Amnesia von kiyahotep (Verlorene Erinnerung) ================================================================================ Kapitel 5: Ausbruch ------------------- Kapitel 5 Alle rannten wild durcheinander. Es herrschte helle Aufregung. Die Dienstmädchen riefen verzweifelt seinen Namen, die schwarzgewandeten Hasshisen schrien herum und liefen wie aufgescheuchte Rehe durch den ganzen Turm. Bibliothekare, Beamte und Dienstboten taten es ihnen gleich. Hier und dort versuchte ein Soldat dem Treiben Herr zu werden, ging aber letztlich in der Menge unter und rief dann ebenfalls seinen Namen. „Tiarandear-sama!“ „Shuten-dono.“ „Wo seid Ihr? Ist Euch etwas passiert?“ Links von ihm gluckste Ashray leise und versuchte zwanghaft ein Lachen zu unterdrücken. Auf seiner rechten Seite kicherte Teiou so leise wie möglich. Nur er selbst hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen. Sie standen an einer Ecke des Hauptganges und beobachteten, wie der ganze Himmelsturm Kopf stand. Einige Male wäre fast jemand gegen sie gerannt, aber da hatten sie sich so nah an die Wand gedrückt, wie irgend möglich. „Sollte ich nicht langsam wieder auftauchen?“, flüsterte er und in den Rufen und dem Grundraunen im Gang gingen seine Worte beinahe unter. Niemand hörte ihn, außer seinen beiden Freunden, die so dicht bei ihm standen, dass sich ihre Schultern berührten. „Ach was …“ raunte ihm Teiou ebenso leise zu und stieß ihn beinahe um, als er vor einem Beamten zurückwich, der ganz nah an ihm vorbei um die Ecke eilte. „Pass doch auf“, zischte Ashray leise, der auch leicht ins Straucheln geraten war. „Shuten-dono!“ „Tiarandear-sama? Wo seid Ihr bloß. Gott, wenn ihm was passiert ist.“ Eine der beiden Mägde, die an ihnen vorbeikamen wischte sich stille Tränen weg. „Sollte ich nicht doch so langsam wieder auftauchen?“ Er tänzelte nervös von einem Bein aufs andere und trat dabei versehentlich auf etwas. Das tiefe Luftholen rechts neben ihm ließ ihn vermuten, dass es Teious Fuß gewesen war. „Wir können ja in dein Zimmer gehen… Nein, erst noch in die Küche. Lass uns was zu essen stibitzen und dann verschwinden wir in dein Zimmer. Okay?“ Er spürte Teious Blick auf sich, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Neben ihm gab Ashray einen bestätigenden Laut von sich. Er selbst nickte, besann sich dann aber, dass die anderen beiden ihn nicht sehen konnten und fasste daher nach Teious und nach Ashrays Hand und drückte sie leicht. Das bedeutete „Ja“. „Schht. Ich habe was gehört“ Vor ihnen blieb eine kleine Gruppe der Himmelsturmwächter in ihren bunten Uniformen stehen. Sie waren auf dem Weg nach draußen, zögerten aber nun und lauschten angestrengt. Teiou zog seine Freunde um die Ecke, weg von den Männern, die versuchten ihnen auf die Schliche zu kommen… „Murju-sama!“ Ein Wächter riss atemlos die Tür zu dem kleinen Konferenzzimmer auf, in dem er mit zwei Gesandten des Nordreiches saß und über die Ein- und Ausfuhrregelung für Toriko-Rohsteine und das himmlische Eisen verhandelte. Erschrocken fuhr Murju zusammen, ebenso wie seine beiden Verhandlungspartner. Geistesgegenwärtig griff er noch nach einigen losen Papieren, die durch den entstandenen Luftzug sonst durcheinander geraten wären. „Was ist?“, fuhr er den Mann ein wenig ungehalten an, der nun seinerseits einen Schritt zurückwich. „Welcher Umstand rechtfertigt es, dass man unangekündigt eine Tür aufreißt? Ein solches Verhalten ist untragbar!