Milchglas von yoshi_ ================================================================================ Begegnungen ----------- (Miriam) „… und er kommt so rein und das Erste, was er sagt ist: ‚Wie ein rauer Nordwind fegt die Gegenwart über die Blüten unsres Geistes und versenkt sie im Entstehen.‘“ Hanna machte eine dramatische Pause, in der sie theatralisch nach oben sah, die Hand vor die Brust schlug und dann weiter redete. „Kein Hallo, kein Nix! Der Dozent hat ihn dann freundlich darauf hingewiesen, dass Hölderlin nicht das Thema ist, was wir gerade behandeln und der ganze Hörsaal war am Lachen.“ Ich lachte nicht, auch wenn ich mich schon bedeutend besser fühlte. Der Student, von dem sie sprach, hieß Marc und hatte mich vor einer halben Stunde eiskalt auflaufen lassen, als ich versucht hatte, mit ihm zu flirten. Der Arsch. Und nun saß ich hier und hörte mir alle schrecklichen Geschichten an, die Hanna über ihn kannte. Allerdings war mir meine Aktion dadurch nicht weniger peinlich. „Oh Gott…“ Ich vergrub das Gesicht in den Händen und hörte, wie Hanna ihren Kaffee abstellte. „Mach dir keine Sorgen, Süße. Sowas passiert jedem Mal. Gehört bestimmt irgendwie zu den Grunderfahrungen, die den Charakter formen.“ Ich blinzelte zwischen meinen Fingern hervor. „Wirklich?“ „Versprochen.“ Das klang ziemlich überzeugend. „Miriam?“ Ich drehte mich um, von der Horrorvorstellung, es könnte Marc sein, geplagt. Doch es war nur Linda. „Hey. Weißt du, wo wir gleich Vorlesung haben?“ „Ähm..“ Ich dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Nee, tut mir leid.“ „Okay, kein Problem.“ Sie warf uns ein Lächeln zu, mit dem sie sich für die Störung entschuldigen wollte und zog von dannen. „Wer war das?“, wollte Hanna wissen. „Nur eine Freundin von mir.“ „Achso. Hast du dich wieder beruhigt? Ich muss nämlich langsam los.“ Ich winkte nur ab. Das war die erste Begegnung von Linda Baakhausen und Johanna Michaelis. ~ (Hanna) Diese bescheuerte Party ging mir jetzt schon sowas von auf die Nerven – und ich war gerade mal eine halbe Stunde da. Ich konnte die Neunziger-Hits nicht leiden, um mich herum waren haufenweise Bier trinkende Menschen und ich war eigentlich nur für Miriam hier – aber die werte Frau Gastgeberin unterhielt sich grade eklig angeregt mit einem Physikstudenten. Sprich: Ich langweilte mich zu Tode, kannte niemanden und die Musik war furchtbar. Juchu. Als ich gerade glaubte, das Ganze könnte nicht noch ätzender werden, lief Smells Like Teen Spirit an. Entsetzt floh ich auf den Balkon, schloss die Tür hinter mir und steckte mir eine Zigarette an. „Ich hasse Kurt Cobain…“ „Oh Gott, ja, ich auch.“ Überrascht sah ich auf. „Hey, bist du nicht das Mädchen, das neulich mit Miriam war? Linda!“, stellte sie sich vor und ich schüttelte ihre Hand. „Johanna.“ Warum zum Teufel ‚Johanna‘? Ich hasste ‚Johanna‘! „Aber bitte nenn‘ mich nicht so. Hanna, Jo - Erfinde Spitznamen, wie du lustig bist, aber bitte nicht ‚Johanna‘.“, setzte ich hastig hinzu. Sie lachte. „Okay. Hannah. Mit ‚H‘ am Ende, damit man es vorwärts und rückwärts schreiben kann.“ Vielleicht war irgendetwas an ihrem Lachen ja ansteckend, jedenfalls stieg meine Laune rasant an. „Einverstanden. Du studierst mit Miriam zusammen Literatur, oder?“ Linda nickte. „Jep, aber mein Hauptfach ist Pädagogik. Und wenn du jetzt einen Kommentar zu dieser unmöglichen Fächerkombination machst, muss ich dich leider über das Geländer kippen.“ Lachend zog ich an meiner Zigarette. „Philosophie und Musik ist nur begrenzt besser.“ „Du studierst Musik? Echt? Spielst du auch ein Instrument?“ „Geige. Seit ich sieben bin.“ „Wow.“ Sie sah beeindruckt aus. „Das würde ich gern mal hören. Heißt das, dass du so eine Art weiblicher David Garrett bist?“ „Nee, dafür bin ich erstens zu schlecht und zweitens haben meine Eltern mich nicht dazu gezwungen.“ Ich musste schon wieder lachen. „Also mich hätten meine Eltern auf jeden Fall zu sowas zwingen müssen. So im Nachhinein wundert es mich eigentlich auch, dass sie das nicht gemacht haben…“ „Ohje. Sind sie so schlimm?“ Linda zog die Nase kraus. „Mum ruft ungefähr zwei Millionenmal die Woche an, um mir mitzuteilen, dass sie mich enterben. Weil ich nichts Anständiges studiere, weil ich nicht jeden Sonntag mit ihnen verbringe, weil Kampfsport nichts für eine Dame ist, weil ich aussehe wie eine Wilde mit den langen Haaren… irgendwas finden sie immer. Mittlerweile haben sie mir mehr vom Erbe abgezogen als sie überhaupt besitzen, glaub ich.“ Sie fröstelte. „Wollen wir wieder reingehen?“ Ich drückte meine Zigarette aus. „Warte, ich guck nach, ob das Übel vorbei ist.“ Ich machte die Tür auf - und, nachdem Tom Jones mir mit ach-so-verführerischer Stimme mitgeteilt hatte, dass ich seine Sexbombe sei, schnell wieder zu. Ernst sah ich Linda an. „Ist es das wirklich wert?“ Sie tat so, als dächte sie nach, dann schüttelte sie vehement den Kopf. „Definitiv nicht.“ # Wir hatten uns in einem günstigen Moment – als grade nur Queen lief – hineingeschlichen, hatten uns etwas zu trinken, Salzstangen und Lindas Jacke geholt und hielten seitdem auf Miriams Balkon unsere eigene kleine Party ab. Was sich darin äußerte, dass wir eigentlich die ganze Zeit nur lachten und erzählten. Und tranken. Es war dunkler geworden, und Linda lehnte sich gerade auf ihrem Klappstuhl zurück und spähte durch die Jalousien in die Wohnung. „Oh Gott.“, ließ sie mit gesenkter Stimme verlauten, „Die arme Miriam.“ „Was denn, was denn?“ „Sie tanzt gerade Marco an.“ „Marc.“ „Dann eben Marc – Tatsache ist, dass sie sich morgen zu Tode schämen wird.“ Sie kniff die Augen zusammen und warf mir einen abschätzenden Blick zu. „Ich gehe sie erretten. Bist du dabei, Michaelis?“ Kichernd stellte ich meine Flasche beiseite und salutierte mit der linken Hand. „Jawohl.“ Unsere geheime Mission stellte sich als nicht ganz so einfach wie gedacht heraus. Denn just in dem Moment, indem wir uns – mit imaginären Sonnenbrillen und James-Bond-Pistolen (Gut, okay, vielleicht waren wir mittlerweile ETWAS angetrunken…) – in die Wohnung gewagt hatten, begann Herbert Grönemeyer, aus den Boxen zu jammern. Linda und ich wechselten einen entsetzen Blick über unsere imaginären Brillenränder und stürzten uns in das Getümmel der tanzenden Paare, nur um zu sehen, wie Miriam sich gerade an Marc kuschelte. Während dieser mit einem anderen Mädchen tanzte. Die Lage war ernst. „Okay, hier Michaelis an Baakhausen“, flüsterte ich, „Hier ist der Plan: Wir rennen los, ziehen sie da weg und schleifen sie auf den Balkon!“ „… Klingt famos!“, flüsterte Linda trocken und atemlos zurück. Gesagt, getan. Wir müssen echt albern und wirklich sehr betrunken ausgesehen haben, wie wir zu zweit durch die tanzenden Pärchen droschen, Miriam von dem leicht angenervten Marc abzupften und wieder verschwanden. Aber wir kamen uns sehr heldenhaft vor, besonders, weil Miriam zehn Minuten später von ihrem Balkon kotzte statt auf Marcs Füße. Das war unsere zweite Begegnung. ~ (Linda) Ich sah auf die Uhr und trat von einem Fuß auf den anderen. 14:43 Uhr. Um Drei war ich mit Hannah und Miriam vor dem Kino verabredet – und wenn dieser verdammte Bus nicht langsam schneller fuhr, würde ich zu spät kommen. „Stehen Sie mal auf, die Frau möchte sitzen!“, fuhr mich ein älterer Mann an. Hallo? Und die beschwerten sich über die Jugend?! Die Senioren waren das eigentliche Problem… Ganz langsam stand ich auf, sah dem Mann fest in die Augen und wandte mich dann an die Dame. „Wenn Sie mich freundlich darum gebeten hätten, wäre ich sogar gerne für Sie aufgestanden.“ Ruckelnd fuhr der Bus um die Kurve, als ich mich an die Tür stellte. Ich warf einen Blick in den Spiegel über mir und zupfte meine Frisur zu Recht. Doch bevor ich mich eingehend mit meinem Äußeren beschäftigen konnte („Wie seh‘ ich eigentlich schon wieder aus?“), hielt der Bus. 14:49 Uhr. Sollte zu schaffen sein… … war es auch. Als die beiden in Sichtweite waren, wurde ich von einer plötzlichen Vorfreude gepackt und rannte reichlich unwürdevoll (und peinlicherweise irgendwie quietschend) auf sie zu, um dann beiden gleichzeitig um den Hals zu fallen. „Hey!“ Ich wurde von beiden Seiten auf die Wange geküsst - „Du bist so süß!“ - und, nachdem ich mich gegen diesen schweren Vorwurf verteidigt hatte, ins Kino hineingezogen. „Welcher Film?