Winterfreuden von Trollfrau ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Hannah stand am Fenster der kleinen Blockhütte und starrte hinaus. Sie hatte Muskelkater. Schrecklichen Muskelkater in den Waden und Armen. Warum musste sie es auch bereits am ersten Tag ihres Skiurlaubes derartig übertreiben. Mit einer Tasse voll Tee, den sie am liebsten mochte, beobachtete sie die Schneeflocken, die den ganzen Tag über bereits getanzt hatten und auch jetzt, wo es so langsam Abend wurde und sich die Dunkelheit über dem Wald ausbreitete, wollten sie damit wohl nicht hören. Hannah brachte ein Seufzen hervor und trank einen Schluck. Die Hütte, in der sie sich befand, gehörte einem fernen Onkel von ihr. Sie war vielleicht zwei, oder dreimal in ihrem Leben bei ihm gewesen. Sie kannte ihn nicht wirklich, aber das war ihr egal. Jedes Jahr, um diese Zeit verschlug es ihre Eltern in den Urlaub. Jedoch in den Süden. Dahin, wo es warm war. An den Strand. Hannah hatte angefangen, das zu hassen. Es war doch Winter! Hierzulande lag Schnee und sie fuhr doch so gerne Ski. Zum Glück war sie nicht die einzige, die an dieser Urlaubsplanung nichts mehr fand. Das hier war wohl eine der wenigen Ausnahmen, bei denen sie sich mit ihrer großen Schwester einige war. Viviens Freund war vor wenigen Tagen achtzehn geworden und darum erlaubte ihr Mutter auch, diesen Urlaub in Onkel Achims Skihütte. Vivien war zwar erst siebzehn, aber nicht mehr lange. In wenigen Tagen würde auch sie achtzehn sein und außerdem war die Wohnung in der Stadt, in welcher ihr Onkel wohnte, nicht besonders weit von hier entfernt. Und Hannah? Sie hatte angefangen Mutter und Vater zu beknieen, dass sie auch hier mit herreisen durfte. Nils und ihre Schwester würden schon auf sie achten. Sie versprach, sich zu benehmen. Sie war doch kein kleines Kind mehr. Wie lange hatte sie gebettelt und gejammert, dass sie doch nicht schon wieder mit ans Meer fahren wollte. Das sie viel lieber Ski und Schlitten fahren wollte und irgendwann wurde sie endlich erhört. Hannah hatte sich so auf den diesen Winterurlaub gefreut, wie ein kleines Kind, welches die Geschenke von Geburtstag, Ostern und Weihnachten gleich auf einmal bekommen hatte, doch jetzt starrte sie gelangweilt aus dem Fenster. Hätte sie sich nur mit ihrem Betteln und Flehen etwas zurückgenommen. Es konnte ja keiner ahnen, dass Nils seinen kleinen Bruder auch noch mitnehmen würde. Das Musterbeispiel eines kleinen, nervigen Bruders, dass die Welt kannte. Er war zwar ein Schuljahr älter als sie selbst, doch Jonas führte sich manchmal auf wie ein Kindergartenkind. Fest klammerte sie sich an ihrer Tasse fest und beobachtete die Schneeflocken, die immer wieder gegen das Fenster flogen und sofort wieder schmolzen. Hannah liebe Schnee. Diese kleinen wunderschönen Kristalle. Wie hatte sie diese vermisst. Ihr Blick wanderte über den schmalen Weg, der so langsam wieder zugeweht wurde und vor ihren Augen zu verschwinden schien. Während sie so hinausblickte und mit den Gedanken schon wieder bei ganz anderen Dingen war, flog etwas genau auf sie zu. Hannah war wie erstarrt, als ein Schneeball von außen genau in ihre Richtung segelte und schließlich gegen die Grasscheibe flog. Sie zuckte dabei so heftig zusammen, dass ihr die Tasse mit ihrem Lieblingstee aus den Fingern