Wings 2 von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 1: Männer und andere Ungereimtheiten -------------------------------------------- Der Studiensaal war nicht leerer oder voller als andere. Was mich eigentlich doch manchmal immer noch verwunderte. Aber das liegt wohl daran, dass ich mich manchmal wirklich Frage, warum ich überhaupt Geschichte als Nebenstudienfach gewählt habe. Meine Beweggründe waren zweifelsohne gar nicht schlecht. Aber ich hätte auf die Ratschläge von Kommilitonen hören sollen, die von ihren Schreckenserfahrungen gerade in Geschichte berichteten. Auf Hören-Sagen wollte ich mich damals nicht verlassen und dachte sogar eine Woche lang, dass alles wie geschmiert läuft. Denkste! „Yasmn! Yasmn!!!“ Nach ungefähr zwei Wochen wusste ich endlich, dass er mich damit meinte. „Herr Won, ich heiße Yara, nicht Yasmin.“ Sein Problem zu mir besteht irgendwie darin, dass er meinen Namen vielleicht ein klein wenig nicht leiden kann. Aber ich fände es nur fair, wenn er dann doch wenigstens meinen Alias richtig aussprechen und nicht das „i“ verschlucken würde. „So, so. Willst du heute wieder frech werden? Ich habe dir eine Frage gestellt, beantworte sie gefälligst!“ Ist er nicht reizend? „Ähm ja... wie war die Frage nochmal?“ In Gedanken fügte ich noch hinzu, dass ich so verwirrt war, weil er meinen Kosenamen falsch ausgesprochen hatte. Aber ein Mann der Witze war dieser kleine Dozent da vorne gar nicht. „Ich wiederhole die Frage für Schwerhörige gern noch mal.“ Nur schade, dass er dabei so bissig klang wie eine Viper, auf die man gerade drauf getretten war. „Ist in ihrem kleinen Hirn vielleicht so etwas wie eine Erinnerung an den Angriff auf Japan?“ Meine Antwort darauf könnte ohne Zweifel auch einfach nur „Ja.“ sein, aber da ich mich gerade eh schon im siebten Kreis der Vorhölle befinde, sollte ich vielleicht diejenige sein, die nachgibt. Also begann ich damit zu erzählen, dass der Angriff auf Japan nach 1941 durch die USA im Jahre 1945 am 02. September zur Kapitulation Japans führte. Herr Won verdrehte daraufhin nur genervt die Augen. „Hättest du aufgepasst, wüsstest du, dass deine Antwort bereits vorne weggreift! Warum (!) haben (!) die (!) Amis (!) angefangen (!) Japan (!) zu (!) bombardieren(!)?“ Diese unnatürlich in die Länge gezogenen Sätze bringt er gerne wenn er zu Höchstformen aufläuft. „Anfangs blieben die USA und Japan bei der Neutralität im Bezug auf Hitlers Kriegsanmaßungen...“ Oh, ein Nicken von Herrn Won. Ich bin beeindruckt, jetzt bloß nichts falsch machen. „... Obwohl Japan sich dennoch mit Macht über China stellen wollte.“ Oh, oh, sein Kopf hat mitten in der Bewegung inne gehalten. „Am 7. Dezember 1941 wurde der weltweit bekannte Angriff auf Pearl Harbor durchgeführt, der als Wendepunkt im 2. Weltkrieg gilt und dazu führte, dass die USA in den Krieg mit eingriff.“ Was rede ich da? Es ist zwar die Wahrheit, aber.... Ich bin gleich tot. Das war´s du schöne Welt. Die Zornesröte in Herrn Wons Gesicht lies mich wieder auf meinen Stuhl zurück sinken. Stampfend wie ein Elefant kam er die Treppen hinauf gestiegen und baute sich in der Reihe vor mir auf. Ganz heimlich waren alle Leute in meiner Nähe am „Bäumchen-wechsel-dich-Spiel“ beteiligt, wodurch um mich herum nichts als leere Plätze waren. Wenigstens sterbe ich alleine und ziehe keine Unschuldigen mit in den Tod, das hätte nur schlechtes Karma gegeben. „Ich erkläre Ihnen jetzt mal was!!