“ „Ich denk, das habt ihr schon ausgemacht?“ Miriam verdrehte die Augen. „Miss Mecker hatte an all meinen Vorschlägen etwas auszusetzen.“ Dafür kitzelte Miss Mecker alias Hannah sie aus, und ich kaufte kurzerhand drei Karten für den nächstbesten Film. # Der nächstbeste Film stellte sich als a) romantisch und b) dramatisch heraus. Und eine der Hauptrollen war von Orlando Bloom besetzt – weswegen man Miriam total vergessen konnte. Sie hüpfte sabbernd und jauchzend auf ihrem Kinosessel auf und ab, während Hannah und ich anfangs nur sehr mäßig begeistert waren. „Mein Gott, der Film läuft noch keine halbe Stunde und schon ist jemand tot…“ „Echt mal. Die haben einen enormen Verschleiß. Hey, meinst du, du könntest dieses dramatische Gegeige im Hintergrund auch spielen?“ Hannah zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Klingt nicht so schwer.“ Ich schüttelte bedauernd den Kopf. „Wenigstens richtig komplizierte Geigensoli hätten sie einbauen können, wenn sie schon diese zweitklassigen Schauspieler engagieren…“ Miriams Blick war tödlich und sie warf mit Popcorn nach mir, aber ich wich nur lachend aus. E halbe Stunde später hüpfte sie allerdings wieder auf ihrem Sitz herum und himmelte ihren Gott an- während Hannah und ich uns die Augen ausheulten. „Sie können nie zusammen sein…“, jammerte meine Leidensgenossin, und ich lehnte mich an ihre Schulter. „Ich weiß…“. Wir schnieften synchron in unsere Taschentücher - doch Miriam war unerschütterlich. „Ist doch egal, dann nehm ich ihn!“ Hannah und ich sahen uns an und beschlossen in schweigendem Einverständnis, dass Miriam keine Ahnung hatte und wir künftig immer vorher auf die Schauspieler achten würden, bevor wir sie mit ins Kino nahmen. Dann versanken wir wieder in tiefer Trauer über das tragische Schicksal der beiden Liebenden. Das war unsere dritte Begegnung. Erkenntnisse ------------ (Linda) Gott, ich hasste sie. Ich hasste ihre Wir enterben dichs, ihre Wir verlangen dass du das tusts und ihre Wir wollen doch nur das Beste für dichs. Ich hasste sie einfach. Das Schlimmste daran war das „Wir“. Sie hatten per sé Recht, erstens, weil sie meine Eltern waren, und zweitens, weil sie in der Mehrzahl waren. Grundsätzlich. So wie jetzt. „Ja. … Ja. … Nein, verdammt, ich- … Ja, ist ja gut. … Ja.“ Nicht in diesem Ton! und Halt den Mund, wenn ich mit dir rede! gehörten auch zu diesen Dingen, die ich abgrundtief hasste. Ich wollte ihr etwas Schweres entgegenwerfen, sofort, ich wollte einfach nur noch schreien und ihr den Kopf abreißen, es ging sie einen Scheißdreck an… „ Mutter, ich muss jetzt Schluss machen. … Ich muss jetzt lernen. … Nein. … Bis dann.“ Wütend ließ ich mein Handy zuschnappen und trat frustriert gegen meinen Stuhl, doch alles, was es bewirkte, war, dass mir jetzt auch noch mein Fuß wehtat. Ich hätte kotzen können. Warum zum Teufel konnte dieses Weibsstück, das sich meine Mutter nannte, nicht einfach mal ihren Mund halten? War es ihr verdammtes Problem, was ich mit meiner Fächerkombination anfangen konnte? Nein! War es ihr verdammtes Problem, mit wem ich ausging? Nein! War es ihr verdammtes Problem, in was für einer Gegend ich wohnte? Nein! Und trotzdem mischte sie sich überall ein! Überall! Ich holte aus und wollte mein Handy gegen die Wand werfen (hoffentlich würde es zersplittern und absolut irreparabel sein, dann hatte ich wenigstens einen Grund, wochenlang nicht erreichbar zu sein), als es mich hysterisch anblinkte und vibrierte. Beinahe so, als würde es sich wehren – doch es war nur ein Anruf. Wenn das jetzt meine Mutter war, dann… „Was?!“, fauchte ich in den Hörer. „Chrm… Hier ist Hannah. Ist es grade ungünstig?“ Die Wut wich für einen Moment aus mir wie Luft aus einem Ballon, der seit zwei Wochen irgendwo herumliegt, und ich hätte am liebsten den Kopf rhythmisch auf den Schreibtisch geschlagen. „Oh! Nein, nein, tut mir leid… Tut mir leid, ich dachte, es wäre-“, ich brach ab und schüttelte den Kopf. Was sie natürlich nicht sehen konnte. „Ich hab mich nur grade ziemlich über jemanden aufgeregt. Entschuldige. Wie geht’s dir so?“ „Mir geht’s gut. Und dir? Ach, sorry, blöde Frage. Was ist denn los?“ Ich atmete tief durch und legte den Kopf in den Nacken. Die Raufasertapete an meiner Decke starrte mich ermunternd an. Und dann… erzählte ich ihr einfach alles. Ich erzählte von meiner Mutter, die zu viel Zeit und Frust hatte, den sie an mir auslassen konnte, und ich erzählte von meinem Vater, der zu hohe Erwartungen und zu falsche Vorstellungen davon hatte, was den Lebensweg seiner Tochter anging. Ich erzählte sogar von ihren Verkupplungsversuchen und ihrer Lieblingsstrategie – einfach so zu tun, als hätte ich längst zugestimmt. Und als ich einmal angefangen hatte, konnte ich so schnell nicht mehr aufhören. Es floss nur so aus mir heraus, und ich motzte mir sämtliche Aggressionen vom Leib. Hannah machte nur hin und wieder einen Einwurf, fragte kritisch nach, stimmte mir zu und fragte mich, als ich geendet hatte, ob ich ein bisschen Beruhigung vertragen könnte. Ich schmiss mich aufs Bett. „Klar.“ Und dann geigte sie. Ich gebe offen zu: ich hatte keine Ahnung von Musik und weiß bis heute nicht, ob das, was sie spielte, gut und richtig war. Aber es gefiel mir trotzdem. Sie spielte erst schnell und hoch, sodass es klang wie ein ganzer Schwarm wütender Hornissen (bewegen die sich überhaupt in Schwärmen?) und meine eigene Stimmung ganz gut wiedergab - und wurde dann so unauffällig langsamer und tiefer, dass ich gar nicht merkte, wie sich mein Adrenalinspiegel langsam wieder senkte, ich ruhiger atmete und nicht mehr das Verlangen hatte, meinen Eltern eine Briefbombe zu schicken. „Und, hat’s dir gefallen?“, wollte sie schließlich wissen und ich hörte, wie sie im Hintergrund ihre Geige wieder einpackte. „Hmmm.“, gab ich wohlig von mir. Sie lachte. „Ich fasse das als ein ‚Ja‘ auf.“ „Mach das. Hast du mir jetzt sozusagen deine Meinung gegeigt?“ „Das waren mindestens fünf Euro in die Schlechter-Wortwitz-Kasse!“ Ich kicherte und rollte mich auf die Seite. „Alles klar, ich lad‘ dich dann demnächst auf ‘nen Drink ein.“ Mir fiel nicht auf, dass sie meine Laune in einer Stunde um 180° umgedreht hatte. (Hannah) „Einen Mojito und einen Caipirinha, bitte.“ “Du gibst mir jetzt echt einen Cocktail aus?” Ich starrte Linda ungläubig an, aber sie lachte nur und zuckte mit den Schultern. „Klar, ich schulde dir schließlich fünf Euro!“ Ich kniff die Augen zusammen und stach mit dem Zeigefinger bedeutungsvoll auf die farbenfrohe Karte. „Hier steht aber Sechs Euro Fünfzig.“ Linda verdrehte die Augen. „Dann kriegst du die Eins Fünfzig eben für die Telefonseelsorge, die du bei mir geleistet hast, Miss Holmes.“ „Na gut. Danke.“ Ich grinste sie an und lehnte mich zurück. Die Milchbar war sehr geräumig und stilvoll und klar eingerichtet. Nachmittags war kaum jemand hier, weshalb unsere Drinks ziemlich schnell zu uns gebracht wurden, aber abends war hier der Teufel los (und wenn Milch ausgeschenkt wurde, dann nur in Verbindung mit Wodka). „Wie sind deine Eltern eigentlich so?“, wollte Linda wissen. Ich sah ihr dabei zu, wie sie sich an Bierdeckeltricks versuchte. „Ähm… hm. Meine Eltern sind ziemlich normal.“ Gut, ich gab zu: Das klang ziemlich lahm. Aber es war in der Tat auch nicht viel spannender. „Meine Eltern haben sich kennengelernt, geheiratet, waren – laut meinem Onkel – geradezu ekelerregend glücklich miteinander und hatten dann die grandiose Idee, drei Kinder in die Welt zu setzen. Tja, und eins davon war ich. Ende der Geschichte.“ „Echt? Keine Kindheitstraumata oder so?“ „Doch. Zwei.“ Grimmig sah ich in meinen Caipirinha, den die Kellnerin gerade eben vor mir abgestellt hatte. „Sie heißen Felix und Antonio.“ Linda sah mich mitfühlend an. „Wie alt?“ „Vierzehn und Sechzehn, dementsprechend halten sie sich beide für a) unsterblich und b) unwiderstehlich – dabei sind sie in erster Linie picklig und pubertär.“ „Tja – das ist der Vorteil daran, dass meine Eltern nicht so begeistert von mir sind: Nachdem sie ein Kind hatten, wollten sie so schnell kein zweites.“ Dazu wusste ich nichts zu sagen, auch, wenn sie einen betont fröhlichen Ton angeschlagen hatte. Nachdenklich holte ich ein Päckchen Zigaretten heraus und kramte in den Tiefen meiner Taschen nach einem Feuerzeug, als Linda die Stirn in Falten legte. „Hm.. Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Klar, welchen?“, wollte ich zerstreut wissen. „Bitte rauch nicht.“ Ich sah sie einen Moment lang überrascht an und warf dann die Schachtel in den Tischmüll. „Okay“, erwiderte ich achselzuckend. „Meine Brüder sind echte Nervensägen, aber ich liebe sie trotzdem“, erklärte ich, „und ich werde vermutlich vor Stolz platzen, wenn sie ihre erste Freundin haben – um die armen Mädchen dann vor den beiden testosterongefüllten Gockeln zu warnen.“ Wir lachten beide, und ich kuschelte mich tiefer in meinen Sessel. Was mir nicht auffiel, war, dass ich gerade ohne einen Ton zu sagen und entgegen meinem geradezu furchteinflößendem Suchtverhalten eine halbe Schachtel Zigaretten weggeworfen hatte. (Miriam) Das erste, was mir auffiel, war, dass Hanna begann, ihren Namen mit ‚H‘ am Ende zu schreiben und dass „Hannah“ eine Art Zauberwort wurde, mit dem ich Linda auf jede von ihr verhasste Party locken konnte. Das zweite war, dass Hannah nicht mehr rauchte – und als ich sie lachend fragte, weshalb diesmal, antwortete sie: „Ach, ich war mit Linda was trinken und sie hat mich gebeten, nicht zu rauchen, da dachte ich, ich könnte es wieder mal probieren…“. Was daran so ungewöhnlich war? Im Gegensatz zu den gefühlten zwanzigtausend Malen davor hielt sie es dieses Mal durch. Außerdem stellte ich fest, dass bei Linda immer öfter klassische Geigenmusik im Hintergrund lief, wenn ich sie anrief. Seit wann mochte Linda klassische Musik? Ich erinnerte mich noch gut an die Worte „Brr, nee, das hören meine Eltern immer zum Essen“… anscheinend hatte sie eine positivere Besetzung dafür gefunden. Aber immer, wenn ich diese Besonderheiten hinterfragte, reagierten sie beide ungefähr gleich. Mit einem schulterzuckenden „Ach, das…“, oder auch „Keine Ahnung. Ist das schlecht?“ – sie waren sich der Tatsache, dass sie sich für ihre Verhältnisse seltsam verhielten, absolut nicht bewusst. Ich beschloss, mich nicht weiter einzumischen. Es war doch nur gut, wenn Hannah nicht rauchte, und daran, dass Linda mit auf die Partys kam, auf die ich Hannah mitschleifte, hatte ich auch nichts auszusetzen. Also sagte ich weiter nichts und freute mich darüber, dass sie sich so gut verstanden. Auftritte --------- (Hannah) Mein kleiner Toyota Corola (Baujahr 1987) hustete so mitleiderregend beim Anspringen, dass ich umgehend das Amaturenbrett tätschelte. Es war Sonntag und ich auf dem Weg zu meiner Familie, was ich schon seit Wochen hatte tun wollen (Originalton: „Wir kriegen dich ja gar nicht mehr zu Gesicht!“) – für dieses Wochenende hatte mich mein Vater mit den Worten „Pass auf, du erziehst deine Brüder und wir kochen für dich!“ überredet. Eigentlich hatte ich keine richtige Lust, weil es immer das Gleiche war, wenn ich sie besuchte. Ich war pünktlich zum Essen da, stritt mich scherzhaft mit meinen Brüdern, erzählte von der Uni, wir gingen spazieren, es gab Kaffee und Kuchen und ich fuhr wieder nach Hause. Aber was sein musste… Ich fuhr an dem Spielplatz vorbei, auf dem ich neulich mit Linda gewesen war. Wir hatten uns auf das Karussell gesetzt und gedreht, bis wir nicht mehr konnten; wir hatten geschaukelt und mit kleinen Kindern um die Wippe diskutiert (woher nahmen diese kleinen Blagen bloß immer diese unschlagbaren Argumente?!). Ich runzelte die Stirn. Linda hatte sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet. Eigentlich war das nicht weiter ungewöhnlich, sagte ich mir, bei Licht betrachtet kannten wir uns noch gar nicht so lange, und selbst Miriam und ich hörten manchmal eine halbe Woche nichts voneinander… aber irgendwie kam es mir trotzdem komisch vor. Anscheinend ging es Linda ähnlich, denn es war ihre Nummer im Display, als ich einen Blick auf mein spontan klingelndes Handy auf dem Beifahrersitz warf. Ruckelnd kam mein kleines Auto an der roten Ampel zum Stehen. „Ich hab grade an dich gedacht!“ Sie lachte. „Brav, Hannah, brav. Immer schön an mich denken. Stör‘ ich dich grade?“ „Mich nicht, aber angesichts der Tatsache, dass ich im Auto sitze, vermutlich die Polizei. Von daher solltest du dich kurz fassen…“, teilte ich ihr mit und drückte aufs Gas – besorgniserregend langsam setzte sich mein Gefährt in Bewegung. „Oh, okay. Ich stehe grade vor der Stadtbibliothek und wollte fragen, ob du nicht Lust hast, dich mit mir zu treffen.“ „Ich würde sehr gerne, aber ich bin grade auf dem Weg zu meinen Eltern... aber du kannst mitkommen, wenn du möchtest!“, schlug ich hoffnungsvoll vor. „Sicher, dass das geht?“ Linda klang skeptisch. „Meine Eltern sind nett, weißt du noch?“ „Ach ja… wenn du mich abholst, komm ich mit.“ Ich grinste. „Yes! Danke dir, bist ein Schatz.“ Sie lachte wieder. „Wie könnte ich dich mit deinen Kindheitstraumata alleine lassen?“ # Meine Eltern liebten Linda von dem Moment an, in dem sie ihnen die Hände geschüttelt hatte, mit dem strahlendsten Lächeln, das man sich nur denken kann. Meine Brüder waren nicht weniger begeistert von ihr – für den Kommentar „Scheiße, ist das Mädchen scharf“ ertränkte ich Felix im Spülwasser. Oder versuchte es wenigstens. Er rächte sich, indem er mit Antonio einen Komplott ausheckte: Während des Essens erzählten sie eine peinliche Geschichte meiner Kindheit nach der anderen. Linda bekam einen Schluckauf vor Lachen und ich trat den beiden unter dem Tisch die Beine blau – was sie allerdings wenig zu stören schien. Meine Eltern genossen die Tatsache, dass ihre Kinder sich so sehr liebten („Das bedeutet Krieg, du kleine Ratte“ übersetzten sie anscheinend mit „Oh Anto, du hast mir so gefehlt…“) und dass ihr spontaner Besuch seinen Spaß hatte. Beim Spazierengehen versuchte ich, Linda davon zu überzeugen, dass die beiden Landplagen mich nur hatten ärgern wollen und keine der Geschichten wahr war („Ehrlich, ich war NIE als Bibi Blocksberg verkleidet, geschweige denn, dass ich damit zur SCHULE gegangen wäre!“). Als das nicht gerade von Erfolg gekrönt wurde, ging ich zum Gegenangriff über und berichtete von den Barbies unter Antonios Bett und Felix‘ Versuchen, ein Mädchen zu erobern (was eher nach Folter als nach ‚modernem Minnesang‘ geklungen hatte). Die ganze Aktion endete in einer brutalen Schlacht mitten auf der Parkwiese – was bedeutete, dass meine Brüder und ich uns bis aufs Blut auskitzelten, bis Linda mir zu Hilfe kam („Es gibt noch Treue und Hoffnung in der Welt!“) und wir die Alpträume meiner Jugend knapp besiegten. Meine Mutter, die schon immer auf der Seite der Gerechtigkeit gestanden hatte, sah das selbstverständlich ein und räumte Linda und mir beim Kaffee einen Schlag Sahne auf den Kuchen mehr ein als gewöhnlich. Was Felix mit einem vor Neid nur so triefenden „Pah, ich mag Sahne eh nicht so gerne. Sportler müssen schlank bleiben“ quittierte. Antonio sagte lieber gar nichts. Als wir uns auf den Rückweg machen, waren wir beide völlig erschlagen, aber zufrieden. Lachend ließ Linda sich auf den Beifahrersitz fallen. „Gott, war das genial… ist es irgendwie möglich, dass ich meine Familie zurückgebe und du dafür deine mit mir teilst?“ „Klar“, räumte ich kichernd ein, „wenn du bereit bist, dafür Anto oder Felix zu heiraten.“ „Oh Gott! Kann ich nicht dich heiraten?“ „Na gut. Aber nur ausnahmsweise!“ Ich startete den Motor und fuhr fast in Schlangenlinien vor lauter Lachen. (Linda) Ich schwenkte auf meinem Schreibtischstuhl herum und trommelte mit den nackten Füßen auf den Boden. „Hannah!“, quengelte ich, „Mach was! Ich hasse Typen…“ „Hm? Warum?“ Sie lag auf meinem Sofa und zappte wild durch die Programme. „Meine Eltern versuchen schon seit Wochen, mir einen Kerl namens Alexander schmackhaft zu machen, den ich seit Kindertagen kenne, und irgend so ein Typ aus der Uni will andauernd meine Mitschriften aus den Vorlesungen oder Tipps für seine Facharbeit.. ich meine, hallo? Sein Problem?“ „Na, dann sag ihm das doch.“ Hannah, pragmatisch wie immer. Ich verzog das Gesicht. „Nee…“, widersprach ich lahm. „Warum nicht?