Star Seekers von Jughead (Are you still alive or already dead?) ================================================================================ Kapitel 1: Miura - Another Nightmare ------------------------------------   Und wieder wache ich schweißgebadet auf. Das zehnte mal diese Woche und es ist erst Mittwoch. Es ist schon recht seltsam, aber ich kann nichts dagegen tun. Seit ich zehn bin träume ich jede Nacht Alpträume, wache schweißgebadet auf und mein Puls rast wie verrückt. Selbst meine Arme und Beine scheinen schwer wie Blei zu sein, wenn ich aufwache. So schwer, dass ich mindestens fünf Minuten stillschweigend in meinem Bett liege und nach Atem ringend die Zimmerdecke anstarre. So wie auch heute Morgen. Ich liege in meinem Bett und kann mich keinen Zentimeter bewegen. Aus dem Wohnzimmer höre ich, wie das Telefon klingelt. Wer mag das sein? Ich schiele zu meiner Uhr, welche an der Wand hängt. Das einzige, das überhaupt an meiner Wand hängt. Es ist halb vier. Das Telefon klingelt und klingelt. Ich frage mich, wieso niemand hingeht und den Anruf entgegen nimmt. Nach einem weiteren Läuten des Telefons fällt mir wieder ein, dass ich ja alleine wohne. Ich stoße einen schweren Seufzer aus, versuche aufzustehen, kann mich aber noch immer nicht bewegen.   »Verdammt…«, murre ich.   Das Telefon schellt noch immer. Ich kneife einen Moment die Augen zu, versuche mich erneut mich zu erheben. Welch ein Glück, dieses Mal funktioniert es sogar. Ich laufe ins Wohnzimmer, mache das Licht an, reibe mir nebenbei die Augen und hebe ab.   »Fujiwara…«, gebe ich leise von mir.   »Na endlich geht mal jemand ans Telefon.«, ertönt es plötzlich.   »Wer zum Teufel ist da…?«, frage ich nach.   »Ich bin’s doch… Len!«   Ich schweige einen Moment. Habe ich eben tatsächlich vergessen, dass das Lens Stimme war? Erschrocken schüttle ich den Kopf, reibe mir noch einmal die Augen.   »Tut mir Leid. Wieso rufst du so früh schon an?«   »Na toll, danke. Ich warte seit ganzen zweiundzwanzig, nein, jetzt sind es dreiundzwanzig, Minuten darauf, dass du mir die Tür öffnest. Ich habe sechzehnmal geklingelt und du öffnest die Tür nicht!«, jammert er.   Ich laufe samt Telefon ans Fenster und schaue hinaus. Tatsächlich. Draußen, vor der Haustür, steht Len in seiner schwarzen Lederjacke, mit seinem Handy in der Hand und läuft in Kreisen herum.   »Tut mir leid, ich mache schon auf.«, sage ich dann, lege auf und verschwinde zur Haustür.   Es braucht bei mir seine Zeit, bis ich diese bescheuerte Haustür geöffnet habe. Weswegen? Ganz einfach, sie ist dreifachverriegelt. Nein, ich leide nicht unter Verfolgungswahn. Abergläubisch bin ich genauso wenig, auch wenn hunderte von Geisterglöckchen in meiner Wohnung hängen. Fraglich, warum ich mit siebzehn eine eigene Wohnung habe, oder? Das liegt wahrscheinlich daran, dass meine Eltern, vor allem meine Mutter, nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Sie halten mich für verrückt. Ich hab mich damit abgefunden, auch wenn es noch immer schmerzt.   Nach weiteren fünf Minuten, die ich an der Tür fummle, ist sie endlich offen und Len tritt herein. Er reibt sich die Hände, schüttelt sich kurz.   »Ziemlich kalt draußen.«, lächelt er.   »Was bist du so spät auch noch unterwegs? Oder auch so früh…«, frage ich ihn und gehe mit ihm in die Küche.   »War bei meiner Freundin.