Affären und andere Verwirrungen von bambi-chan ================================================================================ Kapitel 36: kampf oder flucht ----------------------------- „Gestern war ein großer Umzugswagen hier. Hat alles mitgenommen. Und heute früh ist auch die Kleine gegangen. Dieses arme Ding. Kam Tagelang nicht aus ihrer Wohnung, keiner hat sie gesehen. Hatte immer verheulte Augen, Sie wissen schon was ich meine.“, erzählte sie ganz geschäftig, lächelte mich dabei freundlich an. In mir war alles taub. Ich hörte sie nicht mal mehr richtig. Nur endloser Schmerz. Sie war weg. Einfach abgehauen und ich würde sie nie mehr wiedersehen. Wie hatte sie das nur tun können? Wieso hatte sie das getan? Ich glaube, in diesem Moment war ich tot. Einfach von innen heraus gestorben. (...) Ich lag völlig fertig auf meinem Bett, genau auf dem Platz, an dem ich zum ersten Mal mit Zoey geschlafen hatte. Meine Augen waren ganz leicht geschlossen und so konnte ich alles vor mir sehen, was damals passiert war. Ihre rabenschwarzen Haare, die leicht verstrubbelt und trotzdem so weich wie seide über das ganze Kopfkissen unter ihr verteilt war, als wäre es flüssig, ihr zierlicher Körper, der von einigen Schweißtropfen geschmeichelt wurde, ihre wunderschöne, nahezu makellose Haut, die mich jedes Mal fast um den Verstand brachte, so weich war sie und die Augen... Diese unglaublich ausdrucksstarken Augen, die so perfekt zu der gefühlsbetonten Frau passten, da sie jede noch so kleine Regung in ihr verriet. Dieses war nur einige Woche her und trotzdem kam es mir vor wie eine halbe Ewigkeit. So viel Schmerz war derweil durch meinen Körper gejagt, das konnten unmöglich nur 6 Tage gewesen sein. Aber das, was ich an der junge Frau am meisten reizte war ihre Aura. Diese Verletzlichkeit, die sie ausstrahlte, die Angst, die mich hingegen wieder dazu trieb, alle Vorsicht fallen zu lassen um sie aufzufangen. Wie bei unserem ersten Treffen. Diese Verlorenheit, diese Unsicherheit und dann dieser Genuss. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, senkte sich die Matratze des Bettes ein kleines Stück, deutlich spürte ich die Wärme eines anderen Körpers. Doch ich war zu schwach und zu deprimiert, um mich zu bewegen, ja um überhaupt meine Augenlieder etwas anzuheben. Stattdessen lauschte ich dem leisen Atmen, spürte den Puls an dem nackten Bein, dass gegen meines drückte während mir die Person näher kam. Für einen Sekundenbruchteil glaubte ich zu träumen und die junge Schwarzhaarige bei mir zu haben, doch fast im selben Moment konnte ich diese spezielle Aura fühlen. Die, die nur Kate gehören konnte. Der ruhige Pulsschlag, der Geschmack von Gefahr und Ärger, der immer an ihr haftete, aber vor allem der Duft nach Rosen, von dem die junge Frau immer begleitet wurde. Resigniert ließ ich zu, dass sie sich auf mein Becken setzte und die Arme neben meinem Kopf abstütze. Sie kam mir mal wieder näher als es eigentlich sein sollte, aber wie gewöhnlich ließ ich dieses Eindringen in meine Privatsphäre einfach so zu. Bei Kate musste zumindest ich mir keine Sorgen machen, dass sie etwas tat. Sie legte es nur darauf an, meine Augen zu sehen, darin einzutauchen und sich zu erinnern... Auch wenn sie dachte ich wüsste es nicht, ich ließ sie in ihren Erinnerungen schwelgen. An die erste Person, die sie jemals geliebt hatte. und die bis Zoey gekommen war auch die einzige geblieben war. „Na, zu müde zum Suizid?