Order von Mebell (24 Tage - 24 Befehle (Oder: Der etwas andere Adventskalender)) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- "Er gebraucht Magie und das Telefon" (Made in Japan) Irgendwann, irgendein Morgen. Nicht hell, nicht grell. Mit einem Bein steht er noch im Delirium. Ein Klingeln zerrt ihn in die Realität. Das erste Wort, das ihn in den Sinn kommt: Nein! Mit der Zeit wird das Klingeln lauter. Vielleicht schwindet auch nur jene unsichtbare Watte in seinem Kopf, die ihm das Denken seit gestern Abend so wunderbar süß, beinah unendlich leicht gemacht hat. Zuckerwatte statt Synapsen. Seine Hand findet von selbst den läutenden Störer. Herrlich stumpfer Automatismus. Wahrscheinlich würde er noch im Sarg an sein Handy gehen. Einfach aus Reflex. "Hey, Felse-" "Nein!" Bela gräbt seinen Kopf in die Kissen. Er will es nicht hören. Braucht es nicht hören. Das Drehbuch ist ohnehin immer das gleiche. Es ist wie in einer dieser schlechten Soaps. Die Szenen und Dramen wiederholen sich. „Ich wollte dir nur...“ „...Sagen, dass ich die nächste Zeit im Urlaub bin.“ „Sind nur drei Monate.“ Die Antwort klingt völlig abgestumpft und uninteressiert. Eine Selbstverständlichkeit, für die er keine Bestätigung braucht. Bela kann sich nicht entscheiden zwischen ins Kissen beißen oder einfach auflegen. Er entscheidet sich für den Mittelweg und presst seine Nase noch tiefer in die weichen Daunen, in der Hoffnung, dass er vielleicht darin verschwindet. Tut er aber nicht. Das Telefon leider auch nicht. Was bleibt, ist hilfloser Zynismus. Eher ihn selbst treffend als Farin am anderen Ende der Leitung. „Ist ja auch nur über Weihnachten und Neujahr... Das Album muss auch nur noch abgemischt werden, aber hey: Es gibt da zum Glück so einen Deppen, der das liebend gerne macht.“ „Als wenn du irgendeinen wirklichen Wert auf diese Feste legen würdest.“ „Das Album mischt sich trotzdem nicht von allein.“ „Rodrigo ist auch noch da.“ Als ob der Chilene sich darauf einlassen würde. Nein. Das einzige treu-doofe Mitglied dieser Band ist er selbst. Der gutgläubige Drummer. Loyal, aber dumm. Frustriert schüttelt Bela wie wild den Kopf, kneift die Augen zusammen. Die Zuckerwatte verfliegt, sein Blick wird klar. Bela B.'s persönliche Art, wach zu werden. Ob das Telefonat im agilen Zustand jedoch ertragbarer ist? Bela wagt es zu bezweifeln. „Red dich nur raus, ich bins gewohnt.“ „Du weißt...“ „Wie sehr du deine Auszeiten brauchst. Natürlich. Hauptsache, du geisterst wieder irgendwo im Nirgendwo umher.“ „Unterwegs sein...“ „Ist deine ganz eigene Definition von Glück. Deshalb warte ich nur auf den einen Urlaub, wo irgendwann eine Postkarte oder eher noch eine unpersönliche E-Mail kommt, dass du da bleibst. “ Der Drummer würde sich die Zunge abbeißen, bevor er irgendeiner Menschenseele erzählte, das alle anderen unpersönlichen Emails des Gitarristen trotz allem einen festen Ordner auf seinem Laptop haben, dessen Postkarten in einem einzigen riesigen Wirrwarr als Collage an seiner Schlafzimmerwand hängen. Meist das erste ist, auf das morgens sein Blick fällt. „Auswandern...“ „Ist für dich keine Lösung. Hast du doch oft genug künstlich strahlend in Interviews verkündet. Belüg dich nur selber.“ „Hör verdammt nochmal auf meine Sätze zu beenden.