Wings 2 von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 7: Die fünfte Leibwächterin ----------------------------------- In dieser Nacht träumte ich. An und für sich ja nicht unnormal, aber es kam mir so… real vor. Während ich also so durch die Gänge eines prunkvollen Palastes lief und die vielen Lagen Stoff meines fürstlichen Kimonos mit mir herum schleppte, traf ich auf viele Menschen. Sogar zwei Leute sah ich, bei denen ein merkwürdiges Gefühl in mir wach wurde. Mir war sofort klar, dass es sich hier um „meine“ Eltern handeln musste, doch viel Zeit hatte ich für sie nicht. Ich wurde bereits weiter bugsiert. Ich sah erst zur einen, dann zur anderen Seite. Auch diese Menschen kannte ich. Es waren drei Männer und zwei Frauen. Gemeinsam waren sie „der Stern“, meine Leibwächter, die auch in eben dieser Formation um mich herum waren. Wir folgten dem Weg hinaus zu einem großen Platz, der von allen Seiten mit Gebäuden gesäumt war. Der alte, japanische Stil gefiel mir. Er hatte etwas Beruhigendes. Dennoch hielten wir nicht an. Immer weiter folgten wir dem Weg aus weißen und grauen Steinplatten. Ihre Farbe war atemberaubend. Obwohl wir uns mittlerweile draußen befanden, war hier alles makellos und sauber. Meine Begleiter verschwendeten keine einzige Sekunde damit, sich dieser Atmosphäre zu erfreuen und liefen eiligst weiter. Dennoch sah ich mich um und erblickte bald weiter hinter mir zwei junge Frauen, die ihre Hände in den Ärmel hatten und auf Brusthöhe hielten. Ihre Blicke hatten sie gesenkt. Als ich zurück sah, bemerkte mich eines der Mädchen, sah auf und sofort wieder weg. Erst war ich verwundert, doch ich beließ es dabei. Mittlerweile hatte ich so viele Bücher über Japan gelesen, dass ich wusste, dass man jemandem so hohes wie dieser Priesterfamilie niemals in die Augen sehen durfte. Ich sah wieder nach vorn und nahm die Welt jetzt mit ganz anderen Augen war. War dies eine Erinnerung einer meiner Vorfahren? Um ehrlich zu sein, wusste ich sonst keine andere Antwort und war durch diese ganzen Mythen sowieso schon ganz leicht gläubig geworden. Wir passierten ein weiteres Gebäude, durch das wir geradewegs hindurch gingen. Immer wieder hielten wir an und warteten, dass meine Zofen, die sonst immer hinter mir liefen, die Schiebetüren öffneten. Oh man, dauert das lange, dachte ich und versuchte nicht genervt auszusehen. Während sich die Zeit so dahin zog, erreichten wir doch endlich einen Tempel, der etwas weiter weg von den palastähnlichen Wohnhäusern, aber dennoch innerhalb der Gebietsmauer stand, die mein zu Hause vollständig umschloss. Die großen, hölzernen Tore, mit den fantastischen Schnitzereien, wurden dieses Mal von innen geöffnet. Gemeinsam traten wir ein, wobei meine Zofen zurück blieben. Dann schloss sich die Tür wieder hinter uns. Es war sehr dunkel in dem großen Vorraum. Die Deckenhöhe schätzte ich auf mindestens 5 Meter. Durch die hohen, schlanken Säulen, wirkte der Raum noch um einiges höher, als er vielleicht in Wirklichkeit war. Mein Blick folgte den grünen Steinen, die in einiger Entfernung von der Wand standen und sich zu beiden Seiten über die gesamte Länge, des rechteckigen Raumes erstreckten. Weiter hinten sah ich ein halbrundes Podest, das man über zwei niedrige Stufen erreichen konnte, die sich um die gesamte Erhöhung erstreckten. Unsere Karawane ging weiter. An den Wänden hingen überall Schriftrollen mit Bildern und japanischen Zeichen. Hier und da standen auch einzelne Holzstücke, auf denen Krüge, Schwerter und andere Sachen zur Schau gestellt wurden. Neugierig blickte ich mich um, bis wir kurz vor dem Ende ankamen. Jetzt konnte ich auch sehen, dass das gar kein Podest war, welches mir vielleicht gerade mal ein Stück über die Knöchel reichte. Die