Bittersüße, göttliche Strafe von Tweetl ================================================================================ Kapitel 1: Wer ist hier das Opfer? ---------------------------------- ‚Wer ist hier das Opfer?’ Leise, sehr leise, schlich sich ein vermummter Mann in den Palast des Pharaos. Er war durchschnittlich groß, schlank. Normalerweise erregte er großes Aufsehen, wenn er nicht so gut vermummt durch die Straßen Ägyptens ging. Weiter leise schlich er sich an den Wachen vorbei, die ihn nicht bemerkten. Es waren viele Gänge, aber er wusste, wohin er musste. Er hatte eine Tat vor, die grausam war. Zwar wollte er nicht den jungen Pharao töten, aber einen seiner Priester. Seth, den Hohenpriester. Das Motiv: Neid. Er verstand das Motiv zwar, aber fand, dass der Neid-Priester – sein Auftraggeber – selbst Schuld daran war, noch nicht so weit gekommen zu sein. Denn wer sich gerne mal vor Aufgaben drückte und sich lieber mit Frauen und Sklavinnen beschäftigte, war selbst Schuld. Aber das stand nicht zu Debatte. Er sollte einfach diesen jungen Priester – der auch arrogant und eingebildet sein sollte – erledigen. Für gutes Geld, versteht sich natürlich! Denn für einen Dieb war jede Münze lebensnotwendig. Und da kamen einer zweiköpfigen Familie – wie er sie hatte – ganz Recht, denn diese 100 Münzen würden für ein paar Monate ihr Leben sichern. Wenn er sie doch nur schon hätte... Endlich kam er in dem Gang an, wo der Hohepriester Seth und seine Diener leben sollten. Man konnte den jungen Mann gar nicht verfehlen. Er war überdurchschnittlich groß, hatte eisblaue Augen – was eine reine Besonderheit in Ägypten war, wenn diese selbst Ägypter waren! – und braunes Haar. Ebenso bronzenfarbige Haut. Der junge Mann konnte sich gar keinen Menschen mit blauen Augen vorstellen – und erst recht nicht eisig. Mit jedem Schritt bedacht, den er tat, bewegte er sich weiter. Zum Glück waren hier keine Wachen mehr aufgestellt. Was ihn allerdings auch wunderte. Brauchte denn ein Priester keinen Schutz...?! Naja, ihm konnte das ja nur Recht sein. Der junge Mann blieb stehen, als er vor einer vornehmeren Tür ankam, als zuvor im Gang. Inwiefern sie vornehmer war? Natürlich aus Holz, aber viel geschliffener, mit Verzierungen. Behutsam öffnete er die Tür – und... sie war geschlossen. Entweder war der feine Herr noch nicht in seinem Bett oder er schloss die Türe auch zu, wenn er schlief. Dies konnte ihm ja aber egal sein, denn er konnte jedes – naja..., ok, fast jedes – Schloss knacken. Aus einer Tasche seines Umhangs holte er eine Nadel und kniete sich vor das Türschloss. Nach wenigen Sekunden war es geöffnet. Leise erhob er sich wieder und vorsichtig öffnete er die Tür zu seinem kleinem Reichtum für wenige Monate. Langsam schritt er in den Raum ein. Auf der linken Seite stand im unteren Eck ein großes Regal, mit ungblaublich vielen Papyrusrollen und in der Ecke der linken Seite stand ein großer Tisch mit Stuhl, mit ebenfalls einigen Papyrusrollen. In der Mitte stand ein weiterer Tisch, diesmal allerdings mit mehreren Stühlen – insgesamt vier. In der rechten Ecke unten war eine Art Trennwand und ein großer Schrank. Und in der oberen rechten Ecke das Bett. Es war riesig. So ein großes Bett hatte