“ Er war aufgestanden und stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, während er den noch recht jungen Soldaten finster ansah. „Ich, ähm …“ Der Wächter sah die beiden Männer aus dem Norden an, die seinen Blick fragend erwiderten und ebenfalls darauf warteten, den Grund der Störung zu erfahren, was allerdings nicht geschah. „Entschuldigt mich.“ Murju nickte seinen Gesprächspartnern kurz zu und ging zur Tür, wo er den Soldaten unsanft am Arm fasste und mit auf den Gang hinaus zog. „Was ist?“, fragte er eindringlich und leicht genervt, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Warum musste man ihn nur immer bei den wichtigsten Angelegenheiten stören. In den letzten Tagen hatte er nicht einen Termin ohne Störung absolvieren können und das ging ihm langsam gegen den Strich. „Der Shuten …“, stammelte der Mann, sichtlich eingeschüchtert von der dunkel gekleideten Gestalt, die ihn kühl ansah und fast ein wenig angriffslustig wirkte. „… er …“ „Der Shuten ist was?“ fragte der hochgewachsene Hasshise ungeduldig. Er atmete tief durch, als nach einem Augenblick noch immer keine Antwort aus dem jungen Mann vor ihm herausgekommen war. Und so was war Soldat. Ein bisschen mehr Mumm und weniger Gedankenlosigkeit würden dem sicher nicht schaden. „Er ist weg. Wir haben schon alles abgesucht: Gänge, Zimmer, die Bibliothek … auch den Garten … falls noch mal so was wie vor zwei Wochen passiert sein sollte.“ Seine Stimme wurde immer leiser und er sah betreten zu Boden. „Was ich nicht hoffe. Natürlich nicht …“, fügte er noch hastig hinzu. „Der Shuten ist nicht mehr im Himmelsturm.“ „Aha“, war die einzige Antwort die er bekam. Als er aufblickte lehnte Murju mit verschränkten Armen neben der Tür an der Wand. „Und was soll ich da machen? Suchen? Ist das nicht eure Aufgabe?“ Der Wächter sah ihn verwirrt an. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Warum flippte der Beamte nicht aus, wie es die meisten anderen Hasshisen getan hätten? Nach dem Shuten war er der höchstgestellte Mann hier im Turm. Ihm oblag das Wohlergehen des Shuten. Er hatte dafür zu sorgen, dass alles so lief, wie es lief. Wer zum Shuten wollte, musste erst am Obersten der Hasshisen vorbei. Weniger wichtige Angelegenheiten regelte dieser Mann selbst oder aber er vertrat den Shuten in dessen Auftrag. Und diesem Mann war das Verschwinden des Herrschers egal? Wie hatte der Shuten ihn nur mit dem Amt des obersten Hasshisen betrauen können? Sein Vorgänger war so anders gewesen … „Steh nicht so rum und starr Löcher in die Luft. Geh ihn suchen.“ Die Stimme des Dunkelhaarigen klang nicht mehr ganz so tadelnd, sondern eher gleichgültig und ein wenig müde. Mit dem Kopf nickte er den Gang entlang, was wohl eine Aufforderung zum Gehen sein sollte. Dann wandte er sich der Tür zu und verschwand wieder in dem Konferenzraum, als ob nichts gewesen wäre. Murju ging durch die langen Gänge zu seinen Räumlichkeiten. Seit Teiou den Shuten spielte schliefen sie nicht mehr im selben Zimmer. Es war zu auffällig und er hatte so schon genug um die Ohren und das Gerede über eine mögliche Affäre zwischen dem Shuten und dem Obersten der Hasshisen konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Es war für ihn so schon schwer genug seine Stellung unter den elf Anderen zu behaupten. Den ganzen Tag waren nervöse Wachen an ihm vorbeigeeilt, auch die Dienstboten und Beamten waren sichtlich aufgebracht gewesen. Das Verschwinden des Shuten war das Thema schlechthin gewesen und letztlich hatte es eine außerordentliche Sitzung des höchsten Beamtengremiums gegeben. Zwar hatte er sich bemüht vor den anderen Hasshisen ernsthaft besorgt zu wirken, aber eigentlich war er viel mehr sauer auf Teiou gewesen, dass der sich einfach so abgemacht hatte. Für sein vermeintliches Desinteresse, bezüglich des Verschwindens des Shutens, hatte er sich viele Vorwürfe anhören dürfen, auf die er nicht wirklich etwa zu erwidern gewusst hatte und das nagte noch immer an ihm. Den größten Teil des Nachmittags hatte er mit dem wahren Shuten verbracht und diesem Unterricht in Politik und Militärwesen gegeben. Dann hatte er noch einige der Audienzen übernommen, bei denen Teiou mit Abwesenheit glänzte. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Teiou aus seiner Rolle ausbrach. Damit gerechnet hatte Murju vom ersten Tag an, aber dass Teiou es nicht mal zwei Wochen aushielt und dann einfach ohne etwas zu sagen verschwand, war nicht in Ordnung. Er konnte sich denken, dass Teiou im Osten in der Kaserne bei seinen Männern war. Er selbst war in den letzten zwei Wochen dreimal dort gewesen. Meist über Nacht, um nach dem Rechten zu sehen und Kuja Instruktionen von Teiou weiterzugeben. Teiou wusste das und trotzdem war er nun selbst losgezogen … Mittlerweile war es schon spät abends und Teiou immer noch nicht wieder aufgetaucht. Er hatte den besorgten Wächtern und Beamten erzählt, dass der Shuten wieder da sei, schlafen wollte und nicht gestört werden dürfte. Einigen Zweiflern hatte er einen Blick in das Schlafzimmer des Shuten gewährt, wo er ein paar Kissen so unter eine Decke gesteckt hatte, dass sie von Weitem wie ein schlafender Körper wirkten. Seitdem war Ruhe. Niemand hatte den Shuten zwar richtig gesehen, aber man glaubte ihm, dass er wieder da war. Er bog in die Sackgasse ein, in der die Tür zu seiner Unterkunft lag und wo um diese Uhrzeit niemand mehr zu finden war. Von draußen fiel Mondlicht herein und vom Hauptgang das Licht der Leuchter. Der kurze Seitengang selbst war nicht beleuchtet und wirkte fast düster. Hinter sich hörte er leise Schritte, die nun langsamer wurden und dann verschwanden. Er fuhr herum und vor ihm stand ein großgewachsener Mann, der in ein langes Cape mit Kapuze gekleidet war. „Wo verdammt warst du?“ Murju stemmte die Hände in die Seite und seine aufgebrachte Stimme hallte von den Wänden wider. „Im Osten“, antwortete der Gefragte leichtfertig. Er schien wenig beeindruckt von dem sich anbahnenden Wutanfall des Anderen. „Im Osten? Teiou, spinnst du eigentlich? Die haben den ganzen Turm auf der Suche nach dir auf den Kopf gestellt! Kannst du es nicht einmal zwei Wochen aushalten, ohne ein Schwert in die Hand zu nehmen?“ Er musterte den Prinzen wütend, dessen Gesicht immer noch im Schatten der Kapuze lag. „Du warst in der Kaserne, nicht? Ich weiß es! Dabei hab ich dir gesagt, dass dort alles so läuft, wie es laufen soll! Was denkst du dir eigentlich? Ach ja, vermutlich gar nichts …“ Mit einer Hand machte Murju eine abfällige Bewegung und starrte dann ärgerlich aus dem Fenster, vor dem sie sich befanden. „Ich bin verantwortlich für mein Regiment. Da muss man ab und zu mal nach dem Rechten sehen. Kuja hat mich bisher noch nie vertreten und bevor was passiert …“ Teiou zuckte entschuldigend mit den Schultern, was wegen seines belustigten Grinsens nicht allzu aufrichtig wirkte. Murju würdigte ihn keines Blickes. „Lügner!“, zischte er scharf vor sich hin. „Okay“, Teiou seufzte leise. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass Keika hier einen solchen Aufstand machte. „Ich bin ein Krieger und ich finde nach zwei Wochen Stillsitzen hab ich mir diesen Ausflug redlich verdient. Und ich hab Verantwortung gegenüber meinen Männern.“ „Falsch!