fiel. Der heiße Inhalt ergoss sich über ihrem Knie und die Tasse zerbrach auf den harten Holzdielen. Als sie aufblickte, sah sie direkt in Jonas breites Grinsen. Dieser Idiot!, fluchte sie innerlich. Die Scheibe war zum Glück heil geblieben, doch jetzt durfte sie sich erst einmal umziehen. Zu ihren ohnehin schon schmerzenden Beinen gesellte sich jetzt auch noch das Brennen von heißem Tee und der derbe Aufschlag durch die Tasse auf ihrem Knie. Hinkend verschwand sie in ihrem und Viviens Schlafzimmer und würdigte Jonas keines Blickes. Sollte er doch machen, was er wollte. Wenn es ihr zu dumm wurde, würde sie ihn einfach anschwärzen. So einfach war das. Sie ließ sich schwerfällig auf dem Bett nieder und befreite sich von ihrer nassen Jogginghose. Zum Glück hatte sie nicht nur eine mit. Als hätte sie es geahnt. Sie würde erst einmal den Fleck grob auswaschen und die Hose anschließend neben den kleinen Kachelofen hängen. So lange würde sie eben die andere anziehen. Schnell war der Hosenwechsel vollzogen und sie betrat schließlich wieder die Wohnküche, die für vier Personen allemal ausreichend Platz bot. Als sie gerade im kleinen Badezimmer, in welchem sich eine Toilette, ein Waschbecken und eine Dusche befand, verschwinden wollte, wurde die Haustür schwungvoll aufgerissen. Es war Jonas. Wer sonst! Hannah beachtete ihn nicht und verschwand im Bad. „Schneeballschlacht!“, stieß er hervor und ließ ihr nach. „Du kannst mich mal!“. Hannah warf ihm einen vernichtenden Blick zu und kümmerte sich schließlich wieder um ihre Aufgabe. Dieser Heidelbeertee machte aber auch sofort fürchterliche Flecken. Sie wollte gerade den Wasserhahn aufdrehen, da traf sie eine Schneekugel am Hintern. Hannah begann zu knurren. Sie raste vor Wut. War sie diesem Mistkerl jetzt etwa ausgeliefert? Doch wenn sie jetzt Schwäche zeigte, würde es nur noch schlimmer werden. Da war sie sich ganz sicher. Warum war sie nur nicht mit in die Stadt gefahren. Mit einer ruckartigen Bewegung wand sie sich zu ihm um, sprang auf ihn zu und schlug ihm bin beiden Fäusten fest auf die Brust. „Warum musst du mir so auf die Nerven gehen!“, schrie sie ihn an. Völlig verdutzt und mit weit aufgerissenen Augen sah er Hannah an. Hatte er jetzt etwa nicht mit einer Gegenwehr gerechnet? Unsanft schob sie ihn aus dem Bad und wieder in Richtung Eingangstür. „Geh wieder raus und nerv irgend jemanden anderes. Das werde ich Vivien erzählen...“ Wo blieben die beiden nur? Sie wollten doch nur noch einmal Lebensmittel besorgen. Waren sie vielleicht im Schnee steckengeblieben? Ihre letzten Worte hätte sie sich jedoch verkneifen sollen. Jonas packte sie mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht am Arm und zog sie jetzt selbst auf die Ausgangstür zu hinter sich her. „Jetzt werde ich dich wohl seifen müssen“, stellte er angeberisch klar und zog sie noch weiter hinter sich her. Hannah begann zu quieken. Sie wehrte sich wie ein Tier, doch Jonas war stärker als sie und viel stärker, wie sie es ihm zugetraut hatte. Dieses Grinsen. So langsam wurde ihr davon schlecht und dann fand sie sich auch schon nur mit den Fellhausschuhen, einer Jogginghose und einem Rollkragenpulli im knietiefen Schnee wieder. Sofort umwehte sie der eisige Wind und sie spürte ganz deutlich die Gänsehaut, die ihr über Rücken und Arme lief. Das konnte doch nicht wahr sein! Die Wut in ihr stieg in für sie noch völlig ungeahnte Höhen. Dieser Kerl brachte sie zum rasen. Die Jungen in ihrer Klasse waren zwar nicht minder nervig, doch dieser hier brachte das Fass zum überlaufen! Jonas wollte sich gerade bücken, um mit einer Hand eine anständige Ladung Schnee aufzunehmen, da riss sie sich mit einem wuterfüllten Schrei von ihm los und stürzte sich anschließend auf ihn. „Was bildest du dir eigentlich ein!?