der junge Mann noch nie gesehen. Er wollte dann gar nicht wissen, wie groß das Bett des Pharaos – des mächtigsten Mann in Ägypten – war! Dieses Bett war aus einem Holz, dass er nicht kannte. Aber es sah sehr wertvoll und teuer aus. Es war schwarz und irgendwie doch zur gleichen Zeit auch braun. Und auf dem Bett lag der Hohepriester. Er trat zu dem Bett. Verwundert, über so eine makellose Schönheit, blickte der junge Mann den Schlafenden sich etwas genauer an. Braunes Haar, das ihm wahrscheinlich manchmal ins Gesicht fiel. Ein männliches – sehr markantes – Gesicht. Sein Oberkörper war sehr muskulös, ebenso wie seine langen Beine. Lange, schmale Finger. Leicht standen ihm an den Armen die Knochen heraus. Allerdings sah diese Länge gar nicht schlaksig aus, sondern sehr gut – er würde es sogar sinnlich nennen. Der Mond – es war heute Vollmondnacht – schien dem jungen Mann ins Gesicht. Das gab ihm etwas mysteriöses. Etwas, das ihm etwas unbeschreibliches gab. Etwas, das... Der Vermummte erschrak sich fast zu Tode, als ihn in der Dunkelheit zwei Augen – eisblau – ansahen. Vor lauter Schreck konnte der junge Mann sich gar nicht bewegen, der andere dafür umso mehr und setzte sich schnell auf und stand keine zwei Sekunden nachdem Aufsetzten vor ihm. „Wer bist du? Und was machst du hier?“ Er gab keine Antwort Preis, sondern schaute weiter in diese eisblauen Augen. Sie fesselten ihn. Machten ihn verrückt. Noch einmal kam die Frage: „Wer bist du und was machst du hier?“ Als immer noch keine Antwort vom jungen Mann kam, wurde es dem Hohepriester zuviel und er packte ihn am rechten Arm. „Sag es! Oder ich breche ihn dir!“ kam es mit einer eiskalten Stimme, bei der einem ein Schauer über den Körper fuhr. „Jono.“ „Was machst du hier? Antworte – sofort!“ Schwer schluckte der junge Mann, jetzt bekannt durch den Namen Jono, denn er konnte nichts sagen, denn er kam sich vor, als wäre er ein kleines, hilfloses Tier, dass von einer Schlange gefressen werden würde. „Okay, wenn du nicht reden willst, dann halt eben anders,“ kam es von Seth. Er schmiss den jungen Mann in eine Ecke und plötzlich war dieser bewusstlos. „Anscheinend war der Stoß zu heftig... Manchmal ist Kraft doch nicht so gut...,“ kam es, genervt, von sich selbst. Langsam ging er zu ihm und hob ihn auf, trug ihn zu einen der vier Stühle und setzte ihn so hin, damit er nicht runterfiel. Danach ging er zu seinem Schrank, öffnete ihn und holte etwas heraus. Danach wurde der Schrank wieder geschlossen. Als er wieder bei Jono war, legte er das Etwas, das er aus dem Schrank geholt hatte, auf den Tisch. Es war ein langes Seil. >Als erstes werde ich ihm seinen Umhang ausziehen.< Dies tat der junge Priester dann auch und als er das Haar des Fremden sah, verschlug es ihm die Sprache. >Blond. Gold. Goldblond... Was für eine Haarfarbe...! Ist er gar nicht von hier?!< Mit weiteren Gedanken ging Seth daran, Jono erst mal seinen Dolch, den er in seinem Gürtel trug, abzunehmen. Danach fesselte er ihn. Als dies erledigt war, ging er hinaus, nahm einen Krug mit, um sich frisches Wasser aus dem Brunnen des Gartens zu holen, wo die Sklaven ihn immer holten. Normalerweise machte dies einer seiner Sklaven, aber zu dieser späten Stunde würde er sicher keinen mehr wecken. Er wusste ja selbst, was es hieß, schwer und hart zu arbeiten und sich am Ende eines Tages, geschafft sich schlafen zu legen. Als er am Brunnen ankam und er den Krug in den Brunnen schmiss und den vollen Krug wieder herauszog, kam leise eine Person zu ihm. „Seth. Was machst du zu dieser späten Stunde noch hier?