Wings 2 von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 10: Hokkaido, wir kommen! --------------------------------- Wir hatten uns so schnell zusammengefunden, dass einige sogar ihre Bankdaten Zuhause hatten liegen lassen. Wir hätten mit Corinne natürlich einfach auf die Bank gehen können. Aber nicht einmal sie hatte Geld für 4 Flüge nach Japan und selbst wenn, für den Rückweg hätte es sowieso nicht gereicht. Wir hatten schon überlegt, wie wir es angehen wollten. Das die Priesterin diese Sache nun erledigt hatte, sollte uns vielleicht nur zeigen, wie dringend und brenzlig die Lage war, die wir ihrer Meinung nach noch immer nicht begriffen hatten. Waren wir dann wirklich Helden? Oder war es eigentlich nur ein alter Geist, der in meinem Körper steckte? Waren wir nur Mittel zum Zweck? Solche und andere Dinge wanderten durch meinen Kopf während wir in der langen Schlange am Flughafen standen. Als Horde waren wir dort aufgetaucht. Meine Freundinnen waren mit von der Partie. Ich hatte Herrn Won gar nicht erkannt. Erst als er direkt vor uns stand, war mir klar, dass mein Lehrer auch ein Freizeitmensch sein konnte. Kneift mich doch bitte mal jemand! „Schnell, schnell! Unser Flieger geht“ trällerte er fröhlich und dennoch herrschsüchtig. Eine seltsame Kombination, die keinem seiner Studenten geheuer war. Jeden Moment konnte es soweit sein und er verwandelte sie zurück. Vielleicht würde er das Flugzeug übernehmen und in einem Terrorakt der Ehre sie einfach alle abstürzen lassen. Ich sah in die Gesichter der Anderen. Einige Studenten kannte ich nicht, höchstens vom Sehen. Lehrgangsübergreifende Veranstaltung, hatte Herr Won es vollschwanger erklärt. Er steckte wohl generell viel zu viel Enthusiasmus in die Sache hinein. Vielleicht war er auch einfach nur froh, für wenig Geld, nach Abzug der ganzen Vergünstigungen einer Studentengruppe, nach Hause zu können. Es würde mich nicht wundern, wenn sie ihn gar nicht hätten haben wollen. „Meinst du, da, wo der herkommt, gibt es noch mehr von seiner Sorte? Das wäre ja schrecklich“, meinte eine junge Frau zu ihrer Kollegin, gleich neben sich. Ich prustete laut los. Evelyn stumpte mir ihren Ellenbogen in die Seite und versuchte selbst nicht zu lachen. Ich sah auf. Oh Schande, Herr Won kam her. „Wie ich sehe, amüsieren sie sich!“ Er klang sauer, er musste es ganz eindeutig ein. Jetzt erklärte er uns sicher, dass er uns für dumm verkauft hatte und wir hier, morgens um 11 Uhr, ganz umsonst standen, da wir nicht fliegen würden. „Wartet nur, bis ihr dort seid! Ihr werdet begeistert sein!“ Um Himmelswillen, er ist tatsächlich verrückt geworden. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn wir in der Tat abstürzten. Wie sollte ich ihn nur die nächsten 11 Stunden auf engstem Raum ertragen? Ganz einfach! Ich pennte einfach weg. Sobald ich in meinem Stuhl saß und wir endlich abhoben, war ich auch schon sanft davon geratzt. Ich war einfach nur todmüde. In den letzten Tagen waren so viele Informationen auf mich eingeprescht worden. Die Priesterin kannte kein Erbarmen, nein, sie kannte nicht einmal schlaf. Ich glaube, wenn Japan noch immer so ist, dann will ich da nicht lange bleiben. Vier Stunden später wachte ich wie gerädert auf. Ich versuchte mich genüsslich zu strecken, doch der Platz reichte dafür einfach nicht aus. „Na, du Schlafmütze?“ Lillis sanfte Stimme war wie Balsam. „Dreh dich mal herum. Du hast wirklich merkwürdig in deinem Sitz geschlafen.“ Ihre Worte lockten die Anderen an. Evelyn und Corinne drehten sich auf ihren Sitzen herum und sahen über die Kopfstützen zu uns zurück. Lilli massierte mir den Nacken, so gut es hier eben ging. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Drei Stunden mindestens“, gab Corinne mit Schalk in den Augen zurück. „Aber du musst auch schlafen, Yara. Ich glaube kaum, dass Tian lange warten wird.“ Evelyn setzte sich mal wieder für mich ein und kämpfte für mich gegen Corinne an. Warum war ich denn nur so müde? „Wir sollten wirklich versuchen, irgendwie aus der Gruppe auszubrechen“, sprach meine Freundin leise weiter. „Das wird nicht klappen. Ihr habt ihn vorhin doch gehört.“ „Was gehört?“ Na toll, während ich fröhlich entschlummert war, ging hier wohl voll die Sause. „Er hat ein straffes Programm, dein Geschichtsdozent. Wenn wir selbst versuchen nach Hokkaido zu gelangen, sind wir vielleicht mit etwas Glück schneller. Aber mit ihm könnten wir uns den Stress ersparen. Außerdem haben wir bereits für alles bezahlt.“ Evelyn verzog das Gesicht. „Corinne hat für alles bezahlt“, schob sie noch schnell nach, ehe unsere Freundin gekränkt sein könnte. War das wirklich so in Ordnung? Ich hatte so meine Zweifel. Wir konnten die Anderen doch nicht da mit hineinziehen. Allerdings.... wenn wir versagten, waren sie wohl sowieso an keinem Ort der Welt sicher. Wenn Tian gewann, dann wäre dieser Planet bald menschenleer. Diese ganzen Entscheidungen, sie fingen an mich langsam aber sicher zu erdrücken. Lilli hatte aufgehört mich zu massieren und auch die Anderen waren wieder auf ihre Sitze gesunken. Ich sah zu meiner Sitznachbarin herüber, die gerade einen Reiseführer aufschlug. „Oh, denn kenne ich! Im Jahr 628, so will es die Legende, zogen zwei Fischer mit ihren Netzen eine kleine Statue der Barmherzigkeitsgöttin Kannon aus dem Miyato-Fluss. Als alle Versuche fehlschlugen, die Figur ins Wasser zurückzubefördern, lieferten die beiden den mysteriösen Fund bei ihrem Herrn ab. Dieser ließ alsbald eine Halle errichten - den Vorläufer des heutigen Tempels. Der spätere Bau von 1692 überstand zwar das große Kantō-Erdbeben von 1923, nicht aber die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs. Die Rekonstruktion aus Stahlbeton wurde 1958 eingeweiht. Die sagenumwobene Kannon-Statue ist freilich schon seit Jahrhunderten verschwunden. Der Sensōji bildet bis heute das geistige und bauliche Zentrum des Stadtteils Asakusa, der lange Zeit das größte Vergnügungsviertel der Stadt war. Wie eng hier geistige Funktion und weltlicher Handel und Wandel zusammenhängen, erfährt noch heute jeder Besucher, der an Wind- und Donnergott vorbei durch das mächtige Südtor Kaminarimon unter der gewaltigen roten Laterne hindurch die quirlige Ladenstraße Nakamise betritt, die auf den Sensōji zuführt. Mit dem Golddrachentanz wird zweimal im Jahr, Mitte März und Mitte Oktober, am Sensōji die Entdeckung der Kannon-Figur gefeiert. Täglich geöffnet von 6-17 Uhr. Erreichbar mit 2-3-1 Asakusa, Taitōku, U-Bahn.“ Evelyn und Corinne tauchten wieder über den Sitzen auf und starrten mich gemeinsam mit unserer Frau Hexe an. Vielleicht wollte ich diesen Druck ja auch....? Als wir in Japan gelandet waren ging der Streß erst richtig los. Unser Japener Won kam erst so richtig in Fahrt, hörte gar nicht mehr auf zu reden und scheuchte uns von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Wir hatten gar keine Zeit alles in gebührendem Maße auf uns wirken zu lassen, da gingen wir auch schon weiter. Das, was ich von Japan mitbekam, war wundervoll! Es war unbeschreiblich schön wie sich Technik mit der Moderne, über Natur bis hin zur Tradition miteinander verband und ineinander überging. Erst schienen uns die