“, fauchte Hannah ihn an und schob ihn wieder rücklings von sich. Zu ihrer Überraschung gelang es ihr hier auf einer vom Schnee verdeckten, spiegelglatten Fläche sogar um einiges besser. Sie schob, so stark sie konnte und mit einem Male war es Jonas wohl doch nicht mehr ganz so egal, was sie hier tat. Er versuchte mit ganzer Kraft, sein Gleichgewicht zu halten, doch er verlor es schließlich doch und landete mit dem Hintern in einer Schneewehe. Wie eine auf dem Rücken gelandete Schildkröte begann er zu strampeln, doch es gelang ihm für den Moment nicht, sich zu befreien. Hannah klopfte sich schleunigst den Schnee von den Fingern und verschwand wieder in der Hütte. Diesen Mistkerl hatte sie erst einmal los. Als sie die warme Wohnküche wieder betreten hatte, blickte noch einmal aus dem kleinen Fenster zu Jonas zurück. Dieser hatte es endlich geschafft, sich aus der Schneewehe zu befreien und hastete ihr nach, doch Hannah hatte genug. Ohne länger darüber nachzudenken, verschloss sie die schwere Holztür von innen und zog den Schlüssel ab. Sollte er doch draußen frieren. Jonas eilte heran. „He! Lass mich rein!“ Hannah drehte den Schlüsselring an ihrem Finger gehängt, im Kreis und verschränkte die Arme. „Warum sollte ich?“ Jonas begann wie wild zu klopfen. „Komm schon!“ „Ich denke gar nicht daran!“ Sie legte den Schlüssel auf dem Küchentisch ab, so dass er für Jonas gut sichtbar, jedoch unerreichbar blieb. Sie konnte auch ziemlich fies werden. Dazu brachte man kein Junge zu sein. Mit einem ausgiebigen Zunge herausstrecken verließ sie schließlich die Wohnküche und verschwand wieder im Badezimmer. Hier konnte sie sich endlich um den blöden Fleck kümmern. Hoffentlich bekam sie diesen wieder heraus. Sie mochte diese Hose doch so. Nach wenigen Minuten hatte sie endlich den Fleck soweit entfernt, dass sie die Hose zum trocknen aufhängen konnte. Als sie ihr Weg auf den Kachelofen zu führte, bekam sie abermals Jonas Blick mit, der wie gebannt nach innen blickte. Das Schneetreiben war stärker geworden und der Wind zerrte an seiner Kapuze. „Lass mich rein, Hannah. Sonst erzähle ich das Nils und er wird dich nie mehr mitnehmen wollen.“ Sie jedoch antwortete lediglich mit einem Schulterzucken. Wenn es für sie heißen müsste, dass sie mit einem Urlaub mit ihrer Schwester und ihrem Freund wieder dieses Arschloch ertragen müsste, würde sie freiwillig wieder mit den Eltern verreisen. Ohne weiter auf Jonas zu achten kauerte sie sich auf den Boden und las schließlich noch die Scherben zusammen. Schließlich sollte doch nicht erst noch irgendwer hineintreten. Der verschüttete Tee war bereits in den Ritzen des Holzfußbodens versickert. Dann blieb ihr wenigstens das Aufwischen erspart. Hannah warf die Scherben ihrer Miss Kitty Tasse in den Mülleimer und verschwand, ohne sich erneut umzudrehen, wieder im Schlafzimmer. Ihr