«, grinste er, »Sie hat mich rausgeschmissen.«   »Wahrscheinlich hatte sie recht. Von welcher Freundin sprichst du eigentlich?«   »Von der Kleinen, die eine Klasse unter uns ist.«   »Die Blonde?«   Len nickt grinsend. Das Grinsen von ihm erklärt alles, worauf ich auch nicht weiter eingehe. Womöglich hat sie ihn rausgeschmissen, als sie sein Handy durchsucht hat. Das machen die Mädchen aus unserer Schule. Kriegt man eben mit, wenn der beste Freund alle zwei Wochen ein anderes Mädchen im Schlepptau hat. Ich reiche ihm, noch recht verschlafen ein Glas Wasser. Er sieht es nur schweigend an, als würde es ihn gleich angreifen wollen.   »Miura… Was soll das?«, fragt er mich.   »Du kennst mich doch. Ich hab kein Bier da, fertig.«   »Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich dachte das sei ein Witz gewesen.«   »Sehe ich so aus, als würde ich Witze machen?«, frage ich ihn.   Er zuckt mit seinen Schultern, sieht mich an. Allmählich bildet sein Mund ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen.   »Wenn du die ganze Zeit von deinen Geistern und was weiß ich redest… Da kann es doch gut sein, dass du auch Witze reißt, oder?«   Ich seufze schwer, sagte aber nichts dazu. Eigentlich fragte ich mich, weshalb der Typ in meiner Küche nicht müde ist.   »Len… Willst du auf dem Sofa schlafen, oder gehst du nach Hause?«, frage ich also und reibe mir wieder einmal die Augen.   »Ich nehme das Sofa, danke.«, sagt er und lächelt.   Ich nicke, strecke mich kurz und teile ihm mit, dass ich mich wieder ins Bett verziehe. Gesagt, getan. Ich liege wieder in meinem Bett, starre einen Moment die Zimmerdecke an und kaum einige Augenblicke später bin ich auch schon wieder eingeschlafen.   Als ich wieder aufwache starre ich in den leuchtend blauen Himmel. Blinzelt schiele ich neben mich und bemerke nach kurzer Zeit, dass ich auf einer Wiese liege. Ich setze mich langsam auf, fasse mir leicht an den Kopf und schaue mich um. Ich bemerke sofort, dass ich träume, schließlich war ich hier noch nie. Nicht mal in Gedanken, oder so. schweigend erhebe ich mich also und sehe mich erneut um. Irgendwo in der Ferne höre ich eine mir bekannte Stimme. Es ist eindeutig die von Len. Wie sie nach mir ruft, ist mir auf eine Art und Weise schon unangenehm. Ich folge aber der Stimme. Ich folge so lange, bis ich sogar vor ihm stehe.   »Wo warst du so lange, Miura?«, fragt er mich.   Ich will antworten, aber ich kann nicht. Stattdessen zücke ich ein großes Küchenmesser. Ab da geht alles so schnell. So schnell, dass ich es noch nicht einmal registrieren kann. Ich sehe nur noch das Blutbespritzte Gesicht Lens. Wie mich seine nun leeren Augen anstarren, als würden sie fragen, „warum hast du mich umgebracht?“, oder „hattest du deinen Spaß daran, mich leiden zu sehen?“. Ich weiche geschockt zurück, sehe zu, wie Lens lebloser Körper zu Boden sinkt und betrachte meine blutüberströmten Hände. Mein Puls rast wie verrückt, alles um mich herum verändert sich. Es wird dunkel, nahezu schwarz. Ich sacke in mich zusammen und schreie. Vor Schmerz. Vor Trauer. Vor Angst.   »URA! Wach auf, verdammt!!!«   Diese Worte reißen mich aus meinem Schlaf. Ich öffne schockiert meine Augen und sehe in Lens Gesicht. Völlig schweißgebadet starre ich ihn an.   »D-du… Du lebst…«, gebe ich keuchend von mir.   »Klar lebe ich. Weswegen sollte ich nicht mehr leben?