“ Kurz wirbelte der Angesprochene herum – der Krug fiel wieder in den Brunnen – verbeugte sich und erzählte der Person, was geschah. „Was hast du jetzt vor?“ „Mich wundert es, Pharao, dass Ihr mich das fragt,“ kam die überraschte und ehrliche Antwort des Angesprochenen. „Meinst du etwa, ich bin jemand, der es liebt, Menschen eines qualvollen Todes zu sehen? Dazu müsstest du mich zu gut kennen, Seth, dass ich es verabscheue.“ „Ja, da habt Ihr Recht. Ich weiß es, wie sehr Ihr es verabscheut. Aber... ich wüsste da schon etwas...“ „Ach, und was?“ Kurz erzählte der Priester dem Pharao, was er vor hatte und dieser meinte dazu: „Besser, als ihn den Löwen zum Fraß zu werfen.“ „Entschuldigt mich jetzt bitte, Pharao. Ich möchte noch etwas Wasser holen.“ „Lass dich nicht stören. Ich verschwinde schon wieder,“ sagte der Pharao mit einem Augenzwinkern und war nach ein paar Sekunden aus dem Garten wieder verschwunden. Der Priester drehte sich wieder um, um den Krug noch einmal aus dem Brunnen zuschöpfen. Als er den Krug aus dem Brunnen hatte und wieder in seinem Zimmer war, sah er, dass sich der junge Mann namens Jono auf dem Stuhl hin- und herschmiss. „Anscheinend hat er einen Alptraum...,“ sagte er leise zu sich selbst. Er ging zu ihm hin und stellte den Krug ab. Danach holte er wieder aus seinem Schrank ein Tuch und tunkte es dann in den Krug. Er wusch ihm das Gesicht ab und untersuchte ihn nach Verletzungen und die Verletzungen, die er fand, versorgte er. Denn er hatte schon in sehr jungen Jahren gelernt, wie man Verletzungen versorgte und was bei gewissen Verletzungen half. Als dies erledigt war, sperrte er die Türe noch einmal ab und ging wieder zu seinem Bett, um sich schlafen zu legen. Denn fest genug an dem Stuhl war der Eindringling ja gebunden... Als der Hohepriester Seth am nächsten Morgen aufwachte, sich streckte und aufstand, bemerkte er, dass sein neuer junger „Freund“ schon wach war. „Was mach ich hier noch? Und warum habe ich Bandagen um meine Verletzungen?“ war die Begrüßung des Gefesselten. „Hätte ich dich etwa einfach wieder laufen lassen sollen? Meinst du ja wohl selbst nicht! Und ich habe etwas bestimmtes mit dir vor und da brauche ich dich nicht verletzt. Denn das kannst du dann noch oft genug werden,“ kam die Antwort, während Seth zur Tür lief. „Ich hole jetzt erst einmal Frühstück. Zwar werde ich dir auch etwas bringen, aber ich werde es dir selbst geben. Denn du sollst deine gerechte Strafe erhalten und wir wollen ja nicht, dass du ausreißt.“ Nachdem er mit dem Reden geendet hatte, verschwand er. >Was meint er? Okay, dass ich eine Strafe verdient habe, verstehe ich ja noch... Aber... was meinte er damit, dass ich jetzt nicht verletzt sein soll, weil ich es später ja noch oft genug sein kann?