Steinplatten waren einfach nur eine kunstvolle Erhöhung, die zu einem Wasserbecken führten. Links und rechts davon waren Türen. Eine von Beiden öffnete sich, als meine Knie sich bereits einknickten und ich zu Boden sank. Das Wasser lag ruhig da, so als sei es verzaubert und unbewegbar. Der Mann in der Priesterrobe kam näher, während ich meine Verbeugung vollendete. Als der dumme Wecker mich plötzlich aus meinem Traum holte, wusste ich erst nicht wo ich war. Schläfrig warf ich den Blick herum, bis er schließlich bei dem Ding landete. Ärgerlich klingelte der immer lauter und schneller. Da stand mir der Wecker in nichts nach. Wütend knallte meine Hand auf ihn drauf, damit er endlich Ruhe gab. Müde legte ich meinen Kopf zurück in das Kissen und schloss kurz die Augen. Kurz nur, aber natürlich so kurz, dass ich prompt wieder einschlief. Wie nicht anders zu erwarten, kam ich zu spät zur Uni. Dieses Mal hatte ich sogar den Bus genommen. Trotzdem konnte das die ersten Stunden nicht wieder herbeizaubern. Keuchend und schnaufend rannte ich durch den Gang und warf die Tür auf, die mit einem phänomenalen Knall gegen die Wand schlug. Herr Won sah zu mir auf, genauso wie alle anderen Anwesenden in dem Raum. Oh, scheiße! „Wir freuen uns auch, dass sie da sind!“ Gut, Herr Won klang freundlicher als sonst, aber dennoch war er wütend aufgrund der Störung, die ich verursacht hatte. Warum war ich auch nicht einfach leise rein gegangen? „Gomenasai, Senpai Won! Shitsureishimashita“ Ich verbeugte mich fast automatisch. Es war als würde ich neben mir stehen und mich selbst betrachten. Hatte ich gerade japanisch geredet? Und das mit einem exzellenten Akzent? Naja, um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau, ob es exzellent war, aber es klang für mich täuschend echt. Was habe ich eigentlich gesagt? „Daijōbu.“ Und was hat er jetzt um Himmelswillen gesagt? Panisch folgte ich dem nächst bestem Impuls und setzte mich. Ich kramte in meinem Hirn nach Wörtern, die ich durch meine Studie vielleicht aufgeschnappt haben könnte. Herr Won redete unten ungestört weiter und erklärte, dass wir nun zu einem anderen Themenfeld übergehen würden. Ich konnte mir förmlich vorstellen, wie sich meine Ohren, wie Satelliten, in seine Richtung drehten. „Unser nächstes Thema wird Japan sein.“ „Japan?“ gaben meine Freundinnen im Chor skeptisch von sich. „Exakt!“ lächelte ich triumphierend. Da mir dieses Thema so viel Spaß machte, würde das sicherlich ein Kinderspiel werden mit Herrn Won auf einen grünen Zweig zu gelangen und gute Punkte zu ergattern. „Ich bin beeindruckt! Ich hätte niemals gedacht, dass dein Geschichts-Futzi mal so nett sein würde.“ „Du sprichst mir aus der Seele, Corinne“ gab ich glücklich zurück. „Vielleicht wird jetzt wirklich alles gut.“ Mein Lächeln erstarb. Ich vergaß für kurze Momente gern, dass ich schwanger war und ohne dazugehörigen Vater da stand. Geschweige denn, dass meine finanziellen Mittel überhaupt ausreichend für zwei Personen waren. Sie waren es immerhin gerade mal für mich! „Yara, egal was passiert, wir können dir immer helfen!“ Mein Blick wanderte von Evelyns Augen zu ihrer Hand, die meine ergriff. Dankbar schenkte ich ihr ein Lächeln. „Danke, ich weiß eure Hilfe echt zu schätzen.“ Wir schwiegen kurz ehe Corinne wieder zu reden anfing, was ich als besser empfand. Diese bedrückende Stille, die auf allen gelastet hatte, war irgendwie schmerzhaft gewesen. „Also fahren wir am Samstag früh los?“ Ich nickte. „Ja. Ich dachte so an 8 Uhr. Dann sind wir gegen Mittag in Hamburg.“ „8 Uhr? So früh?“ warf Evelyn ein. Nicht wegen ihr, sondern wegen mir. Irgendwie ahnte ich schon, dass es wieder so kommen würde, dass ich als Einzigste verschlafen würde. Zögerlich nickte ich wieder. „Na, das kann ja was werden.