«, fragt er und sieht mich an.   Ich seufze leise. Wieder brauche ich einige Minuten, bis ich mich richtig bewegen kann. Len sieht mich nur schweigen an, beobachtet mich durch dringlich. Vor meinen Augen fliegt mein Traum vorbei, wie ein Film. Ich schüttle ein wenig den Kopf, um auf andere Gedanken zu kommen. Das stellt sich allerdings als äußerst schwierig heraus.   »Miura? Alles klar?«   Ich nicke ein wenig, blinzle und sage: »Alles okay. Ich-«   »Wieder schlecht geschlafen?«, unterbricht er mich dann.   »Mehr als nur schlecht…«   »Mhm…«   Ich versuche ein wenig zu lächeln. Len erwidert es widerwillig. Ich lasse mir noch einmal meinen Traum durch den Kopf gehen, auch, wenn ich diese Bilder am liebsten vergessen würde. Normalerweise würde ich nun zu meiner Großmutter gehen, ihr davon erzählen und mir ein wenig helfen lassen, darüber hinweg zu sehen. Aber, da sie seit drei Jahren nicht mehr lebt, geht das irgendwie schlecht. Auch wenn ich jegliche Geister sehen kann, meine Großmutter habe ich noch nicht erblickt. Ich seufze leise.   »Hey… Miura. Geh' dich umziehen, wir müssen gleich zur Schule.«   Ich lausche mit halbem Ohr Lens Aufforderung, nicke schwach und abwesend. Er seufzt leicht, packt meinen Arm und schleift mich ins Badezimmer. Noch immer völlig in Gedanken versunken, mache ich mich für die Schule fertig. Ich trete, fertig umgezogen versteht sich, aus dem Bad.   »Ich bin fertig.«, sage ich leise.   Len sieht mich einen Moment schweigend an, geht an mir vorbei ins Badezimmer und kommt mit einem Kamm zurück. Wie er mir die Haare kämmt ist gerade schon gruselig.   »Miura… So kannst du nicht in die Schule gehen. Was sollen denn die anderen sagen?«   »Was weiß ich.«, sage ich murrend, »Entweder sagen sie „seht euch den Freak an“ oder sie sagen „schaut mal, der Freak sieht heute wieder lustig aus“«   Ich frage mich selbst, wieso ich meinen besten Freund volljammere. Schon bescheuert, irgendwie.   Gegen meinen Willen schleift mich Len auch noch zur Schule. Ich seufze schwer auf dem Weg dorthin. Eigentlich will ich nicht zur Schule. Seit ich diese Wesen sehen kann, um genau zu sein. Seitdem ist es fast wie eine Art Angst, oder so was.   Ich sitze, wie sonst auch, schweigend in meinem Klassenzimmer. Len sitzt weiter vorne. Er schläft halbwegs. Eigentlich könnte ich nun aufstehen, zur Tür rauslaufen und einfach nach Hause verschwinden. Doch irgendetwas hält mich auf. Leider habe ich gerade vergessen, was es ist. Erst als ich aus dem Fenster blicke, habe ich die Antwort. Die angeblich so leeren Straßen sind voll mit Geistern und anderen Dämonen. Persönlich habe ich ja nichts gegen diese Wesen. Bis jetzt haben sie mir auch noch nicht weh getan, oder Ähnliches. Es ist das Aussehen der Wesen, was mich so unruhig schlafen lässt. Mal haben sie fünf Arme, drei Köpfe, sechs Beine, oder neun Augen. Es läuft mir eiskalt den Buckel runter, als eines dieser Wesen zu mir hochsieht und direkt in meine Augen starrt. Ich stoße wieder einen schweren Seufzer aus und lege meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir, schließe einen Moment lang die Augen. Eigentlich recht schön, wenn niemand und nichts mit mir redet.   »Nanu? Miura, schläfst du etwa noch?«, fragt mich eine sanfte, engelsgleiche Stimme.   