“ Fast glaubt Bela das kleine Teufelchen auf seiner Schultern lachen zu hören. Zumindest hat er Farin für einen Augenblick aus seiner gottverdammten, selbstherrlichen Ruhe bringen können. Gleich wenn es auch nur ein schwacher Trost ist. Das kleine Spielchen, egal, wie sehr Bela es herauszögern mag, doch sein gewisses und bekanntes Ende nehmen wird. Träge rollt er sich auf den Rücken. Im Augenwinkel die Postkarten, herrlich bunt und irgendwie flirrend, außerhalb seiner bewusster Wahrnehmung. Der Stich, unmittelbar in Herznähe, kommt unerwartet, lässt ihn für den Moment das Gesicht verziehen, ehrlich werden, wie schon lange nicht mehr. „Hör du auf, die Wahrheit nicht zu sehen.“ „Was ist bitte diese Wahrheit?“ „Dass alles komplett unter dem Unterwegs sein steht. Wirklich alles.“ „Ich war schon immer ein rastloser Mensch.“ Bela kann sich gerade noch so ein düsteres Lachen verkneifen, was für den Verlauf des Gespräches wohl weniger förderlich wäre. Wenn "rastloser Mensch" bedeutet, ein Sozialkrüppel zu sein der auf die Gefühl seiner Mitmenschen pfeift, dann war Farin ein Paradebeispiel dieser Gattung Homo Sapiens. „Wunderbare Erklärung. Du fühlst dich nicht Zuhause, weil ich dir doch eh nur einen feuchten Dreck wert bin, genau wie die Band. Zuhause ist meistens nichts Materielles. Es ist die Umgebung und die Leute um einen.“ „Du weißt ganz genau, dass der erste Teil eine Lüge ist.“ Das "Weiß ich das wirklich?" liegt ihm auf der Zunge. Er kann es gerade so herunterschlucken. Die Zweifel, die in seinem Kopf wie wirklich lästige Insekten nisten, sind da nicht so leicht zu verscheuchen. Dementsprechend lang ist die Pause die entsteht. Bela nutzt sie, um in einer verwirrenden Form lethargischer Rastlosigkeit - auf seine Kosten gehen halt immer die schlechten Scherze - seine Beine aus dem Bett zu schwingen, nur mit Boxershorts durch die Wohnung zu tigern. Arme und Beine gänsehautüberzogen, erst bei einem Ziel halt zu machen, von dem er gar nicht weiß, dass er es sucht. Mit einem unhörbaren Seufzer lässt er sich an seinem Schreibtisch nieder, auf dem noch das kreative Chaos von gestern Abend herrscht, greift sich blind Blatt und Stift und fängt an zu kritzeln. Es ist ein Ventil. Wenn auch nur ein kleines. „Du hörst dich an wie ein trotziges, uneinsichtiges Kind. Glaubwürdig.“ Dem Satz folgt eine mehr schlechte als rechte Karikatur Farins im SD- Styl, die wütend die Faust ballt und aus deren Nase kleine Rauchwolken kommen, ähnlich einem Babydrachen. Ein Lächeln huscht über Belas Lippen, dieses Mal echt und fast schon freundlich und unbekümmert lässt er seiner Hand weiter ihr Eigenleben. „Spar dir den Sarkasmus.“ „Spar dir deine Kommentare.“ „Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, um dir zu zeigen, wie sehr ich dich doch liebe?“ Dort ein Strich, da eine Linie. Bela sieht nicht mal auf das Blatt, lässt seine Gedanken und die Augen schweifen. Erst zum Fenster, wo sich mühsam ein paar Sonnenstrahlen durch die dichte und schwere Wolkendecke kämpfe, dann zu seinem Actionfigurenregal, auf dem der Staub schon höher liegt, als manche der Miniaturen groß sind. Irgendwann bleibt sein Blick an dem Batman-Kalender hängen, der direkt ihm gegenüber an der Wand hängt. Joker grinst ihm verrückt entgegen, während Batman, wie immer unheimlich düster, über die ganze Szenerie schwebt. Es ist der 30.11. Und Bela ist es einfach nur müde. Das Telefonat. Die letzten Tage. Eigentlich das ganze vergangene Jahr. Vielleicht auch ihre Freundschaft. Aber darüber will er nicht nachdenken. Sarkasmus ersetzt die Leere. Ein schwacher Trost. „Ich wein gleich vor Rührung.