“ Sie lehnte sich in ihrem Plastikstuhl weit zurück und rollte mit den Augen. „Hey, wenn ich jetzt japanisch kann… dann bin ich vielleicht auch kein Langschläfer mehr!“ warf ich protestierend ein. Ich wusste immer noch nicht, was ich da gesagt hatte, geschweige denn bekam ich die Buchstaben noch einmal in die richtige Reihenfolge. Natürlich, samstagmorgens, 8 Uhr, und ich lag noch immer im Bett. Die Fahrt nach Hamburg war anfangs ganz lustig gewesen. Letztendlich war Zug fahren aber doch anstrengend, obwohl man eigentlich nur da saß. Zuerst hatte man mir verziehen, doch am Ende lagen unsere Nerven durch die stundenlange Fahrt blank. Wir zickten uns alle gegenseitig an, teils grundlos, teils berechtigt, bis wir endlich den Zug verlassen hatten und vor dem Bahnhof standen. Die frische Luft war wie Balsam für unsere überhitzten Gemüter. Evelyn hatte im Internet recherchiert und eine Adresse herausgefunden. Sogar wie wir dahin kommen sollten, hatte sie sich überlegt. Brav den Anweisungen folgend stiegen wir in einen Bus und an einer Haltestellen von vielen aus, nur um in einen anderen Bus einzusteigen. Trotz der ganzen Vorbereitungen konnte Corinne es nicht lassen jeden Busfahrer nach der Haltestelle zu befragen, an der wir aussteigen wollten. Vielleicht flirtete sie auch, aber da war ich mir nicht wirklich sicher. Sie redete ziemlich überheblich mit Männern, die mindestens über 40 und so gar nicht in ihrer Liga waren. Es war wohl auch kein Wunder, dass sie immer ziemlich genervt zu uns stieß und sich setzte. „Corinne, was ist los?“ Erschrocken zuckte die Angesprochene durch mich zusammen. „N-nichts… gar nichts!“ Ihr Gesicht, welches die Farbe von einem leichten Braun zu Rot änderte, verriet sie. „Corinne?“ fragte ich säuerlich. Ich hatte keine Lust auf solche Spielchen. „Sag jetzt was los ist!“ Ich hätte etwas an Schärfe aus meinem Ton genommen und versuchte so etwas wie teilnahmsvoll zu klingen. Ärgerlich verzog sie Mund und Stirn. „Ist ja gut! Ich hatte ein Date mit einem 20 Jahre älterem Mann! Zufrieden?“ An Zufriedenheit reichte meine Verblüffung keineswegs heran. Erst überraschte mich nur die Tatsache, dass er um einiges älter war. Allerdings verflog dies, als ich darüber nach dachte, dass jemand Reiferes ihr vielleicht das geben konnte, was Corinne sich von den Bubis wünschte, die sie schon alle gedatet hatte. Jedenfalls kam mir sofort ein neuer Gedanke. Während wir alle Corinne ansahen, die unseren Blicken in der Vierersitzgruppe nicht entkommen konnte, außer sie sprang aus dem Fenster, stellte ich die vermeintliche Frage: „Bist du verliebt?“ Für jemand Außenstehenden mag diese Frage jetzt weit hergegriffen klingen. Aber nichts und niemand konnte unsere Corinne so aus der Bahn werfen, zumindest nichts uns bekanntes. Jetzt saßen wir alle da und schauten der nervösen Corinne zu, die mit ihren Händen rang und auf ihrem Stuhl hin und her rutschte, weil sie sich von den Blicken anscheinend ziemlich bedrängt fühlte. Als sie meine Frage hörte, wich sie entsetzt meinen Augen aus, mit denen ich sie festzunageln versuchte. „Also ich…“ nuschelte sie, als sie merkte, dass sie uns jetzt wirklich nicht mehr ausweichen konnte. Ihre Stimme versagte und so nickte sie nur. Völlig geplättet fielen mir und Evelyn die Kinnladen herunter. Lilli zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch. Etwas anderes hatte ich von ihr auch nicht erwartet. In ihrem schwarzen Kleid mit der schönen, gleichfarbigen Spitze an den Säumen, sah sie so unnahbar und mystisch aus, wie eine erhabene Hexe. Zumindest glaube ich, dass sie so aussehen, immerhin kenne ich nur die Eine. Als die Durchsage für unsere Haltestelle durch die Lautsprecher über uns ertönte, begriffen wir erst nicht, dann aber rafften wir schnell unsere Sachen zusammen und stolperten aus dem Bus. Ich sah mich um, wodurch mein Blick wieder auf Corinne fiel. „Was ist?!