Zum Inhalt der Seite

Peace of mind.

Seelenfrieden.
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

To end and to begin.

Du sollst doch allmächtig und gutherzig sein. Bitte lass diese Qualen enden ...

Die Blondhaarige hob ihren Kugelschreiber und legte ihn nachdenklich an die Lippen, wobei sie verträumt in Richtung Tafel sah. Diese nahm sie ebenso wenig wahr, wie die Lehrerin vorne am Pult oder ihre Mitschüler. Diese rechneten noch immer an der Matheaufgabe, die ihnen die Lehrerin aufgegeben hatte, während die Lehrerin am Pult lehnte und die Schüler im Auge behielt.

Wer hat eigentlich so etwas Grausames wie Mathematik erfunden? Lass es vorüber gehen …

Das Mädchen seufzte und zog langsam ihren Taschenrechner über den Tisch zu sich, um endlich mit der Aufgabe zu beginnen. Ihr Flehen und Betteln, auch wenn es in schriftlicher Art und Weise war, wurde ohnehin nie erhört, also wollte sie etwas Sinnvolles, wie es ihr Vater immer nannte, tun, damit sie in der nächsten Klausur nicht dasaß und keine Ahnung hatte, was sie machen sollte.

„Miss Cone!“

Kensi Cone hob den Blick und sah, dass die Lehrerin genau vor ihrem Tisch stand, die Arme vor dem Körper verschränkt und nicht aussehend, als habe sie schlechte Laune.

„Miss Levin?“ „Wie wäre es, wenn Sie die Aufgabe an der Tafel vorrechnen? Anscheinend waren Sie bisher besonders fleißig.“

Miss Levins Blick ruhte auf den Blatt des Mädchens, auf dem bislang nur die Aufgabe stand, sowie die Bitten und ein paar Zeichnungen. Sie ihre Schülerin vor dem gesamten Kurs blamieren zu wollen und Kensi verwünschte sich schon jetzt dafür, dass sie nicht sofort mit der Rechnung begonnen hatte.

„I-Ich bin aber noch nicht … “, warf das Mädchen ein, „ … fertig.“ „Dann beenden Sie ihre Rechnungen an der Tafel.“, antwortete Miss Levin, „Daraus sollten Sie eigentlich lernen, dass Sie nicht träumen sollen, sondern sich ihren Aufgaben zuzuwenden haben.“ „Ja, Miss Levin.“
 

Als es zum Ende der Doppelstunde schellte, packten die Schüler ihre Sachen zusammen und verließen den Raum. Kensi wollte dem ebenso Folge leisten, doch Miss Levin hielt sie auf: „Miss Cone, würden Sie noch einen Moment hier bleiben? Ich würde gerne mit Ihnen unter vier Augen sprechen.“ Also blieb sie und setzte sich auf die Kante eines der Tische, während die Lehrerin an ihrem Pult lehnte.

„Kensi … “, begann die Lehrerin mit einem weitaus sanfteren Ton, als sie zuvor genutzt hatte, „Sie sind eine ausgezeichnete Schülerin; gute Noten in fast all ihren Fächern. Auch sonst waren Sie in Mathe nicht so schlecht wie in den letzten Klausuren. Was bedrückt Sie?“ „Nichts, Miss Levin.“ „Ich merke doch, wenn einem meiner Schützlinge etwas fehlt.“ „Wirklich nichts.“, wiederholte Kensi und blickte die Lehrerin an, „Alles in Ordnung.“ „Auch familiär?“ „Dad und den Zwillingen geht es gut, falls Sie das meinen.“, antwortete Kensi, „Mir liegt der Stoff einfach nicht.“

Miss Levin musterte die Blondhaarige und fuhr sich selbst mit der Hand durch das braune Haar, um eine lästige Strähne hinter ihr linkes Ohr zu verbannen. Mit der anderen Hand stützte sie sich am Pult ab, während Kensi vom Tisch sprang und die Lehrerin abwartend ansah. Für sie war dieses Gespräch überflüssig und sie wusste, dass ihre Schwäche in der Mathematik lag.

„Kensi.“ Es klang besorgt. „Ich mache mir Sorgen um Sie. Sie waren eine der besten Schülerinnen, und mit einem Mal sind Sie so abgesackt.“ „Miss Levin, mir liegt das einfach nicht. Ich kriege das schon in den Griff.“, wiederholte Kensi ernst, „Lassen Sie mich meine Sachen selbst regeln.“ Und damit verließ Kensi den Kursraum.
 

Kensi ging durch den überdachten Außenflur der High School und beachtete dabei nicht ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die auf dem Schulhof und den Grünflächen saßen, standen, sich unterhielten oder Fußball spielten, ebenso beachtete sie nicht all die Liebespaare, die hier und dort beisammen standen. Sie war in Gedanken bei dem Gespräch mit Miss Levin; die Lehrerin war die jüngste im Lehrpersonal und unterrichtete Mathematik, Biologie und Englisch, wobei ihr Unterricht im Normalfall locker und lustig war. In letzter Zeit allerdings schien sie sehr angespannt zu sein und seit eben dieser Zeit war Kensi in Mathe schlechter geworden und verstand mitunter kein einziges Wort mehr. Es wunderte sie, dass Miss Levin sich um sie sorgte und ihr helfen wollte, war sie doch sonst in solchen Dingen eher distanziert.

„Kensi, Kensi, Kensi. Da wollte die Levin dich wohl zusammenstauchen.“

Kensi wurde dadurch jäh aus ihren Gedanken gerissen und blickte einem Jungen mit braunen Haaren und braunen Augen ins Gesicht. Er grinste sie breit an, schüttelte den Kopf und versperrte ihr den Weg, so dass sie unweigerlich mit ihm reden musste.

„Jason, sie wollte nur wissen, weshalb ich in letzter Zeit in Mathe so schlecht bin.“ „Die Musterschülerin wird eine von uns normalen Schülern.“ „Du bist normal?“ Jason setzte einen betroffenen Gesichtsausdruck auf und meinte gequält: „Das war tief unter die Gürtellinie, meine Liebe.“

„Hat sich das denn so herumgesprochen, dass ich gerade ein Gespräch mit Levin hatte?“, erkundigte Kensi sich, während Jason sich umdrehte und neben ihr herging, da sie sich wieder in Bewegung setzte. „Brandheiße News.“, antwortete er gespielt ernst, „Die Musterschülerin legt sich mit einer Lehrerin an und muss zu einem Gespräch mit ih-“

„Pass doch auf, wohin du gehst! Trottel!“

Jason hatte ein blondes Mädchen angerempelt, dass ihnen entgegen gekommen war. Sie schien gereizt zu sein und ihre dunkel grau-blauen Augen blickten Jason abwertend und eisig an. Kensi gestand sich ein, dass ihr dieses Mädchen zuvor noch nie aufgefallen war – wahrscheinlich ging sie nicht in den selben Jahrgang wie Jason und sie selbst.

„Tut mir Leid.“, entschuldigte Jason sich und hob entschuldigend die Hände, „Aber du musst einen ja nicht gleich so zusammenstauchen.“ „Jason!“, raunte Kensi ihm zu und packte ihn am Oberarm, „Lass es gut sein. Das reicht jetzt!“ „Ist doch wahr.“, verteidigte Jason sich. „Kann sein, aber lass es sein.“, sagte Kensi bestimmend, „Komm jetzt.“

Und damit zog sie Jason einfach mit sich, während das Mädchen ihnen nachblickte. Kensi war sich sicher, etwas von ihr zu hören, was wie typisch Menschen klang, konnte aber nicht verstehen, was das damit zu tun hatte. Sie selbst war doch auch einer.

„Ehm … Kensi?“

Kensi drehte den Kopf zu Jason, sah ihn fragend an. Dieser deutete nur mit der einen Hand auf seinen Oberarm, den Kensi noch immer – und zwar ziemlich stark – festhielt. Abrupt ließ Kensi diesen los, setzte einen entschuldigenden Gesichtsausdruck auf, doch Jason schüttelte lächelnd den Kopf.

„Also … wo waren wir?“, fragte er stattdessen. „Dass ich zu einem Gespräch mit Levin musste und sich das sofort über die Schule verbreitet hat.“, erinnerte Kensi ihn und blieb vor einem Snack-Automaten stehen, „Kannst du wechseln?“ Während Jason in seiner Schultasche nach seinem Portemonnaie suchte, meinte er: „Stimmt, ja. Also … Die Levin interessiert sich doch sonst nicht dafür, was ihre Schüler zu schlechteren Noten treibt. Warum also plötzlich bei dir?“ Er reichte Kensi das Wechselgeld und nahm das ihrige entgegen, während sie die Münzen in den Automaten warf. „Woher soll ich das wissen? Ich bin nicht allwissend.“, antwortete Kensi und nahm den Müsliriegel aus dem Auswurf, „Aber wir sollten uns jetzt beeilen.“ „Wieso?“ „Du stehst doch auf den Sportunterricht und wenn wir uns nicht beeilen, sind wir zu spät.“, entgegnete Kensi, „Es klingelt in wenigen Minuten und wir müssen noch quer über das halbe Schulgelände … “
 

Der Sportunterricht war im vollen Gange, als Mr. Taylor, Kensis und Jasons Sportlehrer, von einem Schüler aus einem anderen Kurs angesprochen wurde. Mr. Taylor hörte ihm zu, dann nickte er und rief seinen Kurs zu sich, um ihnen mitzuteilen, dass sie an einem kleinen Fußballspiel gegen den Parallelkurs teilnehmen würden. Aus diesem Grund verließ der Kurs die Sporthalle und marschierte zum angrenzenden Sportplatz, auf dem schon der andere Sportkurs wartete.

„Hey … Ist das nicht das Mädchen von der Pause?“, fragte Jason leise, als er sich zu Kensi beugte, die ihre Beinmuskulatur dehnte, „Die Blonde, die so angenervt war.“ Kensi blickte in die Richtung, die Jason ihr mit einem kurzen Fingerdeut zeigte, und meinte bestätigend: „Sieht so aus. Also ist sie doch in unserem Jahrgang.“ Jason nickte.

„Kurs Taylor spielt auf das Tor mit orangen Leibchen, Kurs Crews spielt auf das Tor mit gelben Leibchen!“, rief Mr. Taylor laut zu den Schülern auf dem Fußballfeld, „Auf mein Zeichen … “ Er stieß einen lauten Pfiff aus und das Spiel begann, während sein Kollege Mr. Crews gemeinsam mit ihm als Schiedsrichter fungierte.

„Verdammt, die ist schnell!“, rief Jason aus, als er mit dem Ball nach vorne gelaufen war und ihm das blonde Mädchen den Ball abgeluchst hatte und davon lief. Sie umspielte gekonnt die anderen Gegenspieler und spielte zielgenau einen Pass auf einen ihrer Mitspieler, der wieder zurück zu ihr spielte. Sie spielte einen Gegenspieler aus, lief mit dem Ball im Zick-Zack und spielte sich den Ball hoch vor, um dann über die Grätsche eines Gegenspielers zu springen, den Ball wieder zu erhalten und gekonnt zu einem ihrer Mitspieler zu passen.

„Vielleicht ist sie in einem Verein … ?“, vermutete Kensi, die an Jason vorbei lief und dem Mädchen folgte, „Aber kümmere dich lieber darum, den Ball wieder für uns zu gewinnen!“ Und damit beschleunigte sie ihre Schritte – was Jason ihr fast augenblicklich nachmachte. Gemeinsam, mit ein paar anderen Mitspielern, gelang es ihnen, ihren Gegenspielern den Ball abzunehmen und wieder in Richtung Tor zu bringen. Allerdings tauchte das blonde Mädchen wie aus dem Nichts vor ihnen auf und stoppte sie.

„So sieht man sich wieder.“, meinte sie und setzte ein Grinsen auf, stellte sich Kensi in den Weg, die den Ball zu diesem Zeitpunkt führte, „Aber an mir kommst du nicht vorbei.“ „So?“, fragte Kensi herausfordernd, „Meinst du … !“ Und damit spielte sie einen Pass zu Jason, der wiederum den Doppelpass zu ihr, als sie an dem Mädchen vorbei war, spielte. Kensi wollte auf das Tor schießen, doch in dem Moment trat ihr jemand von hinten in die Beine, sie ging zu Boden und verlor den Ball.

„Meine ich.“, hörte sie die kühle Stimme des Mädchens, „Ihr seid eben alles Schwächlinge.“ „Wer bist du, dir einbilden zu können, dass du besser als jeder andere bist?!“, fauchte Kensi und erhob sich langsam, wobei sie einen stechenden Schmerz in ihrem linken Knie spürte, „Von solchen Angebern wie dir lasse ich mich nicht niedermachen. Und Jason auch nicht.“ Letzteres fügte sie hinzu, als sie Jason aus den Augenwinkeln an sich vorbei laufen sah.

Das Mädchen setzte ihren Mitspielerin, die bereits wieder den Ball erobert hatten, nach und formte mit ihnen wieder den Sturm. Kensi wollte ihr und den anderen nach, doch ihr schmerzendes Knie hinderte sie daran; ihr Knie gab nach und sie ging wieder ein wenig zu Boden. Keiner schien es zu bemerken; das Spiel wurde nicht angehalten …

„Kensi!“

Ein Ruf hallte vom Rand des Spielfeldes hinüber zu Kensi. Sie drehte den Kopf, als sie sich wieder aufzurichten versuchte, und erblickte dort Miss Levin, die zu ihr sah. Ihr Blick war ernst und dennoch lag etwas Besorgtes daran, was Kensi tief Luft holen ließ. Sie richtete sich vollständig auf, machte Probeweise ein paar Schritte und schaffte es sogar, wieder zu rennen – auch wenn die Schmerzen dabei unerträglich waren. Irgendetwas an dem Blick der Lehrerin hatte sie dazu bewegt, trotz allem einfach weiter zu machen und dem Mädchen zu zeigen, wer die bessere auf dem Spielfeld war.
 

Das Spiel ging unentschieden, zwei zu zwei, aus. Kensi und Jason hatten je ein Tor geschossen, bei dem anderen Kurs war es das blonde Mädchen gewesen. Diese hatte, kaum war abgepfiffen worden, den Sportplatz verlassen und war gegangen, während die anderen aus ihrem Kurs noch blieben und sich mit denen aus dem Kurs von Kensi und Jason unterhielten.

Miss Levin kam zu Kensi herüber. Diese stand bei Jason und unterhielt sich über das Spiel – und das Mädchen -, wobei sie sein Tor lobte. Er hatte es durch einen Fallrückzieher gemacht und sich ein paar blaue Flecke zugezogen, schien aber ansonsten keine weiteren Blessuren zu haben und trank seine Flasche Wasser schneller leer, als Kensi überhaupt hinsehen konnte.

„Schönes Spiel.“, lobte Miss Levin die beiden, als sie bei ihnen angelangt war, „Tolle Aktion, Jason.“ Jason blickte die Lehrerin erstaunt an. „D-Danke.“, murmelte er und senkte den Blick, „Aber was machen Sie hier?“ „Ich hatte zwei Freistunden und hörte von dem Spiel eures Kurses gegen den anderen.“, antwortete Miss Levin, „Und das wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Sie lächelte.

„Aber zu etwas anderem … “, wechselte sie das Thema, „Ist alles in Ordnung mit deinem Knie, Kensi?“ Kensi stutzte einen Moment lang, dann spürte sie den Schmerz in ihrem Knie wieder, den sie nach Miss Levins Ruf völlig ignoriert hatte, und zuckte schmerzerfüllt zusammen. „Also nicht … “, schlussfolgerte die junge Lehrerin, „Vielleicht solltest du dringend zum Schularzt?“ „N-Nein, das geht schon so, Miss Levin.“, wehrte Kensi ab, „Ehrlich.“ „Es ist ganz blau und geschwollen, Kensi.“, widersprach Miss Levin, „Du solltest es dringend untersuchen lassen.“ „Es ist schon in Ord-“

Kensi ging zu Boden, schaffte es aber, sich vorher noch an Jasons Arm zu klammern, bevor sie ganz zu Boden ging. Ihr Knie versagte ihr mit einem Mal den Dienst und Miss Levin, Kensi wusste nicht, wie sie so schnell hatte reagieren können, fing sie ebenfalls vor dem Aufprall ab. Die Augen der jungen Lehrerin ruhten einen Augenblick lang auf Kensis Gesicht und Kensi hatte das Gefühl, dass diese in ihren Augen zu lesen schienen, doch kaum war Kensi das Gefühl überkommen, verschwand es auch schon wieder.

„Dein Knie ist anderer Meinung.“, sagte Miss Levin, „Ich bringe dich zu Doktor Arthur.“ „Es geht gleich wieder.“, behauptete Kensi, „Ich bin nur ziemlich erledigt vom vielen Rennen.“ „Kensi, dein Knie ist definitiv verletzt.“, wiederholte Miss Levin sich, „Du solltest zu Doktor Arthur. Ich bin zwar selbst keine Ärztin, aber dein Knie sollte so nicht aussehen.“ Dabei deutete sie auf Kensis Knie.

„Soll ich dich begleiten?“, erkundigte Jason sich, „Ich finde, dass sie Recht hat. Du solltest zum Schularzt.“ „Aber Jason … “, protestierte Kensi, doch Jason erlaubte ihr keine Widerrede und nahm sie, mit Hilfe von Miss Levin, Huckepack. Einmal dort auf seinem Rücken, schlang Kensi ihre Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn fest, wobei sie ihren Kopf auf seine Schulter legte und die Augen schloss. Widerstand war in dieser Lage zwecklos …
 

Am Abend des selben Tages lag Kensi auf ihrem Bett und starrte zu der Decke ihres Zimmers. Sie war vom Schularzt direkt nach hause geschickt worden und hatte eine Menge Tape, Verband und Salbe für ihr Knie bekommen. Es war verbunden, getapt und eingeschmiert, doch noch immer spürte Kensi die Schmerzen, die sie zunächst ausgeblendet hatte. Darüber hinaus hatte Doktor Arthur, wider seines normalen Verhaltens, aber auf die Bitte von Miss Levin hin, Kensi eine Packung Schmerzmittel gegeben, die sie nun einnahm. Die Packung lag neben dem Glas Wasser auf ihrem Nachttisch, beides nicht angerührt. Die Krücken, die ihr der Schularzt gab, lehnten neben dem Nachttisch an der Wand und Kensi war froh, sie im Bett nicht nutzen zu müssen.

Noch einmal ließ Kensi sich durch den Kopf gehen, was geschehen war. Sie hatte sich mit dem blonden Mädchen angelegt und diese hatte ihr von hinten, als sie den Ball hatte, in die Beine getreten. Sie hatte einen großen blauen Fleck, der sich auf der einen Kniekehle deutlich von ihrer Haut abhob, und der Schularzt nahm an, dass einige Bänder in ihrem Knie überdehnt waren. Für ein vorläufiges Ergebnis hatte es gereicht, doch Kensi sollte am nächsten Tag – einem Samstag – zum Hausarzt oder ins Krankenhaus, damit diese Verletzung genauer untersucht wurde.

Dieses Mädchen … Ihr ging die Blonde nicht aus dem Kopf. Jason hatte sich bei Kensi gemeldet und ihr über SMS mitgeteilt, dass er Nachforschungen über sie angestellt hatte. Angeblich hieß sie A. Kathleen Reese und war achtzehn Jahre alt und lebte in einer Pflegefamilie, da ihre Eltern tot waren. Es gab einige Einträge in die Schulakte, ebenso waren einige Stellen geschwärzt worden. Laut Jason und der Schulakte, die er sich heimlich geliehen hatte, war sie vor kaum mehr als drei Wochen nach Los Angeles gekommen und lebte bei einem Ehepaar mit dem Namen Summers. Davor, wie Jason aus den vorherigen Schuleinträgen vermutete, hatte sie mindestens sieben andere Schulen in sieben verschiedenen Städten besucht und war von Ost- zur Westküste und zurück gezogen. Sie schien mehrere Pflegefamilien besucht zu haben, denn Jason hatte Nachforschungen über die Summers angestellt und herausgefunden, dass sie seit etlichen Jahren am selben Ort wohnten.

Wie auf ein Stichwort hin schlug etwas gegen Kensis Fensterscheibe. Kensi setzte sich auf, blickte verwundert zum Fenster. Ihr Zimmer lag im ersten Stock und die Äste des Baumes vor ihrem Zimmer schlugen nur bei heftigem Wind gegen das Fenster, weshalb irgendjemand irgendetwas dagegen geworfen haben musste. Also erhob Kensi sich mühsam und humpelte zum Fenster, um es zu öffnen.

„Du solltest dich nicht mit ihnen abgeben.“

Kensis Mine wechselte von verwundert zu eisig. Auf einem der dickeren Äste vor ihrem Fenster saß das Mädchen, dass Kensi am wenigsten sehen wollte: A. Kathleen Reese. Sie trug eine schwarze Lederjacke über einem weißen Top und enge graue Jeans zu schwarz-weißen Chucks und sah Kensi abweisend und kühl wie eh und je an.

„Woher weißt du, wo ich wohne?“ „Leichtes Spiel.“, antwortete Kathleen, „Hast du mich verstanden? Gib dich nicht mit ihnen ab.“ „Mit wem?“, fragte Kensi verwundert und konnte nicht umhin, noch immer einen eisigen Unterton in der Stimme zu haben. „Leuten, wie … sie.“ „Wie … wer?“ „Levin.“ „Miss Levin?“ Kensi lachte auf. „Du bist doch total verrückt. Levin ist meine Lehrerin!“

Kathleen sah Kensi lange Zeit schweigend an, dann wich sie schnell zurück bis zum Baumstamm und tiefer in die Schatten herein. Kensi, überrascht von dieser Reaktion, hörte, wie jemand den Flur zu ihrem Zimmer entlangging und schließlich an ihrer Tür klopfte und dann das Zimmer betrat.

„Sam!“, rief Kensi aus und drehte sich schnell vom offenen Fenster weg, wobei sie die Zähne fest aufeinander biss, da die Drehung deutlich in ihrem Knie zu spüren war, „Was willst du hier?!“ „Noah ist zu einer Party seiner Freunde gegangen und ich wollte mitteilen, dass ich mit meinen Mädels ins Kino gehe.“, entgegnete Sam, „Du … also … Dad ist mit dem Vater eines Freundes von Noah unterwegs. Du bist also alleine. Geht das in Ordnung?“ Kensi nickte. „Dann sehen wir uns später.“, meinte Sam, grinste und verschwand dann.

Kensi drehte sich wieder zum Fenster und spähte hinaus, aber Kathleen schien verschwunden zu sein, denn sie konnte sie nirgends entdecken. Also schloss Kensi ihr Fenster wieder, begab sich zu ihrem Bett, legte sich dort hinauf und schloss erschöpft und mehr als verwirrt die Augen.

Was wollte Kathleen um diese Uhrzeit bei ihr? Und wer waren „sie“? Und weshalb sollte sich Kensi von Miss Levin fernhalten?

Hot blooded.

Es stellte sich heraus, dass der Schularzt mit seiner Vermutung hinsichtlich überdehnter Bänder Recht gehabt hatte. Kensi wurde Ruhe für ihr Knie verschrieben und darauf verwiesen einzuhalten, was der Schularzt ihr bereits mitgeteilt hatte. Das alles hielt sie am Samstag allerdings nicht davon ab, sich mit Jason am Strand zu treffen, um dort über Kathleen zu reden.

„Wie zur Hölle ist sie auf den Baum gekommen?“, fragte Jason ernst, „Die Äste, die sich zum Klettern eignen, sind allesamt so weit oben, dass nicht einmal ich sie zu fassen bekomme – und ich bin definitiv größer!“ Kensi zuckte mit der Schulter, schob weiter in Gedanken versunken ein wenig Sand mit der Hand zur Seite. „Aber was viel interessanter ist: Weshalb sollst du dich von Levin fernhalten? Die wollte doch was von dir … ?“ Wieder zuckte Kensi mit der Schulter.

Jason seufzte, da von Kensi keine weitere Reaktion kam, schob sich die Sonnenbrille die Nase wieder hoch und blätterte weiter in den Kopien der Schulakte von Kathleen herum, allerdings enthielt sie für ihn nichts Neues … und auch Kensi hatte er bereits jedes kleine Detail genannt, weshalb die Kopien eigentlich nutzlos waren bei dem derzeitigen Stand der Dinge.

„Weißt du was?“, brach Jason schließlich das Schweigen und schlug die Akte zu, „Sie ist merkwürdig und interessant zugleich, das gebe ich zu, aber vergessen wir sie einfach. Viel wichtiger ist, dass dein Knie wieder gesund wird und wir uns auf die Klausur in Englisch bei Levin vorbereiten. Ich kann weder Shakespeare, noch seine Sonette wirklich leiden und du bist doch ein Genie … Also, hilfst du mir beim Lernen?“ Er blickte Kensi flehend an; diese hob zwar den Blick, sagte aber nichts. „William Shakespeare, der Typ, der nicht einmal richtig Englisch geschrieben hat.“ „Das ist ja auch Altenglisch.“, meinte Kensi, „Na gut.“ Sie setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Aber dafür will ich einen Bananen-Milkshake ausgegeben bekommen.“ Jason reckte den Daumen als Zeichen der Bestätigung.
 

Kensi saß auf der Mauer, die den Strand von der Promenade abtrennte, während Jason an dieser lehnte. Kensi hatte ihren Milkshake in der Hand und trank ab und an daraus, während Jason seinen neben sich auf die Mauer gestellt hatte. Er blickte gen Himmel, die Augen geschlossen, obwohl man das aufgrund der Sonnenbrille nicht erkennen konnte, und schwieg. Kensi hingegen beobachtete die vorbeigehenden Personen und lauschte deren Gesprächsfetzen.

„Gut … “, meinte Kensi schließlich und brach damit das Schweigen, „Wie viele Sonette schrieb Shakespeare?“ „Viele?“, riet Jason. „Hast du im Unterricht aufgepasst?“ „Schon … “, gab Jason zu, „ … aber mich interessiert das nicht sonderlich.“ „Dann rate.“ „Über hundert.“ „Nah dran. Und wie viele genau?“ Jason drehte den Kopf zu ihr, blickte sie nachdenklich an, dann zuckte er mit der Schulter und meinte: „Keine Ahnung.“ „154.“, beantwortete Kensi ihre eigene Frage für ihn. „Schrieb er die alle selbst?“ „Es heißt, er konnte gar nicht schreiben.“, erklärte Kensi, „Von wegen … dass seine Eltern Analphabeten waren und er es nie gelernt hat. Aber selbst wenn … nachgewiesen wurde es noch nicht. Angeblich ist der Beweis dafür eine verschlechterte Unterschrift, aber wahrscheinlich hat er nur einen schlechten Tag gehabt. Und hey! Der Kerl wurde auch nicht von Tag zu Tag jünger.“

„Also … 154 Sonette und es heißt, er habe sie nicht selbst niedergeschrieben, wurde aber nicht zu hundert Prozent nachgewiesen.“, wiederholte Jason. Kensi nickte. „Noch etwas?“ „Die Sonette können in zwei Gruppen eingeteilt werden.“, erzählte Kensi, „Die Gruppe The Fair Youth und die Gruppe The Dark Lady.“ „Und … wie bekomme ich heraus, zu welcher Gruppe was gehört?“ „Nummer eins bis 126 sind ersteres, 127 bis 154 sind letzteres.“, erklärte Kensi geduldig, „Wichtige Themen sind die Natur der Liebe und Romantik, sexuelle Leidenschaft, Tod und Zeit. Was man wissen sollte ist, dass die ersten Sonette die Schönheit anpreisen und sie unsterblich machen, die letzten diese allerdings zerstören, widerrufen und sterblich machen.“ Jason verzog das Gesicht.

„Soll ich mir das alles merken?!“ „Natürlich.“ „Ich hasse Shakespeare.“ „Sei froh, dass es einfache Merksätze und Merkblätter für das gibt.“, meinte Kensi, „Levin hat sie uns alle genannt und gegeben.“ „Echt?“ „Du warst wirklich anwesend, oder?“ Jason drehte den Kopf weg, griff nach seinem Milkshake und trank einen Schluck um nicht antworten zu müssen. „Und auch seine altertümliche Sprache ist durch leichte Merksätze zu durchschauen und im schlimmsten Fall findest du die Wörter im Wörterbuch. Den Rest verstehst du … immerhin solltest du Englisch sprechen, sofern wir nicht doch alle was ganz anderes sprechen.“, meinte Kensi.

„Weißt du was … ?“, fragte Jason, „Ich komme heute Abend einfach vorbei.“ „Klar.“, stimmte Kensi zu, „Musst du etwa schon weg?“ Jason nickte, holte sein Handy aus der Hosentasche und deutete auf die Uhrzeit. „Mum ist bei einer Fortbildung in San Bernadino und kommt erst morgen am Abend wieder und Lindsay ist heute Morgen mit ihrer Clique zum Campen aufgebrochen.“, berichtete er. „Ich erinnere mich.“, meinte Kensi, „Noah und Sam sind beide mit denen ebenfalls dahin.“ „Ja, genau.“ „Und dein Vater ist noch immer unterwegs … ?“ „Nein, Dad kommt gegen fünf nach hause.“, meinte Jason, „Deshalb muss ich ja wieder weg.“

Andrew Anderson, der Vater von Jason, war ein Special Agent beim FBI und deshalb meist außer Haus. Seine Kinder, Jason und Lindsay, bekamen ihn selten zu Gesicht und wenn er mal im Haus war, hatten die beiden Kinder mehr Regeln als sonst einzuhalten. Seine Frau Deborah Anderson, Mutter von Jason und Lindsay, war Polizistin beim LAPD und aus diesem Grund auch häufiger lange außer Haus. Sie ging des öfteren zu Fortbildungen und strebte höhere Positionen an – inoffiziell hieß es sogar, dass sie darauf sehr gute Chancen hatte.

„Na dann geh lieber.“, forderte Kensi ihn auf, „Und wegen heute Abend denk lieber darüber nochmal nach. Ich meine, wann kommt dein Vater denn schon mal zu euch?“ „Dad ist froh, wenn er mich los ist.“, meinte Jason, hob aber die Hand zum Abschied und ging dann.
 

„Du musst das mit Charlie absprechen.“ „Und der lässt zu, dass ich mich an ihre Fersen hefte? Für ihn bin ich doch ein Neuling!“ „Ich denke, dass er die Vor- und Nachteile abwiegen wird und dann entscheidet.“

Kensi war durch eine Mall in der Stadt gegangen und vor einem Geschäft mit Kleidung stehen geblieben, um sich ein Top genauer anzusehen. Sie vernahm das Gespräch und erkannte eine der Stimmen als die von Miss Levin, ihrer Lehrerin. Neugierig drehte Kensi leicht den Kopf und bemerkte, dass die beiden gegenüber von dem Geschäft standen, vor dem Kensi stand. Sie beobachtete die beiden unauffällig über ihre Spiegelbilder in dem Schaufenster und stellte fest, dass Miss Levin sich mit einem Mädchen, ungefähr so alt wie Kensi selbst, unterhielt. Diese hatte ebenso braune Haaren wie Miss Levin und ebenso helle Augen, bei denen schwer zu sagen war, ob sie hellblau, hellgrau oder hellgrün waren. Zumindest hatten beide einen schwarzen Ring um ihre Pupillen.

„Ich kann Charlie nicht vorgreifen, Danielle. Er ist der Boss, nicht ich.“ „Aber er ist dein Freund.“ „Danielle, ich kann Charlie nicht die Entscheidung nehmen. Du bist lange genug das, was du bist, und auch wenn du neu bei uns bist, dürftest du mich verstehen.“ „Ich bin ihr schon seit so langer Zeit auf der Spu-“

„Belauscht du etwa anderer Leute Gespräche?“

Kensi zuckte zusammen und drehte sich fast wie in Zeitlupe um, nur um dann Kathleen gegenüber zu stehen. Diese grinste sie an, ihr Blick war dabei eisig und abweisend wie eh und je und hatte dennoch etwas Spöttisches in sich.

„Sollte ich?“, fragte Kensi herausfordernd, „Ich mag das Top und habe überlegt, ob ich es mir kaufen soll.“ „Gelb passt nicht zu dir. Viel zu grell.“, meinte Kathleen abschätzend, „Mit deiner Antwort hast du das genaue Gegenteil bewiesen: Du hättest dich nicht zu rechtfertigen brauchen.“ „Also was?“ „Du hast Levin und das Mädchen belauscht.“ Kensi sagte nichts.

„Du sollst dich von ihr fernhalten.“, wiederholte Kathleen ernst, „Das sagte ich doch schon einmal.“ „Und warum?“ „Weil es schlecht enden könnte.“ „Verdammt nochmal!“, fauchte Kensi, „Erstens entscheide ich selbst, mit wem ich mich treffe und abgebe, und zweitens höre ich nicht auf irgendwelche Mädchen, die sich ohnehin besser als jeder andere fühlen und die ich kaum kenne!“ Kathleen grinste und in ihren Augen schien etwas aufzublitzen. „Und hör gefälligst auf, so zu grinsen.“

„Kensi. Kathleen.“

Miss Levin war zu den beiden gekommen, Danielle, so wie sie das Mädchen genannt hatte, in ihrer Begleitung. Sie lächelte die Mädchen an, von denen nur Kensi erschrocken zusammenzuckte, als sie die Stimme der Lehrerin neben sich hörte. Kathleen hingegen nickte nur und blickte die Lehrerin ruhig und abweisend zugleich an.

„Geht die Diskussion über das Geschehen auf dem Sportplatz?“, erkundigte Miss Levin sich und sah zwischen ihren beiden Schülerinnen hin und her. „Nein, Miss Levin.“, antwortete Kensi. „Was macht das Knie?“ „Die Bänder sind überdehnt.“ „Haben Sie sich entschuldigt?“, wendete sich Miss Levin an Kathleen. Diese warf Kensi einen kurzen Blick zu, dann nickte sie. „Sehr schön.“

„Wer ist Ihre Begleitung, Miss Levin?“, fragte Kathleen und ihr gespieltes Interesse konnte kaum überzeugender sein. „Danielle Brennan.“, antwortete Miss Levin, „Sie ist neu in Los Angeles und wird in euren Jahrgang kommen.“ „Woher kennen Sie sie, Miss Levin?“, erkundigte Kathleen sich. In ihren Augen funkelte etwas hinterlistig, aber Kensi konnte es nicht zuordnen, obwohl es ihr auffiel. „Sie wohnte in der Nähe meines Elternhauses.“, antwortete Miss Levin, „Anscheinend haben wir endlich ein Thema gefunden, dass Ihnen gefällt, meinen Sie nicht auch, Kathleen?“ „Neuankömmlinge erwecken nun einmal mein Interesse.“

„Nun denn.“, meinte Miss Levin und musterte Kathleen noch einmal kurz, dann blickte sie zu Kensi, „Ich werde dann mal gehen. Ich habe noch Klausuren auf meinem Schreibtisch liegen.“ Sie wendete sich Danielle zu: „Bleib du doch noch bei den beiden. Sie werden dich durch die Stadt führen.“ Danielle nickte, wirkte allerdings nicht sonderlich überzeugt, doch Miss Levin nickte allen zum Abschied noch einmal zu, dann ging sie.

„So so. Eine Neue also.“ Kensi sah zu Kathleen, die wieder in ihre übliche, kalte und abweisende Art zurückgefallen war. „Ein Schützling der Levin.“ Danielle sah Kathleen an und Kensi, die bislang der Meinung gewesen war, dass Kathleen in ihren eisigen Blicken nicht zu überbieten war, wurde umgestimmt: Danielle sah Kathleen so eisig und abwertend an, dass Kensi sich insgeheim fragte, woher dieses Mädchen solch einen Blick kannte.