< Nach einigen Minuten hörte er näher kommende Schritte vom Gang. Sie waren nicht laut und schwer. Aber als Dieb hatte er ein verdammt gutes Gehör und wusste sofort, dass es der Hohepriester war, der zurückkam. Jono schloss seine Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Nur die Ruhe bewahren. Diesmal würde er nicht rumstottern und ihn wie ein Wesen von einer anderen Welt anstarren. Diesmal... Das metallische Klicken des Türschlosses unterbrach ihn in seinen Gedanken. Seth betrat den Raum. Er trug ein kleines Tablett, auf dem zwei Schüsseln, ein kleiner Tonbecher und ein Krug waren. Hinter sich verschloss er wieder die Tür, ließ aber den Schlüssel stecken. >Schließt er denn nur ab, damit sonst keiner reinkommt? Denkt er, dass ich nicht fliehen könnte? Wie selbstsicher er doch ist...< Wortlos kam der Hohepriester näher, stellte das Tablett auf den Tisch, vor dem Jono, noch immer gefesselt, auf einem Stuhl saß. Dann starrten sie sich gegenseitig nur an. Seths Blick war kühl, emotionslos und arrogant, wie Jono fand. Dieser blickte einfach nur mit allem Trotz, den er in dieser Situation aufbringen konnte, zurück. Dann plötzlich grinste Seth. Höhnisch, verächtlich, gefährlich. „Du hast sicher Hunger, nicht wahr, mein kleiner Einbrecher?“, sagte er mit seiner scharfen, durchdringenden Stimme, die Jono Schauer über den Rücken laufen ließen. „Da ich leider dich nicht losbinden möchte, werde ich dich wohl füttern müssen. Ich hoffe für dich, du weißt meine Großzügigkeit zu schätzen.“ „Bevor du mich „fütterst“, möchte ich wissen, was für eine „gerechte“ Strafe das ist, die du vorhin erwähnt hattest“, erwiderte der Blonde. „Willst du dir den Appetit verderben?“, kam die spöttische Antwort. „Ich will wissen, was mit mir passiert! Das ist mein Recht!“ kam es aufgebracht von Jono. „Du und ein Recht? Welche denn noch? Du wirst mein persönliche Sklave. Und jetzt iss!“ >Ich soll... was werden?< Jono hatte mit allem gerechnet. Hinrichtung, tödliches Gift trinken, lebenslanger Kerker oder Dienst auf der Galeere, Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden, öffentliches Anprangern, Foltern sämtlicher Art wie Auspeitschen, Ätzen und Abschneiden gewisser Körperteile – aber das? Sicher, Versklavung ist auch eine Strafe, vielleicht sogar die härteste Strafe für jemanden wie Jono, der seinen ganz eigenen Willen hatte, um nicht zu sagen, sehr eigenwillig war. Aber manch einer würde seine Seele hergeben, um der private Sklave eines Hohenpriesters zu werden. Wenn man bedenkt, dass er eigentlich nur eine gewöhnlicher Dieb war, dann käme das eigentlich schon einem sozialen Aufstieg gleich. Egal wie hoch man der nun sein mochte oder man es schätzte... „Hat es dir so die Sprache verschlagen?“ Wieder dieses dämliche und hochmütige Grinsen. Es machte Jono rasend vor Wut. Sicher, er war ihm nun vollkommen ausgeliefert, egal was er tat – es nützte nichts. Das er gefesselt war, war für ihn umso schlimmer. Untätig saß er da, wehrlos, machtlos. Jono hasste es so zu sein. „Ich werde verdammt noch Mal niemals dein Sklave werden! Da sterb’ ich lieber!“, schriee er ihn an. „Wie du willst – die Alternative wäre übrigens Hinrichtung. Du hast die Wahl: Tod oder Sklave sein.