Hochhäuser erschlagen zu wollen, die im einmaligen Design um uns herum aus dem Boden gestampft worden waren. Nur um dann regelrecht zu verschwinden und den Ausblick auf eine wunderschöne Parkanlage freizugeben, die, sobald man sie durchschritten hatte, einen monumentalen Tempel zu erkennen gaben. Ein Mal hielten wir sogar eine Sekunde zulange an. Die Priesterin in mir lies mich auf die Knie fallen und meine Füße schmerzhaft verrenken, nur um sich dann nach vorne zu lehnen und tief ihre Ehrerbietung entgegen zu bringen. Während Herr Won wütend bellte, zogen meine Freundinnen eine völlig verdutzt drein blickende Yara hoch und zerrten mich fast fallend hinter ihnen her. Und das alles nur, um den Zug zu erwischen. In Deutschland war es nun 7 Uhr in der früh. Bei uns schon 14 Uhr nachmittags. Wir waren fix und fertig und ich war froh doch noch etwas Schlaf im Flugzeug bekommen zu haben. Zweimal sogar. Herr Won schien irgendwie unermüdlich. Er wirkte so jung wie wir. Obwohl, wenn ich mich so umsah, sahen wir aus wie Greise. Im Zug schliefen sie alle. „Jetzt geht es nach Hokkaido, Yara“ flüsterte mir Lilli halb im Schlaf zu. Immerhin, ich hatte schon längst den Überblick verloren, wohin wir gingen, wo wir uns befanden oder wo wir gewesen waren. Eine reife Leistung also von meiner schwarz haarigen Freundin. Aber genau wie sie, war ich schon im Halbschlaf und konnte es gar nicht mehr so recht würdigen. Leider währte die Zeit der Entspannung nur kurz. Man weckte mich energisch. Blinzelnd realisierte ich, dass in unserer Vierersitzgruppe das Essen auf dem Tisch stand. Wortlos und müde stillten wir unseren Hunger. Ich erbot mich danach das Geschirr wegzubringen, da ich sowieso auf die Toilette wollte. Als ich endlich an besagtem Ort ankam musste ich feststellen, dass mein Oberteil völlig zerknittert war. Ich hatte extra etwas weiteres ausgewählt, da man sehen konnte, dass ich einen Braten im Ofen hatte. Vorsichtig legte ich eine Hand auf meinen Bauch und hoffte inständig, dass es meinem Kind da drinnen, trotz Anstrengung und bevorstehendem Kampf, gut ging. Genau da hörte ich eine Stimme. Erschrocken drehte ich mich herum, doch da war nichts. „Ach, Yara, du wirst paranoid!“ Warum nur hatte ich mir eingebildet, dass das Quietschen der Wagons die Stimme eines Kindes gewesen sein könnte? Ich war wirklich übermüdet. „Yara?“ Das bildete ich mir jetzt aber nicht ein! Hastig wusch ich mir die Finger und trocknete sie ab. Dann ging ich hinaus. Ich war überrascht. Mir stand ein Student gegenüber, der in der Clique von Lillis Verehrer war. Ich hatte ein paar Mal mit ihm geredet, aber das war es auch schon gewesen. „Ähm, ja?“ Er wollte gerade ansetzen und öffnete bereits den Mund, doch eine jüngere Ausgabe von ihm, brüllte schon von Weitem seinen Namen. „Anour!“ Der Student vor mir seufzte. „Er versaut mir heute wirklich noch den Tag. Was ist?!“ Zuerst hatte er geflüstert und schließlich zurück gerufen. „Wolltest du nicht...“ Wenn ich es nicht besser wüsste, dann schlug seine Verwunderung mich zu sehen gerade in Hass um. „Was willst du mit der?!“ „Freut mich auch deine Bekanntschaft zu machen“, warf ich säuerlich zurück. Hoffentlich war das hier bald vorbei. Ich musste mich auf wichtigere Dinge vorbereiten. „Aaron...“, zischte er ihm leise zu, „Verzieh dich!“ „Warum? Nur wenn du mitkommst? Einer muss dich ja vor der retten.“ Mit diesen Worten musterte er mich abfälligen. Der Junge war wirklich reizend. Am liebsten hätte ich ihm Nüsse oder Feigen geben. Kopfnüsse oder Ohrfeigen versteht sich! „Aaron....! Verschwinde jetzt...!