„Ich kenne sie schon länger.“, meinte sie kühl, „Aber das ist kein Grund, weshalb sie mich bevorzugen würde.“ „Sie bevorzugt eigentlich niemanden.“, mischte Kensi sich ein, die aus den Augenwinkeln sah, dass Kathleen bereits den Mund zu einem Kommentar geöffnet hatte, „Aber man merkt, wenn sie jemanden nicht leiden kann.“

„Weshalb bist du nach Los Angeles gezogen?“, erkundigte Kathleen sich bei Danielle. „Gewisse Umstände erwarten gewisse Maßnahmen.“ „Also von der Schule geflogen oder straffällig geworden?“ Danielle drehte den Kopf leicht weg, meinte dabei: „Erstens geht dich das gar nichts an und zweitens ist meine Tante hierher gezogen.“ „Tante?“ „Schwester meiner Mutter. Du weißt schon … Verwandtschaft.“ „Was hat denn eine Tante mit deinem Umzug zu tun?“ Kathleen sah Danielle an, als sei sie eine Kuh auf Rollschuhen. „Ich lebe bei ihr.“ „Pflegekind also.“ Danielle rollte mit den Augen.

„Ihr kennt euch höchstens fünf Minuten und schon scheint ihr nicht miteinander auszukommen.“, bemerkte Kensi ernst, „Könnt ihr denn nicht ein wenig versuchen, irgendwie freundlich zueinander zu sein?“ „Wenn Sie aufhört, das zu spielen, was sie hier spielt.“, antwortete Kathleen. „Ach, ich spiele was?!“ „Klar.“ „Wisst ihr was? Ich kann mir die Stadt selbst zeigen.“, fauchte Danielle, „Ich gehe.“ Kathleen grinste. „W-warte!“, meinte Kensi, doch Danielle wendete sich ab und ging. „Niña de la luna.“, murmelte Kathleen und Kensi hob fragend eine Augenbraue, bekam allerdings keine Erklärung dafür.
 

Jason hatte sich bei Kensi um kurz nach sieben per SMS gemeldet; sein Vater wollte mit ihm auf einen kleinen Ausflug, so dass er nicht zum Lernen zu ihr kommen könnte. Kensi selbst war kurz nachdem Danielle gegangen war ebenfalls gegangen. Kathleen war keine angenehme Begleitung, allerdings nicht nur vom Charakter her. Irgendetwas war an dem Mädchen, dass Kensi sich unbehaglich fühlen ließ – ein gewisses Gefühl von Gefahr ging von ihr aus. Und so schlecht das kurze Gespräch mit Danielle ausgefallen war und so unsympathisch sie auch reagiert hatte, irgendetwas ließ Kensi sich in ihrer Nähe wohl fühlen. Dieses Gefühl hatte sie allerdings auch in der Nähe von Miss Levin, auch wenn sie von ihr als Lehrpersonal lieber Abstand hielt.

„Kensi?“

Kensi zuckte zusammen. Sie hatte an ihrem Fenster auf einem Stuhl gesessen und beide Beine an den Fußgelenken überkreuzt auf der Fensterbank liegen gehabt, als ihr Vater langsam in ihr Zimmer kam. Er hatte noch den Fingerknöchel seines rechten Zeigefingers an der Tür und die Tür nur einen kleinen Spalt weit geöffnet, falls seine älteste Tochter ihn nicht sehen wollte.

„Dad, was ist los?“, erkundigte Kensi sich und drehte den Kopf zu ihm. „Du hast Besuch.“ „Besuch?“, fragte Kensi verwundert, „Wer denn?“ „Ein Mädchen mit braunen Haaren. Sie hat sich als Danielle vorgestellt.“, antwortete ihr Vater, „Soll ich sie hoch schicken, oder kommst du ins Wohnzimmer? Sie wartet dort.“ „Schick sie bitte hoch, Dad.“, bat Kensi und wunderte sich, woher Danielle wusste, wo sie wohnte. Wobei … sie kannte Miss Levin sehr gut und wahrscheinlich hatte sie von dieser die Adresse.

Kaum war Kensis Vater gegangen, klopfte Danielle an dem Türrahmen – Kensis Vater hatte die Tür offen stehen lassen. Kensi nickte, erhob sich von ihrem Stuhl und bot ihn Danielle an, um dann hinter dieser ihre Zimmertür zu schließen und sich dann auf ihr Bett zu setzen. Danielle nahm den Platz auf dem Stuhl dankend an.

„Fragen, weshalb in letzter Zeit jeder zu mir kommt, muss ich nicht, oder?“ Danielle schüttelte den Kopf. „Und ich schätze, dass du meine Adresse von Miss Levin hast?“ Danielle nickte. „Dürfte ich dann erfahren, warum du dann so urplötzlich hier auftauchst?“, fragte Kensi und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sie ist gefährlich.“ „Wer?“ „Kathleen.“ Kensi rollte mit den Augen, dann meinte sie: „Wegen eines Streites? Gut, wegen ihr sind meine Bänder überdehnt, aber das ist auch alles.“ „Du verstehst nicht … Du musst dich von ihr fernhalten.“ „Sagt irgendwie jeder.“ „Warum tust du es dann nicht?“, fragte Danielle stutzig. „Weil jeder etwas anderes sagt.“ „Abe-“ „Kathleen sagt mir, dass ich mich von Levin fernhalten soll. Du sagst mir, ich soll mich von Kathleen fernhalten.“, fuhr Kensi fort, Danielles Einwurf nicht beachtend, „Und ich wette, auch von dir bekomme ich keinen Grund. Ich sehe nicht ein, dass ich mich von Leuten fernhalte, wenn ich nicht einmal weiß, weshalb.“ „Sie ist gefährlich.“ „Jasons Eltern auch. Sie können mit Waffen umgehen. Jason sicherlich auch. Also? Soll ich mich von ihm auch fernhalten? Und weshalb seid ihr plötzlich alle an meinem Wohlergehen interessiert?!“, fragte Kensi genervt, „Es ist mein Leben, meine Wahl. Ich entscheide, nicht ihr.“ Danielle nickte, blickte sie nachdenklich an. „Nenn mir einen einzigen guten Grund. Einen einzigen.“

Niña de la luna.“, sagte Danielle, „Weißt du, was das bedeutet?“ „Mädchen des Mondes? Mondmädchen?“, vermutete Kensi, „Kathleen gebrauchte diese Worte, als du gegangen bist.“

„Hast du jemals Harry Potter gelesen? Darren Shan? The Mortal Instruments? Oder das, in Bezug auf Vampire, unsinnige Twilight?“, erkundigte Danielle sich bei Kensi, die nickte, „Denkst du, dass diese Geschichten der reinen Fantasie entspringen?“ „Natürlich.“ „Natürlich nicht.“, verbesserte Danielle sie, „In jeder, wirklich jeder, Geschichte steckt immer ein Funken Wahrheit.“ „Aber der muss ja nicht im Bezug auf Fantasiewesen stecken.“, warf Kensi ein. „Guter Einwand. Aber bist du zu hundert Prozent davon überzeugt, dass er nicht in den Wesen ruht?“ „Der wahre Kern?“ Danielle nickte, während Kensi überlegte. Sie war sich so sicher gewesen, aber jetzt, da sie direkt danach gefragt worden war, zögerte sie. „Na ja … “, brachte sie langsam heraus, „ … angenommen, dass der wahre Kern darin ruht … “ Sie spürte Danielles aufmerksamen Blick auf sich ruhen, sah selbst aber auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. „ … dann halten sich diese Wesen sehr gut versteckt. Oder sie existieren bereits nicht mehr, sondern lebten einst auf der Erde. Wie Dinosaurier.“ Danielle nickte. „Aber was soll das?“

Danielle erhob sich. Sie sah Kensi an und ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Ernstes angenommen, doch in ihren Augen war etwas Warmes und Besorgtes zu erkennen. Kensis fragender Blick ruhte auf ihr, doch die Brünette überging ihn und drehte sich zu Kensis Fenster, um dort hinaus zu schauen.

„Vielleicht ist auch der Vorschlag von Kathleen nicht ganz falsch.“ Kensi sagte nichts, sondern blickte Danielle überrascht über deren Worte an. „Wenn Jessica nicht bemerkt hätte, dass Kathleen ihr eigentliches Verhalten ablegt, wenn sie dich sieht und sich dessen nicht so viele Sorgen gemacht hätte, dann wäre Kathleen nicht in Aktion getreten.“ Kensi kam es wie ein Selbstgespräch vor. „Im Grunde ziehen dich diese Fehden zwischen uns nur noch mehr in die Gefahr hinein.“

Danielle drehte sich zu Kensi um, sagte laut: „Vergiss meine Warnung nicht. Vergiss auch Kathleens Warnung nicht. Halt dich von Miss Levin fern … halt dich von Kathleen fern.“ „Und … von wem noch?“ „Mir.“ „Du bist doch zu mir gekommen!“, erinnerte Kensi sie. „Schon.“, gab Danielle zu, „Aber ic-“

„Es hätte nichts zu warnen geben, wenn ihr nicht ständig in meinem Leben hineinpfuschen würdet!“, unterbrach Kensi sie unwirsch, „Weder Miss Levin, noch Kathleen … ja, noch du … keiner von euch ist für mich von großem Interesse!“ Sie funkelte Danielle kühl an. „Ich bekomme ohnehin keine Erklärung, oder?“ Sie wartete keine Antwort von der Brünetten ab. „Schön und gut. Geh jetzt … bitte.“

Danielle seufzte, nickte leicht und schritt dann an Kensi vorbei. Dabei warf sie der Blonden einen kurzen Blick zu, doch diese sah stur nach vorn und mied jeglichen Augenkontakt zu ihr, da sie fürchtete, ihre aufgewühlten Gefühle dann nicht mehr unter Kontrolle halten zu können. Dieses akzeptierte Danielle; sie verließ Kensis Zimmer, wünschte deren Vater einen schönen Abend und verließ das Haus.
 

„Charlie!“

Ein lauter Ruf hallte durch ein älteres Gebäude nahe des Strandes. Das Gebäude an sich war groß und beherbergte zwei Wohnungen, von denen eine im Erdgeschoss und ersten Stock lag, während die andere den zweiten Stock und das oberste Stockwerk beanspruchte. In der unteren Wohnung lebte ein Navy Seal von der Marine, der die meiste Zeit außer Haus war, die obere Wohnung wurde von einem Charles Siska bewohnt, der für den Staat arbeitete.

„Charlie!“

Der Ruf hallte wieder durch das Gebäude. Der Navy Seal aus der unteren Wohnung war derzeitig nicht im Lande, weshalb er nicht durch den Ruf gestört werden konnte. Darüber hinaus galt ihm der Ruf nicht, sondern seinem Nachbarn aus der Wohnung über ihm, und entstammte von einer jungen Frau mit braunen Haaren und hellen Augen, die eine Mischung aus braun, grau und grün darstellten.

Da niemand auf den Ruf der Frau reagierte, stieß sie die Wohnungstür zur Wohnung im zweiten und dritten Stock auf und trat ein, nur um dann inmitten eines unendlich erscheinenden Chaos' zu stehen. Sie setzte ihre Suche nach dem Besitzer der Wohnung fort und schlich dabei vorsichtig durch die einzelnen Zimmer, jedes sah so aus wie der Eingangsbereich der Wohnung: Chaotisch.

„Jess … flieh!“

Die junge Frau blieb stehen, kaum war sie im Wohnzimmer angelangt. Dort lag der Besitzer auf dem Boden, verletzt, blutend und schwer atmend. Er versuchte sich langsam zu erheben, den Blick auf die junge Frau gerichtet, den Mund noch nicht ganz geschlossen, als ihn etwas wieder zu Boden schickte.

„Charlie!“, rief die junge Frau aus, dann wanderte ihr Blick zu der Person, die dafür verantwortlich war: Eine ebenso junge Frau mit braunen Haaren und grünen Augen, deren Haut recht hell im hellen Mondlicht wirkte, sah kühl zu ihr.

„Jessica Brooke Levin … “, sprach letztere aus, „Ich nehme an, ihr gehört zum selben Rudel, wenn du hier so einfach erscheinst?“ „Was hast du ihm getan?!“ „Ich? Nichts.“ „Du lügst, Lilith! Ich weiß doch, dass du uns nicht leiden kannst und die Fehde nur zu gerne anfachst!“ „Du liegst falsch, meine Liebe.“, bekam sie die Antwort zu hören, „Nun gut, mit letzterem vielleicht nicht, aber definitiv mit ersterem.“ „Das ist eine Lüg-“

„Jess … “ Charlie, der noch immer am Boden lag, hob den Kopf. „Sie hat Recht … Sie kam, weil sie auf seiner Spur war … “ „Wessen?“ Jess war sichtlich verwirrt. „Caihong Jin.“, sagte die Frau ernst und kam damit Charlie zuvor, „Er hat von der Prophezeiung gehört.“ Jess schluckte, ging zu Charlie und half ihm auf die Beine. „Und wieso kam er hierher?“ „Man hinterfragt seine Handlungen nicht.“, meinte die Frau, „Selbst wir tun das nicht.“

„Wenn die Prophezeiung schon bis zu ihm vorgedrungen ist … “, meinte Jess nachdenklich, „Es wird Zeit, dass wir langsam handeln.“ „Nicht.“, wehrte Charlie ab und ließ ihre Schulter los, an der er sich festgehalten hatte, „Prophezeiungen sind ungenau. Sie muss nicht einmal zutreffen. Solch eine Prophezeiung ist kein Gesetz, es ist eine bloße Mutmaßung.“ „Charlie … “ „Wenn ich das Rudel einweihe und wir zu handeln beginnen, dann sind weitaus mehr von uns in Gefahr. Ähnlich wird es wohl bei der Gruppe von Lilith sein.“ Lilith nickte. „Dass nur wir, die Anführer und ihre engsten Vertrauten, dem nachgehen, hat schon seinen Sinn, Jess.“, fuhr Charlie fort, „Und ich bitte euch … diese paar Verletzungen heilen schnell und wenn er dachte, ein Hindernis ausgeschaltet zu haben, so lag er bislang falsch.“ Er setzte ein Grinsen auf.

„Ich denke, dass ich zurück zu meinen Leuten sollte.“, warf Lilith ein, „Erstens habe ich seine Spur verloren, zweitens ertrage ich die Nähe von euch nicht … und drittens will ich euch bei euren kleinen Spielchen nicht im Wege stehen.“ Jess warf ihr einen finsteren Blick zu, während Charlie bloß nickte. „Man läuft einander hoffentlich nicht mehr über den Weg.“ Und damit verließ sie das Wohnzimmer und kurz darauf war die Wohnungstür zu hören, die ins Schloss fiel.

„Du suchtest mich.“, wendete sich Charlie Jess zu, deren Blick sogleich freundlicher und sanfter wurde, „Weshalb? Gewusst haben konntest du von Caihong nicht.“ „Danielle Brennan.“ „Was ist mit ihr?“ „Sie will sich an die Fersen von Kathleen heften.“ „Und?“ „Sie fragte mich um Erlaubnis.“, fuhr Jess fort, „Ich verwies sie zu dir. Du bist der Chef.“ „Kathleen ist unser kleinstes Problem … “, meinte Charlie leise, trat einen Schritt auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Wange, „Du hättest ihr die Erlaubnis erteilen können. Das weißt du.“ Jess blickte in seine Augen. „Ja, aber … “, begann sie, doch dann unterbrach sie sich und seufzte.

„Was bedrückt dich?“, erkundigte Charlie sich besorgt. „Seit Wochen schon gehen wir den Gerüchten um dieser Prophezeiung nach, gleichzeitig regt Kathleen sich langsam. Ihre Aufmerksamkeit erlangt ein völlig normal erscheinendes Mädchen … und dann taucht Danielle hier auf und will Kathleen im Auge behalten. Und zu guter Letzt noch Caihong, der wohl gefährlichste von all denen.“, erklärte Jess, „Was mir in all den Geschehnissen am meisten Sorgen macht, ist das Mädchen, das Kathleens Aufmerksamkeit erweckt und erlangt hat.“ „Deine Schülerin Kensi Cone.“ „Ja.“ „Und du weißt nicht, weshalb dem so ist?“ Jess schüttelte den Kopf. „Lass Danielle sich mit den beiden anfreunden. Auch wenn es so aussieht, als wenn Kathleen sich in Gewalt hat, so kann Danielle leicht eingreifen, wenn dem doch nicht so ist.“, schlug Charlie vor, „Und nun lass uns aufräumen und nicht mehr an solche Dinge denken … “

The truth behind those faces.

Der neue Tag begann für Kensi mit Sonnenaufgang. Obwohl Sonntag, und damit Schulfrei, war, erwachte sie beim ersten Sonnenstrahl. Sie setzte sich in ihrem Bett auf, rieb sich den Schlafdreck aus den Augen und blickte sich um; noch immer das Gespräch zwischen Danielle und ihr im Kopf habend.

Ihr Blick fiel auf ihr Handy, doch es lag stumm auf ihrem Nachttisch. Jason war sicherlich noch am Schlafen oder noch immer mit seinem Vater unterwegs und so dringend war es nicht, dass sie ihn um diese Uhrzeit anrufen musste. Dennoch sehnte sie sich nach seiner Stimme … Egal was war, er hatte sie bislang immer aufbauen können.

„Ach, verdammt nochmal!“, fluchte Kensi und zuckte zusammen, als sie auf ihren Fluch eine Antwort bekam: „So früh schon wach, Schlafmütze?“ Sie drehte den Kopf zu ihrem offenen Fenster und erstarrte förmlich, als sie auf der Fensterbank Kathleen hocken sah. „W-Wie … wie bist du dahin gekommen?“ „Baum hoch, Ast entlang … Fenster war schon offen.“ „W-Wie kommst du eigentlich den Baum hoch?“ „Klettern, Dummkopf.“, antwortete Kathleen, „Das ist der einfachste Weg.“ Kensi verkniff sich ein Kommentar dazu.

„Mach dich fertig und dann gehen wir frühstücken.“, meinte Kathleen. „Und wenn ich mit meinem Vater frühstücken möchte?“ „Dein Vater ist außer Haus.“, berichtete die Blonde ruhig, „Und ich weiß ja nicht, wie dein Vater zu deiner Mutter steht, aber die Frau, mit der er sich traf, war definitiv nicht deine Mut-“ „Meine Mutter lebt nicht mehr.“, unterbrach Kensi sie gereizter als sie eigentlich wollte, „Und wenn mein Vater sich mit einer Frau trifft, so ist das seine Sache und nicht deine.“ Kathleen zuckte mit der Schulter.

„Gibt es einen Grund, weshalb du ausgerechnet mit mir zum Frühstück willst?“, erkundigte Kensi sich, während sie aus dem Bett stieg und sich ihre Kleidung aus dem Kleiderschrank nahm, „Was ist mit deiner Familie?“ „Sind schon lange tot.“ Kathleen drehte den Kopf weg, vermied den Blick zu Kensi. „Aber du lebst doch bei einer Pflegefamilie.“, mutmaßte Kensi, „Was ist mit der? Willst du nicht mit ihnen frühstücken?“ „Die Summers nerven.“ „Aber sie werden dich gern haben und es gut mit dir meinen. Mein Vater nervt auch manchmal, aber dennoch.“, erzählte Kensi, „Also weshalb?“ „Du würdest es nicht verstehen.“, versuchte Kathleen auszuweichen, den Blick immer noch zu ihr vermeidend, „Und jetzt beeil dich.“ Kensi hob eine Augenbraue, nickte dann aber und verschwand in Richtung Badezimmer.
 

„Bei wie vielen Pflegefamilien hast du bereits gelebt?“ „22.“ „Aber du bist doch erst achtzehn?“ Kensi war schockiert. „Berufliche Veränderungen, Probleme mit mir, Probleme mit meiner Schule, zu wenig Geld … “ Kathleen zählte all diese Tatsachen an den Fingern ab, für jede hob sie einen Finger. „ … das Jugendamt.“, schloss sie, „Sie kommen und versprechen einem, dass sie bei einem bleiben. Und was war? Nach kurzer Zeit war ich weg. Wie ein Tier aus dem Tierheim.“ Ihre Stimme hatte einen bitteren Klang und ihre Augen blickten ernst und stur nach vorne, während sie neben Kensi die Straße entlangging. „In kürzester Zeit habe ich sieben verschiedene Städte und mindestens genau so viele Schulen besucht. Ich bin soweit, dass ich überall leben kann, mich anpassen kann … Ich habe kein Zuhause mehr, so wie du.“

„Kathleen … Woher stammst du eigentlich?“ Kathleen sah Kensi fragend von der Seite an. „Naja … wo bist du geboren? Wo hast du mit deinen leiblichen Eltern gelebt?“ „Indianapolis in Indiana.“, antwortete Kathleen, „Aber da habe ich wohl die kürzeste Zeit meines Lebens verbracht.“

„Was ist mit deinen Eltern geschehen?“, fragte Kensi und musste stehen bleiben, da Kathleen abrupt abstoppte, „Was ist los?“ „Ich frage dich doch auch nicht, wie deine Mutter ums Leben kam.“, knurrte Kathleen. „Reg dich ab.“, meinte Kensi und hob abwehrend die Hände, „Du musst es mir ja nicht erzählen!“ „Hatte ich auch nicht vor.“ „Dann werde ich das nächste Mal nichts zu deinen Eltern sagen.“, versprach Kensi ihr, „Du hättest doch nur etwas sagen müssen.“

Kathleen setzte sich wieder in Bewegung, so dass auch Kensi weitergehen konnte. Wenn Kensi eines über das Mädchen in der kurzen Zeit gelernt hatte, so war es die Tatsache, dass Kathleen nicht gerne über sich selbst redete, sich kühl und abweisend verhielt und ihre Nase gerne in anderer Menschen Dinge steckte. Allerdings schloss Kensi, dass Kathleens Verhalten aus dem Wechsel vieler Pflegefamilien entstammte.

„Was starrst du mich so an?“

Kensi hatte nicht bemerkt, dass sie Kathleen, während sie über diese nachdachte, anstarrte. Sie drehte den Kopf weg, nahm den Blick von ihr und murmelte eine knappe und unverständliche Entschuldigung, auch wenn sie selbst nicht wusste, wofür sie sich entschuldigte, denn sie hatte sie ja nicht aus der Absicht heraus angestarrt, dass sie ihr etwas tun wollte.

„Da wären wir.“, meinte Kathleen und blieb stehen. Kensi blieb ebenfalls stehen und ihr Blick folgte dem von Kathleen, der auf einem kleinen Café ruhte, welches Kensi nie zuvor aufgefallen war. Flor de Verão stand auf dem Schild darüber. Kensi wusste weder, welche Sprache das war, noch was es bedeutete.

„Sommerblume.“, übersetzte ihr Kathleen, die anscheinend Kensis ratlosen Blick bemerkt hatte, „Das ist Portugiesisch.“ „Du kannst Portugiesisch?“ Kensi war erstaunt. „Nicht nur.“ „Was für Sprachen noch?“ „Keine besonderen.“, antwortete Kathleen knapp, „Also, gehen wir hier nun frühstücken?“
 

Nachdem Kensi und Kathleen ihre Bestellungen aufgegeben hatten – Kathleen schien des Öfteren in diesem Café zu sein, denn sie unterhielt sich mit dem Kellner auf Portugiesisch -, schwiegen die beiden sich über ihre Getränke hinweg an. Kensi nippte ab und an an ihrem Café au lait, während Kathleen ihren schwarzen Kaffee gänzlich ignorierte. Beide schienen in ihren eigenen Gedanken gefangen zu sein und kein Gespräch anfangen zu wollen.

„Faz favor.“, meinte der Kellner und stellte den beiden ihr Frühstück auf den Tisch. „Muito obrigada.“ „De nada.“ Kensi sah während des kurzen Wortwechsels zwischen dem Kellner und Kathleen hin und her und war davon erstaunt, wie schnell und flüssig der Dank, Kensi vermutete, dass dem so war, über deren Lippen gekommen war. Sie selbst hätte wahrscheinlich eher einen Knoten in der Zunge gehabt, als ein einziges Wort sagen zu können.

„Woher kannst du das?“, erkundigte Kensi sich, während sie ihr Brötchen mit Marmelade bestrich. „Was?“ „Na, Portugiesisch.“, half Kensi ihr auf die Sprünge. „Einerseits war ich eine Zeitlang in einer portugiesischen Pflegefamilie und andererseits interessiere ich mich für Sprachen.“ „Machst du denn außer dem Lernen von Sprachen nichts anderes?“ „Doch, klar.“, antwortete Kathleen und biss in ihr Brötchen, „Ist ja nicht so, dass ich nur lernen würde.“ Sie setzte ein Lächeln auf, welches Kensi als ehrlich gemeint deutete und als eine Seltenheit einstufte. Eine lächelnde Kathleen war selten.

„Desculpe?“

Eine junge Frau mit dunkel braunen Haaren war an ihren Tisch getreten und sah zwischen den beiden Mädchen hin und her. Kensi blickte Kathleen fragend an, die ihren Bissen runter schluckte, sich erhob und dann meinte: „Kensi, das ist eine Bekannte von mir.“ Kensi nickte der jungen Frau zu. „Remy Lilith Baker, Lil gerufen.“ Kensi nickte. „Lil, das ist Kensi Cone aus meinem Jahrgang.“ „Freut mich dich kennenzulernen, Kensi.“, begrüßte Lilith Kensi, die die Hand der Brünetten ergriff und schüttelte. „Lil stammt von der Ostküste, allerdings hat sie Wurzeln in Europa.“, berichtete Kathleen und sie klang dabei, als wenn sie die Brünette bewundern würde, „Man könnte sie als eine Art Mentor bezeichnen.“ „Mentor … für … was?“, hakte Kensi nach. „Dieses und jenes.“, antwortete Lilith ausweichend, „Kath braucht jemanden, der ihr auf die Finger schaut und sie häufiger mal zurecht weist.“ Sie grinste, zog einen Stuhl herbei und setzte sich zu den beiden an den Tisch.

„Kath, ich möchte dich nicht beunruhigen, aber du solltest heute Abend zu mir kommen.“, meinte Lilith, „Ich würde es dir erklären, aber … “ Ihr Blick wanderte zu Kensi, die die beiden ansah und dann meinte: „Gut, ich habe verstanden. Du willst ihr etwas mitteilen und ich bin überflüssig.“ Sie stand auf. „Klärt das. Ich bin solange auf der Toilette.“ Und damit ging sie einfach.

„Lil, musste das sein?“ „Du kümmerst dich neuerdings sehr um dieses Mädchen, kann das sein?“ „Sie ist eine Mitschülerin.“, antwortete Kath ausweichend. „Es scheint eher, als wenn du sie nicht nur als das siehst. Was ist an dem Mädchen so interessant?“, erkundigte Lilith sich und sah abschätzend in die Richtung, in die Kensi verschwunden war, „Vielleicht der Punkt, dass sie anscheinend etwas mit der Prophezeiung zu tun hat? Oder dass das Pack von diesen raudigen Kötern sich ebenfalls interessiert?“

„Komm zum Punkt und erzähl endlich, was du mir heute Abend sagen willst. Ich hatte für den Abend andere Pläne.“, fuhr Kath sie eisig an, „Also?“ Sie verschränkte die Arme vor dem Körper. „Er ist hier.“ „Er?“ „Caihong. Und er ist auf der Spur der Prophezeiung.“, berichtete Lilith, „Letzte Nacht habe ich seine Spur bis zur Wohnung dieses Köters verfolgt. Und dann kam auch noch deine werte Frau Lehrerin.“ Kath machte nichts, ließ sie einfach fortfahren: „Caihong hat dem Kerl ziemlich zugesetzt, aber er hat durchgehalten.“ „Lass mich raten … Letzten Endes hast du eingegriffen?“ Kaths Stimme klang spöttisch. „Ich habe nichts für den Köter übrig, aber sein Tod wäre überflüssig gewesen. Ebenso hätte ich ihm diesen Triumph nicht gelassen.“ „Remy Lilith Baker kämpft für einen … von … ihnen?“ Lilith nickte seufzend. „Und ich dachte immer, die Welt geht unter, bevor du so etwas machst.“, meinte Kath grinsend, „Hast du dich etwa in den Straßenköter verguckt?“ Lilith schüttelte den Kopf und sah Kath gereizt an.

„Ich wünsche dir noch viel Spaß mit diesem … Mädchen.“ Lilith erhob sich und verließ das Café. „Was hast du denn von mir erwartet?!“, rief Kath ihr laut nach, doch Lilith war bereits verschwunden und an ihre Stelle trat Kensi, die vom Gang kam, auf dem die Toiletten lagen, und sie fragend ansah.

„Ärger?“, erkundigte sie sich und ließ sich auf ihren Platz sinken. Kath nickte. „Weißt du … Etwas das Danielle gestern Abend erwähnte, geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“, meinte Kensi mit gedämpfter Stimme. „Sie war bei dir?!“ Kath sah Kensi fast schon entsetzt an. „Ja.“, bestätigte Kensi und zuckte gleichgültig mit der Schulter, „Es sind in letzter Zeit viele Leute bei mir. Vor allem ungebetene.“ Dabei setzte sie einen vielsagenden Blick auf. „Sie meinte, dass selbst in den Geschichten mit Vampiren und Werwölfen ein Funken Wahrheit steckt. Und nicht nur in den Dingen, die das äußere Gerüst der Geschichten bilden, sondern in den Wesen selbst.“, versuchte Kensi zu erklären, „Ich frage mich, wie sie auf so etwas gekommen ist.“

„Sie ist eben eine Spinnerin. Nichts weiter.“, sagte Kath, allerdings fiel Kensi auf, wie sie den Blick zu ihr mied, „Warum sollte so ein Blödsinn existieren?“ „Das fragte ich mich auch.“, gestand Kensi, „Aber mir fiel ein, dass Werwölfe und Vampire sich abgrundtief hassen.“ „Worauf willst du hinaus?“ Kath richtete ihren Blick auf Kensi, eisig und abweisend, allerdings konnte Kensi in ihnen etwas Beunruhigtes ausmachen. „Wenn man Danielle und dich sieht, könnte man fast meinen, dass ihr ein Werwolf und ein Vampir seid.“ Kath brach in Lachen aus, während Kensi sie verwundert ansah.

Nachdem Kath sich wieder gefangen hatte, sagte sie zu Kensi: „Du hast echt eine blühende Fantasie, weißt du das? Als ob einer ein solches Fantasiewesen wäre. Also echt.“ Kensi sagte kein Wort. „Vielleicht solltest du weniger Fantasy-Filme sehen, oder weniger Bücher lesen. Was weiß ich, was du in deiner Freizeit treibst?“, schlug Kath grinsend vor. Kensi schenkte ihr einen finsteren Blick. „Nehmen wir mal an, dass Danielle wirklich eines von beidem ist und ich das Gegenstück … Wie willst du das beweisen, Kensi?“ „Vampire vertragen kein Tageslicht.“, behauptete Kensi. „Gut, das Problem ist folgendes: Wir sind in Los Angeles, einer Stadt mit einer der höchsten Sonnenstundenzahl der gesamten vereinigen Staaten von Amerika. Darüber hinaus hast du sowohl Danielle als auch mich bei Sonnenlicht in der Sonne gesehen. Abgesehen von einem leichten Sonnenbrand wirst du wohl nichts bemerkt haben, oder?“ „Sonnenbrand?“, fragte Kensi verwirrt. „Das hier auf meinem Arm.“, meinte Kath und hielt Kensi den Arm hin, „Habe ich mir gestern bei meinem Job eingefangen.“ „Job?“ „Ist doch auch egal. Also? Wo sind deine Beweise?“ Kensi seufzte resigniert.

„Werwölfe vertragen kein Silber.“, behauptete Kensi nachdenklich. „Danielle hatte silberne Ohrringe. Zumindest hatten die die Farbe.“, erinnerte Kath sie. Kensi seufzte. „Und ich … “, meinte Kath, „ … habe nichts aus Silber bei mir. Hast du etwas?“ „Wieso?“ „Beweis, dass ich ein Mensch bin? Du weißt schon.“ „J-Ja. Die Kette … “ „Dann gib her.“, forderte Kath sie auf und Kensi reichte ihr ihre Kette, „Einen Moment lang warten … “ Sie hielt die Kette in der Hand, dann reichte sie sie wieder an Kensi zurück und hielt ihr ihre Handinnenfläche entgegen. „Nichts. Kein Werwolf.“

„Kreuze … und andere christliche Zeichen und Objekte!“ „Wie bitte?“ „Vampire. Die vertragen das nicht!“ „Du meinst heilige Zeichen und Objekte, Kensi.“, verbesserte Kath sie, „Aber ein Kreuz geht auch. Oder ein Davidstern.“ „Danielle hatte allerdings ein Kreuz als Anhänger an ihrer Kette.“, murmelte Kensi und senkte den Blick. „Nun … “, begann Kath, dann unterbrach sie sich. Kensi hob den Blick wieder und blickte die Blonde an. „Was?“ „Ich bin nicht gläubig. Ich besitze solche Dinge nicht.“ „Nicht?“ Kath schüttelte den Kopf. „Ich habe auch nichts … “, gab Kensi zu, „Auf dem Rückweg gehen wir einfach in eine Kirche.“ „Ich muss direkt zur Arbeit, Kensi. Ich kann nicht.“, widersprach Kath, „Ein anderes Mal?“ „Aber … der Test?“ „Ein Vampir kann doch eine Abneigung gegen solche Dinge nicht innerhalb von wenigen Tagen ablegen!“, meinte Kath und schüttelte den Kopf, „Noch eine Idee?“

„Wir müssen uns bei Vollmond treffen.“ „Vollmond?“, fragte Kath sie, „Bist du jetzt übergeschnappt?“ „Werwölfe sind bei Vollmond … na ja … ihre wahre Gestalt. Du weißt schon.“ „Weiß ich nicht. Worauf willst du hinaus?“, entgegnete Kath verwirrt. „Bei Vollmond verwandelt der Werwolf sich zu seiner wahren Gestalt.“, erklärte Kensi, „Wenn wir drei uns also in der Nacht bei Vollmond treffen und sich keiner verwandelt von euch beiden … “ „Und wenn doch? Also ich rette deinen Arsch nicht.“ „Angst, dass Danielle der Werwolf ist?“ „Vielleicht bist du das ja, Zuckerpüppchen.“, meinte Kath und erhob sich.

„Wieso bist du auf einmal so genervt?!“, erkundigte Kensi sich erschrocken, „Habe ich etwas getan?“ „Du denkst dir irgendwelche Dinge aus und dichtest sie Leuten an. Deine Fantasie spielt dir einen Streich, Kensi Cone. Daran schon einmal gedacht?! Weshalb sollte es diese Wesen existieren? Weil eine Spinnerin solche Dinge für bare Münze hält?“, erklärte Kath aufgebracht, „Weiß du was? Ich bin spät dran. Ich muss los.“ Und damit legte sie das Geld für ihr Frühstück auf den Tisch und ging dann, eine verwirrte Kensi am Tisch sitzen lassend, die nicht verstand, was geschehen war.
 

Nachdem auch Kensi ihr Frühstück bezahlt hatte, wanderte sie ziellos umher, bis sie am Strand ankam. Dort hockte sie sich in den Sand und blickte auf das Meer, um ihre Gedanken schweifen zu lassen, doch schon nach wenig Zeit wurde sie durch das Klingeln ihres Handys aus ihren Gedanken gerissen.

„Ja?“ … „Wo ich bin?“, fragte Kensi nach und lächelte leicht, auch wenn ihr Gesprächspartner dieses Lächeln nicht sehen konnte, „Am Strand.“ … „Ja, übliche Stelle.“, bestätigte sie, „Erkläre ich dir dann später.“ … „Bis gleich.“ Und damit legte sie auf und lehnte sich zurück, um wieder ihre Gedanken schweifen zu lassen.