“ fragte sie genervt und drehte sich, die Arme vor der Brust verschränkt weg. So einfach wollte ich nicht klein beigeben. „Sag doch mal, wie lange geht das mit euch Beiden denn schon?“ Ich muss zugeben, meine Neugierde ist manchmal unmöglich. „Sind wir jetzt hier um über mich zu reden, oder wegen dieser Tussy?!“ motzte Corinne zurück. Spätestens jetzt musste mir klar sein, dass Corinne nicht reden wollte. Traurig und beleidigt zugleich sah ich auf die Wegbeschreibung und stapfte wieder los. Im Gänsemarsch folgte man mir, bis ich schließlich in irgendeiner Straße, vor lauter Ärger interessierte mich gar nichts mehr, außer die Tür von Hausnummer 17, stehen blieb. Ich las noch einmal die Zahlen, sowohl auf dem Blatt Papier, als auch an der Hauswand. Dann betrachtete ich die Namensschilder neben den Knöpfen. Ich konnte eine Helga Schneider dennoch nirgends finden. „Evelyn, sind wir hier wirklich richtig?“ Ich stellte mich wieder gerade hin und sah in die Runde. Nach einer weiteren Prüfung von Evelyns Seite, sah auch sie sehr verdutzt aus. „Ja, ich habe alles zweimal überprüft. Immerhin wollte ich nicht, dass wir unnötig in so einer großen Stadt herumlaufen.“ Tatsache war aber, dass wir es doch getan hatten. „Okay, was jetzt?“ Ich erhielt keine Antwort, ich hatte ja selbst nicht mal eine. Doch dann marschierte Lilli an mir vorbei, drückte irgendeinen Knopf und wartete. Nichts geschah. Sie probierte einen weiteren. Diesmal hörte man das Knacken des Lautsprechers. „Hallo?“ „Guten Tag, bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir suchen eine Helga Schneider. Kennen Sie die Frau vielleicht?“ „Nö, nie gehört“ erwiderte die äußerst „reizende“ Stimme und legte prompt auf. Anscheinend waren Evelyn, Corinne und ich die Einzigen, die das störte. Lilli drückte noch einen Knopf und erzählte dem Mann das Gleiche wie der ersten Frau. „Oh, Frau Schneider liegt im Altenheim „Zum Forst.“ „Können Sie uns vielleicht sagen, wo das ist? Wir sind sehr weit gefahren, weil unsere Freundin, durch einen Zufall, von einer unbekannten Verwandten erfahren hat. Und wir wollen… wir wollen…“ Anscheinend würde ich heute noch öfters baff sein. Lilli täuschte gerade wirklich Tränen vor. „Oh, aber natürlich. Kommt rauf.“ Kam es nach kurzem Zögern durch den Lautsprecher zurück. Dann hörten wir wieder das Knacken und anschließend das Summen des Türöffners. „Hat das gerade wirklich funktioniert?“ „Sieht so aus.“ Lili mit ihrer gleichgültigen Stimme, war wieder ganz die Alte, während sie uns die Tür aufhielt. Ich hatte ja bereits geahnt, dass unsere Frau Schneider schon älter sein dürfte. Aber das, was ich dort in dem Bett liegen sah, sah mehr nach einem Urzeitdinosaurier aus, als nach einem Menschen. Evelyn rammte mir ihren Ellenbogen in die Seite, als ich mit offenem Mund dort in dem Raum stand und Helga unhöflich anstarrte. Sie begriff nicht gleich, dass sie Besuch hatte. Als ihre trüben Augen uns endlich erfassten, sah sie uns mit soweit hochgereckter Nase an, wie es ihre liegende Haltung erlaubte. „Was wollt ihr?“ Ihre Stimme war straf und klang nur wenig nach einer alten Frau, die bettlägerig war. „Wenn ihr euch über eine alte Frau lustig machen wollt, dann geht woanders hin!