“ „Sags mir doch.“ Stille. Es ist nur eine von vielen Phrasen. Und doch kann Bela nichts dagegen tun, dass die kleinen Rädchen in seinen Kopf sich anfangen zu drehen, er wirklich ins Grübeln verfällt. Da ist ein Strohhalm, viel zu schwach um seine Hoffnung tragen zu können, schon jetzt halb am Wegknicken, aber Bela will ihn nicht aufgeben. Er sieht auf seinen Schmierzettel. Der kleine Farin trägt eine Nikolausmütze, der obligatorischen geflickten Sack ist hinten auf seinen Rücken geschnallt. Da ist eine Idee, so wahnsinnig wie genial. Aber so ist es ja meistens. „Du wirst dieses Jahr einen ganz besonderen Adventskalender haben.“ Von irgendwo her flattert das Selbstbewusstsein zurück zu Bela, lässt ihn so breit grinsen wie schon lange nicht mehr. Es muss am anderen Ende zu hören sein. Jedenfalls klingt Farin, als hätte ihn irgendjemand mit der Nadel gepiekst, zumindest aber auf seinen nicht vorhandenen Schlips getreten. „Endgültig übergeschnappt.“ Bela lässt sich nicht irritieren. Er hat vergessen wie schön es ist zu beherrschen, auch wenn es nur ein dummes Gespräch ist. „... oder eher selber einer sein.“ „Bela, lass den Scheiß und komm zum Punkt.“ Er überlegt seine Kunstpause unnötig in die Länge zu ziehen, Farin einfach in der Luft hängen zu lassen, so wie er ihn immer hängen lässt, mit unfertigen Alben, Teambesprechungen oder Interviews. Doch dafür ist Bela einfach zu sozial. Oder ängstlich. Könnte der Gitarrist sich doch noch immer dazu entscheiden, einfach aufzulegen. „24 Tage.“ „Sind es ab Morgen bis Weihnachten, ja, so weit bin ich tatsächlich selber.“ Klugscheißer. Ein Gedanke, der Gedanke bleibt. Bela kennt seine Grenzen. Oder besser gesagt Farins. Er balanciert jetzt schon am sprichwörtlichen Abgrund. Aber er war ja schon immer der Gefahrensucher der Band gewesen. „24 Befehle, denen du Folge zu leisten hast.“ „Okay, ich pack die Zwangsjacke aus.“ Der Ältere fragt sich, wann er seinen Gitarristen das letzte Mal so entsetzt gehört hat. Dann, ob das überhaupt schon jemals der Fall gewesen ist. Es lässt etwas in Bela klingen. Auch wenn er nicht weiß, ob das die ersten Skrupel oder etwas anderes ist. Bevor sein eigenes Gewissen ihm ein Bein stellen kann, fährt er schnell fort. Bestätigt Farin und sich selbst. „Das ist mein Ernst.“ „Ich soll dir durch Abwaschen und Haussklaven spielen zeigen, wie viel du mir bedeutest? Danke, ich verzichte.“ Beinah ist Bela beleidigt. Aber das ist nun einmal Farin Urlaub am anderen Ende der Leitung. Der Farin Urlaub, der außer Lieder schreiben jeglicher Kreativität entbehrt. Sieht man ja allein schon an seinen Bühnenoutfits. Deswegen übergeht er diesen lahmen Kommentar. Als wenn er solche Kindereien nötig hätte, wo sich ihm doch gerade ein ganzes Meer an Möglichkeiten auftut. „Du hast keine Ahnung.“ „Ach, du verarschst mich doch eh.“ „Das ist doch das Spannende... Du weißt nicht, was hinter dem nächsten Türchen steckt.