Ich öffne wieder meine Augen und schaue auf. Ein Engel? Wohl kaum, aber beinahe. Es ist Michiyo. Meine Exfreundin. Ich komme damit klar, dass es mit uns nie richtig funktioniert hat. Jetzt verstehen wir uns zumindest besser, als zuvor.   »Nein… Ich… Ich habe nur etwas nachgedacht.«, sage ich dann leise zu ihr.   »Aha. Okay… Du siehst nicht gut aus.«   Ich nicke zustimmend.   »Ja, ich weiß. Höre ich nicht zum ersten Mal.«   »Hat Len dir das auch schon gesagt?«   »Japp, hat er.«   »Oh… Na dann.«, lächelt sie nur noch, setzt sich auf ihren Platz, genau vor mir.   Ich betrachte sie ein wenig, recht verträumt, und seufze leise. Zu meinem Glück, das ich mehr oder weniger habe, nimmt mich der Lehrer heute gar nicht dran. Nach der verdammten Englischstunde ist Sport dran. Mein Hassfach, genau nach Religion.   Schweigend, und fertig umgezogen, betrete ich die Turnhalle. Schon recht deprimierend, der „Schlechteste“ in der Sportklasse zu sein. Nicht, dass ich das ganze Zeug nicht kann, aber da mich sowieso alle für verrückt halten, mache ich mir nicht mehr viel daraus. Wie sonst auch, sitze ich auf der Bank und sehe den anderen zu.   Plötzlich wird mir eiskalt. Len setzt sich kurz neben mich, schnauft ein wenig herb.   »Du siehst so blass aus, Miura.«, sagt er leicht keuchend, »Was ist los?«   »N-nichts. Alles bestens…«, entgegne ich leise und schüttle dabei ein wenig den Kopf.   »Ganz sicher?«   Ich nicke, schaue dann zu meinem Lehrer. Auf einmal wird mir übel. Ich kann’s mir nicht erklären, aber ich merke, dass es mir elend geht.   »I-ich glaube… Mir ist schlecht…«, murmle ich dann.   »Du siehst auch nicht gesund aus, Miura. Geh‘ lieber nach Hause und ruh‘ dich aus.«, meint mein Lehrer dann.   Ich nicke wieder nur schweigend, halte mir die Hand vor den Mund und renne aus der Turnhalle. Als ich das Schulgebäude verlasse, geht es mir wesentlich besser. Depressionen, würde meine Großmutter behaupten. Ich drehe mich noch einmal um und verschwinde dann auf die Straße. Wenn sich meine Mutter noch für mich interessieren würde, und sie herausbekäme, dass ich „krank“ geworden bin, wäre ich wahrscheinlich tot. Egal wie krank einer in unserer Familie ist, oder war, er musste seiner Tätigkeit nachgehen. Einer der vielen Gründe, weswegen ich meine Mutter wohl hasse.   Völlig in Gedanken versunken, laufe ich in die Richtung meiner Wohnung. Eigentlich ist das keine große Kunst, schließlich sind es gerade mal fünf oder sechs Minuten bis dahin. Was soll auf so einer kurzen Strecke passieren? Meiner Meinung nach ziemlich gar nichts. Wohl falsch gedacht. Kaum drei Meter vor meiner Haustür steht eines dieser Wesen und sieht sich um. Wie angewurzelt stehe ich da und starre es an. Dieses Etwas erwidert meinen starren Blick, wodurch mir das Blut in den Adern gefriert. Ich frage mich, ob ich einfach daran vorbeilaufen soll, oder warte, bis es von selbst geht. Die erste Möglichkeit scheint mir einfacher, weswegen ich, recht zitternd, losgehe.   »Hey!«, gibt das schwarze Wesen dann von sich.   »Ich bleibe erschrocken stehen, blicke über meine Schulter und bemerke, wie es plötzlich wieder so eiskalt wird, wie in der Turnhalle der Schule. Ob es an diesem Etwas gelegen hat? Ich kneife einen Moment die Augen zu, öffne sie jedoch gleich wieder.   »Was willst du von mir…?«, frage ich dann leise und mit zittriger Stimme.   »Du siehst mich?