“ >Sterben?! Ich kann nicht sterben. Noch nicht. Nicht so lange sie so krank ist. Wen hat sie denn noch, wenn ich nicht mehr da bin... Ich kann sie doch nicht zurücklassen. Ich kann also auch auf gar keinen Fall hier als Sklave oder sonst was bleiben. Wenn ich doch nur eine Fluchtmöglichkeit hätte... Also muss ich wohl oder übel erst mal mitspielen...< dachte Jono. „Also wenn ich schon die Wahl habe“, begann Jono, „gibt es dann nicht auch noch mehr Auswahlmöglichkeiten? Ich finde ehrlich gesagt weder Tod noch Sklaverei so toll.“ „Nein.“ „Mist... Schade eigentlich...“ „Deine Entscheidung?“ „Dann muss ich wohl oder übel Sklave nehmen. Aber glaub ja nicht, dass der Gedanke dir dienen zu dürfen“ – er betonte „dürfen“ schön ironisch – „so verlockend ist. Ich kann einfach noch nicht sterben.“ Der Blonde sah seinen neuen Herrn mit einem ernsten Blick an, fixierte seine Augen, nur um zu zeigen, dass, selbst wenn er gefesselt und schwächer war, er sich niemals einfach so rumkommandieren lassen würde, dass egal was passiert, er immer seinen Willen behalten und Widerstand leisten würde. Egal, was kommen möge...! Der hochgewachsene Priester erwiderte den Blick ruhig. Den Jungen zu seinem Leibsklaven zu machen war eine fixe Idee gewesen und er konnte dies auch nicht mehr zurücknehmen, schließlich wusste bereits der Pharao davon. Aber er bereute es auch nicht. Irgendwas gefiel ihm an dem Kleinen. Nun, er war auch ein sehr seltener Anblick hier in Ägypten. Da waren zum einen diese Haare. Er konnte sich an ihnen gar nicht satt sehen. In der Nacht hatten sie mysteriös geschimmert im Mondlicht. Nun, wo die Sonne in sein Zimmer schien und es langsam schwül wurde, strahlten sie feurig. Irgendwie passten sie zu dem Jungen. Aber dann waren da noch diese Augen... Vor einiger Zeit hatte er mal einen Händler kennen gelernt, der den Palast mit Edelsteinen aller Art belieferte. Er hatte ihm eine ganz besondere Rarität – wie er die Steine nannte – weil sie von einem ganz weit entfernten Ort stammten, gezeigt. Es handelte sich um viele kleine, braune Steine. Die Färbung empfand selbst er, der gefühlskalte Hohepriester, als schön. Sie hatten die gleiche Farbe wie die Augen von Jono. Ein tiefes, warmes Braun, in dem man sich verlieren konnte. Bernstein. So nannte der Händler sie. Und eben diese Augen starrten ihn jetzt trotzig an. Seth genoss es regelrecht, so lange in sie hineinzublicken. Es war, als besäßen sie eine unendliche Tiefe, in der er nichts anderes als Ruhe und Geborgenheit finden würde. Wenn nur ihre Besitzer nicht so ein sturer Dickkopf wäre. Aber so würde ihm wenigstens nicht so schnell langweilig werden. Der Hohepriester lehnte sich vor, bis er auf der selben Augenhöhe wie sein neues Spielzeug war. Mit ruhiger Stimme fragte er: „Warum willst du denn nicht sterben? Was gibt es in deinem Leben, wofür es sich zu leben lohnt?“ „Das geht dich überhaupt nichts an“, antwortete Jono mit sicherer, bestimmter Stimme, trotz einer kleinen Gänsehaut, die Seth, nicht ohne eine gewisse Genugtuung aus den Augenwinkeln, bemerkte. „Wo wir gerade beim Thema Tod sind: Warum wolltest du mich töten?“ Seine Stimme wurde unwillkürlich schärfer und noch eisiger. „Es war ein Auftrag – was sonst?“ „Wer gab dir den Auftrag?“ Schweigen. „Ich habe dir eine Frage gestellt.“ „Und du wirst keine Antwort bekommen.“ „Wieso nicht?