“ „Weil das total assi ist. Vielleicht ist der ja echt krank und kann nicht zu den Vorlesungen kommen, und braucht wirklich meine Hilfe, dann würde mich total schlecht-“ Hannah schaltete entschiedenen den Fernseher aus und sah mich streng an. „Herzchen. Der Kerl ist nie im Leben krank. Mal davon abgesehen, dass er dann immer noch irgendwelche Kumpels hätte, die das für ihn machen könnten. Der will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – nicht selbst arbeiten müssen und sich dabei ein hübsches Mädchen anlachen.“ Ich wand mich. „Aber was wenn-“ „Du kannst doch nicht allen helfen! Bist du Mutter Theresa oder was?“ „Hannah!“ „Was?“ Sie sah mich mit gehobenen Augenbrauen an. „Ach nichts… ich kann dem nicht einfach sagen, dass ich ihm nicht helfe.“ Sie ließ kurz den Kopf auf die Brust fallen, hob ihn wieder und seufzte. „Was krieg‘ ich, wenn ich dir beweise, dass der Typ putzmunter ist?“ Ich überlegte. „Einen Videoabend auf meine Kosten.“ Sie war sofort auf den Beinen, zog mich hoch und lief in den Flur. „Worauf wartest du noch?“ Mit diesen Worten flogen mir meine Schuhe entgegen. # Ich jammerte die ganze Fahrt über. „Das ist Spionage, ich wette, dafür kann man jemanden anzeigen...“ „Ach, was. Wir gehen ihm doch nur ein paar Notizen vorbeibringen – WENN er wirklich krank ist.“ Hannah sah in den Rückspiegel und bog dann rechts ab. Ich fühlte mich elend. „Das können wir nicht machen…“ Ihr klappriger alter Wagen blieb ruckartig stehen. „Ey, wenn du jetzt nicht aufhörst, geh ich alleine hoch und sag, ich sei Privatdetektiv und von dir angeheuert!“ Wir sahen uns einen Augenblick lang an – und stiegen aus. Zehn Minuten später öffnete uns mein hilfebedürftiger Mitstudierender – halbnackt und mit einer Flasche Bier in der Hand, im Hintergrund gedämpfte Partymusik. Und machte die Tür angesichts unserer synchron gehobenen Augenbrauen und in die Seite gestützten Hände ganz schnell wieder zu. (Miriam) Ich war vollkommen übermüdet, weil ich die ganze letzte Nacht damit verbracht hatte, meine Skulptur zu vollenden. Manchmal war echt nervig, künstlerisch veranlagt zu sein – wenn mir nachts um Drei eine gute Idee kam, konnte ich unmöglich weiterschlafen und die Idee erst am nächsten Tag umsetzen. Das musste einfach sofort passieren. Und deswegen hing ich jetzt auf meinem Sitzsack und hatte Augenringe bis zum Boden, während Linda und Hannah sich fleißig über mich lustig machten. „Wenn Marc dich sehen könnte“, tadelte Linda. „Ja, oder der ach-so-heiße Typ, der da auf uns zukommt“, fiel Hannah ernsthaft mit ein. „Ach, lasst mich doch in…“ Warte. Hatte sie ‚heißer Typ‘ gesagt? Ich setzte mich auf. Und in der Tat: der Kerl, der mir vorhin schon aufgefallen waren, kam geradewegs auf uns zu. Oh nein. In meinem Zustand konnte das nur schlecht ausgehen. „Hi“, begrüßte er uns mit einem nahezu umwerfenden Lächeln. „Ich bin Robert.“ Linda schien nur geringfügig beeindruckt. „Linda.“ Sie lachte. Auch Hannah stellte sich vor. „… Miriam …“,murmelte ich etwas verspätet. Robert, der mich irgendwie an James Marsden erinnerte (Oh Gott, jetzt war der Abend eindeutig gelaufen) –lächelte. „Darf ich mich zu euch setzen?“ „Setzen darfst du dich, ja.“ Lindas Augen glitzerten spöttisch – was zum Teufel tat diese Verräterin da? Prompt setzte sich mein Verderben für den heutigen Abend zu uns. „Was meinst du“, Der James-Marsden-Verschnitt sah natürlich ausgerechnet mich an, „Wenn deine Freundin Linda sagt, dass ich mich setzen kann, meint sie dann, dass ich sonst nichts darf?“ Kein Typ dieser Welt interessierte sich für mich, wenn ich gerade zurechnungsfähig war! Aber natürlich ausgerechnet jetzt, wo ich vor lauter Müdigkeit kaum mein Glas gerade halten konnte… „Kommt drauf an“, hörte ich mich sagen und fragte mich, ob er wohl merkte, wie verpeilt ich war. „Naja… zum Beispiel könnte ich dich fragen, ob du nicht Lust hast, mit mir tanzen zu gehen.“ „Tja, vielleicht solltest du lieber Linda selbst fragen, was sie gemeint hat“, mischte sich Hannah ein und nahm einen Schluck von ihrem Drink. „Seh‘ ich auch so. Findest du nicht, dass dein Verhalten sehr, sehr unhöflich ist?“ Linda drohte mit dem Finger. Ich musste grinsen. Robert ließ sich zurücksinken. „Was meintest du denn?“ „Naja, uns dreist unsere Freundin zu klauen würde ich eindeutig als Missbrauch unserer Gastfreundschaft einstufen.“ Ich kicherte; vielleicht war sie doch keine Verräterin. „Das ist aber schade. Dabei wäre ich so gerne mit ihr tanzen gegangen.“ „Tja, sie gehört aber uns“, klärte Hannah ihn auf. Linda nickte. „Und sie ist absolut unverkäuflich.“ „Ich wollte sie nicht kaufen – lediglich entleihen…“, startete Robert einen weiteren Versuch. „Entleihen?!“ Linda setzte ihr Getränk ab. „Wie einen Gegenstand?!“ Hannah war entrüstet. „Unsere Miriam musst du dir erkämpfen!“ „Stück für Stück!“ „Ganz langsam!“ „Nix mit Entleihen!“ Ich verschluckte mich bald an meinem Getränk vor unterdrücktem Lachen, während Robert beschwichtigend die Hände hob und lächelnd vorschlug: „Sollten wir sie nicht lieber selbst fragen?“ Ups. „Aber sicher!“ Die beiden drehten sich synchron zu mir um. „Was sagst du, Schätzchen“, Hannah sah mich prüfend an, „vertraust du eher uns -“ „- oder eher jemandem, den du seit fünf Minuten kennst?“, vollendete Linda für sie. Ich sah sie abwechselnd an. Und musste lachen. Die beiden arbeiteten zusammen als könnten sie die Gedanken des anderen lesen – nein, das war falsch. Mehr so, als hätten sie eine Art gemeinsamen Topf Gedanken. Das war eine interessante Idee, das musste ich unbedingt mal malen… Hannah drehte sich zu Robert um. „Wie du siehst, ist sie heute Abend nicht ganz zurechnungsfähig.“ „Sie ist nämlich Kunststudentin und hatte letzte Nacht eine ganz brillante Idee“, verriet Linda. „Und deshalb ist sie vollkommen übermüdet.“ Robert schmunzelte. „Und ihr passt auf sie auf?“ „Ganz genau.“ „Tut uns leid für dich, Robert.“ „Und ich hab echt keine Chance?“ Doppeltes Kopfschütteln. Bedauernd: „Nicht heute Abend.“ Linda griff nach einem Bierdeckel und kritzelte etwas darauf. „Aber wenn du sie echt magst...“, ihre Kollegin sah den James-Marsden-Verschnitt kritisch an, „…kannst du sie ja mal anrufen.“ „Gerne.“ Woah, umwerfendes Lächeln. Linda reichte ihm den Bierdeckel. „Das ist ihre Nummer.“ „Alles klar. Myladies “, Robert stand auf und deutete eine Verbeugung an, „es war mir ein Vergnügen.“ Er zwinkerte mir zu. „Ich ruf‘ dich an.“ Damit verschwand er. Ich wusste nicht genau, wie sie es angestellt hatten, aber irgendwie hatten meine telepathischen Freunde gerade ein absolutes About-to-be-Desaster in ein Maybe-Date umgewandelt. Glücksfälle ----------- (Miriam) Entgegen aller negativen Erwartungen hatte Robert mich tatsächlich angerufen, um mich zum Tanzen einzuladen. „Du kannst auch gerne deine Wachhunde mitnehmen“, hatte er scherzhaft hinzugefügt. Ich hatte die beiden tatsächlich eingeladen – auch, wenn ich mit ihrer Zusage nie gerechnet hätte. Anscheinend hatten sie ihren Spaß an Alkohol und lauter Musik gefunden. Und deshalb waren wir an diesem Abend zu viert unterwegs; Linda, schon leicht angetrunken, hing kichernd an Hannahs Arm, während Robert sich mittlerweile getraut hatte, einen Arm um mich zu legen, und die beiden in einem Fort aufzog. Ich half ihm dabei nach Leibeskräften – Drei gegen Eins war schließlich unfair… „Wollten wir nicht tanzen?“, wollte mein Begleiter schließlich wissen, „oder ist das wieder zu viel verlangt für einen Abend?“ Ich sah ihn kritisch an. „Hmm… Na gut.“ Hannah zog Linda mit sich. „Komm, Ehefrau, wenn du in meine Familie einheiraten willst, musst du mit mir tanzen.“ Brav, dachte ich, und jetzt werde ich die ungestörte Zweisamkeit um meinen persönlichen James Marsden anzuflirten. Hoffentlich stellte ich mich dabei besser an als bei Marc. # Mit Robert zu tanzen war ungefähr so, wie von einem attraktiven Arzt behandelt zu werden. Ich versuchte, so elegant wie möglich zu werden, während er mich hin- und her drehte, gut aussah und dabei umwerfend lächelte. Über seine Schulter hinweg ließ ich den Blick wandern und konnte ein paar Meter entfernt Linda und Hannah ausmachen. Ich blieb stehen. „Hey, alles okay?“ Rasch warf ich meinem besorgten Date ein beruhigendes Lächeln zu. „Klar! Ich hab nur total Durst! Meinst du, du könntest uns was zu trinken holen?“ Das war zwar nicht wirklich überzeugend, aber der Gentleman in ihm war sofort zur Stelle. „Natürlich! Bis gleich!