“, fragte Kate keck. Stumm blieb ich liegen, bewegte mich weiterhin keinen Millimeter. Deutlich konnte ich Kates Widerwillen darüber spüren, dass ich nicht auf sie reagierte, doch ich ließ sie weiter einfach zappeln. Manchmal war diese Frau wirklich wie eine Siebenjährige. „Weißt du, schlafen kannst du auch noch wenn du tot bist!“, stellte sie ungehalten fest. Ein Seufzen entfloh meinen Lippen, mein Kopf rollte einfach auf die Seite und blieb schlapp dort liegen. Meine Muskeln waren völlig schlapp. „Wie ausgelutscht...“, stellte Kate belustigt fest. Sanft piekste sie mich in die Seite, kicherte leise. „Pieks, bist ein Pommes.“, lachte sie wieder gut gelaunt. Und ich konnte einfach nicht anders als über diesen Spruch zu grinsen, wandte ihr das Gesicht wieder zu. Doch ich ließ meine Augen weiterhin geschlossen. Es kostete zuviel Kraft in diese Welt zurückzukehren. Wieder stupste sie mich an, diesmal fester und brachte mich kurz zum Zucken. Das wiederholte sie ein paar mal, immer wieder an einer anderen Stellen meines Körpers, bis sie endlich gefunden hatte was sie gesucht hatte und sich mein Körper einfach so aufbäumte. Niemand außer Kate wusste von dieser Stelle und ich war mir sicher dass sie auch niemals jemand anderes finden würde. Diese Frau hatte eine Gabe, empfindliche Stellen an den Körpern anderer Frauen zu finden und bis aufs Äußerste zu reizen. Mal wieder schoss mir durch den Kopf, dass Sex mit ihr göttlich sein musste. Zornig riss ich meine Augen wieder auf und starrte in ihr fröhlich grinsendes Gesicht. Für diese verdammt gute Laune hätte ich ihr am liebsten auf die Nase geschlagen, aber da ich weder brutal war noch Gewalt billigte schnipste ich einfach nur gegen ihre Lippen. „Ich BIN tot.“, erklärte ich ihr unwirsch. Meine Stimme klang so kratzig, dass sie mir gleich selbst fremd vorkam und sogar Kate sah mich für 2 Sekunden verblüfft an. Dann kam wieder ihr typisches Grinsen zurück und sie strahlte unschuldig. Nichts an ihr wies darauf hin, dass sie selbst die wohl schlimmsten Herzschmerzen durchmachte. Ich wüsste nicht, was ich tun würde wenn ich wüsste das Zoeys Herz einer anderen gehören würde. Es war auch so schon schmerzhaft genug, obwohl ich wusste dass sie tatsächlich mich liebte und niemanden sonst. „Hat sie dich abgewiesen oder hast du sie verpasst?“, fragte Kate nun schon etwas umsichtiger. Verblüfft zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Hat sie denn Grund mich abzulehnen?“, brummte ich widerwillig. Kate lachte aufgrund meiner Frage, aber das war mir einfach so herausgerutscht. Ich wusste selbst, wie dumm diese Frage gewesen war. „Nico, du bist endlos alt. Und eine Frau auch noch dazu. Nichts dagegen, ist ja nicht falsch ne Frau zu sein. Die Gefühle sind die selben, aber manchmal wird es eben zuviel.“, erklärte sie breit grinsend. „Und übrigens, Süße, du stellst die falschen Fragen.“, ergänzte sie breit lächelnd. Nun war ich ehrlich verwirrt, dachte einen Moment über die letzten paar Minuten nach. Als es mir dämmerte was sie meinte wäre ich ihr fast an die Kehle gesprungen. „Was heißt da ob ich sie verpasst habe?! Wusstest du das etwa??? Wusstest du dass sie umzieht?!!