“ Sein Bruder trollte sich schließlich doch noch. „Bitte entschuldige. Er ist ein Miststück! Ähm... ich meine... er ist... ein Trottel. Volltrottel um genau zu sein!“ So haspelte sich Anour vorwärts. Er war ja irgendwie ganz süß, so, wie er da stand und völlig hilflos sich selbst zu retten versuchte. „Also... ich... ähm... ja...“ Ich erwischte mich dabei, wie ich ihn mit Tian verglich. Der starke, souveräne Tian gegen den stotternden Anour. Die Priesterin untersuchte den Mann vor mir genauer. Doch sie konnte nichts finden, was ihn als Feind entlarvt hätte. Vielleicht war mein Kommiliton wirklich nett und von Grund auf Gut. Aber was dachte ich da? Anour passte so gar nicht in die Reihe von Arschlöchern, mit denen ich bereits die Ehre hatte meine Zeit zu vergeuden. Der Letzte hat mich sogar geschwängert, dafür musste er in der Hölle schmoren. Und, ich bitte euch inständig, erzählt mir jetzt nicht, dass daran immer zwei beteiligt sind. Ich für meinen Teil habe ja verhütet, was kann ich dafür, wenn die Pille nicht wirkt? Völlig mit mir selbst beschäftigt, redete Anour sich um Kopf und Kragen. Er erklärte, dass er sich nicht getraut hatte mich anzusprechen, da die Mädels immer und überall um mich herum waren. Er sagte, dass ich seinen Bruder einfach vergessen soll, denn ich sei wirklich toll, oder hübsch, oder was auch immer. „Anour... sei mir nicht böse, aber ich bin schrecklich müde. Können wir diese Unterhaltung vielleicht fortführen wenn wir...“ Ja, wenn wir was? Wenn ich, was ich nicht hoffte, gestorben war? Haha, Yara, du bist ein Trampel! „.. wenn wir, endlich wieder zurück im Hotel sind, ok?“ Er nickte schnell, nachdem er darüber nachgedacht hatte. Immerhin war das keine völlige Absage, aber auch keine Zusage. Vielleicht dachte er ja, für ihn wäre noch alles offen. „Ok.... ich... ähm, geh dann mal, ja?“ Ich wies in die Richtung unseres Abteils und wollte schon losgehen, als er es auch tat. Wir hatten die selbe Richtung und ich war heute etwas trantütig. Ich will hier weg, jammerte ich im Stillen. Keine fünf Minuten später lies ich mich in den Sitz plumsen. „Wo warst du so lange?“ „Ich, also, naja... ich...“ Mit den Händen wies ich mal hierhin und kurz darauf dorthin. Nur um sie dann ineinander gelegt, einer Kapitlutation gleich, auf meinen Schoß sinken zu lassen. „Yara, du glühst ja regelrecht!“ Ich bekam nicht mehr als ein nervöses Lachen zustande, welches schließlich sogar mehr nach einem Gekrächzen klang. Nervös gelacht hatte ich vorhin auch. Da wir uns gegenseitig behinderten, lies mir Anour schließlich den Vortritt und wartete. Doch dann kam ich durch den wackelden Zug aus dem Gleichgewicht, prallte gegen ihn und landete gemütlich in seinen Armen. Mir verschlug es schlichtweg alles. Die Worte, die Luft, nicht einmal aufhören zu glotzen konnte ich. Hastig machte ich mich von ihm los und brachte mich im Eilschritt zurück ins Abteil. Genau das erzählte ich meinen Freundinnen und ihre Münder standen offen vor Freude. Ich war auch irgendwie glücklich. Doch dann sah ich aus dem Fenster das Meer und eine schöne Insel am Horizont. Hokkaido. Meine Freundinnen, die 3 verbliebenen Teile des Sternes sahen mit mir aus dem Fenster. Gemeinsam wurden unsere ernsten Blicke zu Einem, während wir dem Kampf, der nun ganz nah war, in Form dieser Insel sahen. Irgendwo dort, war sicherlich Tian und auch ein Tempel, der vielleicht bald nicht mehr existierte, wenn wir uns nun nicht völlig konzentrierten. „Hokkaido...“ flüsterte Corinne und gemeinsam führten wir den Satz zu Ende. „... wir kommen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)