“ „Ich… nein… wir… ähm…“ Es hatte mir doch wirklich die Sprache verschlagen. Der Raum war durch die roten, alten Vorhänge verdunkelt und tauchte alles in ein merkwürdiges Licht, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die anderen zwei Betten waren leer, nur zwei, drei Dinge zeugten von den Bewohnern dieses Raumes, die das Alter oder die Krankheit dahin gerafft haben mag. Mir lief ein Schauer über den Rücken, denn mir war nie bewusst gewesen, dass ich Altenheime nicht mochte. Sie rochen nach Tod und Verfall und versetzten mir einen grausamen Stich der Traurigkeit, der dauerhaft in meinem Herzen anhielt. Die Frau, deren Bett in der Ecke zwischen zwei Fenstern stand, musterte uns. Irgendwie hatte sie eine andere Reaktion von uns erwartet. Ihre Züge wurden weicher. „Kinder, was wollt ihr von einer alten Frau, die nicht einmal mehr von ihren Verwandten besucht wird?“ Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit. Evelyn trat vor. „Sie sind Helga Schneider, oder?“ Mein Blick wanderte von der alten Frau zu Evelyn und dann zu Lili, deren Gesicht totenblass war, obwohl noch immer die gleichgültige Maske darauf lag. Egal wie viel Selbstbewusstsein wir wohl haben, es wird immer Situationen geben, in denen unsere Sicherheit mit einem Mal verpufft. „Ja, die bin ich. Und wer seid ihr?“ Ja, wer waren wir eigentlich? Für sie waren wir sicherlich völlig wildfremde Gören, die ihre restliche Zeit vergeudeten. Ich schluckte schwer. Warum hatte ich mir das hier alles so leicht vorgestellt? „Wir sind 3 Teile des Sternes.“ Die Sicherheit, die in Evelyns Stimme mitschwang, verwunderte mich. Die alte Helga anscheinend auch. „Bitte, wer genau?“ Hilfesuchend sah Evelyn jetzt zu mir. Ihre ruhige Stimme war also nur ein Bluff gewesen? „Ähm…“ begann ich, wurde aber bald unterbrochen. „Wer ist denn welcher Teil?“ Verdutzt riss ich die Augen auf. Sah ich richtig? Helgas Augen glänzten vor Begeisterung! Eine nach der anderen begann zu lächeln, während wir nur langsam begriffen, dass Helga irgendwie Bescheid wusste. „Woher wissen Sie davon?“ Feuer und Flamme, wie ich war, ging ich jetzt näher an das Bett heran. Ich hörte sie leise lachen, während sie die Augen kurz schloss und dann wieder öffnete. Ein Feuer schien jetzt in ihnen zu liegen, was schon lange verloren geglaubt war. „Irgendwann konnte ich diese Visionen in meinen Träumen nun mal nicht mehr ignorieren.“ Es dauerte nicht lange, da kam eine Pflegerin herein und bat uns, Frau Schneider nicht weiter anzustrengen. Doch diese wimmelte die Frau ab, schimpfte sie eine Närrin und hustete kurz darauf. Besorgt sahen wir uns an und entschieden dann in stillem Einvernehmen, dass nur eine hier blieb und mit ihr sprach. Dieser jemand war zweifelsohne ich. Immerhin hatte ich mich am meisten mit dem Thema beschäftigt. Während ich nun so auf dem Stuhl saß und mit dieser alten Frau redete, fühlte ich mich seltsam geborgen. Ich vergaß Zeit und Raum und berichtete Helga, wie ich alles herausgefunden hatte. Ich wollte ihr am liebsten mein ganzes Leben erzählen, doch nachdem ich das Wichtigste gesagt hatte, musste ich einsehen, dass Helga alt und schwach war. Ihre Augen waren wieder trüb geworden, als sie selbst eine Weile von ihrem Leben erzählt hatte. Sie sah an die Decke, aber eigentlich nirgendwohin, während sie sich in ihre jüngeren Jahre zurückversetzte und das Husten ignorierte, welches ihr ständig in der Kehle kratzte. „Könntest du mir etwas Wasser geben?“ Ihre Stimme war nicht mal mehr als ein Flüstern, sodass ich Mühe hatte sie zu verstehen. Ich sah mich um und erblickte einen Krug auf dem Beistelltisch zusammen mit einem Glas. Wahrscheinlich war das Wasser bereits abgestanden. Mit einer Hand hob ich das Gefäß hoch, stand auf und sah zu Helga. „Ich hole schnell Neues, ja?“ Ein kurzer Augenblick verging, während ich das reglose Gesicht der alten Frau betrachtete, das wie schlafend wirkte. Mit zittriger Hand stellte ich den Glaskrug wieder ab. Dann fiel ich auf die Knie und ergriff eine der kalten, faltigen Hände, um sie mit meinen zu umschließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)