“, schrie ich sie aufbrausend an. Die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Blitz, mit einem Schlag war ich wieder hellwach. Ich bäumte mich auf, stärker als zuvor und warf die Jüngere ab. Sie konnte gerade noch ihr Gleichgewicht halten, kam mit den Füßen auf dem Boden auf und stolperte ein paar Schritte zurück, um ihre Balance ringend. Doch ich ließ ihr gar keine Zeit zu reagieren oder sonst etwas, ich war innerhalb einer Sekunde bei ihr, packte sie am Kragen ihrer weißen Bluse und schleuderte sie unsanft gegen die Wand. So eine Reaktion hatte die Braunhaarige noch nie bei mir gesehen, erschrocken riss sie die Augen auf und als sich unsere Blicke begegneten fühlte ich mich unweigerlich an Bambi erinnert (A/N: yeah, bambi^^), ließ sie sofort wieder los. Ich nuschelte ein schnelles Entschuldige, während sie sich ihren Kragen wieder richtete und mich weiterhin fassungslos anstarrte. Der oberste Knopf ihrer Bluse war gerissen und so erkannte ich eine kleine Ecke ihres Smaragdgrünen BHs. „Ja, weiß ich. Aber ich wollte es dir nicht sagen. Es hieß erst heute Abend. Ich hab doch tagelang darauf hingearbeitet. Dass du auch wirklich mit ihr REDEN kannst!“, erwiderte Kate gleichzeitig kleinlaut und beleidigt. Ich hätte sie wirklich nicht angreifen dürfen... Aber meine Wut war immer noch nicht verraucht und so schrie ich sie wieder an: „Super Amor! Jetzt ist sie weg! Und warum zur Hölle sagt sie so was dir und nicht mir!!!“ Langsam, wie in Zeitlupe, kippte Kate vorwärts, auf mich zu. Erschrocken wollte ich sie auffangen, doch die junge Frau ließ sich einfach nur ganz sanft gegen mich sinken, lehnte ihre Stirn gegen meine und sah mir ganz tief in die Augen. Mit den schönsten, rehbraunen Augen, die ich jemals gesehen hatte, in denen dieser unglaubliche Schleier aus Gefühlen war, die niemand wohl jemals würde deuten können. In dem Moment wusste ich, was alle so anziehend an ihr fanden. Dieses Geheimnisvolle, selbstbewusste. „Sei nicht mehr sauer.“, bat sie ganz leise. Ihr Atem strich leicht über meine Lippen und ihr Blick war so tief, als könne sie in meine Seele sehen. Ein solcher Blick musste ausreichen, da war ich mir ganz sicher, um jede Frau zu bekommen. Egal ob sie nun lesbisch war oder nicht. „Und sie wollte es dir sagen.“, fing sie leise an. Sie löste sich wieder von mir, verschränkte die Arme und sah mich dabei so zornig an, dass ich aufgrund dieses schnellen Emotionswandels fröstelte. „Ihr Entschluss stand nicht mal fest! Sie wollte nur mit dir reden, verdammt. Und dann sieht sie dich mit dieser Frau, die in dem Moment verdammt noch mal so aussah wie Nagisa und die ihre Hand in deiner Hose hatte!!!“, zum Schluss hin hatte Kate geschrieen, ihre Worte trafen mich wie Kanonenkugeln. Ich taumelte erschrocken und zum zweiten Mal an diesem Tag starb ich. Mein Herz, oder die Splitter, die davon noch übrig waren, wurden in Fetzen zerrissen, so klein, dass ich sie nur noch wie Diamantstaub spüren konnte. Kate seufzte leise auf, fuhr sich durch ihre leicht verstrubbelten Haare. „Echt mal, du machst es mir nicht einfach. Ich will doch nur, dass ihr zwei endlich wieder zusammenkommt. Ich hab die Schnauze voll davon dich so am Boden zu sehen.“, stellte sie resignierend fest. „Gut, es bleibt noch eine Möglichkeit für dich. Du musst hinfahren.