unruhiger Blick fiel sofort auf ihr Handy, welche auf der grünen Tagesdecke lag. Sollte sie Vivien anrufen? Aber dann hielt sie ihre große Schwester ganz sicher wieder für ein kleines Kind. Wo sie doch so sehr daraufhin gearbeitet hatte, das sie das nicht mehr von ihr dachte. Sie legte das Handy auf den Nachttisch zurück und ließ sich stattdessen auf ihr Bett fallen. Die kleine Lampe erhellte den Raum nur spärlich. Der ums Haus pfeifende Wind jagte ihr abermals eine Gänsehaut über den Arm. Hannah schlüpfte unter die Decke und wand ihren Blick dem kleinen braunen Teddy, mit den Flicken, zu, den sie von ihren Eltern zum Schulanfang bekommen hatte. Ganz oben auf der Zuckertüte hatte er damals gethront. Sie hatte ihn gleich ins Herz geschlossen. Wo dieser Rabauke bereits überall gewesen war? In jedem Urlaub musste er mit. Wenn er könnte, würde er die schönsten Geschichten erzählen... Sie spürte plötzlich die Müdigkeit in ihren Augen. Zögernd griff sie nach dem Telefon. Es war doch erst 18:37. Das konnte doch nicht sein. Unmöglich konnte sie jetzt bereits schlafen gehen. Außerdem hatte sie noch gar nichts gegessen. Hannah setzte sich schleunigst auf und griff nach einem ihrer Bücher, welche sie mit hier her genommen hatte. Sie wollte gerade die nächste Seite umschlagen, als sie ein Klopfen am Fenster fürchterlich zusammenfahren ließ. „Lass mich rein, verdammt!“ Es war natürlich Jonas. „Ich denke gar nicht dran!“, gab sie genau so bestimmend zurück. „Hier draußen wird es langsam arschkalt. Komm schon! Ich werde auch kein Wort verraten...“ Na klar, dachte sie sich. Dieser schmierige Schleimer würde seine Mutter verkaufen, wenn man ihm das richtige anbot. Da war sie sich sicher. Auf sein weiteres Klopfen hin, reagierte sie gar nicht mehr. Sie hatte von diesem Spinner genug. Und das mehr, als nur in bisschen. Der Kanal war voll. Und dabei war sie erst den zweiten Tag hier mit ihm zusammen. Das konnte ja heiter werden. Noch sieben Tage. Noch sieben elend lange Tage musste sie hier ausharren. Sie hatte es aber nicht anders gewollt. Nach wenigen Augeblicken gelang es ihr doch endlich, sich auf ihr Buch zu konzentrieren, doch all zu weit kam sie nicht, als sie ein weiteres Mal aufgeschreckt wurde. Doch dieses Mal war es das Licht, welches zu flackern begonnen hatte. Hannah hob unruhig den Blick und sah sich um. Dann endlich hüfte sie aus dem Bett und begab sich wieder in die Wohnküche. Als sie eingetreten war, flackerte das Licht erneut und erlosch schließlich ganz. Überall in der Hütte. Der Wind heulte. Ihre Unruhe stieg. Von Nils und ihrer Schwester war noch immer nicht zu sehen und zu hören und Jonas? Der war immer noch da draußen. Was sollte sie nur tun? Vorsichtig trat sie an das Fenster, an welchem sie vor wenigen Stunden ihre Tasse fallen gelassen hatte. Sie lugte hinaus, doch es war nicht mehr viel zu erkennen. Also schloss sie schließlich die Tür auf. Unruhig blickte sie hinaus. Wenn dieser Jonas nun angesprungen kam und sie abermals zu Tode erschreckte? Ihre Vorahnung blieb zunächst jedoch unerfüllt. Vorsichtig trat sie einen Schritt hinaus. Neben der Hütte, in der sie sich eingemietet hatten, gab es noch drei weitere. Jedoch hatte es sich nur noch in der übernächsten jemand gemütlich gemacht. Rauch stieg zwar aus dessen Schornstein auf, doch auch in dieser war kein einziges Licht zu erkennen. Es war wohl doch ein Stromausfall. Vielleicht hatte ein altes Kabel dem starken Wind nicht länger stand gehalten. „Jonas?