“ Ich nickte. Wie auch immer. Er verschwand und ich wandte mich wieder meinen Freundinnen zu, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigten waren, um mich zu bemerken. Es war nicht so, dass sie besonders eng tanzten, sich tief in die Augen sahen oder gleich wild herumknutschten. Eigentlich benahmen sie sich nicht anders als Freundinnen es eben ab einem bestimmten Alkoholpegel tun. Was meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war etwas anderes, viel Tieferes… Vielleicht die Tatsache, dass sie so einen Spaß hatten, so eine ehrliche, unaufgesetzte Freude, und sich nicht darum scherten, ob sie jemanden störten. Hannah drehte sich an Lindas Hand lachend um die eigene Achse. Vielleicht war es auch die Vertrautheit, mit der sie miteinander umgingen, völlig ohne diese Versuche, jemanden zu beeindrucken, die man meistens irgendwie machte. Vielleicht auch die Tatsache, dass sie selbst sich scheinbar auch von niemandem gestört fühlten; und dennoch hatte ich das Gefühl, sie bewegten sich in einer Art separatem Raum… Aber egal, was es war, in diesem Moment fiel der Groschen. Ihre Verbundenheit, all diese gesunden und erfreulichen Veränderungen, die Art, wie sie tanzten… Es war mir schleierhaft, wie ich das so lange hatte übersehen können. Die beiden waren einander völlig verfallen. Und wie es aussah, waren sie sich dieser Verliebtheit kein bisschen bewusst. Als Robert zurückkam, wollte er unbedingt wissen, warum ich so lachte, aber ich verriet kein einziges Wort. (Linda) Ich ließ mich in mein Bett fallen. „Wuuh~…“ Alles drehte sich. Ein bisschen vom Alkohol und ein bisschen vom Tanzen. Vielleicht auch ein bisschen vor Müdigkeit. In meinem Gesicht saß ein breites Grinsen. „Mann, was ein Abend…“, sagte ich laut und versuchte, mir die Schuhe mit den Füßen auszuziehen, was nicht wirklich von Erfolg gekrönt war. Ich wollte gerade dazu ansetzen, Hannah mit Pfannkuchen zum Frühstück zu bestechen, mir zu helfen, als mir einfiel, dass sie mittlerweile wahrscheinlich längst zuhause war. Leise murmelnd setzte ich mich auf und befreite meine Füße aus den Schuhen. Etwa fünfzehn Minuten später (ich war nicht sonderlich schnell, wenn ich müde und unnüchtern war) lag ich endlich im Bett. Mein Handy vibrierte. ‚so süße.. bin zuhause. schlaf gut, du betrunkene maid! liebe dich! hannah x3‘ Woah, es war echt krank, wie sehr ich mich über sowas freute. Ich war einfach zu einsam, ging es mir durch den Kopf, schon halb im Schlaf, selbst so ein kleines bisschen Zuneigung reichte, damit ich grinste wie ein Honigkuchenpferd… Bescheuert… (Hannah) Ich schrieb Linda eine SMS und warf meinen Schlüssel auf das Board. „You spin my head right ‘round…“ Summend zog ich Mantel und Schuhe aus, lief in Richtung Küche und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Das sollte angeblich verhindern, dass man am nächsten Tag Kopfschmerzen hatte. Miauend strich mir mein rauchgraues Wollkäuel um die Beine. Das Leben war schön. Auch, wenn der Boden kalt war, der Wasserhahn zu laut tropfte (ich würde die ganze Nacht nicht schlafen können, wenn das nicht bald aufhörte) und im Fernsehen nur Schund lief, als ich ihn einschaltete. Pinot Grigio, mein Kater, sprang mir auf den Schoß und rieb sein Kinn an meiner Schulter. Und ja, ich hatte einen Kater namens Pinot Grigio – wie der zustande gekommen war, konnte man sich ja denken („Was ist paradox? – Wenn ein Pinot Grigio eine Schnapsidee ist…“, war Lindas Kommentar dazu gewesen, was mir einen weiteren Drink eingebracht hatte). Ich machte den Ton am Fernseher aus. Über die Mattscheibe flimmerten bunte Bilder, Pinot Grigio schnurrte, in der Küche tropfte der Wasserhahn und ich saß auf meinem Bett und war mit jedem Fitzelchen Hannah glücklich. Alkohol war doch was Tolles. Beschlüsse ---------- Hannah Ich starrte auf den Tisch vor mir, das Handy am Ohr. Meine Stimme war ganz ruhig, aber innerlich brodelte ich – langsam und bedrohlich wie Lava. „Du bist was.“ Sie wiederholte, was sie gesagt hatte. Ich schwieg. Dass das Wasserglas in meiner Linken nicht zerplatzte, grenzte an ein Wunder, so fest, wie es umklammert hielt. Ich wusste wirklich nicht, ob ich sie auslachen oder schreien sollte. Kotzen wäre auch eine Option gewesen, nach der mit der Sinn gestanden hätte. „Bist du nicht.“, hörte ich mich sagen. Ganz tief und kalt. Und dann legte ich auf. Etwa zehn Sekunden hielt ich mich erstaunlich gut auf meinem Stuhl. Dann sprang ich auf und tobte mich aus. „Weil ihre Eltern das wollen?! Ist sie bescheuert?! Da kann sie doch auch gleich den Leibeigenen-Vertrag unterzeichnen, den diese Monster garantiert schon irgendwo griffbereit haben!“ Ich knallte die Tür zu, nur, um meinen Aggressionen Ausdruck zu verleihen. „Wo zum Teufel hat sie ihr Hirn?! Das ist doch nicht die Linda, die ich kenne! Das ist einfach dämlich!“ Pinot Grigio verzog sich auf den Schrank, als ich mit einem Knall das halbgeöffnete Fenster schloss, sodass die Scheibe nur so zitterte. Wütend warf ich mich auf mein Bett. „Scheiße, verdammt!“ Linda Scheiße. Okay. Okay. Scheiße… Ich war völlig durch den Wind. Warum war sie so wütend? Warum war das denn ihr Problem? Miriam hatte es doch auch total locker aufgenommen, was machte Hannah so einen Stress? Scheiße… Ich wusste nicht, wohin mit meinen Gedanken. Mir war zum Heulen zu Mute. Aber warum, verdammt?! Hallo, meine Entscheidung? Es ging sie absolut nichts an. Was war sie denn jetzt so angefressen? Wegen meiner Eltern? Mein Gott, ich tat doch dauernd Dinge, die ihnen missfielen, da würde es mich nicht umbringen, wenn sie mich EINMAL nicht für eine Entscheidung verachteten! Aber vielleicht… machte Hannah sich auch nur Sorgen. Vielleicht wollte sie nur das Beste für mich oder so. Aber vielleicht WAR das ja das Beste für mich – ich versuchte es schließlich gerade herauszufinden… Gott, Scheiße. Zwei Sätze von ihr und ich war völlig von der Rolle. Ruhig, Baakhausen, schalt ich mich selbst, du bist eine erwachsene Frau und nur du bist für dich verantwortlich. Aber ich fühlte mich trotzdem schrecklich. Zerrissen, irgendwie. Was für ein mieses Selbstbewusstsein musste ich haben, wenn mich zwei Sätze von Hannah dazu brachten, eine Entscheidung zu bereuen, die ich eben noch ganz gut gefunden hatte? Kein Wunder. Wahrscheinlich hatten meine Eltern immer schon versucht, mich zu einer leicht beeinflussbaren Person zu formen… Und offensichtlich war ihnen das gelungen. Verdammt. Wahrscheinlich war Hannah deswegen so sauer. Scheiße. Ich fuhr mir zum tausendsten Mal mit beiden Händen durch die Haare. Wo stand mir nur der Kopf? Ich wollte nur noch weinen. Konnte mir mal jemand verraten, was ich jetzt tun sollte? Scheiße… Miriam Dass Hannah leicht cholerische Züge hatte, war nichts Neues. Auch, wenn sich das für gewöhnlich in eher harmlosem Gemecker niederschlug. Seitdem sie Linda kannte, war das fast vollständig zurückgegangen, sodass ich beinahe vergessen hatte, wie gerne Hannah sich über alles Mögliche aufregte. Im Moment regte sie sich allerdings nicht einfach nur auf, sie war drauf und dran, meine Wohnung zu zerlegen. Und das lag auch nicht an allem Möglichen. „Alexander Von-Und-Zu-Sowieso?!“ Ich seufzte und nahm ihr das Lineal aus der Hand, mit dem sie gerade auf den Tisch vor mir geschlagen hatte. „Sieht so aus.“ „Der BESCHISSENE Schnösel, den ihre DÄMLICHEN Eltern für sie ausgesucht haben?!“ Mal sehen, wie weit wir mit Logik kamen. „Ja, na und? Wenn schon. Vielleicht ist er ja-“ „NICHT GUT GENUG! Genau das! Ich meine, sie hat nicht mal das Scheiß-Date selbst ausgesucht! Das lief alles über ihre kranke Mutter! Das ist doch gestört!“ Sie steigerte sich mit jeder Sekunde mehr in ihre überdramatischen Ausflüchte hinein. „Und abgesehen davon ist der Kerl HÄSSLICH! Wen stellt sie sich vor, wenn sie diesen Quasimodo küsst, Ashton Kutcher?!“ „Du hast nur EIN Bild von ihm gesehen! Und so hässlich ist er gar nicht, das weißt du ganz genau.“ „Ist er wohl, verdammt!“, fuhr sie mich an. Ich stand auf und ging um den Tisch herum. „Wo ist überhaupt dein Problem? Ist doch ihre Sache.“ Ich wusste, wo ihr Problem war, vermutlich sogar besser als sie selbst. Aber mich interessierte wirklich, wie sie das vor sich selbst erklärte… Und plötzlich sah Hannah müde aus, und genauso traurig, wie sie war. „Ach, keine Ahnung…“ Ich nahm sie in die Arme. „Ach Süße.