“, meinte sie gelassener. Ihre Stimme klang leicht kratzig vom Schreien, doch sie lächelte mich wieder unschuldig an. „Klasse Idee. Gibt nur einen Haken du Genie: Ich hab keine Ahnung wo sie ist!“, fauchte ich zornig. Genervt verdrehte Kate die Augen, schnipste gegen meine Stirn. „Dummkopf. Ich weiß wo sie ist.“, erwiderte sie ruhig. Perplex starrte ich sie an, schon im nächsten Augenblick erdrückte ich sie fast an meiner Brust. Meine Wut verpuffte so schnell, als wäre ich kurzzeitig ohnmächtig geworden. Wieder schmiegte sich die junge Frau an mich, legte ihre Arme beruhigend um meinen Körper und drückte ihr Gesicht gegen meinen Hals. Auch wenn ich wusste, dass sie beabsichtigt hatte mich zu trösten konnte ich spüren, dass sie die Umarmung gerade dringender brauchte als ich. „Stolzer kleiner Dummkopf.“, flüsterte ich sanft. Die junge Frau schnaubte nur belustigt, schluchzte allerdings schon in der nächsten Sekunde. Das alles war wohl schlimmer für sie als sie es sich eingestehen wollte. „Kate...sag mir wo.“, forderte ich vorsichtig. Stumm schüttelte Kate den Kopf, drückte mich kurz etwas fester und sah mir dann wieder in die Augen, mit einem Ausdruck, der keinen Widerstand zuließ. „Nein. Du schläfst erst einmal.“, erwiderte sie leise. Und bevor ich aufbrausend protestieren konnte unterbrach sie mich wieder grinsend. „Du siehst scheiße aus, so kannst du ihr nicht unter die Augen treten.“, lachte Kate mich aus. Resigniert seufzend sah ich sie an, schloss gequält meine Augen. Was ich im Nachhinein wohl besser gelassen hätte, denn Kate nutze den Moment um mich fest gegen die Schultern zu stoßen und so aufs Bett zu werfen. Ich hörte gerade noch, wie sie die Türe hinter sich zuschlug und den Schlüssel im Schloss umdrehte. Sofort war ich wieder bei der Tür, riss vergeblich am Griff. „Kate! Verdammt, mach auf!“, schrie ich wütend. Die junge Frau lachte mich nur aus. „Und woher hast du den verdammten Schlüssel!“, brüllte ich weiter. (...) Mit einem Ruck saß ich senkrecht, sah mich hastig im Raum um. Und noch bevor ich begriff, dass ich geträumt hatte rutschte mir ihr Name heraus. Ganz leise, nicht mehr als ein Hauch. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Vorschlaghammer und genauso sank ich auch wieder in die Kissen zurück, nicht ohne noch mal einen Laut des Schmerzes von mir gegeben zu haben. „Süß. Aber das bringt alles nichts.“, stellte Kate von irgendwo viel zu nah fest. Leise aufschreiend zuckte ich zusammen, riss meine Augen so schnell auf, dass mir leicht schwummrig wurde. „Miststück! Erschrick mich nicht so!“, wies ich sie aufbrausend an. Kate hingegen lachte nur leise auf, funkelte mich frech an. „Ich bin seit über zwei Stunden wach. Dachte du auch...“, stellte sie kichernd fest. „Schon klar. Ich bin erwachsen, ich hab Geduld.“, erwiderte ich bitter, obwohl ich im selben Moment wusste, dass es gelogen war. „Klar. Was sonst. Zieh dich an, die Adresse hab ich dir auf den Zettel da geschrieben.“, erwiderte Kate lachend. Nahezu andächtig folgte ich ihrem Wink, erkannte den Zettel neben mir auf einem Nachttisch und wäre fast auf den Tisch gesprungen, so gierig war ich auf die Information. „Soviel zur Geduld.“, lächelte Kate frech. „Und wo gehst du jetzt hin?“, fragte ich sie, bemüht um meine Fassung. Nun blieb Kate im Türrahmen stehen, warf mir über die Schulter einen Blick zu, der nur eins bedeuten konnte: die alte Kate war wieder da. Und was sie nun sagen würde, wusste ich besser als alles andere. „Ficken.