrüssen zu dürfen.“ David drehte seinen Kopf zur Seite und schielte ihn aus den Augenwinkeln aus an. „Lassen Sie die Schleimerei, Professor. Sie werden mich sowieso gleich in einen Tank stecken. Aber vorher will ich wissen wie es Kim geht.“ Der Professor fasste sich ans Kinn und deutete David, ihm zu folgen. Als sie an der Glasscheibe standen, deutete er auf einen Tank in der rechten Ecke. David legte seine Hände an die Scheibe und beugte sich nach vorne, sodass seine Nase fast die Scheibe berührte.
 

Da war sie. Kim. Die Augen geschlossen und die Arme eng an den Körper gelegt schwamm sie in der grünen Nährflüssigkeit. Sie schien einen ganz friedlichen Eindruck zu machen. Manch einer, der ihre Vorgeschichte nicht kannte, sollte meinen, dass sie sich tatsächlich freiwillig gemeldet hatte, wenn man ihren Geschichtsausdruck jetzt sah. „Kim…“ murmelte David leise vor sich hin. „Würden Sie sich nicht freuen, mit ihr vereint zu sein? Ich meine als ein einziges Bewusstsein? Sie wären stets miteinander verbunden und all eure kleinen Alltagsprobleme würden sich in Luft auflösen. Sie müssten sich um nichts mehr physisch kümmern. Lediglich Ihre mentale Stärke wird für die Kooperation benötigt.“ David erwog tatsächlich kurz, einfach nachzugeben und zuzustimmen.
 

Wenn er nicht in diesem Moment einen Schrei und Lärm aus dem Nebenzimmer gehört hätte, hätte er womöglich zugestimmt. Das Gebrüll, das von nebenan kam, stammte eindeutig von Marinin.
 

Es ging alles so schnell. Noch bis heute konnte sich David nicht an alle Details erinnern. Er wusste nur noch, dass es zwei Explosionen gab. Eine im Nebenzimmer und eine im Sarkophag, in dem sich der Monolith befand. Er würde niemals wieder vergessen, wie Marinin mit Hilfe einer Granate mit selbstmörderischer Absicht und das Kollektiv in die Luft jagte. Niemals würde er diesen Anblick vergessen. Niemals würde er Kims letzte Worte vergessen als sie in seinen Armen starb.
 

Wie in Trance wanderte er in dem Chaos ziellos durch das gesamte Kraftwerk, an schreienden Wissenschaftlern und Agenten vorbei. Seit den beiden Explosionen, bebte die Erde ununterbrochen. Mit der Zerstörung des Kollektives wurde ein Blowout entfesselt, der vermutlich die gesamte Zone nachhaltig veränderte. David stützte sich immer an den Wänden ab und schob sich langsam vorwärts. Er wusste nicht, wie lange er in diesem riesigen, im Chaos versinkenden Komplex herum irrte, bis er Igel fand, der zusammen mit einem anderen Agenten auf der Suche nach ihm war.
 

Als Igel ihn erleichtert umarmte, starrte er diesen nur mit leeren Augen an. Igel war sich nicht sicher, ob David überhaupt zuhörte, als er ihm sagte, dass alles geplant war. Die Gefangennahme, die Folter, die Explosionen, Marinins Selbstmordaktion.
 

Jedes Wort, jedes Geräusch nahm David wie durch Wattebäusche wahr. Leise und unglaublich weit entfernt. War das alles wirklich wahr? Oder träumte er?
 

„Hey, es wird alles gut. Lass uns jetzt von hier abhauen ja?“ flüsterte Igel ihm zu. David machte keine Anstalten, sich zu wehren, als er langsam aus dem AKW geführt wurde. In eine neue Welt.

Epilog

Der Herbst streckte bereits seine Hände über die Bäume aus. Blätter in den Farben jener Jahreszeit fielen herab und bedeckten die langsam erkaltende Erde.
 

David Rothe stand am Ufer eines kleinen Sees, der in der Nähe seines Hauses lag. An einem Baum gelehnt beobachtete er den Wellengang.
 

Vor fast zwei Monaten hatte er die Zone verlassen und kehrte nach Deutschland zurück. Um alles hinter sich zu lassen. Doch vergessen würde er niemals. David schwor sich, dass er Alexanders Opfer und Kims Tod niemals vergessen würde.
 