Es dauerte nicht lange und ihr Gesprächspartner vom Telefon erschien. Zunächst stellte er sich hinter sie, dann blickte er mit einem breiten Grinsen auf sie herab und versperrte ihr den Blick zur Sonne. Kensi lächelte ihn erfreut an und bot ihm den Platz neben sich im Sand an, den er mit einem kurzen und dankbaren Kopfnicken annahm und sich neben sie fallen ließ.

„Also, was ist los? Was wolltest du mir erklären?“, fragte Jason und schob sich seine Sonnenbrille wieder die Nase hoch, da sie ihm zuvor bei dem Herabbeugen zu Kensi verrutscht war. „Nenn mich bitte nicht verrückt, ja?“, bat Kensi ihn. „Gibt es denn einen Grund dazu?“ Kensi nickte wortlos. „Verrückter als sonst kannst du gar nicht sein.“, meinte Jason aufmunternd, „Aber ich verspreche es dir.“ „Danke.“, meinte Kensi erleichtert, dann begann sie zu erzählen.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis Kensi mit ihrer Erzählung endete, aber Jason hörte ihr aufmerksam zu und unterbrach sie kein einziges Mal. Er schien nachdenklich gestimmt und nachdem Kensi ihren Bericht beendet hatte, blickte er lange Zeit schweigend auf das Meer und bewegte sich auch sonst nicht, während Kensi, die noch immer neben ihm saß, mit der einen Hand den Sand bearbeitete und den Blick über die Menschen am Strand schweifen ließ.

„Also … auf Grund dessen, was du mir erzählt hast, nimmst du an, dass wir es mit mystischen Wesen zu tun haben? Den Wesen aus Sagen, aus Märchen und Mythen?“ Kensi nickte zustimmend. „Und da Kathleen Danielle als Niña de la luna bezeichnet hat, nimmst du an, dass Danielle ein Werwolf ist und Kathleen ein Vampir?“ „Ja.“ Dieses Wort kam Kensi nur mühsam über die Lippen, ihr Mund fühlte sich trocken an und je sicherer sie sich dieser Entdeckung wurde, desto unwohler fühlte sie sich. „Vielleicht sind die beiden auch nur von verschiedenen Gangs?“, versuchte Jason eine Erklärung zu finden, „Die Töchter des Mondes gegen die … eiskalten Wesen oder so.“ „Danielle ist erst seit wenigen Tagen in der Stadt.“, erinnerte Kensi ihn, „Da wird sie nicht sofort in eine Gang geraten sein.“ Sie seufzte und Jason ließ die Schulter sinken.

„Wer war diese Bekannte von Kathleen?“ „Remy Lilith Baker.“, antwortete Kensi, „Weshalb?“ „Ich lasse einfach eine Suche über sie starten. Mal schauen, was das Internet über sie ausspuckt.“, erklärte Jason, „Wenn sie Kathleens Mentor ist, dann muss es eine Überschneidung geben und dieser Punkt könnte uns helfen.“ „Portugisisch.“, sagte Kensi leise, „Das ist die Überschneidung. Kath lernt es und die andere schien es zu beherrschen.“ Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, doch nicht.“, seufzte sie resignierend, „Kath sagte, sie habe in einer portugiesischen Pflegefamilie gelebt.“ „Wo hat sie denn bitte nicht gelebt?“ Jason sah Kensi ernst an.

„Das ist es!“, rief Kensi aus, „Wir müssen herausfinden, warum Kath bei Pflegefamilien lebt.“ Jason sah sie überrascht an, dann nickte er. „Und warum Danielle umgezogen ist, sollten wir auch herausfinden.“, fuhr Kensi eifrig fort, „Dann geht es den beiden an den Kragen. Ob Mensch, Werwolf, Vampir oder was auch immer … !“

Piece of my true self.

„Du solltest in Bett liegen und schlafen.“

Kath stand auf der Promenade am Strand vor den dortigen Geschäften und blickte hinaus auf das Meer, während sich ein Mann mit blonden Haaren zu ihr gesellte und sich neben sie stellte. Er blickte sie nicht an und wie auch ihr Blick ruhte seiner auf dem Meer. Er hatte zu dem blonden Mädchen gesprochen, das die Arme vor dem Körper verschränkt und einen ernsten Blick aufgesetzt hatte.

„Während meine Lehrerin ironischerweise bis spät in die Nacht ebenfalls durch die Gegend streunt?“, kam die Antwort von Kath. Der Mann setzte ein Grinsen auf, dann meinte er: „Du musst für das Leben lernen, sie nicht.“ „So gesehen kann ich das noch in einigen Jahren nachholen.“ Der Mann setzte zu keiner Antwort an.

„Was willst du, Charlie?“, erkundigte Kath sich und schenkte ihrem Gesprächspartner zum ersten Mal einen kurzen Blick, „Dass der Chef des Packs mit einer wie mir spricht … Normalerweise regelt ihr doch alles über Lil.“ Charlie ließ sich mit seiner Antwort Zeit und sah einer Joggerin am Strand nach, dann erklärte er: „Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen.“ „Und die Umstände wären … ?“ „Caihong Jin.“

Kaths Blick, der wieder zum Meer gewandert war, richtete sich fast augenblicklich auf Charlie. Ihre dunklen Augen schienen ihn zu röntgen und etwas Undeutbares lag in ihnen, während sich ihre Körperhaltung von gelassen und doch abweisend zu angespannt gewandelt hatte. Charlie hingegen, die Hände in den Taschen, blickte sie ruhig an. Ihn schien diese Nachricht nicht so mitzunehmen wie es mit ihr war.

„Er stattete mir einen Besuch ab.“, fuhr Charlie ebenso ruhig fort wie er sie ansah, „Demolierte unter anderem meine Wohnung.“ „Was will er?“ „Ich nehme an, dass du weißt, was die Prophezeiung ist?“ Kath nickte. „Anscheinend ist sie bis zu ihm vorgedrungen.“, fuhr Charlie mit seiner Erklärung fort, „Aber viel wichtiger ist, dass seine alleinige Anwesenheit das Leben aller gefährdet.“ „Weil er ein Vampyr ist.“ „Weil er ein blutrünstiger Killer ist.“, verbesserte Charlie ihn, „Die Rasse macht nicht viel aus. Werwölfe sind nicht besser als Vampire und gemeinsam sind sie nicht besser als Vampyre. … oder gar Menschen.“ Er seufzte, sein Blick wanderte wieder auf das Meer und Kath murmelte: „Die Prophezeiung ist nur ein Märchen. Weshalb nimmt er sie für bare Münze?“ Charlie zuckte mit der Schulter, dann durchbrach das Läuten eines Handys die angespannte Unterhaltung und Stimmung.

Entschuldigend blickte Charlie Kath an und zog sein Handy hervor. Er nahm das Gespräch an und höchstens zwei Minuten später legte er auf und seufzte ein weiteres Mal. Kath hob eine Augenbraue, sah Charlie dabei an und er antwortete entschuldigend: „Jess. Ich sollte gehen.“ „Ja, ja.“, wehrte Kath ab und sah ihn wieder so abweisend wie eh und je an, „Und halt meine Lehrerin nicht so lange wach.“ Sie grinste während er sich abwendete und ging.
 

Auch Kensi war um diese Uhrzeit noch außer Haus. Ihr gingen so viele Dinge durch den Kopf, dass sie sich nicht auf eine Sache konzentrieren konnte und auch den Schlaf konnte sie so nicht finden. Aus diesem Grund hatte sie ihrem Vater Bescheid gegeben, dass sie einen Spaziergang unternehmen würde, dann hatte sie das Haus verlassen und nun wanderte sie ziellos durch die Straßen und versuchte ihren Kopf frei von allen Gedanken zu bekommen.

„Kensi!“

Kensi blieb stehen, drehte den Kopf in die Richtung des Rufes und erblickte ihre Lehrerin. Diese ging schnellen Schrittes auf sie zu und blieb dann stehen, als sie sie erreicht hatte. Sie blickte Kensi ernst aber dennoch lächelnd an und Kensi erwiderte das Lächeln.

„Miss Levin, was machen Sie so spät noch hier?“, fragte Kensi, die durchaus wusste, dass diese Frage besser von seitens der Lehrerin gestellt wäre, immerhin war Kensi die Jüngere. „Ich treffe mich mit jemandem.“, antwortete die junge Lehrerin, „Aber sollte diese Frage nicht eher dir gestellt werden?“ Kensi nickte leicht. „Also?“ „Ich kriege den Kopf nicht frei von Gedanken.“, gestand Kensi, „Aber das ist nur eine Kleinigkeit.“ Jessica nickte nachdenklich, dann fragte sie: „Und was liegt dir auf dem Herzen, Kensi?“ „Ich … also … “ Kensi war überrascht von der Frage. „Ich werde es selbst klären können, Miss Levin. Danke.“ „Du weißt, dass ich für meine Schüler da bin.“, erinnerte die Lehrerin sie, „Es gibt nichts Schlimmeres als Schüler, die alleine durch das Leben gehen müssen.“

Ihnen beiden näherte sich ein Mann mit blonden Haaren und dunkelblau-braunen Augen. Er trug ein kariertes Hemd, welches oben aufgeknöpft war, und darunter ein weißes Oberteil von dem man so nicht sagen konnte ob es ein T-Shirt oder etwas anderes war. Seine Jeans war verwaschen und er ein Lederband mit einem Zahn um den Hals, während an seinem Arm ebenfalls etliche Lederbänder gebunden waren.

„Charlie.“, begrüßte Jessica den Mann, der sich zu ihnen stellte. „Jess.“, reagierte er auf ihre Begrüßung, dann sah er Kensi an und nickte ihr leicht zu. Kensi murmelte eine Begrüßung. „Kensi … Das ist Charles Siska.“, stellte Jessica ihren Begleiter vor, „Ihm wäre es lieber, wenn man ihn Charlie nennt.“ Kensi grinste bei diesen Worten. „Charlie, das ist eine meiner Schülerinnen.“, fuhr Jessica fort. „Kensi Cone.“, meinte Kensi und hielt Charlie die Hand hin, „Sind Sie Miss Levins Freund?“ „Direkt ist sie ja, da hattest du Recht.“, sagte Charlie lachend, dann ergriff er Kensis Hand und drückte diese zur Begrüßung. Sein Griff war fest und überraschte Kensi ein wenig, doch sie spürte, dass er nicht böse gemeint war.

„Irgendwie sind ziemlich viele deiner Schüler noch unterwegs, Jess.“, meinte Charlie und legte seinen Arm um seine Freundin, „Und die sind in der ersten Stunde wirklich wach?“ „Natürlich.“, antwortete die Brünette grinsend, „Meine Schüler interessieren sich für das, was ich ihnen beibringen will.“ Charlie schüttelte mit ungläubigen Blick den Kopf, dann wendete er sich an Kensi: „Normalerweise sollte eine Lehrerin ja ihre Schüler nicht zu etwas einladen, deshalb übernehme ich das mal … “ Sowohl Kensi als auch Jessica blickten Charlie fragend an. „Hättest du Interesse an einer Cola?“ Kensis Blick glitt fast automatisch zu ihrer Lehrerin, die nur mit der Schulter zuckte. „Nun gut … “, lenkte Kensi vorsichtig ein, „Warum nicht?“ „Genau das wollte ich hören.“, meinte Charlie und lächelte sie an, „Dann mal los. Ich kenne da einen guten Pub in der Nähe.“
 

Die kleine Gruppe erreichte den sogenannten Pub nach wenigen Minuten. Kensi begab sich entschuldigend in Richtung Toilette, während Charlie die Bestellung bei dem Wirt aufgab – sie hatten Plätze an der Theke ergattert. Dann fragte Charlie seine Freundin leise: „Ist Kensi das Mädchen von dem du im Zusammenhang mit Kathleen und Danielle gesprochen hast?“ Jessica nickte. „Dann sollte ich mal ein wenig mit ihr reden.“, meinte er, „Wie viel sie bereits weiß.“ „Noch denke ich, dass sie nichts weiß.“ „Jess … “ Charlie beugte sich langsam zu ihr, senkte seine Stimme noch weiter und sah sie vielsagend an. „Auch wenn du dich als Lehrerin von ihr fernhalten solltest, so werde ich dafür sorgen, dass die anderen ein Auge auf sie werfen.“

Kensi kehrte zurück zu den beiden und Charlie setzte sich wieder normal hin. Der Wirt hatte mittlerweile die Getränke auf den Tresen gestellt und sich seinen anderen Gästen zugewendet. Diesen beobachtend griff Kensi nach ihrem Glas und nahm einen Schluck. Charlie tat es ihr mit seinem Bier gleich, während Jessica unruhig mit den Fingern an ihrem Wasserglas tippte.

„Was machst du denn so in deiner Freizeit, Kensi?“, erkundigte Charlie sich und Kensi richtete ihre blauen Augen auf ihn. „Ich bin viel mit Freunden unterwegs … mit meinen Geschwistern … “, zählte sie auf, „Am Strand, in der Mall … “ Charlie nickte, fragte dann: „Hast du einen Freund?“ „Einen … was?“ Kensi blickte ihn überrascht an. „Einen Freund.“, wiederholte Charlie und Jessica schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf, bevor sie die Augen wieder öffnete und Kensi ebenfalls ansah. „N-Nein.“, antwortete Kensi und Jessica hakte nach: „Und was ist mit Jason? In der Schule trifft man euch beide doch meist zusammen an.“ „Wir kennen uns seit ich nach Los Angeles gezogen bin. Man könnte ihn als besten Freund bezeichnen, aber nicht als festen.“, erklärte Kensi.

Charlie holte sein Portemonnaie hervor und reichte dem Wirt das Geld für die Getränke. „Sie … Sie müssen das nicht bezahlen.“, sagte Kensi und sprang von ihrem Barhocker, „Sie bekommen das Geld zurück.“ Sie griff in ihre Hosentasche, bemerkte dann aber, dass sie kein Geld bei sich hatte. „Ich gebe es Miss Levin morgen in der Schule. Ehrlich … Versprochen.“ Abwehrend hob Charlie die Hand, wobei er sie amüsiert ansah und meinte: „Ich finde es gut, dass du niemandem zur Last fallen möchtest, Kensi, aber lass gut sein. Du brauchst mir das Geld nicht zurückgeben. Ich habe dich immerhin auch eingeladen.“ Er erhob sich ebenfalls und Jessica tat es ihm gleich.

„Wir bringen dich noch nach hause.“, meinte er, „Es liegt ohnehin auf dem Weg.“ „Das müssen Sie beide nicht … “, wollte Kensi das Angebot abwehren, doch Jessica meinte: „Es ist spät und um diese Uhrzeit sind Leute unterwegs, die sehr unangenehm werden können. Glaub mir, Kensi … Wenn Charlie dir das anbietet, solltest du es annehmen. Zumal er Recht hat; auf dem Weg liegt es wirklich.“ Kensi zögerte, doch dann nickte sie.
 

Kensi, die am nächsten Morgen in der ersten Schulstunde ihren Platz neben Jason bezogen hatte, unterhielt sich mit diesem über die Einladung vom gestrigen Abend. Jason war erstaunt, dass Kensi vom Freund der Lehrerin zu einer Cola eingeladen und nach hause gebracht worden war und interpretierte einiges hinein, was Kensi abtat. Kath saß ebenfalls auf ihrem Platz; mit eisigem Blick hielt sie sich die anderen Schüler vom Leib.

Es läutete zum Stundenbeginn und Jessica betrat das Klassenzimmer. Allerdings war sie nicht allein, sondern Danielle begleitete sie. Während Jessica ihren Blick über die Schüler schweifen ließ und lächelte, wirkte Danielle zwar gefasst, aber nicht sonderlich fröhlich. Eher schien sie einen anderen Ort de, jetzigen vorzuziehen.

„Guten Morgen, Kurs.“, begrüßte Jessica den Kurs, dieser erwiderte es mit einem einstimmigen guten Morgen, „Wie ihr sehr, habe ich heute jemanden mit in den Kurs gebracht. Sie ist neu in eurem Jahrgang und wird auch diesen Kurs besuchen. Ihr Name ist Danielle Brennan und ich möchte, dass ihr sie gut in eure Reihen aufnehmt. Danielle, sagen Sie doch ein paar Worte zu ihren neuen Mitschülern.“ Jessica sah das Mädchen auffordernd an, diese seufzte und sagte dann: „Ich bin aus Charlotte, North Carolina, mit meiner Tante hierher gezogen. Ich denke, dass das hier ganz lustig werden könnte.“ Sie setzte ein Lächeln auf, doch Kensi konnte erkennen, dass sie es nicht ehrlich meinte. „Neben Kathleen ist noch ein Platz frei.“, wies Jessica Danielle an, „Setzen Sie sich und versuchen Sie erst einmal Ihren Stand in unserem Thema zu finden.“

Der weitere Unterricht verlief wie sonst auch. Jason schien der Crash-Kurs in Shakespeare geholfen zu haben, Kensi kam gut mit uns sogar Danielle, die eigentlich erst noch herausfinden sollte, ob sie mit dem Thema bereits vertraut war, meldete sich einige Male zu Wort, wobei sie kühle Blicke von Kath erntete, die die Nähe zu ihr nicht sonderlich gut leiden konnte und wie eh und je still den Unterricht verfolgte – allerdings gab Kath richtige Antworten, wenn sie zu einer aufgefordert wurde. Jessica verließ den Unterricht ohne Hausaufgaben aufgegeben zu haben zum Ende der Stunde, während die Schüler ihre Sachen packten und sich auf den Weg zum nächsten Unterricht machten.

„Kensi? Kann ich dich etwas fragen?“ Danielle hatte ihre Sachen bereits gepackt und ging zu Kensi herüber, die mit Jason sprach und ihre Unterlagen in ihre Tasche packte. Sie sah auf und nickte leicht, dann begab sie sich weiter an das Einpacken. „Könntest du einen Blick auf meinen Stundenplan werfen und mir sagen, welche Fächer wir gemeinsam belegt haben?“ Sie reichte Kensi ihren Stundenplan. „Soll ich dir die markieren?“, erkundigte Kensi sich und holte einen Stift hervor. Danielle nickte und Kensi schrieb an einige der Fächer ein K. „Danke, Kensi.“, meinte Danielle und schenkte der Blonden ein Lächeln, diese meinte: „Kein Problem, aber wir sollten uns beeilen. Wir haben jetzt noch drei Stunden zusammen und der nächste Lehrer ist immer überpünktlich und ziemlich streng … “
 

Die beiden Mädchen überstanden die zweite Stunde ohne Probleme. Sie waren pünktlich zum Unterricht erschienen und mit ein paar Nachfragen bei den anderen Schülern hatte Danielle sogar einen Platz neben Kensi bekommen können. Danach waren sie beide zum Klassenzimmer gegangen, in dem Jason als letztes Unterricht gehabt hatte und die große Pause gemeinsam verbracht. Auch andere Mitschüler waren zu ihnen gekommen und hatten sich kurz mit Danielle unterhalten, da eine neue Schülerin immer etwas Besonderes, wenn auch nichts Neues, war. Kensi wusste nur zu gut, wie Danielle sich fühlte, doch diese zeigte es nicht und sprach lächelnd mit jedem der Schüler, die zu ihnen kamen.

Schließlich hatten sie drei gemeinsam Sport; die letzten zwei Stunden, die Kensi und Danielle gemeinsam an diesem Tag haben würden. Kensi durfte aufgrund der überdehnten Bänder in ihrem Knie nicht am Unterricht teilnehmen und musste aus diesem Grund vom Rand aus ihren Kurs beobachten, während dieser in zwei Gruppen aufgeteilt wurde. Die eine Gruppe hatte Sprinten als Thema, während die andere Ringen als das ihrige bezeichnen durfte. Nach den ersten 45 Minuten würden die Themen ausgetauscht, so dass jeder jedes Thema hatte durchführen dürfen. Kensi sollte auf die Zeit achten, doch eine ihrer Mitschülerinnen lenkte ihre Aufmerksamkeit davon ab …

Jason war es, der nach zwanzig Minuten zu Kensi ging um ihr seine Zeit vom Sprinten zu nennen. Er stützte sich mit der einen Hand an der Hallenwand neben ihr ab und sah hinüber zu seiner Gruppe, die noch immer am Laufen war. Sein Blick ruhte, wie der von Kensi, auf Danielle, die beeindruckende Leistungen zeigte, die man nicht von ihr erwartet hätte.

„Sie ist schnell.“, sagte Jason leise zu Kensi, „Unglaublich. Wo hat sie das gelernt?“ „Du erinnerst dich an unser gestriges Gespräch?“, fragte Kensi ihn leise und blickte ihn an, „Über meine Vermutungen?“ „Ach komm schon, Kensi.“, meinte Jason und machte eine wegwerfende Bewegung mit der freien Hand, „Es gibt Menschen, die sind wie Hund und Katz.“ „Jason … “ „Mach, dass du gesund wirst.“, wies Jason sie an, „Du bist doch eine super Läuferin. Ein Lauf gegen sie wäre doch mal was.“ Und damit löste er sich von der Wand und ging zurück zu seiner Gruppe.

Kurze Zeit später mussten die Gruppen die Themen wechseln. Und wieder schien Danielle diese Sportart gut zu beherrschen – die Mädchen lagen einer nach dem anderen beim Ringen am Boden und auch die Jungen schienen gewaltige Probleme zu haben und nach kurzer Zeit wollte keiner mehr so wirklich gegen die Brünette antreten. Erst Jason, der zwar nicht gut im Ringen war, aber sonst ziemliche Kräfte besaß, wagte wieder einen Versuch.

„Du magst zwar ein Mädchen sein, aber ich nehme mich nicht zurück … “, sagte er herausfordernd, als Danielle und er sich gegenüber im Ring postierten, „ … und sollte ich gewinnen, wirst du Kensi ein paar Fragen ehrlich beantworten. Deal?“ Danielles Blick glitt kurz zu Kensi herüber, dann erkundigte sie sich: „Und wenn ich gewinne, was bekomme ich dann?“ „Such dir etwas aus.“ „Ich werde darauf zurückkommen.“, meinte Danielle schließlich, „Dann lass uns anfangen.“

Wie auf ein von ihnen bestimmtes und unsichtbares Zeichen hin griffen die beiden einander an. Danielle schien mit Jasons Kraft mithalten zu können, doch auch Jason wirkte nicht ganz machtlos gegen sie, obwohl die Brünette es mit einigen Jungen hatte aufnehmen können. Der Kampf wirkte ausgeglichen und keiner der beiden ging zu Boden und schon nach kurzer Zeit standen die anderen Schüler um die beiden herum und sahen ihnen gebannt zu – so tat es auch der Lehrer.

Erst als es zum Ende der Sportstunde schellte, ließen die beiden voneinander ab und bedankten sich für den Kampf, so wie man es beim Karate oder anderen Sportarten tat. Von den Mitschülern gab es Applaus für den Kampf und von dem Lehrer ein Lob, während Kensi die beiden ansah und keinerlei Anzeichen von Freude oder Sorge zeigte.

„Das bedeutet wohl unentschieden.“, meinte Danielle und verließ mit Jason die Sporthalle um zu den Umkleiden zu gehen, „Ich werde einen kleinen Teil des Einsatzes einlösen. Es ist nur gerecht, immerhin habe ich weder gewonnen noch verloren.“ Jason nickte. „Wirst du dem ebenfalls nachkommen?“, erkundigte Danielle sich und hielt inne, die Hand auf der Türklinke zur Mädchenumkleide. „Nun … “, begann Jason nachdenklich, dann nickte er leicht, „Wieso nicht? Ist nur fair, wenn beide Seiten dem nachgehen.“ Er setzte ein Grinsen auf. „Dann solltest du Kensi nach er Schule abfangen.“, meinte Jason, dann wendete er sich ab, ging weiter und war um eine Biegung in Richtung Jungenumkleide verschwunden.
 

„Tschüss, Kensi!“

Am Eingangstor zur Schule trennte sich eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern. Während die meisten in eine Richtung gingen, war Kensi die einzige, die eine andere Richtung wählte. Danielle, die in einigem Abstand die Schule verlassen hatte, folgte Kensi fast augenblicklich, beschleunigte ihre Schritte und holte sie schließlich ein.

„Warte mal, Kensi!“, rief sie ihr nach und stoppte dann schlitternd neben ihr ab. Kensi drehte den Kopf und sah Danielle fragend an, dann lächelte sie leicht. „War der erste Tag noch gut?“, erkundigte sie sich bei der Brünetten. Diese nickte und antwortete: „Ja. Leichter als ich dachte. Aber in Mathe arbeitet ihr irgendwie anders als wir … “ Kensi musste schmunzeln.

„Du … Jason und ich haben um etwas gekämpft.“, brachte Danielle schließlich zur Sprache, was sie zu diesem Gespräch mit Kensi gebracht hatte. „So?“ Kensis Blick wurde überrascht. „Er wird etwas für mich tun wenn ich darauf zurückkomme und ich werde dir einige Fragen beantworten.“ „Wegen dem Unentschieden?“, hakte Kensi nach. Danielle nickte, dann meinte sie: „Ja. Und ich habe es versprochen. Deshalb bitte ich dich, mich zu fragen, was du unbedingt fragen willst. Ich werde es dir ehrlich beantworten. So viel bin ich dir schuldig … oder Jason.“ Letzteres fügte Danielle fast lautlos hinzu. Kensi nahm den Blick nachdenklich von Danielle und nickte leicht.

Natürlich gab es da etwas, dass Kensi Danielle fragen wollte, doch war das die passende Gelegenheit? Würde sie es abstreiten, auch wenn sie auf Ehrlichkeit plädierte? Oder hatte Kensi im Grunde viel zu viel Fantasie gehabt und diese war mit ihr durchgegangen?

„Es gibt da schon etwas … “, lenkte Kensi schließlich leise murmelnd ein und vermied den Blick zu Danielle, „ … aber mir ist unwohl dabei. Es klingt verrückt und du fängst sicherlich zu lachen an.“ Danielles Blick wurde skeptisch, aber dennoch fragte sie auffordernd: „Was denn? Ich werde nicht lachen.“ „Wer oder was bist du, Danielle?“ Kensi sah Danielle ernst an, diese wiederum hielt die Luft hörbar an und blieb stehen.

Nach einer Zeit, die Kensi wie eine halbe Ewigkeit vorkam, brach Danielle leise zögernd das zwischen ihnen entstandene Zögern: „Ich bin Danielle Brennan, 18 Jahre alt und eine Schülerin wie du. Ich lebe bei meiner Tante und bin erst vor wenigen Tagen hierher gezogen.“ „Nein … “, versuchte Kensi ihre Frage zu präzisieren, „Niña de la luna. Was bist du wirklich? Dieser Name scheint eine Bedeutung zu haben … nicht nur die Übersetzung, sondern an sich … “ Danielle senkte den Blick und schwieg nachdenklich. Kensi ließ ihr die Zeit, die sie sich nahm.

„Ich komme heute Abend.“, sagte Danielle plötzlich ernst, „Und beantworte dir diese Frage. Nur diese eine.“ Und damit machte sie kehrt und ging davon, eine verwirrte Kensi hinter sich lassend.
 

Es war bereits nach acht Uhr am Abend; Kensis jüngere Geschwister Noah und Samantha waren im Erdgeschoss im Wohnzimmer und saßen vor dem Fernseher, der Vater war außer Haus. Kensi hatte all ihre Hausaufgaben beendet und saß in ihrem Zimmer auf ihrem Bett und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Sie zweifelte daran, dass Danielle noch kommen würde und hatte nach langem Überlegen eine CD eingelegt. Eine CD, die ihr einst ihre Mutter geschenkt hatte …

Die Türklingel riss Kensi aus ihren Gedanken und Erinnerungen an ihre Mutter und Sams Ruf ließ sie genervt den Kopf schütteln: „Kensi! Mach die Tür auf!“ „Mach selber!“, rief Kensi zurück, war allerdings bereits auf der Treppe und damit auf dem Weg nach unten in den Flur. Es war typisch, dass weder Noah noch Sam die Tür öffnen wollten.

Kensi öffnete die Haustür mit einem genervten Blick, der kurz darauf ins Überraschte wechselte – Danielle stand vor der Tür, die Haare zu einem Zopf gebunden und eine braune Lederjacke tragend, die gut zu ihren braunen Haaren passte. Allerdings wirkten ihre Augen dadurch noch unnatürlich heller als sie es ohnehin schon taten.

„Die Verspätung tut mir Leid.“, entschuldigte Danielle sich, „Wo kann ich meine Jacke aufhängen und meine Schuhe hinstellen?“ Kensi nahm die Jacke wortlos entgegen und deutete auf die Reihe von Schuhen ihrer Geschwister und ihr selbst. Danielle zog ihre braunen Stiefel, die allerdings nur knapp über die Knöchel gingen, aus und stellte sie dazu, dann blickte sie Kensi abwartend an. Diese deutete zur Treppe und sie beide setzten sich in Bewegung.

„Wer ist das … ?“, kam die Frage von Sam, die den Kopf aus dem Wohnzimmer in den Flur durch die Tür steckte. „Eine Freundin.“, antwortete Kensi, „Und da ihr die Tür ja nicht aufmacht … “ „Ich bin Sam.“, meinte Sam und Noah erschien neben seiner Zwillingsschwester im Türrahmen, „Und das ist Noah.“ „Danielle.“, antwortete Danielle lächelnd, „Ihr seid also ihre jüngeren Geschwister?“ Beide nickten. „Na dann.“, meinte Danielle, „Kensi und ich haben etwas für die Schule zu erledigen. Man sieht sich.“ Sie hob die Hand zum Abschied und folgte Kensi die Treppe nach oben.

„Die beiden sind aber nett.“, bemerkte Danielle, als Kensi die Tür ihres Zimmers hinter ihnen schloss und sich auf das Bett fallen ließ und gleichzeitig Danielle ihren Schreibtischstuhl anbot. „Schon … aber wie alle kleinen Geschwister sind sie auch nervig.“, meinte Kensi seufzend, „Dich scheinen sie aber zu mögen.“ „Woran merkt man das?“, erkundigte die Brünette sich neugierig. „Nun … “, versuchte Kensi zu erklären, „Normalerweise vergraulen sie jeden.“ „Na dann.“, meinte Danielle lachend.

Die beiden blickten einander schweigend an. Danielle, die schon einmal hier gewesen war, lächelte nachdenklich, während Kensi leicht seufzte. Sie war angespannt wegen dem, was sie erwartete. Irgendwie spürte sie, dass es einiges ändern würde … nicht nur für sie selbst.

„Kennst du die Geschichte des Mädchens, das sich in das Biest verliebte?“ „Die Schöne und das Biest?“, hakte Kensi nach. Danielle verneinte: „Die Schöne und das Biest ist ein zu schönes Märchen, aber die Geschichte, die ich meine, ist viel dunkler.“ Kensi schüttelte den Kopf. „Dann werde ich sie dir erzählen … “ Fragend blickte die Blonde Danielle an.

„Vor vielen Jahren verliebte sich ein junges Mädchen in einen jungen Mann. Er war nur wenig älter als sie selbst und ihre gemeinsame Zeit könnte man durchaus als aus einem Film gestohlen bezeichnen. Doch der junge Mann trug ein Geheimnis in sich … Er war ein Monster, doch im Gegensatz zu denen aus Erzählungen brauchte er nicht den Vollmond zur Verwandlung. Er konnte es jede Nacht tun … doch der Vollmond vervollständigte nur seine Kräfte. Und die waren unberechenbar … “

Danielle hielt kurz inne, blickte nachdenklich und fast schon abwesend zum Fenster und schien es nicht einmal wahrzunehmen.

„Das junge Mädchen fand darüber heraus und eigentlich hätte sie laut seinem eigenen Gesetz dafür mit dem Tod bestraft werden sollen, doch seine Gefühle für sie waren zu stark. Sie waren sogar so stark, dass sie ein Kind von ihm erwartete … Und dieses sollte wiederum von anderen seiner Art bestraft werden.“

Kensi sah Danielle gebannt an, nicht wissend, was sie damit sagen wollte. Sie ahnte es, doch sie konnte es nicht in Worte fassen – und Danielles Gesichtsausdruck, der noch immer etwas Fernes an sich hatte, wechselte zu traurig. Danielle schien mitfühlen zu können oder es war einfach eine tiefere Bedeutung hinter dieser Erzählung, die bisher nur ihr klar war.

„Sie wollten das junge Mädchen töten, doch der junge Mann … das Monster … er opferte sich für sie. Allein stellte er sich der Übermacht seiner Artgenossen und er verlor, doch sein Kind und seine Frau konnte er dabei beschützen. Das junge Mädchen lebte in Angst und sie ahnte, dass ihr Kind solch Kräfte ebenfalls besitzen würde, doch sie bereitete sich darauf vor und fand sogar Artgenossen für ihr Kind, damit es wohlbehütet aufwachsen würde. Die ersten vier Verwandlungen des Kindes liefen glimpflich ab, das junge Mädchen war niemals mit anwesend, doch bei der fünften Verwandlung gab es einen Wutanfall und von da an lief alles schief: Das Kind tötete seine eigene Mutter.“

Danielle richtete ihren Blick auf Kensi, die sprachlos war. Sie ahnte, dass Danielle die Personen der Geschichte kannte … eventuell sogar dieses eine Kind war, doch sie getraute sich nicht, es auszusprechen. Es war zu persönlich, zu geheimnisvoll, zu seltsam. Und doch schien es Kensi das einzig Richtige zu sein. Danielle war das Kind aus der Erzählung.

„Du hast Recht.“, bestätigte Danielle ihr, was Kensi nur gedacht und nicht ausgesprochen hatte, so dass diese ertappt zusammenzuckte, „Ich bin das Kind. Das Kind aus der Geschichte.“ Sie sprach es ernst, fast schon reuevoll aus, und doch schien sie dabei gefasst zu sein. Als würde es nicht sie, sondern jemand anderes betreffen. „Ich lernte meinem Vater, dem ich all das verdanke, nie kennen. Ich hörte diese Geschichte oft von meiner Mutter … mit selbigem Ende. Sie ahnte es. Sie wusste es. Und es kam genau so, wie sie es prophezeit hatte.“

„Du kannst so unter Menschen … leben?“ Danielle nickte leicht. „Und diese sind nicht in Gefahr?“ „Ich bin im Rudel vielleicht ein Neuling, aber so nicht.“, antwortete Danielle ernst, „In Gefahr ist, wer danach schreit.“

You are part of our world.

Einen weiteren Abend war Kath spät außer Haus. Wieder zog es sie zum Meer und wieder war ihr Gesprächspartner, den sie dort vorfand, männlich. Doch es war nicht Charlie, sondern ein Asiate mit schwarz-braunen Haaren und ebenso dunklen Augen wie die von Kath.

„Ich fand es schon immer beeindruckend, wie leise du dich fortbewegen kannst.“ Er sprach ruhig und blickte sie ebenso an, während er ihr einen Platz auf der Band anbot, auf deren Rückenlehne er saß. „Werden dich deine Eltern nicht missen, Nightingale?“ „Warum nennst du mich so wie ihn, den Idioten, der dafür verantwortlich ist?“, fragte Kath unwirsch und setzte sich auf die Lehne neben ihn, wobei sie ihn durchdringend ansah und ihn anscheinend zu verstehen versuchte, „Was ist der Grund für diesen Namen?“ Der junge Mann wendete den Blick von ihr ab und antwortete: „Er ist dein Vater. Er ist für deinen Zustand mitverantwortlich.“ „Nenne ich dich bei dem Namen der Frau, die dich zu dem gemacht hat?“, erkundigte Kath sich, den Blick noch immer nicht von ihm nehmend, „Nein.“ Er nickte langsam.

