Reich mir deine Hand, Püppchen. von Yuciel ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Mitten in der Nacht öffnete ich erneut meine Augen. Ich schien vor Erschöpfung eingeschlafen zu sein, war nun aber wieder wach. Vorsichtig richtete ich mich auf, war wie betäubt. Ich konnte kaum einen normalen Gedanken fassen. Mein Denken bestand nur aus: Aufstehen. Badezimmer. Durst. Schmerzen. Ich erhob mich, schwanke aber und fiel fast wieder um, hätte ich mich nicht im letzten Moment am Schreibtisch festhalten können. Jeder Schritt schmerzte, aber immerhin wusste ich nun, dass ich ein paar Tage meine Ruhe vor Maximilian haben würde. Einen Fuß vor den Anderen setzend fand ich letztendlich meinen Weg ins Badezimmer und hörte dabei niemanden im Haus, vielleicht lag das aber auch daran, dass ich den Geräuschen außerhalb keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich wollte einfach nur meine Ruhe. Ich konnte einfach nicht mehr. Maximilian bescherte mir nicht nur regelmäßig unglaubliche Schmerzen, nein. Er nahm mir jedes Mal immer mehr Hoffnung und Stolz. Meine Gefühle beschränkten sich von Mal zu Mal immer mehr auf Hass, Angst und noch mehr Hass, welcher sich in Selbsthass verwandelte. Ich ließ mir einfach ein warmes Bad ein, hatte zuvor die Tür geschlossen und machte dann einige wenige vorsichtige Schritte zum Spiegel, welcher über dem Waschbecken hing. Mein Gesicht war keineswegs schön. Meine Wangen waren angeschwollen und eine kleine Platzwunde zierte meine Unterlippe. Beschämt senkte ich meinen Blick und schlich zurück zur Wanne. Ich versuchte mich auszuziehen, musste mich dabei an der Wand abstützen und krabbelte dann so vorsichtig wie ich nur konnte in die Badewanne. Darin begann mein Unterleib erneut zu brennen, denn ich hatte zuvor wohl einen unachtsamen Schritt getätigt und nun war erneut ein Teil der Wunde aufgeplatzt. Diese Schmerzen waren aber nichts gegen die, welche meine Gedanken verursachten. Meine Brust fühlte sich auf einmal so leer an, dass ich dachte mein Brustkorb würde gleich zusammenfallen und so schlang ich die Arme um meinen eigenen Körper. Mein eigener Körper.. eigentlich fühlte er sich so fremd an, doch ich konnte mich nicht von ihm lösen. Doch das konnte ich. Und das wurde mir eben bewusst. Langsam, aber sicher hatte ich genug von dem ganzen Theater, welches hier veranstaltet wurde. Ich hatte genug von meiner Mutter, ihrem Freund, meinem Leben. Aber dieses Bad genoss ich dennoch. Es war ein klein wenig erleichternd und bescherte mir ein wenig Kraft. Bald würde mir auch das nicht mehr helfen können. Nach mehreren Stunden hörte ich ein leises Klopfen an meiner Tür, antwortete aber nicht auf das Rufen meines kleinen Bruder's, welchen ich doch eigentlich oftmals zu schützen pflegte. Ich konnte es einfach nicht, also lies ich ihn draußen stehen. Erst nachdem seine Stimme nicht mehr zu vernehmen war und das Klopfen aufgehört hatte, zwang ich mich erneut dazu aufzustehen und jetzt die Wanne zu verlassen. Die Schmerzen hatten nachgelassen oder ich hatte mich einfach an sie gewöhnt, auf jeden Fall konnte ich fast problemlos laufen. Leider begann aber auch mein Magen zu knurren, was erneut leichte Schmerzen in mir hervorrief, aber diese selbstverständlich nicht mehr von mir beachtet wurden. Langsam lief ich zu meinem Bett und dachte darüber nach was mich eigentlich am Leben hielt. Ich kam zu dem Schluss, dass es nichts gab, wofür ich noch die Kraft hatte den Sinn weiterhin zu erfüllen, welchen ich bis zu dem heutigen Tag hatte. Weder legte ich noch wirklich Wert auf meine ehemaligen Freunde, denn diese schienen offensichtlich nicht damit zurechtzukommen, dass ich regelmäßig mit riesigen blauen Flecken oder blutverschmierten Dingen irgendwo im Freien schlief, noch hatte ich etwas in meiner Familie, das mich hielt. Zuletzt war es mein kleiner Bruder, um den ich wirklich große Angst hatte, aber ich verstand so langsam, dass Mutter niemals zulassen würde, dass Maximilian ihm auch nur ein Haar krümmte. Vielleicht war das der Grund, warum ich ihm dauernd meinen Körper zur Verfügung stellen musste, ich konnte mich schließlich nicht wehren. Seufzend erhob ich mich und stöhnte kurz auf. Die Schmerzen schienen doch noch nicht vollständig abgeklungen zu sein. Mein Blick schweifte ab, kam zu einem großen Blutfleck am Boden. Ich erschrak und wich etwas zurück. //Lucien, reiß dich zusammen!