Es schmerzte noch immer, wenn er an die dachte, die ihm nahe standen. Sie alle waren Opfer der Zone.
 

Alexander.
 

Über diese vielen Jahre hinweg wurde Alexander ein Teil von ihm. Die vielen Abenteuer und Gefahren, die sie überstanden, schweissten ein unsichtbares Band zwischen ihnen, das bis heute noch bestand. Jedoch nur noch einseitig. Es schien fast so, als würde ein Teil von David nach seiner verlorenen Hälfte suchen. Eine Hälfte, die er niemals wieder finden würde.
 

Kim.
 

Seine erste grosse Liebe. David erinnerte sich gerne an die Zeit, in der er mit Kim herumstreifte, um ihre verlorenen Kameraden zu finden. Die Gefahren, die sie durchstanden. Ihre kleinen Streitereien wegen Nichtigkeiten. Niemals würde er ihr Gesicht im Angesicht des Todes vergessen. Ein Ausdruck von Erleichterung, dass alles endlich ein Ende hatte. Aber auch ein Ausdruck von Wehmut und Reue.
 

Seine Eltern.
 

Sie waren der Grund, weshalb er sich überhaupt in dieser lebensfeindlichen Welt aufhielt. Als er endlich Gewissheit über ihren Tod hatte, konnte er auch dieses Kapitel seiner Suche abschliessen.
 

Viele die ihm nahe standen, oder kannte, liessen dort ihr Leben.
 

David atmete tief durch und schloss für eine Weile die Augen, um die Gesichter der Verstorbenen ins Gedächtnis zu rufen.
 

Von weitem hörte er ein freudiges Bellen. Gagarin. Der Pitbull war einer der Wenigen, die die Zone am Leben liess.

Freudig sprang er an David hoch und tänzelte spielerisch vor seinen Füssen. David kraulte ihn am Kopf und musste ein wenig lächeln. Trotz vieler Misshandlungen seines alten Herrchens Khan, war der Hund immer noch eine treue Seele.
 

„War für eine Weile mit Gagarin auf dem Hundeplatz. Hat richtig Spass gemacht, zuzusehen, wie die anderen Hundebesitzer ihn schräg angeschaut haben.“
 

Langsam drehte sich David um und starrte ihm ins Gesicht. Igel. Noch immer konnte er nicht glauben, dass Igel die ganze Aktion, die damals im Kraftwerk stattfand, zusammen mit Alexander geplant hatte.
 

Er erinnerte sich noch an Igels Worte.
 

„Damals, als ich noch durch den Symbionten unter der Kontrolle dieses verrückten Professors stand, wollte ich wirklich, dass du ins Kollektiv eingegliedert wirst. Alles zur Ehre des Monolithen. Mein wahres Ich bekam alles mit, alles in mir schrie danach, dich und Alexander nicht zu hintergehen, doch ich konnte mich nicht wehren. Du kannst es dir ungefähr so vorstellen, als sähest du alles durch einen Spiegel oder eine unsichtbare Tür, die du nicht durchschreiten kannst. Ich war gefangen in mir selbst. Doch als dann die Verbindung gekappt wurde, hatte ich meinen freien Willen wieder. Lange, sehr lange, diskutierte ich mit Alexander, wie wir dich und Kim retten konnten. Marinin zögerte nicht eine Sekunde lang, sich zu opfern, als ich mit diesem Plan kam. Er und ich hatten gehofft, dass du diesem physischen als auch psychischen Druck gewachsen warst.“
 

Auch das würde er niemals vergessen.
 

Langsam zog Igel David in seine Arme und legte sein Kinn auf seinen Kopf. „Ich kann und werde dich für das, was ich dir angetan habe, nicht um Vergebung bitten.“ Flüsterte er leise in Davids blondes Haar. „Doch ich bin mehr als dankbar dafür, dass du mich nicht verlassen hast. So jemanden hab’ ich eigentlich nicht verdient.“
 

David schaute zu ihm auf. „Igel. Ich werde dir auch nicht verzeihen. Auch wenn ich weiss, dass du es zu meinem Wohl getan hast. Dennoch hast du mich mit Absicht leiden lassen. Das kann und werde ich niemals vergessen. Aber ich möchte bei dir sein. Trotz allem.“
 