“ „Ich mach mir nur einfach echt Sorgen um sie, weißt du?“ Klar, Sorgen. Hannah machte sich keine Sorgen. Sie war krank vor Eifersucht und kapierte es nicht. Aber ich wollte mich da nicht einmischen. Erstens würden sie mir nicht glauben, zweitens würden sie das auch selbst schaffen, wenn es sein sollte, und drittens wollte ich mir hinterher nicht vorwerfen lassen, dass ich ihnen das eingeredet hätte, wenn es nicht klappte. „Nicht weinen.“ Hannah schniefte trotzig. „Ich weine nicht.“ „Natürlich nicht.“ Verwirrungen ------------ (Hannah) Dreihundertundsechszehn. Müde legte ich den Taschenrechner beiseite und vergrub den Kopf in den verschränkten Armen. Ich war behämmert. Erstens sollte man für eine simple Multiplikation keinen Taschenrechner brauchen und zweitens war es völlig albern, das ganze Elend auch noch auszurechnen. Dass es jetzt dreihundertundsechszehn Stunden waren, das ich nicht mehr mit der besten Freundin, die ich je gehabt hatte – Sorry, Miriam – redete. Gott, es war so dämlich. Kindisch einfach. Aber ich würde sie nicht anrufen. Ich konnte sie nicht anrufen. Sie war unter Garantie wütend und sauer wegen meiner Reaktion, und ich konnte und wollte mich dafür nicht entschuldigen. Weil es mir nicht leid tat. Alexander ‚Nicht Alex‘ Vondersand. Was ein Arschloch. Allein die Tatsache, dass Lindas Eltern ihn mochten, bewies das doch. ‚Nicht Alex‘. Auf dem einzigen Foto, das ich von ihm kannte, sah er so arrogant in die Kamera, dass ich hätte kotzen können. Er war nicht gut genug für sie. Fragte man nicht normalerweise seine beste Freundin zumindest, was sie davon hielt? Statt ihr das einfach so mitzuteilen? Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste gar nichts mehr. Ich war wütend und traurig und verletzt und vermisste sie und wollte nicht, dass sie böse auf mich war. Gott, wieso musste das nur alles so durcheinander sein? (Miriam) Linda rief mich an und heulte. Kaum hatte Linda aufgelegt, stand Hannah vor der Tür mit einem Gesicht wie Stein. Sie versuchte echt alles, um sich abzulenken, sie hatte sogar einen kleinen Kellner-Job angenommen, in den sie fast jede freie Minute investierte, die sie hatte – allerdings gab sie keinen Cent von dem aus, was sie erhielt. Sie wollte keinen Spaß haben. Vielleicht sollte mir zu denken geben, dass sie stattdessen zu mir kam. Als sie weg war, lief im Fernsehen nur Drama, Erotik oder das Wetter. Nachts konnte ich nicht schlafen, weil ich mein tägliches Laber-Pensum nicht erfüllt hatte. Am nächsten Morgen war ich halbtot. Und so oder ähnlich lief jeder der nächsten Tage ab. Ich war so im Eimer. Meine Bilder wurden grau und meine Statuen hässlich. Die beiden entzogen mir all meine kreative Energie, und was das Schlimmste war: Sie taten mir so schrecklich leid, dass ich ihnen nicht mal irgendwie böse sein konnte. Im Gegenteil: Wenn sie sich dann mal nicht meldeten, machte ich mir Sorgen ohne Ende. Im Grunde erzählten sie mir beide das Gleiche, mir war schleierhaft, wie sie sich selbst so belügen konnten, und so war alles, was ich sagte „Mhm“, „Jaah“ und „Achso“. Lindas Freund hatte ich mittlerweile auch mal getroffen. Er schien sie gut zu behandeln, aber er war wirklich ein Schnösel. Mit einem sparsamen – aber, wie ich zugeben musste, ehrlichen Lächeln hatte er mir die Hand gedrückt und gesagt: „Guten Tag, ich bin Alexander... nicht Alex.“ Ich wusste nicht ganz, was ich davon zu halten hatte. Aber es kümmerte mich auch reichlich wenig – denn irgendwie stellte ich fest, der Junge hätte auch Orlando Bloom persönlich sein können und ich hätte mich noch mehr für das Wohl meiner beiden Sorgenkinder interessiert. Wobei, wir wollten es ja nicht übertreiben… Ich schüttelte den Kopf. Übermüdung ahoi. (Linda) Ich versuchte zu kochen, denn Alexander wollte heute kommen. Das Kochbuch lag aufgeschlagen auf dem Boden (auf der Arbeitsfläche war kein Platz), überall lagen Tüten und Zutaten herum und in meinem Torso rumorte etwas, das sich anfühlte wie ein kalter, stählerner Wurm. Mit Hannah hätte ich sicherlich zusammen gekocht. Oder zumindest währenddessen mit ihr telefoniert. Ohne es zu wollen, warf ich dem beharrlich schweigenden Telefon, das auf Augenhöhe mit mir auf dem Kühlschrank stand, einen hoffnungsvollen Blick zu. Das Salz lief aus der Dose in meiner Hand unkontrolliert in die Soße. „Fuck…“ Ich setze den Behälter ab und stützte die Stirn in die Hände. Warum musste er unbedingt heute kommen? Ich wollte nicht, dass er heute kam, ich war viel zu durcheinander, um die aufgeräumte Linda zu sein. Es gab Tage, an denen es sich in Grenzen hielt, aber heute war eindeutig keiner davon. Im Radio lief André Rieu. Ich warf den Probierlöffel danach und die Geigenmusik begann zu rauschen. Ich konnte quasi vor mir sehen, wie gnädig er sich hier umsehen würde, in meiner kleinen, hässlichen, aber selbstfinanzierten Wohnung. Meine kleine Unabhängigkeitserklärung an meine Eltern, mein Rückzugsort, mein Hochsitz, meine Bat-Höhle. Ich wollte eigentlich überhaupt nicht, dass er hierher kam, um alles mit seinen verwöhnten Augen zu begutachten und heimlich mit seinem Styler-Myler-Appartement zu vergleichen. Müde ließ ich mich auf den Boden sinken und lehnte mich gegen den Herd. Irgendwie fühlte ich mich nicht so, wie man sich ein einer Beziehung fühlen sollte. Alexander war lieb, das war er wirklich. Er rief mich abends an, wenn er merkte, dass ich immer noch nicht im Bett war, und versuchte, mich dazu zu bewegen, schlafenzugehen. Er schickte mir Blumen mit wirklich niedlichen kleinen Gedichten – die er zwar nicht selbst geschrieben hatte, aber immerhin. Er hatte mich in ein süßes, unbekanntes Café ausführen wollen – doch als ich durch die Fensterscheibe gesehen hatte, wer dort drinnen bediente, wäre ich beinahe weggerannt. Obwohl ich eigentlich viel lieber hineingegangen wäre. Nur nicht mit ihm. Er gab sich wirklich alle Mühe, aber es half alles nichts. Ich war kreuzunglücklich. Seufzend angelte ich nach meinem Handy und rief ihn an. Ich konnte heute nicht. Ich musste dringend hier weg. # Die Luft schmeckte wunderbar nach Salz, das Meer rauschte herrlich beruhigend und das Fischbrötchen schmeckte dankenswerterweise wirklich nach frischem Fisch. Meine Hände waren kalt. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und drehte das Radio lauter. „-you spin my head ri-“ Umschalten. „-in the pouring rain and she will be loved, an-“ Umschalten. „-come away with me and we’ll kiss, come away with-“ Radio aus. Ich war fünf Stunden gefahren, hatte ein unangenehmes Gespräch mit Alexander geführt, mein kleines Auto da geparkt, wo ich das Meer sehen konnte, nur um jetzt festzustellen, dass mir das alles nicht half. Es ging einfach so nicht. Wo war das Problem? Ich wollte Alexander nicht und vermisste Hannah. Warum musste ich Hannah vermissen? Weil sie Alexander auch nicht mochte. Die Lösung lag doch auf der Hand, oder? Oder nicht? Warum verließ ich ihn nicht einfach, erklärte Hannah alles und alles war wieder okay? Ich seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Die hässliche Wahrheit: Ich war feige. Ich traute mich nicht, Hannah anzurufen. Ich wollte nicht zugeben, dass ich nicht wusste, was ich mir dabei gedacht hatte. Ich wusste nicht, ob es nicht albern war, sie so zu vermissen. Ich brachte es nicht fertig, Alexanders Bemühungen abzuweisen. Ich dumme Kuh. Verständnisse ------------- Hannah Ich schwieg am Telefon, obwohl ich genau wusste, wie sehr sie das hasste. Miriam seufzte. „Okay, Hannah, jetzt reicht’s.“ „Was?“ Ich schreckte verwirrt auf. „Du hörst jetzt auf, hier so zu versinken. Geh ins Bad, lass heißes Wasser einlaufen, gieß ‘ne halbe Flasche Shampoo rein, bade und denk nach - und komm zu irgendeinem Punkt. Aber so geht das echt nicht, und erwachsen ist es auch nicht gerade.“ Ich fühlte mich verletzt in meinem kindischen Selbstmitleid – und wusste, dass sie Recht hatte. „…“ Ich schwieg. „Sofort, Johanna.“ Oh, der Johanna-Joker. „Kay.“ Meine Stimme hörte sich an, als wäre ich grade erst aufgestanden. Vielleicht, weil ich sie in letzter Zeit nicht so oft benutzte. „Okay.“ Sie atmete gestresst durch. „Dann bis später, Süße.“ „Bis später.