“, schnitt ihm Murju das Wort ab und sah ihn endlich wieder an, auch wenn sein Blick nicht sonderlich freundlich war. „Du“, er spürte Murjus Zeigefinger an seiner Brust, „bist zurzeit nur für den Himmelsturm und dessen Angelegenheiten zuständig. Du bist nicht Generalfeldmarschall Teiou, sondern der Shugo Shuten Tiarandear und als solcher hast du dich auch zu verhalten! Keine Kämpfchen, keine Ausflüge, kein ungebührliches Verhalten! Verstanden?!“ „Keika …“ Teiou versuchte seinem Gegenüber beruhigend einen Arm auf die Schulter legen, doch der schlug ihn weg, so dass die weiten Ärmel des Capes zurückrutschten und Teious Arm mit einigen Kratzern und schon leicht bläulich schimmernden Blutergüssen zum Vorschein kam. Als er Murju wieder ansah, starrte der ihn nur noch entgeisterter an. „Na toll, ein Shuten mit blauen Flecken.“ „Ach komm, die sieht man doch gar nicht. Außerdem trag ich eh was drüber. Das fällt gar keinem auf.“ Einen Moment nestelte Teiou an dem Stoff rum und zog ihn über die Blessuren. Seiner Meinung nach war kaum etwas zu sehen, aber im Gang war es auch sehr dämmrig und Keika sah leider um einiges besser als ein Mensch oder Himmelsbewohner… „Hast du dich nicht wenigstens ein bisschen um mich gesorgt? Ich meine ich bin der Shuten und ...“ „Nein!“, antwortete Murju prompt und machte dann Anstallten an Teiou vorbei in sein Gemach zu gehen. „Bist du jetzt sauer deswegen?“ „Ja!“ Teiou fasste den Dunkelhaarigen am Arm und hielt ihn zurück, als dieser an ihm vorbei durch die Tür verschwinden wollte. Dabei rutschte ihm die Kapuze, die er immer noch aufhatte, herunter und sofort ruhte der vernichtende Blick Murjus wieder auf ihm. Sein Haar war zerzaust und verschwitzt, das Blond wirkte dreckig, das Zeichen auf seiner Stirn hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Nebel, so verschmiert war es. „Du musst generalüberholt werden, wenn du morgen wieder als Shuten durchgehen sollst.“ An seinem Gesicht und seiner Stimme konnte man erkennen, wie wenig ihm das gefiel, was er vor sich sah. „Ich weiß, deshalb bin ich hier.“ Der ein wenig ramponiert wirkende Ersatzshuten legte den Kopf leicht schräg und lächelte Murju an. Dann machte er einen Schritt auf ihn zu, sodass Murju mit dem Rücken zur Wand stand, und küsste ihn sanft. „Au!“ Teiou rieb sich die Wange. Was fiel Keika ein, ihm einfach so eine Ohrfeige zu verpassen? Das war seiner Meinung nach nun wirklich eine Überreaktion des Dämons. Gerade wollte er den Mund aufmachen, um ihm das zu sagen, als er Keikas kühle Finger an seinen Lippen spürte. „Sei still“, zischte der leise und zog Teiou die Kapuze wieder über den Kopf. „Was fällt Euch eigentlich ein DAS zu tun?“ Fuhr er lauter fort und maßlose Empörung schwang in seiner Stimme mit, während er Teiou von sich weg stieß. „Ihr solltet schon längst schlafen!“ Der Schwarzhaarige wandte sich mit einer Handgeste ab. „Lass dein Fenster offen.“ Flüsterte er noch leise und verschwand dann durch die Tür in sein Zimmer. Ein wenig irritiert stand Teiou vor der Tür, die gerade hinter Keika ins Schloss fiel. Als er sich umwandt erkannte er noch gerade einen Schatten, der hinter der nächsten Ecke verschwand. Man hatte sie beobachtet. Vermutlich nicht lange, aber den Kuss hatte der Beobachter, Keikas Verhalten nach zu schließen, sicher mitbekommen. Seufzend zog sich Teiou die Kapuze tiefer ins Gesicht und machte sich dann auf den Weg in Tias Gemächer, wo er in den letzten Tagen alleine schlief. Er würde dort auf Keika warten, wie der es ihm mit der Geste vermittelt hatte, und sich wohl erstmal für alles, an diesem Tag geschehene, entschuldigen müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)