“, hörte sie ihre eigene, völlig fremdklingende Stimme durch den rauschenden Wind flüstern. „Wo steckst du?“ Hannah trat einen weiteren Schritt vor die Hütte und warf schließlich einen vorsichtigen Blick um diese herum. Die Spuren, die Nils Bruder hier hinterlassen hatte, waren nahezu wieder verschwunden. „Jonas?“ Hannah spürte deutlich die Angst in sich aufsteigen. War sie jetzt hier ganz alleine? Dann lieber die nervige Gegenwart dieses zu groß geratenen Kindergartenkindes. Abermals nur mit Hauschuhen trat sie schließlich noch ein ganzes Stück um die Hütte herum, bis ihr endlich das Ende eines Schales im weißen Schnee auffiel. Die Farbe konnte sie nicht ausmachen, doch der weiße Schnee machte ganz deutlich, dass es sich um ein derartiges Kleidungsstück handelte. Angsterfüllt beschleunigte sie ihre Schritte und sie hatte Recht. Jonas kauerte hinter der Wand. Zwischen den aus Schnee hier gegen das Holz gewehten Hügeln war er nur sehr schlecht auszumachen. Hannahs Angst schwoll zu Panik an. War er etwa tot? War er erfroren, weil sie ihn nicht ins Haus lassen wollte? Schnell trat sie heran. Doch kaum war sie nahe genug heran getreten, sprang Jonas auf und klatschte ihr eine Ladung Schnee ins Gesicht. Hannah blieb für einige Sekunden die Luft weg. „Na? Habe ich dich erschreckt?“ Sein siegessicheres Grinsen erfüllte sie einerseits mit Wut, doch andererseits mit Erleichterung, dass er doch nicht erfroren war. „Der Strom ist ausgefallen“, gab sie kleinlaut zu, während sie sich wieder vom Schnee in ihrem Gesicht befreite und blickte sich unruhig um. Jonas stapfte sofort an ihr vorbei und Hannah versuchte Schritt zu halten, nicht das sie es jetzt war, welche nun an der Reihe war, ausgesperrt zu sein. Nils Bruder klopfte sich an der Tür die Stiefel ab und trat schließlich ein. „Hm..“ gab er von sich und blickte sich um. „Hast du vielleicht eine Ahnung, wo hier der Sicherungskasten ist?“ Sein bis eben bestehendes, arrogantes Grinsen war gänzlich verschwunden. „Nein“, gab Hannah zu und folgte ihm in die Wohnküche, während sich Jonas genaustes umschaute. In der rechten, hinteren Ecke konnte er den besagten Kasten schließlich ausmachen. Zielsicher griff er nach den Knauf und öffnete die kleine metallene Tür. „Du kannst doch da nicht einfach daran herum spielen. Das ist doch viel zu gefährlich“, hatte Hannah auszusetzen. Jonas ließ sich von ihren Worten nicht abhalten und wollte gerade nach oben fassen, als eine zierliche Hand ihn festhielt. „Lass es. Das ist die Hütte von meinem Onkel und ich will nicht, dass du daran herumfummelst, verstanden!? Außerdem ist in der anderen Hütte auch kein Strom. Ganz bestimmt ist nur eine Leitung gerissen.“ Mit einem gereizten Schnauben ließ er von seinem Tun ab und wand sich Hannah zu. „Du bist ein fürchterlicher Angsthase. Weist du das?“ Betroffen senkte sie den Blick. „Ich will nur nicht, dass du...“ „Ist ja gut!“, brachte er sie barsch zum Schweigen. Dann befreite er sich von seiner Jacke und dem Schal und hängte beides über dem ihm am nächsten stehenden Stuhl. „Hast du etwa auch das Feuer ausgehen lassen?