„Du bist vor dem Anführer des Rudels erschienen und hat ihn angegriffen.“, wechselte Kath das Thema und ihre Stimme wurde ernst, „Sie kommen dir auf die Schliche, weil du deine Spielchen spielst, Caihong.“ Er reagierte nicht. „Verschwinde aus der Stadt, lass das Rudel in Frieden. Auch wenn du dem Anführer überlegen bist, so ist das gesamte Rudel alarmiert und auch Lilith und die anderen würden eingreifen. Verschwinde, Caihong.“

Caihong griff nach ihrem Kinn, packte es fest und zwang sie dadurch, ihm tief in die Augen zu sehen. Er blickte sie an, kam ihrem Gesicht näher, hielt dann inne. Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht und sie konnte seinen Atem deutlich auf ihrer Haut spüren.

„Willst du … “, durchbrach er leise die Stille, die sie beide umgab, „ … wirklich, dass ich wieder verschwinde?“ Kath versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch Caihong ließ nicht locker, so dass sie nur die Augen von ihm abwendete und den Blick zu ihm vermied. „Nein, du willst nicht.“, meinte er ernst, „Ich sehe es dir doch an, Ally.“ Sie hob den Blick, sah ihn an, als wenn dieser Name eine Art Codewort war. „Cai-“

Er ließ sie los, sie unterbrach sich, wich ein wenig zurück, erschrocken von dem, was geschehen war … oder auch nicht. Sie wusste selbst nicht, was sie machen sollte, was er hätte machen können, ohne dass sie etwas dagegen unternommen hätte. Im Grunde hatte Caihong sie, Kath, in eben diesem Moment in seiner Gewalt gehabt – und das ziemlich freiwillig von ihrer Seite aus.

„Du freundest dich mit Menschen an.“, sagte Caihong ernst, „Dass du ihr Leben führen musst, verstehe ich, aber du umgibst dich viel mit diesem einen bestimmten Mädchen.“ Kath blickte ihn ernst an, zeigte sonst keinerlei Regungen. „Steht sie mit der Prophezeiung in Verbindung, oder kann sie gefährlich werden?“ „Weder noch.“, antwortete Kath, „Ein Mensch wie jeder andere auch. Nur wurden die anderen unruhig, da ich immer allein war.“ Es war gelogen und Kath wusste nicht, weshalb sie Kensi beschützte. Caihong musterte sie lange Zeit, dann nickte er und meinte: „Du solltest nach hause. Noch bleibe ich, also ist es keine Verabschiedung in dem Sinne.“ Kath erhob sich langsam, wendete sich ab, doch er packte sie ein letztes Mal am Handgelenk und sagte leise: „Stell mich deiner Freundin bald vor. Glück zu, Allison.“ Die Blonde schloss bei seinen Worten kurz die Augen, dann nickte sie, murmelte etwas Unverständliches und ging.
 

Ich bin Kensi Cone, 19 Jahre alt und eigentlich eine ganz normale Schülerin … Wenn da nicht plötzlich die Einzelgängerin mit mir gesprochen hätte und die Neue erschienen wäre. Die Welt ist in meinen Augen nicht mehr das, was sie einmal war … und Fabelwesen nehmen plötzlich Gestalt an. Werwölfe ...

„Kensi Cone!“

Kensi hob den Blick, den sie noch immer auf ihren Block vor sich gerichtet hatte, und richtete ihn auf Mister Shereen, ihren Spanischlehrer. Dieser hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und sah sie verärgert an. Leicht schüttelte er den Kopf und Kensi ließ ihren Blick kurz durch die Reihen ihrer Mitschüler gleiten, die zwischen dem Lehrer und ihr hin- und hersahen.

„Ja, Mister Shereen?“, fragte sie und seufzte. „Vielleicht wären Sie so freundlich und richten Ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Unterricht.“, wies er sie an, „Das Spanische mag nicht jedem liegen, aber in Zeiten des Erscheinens der Flüchtlinge aus Mexiko und in Erinnerung an den Spanier Columbus sollte man doch wenigstens Grundkenntnisse besitzen.“ Er schüttelte wieder kurz den Kopf, dann fuhr er fort: „Wie ich gerade dem Kurs erklärte, hatten die Spanier einen bekannten Bürgerkrieg, der in der Diktatur Francos endete … “

Kensi hörte dem Lehrer noch einige Zeit lang zu, bis es an der Tür zum Klassenzimmer klopfte. Mister Shereen, sichtlich irritiert und aus seinem Monolog gerissen, wies einen Jungen an, die Tür zu öffnen. Dieser tat es auch und herein trat …

„Miss Levin! Was wollen Sie in meinem Unterricht?“ Mister Shereen wirkte aufgebracht. Ihm gefiel diese Störung in keinster Weise und er schürzte die Lippen. „Sie müssen die Störung entschuldigen, aber ich müsste mit zwei Schülerinnen dieses Kurses sprechen.“, erklärte Miss Levin, „Danielle … Kensi, würdet ihr beide bitte mit mir kommen?“ Danielle warf Kensi einen Blick zu und sah überrascht aus. Kensi zuckte mit der Schulter; ihr war ein Gespräch lieber als der weitere Verlauf der Stunde. „Ich kann die beiden nicht aus dem Unterricht entlassen, Miss Levin!“, widersprach Mister Shereen der jungen Lehrerin hitzig, „Es ist Vorbereitung auf die nächste Klausur und eines der Themen für die Prüfungen.“ „Ich bin sicher, dass die beiden das nachholen werden. Und in den Prüfungen werden sie sich auch für ein anderes Thema entscheiden können.“, meinte Miss Levin beruhigend, ließ die beiden Mädchen durch die Tür treten, verließ den Raum dann selbst und schloss die Tür hinter sich.
 

Sie führte die beiden Mädchen in das große Lehrerzimmer, in dem keine weitere Lehrkraft war. Kensi und Danielle sollten sich auf Stühle an einer der Tischreihen setzen, dann goss Jessica ihnen und sich selbst Kaffee ein und stellte ihnen die Tassen auf den Tisch, schließlich setzte sie sich ihnen gegenüber.

„Es tut mir Leid, dass ich euch beide aus dem Unterricht von Shereen geholt habe.“, entschuldigte sie sich und trank etwas von ihrem Kaffee, „Aber gewisse Umstände benötigen gewisse Maßnahmen und ich vermute mal, dass der Unterricht nicht sonderlich spannend war.“ Kensi nickte und Danielle rollte mit den Augen.

„Danielle hat dir gestern Abend etwas erzählt, richtig?“ Kensi warf Danielle einen Blick zu, dann nickte sie zögernd. „Ich weiß nicht, wie tief sie in die Materie gegangen ist, Kensi, aber du giltst jetzt als eine der Wissenden.“, fuhr Jessica fort und Kensi fragte sich, woher sie davon wusste, „Danielle gehört seit ihrem Umzug einem Rudel an und aufgrund der geringen Zeit gilt sie noch als Neuling.“ „Woher … woher wissen Sie das?“, sprach Kensi nun ihre soeben noch gedachte Frage aus, „Dass sie mir etwas erzählte … und was sie mir erzählte?“ Jessica warf Danielle einen Blick zu, diese ergriff daraufhin das Wort: „Du giltst als Wissende, also sei dir bewusst, dass du das nicht von dir weisen kannst oder gar erzählen darfst.“ Kensi war überrascht, nickte allerdings. „Sie gehört dem selben Rudel an.“

Kensi blickte die beiden ungläubig an, schüttelte den Kopf, so wie es zuvor in Spanisch Mister Shereen getan hatte. Sie hatte Verständnis für eines dieser Fabelwesen in ihrem Umfeld, aber dass sich immer mehr solcher Wesen ihr offenbarten und sie teilweise schon eine ganze Weile mit ihnen gelebt hatte, so wie man es nun einmal mit seinen Mitmenschen tat … Kensi fiel schwer, dieses zu verstehen und zu akzeptieren.

Warum geschah das plötzlich?

„Heute Abend findet ein Treffen des Rudels statt … und als Wissende gehörst du von nun an mit dazu.“, meldete sich Jessica wieder zu Wort, „Die anderen müssen wissen, dass man dir ruhig vertrauen kann.“ „Woher wollt ihr das wissen? Vielleicht habe ich Jason etwas erzählt? Oder meinen Geschwistern? Oder gar Kath?“ „Deine Geschwister würden dir nicht glauben.“, sagte Jessica ruhig, „Noah und Samantha sind wie die meisten anderen auch. Jason würde an dir zweifeln, es aber nicht abstreiten und Kathleen … “ Sie seufzte. „Weißt du, Kathleen würde dich für verrückt erklären und dennoch nachforschen.“ Kensi musste zugeben, dass dem wohl wirklich so sein würde. „Ich werde dich heute Abend abholen und dann werden wir gemeinsam zu dem Treffen gehen, Kensi.“, fuhr Jessica fort, „Wenn deine Familie fragt, weshalb ich erscheine, so werde ich sagen, dass du meine Hilfe bei einem Projekt benötigst.“
 

Und wieder einmal ging für Kensi der Tag viel zu langsam vorüber. Mit gemischten Gefühlen sah sie dem Abend entgegen und sie wusste nicht, was sie von diesem Treffen halten sollte. Jason hatte sich mit ihr treffen wollen, doch zu einem Treffen war es nicht gekommen, da Kensi es abgewehrt hatte. Samantha war zu Lindsay, Jasons kleine Schwester, gegangen und Noah mit einem Freund zum Strand. Kensis Vater war bei der Arbeit, würde aber gegen acht wieder zurück sein, so dass Kensi bis dahin allein im Haus war.

Als Kensis Vater zurück war, wurde er von seiner ältesten Tochter erwartet, die im Wohnzimmer saß und am Klavier spielte. Schon lange hatte Kensi dieses nicht mehr getan, hatte sie es doch von ihrer Mutter gelernt und erinnerte es sie zu sehr an diese. Dennoch, um sich abzulenken, spielte Kensi auf dem Klavier und noch immer, nach all den Jahren, beherrschte sie es.

„Kensi … “

Ihr Vater stellte sich hinter sie, blickte über sie hinweg auf ihre Hände, die unweigerlich und fast automatisch die richtigen Tasten fanden. Sanft legte er seine Arme von hinten um ihre Schultern und zeigte ihr so, dass sie nicht alleine war … auch nicht in ihrer Trauer, die beim Spielen wieder in ihr aufkam. Auch er litt noch immer unter dem Verlust seiner Frau und hatte seit ihrem Tod keine neue Frau an seiner Seite gehabt, nicht einmal eine Freundin. Allerdings gab er sich vor seinen drei Kindern immer stark, ebenso vor dem Rest der Familie, so dass Kensi schon häufiger gezweifelt hatte, ob er seine Frau vermisste … doch schon so manches Mal hatte Kensi ihren Vater nachts leise reden gehört … mit seiner toten Frau. Auch sein Blick, wenn er auf Fotos von ihr sah, sprach deutlich von seinem Schmerz und seiner Trauer.

„Dad?“ Kensi hielt im Spiel inne, drehte sich zu ihrem Vater um. Dieser schien aus seinen Gedanken gerissen worden zu sein und wirkte fast schon erschrocken. „Ich werde gleich von Miss Levin abgeholt.“, erzählte Kensi, „Wegen eines Projektes. Ich weiß nicht, wann ich zurück bin.“ Ihr Vater nickte, lächelte verständnisvoll, doch Kensi fragte sich, ob er es nicht doch nur tat, um seinen Schmerz wieder zu verbergen. „Sam ist bei Lindsay und Noah ist am Strand.“ „Schon gut.“, meinte ihr Vater, „Ihr drei seid sehr selbstständig.“ Und damit hielt er das Gespräch für beendet – die Türklingel bestätigte das, da sie in diesem Moment läutete.

Kensi öffnete die Tür und Jessica trat langsam ein. Sie trug eine dunkle Jeans und ein olivgrün-braunes Top, zu dem sie ein weiteres und längeres weißes Top drunter trug. Ihre Haare hatte sie sich hinter die Ohren geschoben und sie lächelte sie freundlich an. Kensis Vater trat in den Flur, begrüßte die junge Lehrerin und wünschte ihnen viel Spaß und Glück bei dem Projekt, doch Jessica meinte: „Es wird eine Weile dauern. Eventuell kommt Kensi erst morgen wieder.“ Kensis Vater sah die Lehrerin fragend an und auch wenn er keine Frage stellte, so verstand doch jeder im Flur die stumme Frage, die Jessica beantwortete: „Sie wird bei mir übernachten können, Mister Cone. Machen Sie sich keine Sorgen.“

Die beiden verließen das Haus und gingen durch die Straßen. Zunächst schwiegen sie, dann fragte Jessica: „Weißt du, wie ein Wolfsrudel strukturiert ist?“ Kensi überlegte, dann antwortete sie zögernd und nachdenklich zugleich: „Das Alphapaar, dann das Betapaar und die untergeordneten Wölfe, glaube ich. Ganz unten der Omegawolf.“ „Grob zusammengefasst hast du Recht.“, bestätigte Jessica ihr, „Auch bei uns ist es ähnlich. Das Alphatier führt das Rudel. Darauf folgt das Betatier. Da hast du Recht. Die untergebenen Wölfe, wie du es nanntest, gliedern sich in Gammatier, Deltatier und Epsilontier, was allesamt anders als bei Wölfen ist. Dann kommt das Alttier, sofern eines existiert, dann folgt der Jährling, der sich bei uns in Neuling und Omegatier, in anderer Funktion, aufteilt. Soweit verständlich?“ „Das Alphatier leitet das Rudel, das Betatier war einst Leiter und unterstützt. Und die anderen?“, fragte Kensi nach. „Das wird dir nachher noch erklärt. Du sollst nur in etwa wissen, wie es normalerweise bei uns strukturiert ist.“, meinte Jessica.
 

Der Treffpunkt des Rudels war die obere Wohnung einer Buchhandlung. Die Wohnung an sich war nichts besonderes und schon alt, doch Kensi mochte sie. Jessica klärte sie darüber auf, dass sie die Wohnung schon seit ewigen Zeiten als Treffpunkt nutzten, da der Inhaber, Nicolas deRuja, das Betatier des Rudels sei. Ihm gehörte ebenfalls die Buchhandlung, so dass das Rudel im Notfall ohne Probleme Nachforschungen anstellen konnte.

Außer Jessica, Kensi und Nicolas waren bereits drei weitere dort: Charlie, Danielle und ein finster dreinschauender Mann mit schwarzen Haaren, der sich als Dominic Puzo vorstellte. Man erklärte Kensi, dass nicht alle Ränge im Rudel vergeben waren und man nur noch auf zwei weitere wartete. Diese erschienen auch kurze Zeit später: Eine Asiatin mit dem Namen Meilin Kye und ein alter Mann mit dem Namen David Phoenix. Damit bestand das Rudel aus sieben Mitgliedern bei mindestens zehn zu vergebene Posten.

Jeder des Rudels stellte sich Kensi vor.

Nicolas deRuja war einst Alphatier gewesen, doch nach gewissen Zwischenfällen hatte er seinen Posten niedergelegt und den des Betatieres eingenommen. Sein braunes Haar war durchzogen von wenigen grauen Haaren, seine ebenso braunen Augen sprachen die Geschichte seines Lebens. Er wirkte ruhig und zuverlässig und hätte der nette Nachbar von nebenan sein können, wenn nicht die riesige Narbe gewesen wäre, die sich über sein rechtes Auge und die Wange zog. Woher er sie hatte, verriet er allerdings nicht.

Dominic Puzo galt als Gammatier und er erklärte Kensi, dass das Gammatier für Kämpfe und deren Strategien verantwortlich war. Darüber hinaus vertrat er das Rudel in sogenannten Turnieren, die sich hauptsächlich um das Territorium drehten. Sein finsterer Blick zeugte von Stärke und Erfahrung, seine schwarzen Haare waren kinnlang. Er erklärte Kensi, dass er aus einer alten italienischen Familie stammte und diese durchaus mit der Mafia zu vergleichen sei, weshalb er an alles Notwendige für das Rudel, einschließlich Waffen – nicht, dass sie diese je brauchten – oder Informationen kommen konnte.

David Phoenix erklärte, dass er das Alttier des Rudels und der Gründer sei. Er hatte graue Haare, die er hatte lang wachsen lassen und nun zu einem Zopf am Hinterkopf band. Er strahlte etwas Falkenhaftes und Weises aus, seine Haut war braun gebrannt, doch er verriet Kensi, dass er Vorfahren bei den Ureinwohnern Amerikas hatte. David hatte etwas gegen die Verwandlung von Menschen in Werwölfe durch Bisse oder ähnliche Arten und bevorzugte die Art und Weise, wie es bei Danielle geschehen war.

Danielle stellte sich Kensi nicht noch einmal vor, erklärte ihr allerdings noch einmal, dass sie den Rang des Neulings im Rudel hatte. Das bedeutete, dass sie sich erst noch ihren Platz zu erkämpfen hatte, aber dennoch zu ihnen gehörte. Oftmals galt dieser Rang den frisch Verwandelten, doch solch ein Werwolf existierte im Rudel nicht und als Jährling galt Danielle auch schon lange nicht mehr.

Charlie betonte, dass er das Alphatier des Rudels sei. Er wollte nicht als solches betrachtet werden, doch seine Taten hatten ihm einen Ruf erbracht und dem konnte er nicht mehr entfliehen. Viel erzählte er Kensi nicht von sich, meinte aber, dass er die Einstellung von David verfolgte und mit dem Rudel eher die Menschen beschützen als angreifen wollte, weshalb er schon häufiger selbst in Kämpfe mit anderen Rudeln geraten war und gesiegt hatte.

Die junge Asiatin, Meilin Kye, musterte Kensi eine ganze Weile, bevor sie zu sprechen begann. Sie hatte pechschwarze Haare und eisblaue Augen, die unnatürlich für eine Asiatin wirkten, zumal sie diese dick blau ummalte und an sich sehr blass war. Sie kleidete sich schwarz, was sie noch blasser erscheinen ließ und sie von Einwohnern Los Angeles oder den asiatischen Ländern abgrenzte. Meilin war auffallend, doch sie erklärte, dass die meisten sie nicht beachteten. Ihr Rang war der des Deltatieres, ein auf die Jagd spezialisierter Rang. Kensi verstand nicht, weshalb man die auffällige Asiatin auf diesen Rang postiert hatte und man erklärte es ihr auch nicht, so dass sie es einfach hinnehmen musste.

Als letztes stellte sich Jessica vor. An sich wusste Kensi vieles über ihre Lehrerin – abgesehen von dem Fakt, dass sie ein Werwolf war. Jessica berichtete, dass sie keinen der genannten Posten des Rudels inne hatte und auch keinen dieser wollte. Sie gehörte dem Rudel an und das reichte ihr. Darüber hinaus, so betonte Dominic, war sie die Freundin des Alphatieres, was sie im Grunde zum zweiten Alphatier machte, wogegen sie sich sträubte.

Kensi war beeindruckt. Sie hatte etwas Anderes erwartet, doch an sich erschienen ihr die Mitglieder des Rudels als ausgeglichene, freundliche Leute, die wie eine Familie zusammenhielten und gemeinsam Spaß hatten. Auch wenn Dominic Kensi weiterhin finster ansah, so erschien er ihr wie ein großer Bruder, während Nicolas alle mit Getränken und Snacks bei Laune hielt. David sorgte für die Ruhe im Rudel und wirkte fast wie der Vater aller. Meilin hingegen schien Kensi nicht ganz trauen zu wollen, weshalb sie auch nicht all zu viel von sich preisgegeben hatte. Sie musterte sie skeptisch und hielt sich zurück, selbst als man sie ärgerte.

„Ich sagte euch ja, dass ich an diesem Abend jemanden mitbringen würde, der etwas über Werwölfe weiß.“, sagte Jessica schließlich ernst und vermied den Blick zu den anderen, sondern sah nur Kensi an, die sich unwohl in ihrer Haut fühlte, „Ich verschwieg euch, dass sie nur ein Mensch ist. Keiner von uns, keiner von denen.“ Es ging ein Raunen durch das Zimmer und Meilin blickte triumphierend zu Kensi. „Sie ist demnach eine Wissende.“, fuhr Jessica fort, als wenn nichts gewesen wäre, „Und ich lege für dieses Mädchen meine Hände ins Feuer.“

„Das können wir nicht zulassen!“, sprach Meilin laut aus, „Ein Mensch, der etwas über uns weiß! So etwas hat es in diesem Rudel nie gegeben und wird es nie geben!“ „Kensi ist vertrauenswürdig.“, sagte Jessica ernst, „Und es ist besser, sie weiß über uns Bescheid.“ „Nur weil diese Göre ihren Mund nicht hat halten können!“, fauchte Meilin und deutete mit einem Kopfnicken zu Danielle, „Nur wegen ihr!“

„Ruhe!“

Alle zuckten zusammen. Jessica hatte zu einer Antwort auf Meilins Worte angesetzt und Meilin selbst hatte sich erhoben, während Danielle auf ihrem Stuhl sich sichtlich unbehaglich fühlte. David rollte mit den Augen, Dominic war aufgestanden und in Richtung Küche verschwunden und Nicolas schüttelte den Kopf. Charlie hingegen saß ganz ruhig dort, doch seine Augen funkelten bedrohlich und er strahlte eindeutig Macht aus. Jessica schloss den Mund wieder und Meilin setzte sich langsam, wobei beide ihn anblickten.

„Diese Streitereien bringen doch nichts.“, sagte Charlie ernst, „Es mag noch nie einen Wissenden in den Reihen dieses Rudels gegeben haben, aber aufgrund der Geschehnisse der letzten Zeit sollten wir uns auf alles vorbereiten. Danielle wusste, was sie tat und sie hat es abgesprochen.“ Meilin funkelte ihn eisig an. „Ich habe Kensi schon einmal getroffen und ich weiß, dass sie unsere Hilfe brauchen wird. Sehr bald sogar.“

„Die Zeiten sind düster, Charlie.“, erhob David das Wort, „Eine Wissende erschwert und das Handeln. Sie benötigt besonderen Schutz.“ Charlie nickte. „Ich habe weder dem Rudel noch dir etwas zu sagen, alter Freund, aber aber ich erhoffe mir, dass du mich anhörst.“, fuhr David fort und Charlie machte eine auffordernde Geste mit der Hand, „Deine Taten erscheinen mir noch undurchsichtig, aber ich glaube zu verstehen, was du damit bezweckst. Sie ist es, hinter der dieses Mädchen her ist, oder?“ Charlie nickte leicht und Kensi fragte laut: „Wer ist hinter mir her? Welches Mädchen?“ Niemand beantwortete ihr die Frage. „Dann würde ich an deiner Stelle Jess mit der Beaufsichtigung dieses Mädchens beauftragen, Charlie.“

Jessica richtete sich kerzengerade auf und verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie sah nicht so aus, als würde sie dem gutheißen, doch sie nickte leicht und warf Charlie einen kurzen Blick zu. Kensi wusste nicht, welche Position Jessica innehatte, doch sie riet aus dem Blick heraus, dass auch sie Charlie um Erlaubnis bitten musste.

„Jess ist die Lehrerin von Kensi, David.“, erklärte Charlie ruhig, „Wenn die Lehrerin zu viel Zeit mit Schülern verbringt, wird schlecht geredet und ihr Posten ist in Gefahr.“ „Was dann?“, fragte Nicolas, „Meilin wird sich dem nicht opfern, ich muss des Tages arbeiten, Dominic ist ebenfalls zu sehr beschäftigt und David … es sorgt für Aufsehen, wenn ein alter Mann sich häufig mit einem jungen Mädchen trifft.“ „Danielle.“, sagte Charlie ernst, „Danielle wird Kensi in ihre Obhut nehmen.“ „A-aber … !“ „Nicolas, sie mag ein Neuling im Rudel sein, aber gerade deshalb wird es Zeit, dass sie sich beweist. Sie ist im selben Alter, im selben Jahrgang und bereits jetzt scheint die beiden eine Freundschaft zu verbinden. Du hast sie nie im Training gesehen, oder?“ Nicolas schüttelte den Kopf. „Sie würde dir in einem Kampf deinen Rang abstreiten, Nicolas.“

Charlie war die Ruhe selbst. Er sprach ruhig, wenngleich auch ernst. Sein Blick ruhte auf all seinen Schützlingen und er strahlte Autorität aus, auch wenn er dabei gelassen lächelte. Wie ein großer Bruder oder der nette Onkel, den man einfach gern haben musste. Und doch hatte er die volle Kontrolle über die anderen und sie hörten ihm zu. Er könnte Diplomat sein, oder aber ein Richter, der für Ruhe und Ordnung sorgte – die vorherige gereizte Stimmung war verschwunden und sie alle schienen nun in Ruhe diskutieren zu wollen, ohne dass sie dabei aufeinander losgingen.

„Danielle wird von uns allen unterstützt.“, erklärte Charlie, „Aber vor allem Jessica wird sich ihrer annehmen.“ Und damit schien für ihn dieses Thema beendet zu sein, doch Dominic meinte leise: „Demnach wird das wohl zur Chefsache erklärt … “
 

Kensi hatte während des Treffens nicht auf die Zeit geachtet. Nun, da das Treffen beendet war, fiel ihr Blick auf ihre Armbanduhr und sie fluchte leise. Es war bereits nach Mitternacht!

„Keine Sorge.“, sagte Jessica beruhigend, die vor der Buchhandlung neben Kensi getreten war, „Ich sagte ja, dass es spät werden würde und du bei mir übernachtest.“ Sie lächelte Kensi freundlich an. „Nun komm. Von hier aus ist es nicht weit bis zu meiner Wo-“

„Jessica!“

Die Brünette blieb in der Bewegung stehen und drehte sich langsam zu Charlie um, der sie von der Haustür aus gerufen hatte. Er lehnte an der Hauswand neben der Tür, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen seine braune Jacke ihr entgegenhaltend. Jessica blickte ihn fragend an und Kensi sah zwischen den beiden hin und her.

„Du holst dir noch eine Erkältung.“, meinte Charlie, löste sich von der Wand und ging auf die beiden zu, „Nimm meine Jacke.“ „Mir ist warm, Charlie.“, wehrte Jessica ab, „Und du weißt, dass mir nicht so schnell kalt wird.“ Kensi verstand nicht, worauf genau ihre Lehrerin eigentlich wollte. „Die Menschen werden dich fragend anblicken.“, blieb Charlie standhaft, „Auch wenn das hier Los Angeles ist, so sind die Nächte doch kühl.“ Jessica gab nach und nahm ihm seine Jacke ab.

„Ich würde euch beide gerne nach hause bringen, aber ich habe noch ein Meeting mit Lilith.“ „Remy Lilith Baker?“, mischte sich Kensi ein. „Ja. Woher kennst du sie?“ „Ich … also … Kath hat … Ich habe sie mal in einem Café getroffen.“ „Nun denn.“, meinte Charlie und seufzte, „Ich komme dann nachher vorbei.“ Er blickte Jessica an, die leicht nickte. „Soll ich dann Frühstück mitbringen, bevor ihr beide zur Schule aufbre-“

„Oh mein … ! Ich habe meine Schultasche zuhause! Wie soll ich denn dann pünktlich zur Schule?“ „Kein Problem, Kensi.“, versuchte Jessica sie zu beruhigen, „Das wurde bereits erledigt. Deine Sachen sind bei mir.“ „Aber … wie?“ „Du bist eine Wissende, aber alles wissen musst du dennoch nicht.“, meinte Jessica, „Und ja, Brötchen wären super.“ Charlie beugte sich etwas zu ihr herab, Kensi nahm den Blick von den beiden, bis Jessica sie schließlich zum Gehen aufforderte.

… von Charlie war zu dem Zeitpunkt nichts mehr zu sehen.
 

Jessica wohnte in einem kleinen Haus in einer Straße an der mehrere solcher Häuser lagen. Neben dem Weg zur Haustür auf dem Rasen des Vorgartens stand ein großer Baum und an der Hauswand waren links und rechts weiße und rote Rosen gepflanzt. In keinem der Fenster der anderen Häuser brannte Licht und Kensi erinnerte sich unweigerlich daran, dass es mitten in der Nacht war.

Das Innere des Hauses gestaltete sich als hell eingerichtet, die Wände waren weiß, beige oder in passenden Pastellfarben und die Möbel ebenso hell. Nur das Wohnzimmer war ein wenig dunkler: Während die Wände beige gestrichen waren, waren die Schränke aus einem dunklen braun, ebenso wie die lederne Couch und der lederne Sessel. Der niedrige Tisch, um den die Couch und der Sessel standen, bestand ebenfalls aus einem dunklen Holz, besaß allerdings eine Glasplatte. Die Regale waren voller Vasen mit Blumen, Büchern, DVDs und CDs, ebenso hing dort ein großer Flachbildfernseher und ein Kamin war in einer Wand eingelassen.

Fotos zeigten die Brünette mit diversen Leuten, unter anderem waren ein älterer Mann mit einer älteren Frau zu sehen, die beide des Öfteren mit einer weiteren jungen Frau und Jessica auf Bildern erschienen. Die junge Frau von dem Foto war auf einem anderen mit einem jungen Mann zu sehen und Kensi stellte fest, dass Jessica und die junge Frau sich sehr ähnelten.

„Meine Familie.“, erklärte Jessica, der Kensis Blick durchaus aufgefallen war, „Meine Eltern, meine Schwester und mein Schwager.“ „Sie sind die einzi-“ „Kensi, das hier ist nicht die Schule.“, wies Jessica sie an, „Hier bin ich du für dich.“ Kensi nickte langsam, verbesserte sich: „Du bist die einzige, die solch … helle Augen hat.“ „Du hast dich gefragt, von wem ich meine Augenfarbe habe?“ Kensi nickte und Jessica musste lachen, was Kensi verwirrt drein blicken ließ. „Ich weiß es nicht, Kensi.“, antwortete Jessica ihr, „Manche halten es für Nebenwirkungen des Daseins als Werwolf, andere erklären es für völligen Humbug. Danielle hat ebenfalls solch helle Augen und auch Meilins Augen sind unnatürlich hell, doch die der anderen sehr dunkel. Es gibt weitere Mädchen und Frauen mit dunklen Augen und auch Jungen und Männer mit hellen. Es spricht viel gegen die These, aber vieles auch dafür. Ich weiß nicht, weshalb meine Augen so hell sind, aber ein Zeichen meines Daseins sind sie wohl kaum.“

„Kann ich … darf ich … eine Frage stellen?“, erkundigte Kensi sich und ließ sich auf die Couch fallen, während Jessica sich in den Sessel setzte und Kensi abwartend anblickte, „Wie wurdest du zum Werwolf? Ist einer deiner Eltern … sind sie Werwölfe?“ Jessica schüttelte den Kopf, meinte schmunzelnd: „Bewahre, nein. Wenn mein Vater ein Werwolf wäre, würde das im Chaos enden und meine Mutter würde wohl nie wieder so warme und bequeme Socken stricken.“ „Also wurdest du gebissen?“ „Kensi.“ Jessica setzte den selben Blick auf, wie Charlie ihn beherrschte. Ruhig, ernst und vielsagend. Sie strahlte Autorität aus. „Die Verwandlung eines Werwolfes gehört zu den Dingen, die zu der äußersten Privatsphäre zählen. Schätze dich glücklich, wenn dir einer erzählt, wie es dazu gekommen ist, doch frage niemals direkt nach.“ „Entschuldigung … “, murmelte Kensi und senkte den Blick, doch Jessica meinte aufmunternd: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du wusstest es nicht besser.“

Jessica erhob sich, bedeutete Kensi, dass sie dort sitzen bleiben sollte, verließ den Raum und war verschwunden. Kensi war in Gedanken, vernahm allerdings Geräusche von Tassen und Wasser in der Küche. Sie wusste nicht, was Jessica dort tat oder was sie erwartete, doch sie war froh darüber, dass sie jemanden hatte, der ihr in den ersten Stunden nach all den Geständnissen beistand. Ob Jessica nun ihre Lehrerin war oder nicht, sie war Teil dessen, was Kensi so beschäftigte.

Kurze Zeit später kam Jessica zurück in das Wohnzimmer, in der einen Hand zwei Tassen mit heißem Tee und in der anderen Hand eine Schüssel voll Kekse. Sie reichte Kensi eine Tasse, stellte die Schüssel zwischen ihnen beiden auf den Tisch und setzte sich mit ihrer eigenen Tasse in den Sessel, zog die Knie an den Körper und umschlang die Tasse mit beiden Händen.

„Welches Mädchen ist hinter mir her?“, fragte Kensi und blickte in ihren Tee. Diese Frage brannte ihr schon lange auf der Seele und sie hatte sie nicht zu stellen gewagt, doch nun, da sie beide einen gewissen Grad zueinander gefunden hatten … „Wo es Werwölfe gibt, gibt es auch sie. Die natürlichen Feinde der Werwölfe.“ „Vampire.“ „Nicht nur, Kensi.“, korrigierte Jessica sie nachdenklich, „Die Vampire spalteten sich einst in Vampire und Vampyre.“ „Vampyre?“ „Sie trinken viel Blut. Viel zu viel für ihren Wirt. Sie töten ihn. Und das ohne mit der Wimper zu zucken. Sie sind bösartig und das von Natur aus. Es ist in ihnen und sie können es nicht abwenden.“ „Wie trinken dann Vampire?“, erkundigte Kensi sich. „Sie zapfen wenig Blut ab, nehmen Blutkonserven.“, erklärte Jessica, „Die kalten Wesen, so nennt man sie.“ „Und ihr seid die Kinder des Mondes.“ Jessica nickte anerkennend.

„Kath.“ „Was ist mit ihr?“ „Sie ist einer von denen, oder?“ Jessica sagte nichts. „Sie ist ein Vampir.“ „Kensi, du schließt zu schnell von etwas auf andere. Du solltest sie selbst fragen, was sie ist.“, schlug die Brünette vor, „Denn selbst wenn ich Teil des Ganzen bin, so spreche ich nicht für andere.“ „Das heißt aber, Kath ist Teil eurer Welt.“ „Kathleen muss selbst entscheiden, wohin sie gehört.“ Kensi war verwirrt, doch Jessica ließ sich zu keiner weiteren Bemerkung hinsichtlich des kühlen und abweisenden Mädchens bewegen.
 

Am Morgen erwachte Kensi, da sie Geräusche aus der Küche vernahm. Langsam öffnete sie die Augen und wusste nicht, wo sie sich befand. Sie lag auf der dunkelbraunen Couch ihrer Lehrerin, eingewickelt in eine dünne Decke, während das Licht schwach ins Zimmer drang. Kensi konnte den Geruch von Brötchen wahrnehmen und hörte ihren Magen leise knurren.

Vorsichtig und leise stand sie auf und streckte sich. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, versuchte diese wenigstens etwas ordentlich aussehen zu lassen und ging langsam zur Küche herüber, doch bei dem Durchbruch zu dieser blieb sie stehen.

Jessica stand an die hohe Arbeitsplatte gelehnt, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, die andere auf der Platte abstützend. Charlie stand ihr gegenüber an der anderen Arbeitsplatte, an der er sich ebenfalls lehnte, und redete mit gedämpfter Stimme auf seine Freundin ein: „Lilith weiß nicht mehr, was sie mit ihr machen soll, Jess. Sie war nie Mitglied des Clans, aber sie erschien meist zu den Treffen, da die anderen ein Auge auf sie werfen wollten. Ich traf sie vor zwei Nächten und sprach sie auch ihn an.“ „Sie war überrascht?“ „Mehr oder minder, ja.“, bestätigte Charlie, „Aber seine Anwesenheit, die Geschehnisse der letzten Zeit und ihr Verhalten lassen in Lilith Sorgen aufkommen.“

Kensi räusperte sich und trat ein. Charlie blickte sie ruhig und sanft lächelnd an, während Jessica ihr einen guten Morgen wünschte und erklärte, dass sie beide schon gefrühstückt hätten und sie ruhig essen könne. Die Blonde folgte dieser Anweisung, ging gemächlich zum Tisch und begann mit ihrem Frühstück, während die beiden älteren mit ihrem Gespräch fortfuhren.