“ Und ich sage Ihnen gleich, dass sie spucken! Bäh, ist das widerlich. „Durch so beeindruckend dumme Leute wie sie, glaubt die gesamte Welt, dass Japan die USA provoziert hat!! Dabei wurden wir, die Japaner, gepeinigt und getriezt! Aber das können Sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was das bedeutet! Immer ist Mammi´s Rockzipfel da, damit sie sich ausheulen können, oder?!“ Die Sache ist die, dass ich meine Mutter gar nicht kenne. Aber wie sollte ich es unserem geliebten Herrn Won nur erklären? Ich glaube er sieht es als seine Bestimmung an, die Ehre Japans in dieser Uni wiederherzustellen. Seine Gesinnung mag ja im Grunde friedfertig sein, aber der Terror auf seine Studenten ist es keineswegs. Es ist nicht so, dass ich eine aufmüpfige Studentin wäre. Herr Won hat seine Ansichten und die stehen nicht in Geschichtsbüchern oder auf Wikipedia. Der Versuch ihm friedlich zu begegnen endet dann doch meistens im Streit. Jetzt läge es natürlich nahe, die Stunden mit richtig wichtigen Dingen zu nutzen. Aber wenn man hier fehlt, weiß man nicht, was Herrn Wons Meinung entspricht. Also muss man wohl oder übel doch anwesend sein. Mir hat es in all der Zeit gerade mal zu einer umgerechneten, wackeligen 3 verholfen. Laut Herrn Wons Punktesystem eine -7, aber die kann er ja leider nicht vergeben. Er hatte es mal mit 0 Punkten versucht, woraufhin ich einige Leute zusammentrommeln wollte um dagegen vorzugehen. Geblieben bin am Ende doch nur ich, die zum Termin beim Hauptdozenten für Geschichte erschienen ist. Das war beim ersten Test, für den ich 100 Punkte erhielt... und den tödlichen Hass von Herrn Won, der mir wohl mein ganzes Leben noch anhaften würde. Sogar wenn ich keine Studentin mehr bin. In den nächsten Tests schrieb ich alles so hin, wie er es sicherlich gern hören würde. Dennoch zog er mir für verschiedene Dinge Punkte ab. Ich glaube sogar, dass ihm das Blau meines Kugelschreibers nicht gefällt, aber wer will das beweisen? Wenn man aber mal bedenkt, dass dieser Lehrer keine Einsen vergibt, höchstens an sich selbst, dann ist eine wackelige Drei doch ganz gut, oder nicht? Zurück zu seiner Schimpftirade. Nachdem er nun haarklein erzählte, wie ungerecht Japan doch behandelt wurde und wir Deutschen, vor allem ich deutsches Mädchen daran Schuld sei, was mit seinem armen Volk passiert war, konnte ich nicht umhin mich zu fragen, ob er vielleicht Krankheiten mit seiner Spuke übertrug. Vorbereitet wie ich war, hielt ich schon ein Taschentuch so vor mein Gesicht, dass mich nicht all zuviel davon traf. Leider wollte er auch noch über China erzählen, wobei ich hier schon gar nicht mehr richtig zuhörte. Ich war einfach nur noch wütend, was ich nach außen hin nicht zeigte. Als alleinstehende Studentin hatte ich alle Zeit der Welt um meinen Frust wieder raus zulassen. Aber trotzdem... manchmal komme ich mir wirklich wie ein Jude vor und mein Geschichtsfutzi ist Hitler. Das er mich noch nicht vergast oder erschossen hat, liegt wohl dem deutschen Waffengesetz zugrunde. Aber ich würde nicht darauf wetten, dass es in Herrn Wons Kopf keine Zeitbeschränkung dafür gibt. Zum Teufel mit meinem Gerechtigkeitssinn, warum kann ich nicht einfach irgendwann mal die Klappe halten, wenn er mich was fragt? Das Ertönen der Glocke war meine Rettung an diesem Tag. Herr Won lies mich mit den Worten ziehen, dass er sich eine saftige Extraarbeit