“ Abermals fand er es wohl außerordentlich lustig, sie zu tadeln. Hannah verzog das Gesicht. „Ich weiß eben nicht, wie man das macht!“, gab sie missgelaunt zurück und bereute es bereits wieder, ihn überhaupt erneut ins Haus gelassen zu haben. „Wir haben eben keinen Kamin zuhause wie ihr...“ Mit bockig verschränkten Armen lief sie abermals zur Schlafzimmertür. „Wehe, du fackelst die Blockhütte ab!“ Dann schlug auch bereits die Tür hinter ihr zu. Für diese zickige Reaktion hatte Jonas abermals nur ein breites Grinsen übrig. Irgendwie mochte er es, wenn sie sauer auf ihn war, oder beleidigt abzog. Es machte ihm Spaß, sie zu ärgern. Dabei gefiel sie ihm irgendwie... Moment! Sie gefiel ihm? Oh je... Auch das noch... Er hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend, als er einige Holzscheite fachmännisch nachlegte und dabei das Feuer vor dem völligen erlöschen rettete, da es noch rechtzeitig geschehen war. Die Glut reichte noch aus. Er blieb noch eine Weile stehen um auch ja sicher sein zu können, dass das Feuer nicht wieder erlosch. Er hatte das schon so oft gemacht, doch jetzt kam er sich dabei irgendwie komisch vor. Jonas befreite sich von seinen Winterstiefeln und stellte sie auf den Läufer neben der Eingangstür. Dabei warf er einen prüfenden Blick aus dem Fenster vor die Hütte. Von seinem Bruder war noch immer nichts zu sehen. Vielleicht hätten die beiden doch nicht laufen sollen und stattdessen Nils alten VW nehmen sollen... Er seufzte schwer, als er sich schließlich doch an Hannahs Schlafzimmertür heranwagte und anklopfte. Wie zu erwarten antwortete sie mit einem Schweigen. Als sie auf ein weiteres Klopfen abermals nicht reagierte, öffnete er leise die Tür. „Was willst du?“ Sie klang irgendwie weinerlich. „Mich entschuldigen. Wirklich. Das meine ich ernst.“ Endlich trat er vollends ein. „Na klar...“ Hannah hatte sich unter der Bettdecke zusammengekauert und blickte jetzt starr aus dem Fenster. „Ich... Ich habe das Feuer wieder an bekommen...“ „Das ist mir egal.“ „Ach komm schon! Bist du jetzt etwa eine beleidigte Leberwurst?“ Er setzte sich einfach neben sie auf das Bett. „Geh in dein eigenes Bett!“, maulte sie ihn an und drückte ihren Teddy an sich, welchen Jonas mit einer seltsamen Belustigung in den Augen fixierte. „Ein Wort gegen Freddy und ich...“ „Ich habe doch gar nichts gesagt! Ich wollte dich fragen, ob du mit rüber kommst, an den Kachelofen. Dort ist es doch jetzt am wärmsten...“ Ihr unruhiger Blick wanderte an ihm empor. Irgendwie wirkte er im Augenblick besonders Schuldbewusst. Zunehmend wurde es ihr unangenehmer, dass er so dasaß und sie beobachtete, doch los wurde sie ihn hier jetzt wohl nicht. „Na schön.“ Gab sie schließlich auf. „Ich komme mit.“ Beide sprangen von Bett auf und kehrten in die Wohnküche zurück. Das Knistern aus dem Ofen beruhigte Hannah sofort. Es strahlte diese angenehme Wärme ab, die man nur bei einem Feuer fand. Sie setzte Freddy auf den Küchentisch und hob die Hände weit an den kleinen Ofen heran. Das tat so gut. Auch wenn der schwache Schein aus dem angerußten Glasfenster das einzige Licht war, welches den Raum erhellte, kam sie sich nicht mehr so verloren vor. Hinter ihr tauchte plötzlich Jonas wieder auf. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er ihr nicht sofort gefolgt war und jetzt hatte er seine Bettdecke in der Hand. Diese ließ er, ohne darauf zu achten, auf dem Küchentisch fallen. Hannah wollte gerade mit einem weiteren Donnerwetter anfangen, als Jonas den Küchentisch ein Stück aus dem Weg rückte. „Was hast du denn jetzt wieder vor?“ Auch wenn Hannah sauer klang, war sie wohl eher neugierig. Jonas stellte die beiden Stühle nahe an die breite Eckbank heran und legte seine Decke schließlich darauf. Dann erst kullerte ihm etwas vor die Füße. Es war der kleine Teddy. Mit einer schnellen Bewegung hatte er ihn vom Boden aufgehoben und auf der Decke platziert. „Mach es dir doch auch bequem“, sagte er nur und richtete seine Aufmerksamkeit erneut dem kleinen Ofen zu. Schnell hatte er noch zwei weitere Holzstücke nachgelegt, doch da war Hannah bereits wieder verschwunden. Mit einem Seufzen gab Jonas auf. Dann eben nicht, dachte er sich und ließ sich schließlich selbst auf der Bettdecke nieder, doch dann schaute er nicht schlecht, als Hannah doch wieder in der Tür stand und ebenfalls ihre Decke in den Händen hielt. „Vielleicht brauchen wir noch etwas zu zudecken.“ Auch Hannah machte es sich schließlich bequem und sah mit Erleichterung, dass Jonas Freddy doch nicht in den Ofen gesteckt hatte. Das hätte sie ihm wirklich übel genommen. Sie zog sich die Decke bis an die Nase und blinzelte schließlich zu Jonas hinüber. „Ich wusste gar nicht, dass du zur Abwechslung auch mal kein Arschloch sein kannst.“ Er gab ihr jedoch ein Grinsen zurück. „Da würde ich mich nicht darauf verlassen.“ Und wenig später spürte sie ganz deutlich das Stechen eines spitzen Fingers in ihre Seite. „He! Verdammt! Lass das!“, gab sie grimmig zurück und schlug ihm mit einer recht festen Handbewegung gegen sein angewinkeltes Knie, woraufhin er jedoch ihre Hand packte. „Friede für heute?“, schlug er vor und gab ihre Hand frei. „Kann mir nur recht sein.“ Hannah legte den Kopf auf die Knie und starrte ins Feuer. „Ich hoffe, Vivien und Nils sind bald wieder zurück.“ Sie schloss die Augen und seufzte tief. „Na klar. Mach dir mal keine Gedanken. Denen ist schon nichts passiert und solange sie weg sind, passe ich auf dich auf, okay?“ Hannah antwortete ihm nicht mehr. Sie fühlte sich so erschlagen, dass sie im warmen Schein des Feuers auch recht bald eingeschlafen war. Zwei Stunden später hatten es Vivien und Nils endlich wieder zurück geschafft. Glücklicherweise hatten sie eine Taschenlampe dabei. Sonst hätten sie den Weg wohl nicht mehr zurück gefunden. Er war völlig zugeweht. Zwischendrin hatte sie noch einige Male anhalten müssen, doch die Angst hatte beide schnell vorangetrieben. Hannah war nicht an ihr Handy gegangen. Das war sonst gar nicht ihre Art. Zu allem Überfluss brannte hier nicht ein einziges Licht. Weder eine der beiden Laternen am Straßenrand, noch ein Licht in einer der beiden Hütten. Vivien betätigte leise die Türklinke und diese ließ sich zu ihrem Entsetzen auch noch öffnen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. War vielleicht etwas passiert? Am liebsten hätte sie die Tüte, die sie trug, von sich geworfen, doch bereits als sie mit einem Fuß in der Wohnküche stand, war ihre innere Ruhe sofort wieder hergestellt. „Mach leise, Nils“, gab sie ihrem Freund die Anweisung. „Die Beiden schlafen bereits und zwar hier in der Küche...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)