“ „Dumme Frage. So läuft das nun Mal ab. Man bekommt einen Auftrag und wenn die Bezahlung stimmt, dann fragt man auch nicht mehr viel nach.“ Seth richtete sich wieder auf und Jono atmete innerlich erleichtert auf. Er schien ihm seine Unwissenheit abzunehmen. Es war auch besser so. Wenn dieser Priester raus bekäme, dass er ihn bei Seth verpfiffen hatte, dann würde das Konsequenzen nach sich ziehen. Dabei fürchtete er sich nicht um sein eigenes Leben, sondern um ihr Leben. Der Priester kannte seinen Namen, wusste von seiner kranken Schwester und wie sehr er sich um sie sorgte. Ansonsten hätte er ihm sicher nicht nur so eine niedrige Summe angeboten. Er wusste, wie verzweifelt Jono war. Dem Hohepriester aber war die Erleichterung in den bernsteinfarbenen Augen nicht entgangen. Betont langsam ging er um den Gefesselten herum und blieb hinter ihm stehen, bückte sich runter zu ihm, so dass er ihm nun direkt ins Ohr flüstern konnte: „Du kennst sein Gesicht. Du kennst seinen Namen. Du weißt sogar, warum er mich tot sehen will. Habe ich nicht recht, Jono?“ Er freute sich innerlich, als er merkte, wie Jonos Körper sich angespannt hatte, und als er hörte, wie der kleine Blonde schwer schlucken musste. „Du solltest eines lieber sehr schnell lernen: Du bist mein Sklave. Ich bin dein Herr. Du hast mir nicht nur zu gehorchen, du solltest mir absoluten Gehorsam und absolute Loyalität zeigen. Ich dulde es weder, wenn du mich anlügst, noch wenn du mir etwas verschweigst. Haben wir uns verstanden?“ Ein zögerliches Nicken. „Dann wollen wir uns nun darum kümmern, dass du was in den Magen bekommst, nicht?“ Seth ging nun wieder zum Tisch und nahm eine der beiden Schüsseln, in der ein heller Brei und ein Löffel sich befanden. Und wieder dieses Lächeln. „Und nun sei ein braver Junge und mach 'Ahh...!'!“ „Nenn mich nicht so...!“ knurrte der „brave Junge“. „Aber nana! Das sagt man doch nicht zu seinem Meister, Herr und Gebieter, Junge! Also, lieb sein und essen,“ erwiderte Seth mit höhnischer, hoher, Stimmer und steckte einfach den Löffel, der zuvor in Brei getunkt war, in den Mund des anderen. Nun herrschte Stille zwischen den beiden. Jono unterließ es, irgendeine Sauerei zu veranstalten. Zum einen war das Essen wirklich lecker und er hatte lange nichts Richtiges mehr gegessen. Und zum anderen war er nun doch etwas eingeschüchtert von seinem Herrn. Er war gefährlich. Kein Wunder, dass der Priester jemanden angeheuert hatte, um ihn umzubringen, statt es selbst zu tun. Der Hohepriester war niemand, mit dem man sich einfach so mal anlegte. Kurz nachdem die Schüsseln leer gegessen und der Krug nur noch zur Hälfte gefüllt war, klopfte es an der Tür. „Wer ist da?“ „Ich bin’s, Anzu, mein Herr“, antwortete eine weibliche Stimme. Augenblicklich stellte Seth den kleinen Tonbecher, aus dem er gerade noch Jono trinken ließ, auf dem Tisch zurück und ging zur Tür und schloss sie auf. Ein Mädchen – oder sollte man doch junge Frau sagen? – mit brünetten Haare und Lächeln auf den Lippen trat hinein. „Der Pharao hat sich nach Euch erkundigt. Er wünscht Euch sofort zu sprechen.