Eigentlich von yoshi_ (und uneigentlich) ================================================================================ Kapitel 1: Breit ---------------- Eigentlich ist Bela nicht dumm. Eigentlich weiß Bela, dass Alkohol, Drogen, Zigaretten, Schlafdefizite und Junkfood ihm nicht gut tun, Bela weiß, dass die Bildzeitung ihr Geld nicht wert ist, Bela weiß, dass Farin es hasst, wenn er Türen knallt, Bela weiß, dass es keine gute Idee ist, beim Sex seine Socken anzulassen, Bela weiß, dass die Felle eines Schlagzeugs es beinahe nie aushalten, wenn er versucht, seine Wut wegzutrommeln. Eigentlich weiß Bela auch, dass einige seiner Ideen nicht die Besten sind. Aber all diese Dinge fallen ihm meistens erst wieder ein, wenn es zu spät ist. Jetzt zum Beispiel. „Gute Nacht, Dirk.“ Farins Stimme ist glatt, rund und kalt, wie eine Metallkugel – er lässt Bela deutlich fühlen, dass absolut gar nichts in Ordnung ist zwischen ihnen, erlaubt ihm aber gleichzeitig, so zu tun, als wäre dem so. Und er hat ‚Dirk‘ gesagt. Bela hasst ‚Dirk‘. Und Farin weiß das. Die Tür wird geschlossen – langsam natürlich, so, dass der Drummer noch für einen Moment einen Blick auf seine Schulter, seinen blonden Hinterkopf, seine Hand auf der Klinke erhaschen kann, bevor es leise klickt und er ganz allein in seinem Zimmer ist. Bela ist zu breit, um die Zusammenhänge wirklich zu verstehen, aber er merkt ganz genau, dass Farin das alles mit Absicht macht. Um ihm dieses Gefühl zu geben, was er eben jetzt hat. Das Gefühl, es zu weit getrieben zu haben. Das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben. Das Gefühl, dass es das nicht wert war. Das Licht ist aus, nur die Straßenlaterne scheint von draußen herein. Bela findet, das ist gut so. Das passt zu seiner Stimmung. Er kann hören, dass Farin im Nebenzimmer herumläuft und stellt sich vor, ihn dabei durch die Wand zu beobachten. Er sieht, wie er sich von seinem Schreibtischstuhl erhebt und zum Fenster geht, die Stirn an das Glas lehnt und einen Moment lang die Augen schließt. „Komm, Workaholic, wir gehen schlafen“ will Bela sagen, wie immer, wenn er findet, dass sein Freund viel zu müde aussieht, doch dann fällt ihm ein, dass er nur seinetwegen so lange wachgeblieben ist, und dass er ihn sowieso nicht hören kann. Er sieht, wie er durchs Zimmer läuft, zweimal hin und her, wie er sich auf seinen Stuhl fallen lässt, der sich durch seinen Schwung halb mit ihm dreht. Wie er die Ellbogen auf seine Knie stützt, mit den Händen durch seine kurzen, blonden Haare fährt. Den Blick auf den Boden zwischen seinen Füßen gerichtet, die Stirn ganz zerfurcht. „Davon bekommst du nur Falten, Jan“, will Bela bemerken, wie immer… doch dann fällt ihm wieder ein, dass Farin diesmal nicht überlegt, wie er die Stromrechnung bezahlen soll. Er sieht, wie er sich zurücklehnt und seine großen Hände auf den Schreibtisch vor sich legt, die Innenflächen mustert, sie anspannt und locker lässt. Diese Hände, die Bela unter tausend anderen an der allerkleinsten Bewegung heraus erkennen könnte, egal, wie betrunken oder breit er ist. Er weiß, wie diese Hände aussehen, wenn sie Kaffee kochen, im Schlaf zucken oder schreiben… diese Hände, in denen ein Bleistift grundsätzlich halb so klein wirkt wie in seinen eigenen Händen. Bela liebt Farins Hände. Er liebt die tausend kleinen Falten, die hervortretenden Adern, die kurzen Nägel, die Handteller. Farins Hände sehen nach Arbeit und Gitarre spielen aus, und wenn Bela sich ganz, ganz klein fühlt, stellt er sich manchmal vor, wie er dann in eine von Farins Händen klettert, sich dort zusammenrollt und schläft, während sich die Hand über ihm schließt wie eine Muschel. Aber das würde er Farin natürlich nie so sagen – er ist vielleicht echt bekifft, aber kein Mädchen. Bela schüttelt den Gedanken schnell ab, wie aus Sorge, dass Farin ihn in seinem Kopf finden könnte, wenn er ihn nicht schnell genug unter anderen Gedanken versteckt. Der Farin in seiner Vorstellung seufzt frustriert, steht auf, knipst die Schreibtischlampe aus und legt sich auf sein Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und vollständig angezogen. Bela sieht seine schwarzen Socken, seine Bluejeans ohne Schnickschnack, sein langärmliges schwarzes Oberteil. Bela mag dieses Oberteil, und manchmal fragt er sich, ob der Blonde es deshalb so oft trägt. Langsam lässt er sich zurück auf sein eigenes Bett sinken, mit ausgebreiteten Armen, die Wand wird wieder eine Wand. Er hat noch nie versucht, etwas Ruhiges zu machen, wenn er breit war… es fühlt sich seltsam an. Seine Gedanken ziehen so langsam vorbei, dass er ihnen dabei zusehen kann. Wenn er die Augen schließt, sieht er den Himmel. Hellblau und unendlich. Und wenn er der Stille lauscht, hört er den Wind. Ihm ist nach Alkohol zumute, aber die Erinnerung an Farins Metallkugelstimme hält ihn davon ab. So leise, wie es in seinem unkoordinierten Zustand möglich ist, steht er auf und verlässt sein Zimmer. Eigentlich ist Farin sauer. Eigentlich weiß er wirklich nicht, wie es weitergehen soll mit Bela. Eigentlich will er für die gesamte nächste Woche nur noch mit ihm reden, wenn es wirklich nötig ist. Eigentlich will er jeden Tropfen Alkohol aus dieser Wohnung verbannen. Eigentlich ist Farin Bela böse – für die Sorgen, die er sich macht, wenn er nicht nach Hause kommt, für die Sorgen, die er sich macht, wenn er nicht mehr wachzukriegen ist, für all die beschissenen Sorgen, die er ihm macht. Und vor allem dafür, dass es ihm so egal zu sein scheint. Er feiert, trinkt und kifft, ohne auch nur ein einziges Mal an Farin zu denken, der sich Sorgen um ihn macht. Ohne, dass es ihm Leid tut. Eigentlich. Aber uneigentlich kann er die leisen Gitarrenklänge, die durch die Tür dringen, sehr wohl hören. Uneigentlich weiß er ganz genau, was Bela ihm sagen will. Uneigentlich lächelt er so verflucht nachsichtig die Decke an, dass er sich am liebsten unter seinem Kopfkissen verstecken würde vor Ärger über sich selbst. Und irgendwann öffnet er natürlich doch die Tür, lehnt sich mit verschränkten Armen in den Rahmen und blickt auf Bela hinunter, der vor ihm sitzt, den Rücken an der Wand gegenüber. Er hat aufgehört zu spielen und sieht müde zu ihm auf. Einen Moment lang sehen sie sich einfach nur an. Dann hebt Farin eine Augenbraue, wirft Bela ein halbes Lächeln zu, der es glücklich auffängt, und verschwindet in seinem Zimmer. Die Tür lässt er offen. „Komm, Bela, wir gehen schlafen.“ Und Bela legt die Gitarre beiseite und beeilt sich, ihm nachzukommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)