„Danke.“
 

Jeder seinen Gedanken nachhängend, gingen sie beide zurück in das Haus am See, dass nun ihr Zuhause war. Fernab von der Zone.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Serial
2011-04-01T23:47:35+00:00 02.04.2011 01:47
oi!
bin heut zum ersten mal über die kategorie 'militär' gestoßen und dacht mir, schauste ma rin. joa, ausbeute is ja ziemlich mau, schade; aber dafür hab ick deine stalker fic entdeckt und war schwer beeindruckt. also, erst ma hut ab, dass du dich da ran gewagt und dann och noch ne komplexe, lange und gute story geschrieben hast. echt. is ma nich so einfach. respekt. und ne entsprechende würdigung meinerseits erhälste durch meine lektüre und zu allem überfluss lass ick mich och noch zu nem comment herab. fühl dich geehrt *g*.

allerdings, viel konstruktives wirste nich von mir hören; nich bockig sein *g*.
hast die atmosphäre und feindseligkeit und überhaupt das wesen der 'zone' super wieder gegeben; das mochte ick auch schon so an den büchern (obwohl ick nur die ersten drei kenne *shame*), also fein gemacht.
generell hast du auch die beziehungen der charaktere gut dargestellt, speziell in den ersten kapiteln (ick steh auf dieses wortkarge, stumme verständnis zwischen menschen *g*) und besonders das verhältnis zwischen david und marinin. hat mich sehr gefreut.
störend fand ick igels direktheit gegenüber david und in bezug auf seine gefühle ihm gegenüber. gut, er is ja nu n ziemlich direkter typ, in diesem zusammenhang aber schien mir das unangebracht oder too much, da dadurch viel von seinem seinem geheimnisvollen wesen verloren ging. war jetzt aber och nich weiter wild; bei david muss halt ma n schlag mit n zaunpfahl ihm die augen öffnen *g*.
im laufe der story hast du david n stück verweichlicht, in meinen augen. im buch is er tougher *g*. hoffe kannst damit was anfang, weil diese überlegung jetzt auszuformulieren... hab ick keen bock *g*.
und das schlussendliche zueinanderfinden der beiden war mir zu oberflächlich (is schon befremdlich, dass davids einziges problem im zwiespalt zwischen kim und igel besteht... get it?). und männlicher hätt's sein können und länger *g*. oh, aber wo ick schon ma bei intimitäten bin: die szene, wo david in der freedom basis vorm fenster umkippt, fand ick ganz wunderbar. komischerweise. sich im arm halten find ick meistens ziemlich kitschig, war jetzt hier aber nich der fall (och sonst in deiner fic eher nich... komischerweise *g*). hat sehr schön gepasst und war natürlich und nich überzogen und im kontext mit der ehrlichkeit, die dieses gespräch ausmachte, sehr schön. haste fein gemacht.
dit ende hat mich ziemlich aufgeregt, weil ick n krasses problem mit verrat hab und es in meinen augen nichts unverzeihlicheres gibt. wut! so, das spricht ja nur für deine fic. emotionen beim leser hervorrufen, is immer ein gutes zeichen.

joa, das war's meinerseits. das lesen hat mir viel spaß gemacht, insbesondere, weil ick ziemlich auf stalker abfahre und man während des lesens immer unweigerlich an 'selbst erlebte' situationen aus'm game denken muss (ging mir jedenfalls so) und natürlich, weil deine story echt gut war. haste fein gemacht und danke dafür :D.
bis dann

Von: abgemeldet
2009-10-11T01:38:00+00:00 11.10.2009 03:38
Hey ho ^^

Ich meld mich mal wieder mit einem Kommi~ Und das um die Zeit. Ja, ja... manchmal gibt es tollere Sachen als schlafen. *lach*

Blinde Hunde? Das erste, worauf ich gestoßen bin und überlegt habe? Damit meinst du sicher die Blindgänger, wa? Also die, die noch nicht mutiert sind und sich trotzdem in der Zone rumtreiben, oder? Anders kann ichs mir nicht erklären, weil die meisten... werden ja mutiert sein.