für mein Benehmen ausdenken würde. Na toll, erst werde ich die japanische Tollwut von ihm kriegen und schließlich durch diese meine Bestrafung nur noch verschlimmern, wenn ich die Papiere mit Schaum vor dem Mund zerfetze. Aber wie gesagt... ich hab ja alle Zeit der Welt. Was ein Dilemma! Auf dem Weg zur Mensa holte mich wie immer meine Freundin Corinne ein. Sie ist gerade mal 1,45 groß und überrascht dennoch, durch ihren Überblick. Manchmal glaube ich wirklich, dass sie mich an den Schuhen erkennt. „Hey, Yara!“ Sie lächelte mir zu, doch ihr Lächeln erstarb. „Oh, wieder der Lehrer?“ „Nein. Corinne, ich werde sterben. Und ich erwarte, dass du zu mir ans Sterbebett kommst.“ „Wann wirst du denn sterben?“ Corinne ist manchmal echt drollig mit ihren Fragen. „Ich schätze, es wird so einen Monat dauern, dann müssten alle wichtigen Organe befallen sein. Schon ein Date an dem Termin?“ Sie zückte ihren kleinen Terminplaner. „Äh ja, mit David. Aber vielleicht lässt es sich einrichten, dass du so gegen 11 Uhr stirbst, dann hätte ich zwei Stunden für dich Zeit und könnte sogar deine Verwandten anrufen.“ „Du bist eine echte Freundin.“ Ich lächelte ihr dankbar zu, während sie ihren Kalender wieder in ihrer kleinen Handtasche verstaute. Corinne ist diejenige von uns, die einen Terminplaner braucht um die Stelldichein mit den Männern zu planen. Von Bindung hält sie nichts. Nicht, dass sie es nicht schon mal versucht hätte. Aber es scheiterte aufgrund ihres Eigenwillens. Die einzige Bindung, die bei ihr dauerhaft hält, ist die zu ihren Freundinnen. Und wir sind tolle Freundinnen! „Corinne! Yara!“ rief es schon von Weitem als wir gerade mit unseren Tabletts nach einem Platz suchten. Stühle waren in diesem großen Raum irgendwie rar, doch es gab einen Tisch, der immer genau vier Stühle besaß, und das ist unserer. „Yara, wird in einem Monat sterben.“ verkündete Corinne, noch bevor ihr kleiner, süßer Hintern, den Stuhl berührt hatte. Geschäftig machte sie sich daran ihren Salat mit ihrem selbstgemachten Dressing zu mixen. „Ähm... und an was?“ fragte Evelyn, der fast das Essen aus dem Mund fiel. „Nur die japanische Tollwut.“ gab ich trocken zurück und sah der kleinen Corinne dabei zu, wie sie die für sie viel zu große Salatbox hin und her schüttelte, und dabei sogar selbst wackelte. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle nebenbei erwähnen, dass sie nie BH´s trägt und die Blicke vom Nachbartisch recht zielsicher nicht gerade auf das Vegetarische gerichtet waren. Während ich den hektischen Handbewegungen von Corinne mit den Augen folgte, hörte ich Evelyn über Herrn Won reden und widmete mich wieder ihr. „Der hat doch echt ´nen Knall der Typ! Yara, warum lässt du den Kurs nicht sausen? Du lernst doch eh nichts darin.“ 1 zu 0 für sie. Aber ich konnte nicht einfach die weiße Flagge hissen und mich ab sofort vor Won´s Blicken verkrümmeln. „Du weißt, dass ich eine zweite Schiene brauche. Ich hab auch gar keine Lust ständig über den zu reden. Also, was machen wir am Wochenende?