„Du solltest sie im Auge behalten, Jess.“ „Charlie, ich kann mich nicht in zwei Teile aufteilen.“ „Das Wohl des Rudels und derer, die uns lieb sind, steht auf dem Spiel.“ „Charles Siska.“ Jessica löste sich von der Arbeitsplatte und trat auf ihn zu, den Finger auf seine Brust legend. „Gerade du von allen aus dem Rudel solltest wissen, dass ich das nicht tun kann. Nicht jetzt.“ Charlie blickte sie lange schweigend an, dann nickte er seufzend und richtete den Blick auf Kensi.

„Bereit für eine Aufgabe, Wissende?“

Like a mouse in a trap.

Kensi fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut, doch sie versuchte wie sonst auch einen geregelten Ablauf ihres alltäglichen Lebens hinzubekommen. Mal mehr, mal weniger gut konnte sie verdrängen, dass sie echte Werwölfe kannte, auch wenn sie diese noch nie in verwandelter Form getroffen hatte. Sie glaubte einfach daran, so wie es diese eben taten. Den Unterricht bei Jessica verließ sie fast immer als erste, Danielle versuchte sie so gut wie möglich auszuweichen. Dennoch konnte sie des abends oft die schemenhaften Umrisse des Mädchens ausmachen und spürte förmlich, wie der Blick ihrer Lehrerin während der Schulzeit sie verfolgte.

„Hey Kensi!“

Kathleen hatte seit dem Gespräch im Café kaum ein Wort mit ihr gewechselt, doch nun steuerte sie genau auf Kensi zu und holte diese ein.

„Kath.“, murmelte Kensi und wendete sich wieder ihrem Schließfach zu, ohne großartig Interesse an einem Gespräch mit Kath zu zeigen. „Keks quer gefrühstückt?“, erkundigte Kath sich und ließ sich mit dem Rücken gegen die Schließfächer fallen, „Du bist schon die ganze Woche über so merkwürdig. Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“ „Ich werde einfach nur krank.“, meinte Kensi ernst und schloss ihr Schließfach mit einem lauten Knall, „Das ist alles.“

Sie wendete sich ab, wollte an Kath vorbeigehen, doch Kath löste sich von den Schließfächern und versperrte ihr den Weg. Ihre dunklen Augen ruhten fest auf Kensis blauen und sie schien sie zu röntgen. Kensi drehte den Kopf weg, versuchte den Blick zu ihr vermeiden.

„Du hast Angst vor mir.“, sagte Kath ernst, „Du hast allen ernstes Angst vor mir.“

In ihrer Stimme schwang ein bitterer Unterton mit und Kensi drehte leicht den Kopf, um Kath doch eines Blickes zu würdigen. Diese wirkte angespannt und hatte die Hände zu Fäusten geballt, als wenn sie sich nicht mehr wirklich unter Kontrolle halten könnte. Kensi konnte sehen, dass Kath die Zähne fest aufeinander biss.

Noch bevor Kensi etwas sagen konnte, irgendetwas Entschuldigendes, fuhr Kath herum und ging eilends davon, ohne auch nur ein Wort zu sagen. In Kensi blieb ein Schuldgefühl zurück, auch wenn sie nicht wusste wie sie dieses erklären sollte.
 

Auch der Rest des Schultages ging ähnlich vorbei. Die beiden Mädchen wechselten kein Wort mehr miteinander, Kath vermied den Blick zu Kensi, wenn diese gemeinsamen Unterricht hatten. Trafen sich ihre Blicke, so wendeten sie diese fast augenblicklich wieder voneinander ab. Kensi wich noch immer Danielle so gut es ging aus und sie war froh darüber, keinen Unterricht mehr bei Jessica zu haben. Jason musterte seine beste Freundin kritisch, sagte allerdings kein Wort dazu.
 

Es war bereits kurz nach fünf Uhr, als Kensi das Schulgebäude verließ. Sie hatte der Theatergruppe vor einigen Wochen versprochen, dass sie ihnen aushelfen würde und so hatte die Blonde in die Rolle einer Kriegerin aus einem Tempel einnehmen müssen, die in verschiedenen Szenen auf die Hauptcharaktere des Stückes traf. In eine andere Rolle schlüpfen und die Probleme vergessen zu können, hatte Kensi wirklich gut getan. Sie fühlte sich durchaus besser, auch wenn sie beim Verlassen des Schulgebäudes wieder von ihren Gedanken eingeholt wurde.

„Hallo, Kensi.“

Kensi fuhr herum, als sie die Stimme des Mannes hörte. Er war ein Asiate mit schwarz-braunen Haaren und sehr dunklen Augen und Kensi konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Woher also kannte er ihren Namen? Doch ihre Gedanken wurden vertrieben, als er ihr immer näher kam, dann genau vor ihr stehen blieb und sie fest im Genick packte. Alles in ihr schrie danach, dass sie sich wehrte und dann floh, doch ihr Körper reagierte nicht. Auch nichts, als er den Kragen von Kensis T-Shirt ein wenig zur Seite schob und ein Stück ihrer Schulter dadurch freilegte.

„Was … was soll das …. ?“, fragte Kensi, noch immer unfähig sich zu bewegen.

Sie hörte ein tiefes Lachen, spürte den kalten Atem des Asiaten auf ihrer Schulter und dann spürte sie einen stechenden Schmerz, der ihr von der Schulter aus durch den ganzen Körper schoss und ihr Tränen in die Augen trieb. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte ihr, sie wollte fliehen, doch ihr Körper reagierte nicht. Ihre Beine gaben nach, doch bevor sie gänzlich zu Boden ging, fing der Asiate sie auf, hob sie hoch und ging dann mit ihr davon, während Kensi langsam die Augen zufielen.
 

„Kensi! Wo bist du?!“

Danielle hatte Kensi an der Schule abfangen wollen, doch der Verkehr war ihr dazwischengekommen, so dass sie sich etwas verspätet hatte. Kensi war nicht vor der Schule gewesen, doch dort hatte die Schultasche des Mädchens gelegen. Danielle hatte sie aufgehoben und sich dann suchend umgesehen, doch nichts Auffälliges entdeckt. Einzig und allein ein ungutes Gefühl ließ sie unruhig werden.

Sie blickte sich noch einmal kurz um, dann lief sie so schnell sie konnte mit der Tasche zum Lehrerparkplatz. Dort hoffte sie, dass Jessica noch in der Schule war und sich ihrer annahm, um ihr zu helfen. Sie machte sich nicht nur wegen dem unguten Gefühl und der Tasche Sorgen um Kensi.

„Jess! Jess!“, rief sie, kaum war sie in Nähe des Lehrerparkplatzes und konnte die junge Lehrerin sehen. Diese drehte sich herum, blickte Danielle an und schüttelte leicht den Kopf. „Du weißt, in der Nähe des Schulgeländes bin ich immer noch Mis-“ „Vergiss diese Formalitäten, Jess!“, unterbrach Danielle sie aufgebracht, „Das fand ich vor der Schule.“ Jessica musterte die Tasche kurz, die Danielle ihr hochhielt. „Es ist Kensis. Und von Kensi keine Spur.“

Jessica warf ihre eigene Tasche in ihr Auto, dann schloss sie die Autotür und lehnte sich dagegen, das Mädchen nachdenklich anblickend. Es kam zwar vor, dass Schüler ihre Schultasche vergaßen, doch Kensi war eigentlich keine Kandidatin für solch etwas. Darüber hinaus hatte Kensi sich die gesamte Woche über merkwürdig verhalten …

„Das ist nicht gut.“, meinte sie mit gedämpfter Stimme. „Sag ich doch!“, meinte Danielle aufgebracht, „Ich habe ein ganz ungutes Gefühl dabei … und ich befürchte, dass du mit deiner Theorie doch Recht hast.“ „Wo hast du sie gefunden?“ „Auf dem Schulhof, nahe des Eingangs zum Schulgelände.“, antwortete Danielle.

„Hast du sie versucht auf dem Handy zu erreichen?“, erkundigte Jessica sich und Danielle griff in die Tasche und zog Kensis Handy heraus, „Bei ihr zuhause?“ „N-Nein.“ „Dann solltest du das tun, Dani.“ Danielle nickte, holte ihr eigenes Handy hervor und wählte die entsprechende Nummer, dann führte sie ein kurzes Gespräch und schüttelte enttäuscht den Kopf. Auch dort war Kensi nicht.

„Charlie.“, murmelte Jessica leise, „Er erwähnte so etwas in der Art.“ „Er ahnte, dass sie verschwinden wird?!“ „Nein, Dani.“, versicherte Jessica ihr, „Es gab aufgrund von Kaths Verhalten einige Unstimmigkeiten und Sorgen im Clan. Sie ist, was sie ist … und das ist nicht ganz ungefährlich.“ „Du meinst, dass Kensi bei Kath ist?“ „Ich bezweifle das.“, antwortete Jessica und blickte sie nachdenklich an, „Auch wenn die beiden heute anscheinend einen Streit hatten, so weiß ich, dass Kath das bei ihr nicht tun würde. Nicht so offensichtlich in unserer Nähe. Aber es gibt da noch jemanden … und die Gerüchte um die Prophezeiung werden immer mehr.“

„Caihong Jin.“ Jessica nickte. „Ich hörte, dass er in der Stadt ist, aber was ist so gefährlich an ihm?“ „Er ist ein Vampyr, Dani.“, erklärte Jessica der Jüngeren, „Schneller, stärker und gefährlicher als alle anderen und das, obwohl er erst einundzwanzig ist. Einundzwanzig in der Rechnung der Menschen und unserer. Ich kenne ihn zu wenig um seine Stärke einschätzen zu können und auch sein Können vermag ich nicht zu beurteilen, aber es ist offensichtlich, dass er am meisten gesucht wird. Er war vor kurzem bei Charlie und hat mit ihm und Lilith gekämpft. Die Vampire sind alarmiert.“
 

Kensi kam langsam wieder zu Bewusstsein. Sie wusste weder, wo sie war, noch wie sie dorthin gekommen war, noch wie lange sie dort überhaupt schon war. Ihre Schulter fühlte sich taub an und als sie ihre Hand darauf legte, kamen langsam die Erinnerungen hoch. Ein junger Asiate hatte sie angesprochen und dann – sie wollte es kaum glauben – gebissen. Irgendetwas war dabei geschehen, denn sie hatte das Bewusstsein verloren und war in diesem Zimmer, in dem sie sich befand, aufgewacht.

„Lass mich rein, Cai!“ Kensi blickte sich verwirrt um, als sie eine ihr bekannte Stimme gedämpft vernahm. Anscheinend war sie nicht alleine und der Asiate schien Besuch bekommen zu haben. „Allison, im Moment passt es mir nicht.“ „Weißt du eigentlich, dass das Rudel wegen irgendetwas nach dir sucht? Sie sind in Aufruhr!“ Eine kurze Pause trat ein, dann hörte Kensi die Stimme des Asiaten: „Meine bloße Anwesenheit gefällt ihnen nicht. Nur, weil ich das bin, was ich bin.“ „Du tötest sie.“ Kensi fuhr ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Sprach man über sie? „Du bist ein Teil meiner Welt, Allison. Auch du hast einst getötet. Du hast getötet, wer dir nahe stand und deiner Kraft nicht gewachsen war.“

Kensi schluckte. Zwar wusste sie nicht, wer Allison war – auch wenn sie die Stimme zu kennen meinte -, so wusste sie doch, dass sie weder den Mann noch die Frau unterschätzen durfte. Anscheinend war sie an Mörder geraten und das bereitete ihr Sorgen. Würde sie durch die Hand einer der beiden sterben, oder würde man sie finden? Danielle sollte doch mit Hilfe von Jessica auf sie aufpassen … auch wenn sie die beiden von sich gestoßen hatte, so hatte sie Danielle immer in ihrer Nähe ausmachen können. Waren die beiden schon auf ihrer Spur? Würden sie sie rechtzeitig finden und retten?

„Wir sehen uns heute Abend, Caihong.“, vernahm sie die Stimme von Allison, „Und bis dahin pass auf dich auf.“ „Du auch, Ally.“, ertönte Caihongs Stimme, dann war Stille und Kensi hörte, wie sich Schritte ihrem Raum näherten. Aus diesem Grund schloss sie die Augen und stellte sich bewusstlos.
 

„Such Kathleen.“, wies Jessica Danielle an, „Sie wird dir wegen Kensi helfen. Hoffe ich.“ „Was machst du?“ „Das Rudel ist informiert.“, berichtete Jessica, „Ich werde mit Charlie auf die Suche gehen.“

Danielle musterte Jessica eine Weile skeptisch, dann meinte sie: „Du lässt mich nicht auf die übliche Art mit dir Kontakt aufnehmen, seit Kensi über uns Bescheid weiß, du weichst mir aus. Irgendetwas weißt du und du willst es mir nicht mitteilen.“ „Dani, ich habe nicht immer die Befugnis, dir alles mitzuteilen. Du bist ein Neuling, ich bin … “ „Was genau bist du eigentlich?“, hakte Danielle nach, „Deine Stellung im Rudel ist mir ziemlich unklar. Du bist zwar die Freundin von Charlie, aber kein Alphatier. Was also … ?“ Jessica blickte sich kurz um, dann antwortete sie mit gedämpfter Stimme: „Noch ist nicht die Zeit für Antworten, Dani. Nicht aufgrund deines Ranges, sondern weil die Zeit noch nicht reif ist. Sogar die anderen aus dem Rudel wissen es nicht genau.“ „Charlie?“ „Er weiß es.“, erklärte Jessica ruhig, „Aber er hält die anderen für mich hin. Bei Diskussionen deshalb werde ich als zweites Alphatier genannt, immerhin bin ich an seiner Seite, aber ich bin das nicht.“

Danielle öffnete den Mund für eine weitere Frage, doch Jessica brachte sie mit einem Handzeichen zum Schweigen und sagte mit ernstem Tonfall: „Such Kathleen. Wenn meine Befürchtung stimmt, dann kann sie uns am ehesten weiterhelfen. Sie ist selbst zum Teil einer … “ Danielle nickte, reckte den Daumen, dann lief sie los, während Jessica in ihren Wagen stieg und ebenfalls losfuhr.
 

Auch wenn die Brünette sich gegen die Mithilfe von Kath sträubte, so sah sie ein, wie wichtig diese Hilfe war. Allerdings stellte sich die Suche nach dem blonden Mädchen als schwer heraus, denn egal wo Danielle ihre suche startete, eine Spur oder ein Zeichen gab es nicht. Allerdings wurde das Mädchen bei jeder Bewegung genau beobachtet, auch wenn sie selbst das nicht bemerkte.

„Abgesehen davon, dass du dich in unser Territorium verirrt hast, solltest du aufpassen, was du machst.“

Danielle zuckte zusammen und fuhr herum. Vor ihr standen zwei breitschultrige Männer, von denen einer ein T-Shirt mit einem Bandlogo trug und der andere seinen nackten und muskulösen Oberkörper zeigte. Der Mann mit dem T-Shirt hatte lange blonde und zerstrubbelte Haare und einen drei-Tage-Bart, während der andere kurze und dunkelbraune Haare hatte. Beide hatten sie braune Augen, allerdings war die Intensität unterschiedlich.

„Sollte ich?“, fragte Danielle herausfordernd und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, wobei sie allerdings noch immer um einiges kleiner als die beiden Männer war. „Niña de la luna.“, sagte der Blonde ernst, „Man erkennt euch doch sofort.“ „Dann darf ich annehmen, dass ihr kalte Wesen seid?“ Der andere Mann nickte und meinte mit tiefer Stimme: „Liliths. Wir sind Children of the Night.“

„Es gibt einen Grund für meinen Aufenthalt in eurem Gebiet.“, versuchte Danielle zu erklären. „Unser Gebiet, unsere Spielregeln.“, meinte der Dunkelhaarige, „Selbst hier auf offener Straße beachtet uns niemand. Unsere Macht.“ „Spielt euch nicht so auf.“, meinte Danielle abweisend, „Sie beachten euch sehr wohl. Zwei Männer mit offensichtlicher Bandenangehörigkeit und eine junge Schülerin. Das erweckt das Interesse der Menschen.“ Beide Männer warfen sich kurze Blicke zu. „Ihr seid doch nicht wirklich so doof, wie ihr tut, oder?“ „Na warte … du Gör-“

„Lass das Mädchen in Frieden!“

Der Blonde, der Danielle hatte in Ärger packen wollen, blickte erschrocken auf das blonde Mädchen, welches seine Faust mit bloßer Hand abgefangen hatte. Sie war aus dem Nichts zwischen ihnen erschienen und funkelte die beiden Männer finster und herausfordernd an.

„Ich warne euch nur einmal.“, meinte sie drohend, „Und wenn das nicht reicht, werde ich euch Lilith auf den Hals hetzen.“ „K-K-Kathleen!“, rief der Dunkelhaarige aus und wurde um einiges blasser unter seinem sonnengebräunten Teint, „Liliths Schützling!“ „Ich war nie ihrer und ich werde es nie sein.“, meinte Kath kühl, „So wenig, wie ich im Clan bin.“

„Kath.“ Kath drehte den Kopf und blickte Danielle fragend an, dann fragte sie ernst: „Was willst du noch hier? Verschwinde. Das hier ist keine Gegend für dich.“ „Ich habe nach dir gesucht.“, erklärte Danielle und bewegte sich kein Stück. „Nach mir?“, fragte Kath, dann blickte sie die beiden Männer wieder an, „Selbst wenn sie euch reizt … meldet sie und sie wird verschwinden.“ Und damit griff sie Danielle am Handgelenk und zog sie mit sich mit.
 

„Was ist so wichtig, dass du dich in das Gebiet von Lilith begibst und dich mit zwei Männern ihrer Sorte anlegst?“, erkundigte Kath sich, nachdem sie Danielle ein ganzes Stück weit mit sich gezerrt hatte und nun los ließ. „Kensi.“ „Kann das Mädchen nicht auf sich selbst aufpassen?“ Kath klang gelangweilt und rollte mit den Augen. „Sie ist verschwunden.“, sagte Danielle ernst, „Ihre Tasche lag vor der Schule, aber keine Spur von ihr. Ich habe Jess informiert, die meinte, ich sollte dich fragen.“ Sie hielt kurz inne, während Kath sie auffordernd ansah. „Na ja … und sie befürchtet, dass das auf das Konto von Caihong Jin gehen könnte.“ „Caihong?“, fragte Kath und klang dabei spöttisch, „Warum sollte sich so ein Kerl für Kensi interessieren? Am Äußeren mag es nicht liegen und besondere Fähigkeiten besitzt sie auch nicht.“ „Fakt ist, dass Kensi verschwunden und Caihong in der Stadt ist, Kath.“, erinnerte Danielle Kath, „Und da du eben zum Teil das bist, was auch er ist, verlange ich deine Hilfe.“ Kath blickte Danielle schweigend und nachdenklich zugleich an.

„Kensi ist deine Freundin.“, beharrte Danielle, „Und auch wenn sie sich die gesamte Woche über nicht wie sie selbst verhalten hat … Sie ist noch immer Kensi Cone, ein neunzehn Jahre altes Mädchen, eine Schülerin unseres Jahrgangs … eine Freundin.“ „Wenn er sie wirklich hat … “, begann Kath nachdenklich und sie wirkte mit einem Mal besorgt, „ … dann wird er sie töten. Sie hat keine für ihn interessanten Fähigkeiten, weshalb er sie zu einer von uns machen würde. Und wenn er das noch nicht getan hat, so wird er es bis … “ Sie unterbrach sich, doch Danielle schien neugierig geworden zu sein: „Bis was, Kath? Du weißt etwas, oder?“ Kath schüttelte den Kopf und widersprach ihr: „Ich habe nur Gedanken laut ausgesprochen. Es ist ja nicht so, als gäbe es ein Verfallsdatum für Wirte.“ Danielle blickte sie verwundert an, schwieg daraufhin allerdings.

„Ich … habe eine Idee, wo ich eventuell Informationen herbekommen könnte.“, meinte Kath mit gedämpfter Stimme. „Gut, warum dann nicht gleich los?“ „Ziemlich große Abneigung gegen Werwölfe.“, wehrte Kath ab, „Und auch ich bin nicht sonderlich gern gesehen. Geduldet, da Lilith ein Auge auf mich wirft, aber nicht akzeptiert und respektiert.“ „Also gehst du nur alleine?“ Kath nickte und meinte ernst: „Und folge mir nicht. Wenn ich mit jemandem deiner Sorte dort auftauche, war alles umsonst.“ Danielle seufzte, nickte aber zustimmend.

„Kennst du in Venice am Venice Beach den kleinen Musikladen?“, erkundigte Kath sich. Danielle überlegte, dann nickte sie langsam. „Geh dorthin und sage der Händlerin dort, dass ich dich geschickt habe. Sie wird dich wahrscheinlich ein wenig ausfragen, aber ihr kannst du vertrauen, sie ist eine Neutrale und Teil von uns.“, trug Kath der Brünetten auf, „Wenn alles gut läuft, bin ich innerhalb der nächsten zwei Stunden ebenfalls dort. Sie wird dich auch nach Ladenschluss dort warten lassen. Mach es, es ist sicherer.“ Danielle nickte und Kath wendete sich ab und lief davon, während auch Danielle sich langsam auf den Weg machte.
 

Kensi hörte, wie die Tür zu dem Zimmer aufging, in dem sie sich befand, und ein kühlerer Luftzug wehte durch das Zimmer. Sie hörte sich nähernde Schritte und spannte unwillkürlich jeden Muskel in ihrem Körper an, hielt die Augen weiterhin geschlossen.

„Wie du dich doch bewusstlos zu stellen versuchst.“, hörte sie Caihong direkt neben ihr sagen, „Aber das bringt dir nichts. Deine Angst verrät dich, Kensi Cone.“ Kensi öffnete langsam die Augen, nur um Caihong direkt ins Gesicht zu sehen. Dieser sah siegessicher aus, aber seine Augen strahlten etwas Eisiges aus. Und das jagte ihr einen eisigen Schauer den Rücken hinab.

„Ein Mensch ist für einen wie mich nur ein Wirt. Frisches Blut und das in vielen Litern. Frisches, warmes Blut.“, sagte Caihong, „Dein Leben ist für mich nur eine Nahrungsquelle, die erlischt, sobald ich mich gelabt habe.“ „Vam-Vampyr … ?“, brachte Kensi mühsam über ihre Lippen und ihre Stimme zitterte und klang heiser. Caihong nickte, dann erhob er sich langsam aus seiner Hocke und richtete sich auf, wobei Kensi seiner Bewegung mit den Augen folgte.

„Du wärst tot.“, sagte er, „Wäre da nicht etwas, was mich davon abhält.“ „Was?“ Kensi nahm allen Mut zusammen, um diese Frage so eisig klingen zu lassen, wie es nur irgendwie ging. „Einige der Wesen der Nacht haben besondere Fähigkeiten. Diese kann man schon vor der Verwandlung erkennen, zumindest kann und meine ich das. Und nur diese sind es zu leben wert.“ „Worauf willst du hinaus?“ „Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas ist an dir. Eine Fähigkeit. Und aus diesem Grund werde ich dich zu einer von uns machen.“

„Das wirst du nicht!“, fauchte Kensi heiser, „Die Werwölfe werden es verhindern!“ „Die wissen doch nicht einmal, wo ich mich hier in der Stadt aufhalte.“ „Oh doch! Sie haben zwei von ihnen auf mich angeset-“ „Danielle Brennan, einen Neuling.“, unterbrach er sie und grinste amüsiert, „Ich weiß. Eine Geborene.“ Kensi sah ihn verwirrt an. „Und Jessica Brooke Levin.“, fuhr Caihong unberührt fort, „Die extrovertierte und doch unantastbare Freundin des Alphatieres.“ Kensi schluckte. Woher wusste er das?

Ein lautes Klopfen war zu hören und Caihong seufzte. Er warf Kensi einen kurzen Blick zu, dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Kensi war wieder allein im Zimmer und sie vernahm die gedämpften Stimmen von Caihong und seiner Besucherin, die anscheinend wieder Allison war.

„ … das Mädchen ist verschwunden und darum sind sie noch alarmierter. Danielle kam zu mir und hat mich um Hilfe gebeten, weil Jessica dich für den Übeltäter hält.“ „Kaum bin ich hier, bin ich der Bösewicht.“ „Cai, das ist eine ernste Angelegenheit.“, warnte ihn das Mädchen, „Sag mir bitte, dass du Kensi nicht entführt hast.“ „Traust du mir das zu, Allison?“

Kensi wurde mit einem Mal, als das Mädchen ihren Namen nannte, bewusst, wer Allison war. Es war Kath, die blonde Einzelgängerin, mit der sie sich am Morgen noch gestritten hatte. Sie verstand nicht, inwiefern Kath mit Caihong verbunden war, doch die beiden kannten einander und das besorgte Kensi. Allerdings ließ es sie auch ein wenig Hoffnung schöpfen.

„Kath!“, rief sie so laut ihre heisere Stimme es ihr erlaubte, „Ich bin hier!“

Kensi konnte hören, wie Kath etwas zu Caihong sagte und dann innehielt, nur um den Asiaten dann zu fragen, was das gewesen sei. Dieser schob es auf die Nachbarn, doch Kensi vernahm, wie Kath an ihm vorbeizukommen versuchte. Allerdings hörte sie auch, wie Caihong sie zurückwies und anscheinend gab es ein kleines Gerangel zwischen den beiden.

„Ich komme wieder, Caihong.“, warnte Kath ihn kühl, „Und dann habe ich Danielle bei mir.“ „Als ob so ein Neuling einem vollwertigen Vampyr wie mir mit meiner Ausbildung etwas antun könnte.“ „Unterschätze die Werwölfe nicht, mein Lieber.“, meinte Kath, „Hast du einen bei dir, sind auch all die anderen da.“ „Du gehst also ein Bündnis mit deinen größten Feinden ein?“ „Mein größer Feind, Caihong, ist etwas ganz anderes.“, widersprach Kath, dann hörte Kensi, wie eine Tür kraftvoll ins Schloss fiel.

„Du bist eine wirklich wichtige Person in diesem Spiel.“ Caihong kam wieder in das Zimmer zurück. „Meine Freundin verbündet sich für dich mit den Wölfchen. Aber im Grunde müsste sie wissen, dass keiner von ihnen mir gewachsen ist.“ Kensi sagte nichts. „Du wirst Angehörige meiner Rasse.“, sagte Caihong, „Und da wird mich niemand von abhalten können.“

Er näherte sich Kensi, packte sie am linken Oberarm und zog sie auf die Beine. Die Blonde versuchte an die Wand hinter sich zurückzuweichen, doch er ließ ihr keine Chance und hielt sie fest. Langsam und mit festem Griff zog er sie näher zu sich und Kensi spürte, wie die Hitze durch ihren Körper schoss. Einzig und allein ihre Schulter fühlte sich eiskalt und taub an.

„Ein ungefährlicher Biss. Nur ein wenig zur Bewusstlosigkeit.“, murmelte Caihong und strich mit der freien Hand über Kensis Schulter. Kensi versuchte sich loszureißen, doch sein Griff war unlösbar. Sie kämpfte immer mehr dagegen an, doch Caihong ignorierte es, näherte sich mit seinem Mund ihrer Schulter und Kensi schloss die Augen, als sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Alles, was sie sich in diesem Moment wünschte, war nichts weiter, als dass es vorbei war.
 

„Dani!“

Danielle lehnte an den Tresen des kleinen Musikladens am Venice Beach und redete mit der alten Besitzerin dessen. Diese war, kaum hatte Danielle ausgesprochen, was Kath ihr aufgetragen hatte, wie eine Großmutter und redete mit einem breiten Lächeln mit ihr. Sie hatte erfahren, dass die alte Frau Maria Merio hieß und ein Vampir war. Allerdings gehörte sie keinem Clan an und hatte auch einiges für Werwölfe über. Darüber hinaus hatte sie Kath einiges lehren können und kannte das Mädchen schon eine ganze Weile.

„Allison Kathleen.“ Maria lächelte die Blonde erfreut an. „Dein letzter Besuch ist lange her.“ Kath nickte knapp. „Alles in Ordnung mit deinem Freund?“ Danielle sah überrascht von Maria zu Kath und zurück, dann fragte sie grinsend: „Freund? Kath hat einen … Freund?“ „Maria versteht gerne einiges falsch.“, wehrte Kath ernst ab, „Und selbst wenn, würde sie mit niemandem darüber reden. Richtig, Maria?“ Die alte Frau nickte.

„Ich weiß, wo Kensi ist.“, fuhr Kath fort, „Oder eher gesagt, ich bin mir ziemlich sicher. Unsere Lehrerin lag gar nicht mal so falsch mit ihrer Vermutung.“ „Caihong Jin?“ Maria räusperte sich und sowohl Kath als auch Danielle blickten sie fragend an. „Er ist ein Vampyr, ausgebildet von Shaolin Mönchen in China und ursprünglich aus Süd-Korea stammend.“, meinte Maria, „Der gefährlichste und am meisten gesuchteste Vampyr aller Zeiten und erst 21 Jahre jung. In der Zählung der Menschen.“ „Caihong hat nicht, was ich habe.“, widersprach Kath, „Werwölfe und meine Kräfte.“

„Aber niemand weiß, wo er sich aufhält.“, warf Danielle ein, doch Kath hob beschwichtigend die Hand und meinte fast schon gelassen: „Niemand hat meine Informationsquelle.“ „Aus erster Hand.“, stimmte Maria zu, „Doch der Preis ist dafür hoch, Kathleen. Bist du dir im Klaren über dein Handeln und die Konsequenzen?“ Kath nickte. „Für einen Menschen?“ „Für Kensi.“, sagte Kath bestimmt und erwiderte Marias ernsten Blick ebenso ernst, „Selbst wenn sie kein Mensch wäre.“

„Und wie gehen wir es an, Kath?“, erkundigte Danielle sich und ließ ihren Blick von Maria zu Kath wandern. Diese blickte sie aus klaren und vor Tatendrang fast leuchtende Augen an. „Nimm Kontakt zu Charlie und Jessica auf. Sag ihnen, was ich dir dann verkünde.“ „In Ordnung.“, meinte Danielle, machte ein konzentriertes Gesicht und nickte dann. „Caihong ist hier am Venice Beach. Sie sollen in etwa einer halben Stunde mit dem gesamten Rudel dort erscheinen, wo wir uns dann auffinden. Ausfindig machen können sie dich, oder?“ „Allein du bist leicht zu finden.“, meinte Danielle. „Sie müssen das Rudel dort teilen. Eines geht von hinten, eines von vorne. Sie sollen auf mein Kommando warten – wir beide gehen vom Dach aus.“, fuhr Kath fort, „In Ordnung?“ Sie wartete und beobachtete Danielle, die anscheinend alles irgendwie den anderen Werwölfen mitteilte, dann nickte sie wieder.

„Dann auf, Dani.“, forderte Kath sie auf, „Wir haben einem Vampyr in den Hintern zu treten und ein Mädchen zu retten.“ „Darauf kannst du dich verlassen!“, meinte Danielle grinsend. „Passt auf euch auf, Mädchen.“, sagte Maria besorgt, „Denn eurer Freundin läuft die Zeit davon.“

Rescue me from what I become.

„Sagte sie das aufgrund ihres Wissens über Caihong?“, fragte Danielle Kath, als die beiden auf dem Weg zu Caihongs Aufenthaltsort waren, „Dass Kensi die Zeit wegläuft?“ „Maria besitzt eine Fähigkeit.“, erklärte Kath ernst und blickte dabei stur nach vorne, „Sie kann nach ihrem freien Willen bestimmen, wessen Zukunft sie sehen will. Anscheinend wollte sie die von Kensi sehen … Immerhin kommt solch ein Kampf von Werwolf und Vampir gegen Vampyr nicht häufig vor.“ „Also wird Kensi sterben, egal was wir tun?“ „Nicht unbedingt. Auch wenn Maria die Zukunft vor Augen hat, so kann diese durch Entscheidungen verändert werden.“, meinte Kath und rang sich ein schwaches Lächeln ab, „Die Zukunft lässt sich ändern … das ist der freie Wille der Wesen dieser Welt.“

Sie bog in eine recht dunkle Seitengasse und blieb dann vor einer hohen Mauer stehen. Danielle stellte sich neben sie und blickte sich in der engen Sackgasse um.

„Ruf sie her.“

„Wir sind bereits hier.“, ertönte Jessicas Stimme hinter Kath, „Ihr seid leicht zu finden.“ „Wir wollten gefunden werden.“, verteidigte Kath sich, „Teilt euch in zwei Gruppen auf. Auf der anderen Seite des Gebäudes ist eine weitere Seitengasse und dort gibt es eine Hintertür. Nutzt diese und den Vordereingang.“ Niemand fragte, woher Kath diese Informationen hatte. „Danielle und ich bilden die Vorhut. Wir kommen vom Dach aus. Ich lasse euch über Danielle ein Kommando geben, daraufhin stürmt ihr das Gebäude.“ Jessica warf Charlie einen kurzen Blick zu, dieser nickte.

„Caihong dürfte euch bekannt sein.“, fuhr Kath fort. „Natürlich.“, meinte Charlie, hob seine linke Hand und ließ seinen Ärmel ein wenig zum Ellenbogen gleiten, „Die Narbe wird nie verschwinden. Als einziges.“ „Er ist im Nachteil, denn wir sind ihm zahlenmäßig überlegen und keiner von uns ist schwach.“, erklärte Kath, „Aber passt dennoch auf.“

„Können wir ihr wirklich vertrauen?“ Meilin musterte Kath eisig aus ihren eisblauen Augen heraus. Sie hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und hielt sich am meisten von all den Mitgliedern des Rudels im Hintergrund. „In diesem Fall schon.“, meinte Jessica ernst. „Ich sagte doch, dass diese Göre nichts als Ärger machen wird.“ „Meilin, für ihre Entführung kann Kensi nichts.“, verteidigte Jessica Kensi, „Und selbst wenn, allein die Gemeinschaft von Kathleen und uns angesichts von Caihong ist es wert. Wir überschreiten Grenzen. Unsere eigenen. Und zwar aufgrund eines gemeinsamen Fein-“

„Danielle und ich gehen dann mal.“, sagte Kath laut, „Wir müssen immerhin noch da hoch.“ Sie deutete mit dem Finger in Richtung Dach, setzte ein Grinsen auf, packte das kalte Metall der Feuerleiter und erklomm diese in einer menschenfernen Geschwindigkeit. Danielle folgte ihr, allerdings nicht in solch einem hohen Tempo.
 

„Wenn wir auf Caihong treffen … “, meinte Kath, kaum waren die beiden oben und steuerten auf den einzig möglichen Weg dort oben ins Haus zum „ … überlässt du ihn mir.“ „Kath, nach allem, was ich gehört habe, ist er zu stark für dich.“ „Ich habe noch eine Rechnung mit ihm offen.“, meinte Kath ernst und öffnete langsam die Tür, „Und außerdem muss jemand Kensi aus dem Gebäude führen.“ „Klingt, als hättest du ihn schon einmal getroffen.“ Darauf sagte Kath nichts, sondern sie führte Danielle stur und schweigend weiter durch die Gänge und Flure.
 

Zur selben Zeit schien Kensis ganzer Körper von innen heraus zu brennen. Sie durchlitt höllische Qualen, versuchte von Caihong wegzukommen und schrie vor Schmerzen. Alles in ihr schmerzte, alles in ihr schien zu brennen. Sie hatte das Gefühl, als wenn die Wände ihr immer näher kamen, das gedämpfte Licht im Raum wirkte bedrohlich und erdrückend und Kensi fiel das Atmen schwer. Es war, als wenn man ihr ein dichtes Stofftuch auf Mund und Nase presste.