“ „Verstanden. Ich bin hier sowieso fertig“, sagte er mit einem Nicken in Richtung Jono. „Bring ihm neue Kleidung – und zwar die eines Sklaven. Sorg dafür, dass er sich wäscht und nicht mehr wie ein Straßenköter stinkt und aussieht. Und weich nicht von seiner Seite. Ich werde mir noch überlegen, zu welchen Arbeiten ich ihn gebrauchen werde.“ „Wie Ihr wünscht, Herr“, sagte das Mädchen ehrerbietig, mit leicht gesenktem Kopf, und verneigte sich. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, war der Hohepriester bereits gegangen und ließ Anzu, mit dem noch immer auf einem Stuhl gefesselten, Jono zurück. „Wie ist eigentlich dein Name?“, fragte Anzu, nachdem sie Jono von seinen Fesseln befreit hatte. „Jono“, antwortete der Blondschopf, während er seine Handgelenke knetete und versuchte, seine vom unbequemen Sitzen steif gewordenen Glieder wieder beweglich zu machen. „Dann komm mal mit, Jono“, sagte die ewig lächelnde Anzu. „Dann will ich dir zeigen, wo die Bäder für uns Sklaven sind.“ Er folgte der jungen Frau und sah sich genau um, während er ging. Denn er musste sich hier alles gut merken, um flüchten zu können – zu seiner Schwester, um sie zu beschützen. Die Nachbarn würden sie nicht die ganze Zeit bei sich dulden, denn sie konnte ihnen nicht mal zur Handgreifen... nicht richtig, jedenfalls. Nach einigen Gängen hielten beide vor einer Tür und Anzu öffnete sie. „Hallo Ibrahim. Könntest du für Seth’s neuen Sklaven bitte eine Wanne Wasser voll machen? Währenddessen such ich Sklavenkleidung für ihn,“ sagte sie. „Na klar, Anzu. Komm doch herein, junger Mann,“ erwiderte der Mann namens Ibrahim. „Bis gleich, Jono,“ kam es noch von Anzu, die dann verschwand. Kurz blickte der Blondschopf ihr noch nach, wand sich dann aber dem älteren Mann zu, als dieser sagte: „Komm mit, mein Junge.“ Währenddessen lief im Thronsaal eine hitzige Diskussion. „Aber mein Pharao, dass könnt ihr doch nicht zulassen!“ rief ein älterer Priester, namens Akunadin, aufgebracht. „Doch! Das kann ich, Akunadin! Und es ist gut so!“ entgegnete der junge Mann ihm. „Zwar mögt ihr weiser sein als ich, an den Mehrzahlen eurer Tagen, aber ich weiß, was für mein Volk gut ist.“ „Aber...“ „Nichts aber, Akunadin! Du hast es doch gehört, was der Pharao gesagt hat. Zwar sind wir zum Teil auch seine Berater, aber er muss uns nicht fragen, ob wir damit einverstanden sind. Er muss es uns nur berichten,“ entgegnete Mahado. „Und so schlecht finde ich die Idee gar nicht.“ „Was du findest!“ murmelte der grauhaarige Mann und blickte entzürnt den Jüngeren an. „Hört auf mit euren Streitereien! Ihr könnt alle gehen – bis auf Seth. Ich möchte noch etwas mit dir besprechen.“ Alle verneigten sich vor dem Pharao und gingen hinaus. Nach einigen Augenblicken fragte Seth: „Was wollt Ihr, Pharao?“ „Ich wollte dich noch Mal wegen deinem neuen „Schützling“ fragen. Bist du dir sicher, dass du ihn zu deinem Sklaven machen möchtest?“ „Ja. Es könnte ganz amüsant mit ihm werden, denn er ist ein ziemlicher Sturkopf. Somit wird mir vielleicht nicht mehr so schnell langweilig...“, war die ehrliche Antwort des jungen Mannes, worauf beide anfangen mussten, zu lachen. Ja, Seth war sich sicher, die nächste Zeit würde wirklich nicht langweilig werden. Er hoffte nur tief im Inneren, dass er sich aber auch nicht allzu viele Probleme mit dem jungen Jono einhandelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)