“, sagte sie es dann tatsächlich mit ihrer absolut ungeschlagenen Selbstgefälligkeit. Und darüber schien sie so erleichtert zu sein, dass selbst mir warm ums Herz wurde und ich nicht wie sonst genervt die Augen verdrehte. Ich grinste und wünschte ihr dümmlicherweise auch noch viel Spaß. Und mit schallendem Gelächter verließ die Jüngere meine Wohnung. Lächelnd sah ich ihr nach, schüttelte belustigt den Kopf. Kate hatte also wieder zu sich gefunden. Gut. Das gab mir Hoffnung. Nachdenklich starrte ich auf den Zettel in meiner Hand, so lange bis die saubere Handschrift der Braunhaarigen vor meinen Augen verschwamm. Dann ging ein Ruck durch meinen Körper. So schnell hatte ich mich wahrscheinlich noch nie fertig gemacht. Und war auch noch nie so schnell durch eine Stadt gefahren. Doch als mein Auto vor der Adresse zum halten kam starrte ich einfach wieder ein paar Stunden vor mich hin. Meine Gedanken waren viel zu stark als dass ich sie hätte unterdrücken können. Schweigend saß ich im Auto, das Kinn auf mein Lenkrad gelegt, die Hände in meinem Schoß fest miteinander verschlungen und versuchte krampfhaft nicht daran zu denken, dass sich jetzt alles entscheiden würde. Immerhin war das hier kein Film. Es musste ja kein gutes Ende nehmen, oder? Gedankenverloren musterte ich das Haus vor mir, legte den Kopf etwas schief und spürte unglaubliche Kopfschmerzen. Der Kerl hatte eindeutig mehr als nur genug Geld. Alles an dem Gebäude und dem kleinen Rasenstreifen davor war perfekt und sauber. Fast symmetrisch. Wahrscheinlich sogar wirklich symmetrisch. Der Rasen wirkte wie mit Nagelfeile und Lineal gestutzt. Dieser Mann legte viel Wert auf den Schein. Zuviel meiner Meinung nach. Jetzt fragte ich mich mindestens eine weitere Stunde, wie Zoey denn bitte in dieses perfekte Weltbild passen konnte? Und vor allem meine Beziehung zu ihr. Wahrscheinlich hätte ich dank meines Alters sogar als Mann keine Chance. Also, warum sollte ich aussteigen? Mir diesen Stress antun? Und obwohl mir einfach keine Antwort darauf einfallen wollte stieg ich aus dem Wagen und ging mit festem Schritt auf das viel zu perfekte Haus zu. Meine Nervosität stieg mit jeder Bewegung, mit jeder Regung meiner Muskeln, jeder Atemzug fühlte sich an als würde er der letzte sein, als würde meine Lunge danach einfach aufhören zu funktionieren. Lange mit mir kämpfen musste ich jedoch nicht, auch wenn ich es erwartet hatte. mein Körper übernahm einfach die Situation, ließ gar keinen Platz für Zweifel. Meine Hand erhob sich und auf einmal hatte ich so eine Art außerkörperliches Erlebnis. Ich konnte mich selbst sehen, wie ich da zitternd vor der Türe eines Hauses stand, das ich freiwillig niemals betreten würde und bei dem ich mich so fehl am Platz fühlte dass wohl alle Nachbarn mich anstarrten. Wie in Zeitlupe sah ich meine Finger auf die Klingel treffen, der schrille Laut zerschnitt die Stille und löste eine noch viel schlimmere aus. Denn dieser Moment wollte einfach nicht vergehen. Meine Hand blieb einfach schweben, das ich, auf das ich gerade starrte blinzelte noch nicht einmal. War gerade die Zeit stehen geblieben? Wo war das Zwitschern der Vögel? Oder hatten sie hier gar nicht gesungen weil sie genauso Angst hatten an einem solchen Ort Lärm zu machen wie ich. Als die Türe wieder