«   Ich antworte nicht auf die Frage, beiße mir stattdessen auf die Unterlippe. Als ich etwas Kaltes auf meiner Schulter spüre, beiße ich sie mir sogar blutig, weswegen ich noch einmal die Augen zukneife. Grausamer Schmerz, auch wenn ich ihn kaum spüre. Ich blicke zu meiner Schulter und erkenne dort eine Hand.   »Was zitterst du so?«, fragt es mich.   Ich reiße sofort die Augen auf.   »G-gar nicht… I-ich-«   »Wie heißt du, Kleiner?«   Ich schweige wieder.   »Na los, rede!«   »M-Miura…«, stottere ich dann erschrocken.   »Also dann, Miura, wir sehen uns.«   Das gruselige schwarze Etwas nimmt seine kalte Hand von meiner Schulter und geht an mir vorbei.   »W-warte!«, rufe ich ihm nach, »Wie… Wie heißt du?«   Es dreht sich noch einmal zu mir um und sagt dann: »Du kannst mich Long nennen.«   Plötzlich zieht ein Wind an mir vorbei und Long löst sich urplötzlich auf. Ich starre einen Moment in die leere Straße und bemerke, wie ein Tropfen Blut von meinem Mund zu Boden fällt. Sachte lecke ich mir über die Lippen und hoffe, dass ich bald aufhören würde zu bluten. Wieder schaue ich mich um, nur um sicher zu gehen, dass keines dieser Wesen in der Nähe ist. Als ich mir dann ganz sicher bin, gehe ich zu meiner Haustür, öffne sie und schließe sie sofort wieder hinter mir.   Irgendwie bin ich erleichtert, denn soviel ich weiß, trauen sich diese Wesen nicht in meine Wohnung. Weswegen? Sie ist ja schon bald ein Tempel! Überfüllt mit Buddha-Statuen, in allen Größen, Geisterglocken, die den „bösen Geistern“ Angst machen sollen und anderem geisterabwehrendem Zeugs. Ich schaue mir schließlich den Traumfänger in meinem Zimmer genauer an. Dieses Ding sollte meine Alpträume doch eigentlich auffangen. Nicht umsonst heißt das Ding Traumfänger. Seufzend kralle ich mir das Ding, gehe ins Wohnzimmer und werfe ihn aus dem Fenster. Ob es ein Fehler gewesen ist, stellt sich erst heute Nacht heraus.   Seufzend blicke ich dann wieder zur Uhr. Eine Stunde sitze ich jetzt schon daheim. Die Stunde kam mir nur irgendwie wie drei Tage, oder so, vor, weswegen ich mich auch urplötzlich so müde fühle. Ich schaue wieder zur Uhr. Immer wieder. Ich rechne damit, dass kurz vor eins Len in meiner Tür steht. Und wenn man vom Teufel spricht. Um genau 12:55 Uhr klingelt es an der Haustür. Ich erhebe mich vom Sofa und öffne die Tür.   »Hallo, Miura.«   Ich blicke auf und erkenne keinen Len.   »Michi-Chan?«, sage ich dann erstaunt.   Eigentlich habe ich nicht mit Michiyo gerechnet, aber ich lasse sie trotzdem herein. Auch wenn sie schon eine ganze Weile nicht mehr hier war.   »Ich war ja schon lange nicht mehr hier.«, sagt sie dann und sieht sich ein wenig in meiner Wohnung um.   »Seit eineinhalb Jahren.«, entgegne ich ihr leicht lächelnd und bringe sie in die Küche.   »Mhm… Viel verändert hat sich an der Einrichtung aber nichts.«   »Nein. Alles gleich geblieben. Nur mehr Zeugs gegen die Geister.«   »Du siehst deine Geister immer noch? Im Ernst?«   Ich nicke nur schweigend, reiche ihr ein Glas Wasser und setze mich ihr gegenüber.   »Interessant… Wie sehen sie denn aus?«, fragt sie auf einmal.   »Hm… Wie sehen sie aus…«, wiederhole ich leise und nachdenklich, »Die meisten sehen aus wie normale Menschen, nur blasser und man kann durch sie durchschauen. So… Wie durch ein dünnes Seidentuch. Andere sehen aus wie Monster. Fünf Arme, drei Beine, sechs Augen… Es ist immer verschieden.