“ Ich sah in die Runde und begutachtete Lillis ernste Miene, die steif auf etwas gerichtet war. Ich folgte ihrem Blick und fand eine Gruppe von Typen, die sich lautstark unterhielten. Lilli ist ein wunderbarer Mensch. Vielleicht etwas schräg, aber eine tolle Freundin. Unser Haufen ist wohl generell so. Lilli ist die Ernste, die Kühle. Sie lässt Menschen nicht gerne an sich heran, das braucht Zeit. Außerdem bezeichnet sie sich selbst als Hexe, was ich persönlich sehr cool finde, andere irgendwie abschreckend. Aber das soll mir egal sein. Evelyn ist die Einzige von uns, die einerseits einen Freund hat, andererseits auch wieder nicht. Er ist vor ungefähr acht Monaten umgezogen um irgend so einem Sonderstudienfachgedöns nachgehen zu können. Er meldet sich, ab und zu. Aber sie treffen sich nicht mehr. Er hat nie Zeit oder Lust her zukommen und Evelyn... naja, Evelyn weiß, dass sie nicht mehr in einer richtigen Beziehung steckt. Aber warum die Mühe machen und es abschließen? Sie sieht ihn mehr wie einen Kumpel an, der hin und wieder anruft und sie etwas beschäftigt. Typische Abflauung der Gefühle. Tja, und Corinne... sie ist aufgeschlossen, impulsiv und nicht gerade zurückhaltend. Zusammen genommen eigentlich ein total unbeständiger Haufen, aber genau das verbindet uns wohl. Ich komm mir manchmal vor wie in dieser einen Fernsehserie, wo es auch um eine Vierergruppe von Frauen geht, die alle eigentlich total unterschiedlich sind. Ich lebe im Fernsehen, wie traurig ist das denn? „Ich hab mir Samstag für euch frei gehalten. Sonntag gehe ich dinnieren und am Freitag sehe ich, was dieser Typ aus dem zweiten Englischkurs so an Qualitäten zu bieten hat.“ „Ok, jetzt wissen wir deine Planung, aber was machen wir?“ fragte ich noch einmal nach. „Wie wär´s mir der neuen Bar unten am Squares?“ warf Evelyn ein. „Oder wir töten jemanden und teilen uns eine Zelle.“ Lillis schwarzer Humor, war heute irgendwie noch verbissener. „Was ist mit denen, Lilli?“ „Was soll mit denen sein?“ Sie sah mich an, als hätte sie gerade eben das erste Mal bemerkt, dass ich neben ihr sitze. „Nur ein Hauptidiot unter vielen Idioten.“ „Der eine da, hat sie wohl gefragt, ob sie auch mit Tarotkarten und Pendel arbeitet.“ meinte Evelyn und friemmelte die Gurke von ihrem zweiten Hamburger. „Ja und? Das tust du doch, wo ist das Problem?“ Irgendwie schien nur ich auf der Leitung zu stehen. „Er meinte weiterhin, dass er sich auch für so etwas interessiert.“ „So etwas, Pf!“ machte Lilli verächtlich. Evelyn rollte mit den Augen und erzählte weiter. „Sie hat daraufhin zu ihm gesagt, dass er sich dabei lieber nicht selbst verletzen soll. Woraufhin er, dann nicht mehr ganz so souverän reagiert hat und fragte, ob sie ihre Tage hätte.“ Mein Kauprozess stoppte. Ich schluckte schwer. „Armer Kerl, jetzt ist er des Todes.“ meinte ich zu Evelyn. „Hast du schon Vodoo angewendet?“ Ich lehnte mich leicht zu Lilli herüber und sah nochmal zu den Typen. „Der da, mit dem Verband an der Hand?“ Lilli nickte stumm. „Das möchte ich auch mal können.“ Ich lehnte mich wieder in meinem Plastikstuhl zurück und schloss besinnend die Augen. „Ja, bei den Typen, die du schon alle durch hast.“ meinte Corinne, die ihren Salat in Rekordzeit verspachtelt hatte und sich nun um ihre zwei Cheeseburger kümmerte. Ich frage mich echt, wo sie das alles hin isst. „Lilli erledigt das manchmal für mich.“ „Mit Erfolg.“ stimmte sie mir zu und aß ihren Auflauf fertig, der mittlerweile kalt geworden war. Wir beschlossen also den neuen Laden unter die Lupe zu nehmen. Doch nicht bevor Lilli dem einem Typen ein Bein gestellt hatte und dieser sich auch noch den kompletten rechten Arm verletzt hatte. Schnell und Präzise, waren ihre leisen Worte zu unserem Tisch gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)