“ Ich legte auf und tat, wie sie mir geheißen hatte. Das Wasser beim Einlaufen in die Wanne zu beobachten war stumpfsinnig; und mir fiel auf, dass zurzeit alles, was ich tat, irgendwie stumpfsinnig war. Eigentlich fand ich das gar nicht so schlecht. Stumpfsinnige Dinge erforderten nicht viel Mühe, und ich hatte keine Lust, mir Mühe zu geben. Eigentlich hatte ich auch keine Lust, zu baden. Ich hatte generell keine Lust. Egal. Was konnte es schaden. Als ich endlich im dampfenden Badewasser lag, fand ich es dann doch gar nicht so schlecht. Meine Schultern entspannten sich etwas, ich atmete tief den Geruch von „Herbal Essences: Color me happy“ ein. Und obwohl es mich nicht gerade happy colorte, fühlte ich mich ruhiger, und so traute ich mich, etwas mehr über die vergangene Zeit nachzudenken. Ja, okay. Vielleicht ging es mich ja echt nichts an, mit wem sie zusammen war. Mochte ja sein. Aber so fühlte ich mich nun mal nicht. Ich war halt… ein emotionaler Mensch. Und? War das ein Drama? Ein Grund, nicht mehr mit mir zu reden? Vielleicht hatte auch ICH einfach aufgehört, mit IHR zu reden, immerhin hatte ich ja aufgelegt… Aber gemeldet hatte sie sich auch nicht. Vielleicht war es ihr ja auch egal. Ich hatte Miriam nicht gefragt und von sich aus hatte sie nichts erwähnt. Aber eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass es sie nicht kümmerte… Vielleicht traute sie sich ja auch einfach nicht, mich anzurufen. So, wie ich ja auch zu feige war. Vielleicht sollte ich doch versuchen, sie zu erreichen… Aber da war immer noch Nicht-Alex. Ich wollte nicht, dass sie mit ihm zusammen war, es gefiel mir einfach nicht… Die Stimme in meinem Kopf flüsterte gehässig. War ich wirklich so selbstsüchtig? Dass ich ihr dieses kleine Stück Glück nicht gönnte? Ich zog trotzig die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht sonderlich unglücklich ausgesehen. Wozu brauchte sie den Kerl denn dann? Um ihre Eltern zu beeindrucken oder was? So kam ich nicht weiter… Ich kannte meine Gedanken langsam, und ich hatte genug von ihnen. Diese Stille machte mich wahnsinnig. Ich wollte mit ihr reden, ich wollte mit ihr streiten, ich wollte sie sehen, ich wollte mit ihr telefonieren. Mir völlig egal. Irgendwas. Mit klopfendem Herzen rutschte ich tiefer in mein Badewasser. Jetzt war es zu spät. Ich würde sie anrufen, unausweichlich. Was sollte ich sagen? Was, wenn sie wütend war? Wenn sie nicht ans Handy ging? Wenn sie eiskalt war und ich nicht an sie herankam? Wenn sie weinte? Wenn sie gar nicht mit mir reden wollte? Wenn es ihr völlig egal war? Wenn Nicht-Alex da war? Wenn er vielleicht sogar ans Handy ging? Wenn sie gerade bei ihren Eltern waren? Meine Finger wurden kalt und verkrampften sich ineinander, hastig atmete ich ein. Ruhig, Hannah, ruhig… Ganz ruhig… Und gerade, als ich mich so weit beruhigt hatte, dass ich vernünftig darüber nachdenken konnte, was ich zu ihr sagen wollte, klingelte es an der Tür. Verdammte DHL, dachte ich. Zwei Minuten später wusste ich: Es war nicht die DHL. (Linda) Als Hannah die Tür öffnete, wäre ich ihr am liebsten um den Hals gefallen. Weil das nicht ging, sah ich sie einfach nur so genau an, wie ich konnte, als würde ich sie nie wiedersehen und müsste mir einprägen, wie sie aussah. Anscheinend kam sie gerade aus der Badewanne, sie trug ein Handtuch um den Körper gewickelt – riesengroß, dunkelblau, sehr flauschig – und nur ihre Haare waren trocken. Bis auf ihre Haarspitzen, die waren nass und tropften auf den Boden, der mit Wasserfußspuren übersät war. Und auf ihr Handgelenk, als sie sich die Haare hinter die Ohren strich, wie sie das manchmal halt so machte. Dabei hingen sie ihr gerade gar nicht ins Gesicht. Vielleicht war sie auch so nervös wie ich. Ich konnte mir vorstellen, wie beschlagen ihr Badezimmerspiegel sein musste, so sehr dampften ihre Schultern und Arme. Du badest zu heiß, hätte ich gerne gesagt, das ist nicht gut für deine Haut. Natürlich tat ich es nicht. Stattdessen suchte ich ihren Blick, um irgendwie zu wissen, ob sie mich gleich wieder wegschicken würde, wie ich mich verhalten sollte, wie sie sich verhalten würde… Aber ihre Augen sagten mir gar nichts, sie waren nur groß und braun, wie immer, und glitzerten ein bisschen – vielleicht lag das aber auch nur an dem Licht im Treppenhaus, oder daran, dass sie gerade aus der Wanne kam. „Hallo“, sagte ich mit einiger Verspätung, und meine Stimme klang ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Hastig versuchte ich, den Kloß in meine Hals weg zu schlucken. „Hallo.“ „Kann ich ‘reinkommen?“ Vielleicht war die Frage ja dreist, aber wenn wir das im Treppenhaus diskutierten, würde sie sich eine Lungenentzündung holen... Hannah ließ mich ein und schloss die Tür hinter mir. „Setz‘ dich ins Wohnzimmer, ich geh‘ mir nur schnell was anziehen.“ Ich konnte nicht erraten, was sie dachte. Aber bestimmt fühlte sie sich schutzlos, so nur mit einem Handtuch bekleidet. Ich ließ mich vorsichtig auf dem Sofa nieder, auf das ich mich vor zwei Wochen noch großzügig hatte fallen lassen. Jetzt legte ich nur die Hände in den Schoß und sah mich um – alles war aufgeräumt, als wäre sie kaum hier gewesen. Vielleicht war sie das ja auch nicht. Vielleicht hatte sie ja auch besseres zu tun gehabt. Oder war bei anderen Leuten gewesen. Sie hatte ja jetzt Arbeit… „Möchtest du was trinken?“ Ich wollte nein sagen, aber es kam nur ein Kopfschütteln dabei heraus. Ich Memme. Sie setzte sich mir gegenüber. Und schwieg. Ich wollte unbedingt etwas sagen. Dass sie echt falsch reagiert hatte, zum Beispiel. Dass sie ruhig mal hätte anrufen können. „Ich hab dich vermisst.“ Nein, das hatte ich eigentlich nicht ganz am Anfang sagen wollen… „Ich dich auch.“ Unwillkürlich atmete ich ein, das hieß schon mal, dass es ihr nicht egal war. „Ich hab ihn verlassen. Vor nicht ganz zwei Stunden.“ Hannah sagte nichts. „Er war wirklich traurig, glaube ich.“ Keine Ahnung, warum ich das erzählte. „Er war wirklich… lieb zu mir, weißt du…“ Vielleicht, weil ich es sonst niemandem erzählt hatte. „Keine Ahnung, aber er hat sich echt den Arsch aufgerissen für mich, wenn ich das so sagen darf. Mit allem Drum und Dran. Blumen und Essen gehen und so. Ich hab dich sogar einmal gesehen, als er mich in dein Café ausführen wollte… das war echt nicht mehr lustig… Jedenfalls hat er es trotzdem irgendwie nicht geschafft. Mich glücklich zu machen, meine ich.“ „Das tut mir leid“, sagte Hannah. Das hätte ich dir sagen können, sagten ihre Augen. „Ich weiß, dass du von Anfang an… nicht begeistert warst… vielleicht hat das dazu beigetragen, dass daraus nichts geworden ist.“ Jetzt tat es auch ihren Augen ein bisschen leid. „Warum bist du überhaupt mit ihm zusammengekommen?“ Vielleicht hättest du das direkt fragen können, dachte ich. „Aus vielen Gründen. Eigentlich nur ein bisschen wegen meiner Eltern. Eigentlich auch nur ein bisschen wegen ihm. Ich… ich dachte, ich brauch das.“ Hannahs Augenbrauen zogen sich zusammen wie Gewitterwolken. „Was? ‘Nen Macker? Wozu das denn?“ „Weil ich fand, dass ich zu allein war.“ „Allein? Du bist nicht allein, du hast Miriam, und du hast mich, und-“ „Nicht in dem Sinne ‚allein‘, Hannah.“ „Wie kamst du darauf?“ Ich hob die Schultern. Jetzt wurde es schwierig. „Keine Ahnung, ich war immer so anhänglich…“ „Wie meinst du das?“ Hannah verlagerte das Gewicht, beugte sich vor, überschlug die Beine. Meine Finger knoteten sich ineinander. „Ach, ich weiß nicht, dauernd klebe ich so an dir, du schreibst mir eine SMS und ich grinse wie bescheuert…“ „Oh mann.“ Sie lehnte sich zurück. „Als ob das was damit zu tun hätte! Das geht mir doch auch nicht anders.“ Ich entspannte mich etwas. „Warum warst du so wütend?“ „Weil er dich nicht verdient hat!“ Ihre Stimme war lauter geworden, und etwas ruhiger schob sie nach: „Und weil es echt mal eine Idee gewesen wäre, mit mir darüber zu reden, oder? Dann hätte ich dir sagen können, dass du dich deswegen nicht gleich dem nächstbesten Schnösel an den Hals werfen musst, und das alles wäre nie passiert…“ „Ach? Du warst also völlig unschuldig an diesem ganzen Mist?“ „Nein!“, Hannah zuckte zurück wie die Fühler einer Schnecke, die einen Salzstein berührt hat, „Nein, natürlich nicht, ich…“ Sie atmete aus. „Es war… zu… ich hätte nicht gleich…“ „Weißt du, ich finde, so wie ich mit dir über Alexander hätte reden können, hättest du mit mir über das reden können, was dich so wütend gemacht hat. Warum hat er mich überhaupt nicht verdient? Du kennst ihn doch gar nicht?