aufging war ich so schnell wieder in meiner gewohnten Perspektive, dass ich leicht schwankte. Zuerst sah ich nur die schwarzen, unglaublich teuer aussehenden Schuhe aus glänzendem Leder, dann die Beine, die in einem noch teureren Anzug steckten zu dem goldenen Gürtel, von dem ich mir sicher war, dass es nicht nur vergoldet war. Bei der Jacke angekommen bemerkte ich, dass es ein Armani-Anzug war und hätte fast gelacht. Immer wieder begegneten mir die reinsten Klischees, da kam mir schon manchmal der Gedanke, dass Gott einen grauenvollen Humor haben musste. Der Mann war ziemlich breit und wirkte jetzt shcon sehr willensstark, obwohl ich noch nicht einmal sein Gesicht gesehen hatte. Ich war mir nicht ganz sicher, kam mir das alles nur so langsam vor oder besah ich ihn mir wirklich so deutlich? Dann kam ich bei seinem Gesicht an, dem absolut stoppelfreien Kinn. Bei den Augen angekommen war kein Zweifel mehr, dass ich Zoey Vater gegenüberstand. Dieselben Augen. Derselbe Ausdruck. Dasselbe Funkeln. Und mir stockte der Atem, was mir bei keinem einzigen Mann in meinem Leben passiert war. Und tat schließlich das einzige, was mir etwas logisch erschien: ich log. „Guten Abend Mr. Benson. Ich bin Nicole Smith, eine Lehrerin von Ihrer Tochter.“, stellte ich mich mit fester Stimme vor. Gut, war nur die halbe Wahrheit. Stimmte aber auch irgendwie. „Es geht darum, dass ihre Tochter seit über einer Woche nicht mehr zum Unterricht erschienen ist.“, log ich weiter, ohne auch nur einmal zu blinzeln oder rot zu werden. Zuerst sah er mich nur verblüfft an, dann wurde er ernst, verschränkte langsam die Arme vor der Brust. Ich schluckte. So leicht würde er mich nicht zu ihr lassen. (A/N: eigentlich wollte ich hier aufhören^^) „Sie hat sich bereits abgemeldet.“, erwiderte er ruhig. Interessant. Es gab tatsächlich Menschen, die noch genau zur Sache kamen. „Tut mir Leid. Aber bei uns ist nichts dergleichen eingegangen. Ich würde gerne kurz mit ihr sprechen.“, erklärte ich nach außen hin völlig ruhig. Doch in mir war überhaupt nichts ruhig. Nicht mal mein Magen, denn dem war total schlecht. Hoffentlich übergab ich mich nicht auf den Teppich, den würde ich niemals zahlen können. „Können Sie das nicht mit mir besprechen? Zoey geht es gerade nicht gut.“, brummte er widerwillig. „Tut mir sehr Leid.“, wiederholte ich leise. Lügen schien wohl mein neues Hobby zu sein. „Sie ist volljährig. Ich muss mit ihr reden.“, redete ich ruhig weiter. Ich war wohl zu gut darin, Eltern zu belügen. Darum war ich ja auch Lehrerin geworden. Leise seufzend machte er einen Schritt zur Seite, gab nun die Türe frei und machte eine einladende Handbewegung ins innere des Hauses. „Den Gang runter. An ihrer Türe steht ihr Name.“, erklärte er immer noch leicht widerwillig. „Wie praktisch. Vielen Dank.“, erwiderte ich schwach lächelnd. Er interpretierte es wohl als Widerwillen, hier zu sein und sich in der Freizeit mit einem Schüler beschäftigen zu müssen, denn er sagte nichts weiter. Im nächsten Moment ging ich den gewiesenen Gang entlang, mein Herz schlug mit jedem Moment schneller, ich musste mich extrem beherrschen, nicht einfach loszulaufen. Meine Beine waren schon extrem angespannt weil sie es wollten und so war jeder Schritt unerträglich schmerzhaft. Als würden meine Muskeln zerbrechen. Aufmerksam sah ich mich um. Alles war