„Spüre, wie du zu einer von uns wirst!“, forderte Caihong sie auf und blickte sie triumphierend an. Kensi versuchte ihn wegzustoßen, doch so ganz gehorchten ihr ihre Hände nicht. Ihre Knie gaben ein weiteres Mal nach und sie ging zu Boden, hielt sich allerdings mit dem Oberkörper aufrecht. „Noch kämpfst du dagegen an, aber es ist zwecklos.“ „Ich werde erst zu jemand anderes, wenn ich das will … !“, knurrte Kensi zwischen zusammengepressten Zähnen, dann überkam sie eine neue Welle des Schmerzes und sie schrie in Qualen auf.
 

Kath hob die Hand und brachte Danielle damit zum Stehen. Die beiden Mädchen wechselten einen kurzen Blick, dann nickten sie entschlossen und liefen wieder los. Sie beide hatten Kensis Schrei vernommen und er verhieß nichts Gutes.

„Gib den anderen Bescheid und dann verwandle dich.“, forderte Kath Danielle beim Laufen auf, „In Werwolfform bist du um einiges effizienter.“ Danielle rollte mit den Augen, nickte allerdings und gab dem Rudel Bescheid. „Und nun verwandle dich schon.“, meinte Kath, „Ich sehe auch nicht hin.“ „Sehr witzig.“, sagte Danielle und zog eine Grimasse, doch sie kam Kaths Forderung nach.

Neben Kath lief ein etwa hüfthoher Wolf mit leichten und geschmeidigen Schritten her. Der Wolf war von einem creme-weißen Grundton mit grau-schwarzer und brauner Musterung einem hellen Gesicht und Bauch. Die Rute war hellbraun bis creme-weiß mit schwarzer Spitze, die Ohren waren braun, die Nase pechschwarz. Die Augen hatten noch immer die undefinierbare blau-grau Färbung wie die von Danielle, allerdings veränderten sie sich je nach Lichtstrahlung und erschienen so beige wie die Rute bei Licht erschien.

„So siehst du also als Wolf aus.“, meinte Kath, die Danielle aus den Augenwinkeln heraus beim Laufen gemustert hatte, „Dann wollen wir die Party mal beginnen.“

Die beiden standen vor einer Tür und Kath grinste Danielle vielsagend an, dann hob sie die Hand und klopfte mit den Fingerknöcheln dagegen. Ein Schrei war von drinnen zu hören, dann ein Fluchen und kurz darauf öffnete Caihong die Tür; er blickte Kath verärgert an und fragte gereizt: „Was ist denn nun schon wieder, Allis-“

Danielle löste sich von ihrer Stelle, sprang auf Caihong zu, so dass dieser ausweichen musste. Kath nutzte die Gelegenheit und zwängte sich an ihm vorbei durch die Tür ins Innere seiner Wohnung, wobei sie meinte: „Ich sagte ja, dass ich nicht alleine kommen würde.“ Sie grinste ihn an, gab Danielle dann ein Zeichen. Diese knurrte, wendete sich allerdings ab und ging auf die Suche nach Kensi.

„Weiß deine Wolfsfreundin, dass du mich kennst?“, erkundigte Caihong sich und schlug die Tür geräuschvoll zu. „Weißt du eigentlich, dass dein Plan nicht aufgeht?“, erwiderte Kath und stellte sich Caihong in den Weg, der an ihr vorbei Danielle nach wollte, „Und dass ich dich durchschaut habe?“ „Inwiefern?“ „Du willst Kensi zu einer machen.“, sagte Kath kühl, „Einer wie dich. Weil sie eine Fähigkeit besitzt.“

„Sie ist also wirklich das Mädchen, mit dem du dich abgibst. Der Mensch.“ „Kensi Cone ist viel mehr als nur ein einfacher Mensch.“, widersprach Kath, „Und wenn du ihr nur ein Haar gekrümmt hast, bekommst du es mit mir zu tun.“ „Allison.“, sagte Caihong amüsiert, „Gerade das bezweifle ich.“

Caihong machte einen Ausfallschritt, dann schlug er nach Kaths Gesicht und packte ihr Handgelenk, um sie aus dem Gleichgewicht zu ziehen. Kath konnte dem Schlag ausweichen, doch sein Griff kam für sie überraschend, so dass sie ihren festen Halt nicht wahren konnte. Der Asiate zog die sich sträubende Kath zu sich, ließ sie dann plötzlich los und versetzte ihr mit der anderen Hand einen Stoß, um dann unter ihrem ersten Schlag her zu tauchen und ihren zweiten abzufangen.

„Du willst mir doch im Grunde nichts tun.“, meinte Caihong und fing den nächsten Schlag mit Leichtigkeit ab, „Und selbst wenn, würdest du mich nicht verletzen können.“ „Ich pfeife auf deine Ausbildung in China!“, sagte Kath laut und wich seinem hohen Tritt aus, „Weil ich dir überlegen bin.“ „Natürlich, ein Halbwesen.“, meinte Caihong amüsiert, „Nicht, dass ich etwas gegen dich habe, aber Halbwesen sind keine vollwertigen Vampyre oder gar Vampire. Sie sind keiner Gattung angehörig.“ Kath spannte jeden Muskel im Körper an, doch als sie erneut auf Caihong losgehen wollte, knallte etwas gegen die Wohnungstür und diese zerbarst in ihre Einzelteile.

Eine rot-braune Wölfin, etwas größer als Danielle als Wolf war, stand dort und musterte Caihong und Kath aus blau-grauen Augen. Sie hatte helles Fell auf Höhe der Wangen und auch das Fell um die Nase herum war hell, ebenso wie die Vorderseite des Halses und der Bauch. Die Fellpartien um die Augen und auf der Nase waren rötlich-braun, das Fell über den Augen dunkelbraun-schwarz. Die Ohren bestanden zum größten Teil aus rostrotem Fell, der Rest des Felles war braun-rot-schwarz gemischt, die Schwanzspitze war schwarz.

Lass Kathleen in Frieden. Ich bin deine Gegnerin.

Die Stimme der Wölfin, auch wenn sie ihre Schnauze nicht bewegt hatte, schien in Caihongs und Kaths Kopf wieder zu hallen. Kath hatte nie zuvor mit Werwölfen in ihrer Wolfsform gesprochen, doch nun verstand sie, wie sich das Rudel unterhielt – sie standen mental in Kontakt und hatten eine feste Bindung zueinander.

Am heutigen Tag steht Kathleen unter dem Schutz des Rudels.“ „Die Freundin von Charles Siska.“, meinte Caihong und wich wirklich ein Stück von Kath zurück, „Dann sind die anderen nicht fern.“ „Ich sagte ja, ich wäre nicht allein.“

Geh zu Danielle. Sie braucht dich.

Kath blickte von Caihong zu Jessica und zurück. Anscheinend hatte diese nur für sie hörbar gesprochen; nur in ihrem Kopf. Sie schüttelte den Kopf, blieb wo sie war. Caihong war ihr Gegner und auch wenn Kensi in seinen Fängen war, so hatte sie noch eine andere Rechnung mit ihm am Laufen – und diese wollte sie endlich beenden.

Caihong ist nicht nur dein Feind, Kath. Ich weiß, wie viel er dir bedeutet.“ „Aber … !“ Caihong blickte Kath an, als sei diese verrückt. „Wir reden darüber, wenn Kensi gerettet und diese Sache für die Ewigkeit beendet ist.“ Kath nickte langsam und wie auf ein Zeichen hin stürzten Jessica und sie gleichzeitig auf Caihong los.
 

Danielle stand vor dem Raum, in dem Kensi eingesperrt war. Sie konnte die Schreie und das schwere Atmen des Mädchens durch die Tür hindurch hören und Danielle öffnete die Tür mit einem kraftvollem Hieb ihrer Pfoten. Die Tür löste sich aus ihrem Halt, fiel zu Boden und Danielle schritt darüber hinweg durch den verdunkelten Raum auf das Mädchen an der gegenüberliegenden Wand.

Kensi … “ Danielle war besorgt. Kensi krümmte sich vor Schmerzen, schrie noch immer. „Ich bin es. Dani.“ Kensi öffnete die Augen, blickte sie fast schon erleichtert an und streckte ihre zitternde Hand nach der Wölfin aus, doch dann wurde sie von einer neuen Welle des Schmerzes übermannt und ließ sie sinken.

Danielle wusste nicht, was mit der Blonden war, oder wie sie ihr gar helfen konnte, so dass sie nur einen möglichen Ausweg sah: Sie drückte sich möglichst flach auf den Boden und forderte Kensi auf, auf ihren Rücken zu steigen und sich in ihr Fell zu krallen. Kensi gehorchte, doch es fiel ihr schwer und Danielle konnte ihre Besorgnis kaum verbeugen.

Kath und das Rudel sind aus hier. Sie kämpfen gegen Caihong.“, berichtete Danielle dem Mädchen, als sie sich langsam wieder erhob, „Jessica und Kath sind am Kämpfen, Charlie sorgt mit seiner Gruppe für unsere schnelle Flucht und der Rest des Rudels trifft in eben diesem Moment im Flur zum Kämpfen ein.“ Kensi fragte nicht einmal, woher Danielle das wusste. Sie nahm es so hin und war froh, dass sie in ihren Schmerzen und Qualen nicht allein gelassen wurde. „Ich bringe dich jetzt so schnell wie möglich hier raus.“, fuhr Danielle fort und setzte sich in Bewegung, „Und zwar sofort.
 

„Der Neuling aus Charlies Rudel.“

Kaum hatte Danielle das Haus verlassen und war in die Mitte von Charlies Teil des Rudels getreten, stand sie einer brünetten Frau gegenüber. Diese sah sie kühl an und schien einiges gegen sie zu haben, aber dennoch aus freien Stücken dort zwischen all den Werwölfen zu stehen.

„Lilith, ich bitte dich … “, begann Charlie, doch Lilith hob abwehrend die Hand und trat ein wenig auf Danielle zu, wobei sie leise fragte: „Wen hast du bei dir … ?“ Danielle knurrte. Sie traute der jungen Frau nicht. „Dani!“, sagte Charlie laut und warnend, „Lilith sorgt sich um das Wohl von Kathleen.“

Danielle drückte sich ein weiteres Mal so weit wie möglich zu Boden, Kensi ließ sich auf diesen fallen und Danielle erhob sich wieder. Und nur einen kurzen Augenblick später stand an Stelle des Wolfes Danielle in ihrer Form als Mensch und blickte besorgt von Kensi zu Lilith und Charlie und zurück.

„Weißt du, was mit ihr geschehen ist?“, erkundigte Charlie sich bei Danielle, doch Danielle schüttelte den Kopf. „Ich dachte, dass euer Neuling ein besonderes Gefühl für so etwas hat?“, meinte Lilith spöttisch. „Lilith, wenn du das Vorgehen der Mitglieder meines Rudels bemängeln willst, dann mach das gefälligst, wenn ich nicht in der Nähe bin.“, wies Charlie sie zurecht, „Wir alle haben unsere Schwierigkeiten mit unserem Können, wenn es um Kensi geht.“ „Dann besitzt sie eine?“ „Ich kann das nicht beantwo-“

Ein Schrei durchbrach die Stille in der Seitengasse hinter dem Haus und ein Krachen ließ alle Anwesenden leicht zusammenzucken. Der Schrei war nicht von Kensi gekommen, die anscheinend gegen den Drang zu schreien ankämpfte, sondern aus dem Inneren des Hauses. Und Charlies Mine nach zu urteilen war stammte er von Jessica.

„Übernimm die Leitung.“, gab Charlie David auf, der Charlie abwartend angesehen hatte und nun nickte, „Bereit für ein wenig Action, Lilith?“ Die Brünette nickte und setzte ein erfreutes Grinsen auf. „Dann los.“, meinte Charlie und setzte zu einem schnellen Lauf an, während Lilith ihm in Windeseile folgte. Charlie sprang durch die offene Tür hindurch in das Innere des Hauses und das Letzte, das man von ihm sah, war eine braun-schwarze Rute: Er hatte sich in einen Wolf verwandelt.
 

Kensi erinnerte sich nicht daran, was geschehen war, nachdem Charlie in das Haus gestürmt war. Auch die Geschehnisse davor waren meist verschwommen und nicht mehr ganz in ihrer Erinnerung. Soweit sie erfahren hatte, hatte man sie kurze Zeit später zu Charlie gebracht. Ihrem Vater und ihren Geschwistern war mitgeteilt worden, dass sie aufgrund des Projektes für die Schule ein paar Tage und Nächte mit Danielle unterwegs sei; die Schule hatte eine Krankmeldung erhalten.

Lange Zeit noch hatte Kensi vor Schmerzen und Qualen geschrien, dann war sie in einen unruhigen Schlaf geglitten, begleitet von Alpträumen. Sie hatte um sich geschlagen, im Schlaf geredet und sich hin- und hergewälzt, doch ihr helfen können hatte niemand. Und wenn Kensi aufwachte, so gingen die Qualen weiter; Schmerzen übermannten sie und sie konnte die Tränen kaum zurückhalten.

Charlie hatte noch einen Tag nach Kensis Befreiung die rechte Hand mit einer Schiene gestützt und wies einige blaue Flecke auf, obwohl er schnell heilte, da er ein Werwolf war. Danielle hatte sich um ihn zu kümmern versucht, doch er hatte ihre Hilfe abgewiesen und sie morgens in die Schule geschickt.

Jessica, ebenfalls in der Schule als krankgeschrieben geltend, hatte einiges an Verletzungen davongetragen, doch die meisten waren bereits verheilt. Allerdings schien ihr irgendetwas nicht aus dem Kopf gehen wollen, denn sie hielt sich aus Gesprächen heraus und wirkte bedrückt und nachdenklich. Sie hatte eigentlich arbeiten gehen wollen, doch sowohl Charlie, als auch Danielle, hatten ihr von diesem Plan abgeraten: Eine Lehrerin mit einigen Verletzungen machte Schüler nur neugierig, zumal sie sicherlich noch Ruhe brauchte.

Lilith hatte sich Kath geschnappt, kaum waren Charlie und sie bei Caihong angelangt. Die anderen Werwölfe, die Gruppe von Jessica, waren ebenfalls zur selben Zeit eingetroffen und in dem heillosen Durcheinander hatte Caihong die Gunst der Stunde genutzt und das Weite gesucht. Natürlich hatte Lilith die Verfolgung aufgenommen, doch bislang ließ ein Erfolg noch auf sich warten.

Kath hatte Jessica geholfen, als diese von Caihong direkt angegriffen worden war und durch ihren Schrei die anderen in den Kampf lockte. Sie hatte Jessica solange geschützt, bis die anderen eingetroffen waren und dann alles Erdenkliche getan, um den Vampyr von ihr fern zu halten. Zwar hatte sie einige Verletzungen davongetragen, doch diese störten sie kaum. Sie war nicht in der Schule erschienen und hatte sich nach Caihongs Verschwinden ebenfalls abgesetzt und war wie vom Erdboden verschluckt.

„Wenn ich wüsste, wie wir dir helfen könnten … “

Charlie saß in einem kleinen Sessel in der Ecke seines Gästezimmers, in dessen Bett Kensi lag und scheinbar schlecht schlief. Sie redete im Schlaf und schlug um sich, wollte sich nicht beruhigen. Er beobachtete sie nachdenklich und hatte sich noch kein einziges Mal aus dem Zimmer bewegt, seit er es betreten hatte. Nicht einmal, als Jessica sich verabschiedet hatte.

„Und dann noch die Frage, weshalb bestimmte Fähigkeiten in deiner Nähe nicht funktionieren.“, fuhr er leise fort, „Oder warum wir einander in deiner Nähe nicht spüren oder bemerken. In deiner Nähe war Caihong nicht … nicht einmal zu spüren. Und Wesen wie wir … wir können die gegenseitige Nähe spüren.“ Er hielt inne, als Kensi sich von die eine auf die andere Seite wälzte.

„Hey, Charlie.“

Danielle betrat das Gästezimmer und blieb neben der Tür stehen, lehnte sich an die Wand. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden und mit einer Spange hochgesteckt, Strähnen umspielten ihr Gesicht. Sie trug eine beige-weiß karierte Bluse mit Ärmeln bis zu den Ellenbogen und dazu eine schwarze Röhrenjeans und schwarz-weiße Chucks.

„Deine Tür war nicht abgeschlossen.“, meinte sie und wendete den Blick nicht von Kensi ab, „Und ich habe dir etwas vom Mittagessen aus der Schulkantine mitgebracht.“ Charlie nickte abwesend. „Immer noch kein Anzeichen einer Besserung?“, erkundigte Danielle sich besorgt. „Nein.“

„Weißt du, ich habe nachgedacht.“, gestand Danielle. Charlie richtete seinen Blick auf die Jüngere. „Über das Rudel, das was geschehen ist … über Kensi … und über mich.“ „Was bedrückt dich?“ „Ich habe versagt.“, erklärte Danielle, „Ich hätte auf Kensi aufpassen sollen, doch Caihong bekam sie in seine Hände.“ „Und du hast sie gerettet.“ „Kath hat sie gerettet.“, verbesserte das Mädchen ihn, „Und so gern ich dieses Rudel habe, ich bezweifle, dass ich je zu euch gehören werde.“

„Was redest du da, Danielle?“, fragte Charlie und blickte sie skeptisch an, „Du magst in einem Teil gescheitert sein, aber in einem anderen Teil hattest du uns allen etwas voraus: Du warst bereit, mit einem unserer größten Feinde zusammen jemanden zu retten, der wirkliche Rettung benötigte.“ Danielle blickte ihn schweigend an. „Wir Werwölfe sind geboren, um die Menschen vor allem Bösen zu schützen. Vergleichbar mit den Haushunden, nur weitaus mächtiger und bereit, sich zu jeder Zeit von ihnen abzusagen.“, erklärte Charlie, „Die Vampire und Vampyre sind von jeher unsere natürlichen Feinde, da sie den Menschen gefährlich wurden und unsere Bestimmung eben das Beschützen jener ist. Um unserer Bestimmung nachzukommen, hast du dich mit unserem natürlichen Feind verbündet. Du bist über Grenzen gegangen, die wenige von uns zu überschreiten wagen würden.“ „Du arbeitest seit langer Zeit mit Lilith zusammen.“, widersprach Danielle ihm. „Lilith.“ Er seufzte. „Ich führe ein Rudel. Sie führt einen Clan. Wir sorgen dafür, dass unsere beiden Gruppen selten aufeinandertreffen. Wir arbeiten nicht miteinander, wir arbeiten aneinander vorbei, um Konfrontationen von vornherein zu umgehen.“

„Haben die anderen von Kath gehört? Eine Spur von ihr entdeckt?“ „Hast du sie selbst gefragt?“ „Ich kann keinen Kontakt herstellen.“, erklärte Danielle, „Nicht als Neuling über solche Distanzen.“ „Du bist nicht mehr der Neuling, Dani.“, meinte Charlie und lächelte sie fast schon väterlich an, „Seit Kensis Rettung schon nicht mehr.“ „Ich bin … kein Neuling?“ Charlie nickte, während Danielle ihn ungläubig anblickte und fragte: „Was … was bin ich dann?“ „Deine Fertigkeiten sind weder für Kämpfer, Jäger oder Spione geeignet, für ein Alttier bist du zu unerfahren und jung, für ein Betatier nicht lange genug im Rudel. Und das Alphatier … “ Er unterbrach sich kurz. „Erkundige dich bei Jessica. Sie wird dir alles mitteilen können, was ich nicht kann.“

Kensi murmelte etwas und drehte sich unruhig auf die andere Seite, während Danielle ihren Blick langsam wieder zu der Blonden gleiten ließ und sie leise seufzte. Auch Charlie sah wieder zu dem Mädchen und überlegte, ob ihr Zustand sich in naher Zeit bessern würde.
 

Die Nacht war hereingebrochen. Charlie war zu Bett gegangen und Danielle war zuhause. Das Gästezimmer lag in völliger Dunkelheit und Stille, die dann und wann von Kensis leisem Gemurmel unterbrochen wurde. Sie war nicht aufgewacht und auch nicht ruhiger geworden.

Die Tür zum Gästezimmer wurde leise geöffnet und ein Schatten huschte lautlos herein, dann wurde die Tür wieder geschlossen. Der Schatten näherte sich dem Bett und blieb dann daneben stehen. Es war Kath.

„Kensi.“

Sie legte ihre Hand auf Kensis Stirn, schloss kurz die Augen und schien sich zu konzentrieren, dann zog sie die Hand wieder weg und musterte das Mädchen eine Weile, bevor sie Kensis Hand nahm und diese leicht drückte. Kensi reagierte darauf ebenfalls mit einem leichten Drücken, behielt die Augen allerdings geschlossen.

„Du hörst mich also … ?“ „Sollte ich nicht?“, fragte Kensi heiser und leise. „Wie geht es dir?“ „Alles brennt. Wie ein Höllenfeuer.“ „Das ist milde beschrieben für das, was er dir angetan hat.“, meinte Kath und schmunzelte ein wenig, „Wo hat er es getan?“ „Schulter.“ „Es war mir klar, dass er es getan hatte, kaum hatte ich erfahren, dass Danielle dich gerettet hatte und du unter Qualen littst.“, erzählte Kath, „Du bist tapfer und stark, Kensi. Dass du noch so sprechen kannst, zeigt nur deine Willensstärke. Halt weiter durch.“

Kath ließ Kensis Hand langsam los, doch Kensi griff sofort wieder danach und fragte: „Kath?“ „Mh?“ „Bleibst du noch ein wenig?“ „Ich kann nicht, Kensi.“, antwortete Kath seufzend, „Aber wenn ich wiederkomme, werde ich dir helfen können. Und bis dahin, kämpfe weiter dagegen an. Bitte.“ „Kath … “ „Und bereite Charlie und den anderen nicht solche Sorgen. Rede zu ihnen. Bitte.“

Kath bekam Kensis Antwort nicht mehr mit, denn sie befreite sich in Windeseile aus deren Griff und verschwand dann wieder so lautlos, wie sie gekommen war.

Feelings which shouldn't be seen by you.

„Kathleen!“

Die Blonde blieb stehen und drehte sich langsam zu der Brünetten um, die sich ihr mit raschen Schritten näherte und ihren Namen gerufen hatte. Sie beide hatten einander seit Kensis Rettung nicht mehr gesehen.

„Ich wollte mich für deinen Einsatz bedanken. Du hast mir sehr geholfen.“ „Es gibt nichts zu danken.“, wehrte Kath ab, „Das ist das Mindeste, das eine Schülerin für ihre Lehrerin tun kann.“ „In dem Moment waren wir nicht Schüler und Lehrer, Kath.“, korrigierte Jessica sie, „Wir waren das, was wir wirklich sind. Und keiner von uns ist so stark, wie er sich im Leben als Mensch gibt.“

„Wenn du mir eine Standpauke halten willst, Jessica, bist du umsonst zu mir gekommen.“ „Ich habe nicht vor, dich zurechtzuweisen.“, meinte Jessica, „Ich weiß zu gut, wie es dir im Moment geht.“ „Woher willst du das wissen?“ Kath klang gereizt und nicht sonderlich überzeugt von den Worten der Älteren. „Du kannst es nicht wissen.“

„Caihong und du, euch verbindet mehr als nur die Tatsache, dass ihr beide Vampyre seid. Oder du zum Teil.“, sagte Jessica ruhig und setzte sich damit über Kaths verärgerten Gesichtsausdruck hinweg, „Ich konnte es in deinen Augen sehen und in deinen Bewegungen, als wir in seiner Wohnung waren. Und ich ahnte es schon vorher.“ „Spionierst du immer anderen nach?“ „Nein. Das ist nicht meine Aufgabe.“, wehrte Jessica ab, „Und um zum eigentlichen Punkt zurückzukehren: Ich weiß, wie es dir geht, weil ich selbst so etwas fast ständig erlebe.“ Kath sah Jessica überrascht an.

„Solltest du je das Bedürfnis verspüren, dass du mit jemandem darüber reden willst … Du kannst mich jeder Zeit erreichen.“, schloss Jessica und lächelte schwach, „Und auch wenn ich vielleicht dann nicht helfen kann, so werde ich dir doch zuhören. Meist hilft schon das ein wenig.“ Sie griff in ihre Hosentasche und holte etwas hervor, dann reichte sie es Kath und erklärte auf deren fragenden Blick hin: „Bislang war es mir immer eine Hilfe, aber du benötigst es viel mehr als ich. Wenn du je mit mir sprechen willst, wirst du wissen, was zu tun ist.“

Jessica wendete sich ab und ging langsam auf die Haustür von dem Haus zu, in dem Charlie wohnte. Kath blickte ihr nach, dann fragte sie laut: „Warum erlebst du das fast ständig?“ Doch Jessica reagierte nicht darauf, schloss die Haustür auf und verschwand im Inneren des Gebäudes.
 

Der nächste Tag begann, der Morgen ging vorüber und der Mittag war da. Danielle kehrte nach Schulschluss bei Charlie ein, während Jessica das Mittagessen zubereitete. Charlie selbst war außer Haus, seine Arbeit hatte nach ihm verlangt. Kensi war zwischenzeitlich wach gewesen und hatte sogar ein paar Worte mit Jessica gewechselt, doch für längere Gespräche war sie zu müde gewesen, so dass Jessica und Danielle allein in der Küche standen.

„Charlie sagte, ich sei kein Neuling mehr.“, brach Danielle das Schweigen, welches zwischen ihnen beiden geruht hatte. Jessica nickte, blickte allerdings weiter in den Topf vor ihr, in dem sie rührte. „Und aufgrund meiner Position im Rudel soll ich mit dir sprechen.“, fuhr die Blonde unbehelligt fort, „Was ich hiermit tue.“

„Deck den Tisch, Dani.“, wies Jessica sie an, „Das Essen ist gleich fertig.“ „Jess, ich rede über etwas Wichtiges! Du sollst nicht einfach ablen-“ „Danielle.“, unterbrach Jessica sie ernst, „Deck den Tisch. Und das ist keine Bitte mehr.“ „Du bist nicht berechtigt, mir solche Dinge aufzutra-“ „Ich bin nicht berechtigt?!“ Danielle wusste, dass sie in ihrem Trotz zu weit gegangen war und senkte den Blick. „Ich mag vielleicht die Position abstreiten, aber ich bin noch immer Charlies Freundin.“, sagte Jessica kühl und gereizt zugleich, „Und wenn ich sage, dass du etwas tun sollst, dann hast du es zu tun. Wir reden noch über deine Position, aber nicht sofort.“ Langsam nickte Danielle, holte Platzdecken, Besteck und Teller heraus und wendete sich dem Decken des Tisches zu.

Es dauerte nicht lange und die beiden saßen am Esstisch vor ihrem Mittagessen und begannen mit dem Essen. Sie hatten Kensi eine Portion zubereitet und ins Gästezimmer gebracht – für den Fall, dass sie wach wurde und Hunger bekam. Beide versuchten das bevorstehende Gespräch so lange wie möglich hinaus zu zögern, doch die Stille wurde ihnen bald schon unerträglich.

„Ist jetzt die Zeit, dass wir darüber reden?“, erkundigte sich Danielle vorsichtig und blickte Jessica unsicher an. Diese legte ihre Gabel zur Seite, schluckte ihren Bissen herunter und antwortete: „Sieht so aus.“ Danielle blickte sie abwartend an, während sie langsam weiter aß. Jessica überlegte kurz, dann erklärte sie: „Es kommt immer mal wieder vor, dass es Sonderpositionen in einem Rudel gibt. Nimm mich … Abgesehen von der Position, die mir durch Charlie zusteht, beziehe ich eine ganz andere Position. Sie hat keine Bezeichnung, aber sie ist von großer Wichtigkeit.“ „Ja, ich wunderte mich immer während der Sitzungen darüber.“, gestand Danielle. Jessica nickte und fuhr fort: „Wenn Charlie meint, dass du auf keine der normalen Positionen passt, so würdest du normalerweise einfach, auch wenn du keiner bist, als Jährling eingestuft. Aber wenn er dich zu mir schickt, bedeutet das, dass auch du eine dieser Sonderpositionen beziehst.“

„Wie bekommen wir heraus, welche?“ „Darin liegt das eigentliche Problem.“, gab Jessica zu, „Normalerweise betrachtet man dafür das Können.“ „Aber ich habe nichts besonderes vorzuzeigen.“ „Doch, deine Fähigkeit.“ „Empathie ist keine Fähigkeit, Jessica. Und auf Kensi kann ich es ohne einen Grund nicht anwenden.“ „Sie ist sehr wohl eine Fähigkeit, denn, mit Ausnahme von Kensi, sie lässt sich auf alle anwenden und nicht nur auf Werwölfe oder gar nur das Rudel.“, verbesserte Jessica Danielles Aussage, „Und mir kommen zwei Vorteile dessen in den Sinn. Es könnte sein, dass ich eine eventuelle Position für dich gefunden habe, Dani.“

Sie lächelte die Jüngere an und nahm einen Bissen zu sich, während Danielle mit erstauntem Blick einen Schluck trank. Und selbst als beide diese Handlungen abgeschlossen hatten, schwiegen sie noch einen Augenblick lang, bevor Jessica Danielle erklärte, was ihr in den Sinn gekommen war.

„Es setzt allerdings voraus, dass du niemandem mehr von deiner Fähigkeit berichtest, Dani.“, warnte Jessica sie und Danielle nickte etwas, „Du könntest bei Treffen mit anderen dabei sein und deren Gefühlslage überprüfen.“ „Und was soll das bringen?“ „Vorausschauendes Handeln.“, erklärte Jessica, „Stell dir vor, dass Charlie mit Vampiren ein Gespräch aufgrund der Territorien hält und heikle Themen dabei auf den Tisch kommen. Hitzig wie nun einmal alle sind, werden einige der Vampire sauer oder gar wütend. Und sie sind verdammt gut darin, ihre Gefühle äußerlich zu verbergen. Aber innerlich … Und ab da kommst du ins Spiel.“ „Ich?“ „Du würdest Gefühlsregungen spüren und es Charlie mitteilen können. Dieser wäre für eventuelle Angriffe gewappnet und doppelt geschützt.“ „Demnach wäre ich ein Bodyguard im Sinne einer Alarmanlage?“ „Wenn du es so ausdrücken magst, Dani.“, meinte Jessica amüsiert.

„Du hast deine Fähigkeit gut im Griff, aber man kann sie verbessern.“ „Inwiefern?“, fragte Danielle neugierig nach. „Ein jeder kann erlernen, ob das Gegenüber Lügen oder die Wahrheit erzählt.“, antwortete Jessica, „Rein äußerlich und von den Stimmlagen her, aber das Erlernen ist ein langer und harter Prozess. Dir dürfte es wesentlich leichter fallen, kannst du doch die Gefühle der Personen spüren. Ich kann dir beim Erlernen helfen, aber selbst beherrschen kann ich es nicht.“ „Ich denke darüber nach.“, meinte Danielle.

„Wurde in der Schule nach Kensi gefragt?“, erkundigte Jessica sich und erhob sich langsam, um den Tisch wieder abzuräumen. „Jason wird langsam skeptisch. Er war bei ihr gewesen und Kensis Schwester hat ihm gesagt, dass sie eine Weile bei mir sei … wegen eines Schulprojektes, aber dass er sie ja am nächsten Tag in der Schule abfangen könne, wenn es nicht allzu wichtig ist.“, berichtete Danielle, „Er sagte nicht, dass sie in der Schule krankgemeldet ist, sondern verabschiedete sich nur.“

„Und wie sieht es mit Kathleen aus?“ „Seit Kensis Rettung habe ich sie weder gesehen, noch gesprochen. Sie kommt nicht in die Schule und ihre Pflegefamilie hat sogar eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“, antwortete Danielle, „Hast du etwas von ihr gehört?“ Jessica schüttelte den Kopf. „Ich wüsste zu gerne, wo sie ist und warum sie einfach so verschwunden ist.“, meinte Danielle und trug die benutzten Teller zur Spüle. „Sie hat gegen einen vollwertigen Vampyr gekämpft, Dani.“, erinnerte Jessica sie, „Und sie wurde daran erinnert, dass auch sie eine Gefahr für Kensi darstellt.“ „Weißt du das, oder ahnst du das?“ „Ich nehme es an.“, gestand Jessica seufzend, „Kathleen Reese umgeben eine Menge Geheimnisse, aber sie zu lösen liegt nicht an uns.“
 

Es war später Abend und Jessica saß neben Charlie auf dessen Sofa im Wohnzimmer seiner Wohnung. Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und er hatte den Arm um sie gelegt. Beide unterhielten sich mit leiser Stimme.

„Kathleen war hier. Ich nehme an, dass sie nach Kensi gesehen hat.“ „Wann?“ „Die letzte Nacht, als ich hierher kam.“, antwortete Jessica leise, „Charlie, ich denke, dass sie etwas mit Kensis derzeitigem Zustand zu tun hat.“ Charlie strich ihr langsam den Oberarm herab und sah Jessica nachdenklich an. „Wir sind machtlos und können nichts zu ihrer Besserung beitragen, aber sie scheint wirklich dagegen anzukämpfen und gewinnt manchmal sogar die Überhand. Kensi erlangt ab und an das Bewusstsein und spricht sogar mit uns, allerdings kann sie diesen Zustand nicht lange aufrecht erhalten.“ „Vielleicht hat Kathleen ihr gesagt, dass sie durchhalten soll.“, mutmaßte Charlie.

„Hast du jemals an ein Leben ohne die Kräfte gedacht, Charlie?“

Charlie sah Jessica überrascht an. Er hatte nicht mit einer solchen Frage gerechnet, auch wenn er sie schon lange und sehr gut kannte. Nie hatte er geglaubt, dass sie solche Gedanken haben könnte.

„Ich bin als das, was ich bin, geboren worden.“, antwortete er, nachdem er etwas überlegt hatte, „Ein Leben nur als Mensch kam für mich demnach nie in Frage, da ich es nie zu hundert Prozent habe erleben dürfen.“ „Aber wünscht du dir manchmal, dass du ein ganz normaler Mensch bist?“ „Ich würde es, wenn die Frau, die ich liebe, es sich wünscht.“

Jessica löste sich langsam von ihm, stützte sich an der Rückenlehne des Sofas ab und blickte ihn lange an, dann meinte sie: „Aber wir können ja doch nie nur Mensch sein.“

Charlie seufzte, nickte leicht und zog sie wieder zu sich. Er legte beide Arme um sie, küsste ihre Stirn und legte sanft sein Kinn auf ihren Kopf, wobei er sie nicht losließ. Dass sie über so etwas nachdachte, bereitete ihm Sorgen, doch dass sie in seiner Nähe war, vertrieb sie wieder.
 

Jessica ...

Der Abend war fortgeschritten und Charlie war mittlerweile ins Bett gegangen. Er hatte mit Jessica noch eine Weile auf dem Sofa gesessen und sich unterhalten, allerdings hatten beide einen großen Bogen um das Thema Menschsein gemacht. Alleine saß Jessica nun auf dem Sofa und war in Gedanken versunken, als sie ihren Namen vernahm. Sie wusste sofort, wer es gewesen war und erhob sich. Kath war bereit zum Reden.
 

Jessica fand Kath auf dem Dach einer leerstehenden Lagerhalle auf einer Erhöhung der Stadt. Das Mädchen stand am Rande des Daches und blickte verträumt auf die hell erleuchtete Stadt hinab, während Jessica zunächst eine metallene Treppe hinunterstieg und dann über das Dach zu ihr ging, um neben ihr stehen zu bleiben.