Über Igel mache ich mir genauso viele Gedanken, wie Alexander. Der ist mir irgendwie so unsympathisch, dabei habe ich von ihm noch gar nicht so viel gelesen, aber er hat irgendetwas an sich, was mich aufmerken lässt. Und damit meine ich nicht mal diese ganzen Fähigkeiten, die er hat. Eher so... dieses Auftreten. Oder vielleicht die Tatsache, dass er den Alten (naja... älteren) zu einem Drink eingeladen hat, obwohl der ja voll fertig mit der Welt ist. Oder die vielen Widersprüche...
*kopf schief leg*
Ich werd ihn weiter beobachten.
Wundert mich allerdings nicht so, dass er am Ende von David anfängt. Fragt sich nur, was er getan hätte, wenn der Kleine mitgekommen wäre~ Hat er gewusst, dass David es nicht tun würde? Argh~ Der Typ ist merkwürdig - ich bleib dabei. Überzeug mich eines besseren oder bestätige mich. Ich bin für beides bereit. XDD

Ja... wieder sehr toll geschrieben. Ich mag deine Beschreibungen. Nicht zu ausschweifend, aber doch intensiv genug, um sich alles genau vorstellen zu können.
So mag ich das~
Bis zum nächsten Kap.

lg Killua
Von: abgemeldet
2009-10-08T20:45:35+00:00 08.10.2009 22:45
So~ Und noch eins. Dann mach ich aber erstmal Pause.
Ist schon etwas schwierig das als Laie alles so zu erfassen. XD
Aber das ist keine Kritik. Man muss nur aufmerksam genug lesen. *mein hirn anschalt*

Am Anfang musste ich erstmal ein bisschen schmunzeln. Die hiesige Absteige als Suite für Elite-Stalker zu bezeichnen hat irgendwie was verdammt Ironisches an sich. Ich kann mir Davids Gesichtsausdruck ziemlich gut vorstellen. XD Nun ja... geht ja aber eigentlich, solange nichts in sich zusammenfällt, z.B. der Stuhl von Alexander oder so.
Den finde ich btw ziemlich interessant. Mitte 40 und schon so am Arsch, sagt aber weder zu ner ungefilterten Zigarette, noch zu nem Saufabend 'Nein' und 'Amen' - der is wirklich am Arsch und weiß es ja auch. Die Einstellung gefällt mir irgendwie~
Aber das mit den psi-fähigkeiten von David ist auch sehr faszinierend. Der muss ja jedes Mal voll geflasht werden, wenn er ständig Gedanken hört und die Gefühle anderer wahrnimmt. Denn das Problem hat er doch sicher, wenn er seine Fähigkeiten noch nicht kontrollieren kann, oder? Wenn nicht, dann hat er wirklich Glück. XDD

Aber die ganzen anderen Sachen... das alles ein bisschen verwirrend~
Also diese Monolithen sind die Bösen, eh? oo Diese Sekte da.
Und diese Artefakte, die sie sammeln... wofür machen sie das? Also manche sind zum heilen da, das hab ich begriffen und die anderen verkaufen sie nur? Nun ja... ob sich da der Aufwand immer so lohnt. *kopp kratz*
Und was genau kann ich mir unter dem Blowout vorstellen? Ist damit die Freilassung dieser lustigen verkorksten Experimente gemeint oder was anderes? Kanns mir grad nicht so richtig vorstellen~ XD

Also ich hoffe ich komm nicht gar so blöd und unwissend rüber. XD
*rumrenn*
Ich hinterfrag eben gern mal. Da wird noch viel auf dich zukommen, schätz ich~
Jedenfalls freu ich mich aufs nächste Kap~ *smile*

Man sieht sich~
Von: abgemeldet
2009-10-08T20:29:57+00:00 08.10.2009 22:29
Hey du ^^

Hab deine FF heute durch Zufall entdeckt und war irgendwie neugierig. ;)
Ehrlich gesagt hatte ich nur das letzte Kapitel gesehen und da dachte ich mir gleich 'Man, das klingt gut... das musste lesen~'.
Ja... hier bin ich~
Ich werd mir das gute Stück nun so langsam und genüsslich zu Gemüte führen~ =)

Der Prolog gefällt mir schon mal sehr gut.
Schilderung der Situation, Backinfos zum Chara, ohne dass man ihn gleich direkt mit allem Kleinkram vor die Nase gesetzt bekommt. So muss das sein~ Bleibt mehr Raum für die eigene Phantasie. Zumindest bei mir, da ich die Bücher bzw. Games nicht kenne.
Aber ich mag solche Szenarien, deswegen binsch da immer sofort dabei und wenns dazu noch gut geschrieben ist, noch besser~ Und gut schreiben kannst du~ Ich freu mich auf die nächsten Kapitel und den weiteren Verlauf der Handlung~

lg Killua


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