//, befahl ich mir selbst in Gedanken und ging hinüber zu meinem Schrank, welchen ich sogleich öffnete und diesem eine einfache schwarze Jeans, so wie ein schwarzes Hemd entnahm. Vorsichtig zog ich mich an und ging zur Tür. Einige Male musste ich noch tief ein und wieder ausatmen, ehe ich mich endlich traute mein Zimmer zu verlassen, leise die Treppe hinabzusteigen und letztendlich das Haus zu verlassen. Eine Jacke hatte ich nicht, da die Nacht sowieso nicht allzu kühl war. Mich fröstelte es ein wenig, aber ich konnte es aushalten. Das Gehen bereitete mir momentan mehr Probleme. In der Ferne waren Stimmen zu vernehmen und irgendwo noch das Klirren einiger Flaschen. Selbstverständlich schlug ich eine andere Richtung ein und schon bald lief ich am großen See entlang. Um mich herum war es still was mich zugleich beunruhigte, als auch besänftigte. Zu sehen war nichts, außer das sich im See wiederspiegelnde Mondlicht. Es war eigentlich schön anzusehen, aber Emotionen brachte es dennoch nicht in mir hervor. Ich fühlte mich merkwürdig. Einfach anders. Normalerweise hätte ich mich für dieses Bild interessiert, es hätte Glücksgefühle in mir geweckt und Schmetterlinge in meinem Bauch aus ihren Kokons schlüpfen lassen, aber in dieser Nacht war der schöne Mond einfach der Mond. In dem Moment, in dem ich bemerkte, dass sie dieses Motiv einfach so egal war, begann ich mich zu fragen, ob ich wirklich so über diesen Misshandlungen stand? Nach langem Nachdenken, musste ich leider einsehen, dass sie mich einfach von Mal zu Mal immer mehr zerstörten und ich langsam nicht mehr die Kraft hatte das alles zu verdrängen. Schließlich konnte ich mich ja nicht einmal mehr daran erinnern, wann das Ganze eigentlich angefangen hatte. Es müsste Frühling letzten Jahres gewesen sein oder doch vorletzten? Ich war einfach so verwirrt, dass ich nicht einmal das noch wusste. Das Problem lag wohl darin, dass ich verstanden hatte, dass meine Mutter tatsächlich Gefühle für diesen Kerl hatte und sie ihn wohl mehr liebte, als mich. Mich. Ihren eigenen Sohn. Ein erschöpftes Seufzen entkam mir und ich fiel auf die Knie, sah nach oben zum Mond und fragte mich einfach was ich hier eigentlich tat. Meine Mutter brauchte mich nicht und meinem kleinen Bruder würde wohl auch nichts schlechtes widerfahren, warum also sollte ich mir die Mühe machen und bleiben? Ich konnte einfach fortlaufen oder .. Erschöpft ließ ich mich zur Seite fallen und wurde irgendwann, als die Sonne längst aufgegangen war, von einem Mädchen geweckt, welches ,den Augenringen nach zu urteilen, anscheinend die gesamte Nacht nicht geschlafen hatte. Sie gähnte und schüttelte meine Schulter weiter, auch nachdem ich sie bereits ansah. „Oh.“, sagte sie schnell, als sie es endlich bemerkt hatte und erhob sich wieder, „Guten Morgen, Fremder. Du solltest dich lieber nicht hier schlafen legen. Es ist Sonntag was so viel bedeutet wie, dass gleich haufenweise Familien auftauchen werden und diesen ach so tollen Sonntag am See genießen wollen.“. Als sie ihre Ansprache beendet hatte, verabschiedete sie sich mit einem kurzen Winken und ging einfach weg, direkt auf eine Gruppe aus Jugendlichen zu. Sie schienen den Tag ebenfalls am See genießen zu wollen. Mühsam erhob ich mich und schleppte mich den gesamten Weg zurück zu dem Haus, in dem ich lebte. Richtig. Nicht 'nach Hause', sondern 'in das Haus, in dem ich lebte'. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)