„Woher wusstest du, dass ich mit dir reden möchte?“, fragte Kath und blickte die Ältere aus den Augenwinkeln heraus an. „Die Kette, die ich dir gab, stammt von der Person, der ich mein Dasein als Werwolf verdanke.“, antwortete Jessica, „Als Erinnerung und Schutz.“ „Was hat die Kette damit zu tun?“, fragte Kath verwundert und nahm den Anhänger der Kette um ihren Hals mit Zeigefinger und Daumen. „Damit kann der Neuling seinen Schöpfer kontaktieren, wenn der Schöpfer seinem Neuling die Kette überreicht.“, erklärte Jessica, „Ich bekam diese Kette, aber sie hat ihre Funktion nach dem Tod meines Schöpfers verloren.“ „Aber du bist weder mein Schöpfer, noch bin ich Neuling.“, widersprach Kath. „Ich reichte dir die Kette … und du konntest mich kontaktieren. Allein das Weiterreichen der Kette genügt. Wir stehen mental nicht in Kontakt, doch die Kette ändert das, wenn es das ist, was du wirklich willst.“

„Du sagtest, dir erginge es ähnlich.“, wechselte Kath das Thema. „Es geht dir nicht aus dem Kopf, was?“ Kath nickte. „Caihong ist für dich das, was du an dir selbst verabscheust.“, meinte Jessica. „Charlie ist das, was du an dir nicht magst? Du willst kein … du willst nicht das sein, was du bist?“ „Manchmal wäre das Leben so viel einfacher.“, gestand Jessica seufzend, „Aber Charlie und mich verbindet noch mehr.“ „Ihr seid ein Paar. Das ist es.“ „Nein.“, widersprach Jessica, „Zwar auch das, aber ich meine anderes. Charlie tötete jemanden, der mir nahe stand.“

Kath schluckte, dachte über Jessicas Worte nach. Auch wenn sie Charlie nicht so gut kannte; wie konnte er jemanden getötet haben? Jemanden, der offensichtlich keine bösen Absichten hegte, da er Jessica nahe stand? Wie konnte das geschehen sein?

„Bevor du dich fragst, wie das geschehen konnte, will ich dir sagen, dass Charlie noch nicht das Rudel führte und wir alle anders waren. Einschließlich ich selbst.“, kam Jessica Kath zuvor, „Und bevor wir weitersprechen … “ Kath sah ihre Lehrerin fragend an. „Mir ist sehr wohl aufgefallen, dass Lilith ebenfalls hier oben ist.“

Aus dem Schatten hinter ihnen trat eine junge brünette Frau heraus und lächelte Jessica amüsiert an, die ihr einen kurzen Blick zuwarf, allerdings dann wieder nach vorne auf die Stadt blickte. Kath biss sich auf die Unterlippe, sagte allerdings nichts dazu.

„Jessica Brooke Levin.“, sagte Lilith, „So verletzt wie bei dem Kampf hast du mir eher zugesagt.“ „Remy.“, reagierte Jessica auf Liliths Worte, „Ich sollte dir für dein Erscheinen im Kampf danken.“ „Die Tage von Remy sind schon lange gezählt, Jessica.“, erklärte Lilith ernst, „Im Gegensatz zu dir konnte ich mein normales Leben nicht fortführen.“ Es schien Lilith ungemein zu stören. „Du konntest studieren, einen Job erlangen, mit deiner Familie leben.“ „Remy, das ist nicht wa-“ „Lüge mich nicht an, Jessica!“

„Lilith … “ Kath versuchte Lilith zu beruhigen. „Jess ist nicht her, damit ihr euer Kriegsbeil wieder ausgrabt.“ „Sei still, Kath!“, fauchte Lilith, doch Jessica trat vor das Mädchen und sagte laut und ernst: „Kathleen hat Recht. Ich bin nicht hier, damit wir uns streiten. Du solltest auf sie hören … Für ihre jungen Jahre hat sie so einiges mehr verstanden als du.“ „Misch dich nicht in die Angelegenheiten des Clans ein, Jessica.“, drohte Lilith ihr, „Kath ist eine von uns.“ Jessica warf Kath einen kurzen Blick zu, dann meinte sie ruhig: „Ich bezweifle, dass Kathleen das selbst auch so sieht, Remy.“

Damit ging Jessica an Lilith vorbei. Sie schwieg, schenkte keinem der beiden einen weiteren Blick und biss die Zähne zusammen. Hinter sich hörte sie, wie Lilith sich umdrehte und ihr anscheinend nachblickte und Kath sich in Bewegung setzte, doch ein Lass es von Lilith schien sie aufzuhalten.
 

Jessica kehrte in die Wohnung von Charlie zurück. Doch anstatt ins Bett zu gehen, betrat sie fast lautlos das Gästezimmer und setzte sich in den Sessel, den Charlie meist besetzte, wenn er Kensi in ihrem unruhigen Schlaf beobachtete.

Es gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf, ebenso kamen viele Erinnerungen hoch. Lilith und sie waren einst Freunde gewesen, auch wenn sie sich nur in den Ferien hatten treffen können, da sie in verschiedenen Staaten gewohnt hatten. Dann hatte Lilith eines Tages nicht mehr auf Jessicas Briefe geantwortet und nur kurze Zeit später war sie in Jessicas High School erschienen. Zu etwa der Zeit wendete sich für Jessica das Schicksal: Sie wurde in einen Werwolf verwandelt. Und nur wenig später begann die Feindschaft zwischen Lilith und ihr.

Sie traf auf einen anderen Werwolf und empfand schon kurze Zeit später mehr für ihn, doch dann tauchte Charlie auf und versuchte sie von seiner Ansichtsweise zu überzeugen. Jessica wies ihn ab, doch Charlie ließ nicht locker und als Jessica und ihr damaliger Freund Charlies Warnung nicht beachteten, tötete Charlie Jessicas Freund.

„Denkst du darüber nach, was damals in Charlotte geschehen ist?“

Jessica zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass Charlie in das Gästezimmer gekommen war, und blickte ihn nun an. Langsam nickte sie. Charlie nahm ihre Hand und drückte sie sanft, wobei er ihr ein schwaches Lächeln schenkte.

Es gibt kein gut und böse. Das hast du damals behauptet.“, meinte er und kniete sich neben den Sessel, hielt ihre Hand weiterhin leicht fest, „Also sind die Vampyre bösartig? Das fragtest du mich, als du langsam Vertrauen zu mir fasstest.“ „Du hattest damals Scott umgebracht, Charlie. Vor meinen Augen.“ „Und heute würdest du sagen, dass seine Ansichten böse waren.“ „Und meine ebenfalls.“, ergänzte sie, „Doch mich hast du am Leben gelassen.“ „Du hast bei meinen Worten gezögert. Ich sah, dass du den richtigen Weg finden konntest.“

„Es hat sich vieles über all die Jahre geändert.“, sagte Jessica mit gedämpfter Stimme seufzend, „Du hast dein eigenes Rudel, Remy würde mich am liebsten umbringen … und eine neue Generation ist geboren.“ „Du vergisst das Wichtigste, Jess.“ Charlie lächelte sie sanft an. „Wir haben uns gefunden.“

Langsam erhob er sich wieder, ließ ihre Hand los. Er schenkte ihr ein kurzes Lächeln, warf Kensi einen letzten Blick zu, dann wendete er sich ab und verließ das Gästezimmer. Jessica blickte ihm nachdenklich nach, seine letzten Worte noch immer in ihren Ohren. Sie hatten einander gefunden.
 

„Kathleen! Komm gefälligst raus!“

Jessica war am nächsten Morgen zu einer alten Lagerhalle gegangen. Diese war verlassen und galt als einsturzgefährdet, doch Jessica hatte sich einfach darüber hinweggesetzt. Sie wusste, dass Kath sich dort aufhielt. Es war nur so ein Gefühl, aber sie wusste, dass sie diesem vertrauen konnte.

Langsam öffnete sich eine der schweren Türen und die Blondine trat heraus. Sie sah nicht gesund aus: Dicke Augenringe, blass wie nie zuvor und offensichtlich hatte sie sich am rechten Arm verletzt, denn sie trug einen Verband, der schon von Blut durchtränkt war.

„Was zum Teufel hast du angestellt?!“

Jessica ging langsam zu dem Mädchen herüber. Kath bewegte sich kein bisschen und hatte den Blick gesenkt. Sie wagte es nicht, ihrer Lehrerin ins Gesicht zu blicken und ließ die Arme kraftlos neben ihrem Körper hängen, während Jessica sie an den Unterarmen fasste und diese genauer untersuchte.

„Wie ist das passiert, Kathleen?“, erkundigte Jessica sich und ließ die Arme der Jüngeren wieder los, „Normalerweise verschließen sich eure Verletzungen doch ebenso schnell wie die unsrigen.“ Kath, den Blickkontakt noch immer vermeidend, antwortete mit tonloser Stimme: „Caihong … “ „Caihong ist Schuld daran? Aber wie … ?“ „Ich habe ihm seine Beute streitig gemacht und er wollte, dass ich bezahle.“, antwortete Kath, „Kensi ist seine Beute.“

Jessica brauchte einen Moment, um die Wortwahl des Mädchens zu verstehen. Nicht, weil sie nicht wusste, was es bedeutete, sondern weil die Bedeutung der Worte etwas beschrieben, dass sich nicht zu hundert Prozent in Worte fassen ließ. Es betraf nicht nur Kensi an sich, sondern auch das ganze Rudel von Charlie.

„Kensi wurde von Caihong markiert?“ „Weitaus mehr.“ Jessica schüttelte ungläubig den Kopf. „Caihong hat sie … er hat sie … gebissen?“ Kath nickte langsam. „Aber wie kann Kensi so lange dagegen ankämpfen?“ Jessica bekam keine Antwort von Kath. „Demnach steht die Sicherheit des gesamten Rudels auf dem Spiel!“

Kath nickte langsam, dann drehte sie sich um und wollte zurück in den Raum hinter die Tür gehen, doch Jessica war schneller und packte sie am Handgelenk. Sie hielt sie fest und ließ nicht locker; selbst als Kath kraftlos sich zu befreien versuchte.

„Dich belastet etwas.“, stellte Jessica fest, „Deine Tränen verraten dich, Kathleen.“

Kath hob langsam den Kopf und in ihren sonst so ernsten und distanzierten Augen glitzerten Tränen im Morgenlicht. Selbst Jessica musste erst verstehen, was das zu bedeuten hatte, denn sie hatte Kath niemals zuvor weinen oder gar in Tränen gesehen. Und das bedeutete, dass etwas auf der Seele des jungen Mädchens lastete, womit sie nicht klar kam. Etwas, was sie eventuell nicht hatte mit anderen teilen können, weil diese sie nicht verstanden. Verstand sie, Jessica, denn das Mädchen?

„Du teilst dich mir jetzt mit, Kathleen.“, forderte Jessica sie ruhig und mit sanfter Stimme auf, „Dir wird es danach besser gehen.“ Kath blickte sie ungläubig an und schien gleichzeitig gegen die Tränen anzukämpfen. „Glaub mir, es ist besser, wenn man über seine Gefühle redet, Kathleen. Ich habe den Fehler begangen und noch heute geht es mir deshalb nicht besser.“ Langsam nickte Kath, dann zog sie Jessica mit in den Raum.

Love's never fair.

Noch am selben Abend schien Leben in Kensi zu kommen. Sie setzte sich in ihrem Bett auf, blickte sich um und stand dann auf. An der einen Wand stand eine Person im Dunkeln und beobachtete sie und Kensi ging langsam auf die Person zu und streckte ihre Hand nach ihr aus.

„Ich wusste doch, dass dein Wille irgendwann gebrochen wird.“

Caihong hatte sich unbemerkt in die Wohnung von Charlie geschlichen und das Gästezimmer betreten. Lange Zeit hatte er Kensi nur beobachtet, dann hatte er sie wie ein Meister seinen Lehrling zu sich gerufen. Und Kensi hatte gehorcht.

„Noch bist du nicht ganz das, was du sein sollst … “, meinte Caihong leise, „Sie haben sich Mühe gegeben, dich in der Welt der Menschen zu behalten.“ Kensi antwortete nicht, sondern blickte Caihong einfach stumm an während sie vor ihm stand. „Durch dich werde ich nicht nur stärker, sondern kann auch allen eines auswischen.“ Er grinste heimtückisch. „Du wirst sehen, die Welt der Vampyre ist nicht so schlecht, wie alle sagen.“
 

Zur selben Zeit wanderte Kath durch die Straßen von Los Angeles. Angetrunkene und in Feierlaune versetzte Menschen kamen ihr entgegen, rempelten sie an und vergaßen sich zu entschuldigen, an Mauern, Zäunen und Hauswänden lehnten Leute mit Dosenbier und anderen Getränken, auf Bänken lungerten Jugendliche und machten sich einen Spaß darauf, das Aussehen anderer zu kommentieren oder Mädchen und Frauen nach zu pfeifen.

„Der Mond ist in Aufruhr.“

Kath blieb stehen, blickte in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren. Lilith war an ihr vorbeigegangen und hatte ihr diese Worte zu geraunt. Einen Moment lang überlegte Kath, dann beeilte sie sich, um die Anführerin der Children of the Night einzuholen.

„Wie meinst du das?“, erkundigte sich Kath bei Lilith, die sie nicht ansah. „Du spürst es doch auch.“, antwortete Lilith ausweichend, „Etwas Großes beginnt diese Nacht.“ „Der Mond ist das Zeichen der Wölfe.“, hakte Kath nach, „Weshalb ist er in Aufruhr?“ „Ihnen ist genommen worden, was nicht hätte genommen werden sollen.“ „Lil … drück dich verständlicher aus.“, forderte Kath sie auf und stellte sich ihr in den Weg, so dass Lilith sie zwangsläufig anblicken und stehen bleiben musste, „Was wurde genommen? Was soll ich spüren? Lil, sag schon!“

„Er hat sie zu sich gerufen.“

Kath öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch Liliths Worte verschlugen ihr die Sprache. Sie ahnte, wer mit er gemeint war. Sie ahnte, wer mit sie gemeint war. Doch wenn dem so war, dann würde bald alles zu spät sein.

„Ich kann weder Kensi, noch Caihong spüren.“, meinte Kath ernst, „Normalerweise spüren wir die Präsenzen anderer doch … Was ist da los?“ „Ihre Fähigkeit erwacht.“ „Ihre Fähigkeit? Welche Fähigkeit?“, fragte Kath, „Lil, du scheinst mehr zu wissen … Was geht hier vor?!“ Lilith schwieg kurz, dann antwortete sie: „Ich kann dir nicht alles sagen, Kath. Caihong hat ihre Fähigkeit gespürt und sie für sich entdeckt.“ „Aber was für eine?“ „Sie kann die Präsenz anderer und ihrer selbst verbergen. Und das ist nur ein Teil davon. Sie ist noch nicht vollständig erwacht, weshalb ich nicht mehr weiß.“ „Deshalb ist sie also so wichtig für ihn … “, murmelte Kath, „Caihong will Kensi für sich ausnutzen!“

„Ich weiß, was du als nächstes tun wirst, Kath.“, sagte Lilith ernst und packte Kath fest an der Schulter, „Auf dass du weißt, was du tust.“ „Lil-“ Doch Lilith ließ Kath's Schulter los und ging weiter, während Kath ihr nachblickte und selbst nicht genau wusste, was sie als nächstes tun sollte. Woher hatte Lilith das also gewusst?
 

„Jess! Charlie!“

Danielle war in Charlies Wohnung. Sie hatte um Erlaubnis gebeten, dass sie dort schlafen durfte und man hatte sie im Wohnzimmer auf das Sofa verfrachtet. Dort war sie über einer Lektüre für die Schule eingeschlafen und nach einiger Zeit wieder aufgewacht, als sie ein Geräusch gehört hatte, welches aus Richtung Gästezimmer gekommen war. Kurzerhand war sie aufgestanden, zum Gästezimmer geschlichen und hatte einen Blick riskiert, nur um es leer vorzufinden und aus diesem Grund nach dem Anführer des Rudels und dessen Freundin zu rufen.

Charlie fuhr sich durch die verwuschelten Haare, die in alle Richtungen abstanden, und gähnte. Er trug Boxershorts und ein T-Shirt und schien noch nicht zu hundert Prozent wach zu sein. Jessica stand neben ihm, die Haare zu einem schnellen Zopf gebunden und eine Hot Pants aus Stoff mit einem T-Shirt tragend, und blickte das Mädchen fragend an. Sie schien eindeutig wacher zu sein, war allerdings um ein Vielfaches blasser als sie es normalerweise war. Charlie schien das bemerkt zu haben, weshalb er einen Arm um die Schulter seiner Freundin legte und sie zu sich zog.

„Sie ist weg.“, berichtete Danielle, „Kensi ist weg.“ Charlie nickte, er konnte es sehen, immerhin war die Tür zum Gästezimmer weit offen, Danielle hatte das Licht eingeschaltet und sie standen genau vor dem Raum. „Wo ist sie in diesem Zustand?“ „Wohl nicht in der Wohnung.“, antwortete Jessica, „Eine Ahnung, wie sie es nach draußen geschafft hat?“ Danielle nickte.

„Caihong.“

Sowohl Danielle als auch Jessica blickten den Anführer des Rudels verwundert an. Sie wussten nicht, wie Caihong in diese Wohnung hätte kommen sollen – sie hätten ihn immerhin bemerkt – oder gar, wie Charlie auf diese Idee kam.

„Er holt sich, was genommen wurde.“, erklärte Charlie, „Kensi war seine Beute. Deutlich gekennzeichnet und anscheinend auch durch ihn verletzt. Und du, Dani, hast sie ihm entrissen.“ „Also wollte er seine Beute zurück?“ „Ich würde es vermuten. Ich bin allerdings kein Experte in Sachen Vampyre.“, bestätigte Charlie. „Aber wie kam er in deine Wohnung, ohne dass es jemand von uns bemerkte?“, erkundigte Jessica sich. „Das ist eine gute Frage … Doch ich nehme an, dass er sich einer Fähigkeit ermächtigt hat.“ „Niemand kann eine Fähigkeit einfach so übernehmen, Charlie.“, erinnerte Jessica ihn. „Du hast mir etwas erzählt, Jess. Und ich befürchte, dass du eventuell Recht haben könntest.“

„Klärt mich einer auf?“, mischte Danielle sich ein, „Ich bin immerhin kein Neuling mehr und schon lange genug einer von euch, um gewisse Dinge auch erfahren zu dürfen.“ Charlie und Jessica tauschten einen kurzen Blick aus. „Kommt schon, Leute. Ist ja nicht so, als wenn Kensi eine Waffe wäre, die in falschen Händen ist.“ Keiner der beiden anderen sagte ein Wort und Danielle fragte unsicher und zögerlich: „Oder … Leute?“

„Du konntest bei ihrer Rettung nicht zu ihr durchdringen. Trotz deiner Fähigkeit. Und auch ich bin bei ihr gescheitert.“, berichtete Jessica leise, „Und ist dir aufgefallen, dass du ihre Präsenz oder die anderer in ihrer Nähe nicht wahrnehmen konntest, seit wir sie gerettet haben?“ Danielle überlegte, dann nickte sie langsam. „Eventuell besitzt Kensi eine Fähigkeit, die die Präsenz ihrer selbst und anderer verbergen kann.“, erklärte Jessica, „Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt, weshalb ich wenig dazu sagen kann.“

„Wir müssen sie zurück zu uns holen!“, rief Danielle laut aus, „Er wird sie in eine von seiner Art verwandeln … “ „Er hat es bereits angefangen.“, mischte sich Charlie ein, „Ich nehme an, dass seine Kennzeichnung und die Verletzung der Anfang des Prozesses sind. Ich kann, wie gesagt, nicht zu hundert Prozent aussagen, dass dem so ist, aber ich glaube es.“ „Wir müssen Ken-“

„Ihr werdet Kensi suchen, oder?“

Sowohl Danielle, als auch Jessica und Charlie drehten sich zur Wohnungstür um und blickten das blonde Mädchen an. Kath trug ihre lockigen Haare zu einem Zopf gebunden, hatte ihre Augen stark schwarz geschminkt und trug eine blau-braun karierte dünne Bluse über einem weißen langen Top zu einer blauen Röhrenjeans mit dunkelblauen Chucks.

„Du willst weg?“, erkundigte Charlie sich, nachdem er Kath gemustert hatte und deutete mit einem Kopfnicken auf die braune Handtasche, die an ihrem langen Riemen über Kaths rechter Schulter hing und an ihrer linken Hüfte endete. „Ich gehe Kensi suchen.“, antwortete Kath mit einem entschlossenen Blick ernst, „Er hat sie und auch wenn ich sie beide aufgrund der Fähigkeit nicht spüren kann, werde ich sie finden.“ „Ich helfe dir, Kath.“, meinte Danielle, „Gemeinsam werden wir sie finden.“ „Ich begleite euch.“, stimmte auch Charlie zu, „Das Rudel steht euch demnach zur Verfügung.“

Alle Blicke wanderten zu Jessica. Diese seufzte und sagte leise: „Ich kann euch nicht begleiten. Tut mir Leid … “ Kath blicke Jessica ernst an und nickte, Charlie wechselte mit Danielle einen kurzen Blick. „Aber ich kann euch helfen.“, fuhr sie ruhig fort, „Es gibt zwei Wege, Caihong und Kensi zu finden. Auch wenn sie an getrennten Orten sind.“ „Welche?“, fragte Kath. „Dort, wo Kensi sich aufhält, muss ein Nichts sein. Sie kann ihre Präsenz nicht so verbergen, dass man sie für die Umwelt hält. Auch Häuser oder Bäume haben eine Präsenz … und Kensi kann diese nicht nachahmen. Wo sie sich aufhält, ist keine einzige Präsenz. Sucht den Ort, an dem ihr nichts spüren könnt. Gar nichts.“ Charlie überlegte, dann nickte er und meinte: „Das macht durchaus Sinn, Jess.“

„Und der zweite Weg?“, erkundigte Kath sich. Jessica blickte Kath lange Zeit schweigend an, dann meinte sie: „Den trägst du in dir, Kathleen. Caihong und dich hat lange Zeit etwas verbunden, etwas Tiefes. Auch wenn du es für beendet hältst, so ist ein Stück immer miteinander verbunden. Dieses Stück ist in dir drin und, auch wenn es schmerzt, es wird immer zu seinem Gegenstück finden.“ „Ich bin also eine Art Radar?“ „Wenn du es so bezeichnen möchtest.“, bestätigte Jessica, „Findet Kensi und bringt sie zu uns zurück. Caihongs Welt ist keine für sie. Für niemanden … “
 

„Ich wüsste zu gerne … “, meinte Danielle, als sie gemeinsam mit Charlie und Kath durch die Straßen der Stadt ging, „ … warum sie uns nicht begleiten kann.“ „Es ist eine schwere Zeit für sie.“, erklärte Charlie, „Und gleichzeitig dabei das zu sein, was sie ist, ist nicht leicht. Vor allem nicht jetzt.“ „Was für eine schwere Zeit?“, erkundigte Danielle sich und bevor Charlie antworten konnte, fragte Kath ernst: „Sie macht sich Gedanken wegen diesem Scott und weil es als Mensch wesentlich einfacher wäre?“ „Wer ist Scott?!“ „Er war Jess' Freund.“, antwortete Charlie knapp, „Konzentrieren wir uns auf Kensi und Caihong.“

„Wie, zum Teufel, soll ich ihn finden?“ Kath fluchte. Caihong schmunzelte amüsiert und Kath schenkte ihm einen eisigen Blick. „Auch wenn du nicht wie er bist … Diese Wortwahl war äußerst passend für dich.“, meinte Charlie, „Der Teufel und die Vampyre.“ Kath rollte mit den Augen, murrte: „Der Teufel hat mit Vampyren nichts zu tun. Zumal ich nur zur Hälft-“ Sie unterbrach sich und räusperte sich.

„Du bist mit ihm verbunden.“, nahm Danielle das Gespräch wieder auf, „Das ist wie bei der Empathie.“ „Mit dem großen Unterschied, dass ich nicht deine Fähigkeit besitze.“, widersprach Kath. „Reg dich ab, Kath.“, sagte Danielle, „Wenn ich Jess richtig verstanden habe, wart ihr miteinander verbunden. So wie wir Werwölfe es sind.“ „Nicht so.“, widersprach Charlie, „Wir können nur über Gedanken in Kontakt bleiben. Wenn Gefahr droht, dann erst können wir den anderen ausfindig machen.“ Kensi sah Charlie erstaunt an, dann nickte sie leicht und meinte: „Vielleicht erklärst du es dann besser?“ „Meinetwegen.“, stimmte Charlie zu.

Die drei gingen noch ein ganzes Stück schweigend weiter, dann versuchte Charlie es Kath zu erklären: „Danielles Ansatz war nicht ganz so falsch, hätte dich aber in die Irre geführt. Werwölfe sind miteinander mental verbunden und können die Gedanken eines jeden anderen lesen. Soweit richtig. Besonders starke Emotionen übertragen sich auch auf die Gedanken, so dass wir anderen sie fühlen können. Danielle hat allerdings durch ihre Fähigkeit die Möglichkeit, schon die leichtesten zu erkennen, weshalb für sie am ehesten das Beispiel zutrifft, aber nicht auf uns oder gar dich.“ „Also?“ „Abgesehen davon, dass wir aufgrund des selben Rudels und der selben Art mental in Verbindung stehen, verbindet Jessica und mich noch etwas.“, fuhr Charlie ruhig fort und Kath antwortete: „Ihr seid ein Paar.“ „Genau. Und der eine Teil dessen weiß immer, wie es dem anderen geht. Selbst bei Menschen. Telepathie und Empathie unter Liebenden wird so etwas genannt.“, erklärte Charlie, „Ich habe aus Jessicas Worten geschlossen, dass so etwas zwischen ihm und dir bestanden haben muss. Und so etwas lässt sich nur schwer trennen, Kathleen.“ Kath sah ihn fragend an. „Auch wenn die Verbindung mittlerweile abgeschwächt sein dürfte und du es zu verdrängen versuchst, ist der Schlüssel zu der Verbindung noch immer in dir. Mach deinen Geist frei und versuch ihn zu finden … Dein Herz wird automatisch wissen, wie es das tun soll.“

Kath seufzte, nickte allerdings leicht. So ungern sie zugab, dass Charlie richtig lag, so gern wollte sie Kensi retten. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Kensi wegen ihr in all das geraten war. Also blieb sie einfach im Gehen stehen, schloss die Augen und versuchte alles andere auszublenden. Ohne es verhindern zu können hatte Kath plötzlich ein Bild Caihongs vor sich: Seine dunklen Augen, seine braunen Haare und sein asiatisches Antlitz. Sie vernahm seine Stimme, obwohl er nicht bei ihr war, und musste unwillkürlich lächeln, als sie das Wort Ally vernahm. Ihr Spitzname … Von ihm gebraucht.

„Ich habe ihn.“

Kath öffnete die Augen wieder und blickte Dani und Charlie ruhig und dennoch ernst an, die beide ein kleines Stück weiter vor ihr standen und sie abwartend ansahen. Es war nur ein Gefühl und doch ahnte Kath, dass es sie zu ihm bringen wollte. Es war aufgetreten, als sie ihren Spitznamen vernommen hatte.

„Beeilen wir uns lieber.“, meinte Charlie, „Denn auch wenn du diese Verbindung gerade geöffnet hast, irgendwann wirst du sie instinktiv wieder verschließen.“ Kath nickte. „Du führst uns an, Kath.“, fuhr er in einem Ton fort, der dem Alphatier eines Werwolfrudels angemessen war, „Und du, Dani, überprüfst, dass uns niemand folgt.“ Dani nickte und Kath ging mit festen Schritten an ihr und Charlie vorbei, dann warf sie beiden noch einen kurzen Blick zu und rannte schließlich mit beiden im Schlepptau los.
 

Der Vampyr hatte eine abgelegene und verlassene Villa als Unterschlupf ausgewählt. Zur Sicherheit hatte er sämtliche Alarmanlagen wieder in Betrieb genommen und der widerstandslosen Kensi eingebläut, dass sie das Haus nicht verlassen durfte – nicht einmal ein Fenster durfte sie öffnen; weder ganz noch einen Spalt breit.

Fast schon teilnahmslos saß Kensi in der riesigen Küche auf einem Barhocker an einem hohen Tisch, die Augen leer und auf ihre Hände gerichtet, die sie flach auf der Tischplatte vor sich liegen hatte. Caihong patrouillierte immer wieder durch das Anwesen, kontrollierte sämtliche Türen, Fenster und Alarmanlagen, nur um dann in der Küche wieder auf und ab zu schreiten.

„Ich sollte dich am besten in den hiesigen Keller bringen.“, meinte Caihong zu Kensi, doch er erwartete keinerlei Antwort von ihr, „Und die Verwandlung unabdingbar machen.“

Wieder schritt er durch die Küche, machte an der gegenüberliegenden Wand eine Kehrtwendung, kehrte zu Kensi zurück, blieb neben ihr stehen und beugte sich weit zu ihr. Seine dunklen Augen ruhten auf ihrem Gesicht und er konnte deutlich ihren ruhigen und langsamen Atem spüren.

„Komm mit.“

Er löste sich von Kensi und dem hohen Küchentisch, packte sie am Handgelenk und zog sie von dem Hocker. Kensi zeigte keinerlei Reaktion, weder auf seine Worte, noch auf sein Handeln. Sie ließ es einfach geschehen, schien völlig in einer anderen Welt zu sein. Selbst als er sie mit sich zog und letzten Endes eine steile Treppe in den alten und großen Keller der Villa führte, zeigte sie keine Anzeichen irgendeines Gefühles.

„Bleib hier.“, sagte Caihong und führte Kensi in einen voll eingerichteten Kellerraum samt Theke, Billardtisch, Dartscheibe und einer Sitzecke mit Sofas, Sesseln, einem Glastisch und einem riesigen Fernseher. Außerdem stand dort ein Aquarium und wenn Kensi in der Lage dazu gewesen wäre, hätte sie sich gefragt, wer sich um die dort lebenden Fische kümmerte – Stand die Villa doch schon so viele Jahre leer. Die eine Wand war mit allerlei Schwertern und Degen verziert, die andere wies eine riesige Stadtkarte auf und die anderen beiden allerlei alte Photographien.
 

„Ich bezweifle, dass sich jemand wie er solch eine Villa leisten kann.“

Kath, Dani und Charlie waren am Haupttor der Villa angelangt und musterten diese. Von außen sah sie zwar gespenstisch und unbewohnt aus, doch sie war weder heruntergekommen noch zerstört.

„Schon hier Alarmanlagen?“ Charlie hatte das Haupttor ein wenig genauer unter die Lupe genommen. „Er ist definitiv vorbereitet.“ „Er ist der meistgesuchteste Vampyr der Welt.“, erinnerte Kath ihn mit einem kühlen Unterton in ihrer Stimme, „Aber Alarmanlagen sind unser kleinstes Problem.“ Sie schob Charlie zur Seite, trat an seine Stelle und machte sich an dem kleinen Kasten mit der Klingel und der Sprechanlage zu schaffen, dann löste sie sich wieder von dieser und nickte zufrieden. „Das Tor lässt sich nun so öffnen … “, erklärte sie und schob das Tor mit Leichtigkeit auf, „ … und wenn wir uns beeilen, wird uns diese Kamera dort nicht erfassen. Ich konnte sie nicht ausstellen, aber für wenige Minuten deaktivieren.“

Die drei schritten durch das Tor und Kath verschloss dieses wieder, dann fragte Dani erstaunt mit gesenkter Stimme: „Woher kannst du so etwas?“ „Jahrelange Übung.“, antwortete Kath knapp und blickte zu Charlie, der die nähere Umgebung genauer musterte. Seine Körperhaltung war angespannt und er schien genau darüber nachzudenken, was sie wohl noch alles erwarten würde.

„Wie kommen wir rein?“, fragte Dani und blickte von Charlie zu Kath und zurück. Charlie antwortete trocken: „Durch die Haustür.“ „Aber … wäre das nicht off-“ „Alles ist offensichtlich, Dani.“, erklärte Charlie, „Und ich habe da schon eine Idee … “
 

Zur selben Zeit nahm Caihong den Blick von Kensi, der Blick ernst und eisig. Er spannte jeden Muskel in seinem Körper an und erschien plötzlich nicht mehr wie der ernste und kühle Asiate, sondern viel eher wie ein gefährliches Raubtier auf der Lauer. Irgendetwas schien er gehört oder gespürt zu haben, denn er lauschte in die Stille der riesigen Villa hinein und setzte sich schließlich langsam in Bewegung, wobei er sich lautlos fortbewegte.

„Bleib wo du bist.“, wies er Kensi ein letztes Mal an, bevor er in Richtung Erdgeschoss verschwand.

The final fight begins.

Caihong bewegte sich in den Schatten der Eingangshalle von dem Flur aus, auf dem die Treppe zum Keller lag. Lautlos und mit noch immer angespannten Muskeln ging er mit solch bedachten Schritten vorwärts, dass er dabei auf jedes kleinste Geräusch und jede Bewegung von anderen Dingen achtete. Und schließlich schien er sein Opfer entdeckt zu haben, trat mit festen Schritten aus den Schatten heraus und sagte laut: „Guten Abend, Allison.“

Die Angesprochene fuhr herum, doch sie war nicht zusammengezuckt und zeigte auch sonst keine Anzeichen dafür, dass Caihong sie in irgendeiner Art und Weise erschreckt hatte. Ihr Blick ruhte auf dem Asiaten, fast schon schmerzerfüllt blickte sie ihn an. Caihong erwiderte ihren Blick gelassen und im Gegensatz zu ihr zeigte er keinerlei Gefühle in seinem Blick.

„Ich hätte wissen müssen, dass du hier auftauchst.“ Kath schwieg. „Doch wie hast du mich gefunden?“ Wieder verweigerte sie ihm eine Reaktion auf seine Worte. „Allison … “ Langsam schritt Caihong auf sie zu, dann blieb er genau vor ihr stehen. „ … was willst du?“ „Ich begehe einen Fehler, Caihong.“ Die ersten Worte, die sie herausbrachte. „Einen Fehler, Allison?“ Kath nickte und fuhr unbehelligt fort: „Und ich will das nicht tun müssen … Cai.“ Caihongs Blick wurde fragend. „Was nicht tun?“ Er wirkte zwar nicht unsicher, doch seine ernste und starke Fassade schien zu bröckeln angesichts der ruhigen Stimme Kaths.

Schließlich sagte er: „Ich hatte dir deutlich die Grenzen aufgezeigt, Allison. Und doch traust du dich wieder zu mir.“ „Das ist es ja.“, brauchte Kath hervor, „Mein Verstand sagt nein, doch etwas Anderes will zu dir.“ Caihongs Blick wurde weicher und ein leichtes Lächeln trat in sein Gesicht. „Du ignorierst das Rudel wieder?“ Kath nickte. „Und du hältst dich von den Children of Night in Bezug auf mich fern?“ Wieder ein Nicken. „Dann komm her.“ Er sah sie auffordernd an.

Kath ging auf Caihong zu, schloss ihn in ihre Arme und legte ihre Wange auf seine Brust. Sie versuchte das Gefühl in ihrer Brust auszublenden und auf ihren Verstand zu hören – auf Charlies Plan zu hören -, doch es fiel ihr wesentlich schwerer als sie geahnt hatte. Das Mädchen spürte wie Tränen in ihren Augen brannten und schließlich ihren Weg ihre Wange hinab fanden, auf ihr T-Shirt oder gar das seinige tropften und es durchnässten. Auch Caihong hatte seine Arme um sie gelegt, das Kinn auf ihren Kopf gelegt und über sie hinweg nachdenklich zur Haustür geblickt.

„Du kannst weinen?“, fragte Caihong schließlich und hob ihr Kinn ein wenig mit der Hand an, so dass er ihr direkt in die Augen blicken konnte, „Weshalb das, Ally?“ „Ich weiß es nicht.“, gestand Kath, „Ich weiß es wirklich nicht … “
 

Zur selben Zeit verschafften sich Charlie und Dani Zutritt in das Innere der Villa an einem Hintereingang vom Garten aus. Dass Kath Caihong beschäftigte war Teil von Charlies Plan gewesen, ebenso die Tatsache, dass sie wieder zu ihm kehren sollte. Der Plan hatte noch umso mehr für Kath beinhaltet, doch sowohl Charlie, als auch Kath und Dani hofften, dass es zu diesen Teilen des Plans niemals kommen würde.