«   Wäre wohl eine Möglichkeit, weswegen ich so verdammt krasse Alpträume habe. Ich meine, wenn ich so darüber nachdenke… Krass sehen die Dinger schon manchmal aus. Richtig gruselig… Creepy, würde Len sowas nennen. Michiyo sieht mich auf die Erklärung erstaunt an, lächelt aber.   Ich lecke mir wieder leicht über die Lippen. Die verdammte Kruste, die sich dort gebildet, regt mich aber auch gerade auf.   »Was hast du denn da gemacht? Etwa auf die Lippen gebissen?«   Ich nicke ein wenig.   »Ja.«, sage ich dann, »Aus Versehen.«   »Aha. Aus Versehen.«   Wieder nicke ich nur, nehme dann einen Schluck Wasser von meinem Glas und sehe dabei Michiyo weiterhin an. Wie sie mich anlächelt ist fast schon gruselig. Blinzelnd erwidere ich ihren Blick, seufze dann ein wenig.   »Was ist?«, frage ich dann.   »Willst du mit mir auf ein Konzert gehen?«   »Ich?«   Sie fängt an zu lachen, schüttelt ein wenig den Kopf.   »Natürlich du!«, sagt sie dann kichernd, »Siehst du sonst noch wen hier drinnen?«   Ich schaue mich um, blicke durch die Küchentür ins Wohnzimmer, nur um wirklich sicher zu gehen. Dann schüttle ich den Kopf und schaue sie an.   »Also? Kommst du mit, oder nicht?«, fragt sie erneut.   »Auf was für eines denn?«   »Hm… D'espairsRay geben eines. LM.C und An Cafe sollen auch eines geben.«   »Okay…«   »Such dir eines aus, oder zwei… Oder alle.«   Sie lächelt mich glücklich an. Sowas ist ja auf eine Art und Weise schon eine Frechheit. Eigentlich will ich nicht wirklich auf so ein Konzert. Zu laut, zu viele Leute… Und zu viele von diesen Wesen… Wie soll ich so einem engelsgleichen Gesicht nur nein sagen? Ohne, dass ich es wirklich will, stimme ich dem D'espairsRay-Konzert zu. Na das kann ja wirklich mal interessant werden…   Nachdem Michiyo wieder nach Hause gegangen ist, mache ich mir etwas zu essen. Mittlerweile ist es ja schon halb acht, soll ja nicht so gesund sein, den ganzen Tag nichts zu essen… Eigentlich habe ich vorgehabt, Michiyo nach Hause zu bringen, aber sie streitet so etwas ja immer ab. Ganz knall hart. Aber gut, sie ist alt genug, es selbst zu wissen, oder etwa nicht? Vielleicht hat Len ja doch recht und ich sollte aufhören, immer von mir aus zu gehen. Das dreiviertel Jahr, dass Michiyo älter ist, irritiert mich dabei aber ein wenig…   Da ich keine Lust habe, mir großartig etwas zu kochen und das wieder abzuwaschen, entschließe ich, mir einfach ein Fertigramen zu machen. Als ich es fertig aufgekocht habe, verschwinde ich damit aufs Sofa und schalte den Fernseher ein. Zu meinem Pech habe ich die Stäbchen vergessen. Seufzend erhebe ich mich also wieder, schleiche in die Küche und krame mir die Stäbchen aus der Schublade. Ich laufe zurück ins Wohnzimmer, schaue dabei aus dem Fenster. Eigentlich schaue ich nicht gerne da raus, so schön die Aussicht auch ist. Aber heute Nacht leuchten die Lichter der Stadt so herrlich, dass ich doch hinausschauen muss. Ich bleibe eine ganze Weile da stehen, blicke dann irgendwann zur Straße hinunter. Dort sehe ich ihn wieder. Long. Er steht da mitten auf der Straße, sieht sich nach Etwas um. Nach irgendwem. Dann, ganz plötzlich, sieht er grinsend zu meinem Fenster hoch, winkt mir sogar noch zu. Ich winke zurück. Keine Ahnung warum. Plötzlich zieht schon wieder so ein seltsamer Wind durch die Straße. Woran ich das merke? Es