“ „Ich bin kein Hund.“ Nicht Hund, eher sturer Bock, aber das behält Bela wohlweislich für sich. Sieht er doch seine Fälle ohnehin davon schwimmen. Doch er wäre nicht er selbst, würde er sich einfach so geschlagen gegeben. Und auch wenn Farin immer mehr wortwörtliche Distanz in ihre Freundschaft bringt, so kennt er den Jüngeren doch gut genug, um ganz genau zu wissen, wo er ihn packen muss. Diesen stolzen Esel hoch zu Ross. „Du kannst dich echt auf nichts einlassen. Okay, dann ein weiteres Schwellenland anstatt mir.“ Erneutes Schweigen. Fast möchte sich der Schwarzhaarige selbst gratulieren. Aber die Vergangenheit hat ihn zu oft gelehrt, dass er sich nicht zu früh freuen sollte. Vor allen Dingen nicht bei Farin. „Du überlegst.“ Mit einer einfachen Feststellung kann man nie viel falsch machen. „Als wenn ich über diesen Schwachsinn nachdenken würde.“ „Buch dir deinen Flug. Album mischt sich ja wie erwähnt von selber und neue Freunde findet man doch auch schnell.“ Er wird fies, das weiß Bela selbst, aber er war noch nie besonders geduldig gewesen. Dafür schon immer sehr dramatisch. „BELA!“ „Was hast du schon wieder gegen die Wahrheit?“ „Wenn du das als freundschaftsrettende Maßnahme bezeichnest. Meinetwegen verschieb ich die Reise. Aber eine wirklich dumme Aktion und ich bin weg.“ Mit so einem schnellen Sieg hat er dann doch nicht gerecht. Vor lauter Schreck fällt ihm beinah das Telefon aus der Hand. Jedoch überhört er nicht die unausgesprochene Drohung in den Worten des Blonden. Allein, wenn sie dieses Spiel wirklich spielen sollten, dann nach Belas Regeln und nicht anders. „Kneifen gilt nicht.“ „Willst du noch einen Vertrag aufsetzen?“ „Eine Reise oder Vierundzwanzig Befehle.“ „Normalerweise würde ich jetzt die Eins süßsauer wählen“ Bela beißt die Zähne zusammen. Gottverdammter Urlaub. Er hasst es, so kurz vor dem Ziel zappeln gelassen zu werden. „Mach dich ruhig lustig. Nimm deine verdammte Reise, bleib einfach da – Das Bandprojekt ist beendet und unsere Freundschaft auch. Es kann so herrlich einfach sein.“ „Einfach kann jeder.“ „Oh, der Ehrgeiz des Herrn Urlaub ist geweckt.“ „Ich werde deine niederen Befehle befolgen und somit dein Haus auf Vordermann bringen. Als wenn ich das nicht könnte. Lass ich mich halt von dir demütigen. Wenn ‘s Spaß macht. Mein Flug geht dann stattdessen direkt am Abend des 24.“ Beinah hätte Bela erleichtert ausgeatmet. Einzig er lässt es, weil es dann doch zuviel verraten würde. Seine Freude, die Anspannung, die in ihm gesteckt hat. Lieber investiert er seine Energie nun darin, seine Hand über das Blatt huschen zu lassen, in der typischen Bela- Krakel- Schrift eine ziemlich lange Liste zu erstellen. Denn es gibt so einiges was er noch besorgen muss. „Du hast sowas von keine Ahnung, auf was du dich nun einlässt.“ „Suchst du doch eher einen Sklaven für andere Gelüste?“ „FARIN.“ Bela weiß selbst nicht, warum er rot wird. Vielleicht weil dieser Rückfall, in ihren alten neckischen Ton zu unerwartet kommt. Vielleicht weil es Ideen in seinen Kopf zaubert, die nun wirklich nicht dorthin gehören. „Ja so heiß ich. Adresse ist ja bekannt, ich nehm die Vierundzwanzig ohne alles.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)