Schweigend betraten die beiden Werwölfe die Villa. Vom Eingangsbereich her konnten die Caihongs und Kaths Stimmen vernehmen, während sie selbst sich nur mental über Gedanken unterhalten konnten. Es blieb zu hoffen, dass Kensis vermeidliche Kräfte stark genug waren, dass sie die Präsenz zweier Werwölfe verschleierte und sie damit für Caihong unentdeckbar machte.

Dani gab Charlie per Handzeichen zu verstehen, dass Kensi sich wahrscheinlich im Keller befand. Sie hatte Jess' Idee getestet und war wirklich auf eine Art Nichts gestoßen. Das war der Grund, weshalb sich beide in Bewegung setzten; zunächst schleichend und lautlos, dann immer schneller und für das trainierte Gehör hörbar.
 

„Was war das … ?!“

Caihong hielt in seiner Bewegung inne, fuhr herum und ließ seinen Blick suchend durch die Eingangshalle gleiten. Kensi war es mit Sicherheit nicht gewesen und Kath stand hier bei ihm … Also musste es sich um einen Eindringling handeln. Oder mehrere.

„Komm.“, zischte er Kath zu, dann lief er schnellen Schrittes lautlos los, Kath immer dicht hinter ihm.
 

Charlie, er kommt!

Dani konnte sich kaum auf die mentale Nachricht, die sie Charlie übermittelte, konzentrieren. Ein leibhaftiger Vampyr war hinter Charlie und ihr her und als wenn das nicht schon das Schlimmste wäre, war dieser Vampyr auch noch der wohl gefährlichste. Sicherlich war er schneller als Charlie und sie, weshalb Dani sich auf eine eventuelle Konfrontation vorbereitete.

Da vorne!

Charlies mentaler Ruf holte Dani wieder in das Hier und Jetzt zurück. Sie sah wie der Ältere in einen vollständig eingerichteten Raum lief und schließlich neben einem Sofa stehenblieb. Darauf lag Kensi mit geschlossenen Augen, langsam und ruhig atmend und anscheinend schlafend. Wie konnte Kensi bloß in einer solchen Lage schlafen?

Vorsichtig trat Dani an Charlies Seite und blickte hinab auf Kensi. Von Nahem sah sie noch friedlicher und damit zur Situation unpassender aus. Sanft legte sie dem Mädchen die Hand auf die Stirn und schloss die Augen, doch wie schon von Beginn an schien ihre eigene Fähigkeit einfach an Kensi abzuprallen und nicht zu wirken.

Wir müssen sie hier rausschaffen.

Dani öffnete die Augen und sah von Kensi auf zu Charlie. Dieser blickte sie mit festem Blick an und deutete dann langsam zur Tür. In dieser stand bereits Caihong, welcher sich zu seiner vollen Größe aufbaute und die beiden Eindringlinge finster ansah. Hinter ihm erschien Kath und ihre Mine zeigte keinerlei Gefühlsregung, doch in ihren Augen war deutlich die alte Eiseskälte und Abneigung zu erkennen. Dani lief es eiskalt den Rücken hinab bei diesem Blick und hoffte, dass sich die Blondine an den Plan halten würde.

„Eindringlinge in meinem Haus.“ Caihong klang amüsiert, doch die von ihm ausgehende Gefahr war deutlich zu spüren. „Und dabei habe ich etwas gegen ungebetene Gäste … “ Er schüttelte den Kopf und setzte eine gespielt enttäuschte Mine auf. „Nun gut.“ Caihong sprach die beiden Worte so aus, als habe er einen Entschluss gefasst. „Ich werde mich mit euch auseinandersetzen.“

Was daraufhin geschah, wollte selbst Dani nicht verstehen, obwohl sie seit ihrer Geburt Teil der Welt des Übernatürlichen war: Der Vampyr streckte seine Hand nach der Wand mit den Schwertern und Degen aus und ein Schwert begann zunächst zu erzittern, dann löste es sich aus seiner Halterung und flog auf Caihong zu, der es gekonnt am Griff packte und dann auf die beiden Werwölfe richtete.

„Lass die Mädchen daraus.“, knurrte Charlie und baute sich zu seiner vollen Größe auf, „Denn ich bin dein Gegner.“ „Charles Siska.“ Caihongs dunkle Augen richteten sich auf den Einunddreißigjährigen und ein Grinsen trat in sein Gesicht. „Schon einmal habe ich dich besiegt und du hast nur überlebt, weil dir eine Vampirin zur Hilfe eilte.“, meinte Caihong amüsiert, „Ich bezweifle, dass dieses heute wieder der Fall ist.“ „Ich kann dich auch ohne die Hilfe anderer besiegen, Caihong.“ „Meinst du nicht eher, dass ich dich vorher bereits getötet habe?“ „Wenn das der Fall sein sollte, Caihong, dann wirst du so stark verletzt sein, dass Dani leichtes Spiel mit dir haben wird und meinen Kampf weiterkämpft.“ Charlies Stimme war ruhig und er warf Dani einen kurzen Blick zu.

„Danielle Brennan, der Schützling deiner Freundin.“ Noch immer sprach Caihong zu Charlie. „Ich hörte, sie soll eine geborene sein?“ „Was geht dich das an, Vampyr?!“, fauchte Dani. „Da hast du allerdings Recht.“, stimmte Caihong ihr zu, „Du wirst so oder so dein Leben hier lassen müssen.“

Charlie stürzte auf Caihong los und verwandelte sich dabei in seine eigentliche Form. Der braun-schwarze Wolf wirkte riesig und sein tiefes Knurren zeigte deutlich, dass die Situation mehr als nur gefährlich war. Sein Nackenfell war aufgerichtet und seine großen Pfoten stießen Charlie mit Kraft vom Boden ab, als er auf Caihong zusprang. Caihong schlug mit dem Schwert nach dem Wolf und Charlie konnte nur knapp ausweichen, weil er mit einer seiner Pfoten den Boden berühren und sich von dort aus in eine andere Richtung drücken konnte.

Wenn ich ihn beschäftige, musst du dir Kensi nehmen. Nimm Kath und dann verschwindet!

Danis Blick wanderte von Kensi zu Charlie, der Caihong weiter attackierte und zur Wand drängte. Entschlossen nickte sie – mit Angst davor, Charlie mit einer Antwort vom Kampf abzulenken. Da Kensi nicht bei Bewusstsein zu sein schien, legte Dani ihre Hände unter den Körper der Blondine und hob sie vorsichtig und doch mit Mühe hoch. Es sah um einiges leichter aus, wenn Männer und Jungen Mädchen und Frauen so trugen, doch Dani hatte ihre Mühe dabei.

„Wo willst du denn hin?“

Dani erstarrte in ihrer Bewegung. Sie hatte es an den kämpfenden Männern vorbei geschafft und wollte durch die Tür treten, doch in dem Türrahmen stand Kath und versperrte ihr mit eisigem Blick den Weg. Einen Moment lang rang die Brünette nach Worten, dann trat in ihren Blick etwas Entschlossenes und auch etwas Eisiges kam zum Vorschein.

„Also doch.“, sagte sie, als sei etwas in jenen Moment beschlossen worden, „Du bist eine Verräterin.“ „Wen sollte ich denn verraten, Danielle? Meine Art?“ Kath klang amüsiert. „Solche wie mich gibt es nicht wie den Sand in Venice Beach. Und dich?“ „Ich rede nicht von mir, Kath.“, widersprach Dani ihr besonnen, „Du verrätst Kensi.“ Ihr Blick wanderte von Kath zu Kensis Gesicht, die noch immer schwer in ihren Armen lag. So langsam begannen Danis Arme zu schmerzen und alles in ihr schrie danach, dass sie Kensi einfach absetzen sollte, doch sie riss sich zusammen und kämpfte gegen diese inneren Schreie an. „Sie ist deine Freundin. Sie hat an dich geglaubt.“ Danis Blick wanderte von Kensi wieder zu Kath. „Und du lässt sie dann im Stich, wenn sie dich am meisten braucht.“ Kath sagte nichts. „Eine tolle Freundin bist du.“, fuhr Dani fort, „Und jetzt geh mir aus dem Weg.“

Ehe sich Dani versah, hatte Kath ihr Kensi aus den Armen genommen. Dani stieß einen Ton aus, der ähnlich dem Knurren eines Wolfes kam und dennoch menschlich klang, dann weiteten sich ihre Augen vor Überraschung: Kath war einige Schritte nach hinten getreten, hatte damit die Tür freigegeben und schenkte ihr einen auffordernden Blick. Hielt sie sich also noch an den Plan?

Zögernd tastete Dani nach Kaths Geist, so wie sie es bei den anderen Werwölfen tat oder zu tun vermochte, wenn sie ihre andere Gestalt annahm, doch sie traf auf eine feste und undurchdringbare Barriere. Kath gab äußerlich kein Zeichen von sich, dass sie bemerkt hatte, dass Dani mental mit ihr Kontakt aufnehmen wollte, da sie sich abwendete und losging. Kurz hielt Dani inne, warf einen Blick nach hinten zu Caihong und Charlie, dann lief sie los und beschleunigte ihre Schritte, so dass sie Kath einholen würde.
 

„Ich dachte schon, du würdest dich nicht an den Plan halten … “

Kath reagierte nicht auf Danis Worte und ging einfach schweigend mit Kensi in ihrem Armen weiter. Es sah aus, als würde ihr Kensis Gewicht weitaus weniger als Dani ausmachen. Dani folgte Kath, doch die plötzlich eingetretene Stille verunsicherte sie.

„Wenn wir draußen sind, wird einiges leichter.“, murmelte Kath und Dani nickte, schritt an ihr vorbei und stieß die große Haustür auf, „Sollte er dann die Fährte aufnehmen, werde ich ihn aufhalten.“ Danis Blick glitt zu Kaths Gesicht und der entschlossene Blick der Blondine ließ Dani seufzen.

Sie beide traten mitsamt Kensi in Kaths Armen nach draußen in das Mondlicht. Nach einigen Schritten blieben sie stehen, drehten sich zur Villa herum und bedachten sie eines letzten Blickes, dann half Kath Dani dabei, Kensi Huckepack zu nehmen, damit Dani schneller und leichter vorankam.

Ein lauter Schrei ließ beide Mädchen zusammenzucken, doch Dani nahm er weitaus mehr mit als Kath: Sie schloss die Augen, biss sich fest auf die Lippe und versuchte dem Drang zu widerstehen, der sie ins Haus rennen lassen wollte. Der Schrei war nicht nur auf normalem Wege an ihre Ohren gedrungen, sondern auch auf mentaler Basis – und dadurch wusste Dani, dass es sich beim Urheber des Schreis um Charlie handelte.

Nur wenige Sekunden später drang Kaths Ruf an ihre Ohren und Dani riss die Augen auf. Die Blondine sah weiterhin zur Villa und ihre Körperhaltung war angespannt, doch mit einer bestimmten Geste deutete sie auf das Tor und gab Dani damit zu verstehen, dass diese endlich loslaufen solle. Dani zögerte und Kath wiederholte die Geste noch einmal, dieses Mal noch bestimmter.

„Geh endlich!“, rief sie der Brünetten laut zu, „Er kommt!“ Und Dani wusste, wovon Kath sprach … Caihong Jin hatte den Kampf im Keller beendet und war nun auf dem Weg seine Beute zurückzuholen. „Verschwinde!“, fauchte Kath, „Bring Kensi in Sicherheit; er ist mein Gegner!“

„Wer ist dein Gegner?“

Dani war losgelaufen und Kath erstarrte in ihrer Bewegung. Der Vampyr mit dem asiatischen Antlitz und den schwarzen Haaren blickte sie finster aus seinen dunklen Augen heraus an. Er hielt keine Waffe in den Händen, doch dennoch konnte Kath das Blut auf seiner Kleidung sehen und sogar riechen. Ihre verstärkten Sinne verrieten ihr sogar, dass es das Blut eines übernatürlichen Wesens war – so wie Charlie eines war.

„Caihong.“ „Allison, ich hätte mir deine Illoyalität denken können.“ „Du hättest Kensi lieber in Frieden lassen sollen, Cai.“ „Sie ist meine Beute. Da kann ich sie doch nicht einf-“

Kath ging in den Angriff über. Sie rannte auf Caihong zu, stieß ihm mit aller Kraft mit ihren Händen gegen die Brust und warf ihn zu Boden, nur um dann auf ihm zu landen. Ein Gerangel entstand, sie beide kämpften um die Oberhand und da sie beide in diesem Moment ebenbürtig zu sein schienen, ließen sie voneinander ab und erhoben sich mit ein paar Metern Abstand zwischen ihnen. Ihre Blicke ruhten auf dem jeweiligen Gegenüber und keiner wollte den anderen aus den Augen lassen, denn schon ging Caihong wieder in den Angriff über, doch Kath wehrte ihn gekonnt ab.

„Du bist nicht der einzige, der ein wenig Kampftraining hatte.“

Caihong schien dieses bloß zu amüsieren, denn auch wenn er sie nicht richtig treffen konnte, da sie ihn immer abwehrte, schien er noch nicht alles zu geben. Kath nutzte diese Chance und setzte zu einem hohen Tritt in Richtung seines Kopfes an, doch der Vampyr packte blitzschnell ihr Bein und hielt es fest. Kath funkelte ihn verärgert an, doch er zwinkerte ihr nur zu, zog sie an sich und hielt dabei ihr Bein weiter fest in seinem Griff, dem sie nicht entkommen konnte. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter nur noch und Caihong beugte seinen Kopf ein wenig vor, so dass die ohnehin schon geringe Distanz noch kleiner wurde. Kath sträubte sich, versuchte ihm zu entkommen, doch sein Griff war zu fest und seine andere Hand hatte bereits ihren Oberarm gefunden und hielt sie dort fest, so dass sie sich nicht nach hinten beugen konnte. Gefangen in seinen Fängen …

„Lass mich los!“ Es klang fast schon flehend und Kath fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben unterlegen. „Caihong, lass mich los!“ Doch der Asiat hörte nicht auf die Worte der Blondine und näherte sich ihr weiter. Nun berührten seine Lippen die ihrigen und so sehr sie dagegen auch ankämpfte, sie konnte seinem Kuss nicht entkommen.

„Caihong!“

Ein lauter Schrei ließ den Vampyr von Kath zurückweichen und sie loslassen. Wie paralysiert stand Kath da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. In ihr spielte alles verrückt und ihre Gefühle sprachen Widersprüchliches aus. Ihre rechte Hand wanderte zu ihren Lippen, die Finger betasteten sie leicht und vorsichtig, der Blick zeigte deutlich, dass sie noch nicht wieder in der Wirklichkeit angelangt war.

„Oh, habe ich dich doch nicht umgebracht?“

Mit gespielt überraschtem Gesichtsausdruck blickte Caihong an Kath vorbei auf Charlie, der ziemlich übel zugerichtet aussah und auf dessen Kleidung überall Blut zu sehen war. Vor allem sein rechter Oberschenkel schien in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein und seinen linken Arm mitsamt der linken Hand schien Charlie gar nicht mehr benutzen zu können, da sie nur schlaff an seiner Seite hingen. Dass die Haare noch mehr durcheinander waren als ohnehin schon, war da das kleinere Übel und kaum verwunderlich.

„Du … lässt sofort … die … Mädchen … in Frieden!“, brachte Charlie mit Mühe und einem mehr als wütenden Unterton in der Stimme hervor, „Alle … drei!“ „Muss ich dich räudigen Streuner erst für ein chinesisches Gericht zurechtmachen?“ „Und wenn … es … mein … Leben kostet … “, sagte Charlie und blickte Caihong entschlossen entgegen, „ … ich lasse … dich nicht … die … Mädchen … “ Er sprach nicht weiter, doch es war mehr als deutlich, was Charlie hatte aussagen wollen und in Caihongs Blick trat etwas Erfreutes. „Kampfgeist nenne ich das mal.“, lobte er den Werwolf, „Alle Achtung, du leistest enormen Widerstand … Für so einen wie dich, meine ich.“

Wieder stürzten Charlie und Caihong aufeinander zu, griffen einander an. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Caihong nicht mehr bewaffnet und Charlie nicht verwandelt war. Charlie schien von einer blinden Wut getrieben zu werden, denn seinen Angriffen fehlte mitunter die Präzision, doch das machten sie in Kraft wieder wett. Caihong schien mit diesen unkontrollierten Angriffen nicht allzu gut klarzukommen, denn er wich immer wieder etwas zurück. Kath reichte ein Blick auf Charlie und schon wusste sie wieder, was sie als nächstes tun sollte – Also lief sie los.
 

„Dani!“ Dani blieb abrupt stehen und ihre Körperhaltung war angespannt. Kath holte sie ein, blieb dann vor ihr stehen und musterte sie. „Soll ich sie nehmen?“ „Du bist die bessere Kämpferin.“, gestand Dani, „Ich werd die paar Meter auch noch schaffen.“ Kath musterte sie skeptisch, leistete aber keinen Widerspruch.

„Was ist mit Caihong?“, erkundigte Dani sich, als die beiden sich wieder in Bewegung setzten – zunächst langsam, dann immer schneller. „Charlie kam im passenden Moment.“, erklärte Kath der Brünetten, die sichtlich erleichtert schien, „Er hat den Kampf übernommen und schien trotz der Verletzungen gute Chancen zu haben.“ „Und ich befürchtete, dass er … “, murmelte Dani, doch sie brachte ihren Satz nicht zum Ende. Kath wusste, was die Werwölfin hatte sagen wollen und nickte deshalb nur leicht.

„Ich kann es nicht glauben, wir haben Kensi wirklich befreit.“, meinte Dani schließlich, „Dann müssen wir ihr nur noch helfen, dass sie nicht … Na ja, dass sie nicht zu einer wie Caihong wird.“ „Wir schaffen das.“, sagte Kath voller Zuversicht, „Doch zunächst müssen wir sie zu Jess schaffen.“ „Ja.“, stimmte Dani zu.

So follow me down.

Sie waren danach nicht mehr allzu weit gekommen, denn nur wenige Minuten später standen sie plötzlich dem Vampyr gegenüber. Woher er gekommen war, das war sogar Kath ein Rätsel. Das Blut an seiner Kleidung stammte nicht nur von Charlie, sondern auch von ihm selbst. Während Kath aus den Augenwinkeln sah, wie Dani etwas zurückwich und einen besorgten Gesichtsausdruck aufsetzte, versteifte sich ihre eigene Haltung ein wenig. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, was mit Charlie geschehen war, sondern musterte ihren erneuten Gegner eingehend. Er hatte so einige Kratzer im Gesicht abbekommen, einige schienen etwas tiefer zu sein und bluteten stärker, und außerdem hinkte er ein wenig. Das ließ Kath wundern, denn wie hatte er so lautlos und in solch einer Geschwindigkeit zu ihnen aufschließen und sie schließlich überholen können?

„Dani … bleib hier.“, raunte Kath ihrer Begleiterin zu, „Setz Kensi ab.“ Dani warf der Blondine einen fragenden Blick zu. „Dieser Kampf geht auf unser beider Konto.“, meinte Kath nun etwas lauter, „Das ist Caihong Jins letzte Stunde.“ „Allison, du erstaunst mich immer wieder.“, mischte Caihong sich ein, „Solch Entschlossenheit. Solch Mut.“ „Halt die Klappe.“, fuhr Kath ihn an, „Wenn wir mit dir fertig sind, wirst du nicht mehr unter uns oder den Untoten weilen.“ „Darauf bin ich aber gespannt.“ Caihong grinste, dann griff er sie und Dani, die Kensi mittlerweile abgesetzt hatte, an.

Der Kampf war ausgeglichen, auch wenn Kath und Dani ein wenig die Oberhand behielten. Caihong war verletzt und hatte bereits drei Kämpfe hinter sich, doch Dani war vom weiten Tragen Kensis erschöpft und Kath musste ihre Gefühle nebenbei verdrängen, so dass Caihong irgendwann das Blatt zu wenden wusste: Dani ging nach einem schweren Treffer zu Boden und blieb bewusstlos liegen, während Kath wieder einmal allein Caihong gegenüber stand. Caihong schien dieses zu genießen, denn er ließ sich in diesem Zweierkampf viel Zeit, doch auch ihm reichte irgendwann die Spielerei und er schickte Kath mit einem gezielten Tritt vor den Oberkörper in das nahegelegene Schaufenster, welches zu Bruch ging.

„Du warst eine Besonderheit, Allison.“, meinte Caihong, der sich Kath, die im Schaufenster zwischen den Scherben und den Auslagen lag und sich kaum rühren konnte, näherte, „Und dann bist du auch noch solch eine zähe Kämpferin … “ „Kaessigye.“ „Allison, solche Wörter aus deinem Munde … “ „Jede Sprache dieser Welt ist zu gut für sich, Caihong.“, sagte Kath ernst, „Selbst deine eigene Muttersprache.“ „Ich hätte wissen müssen, dass du dieses Talent besitzt.“, gab Caihong zu, „Ein Sprachgenie.“ „Irgendetwas muss ich dir doch an den Kopf werfen können.“ Sie versuchte sich aufzusetzen, doch die Scherben der Schaufensterscheibe schnitten ihr in die Arme und Beine. „Aber doch nicht solch schmutzige Begriffe.“ „Gerade so etwas passt zu dir … “

Caihong näherte sich Kath, erhob die zur Faust geballte Hand und schien Schwung zu holen. Als er sie nach vorne schnellen ließ, streckte er seine Finger aus und blickte Kath eisig an, die seinem Blick standhielt und wusste, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte …

„Nein!“

Es war nicht der Schrei, der Caihongs Versuch vereitelte, denn mit diesem Schrei war jemand mit blonden Haaren auf Caihong zugestürmt und hatte ihn von den Füßen gerissen. Kath brauchte eine Weile um zu verstehen, dass Kensi aus ihrem Zustand erwacht und ihr zur Hilfe geeilt war. Nun rollte sie über Caihong und den Boden hinweg, versuchte auf die Beine zu kommen. Caihong war verwirrt und hatte sich bereits fast wieder zu seiner ganzen Größe aufgerichtet.

„Du stellst dich gegen deinen Meister?“ „Welcher Meister?“, fragte Kensi unbeeindruckt, „Ich bin mein eigener.“

Sie schien die Gefahr zu unterschätzen oder gar nicht erst wahrzunehmen, denn noch bevor sie hatte irgendetwas tun können, hatte Caihong sie gepackt und gegen die nächste Häuserwand gedrängt. Er drückte sie dagegen, blickte sie eisig an und bereitete sich darauf vor, sie umzubringen. Das Genick zu brechen wäre das beste und einfachste, denn dann würde er im Nachhinein ihr Blut noch trinken können.

Während Caihong darüber nachdachte, wanderte Kaths Blick zu Dani, die noch immer bewusstlos am Boden lag. Sie wusste, dass Caihong Kensi töten würde und nur noch zögerte, weil er wahrscheinlich darüber nachdachte, wie er Kensi die größten Qualen erbringen könnte. Es ging um Minuten, wenn nicht sogar nur Sekunden, die Kath hatte, um ihre Mitschülerin zu retten. Aus diesem Grund ignorierte sie die in ihr Fleisch schneidenden Scherben, griff sich einen großen Splitter und erhob sich. Caihong reagierte nicht einmal auf ihre sich ihm nähernden Schritte, die zunächst über die am Boden verstreuten Scherben gingen, dann über den Beton des Fußweges. Er schien förmlich in einer Art Blutrausch zu sein und Kath hatte ihren Blick fest auf seinen Rücken geheftet und packte die Scherbe noch fester. Sie schnitt ihr in die Handinnenfläche, doch diesen Schmerz ignorierte das Mädchen. Noch nie war sie sich bei einer Sache sicherer als jetzt gewesen …

Caihongs Augen weiteten sich, als er die Scherbe in seiner Seite spürte. Kath hielt diese noch immer fest umklammert, auch wenn sie bereits in ihm steckte. Langsam, fast wie in Zeitlupe, ließ Caihong von Kensi ab, die zitternd zu Boden sank und dort auf ihren Knien sitzen blieb, den Blick erschrocken und überrascht zugleich auf Caihong und Kath gerichtet. Der Vampyr drehte sich zu Kath um, sie riss die Scherbe aus seinem Körper und während sie damit mit aller aufbringbaren Kraft, die bei Weitem größer als die bei einem Menschen war, in ihn einstach und sein Herz oder seine Lunge zu verletzen hoffte, führte sie ihren Mund an sein Ohr. Leise flüsterte sie ihm etwas ins Ohr und Caihong , der realisierte, was sie getan hatte, kam nicht einmal mehr zu einer Antwort, denn als Kath ihre Worte ausgesprochen hatte, waren bereits seine Lebensgeister erloschen.
 

Das nächste woran Kensi sich erinnern konnte, wenn sie an diese Nacht zurückdachte, war, dass sie, als sie ihre Augen aufschlug, an eine weiße Decke starrte, die sich bewegte und von Neonröhren unterbrochen wurde. Sie konnte den Kopf nicht drehen, doch aus den Augenwinkeln sah sie zu ihrer linken und rechten Seite zwei Männer in weißen Kitteln mit Mundschutz. Die Wände, an denen sie vorbeiliefen, waren ebenso weiß wie die Decke über ihnen. Die Blicke der Männer waren gehetzt und dennoch ernst, die Körperhaltung angespannt.

„W-Wo … Wo bin ich?“ Nur mühsam kamen die Worte über Kensis Lippen. „W-W-Was … Was ist … Was ist geschehen?“

Sie kamen an anderen Menschen vorbei und sie alle sahen sie besorgt an. Kensi verstand die Welt nicht mehr. Was war los? Wo war sie? Niemand antwortete auf ihre Fragen, keiner ließ sich zu einer Erklärung herab. Was war geschehen?

Angst stieg in Kensi auf. Sie hatte keine Ahnung wo sie war, warum sie dort war, oder wer diese Leute waren. Die Rufe, die an ihre Ohren drangen, ergaben ebenso wenig Sinn. Was war los?

Instinktiv versuchte sie sich an das zu erinnern, was zuletzt geschehen war, doch aufsteigende Kopfschmerzen ließen sie es bei nur einem Versuch bleiben lassen. Tränen brannten in ihren Augen und Kensi bezweifelte stark, dass sie diese lange würde unterdrücken können.

Ein Mädchen im selben Alter, blond, mit zerrissener Kleidung und blutverschmiert, tauchte für kurze Zeit in Kensis Blickfeld auf. Sie sah abwesend, fast schon verstört aus und war sehr blass, doch etwas Anderes ließ Kensi alle letzten Kräfte zusammennehmen und fast schon verzweifelt flehen: „Kath!“ Dann war die Blondine aus ihrem Blickfeld verschwunden, eine Tür wurde passiert und dann herrschte Stille.
 

Drei Tage später saß Kensi in einem Bett in ihrem Zimmer im Krankenhaus. Ihr Vater und ihre Geschwister waren am Morgen zu Besuch gewesen und würde gegen Abend wiederkommen und Jason mitbringen, ebenso hatten Jess, Charlie und Danielle sich zu Besuch angekündigt, wobei letztere bereits an ihrer Seite auf dem Besucherstuhl saß und schlief. Sie sah fast schon friedlich aus, hätte sie nicht eine genähte Stelle an ihrer linken Augenbraue und mehrere Schnittwunden im Gesicht und an den Händen gehabt. Noch immer war Kensi einiges unklar, doch mit viel Ruhe und Zeit hatten die Werwölfe begonnen sie über das Geschehene aufzuklären. Die offizielle Version war ein Autounfall und das Rudel hatte alle Arbeit geleistet um einen zu inszenieren, der die Polizei zufriedenstellte.

Es klopfte und auf Kensis heiseres herein betraten Charlie und Jess das Krankenzimmer. Charlie sah noch übler zugerichtet aus als Dani, doch allzu schlimm auch nicht mehr. Lag wahrscheinlich an dem Werwolfblut in seinen Adern … Schnell heilend und was die Mythen alles besagten. Trotz allem musste er von Jess gestützt werden, denn aufgrund des Bruches von Elle und Speiche in seinem linken Arm konnte er für die tiefe Stichverletzung in seinem rechten Oberschenkel keine Krücken benutzen. Erst hatte man ihm einen Rollstuhl andrehen wollen, doch Charlie hatte abgelehnt und Jess hatte betont, dass sie ihren Freund versorgen würde.

Nach einem langen Gespräch mit den beiden Anführern des Rudels, Dani war irgendwann aufgewacht und hatte sich daran beteiligt, kam das Gespräch zu einem Punkt, an dem Kensi die Frage aussprach, die ihr am längsten auf der Seele brannte: „Wo ist Kath?“ Die drei Werwölfe tauschten unruhige Blicke miteinander aus, dann antwortete Jess aufrichtig: „Keiner weiß es, Kensi. Sie verschwand spurlos nachdem du hier eingeliefert worden warst.“ Kensi schluckte, dann gestand sie: „Ich sah sie … Ich sah sie, als ich hier ankam.“ Jess sah überrascht aus. „Aber sie hat nicht reagiert … “, murmelte Kensi eher zu sich selbst, „ … sie hat nicht auf mein Rufen reagiert … “ „Wahrscheinlich braucht sie eine Weile um zu verstehen, was geschehen ist.“, vermutete Jess, „Immerhin hat sie Caihong Jin getötet … “ „Ihren Freund.“ Drei Augenpaare richteten sich auf Kensi und Erstaunen lag in ihnen. Woher hatte sie das gewusst? „Ja, ihren Freund.“, bestätigte Charlie, „Sie hat einiges für dein Leben geopfert, Kensi. Wenn du sie sehen solltest, solltest du ihr danken.“ „Das werde ich.“, versprach Kensi, doch irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass sie die Blondine so schnell nicht wiedersehen würde.

„In der Schule vermisst man dich.“, berichtete Jess, „Und es scheint, als wolle der gesamte Mathekurs dir eine riesige Karte schreiben.“ Sie lächelte. „Und Kaths Fehlen ist zwar einigen aufgefallen … “, erzählte Dani, „ … doch Jason scheint es am meisten zu beschäftigen.“ „Jace denkt wahrscheinlich noch über meine Worte nach.“, gestand Kensi, „Als ich euch für das hielt, was ihr seid … Ohne dass ich es wusste.“ „Ihre Eltern haben sie als vermisst gemeldet, aber Jason beruhigt das nicht.“ „Tust du mir einen Gefallen, Dani?“ Dani nickte. „Kümmer dich um Jason.“, bat Kensi sie, „Er hat nur Flausen im Kopf.“

Der restliche Tag verging sehr schnell und auch Kensis Familie mitsamt Jason kamen irgendwann herein und gingen, als die Besucherzeit sich dem Ende näherte. Eigentlich hatte Kensi dem Fernsehprogramm ihre Aufmerksamkeit schenken wollen, doch gegen elf Uhr am späten Abend wurde dieses Vorhaben von einer weiteren Besucherin unterbrochen. Als Kensi das Gesicht dieser sah und wusste, wer sie war, brauchte sie sich nicht einmal mehr zu fragen, wie sie um diese Uhrzeit hereingekommen war.

„Alle Achtung, du lebst wirklich noch.“ Die dunkelbraunen Augen der Frau ruhten auf Kensis Gesicht und in dem sonst so kühlen Blick lag ein wenig Stolz. „Ich hätte nie gedacht, dass du das überstehen würdest.“, gestand sie, „Vor allem nicht als … als Mensch.“ „Mir liegt eben viel am Leben.“, erklärte Kensi und deutete auf den Besucherstuhl, „Und das Rudel hat mit Kaths Hilfe alles gegeben.“

„Ich sollte mich dafür entschuldigen, dass die Children of Night dir nicht beigestanden haben, Kensi.“ „Rem-“ „Sag ruhig auch Lil zu mir.“ „Lil … “ Kensi blickte Lilith ruhig an. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Woher hätten Sie wissen sollen, dass die mich gerade dann befreien wollen?“ „Schon vergessen? Ich bin Kaths Mentor.“, erinnerte Lilith die Blondine, „Aber mittlerweile glaube ich, dass ich eine sehr schlechte bin.“ „Inwiefern?“ „Ich wusste nichts von ihrer Beziehung zu Caihong.“, gestand Lilith und Kensi ahnte, dass diese Worte und diese Ehrlichkeit gegenüber ihr, einem Menschen, Lilith zusetzten, „Sie ist ein Mischwesen und ich habe sie nicht im Griff. Ich habe das Wohl des Clans über ihr eigenes gestellt, ja sogar meines über ihres. Und wieder ist Kathleen einfach verschwunden.“ „Das Rudel denkt doch genauso.“ Lilith dunkelbraune Augen richteten sich fragend auf Kensis Gesicht. Diese brachte ein schwaches Lächeln Zustande und beantwortete die unausgesprochene Frage: „Das Wohl des Rudels geht über das der anderen.“ Langsam und bedächtig nickte Lilith, dann erhob sie sich wieder von dem Besucherstuhl, verabschiedete sich und verschwand ebenso lautlos wie sie gekommen war.
 

Nach einer Woche konnte Kensi aus dem Krankenhaus entlassen werden. In der Schule wurde sie voller Freude empfangen und wieder aufgenommen, zuhause versuchten Sam und Noah Kensi viel Arbeit abzunehmen. Kath war noch immer nicht aufgetaucht und mittlerweile hatte Kensi sogar ihr Bild auf Flyern an einigen Bäumen und in einigen Geschäften entdecken können. Das Rudel ließ sie weitgehend in Frieden, Jess benahm sich wie jede andere Lehrerin zu ihrer Schülerin auch und Dani versuchte ihr Leben zu leben, auch wenn sie mit Kensi und Jason eine Art Trio darstellte. Wenn Kensi abends nach hause kam und aus ihrem Zimmerfenster blickte, konnte sie schwören, dass sie kurze Blicke auf Mitglieder des Rudels hatte erhaschen können, die sich dann immer weiter in den Schatten zurück stahlen. Wahrscheinlich würde diese Aufpasserei noch eine ganze Weile so gehen, doch Kensi war es egal. Solange sie ihr Leben leben konnte, würde sie die übernatürlichen Wesen auch deren Leben leben lassen. Nur was Kath betraf, so wünschte Kensi sich, die abweisende und eisige Blondine noch einmal zu sehen und ihr ihren Dank auszusprechen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Altair
2011-07-21T18:55:47+00:00 21.07.2011 20:55
Endlich finde ich wieder Zeit zum schreiben.:D
Ist auch schon etwas länger her, würde ich vermuten...

Auf jeden Fall. Mal wieder ein sehr schönes Kapitel. Du schafftest, kurze Szenen so auszufeilen, dass sie lang wirken und trotzdem interessant sind. Eine Kunst, die ich auch gerne hätte:(
Bei meiner FF muss ich mich immer quälen auszuschreiben und alles.

Wenn ich in den nächsten Tagen wieder etwas Zeit finde, werde ich weiter lesen.

-Altair

Achja, ich mag Lilth;)
Von:  -Altair
2010-12-28T23:41:21+00:00 29.12.2010 00:41
Hallöchen~
Der Anfang deiner Fanfiction klingt ja schonmal sehr vielversprechend. Und ich werde sie weiterlesen, obwohl ich kein Fan von Werwölfen und Vampiren sind. Wunderbar, dass sie bei dir nicht glitzern;)
Ich mag deinen Schreibstil, ziemlich fließend und gut zu lesen, und bis auf einen Rechtschreibfehler (glaube ich;)) ist mir nix aufgefallen. Respekt:):)
Ja, Los Angeles ist schon eine feine Stadt, habe sie auch für meine derzeitige Fan Faction gewählt...Aber zurück zu dir.
Ich werde versuchen morgen weiter zu lesen, dann, so ich wie es gerade bemerkt habe, ist es doch schon spät Ô_o
Liebste Grüße und mach weiter so,
Altair


Zurück