wirbeln einige Blätter an meinem Fenster vorbei. Und Long ist wieder verschwunden. Schon wieder…   Schon deprimierend, auf eine Art und Weise. Ich weiß nicht weswegen, aber dieser Long macht mir auf Dauer Angst. Freiwillig mit ihm in einem Raum, würde ich niemals sein wollen. Alleine schon, wie er einen ansieht. Gut, bis jetzt habe ich ihn ja erst einmal getroffen, aber das alleine reichte schon. Ich widme mich wieder meinem Ramen. Mittlerweile ist es aber schon recht kalt und da ich zu faul bin, um noch einmal aufzustehen, belasse ich es eben dabei.   Nachdem ich zu Ende gegessen habe, verschwinde ich ins Badezimmer und mache mich fürs Bett fertig. Jetzt liege ich da so halb leblos in meinem Bett, lausche der Stille, die mich umgibt. Sie hat was beruhigendes, auf eine Art und Weise zumindest. Ein wenig gruselig ist es schon auch, aber vorwiegend beruhigend. Und irgendwann spät in der Nacht, schlafe ich tief und fest ein. Richtig fest. So fest, dass ich wieder in meine Traumwelt einfalle, in die ich schon von Anfang an nicht eintreten wollte. Noch nie.   Wieder bin ich auf einer wunderschönen, grünen Wiese, mit klarem, blauem Himmel. Einfach atemberaubend, dieser Anblick. Doch dann verdunkelt sich wieder alles. Beinahe schwarz färbt sich der Himmel. Wieder mal. In der Ferne sehe ich jemanden stehen. Es ist ein Mann, zumindest sehe ich das so. Er ruft meinen Namen. Ganz leise höre ich es. Ich gehe los, aber ich komme diesem Mann nicht näher. Es kommt mir eher so vor, als würde er sich immer mehr von mir entfernen. Ich beginne zu rennen, schaue mich um. Der Mann behält auf einmal immer die gleiche Distanz. Bewege ich mich etwa gar nicht? Mein Blick sinkt zu Boden. Doch. Ich renne und bewege mich fort. Wieder schaue ich zu dem Mann. Immer noch so weit entfernt. Plötzlich steht eine zweite Person neben dem Mann. Sie hat Flügel, so viel erkenne ich. Auch erkenne ich, dass es ein Mann ist. Zwei unbekannte… Nein… Ein Unbekannter und ein schwarzer Engel…   Miura…! Miura…!, schallt es mir leise entgegen. Dann sehe ich, wie der schwarze Engel ein Messer oder sowas zückt. Ich bleibe stehen, keuche.   »Halt!«, rufe ich, »Tu' das nicht!«   Aber irgendwie scheint es so, als würde kein Ton aus meinem Mund kommen.   Miura… Aaaaaah!!   Erst höre ich nur leise meinen Namen und urplötzlich kommt mir ein peinigender Schrei entgegen.   Nach Luft schnappend wache ich auf. Schweißgebadet, wie immer. Mein Herz pocht wie verrückt, mein ganzer Körper zittert. Und wieder kann ich mich nicht bewegen. Ich warte also, denke über diesen seltsamen Traum nach. Es war definitiv ein Fehler, den Traumfänger aus dem Fenster zu werfen. Ich warte weiter.   Eine Minute vorbei…   Zwei Minuten…   Drei…   Sieben Minuten sind vergangen. Mein Blick ist starr auf der Uhr gewesen. Sieben Minuten und sechs Sekunden. Toll, wenn man eine digitale Uhr im Zimmer hat und alles abzählen kann. Mehr oder weniger toll… Sieben Minuten und sechs Sekunden. Oder auch Sechs Minuten und sechsundsechzig Sekunden. Drei sechsen hintereinander. Sechshundertsechsundsechzig, die Zahl des Teufels. Mich durchfährt bei diesem Gedanken ein schaudern, was mich eindeutig an Angst erinnert. Ja, ich habe Angst. Angst vor dem Tod. Vor dem Tod und vor dem, was nach dem Tod ist…   Falls dort etwas ist… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)