aus weißem Marmor, die Bilder an den Wänden sahen aus als wäre jedes einzelne mindestens zehnmal soviel wert wie ich in meinem ganzen Leben verdienen würde. Auch ein paar kleine Büsten standen in jeder noch so unauffälligen Nische, schienen mich zu verhöhnen. Und mit jedem Schritt kam es mir so vor, als würde der Gang länger und länger werden. Obwohl der mit goldenen Lettern geschriebene Name auf der Türe am Ende des Gangs leuchtete wie ein Halogenstrahler schien ich einfach nicht vom Fleck zu kommen. Alles wurde nur umso kleiner, unwirklicher. Ein gigantischer Teil in mir wollte schon wieder weglaufen. Als ich endlich angekommen war, war ich leicht außer Atem und fragte mich gerade, ob ich wohl die letzten Meter unbewusst gerannt war... Dann legte ich meine Hand auf die Klinke, drückte sie lautlos herunter und schlüpfte ebenfalls ohne ein Geräusch zu machen in das Zimmer. Es war ziemlich groß, wohl so groß wie meine ganze Bar, mit lauter Dingen, die kein Kind und kein Teenager der Welt jemals brauchen würde. Selbst ich hätte dafür keine Verwendung. Dort waren drei Schreibtische, ein gigantisches Himmelbett, in das wahrscheinlich 20 Leute reinpassen würden ohne sich zu berühren, ein kleiner Kamin, ein großes Bücherregal voller Bücher, eine Sitzecke mit mehreren Sesseln und einem Sofa. Aber ich konnte mir das Zimmer nicht mal zwei Sekunden ansehen, da wurde meine Aufmerksamkeit schon komplett auf die kleine, in sich zusammengesunkene Gestalt auf dem Fensterbrett gelenkt. Da saß die Schwarzhaarige, die Beine soweit angezogen, dass ihre Knie ihr Kinn berührten, die Arme darum geschlungen. Sie sah nicht so aus, als hätte sie geweint, es waren keine Tränenspuren auf ihren Wangen zu sehen und sie hatte auch keine geröteten Augen. Nein, was ich sah war noch tausendmal schlimmer und zerriss mir glattweg das, was von meinem Herz noch übrig war. Ihre Augen waren komplett leer, der sonst so übliche und reizvolle Glanz darin war weg. Allgemein wirkte die junge Frau gebrochen. Als wäre sie tot. Starr und stumm stand ich da, mitten im Raum, ohne auch nur einen Ton von mir zu geben. Stumme Tränen flossen über meine Wangen, es war absolut unerträglich sie so zu sehen. Ich wollte etwas sagen, auf sie zugehen und sie tröstend in den Arm nehmen. Doch ich konnte es nicht. Kein Wort, keine Bewegung. Ich war wie eingefroren. Nach einer halben Ewigkeit bemerkte sie mich. Sie zuckte nicht zusammen als sie jemanden im Raum bemerkte, sie wandte mir einfach nur den Kopf zu, ihre leeren Augen trafen auf meine und ich zuckte bei diesem Ausdruck zusammen. Wie ein Zombie... In der nächsten Sekunde kehrte das Leben in ihre Augen zurück, erschrocken sah sie mich an, riss ihre Augen noch etwas weiter auf. Langsam wurden sie mit Tränen gefüllt, eine einzelne rollte sanft über ihre Wange. Mit einem Satz war sie bei mir, wollte sich mir um den Hals werfen, das Gesicht gegen mein Shirt drücken. Mein herz machte einen freudigen Satz bis in meine Kehle, Wärme druchfloss meinen ganzen Körper. Doch wenige Millimeter vor mir hielt sie inne, der Überraschung und Freude war Zorn gewichen. Ihre Augen sprühten förmlich Funken vor Hass. Ihr zierlicher Körper wurde regelrecht geschüttelt, so sauer war sie. Und ich konnte sehen, wie ihre Lippen das Wort „Dad“ formten. 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