“ „Und?“ Einen Moment lang sagte keiner von uns ein Wort, sie atmete, ich dachte… „Wenn deine Eltern ihn für dich ausgesucht haben, was hat er dann getan, um dich zu verdienen?!“ „Nichts, aber warum hast du mich das nicht einfach da schon fragen können?“ „Warum hast du mir nicht vorher erzählt, was du so über Alleinsein denkst?“ Wir sahen uns an. Ihr Blick zuckte von links nach rechts und zurück, während sie versuchte, mir in beide Augen gleichzeitig zu sehen. Mir fiel auf, dass mein Atem wieder normal ging. Ich beugte mich vor. Sie stand auf, ließ sich neben mich fallen. „Ach, Linda..“ Miriam Das Telefon klingelte. Ich hob ab. Und kam nicht mal dazu, mich zu melden. Es war Linda, mit Hannah im Hintergrund. Ich hörte ihnen zu und freute mich für sie. Dann legte ich auf… und schlug den Kopf rhythmisch gegen den Türrahmen. Sie hatten es IMMERNOCH NICHT begriffen. Bekenntnisse ------------ http://www.youtube.com/watch?v=7mKEs9J6ok4&feature=related Linda Ich zog die Tür hinter mir zu und rannte die Treppen hinunter, murmelte „Jajajaja, ist ja schon gut“, als Hannah hupte, und eilte nach draußen. Als hätte ich sie noch nicht gesehen oder so. „Morgen!“, stieß ich atemlos hervor, als ich neben sie auf den Beifahrersitz rutschte. „Guten Tag, Frau Baakhausen. .. Sie hatten es doch nicht etwa eilig?“ Ich überging diese Bemerkung und ignorierte ihr scheinheiliges Grinsen. Die Sonne schien, als gäbe es kein Morgen mehr. „Wo geht’s hin?“ „Siehst du dann schon. Oder willst du lieber raten?“ „Raten!“ Hannah drehte die Musik auf, und The BossHoss erzeugten die ultimative Sommerstimmung. „Wald?“ „Jap!“ „Wiese?“ Doch wir mussten das Ratespiel unbedingt kurz unterbrechen, um laut den Refrain mitzusingen: „Rodeooo Radiooo no MTV all the moooore…” Ich schob die Dachluke, die sich Verdeck schimpfte, auf, und ließ die Sonne und den Wind herein. „Und ja, auch Wiese.“ „War ich da überhaupt schon?“ „Indirekt…“ „Wie: Indirekt?!“ „Also du warst schon da in der Gegend, aber noch nicht direkt da.“ „Aber du schon?“ „Des Öfteren.“ „Bei dir zuhause?“ „Verdammt!“ Ich lachte, und sie lachte mit, und die Welt war so wundervoll, dass ich auf der Stelle eine Hawaiiblumenkette für mich und einen Cowboyhut für Hannah wollte. Und eine bessere Bassanlage für ihr Auto. „We smelled like a bar, hung over in the car just tryin’ to get a little bit of sleep but Gus just said "Boys - it’s beer o’clock!" no quitters on the highway to hell let the cigarettes burn, the booze go round the radio’s playing our favourite sound…” Hannah http://www.youtube.com/watch?v=g4KQDz1NDTY&feature=fvst Mein kleines Autochen hatte es tatsächlich geschafft, uns durch den Wald zu fahren, ohne liegen zu bleiben oder die Aufmerksamkeit eines Ordnungshüters auf sich zu ziehen. Wir waren eiskalt bis auf die Mitte meiner Lieblingsommerwiese gefahren, wo das sonnenverbrannte Gras einen halben Meter in die Luft ragte. Alle Türen (in Worten: zwei) und mein Vordach weit geöffnet, genossen wir das Wetter, The BossHoss sorgten für die beste Somermusik aller Zeiten, und gemeinsam teilten Hannah und ich uns eine Fünf-Liter-Familienpackung Eis. Mit weißen Plastiklöffeln, die ich in einer Currybude erbeutet hatte, als Linda mich daran erinnert hatte, dass wir Eis schlecht mit den Fingern essen konnten… „Verdammt!“ „Was?“ Linda jammerte und lachte. „Mein Löffelcheeeen…“ „Abgebrochen?“ „Jaaa!“ Ich gab ihr meins. „Da, nimm das, ich such‘ mal nach dem anderen…“ Das zufriedene Grinsen nahm ich nur noch aus dem Augenwinkel war, weil ich mich halb um meinen Sitz wickelte in dem Versuch, auf der Rückbank einen neuen Löffel zu ergattern. „Sicher, dass dein Suchtverhalten bezüglich Vanilleeis nicht bald behandlungsbedürftig ist?“ „Neiiiin…“ „Da waren gruselige leuchtenden Sternchen in deinen Augen, ich seh‘ sie zwar grade nicht, aber ich weiß genau, dass sie da sind!“ Unschuldiges Pfeifen seitens Linda, und erwischte endlich dieses verdammte Löffelchen. „Ha!“ Stolz hielt ich es in die Höhe. „Tadaaa!“ Linda lachte. „Like ice in the sunshine…“ Unser Eis schmolz auch langsam, aber das störte uns nicht. Das Leben war wundervoll, wir lästerten (ich über meine Brüder, sie über ihre Eltern) und lachten, erzählten und aßen und aßen und aßen. „Wuuuuh I’m meltin‘ away!“ Linda versuchte, im Sitzen zu tanzen, ihre Haare fielen ihr über die freien Schultern. Wir fachsimpelten darüber, ob die Motorhaube mittlerweile heiß genug war, um ein Ei darauf zu braten, und ich beschloss, irgendwann mal einen Versuch in diese Richtung zu starten – Linda lachte und drohte mir mit dem Finger („Mach das ja nicht mit meinem Auto!“). Sie ärgerte mich mit den Geschichten, die Anto und Felix ihr erzählt hatten und ich plante sehr detailreich meine Rache. Meine CD lief auf Dauerschleife, wir erschlugen die Mücken und anderen Insekten, die von dem Eis zu uns hereingelockt wurden, und sie nahm meine Hand. Ich erzählte ihr von meiner Zeit ohne sie, sie berichtete von Nicht-Alex und seiner Art, auf sie herabzublicken, wir befanden uns für dämlich und fragten uns, wie es der armen Miriam wohl ergangen war - der Eistopf wurde immer leerer, und die Sonne sank immer tiefer. Ich küsste sie, als sie gerade nicht damit rechnete, und sie kitzelte mich aus dafür, bis ich mich lachend auf dem Sitz wand und um Erbarmen flehte. Sie erbarmte sich. Es kühlte ab. Wir fuhren zurück. Ich liebte sie. Miriam Dieser Abend war das Unterhaltsamste, was ich seit Langem erlebt hatte. Ich schrieb mit Hannah und Linda parallel, die gleichzeitig und unabhängig voneinander versuchten, mir zu erzählen, was ich schon lange vor ihnen verstanden hatte. „HannaH schreibt: ich weiss nicht keine ahnung also wir waren raus. also mit dem auto jez jetzt mein ich und es war hammer. also so richtig schön mit sonne und eis und allem boah wir haben so viel eis gegessen...“ Ich kicherte und ahnte es. „Miriam schreibt: lenk nicht vom thema ab süsse, was wolltest du mir erzählen?“ Zwei Minuten lang keine Antwort. Dann: „HannaH schreibt: warte“ Währenddessen schrieb mich Linda an. „linda schreibt: hallo :)“ Ich schmunzelte und schob die Arme hoch. „Miriam schreibt: hey wie war der tag xD“ Wieder länger keine Antwort. Dann Hannah: „HannaH schreibt: äm… mmh. schwieirg *schwierig“ Ganz unschuldig: „Miriam schreibt: wieso?“ Ein Fenster blinkte. „linda schreibt: seeeeeehr schön :)“ „Miriam schreibt: wieso?“ Und jetzt hieß es Warten. Ich lehnte mich zurück und trommelte mit den Zeigefingern auf meine Tischkante. Lalala… Wurde das auch nochmal was oder wie? Was brauchten die so lange? Ich legte den Kopf in den Nacken. Blinken. „HannaH schreibt: du weisst es wahrscheinlich eh…“ „linda schreibt: DAS wüsstest du wohl gerne :) neugierige nase“ Ich antwortete beiden dasselbe. „Miriam schreibt: kann schon sein – just tell me anyway xD“ Zweiunddreißig, Dreiunddreißig, Vierunddreißig… „linda schreibt: …“ „HannaH schreibt: ohgottohgottohgott“ Ich schrieb beiden: „Miriam schreibt: jaaaa?“ „linda schreibt: sie hat mich geküsst“ „Na ENDLICH.“, murmelte ich trocken. Aber ich schrieb es natürlich nicht. „Miriam schreibt: und? ;)“ „HannaH schreibt: komm schon ich weiss dass dus weißt.“ „Miriam schreibt: und wie gehts dir jetzt?“ Die Antwort kam schnell. „HannaH schreibt: like you wouldn’t believe!“* „linda schreibt: … miriam klasen!“ „Miriam schreibt: O_o was?“ „linda schreibt: sowas kannst du mich doch nicht fragen…“ „Miriam schreibt: warum nicht?“ „linda schreibt: ich könnte dir antworten. ;)“ „Miriam schreibt: erspare mir die details…“ Linda tippte und tippte und tippte. In der Zwischenzeit antwortete ich Hannah. Nach einer halben Stunde hatte ich das Gefühl, es wäre schon immer so gewesen. Sie waren so glücklich, dass es an Körperverletzung für alle anwesenden Singles (sprich: mir) grenzte, ich freute mir beinahe einen Ast ab, was wir nach den Wochen des Trübsals während ihrer Streitigkeiten eigentlich auch alle verdient hatten, und ich ahnte: Das alles war erst der Anfang. Ende *=[A.d.A: = unglaublich, unfassbar. Aber „mir geht’s unglaublich“ hört sich im Deutschen so scheiße an – zumindest findet Hannah das. Ich auch.] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)