Reich mir deine Hand, Püppchen. von Yuciel ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ein Schlag und plötzliche Schmerzen an meinem Wangenknochen, welcher sich auf ein Mal nichtmehr ganz anfühlte. Ich hörte das Geschrei Maximilian’s und es dröhnte förmlich in meinen Ohren. „Hör auf!“ , schrie ich. Es war nun bereits das fünfte oder sechste Mal, doch er hörte nicht auf auf mich ein zuprügeln. „Mama!“ , dieser verzweifelte Schrei war viel lauter als die zuvor, doch ich bekam keine Antwort von ihr, dabei lief sie eben an Maximilian und mir vorbei. „Mama, tu doch..“ da wurde ich von einem weiteren Schlag und noch lauterem Gebrüll unterbrochen. Das war der Moment , indem ich wirklich begann zu schweigen. Ich verstand, dass meine eigene Mutter mir nicht helfen würde, obwohl sie sah, dass ihr Freund mich gerade zusammenschlug. //Wieso macht sie nichts?// dachte ich mir und schwieg, während die Worte Maximilian’s kaum noch bis in mein Bewusstsein vordrangen. Ich war verzweifelt. Warum war niemand hier um mir zu helfen? Warum sah meine Mutter das alles einfach mit an? Was war hier bloß los? Ich wusste es einfach nicht und ich konnte es mir auch nicht erklären. Mein Gesicht war taub, ich spürte keinen Schmerz mehr und so hatte ich auch keinen Grund mehr mich mit Worten zur Wehr zu setzen. Ich hatte Angst. Ich hatte wirklich Panik, aber ich schwieg einfach vor mich hin. Was sollte ich schon großartig machen? Nichts. Nach einer gefühlten Ewigkeit, inder ich mich einfach in Gedanken flüchtete und versuchte zu verstehen was hier eigentlich vor sich ging, sah ich wieder auf und fand mich wieder ein Mal auf der Treppe wieder, die zu meinem Zimmer führte. Nun wusste ich was Maximilian vor hatte und begann zu flehen: „Bitte.. bitte verprügel mich und zerschlage alles an mir was du willst, aber tu mir das nicht an..“. Ein Grinsen umspielte nun das Gesicht des Mannes. „Heute habe ich aber wieder eine gute Ausrede dafür, warum ich dich in dein Zimmer bringe und es eine Weile lang nicht verlasse.“. Seine Worte waren Gift in meinen Ohren und mein Herz fing an zu rasen. Mein Puls ging hoch und mir liefen salzige Tränen über die Wangen. Ich konnte nichtmehr atmen, hatte einfach Panik. Ich wollte nicht und wünschte ich könnte jetzt einfach sterben, aber das wurde mir nicht gegönnt. Maximilian zog mich die Treppe nach oben und lachte ein tiefes grausames Lachen. Er freute sich darauf, mehr als auf alles Andere. Ununterbrochen liefen mir Tränen von den Wangen, selbst als er mich zu Boden warf. „Bitte..“ , ein letztes verzweifeltes Mal versuchte ich ihn zu bitten, doch auch dieses Mal sah ich nur das schelmische Grinsen in seinem Gesicht. Er sprach. Ich hörte nichts. Ich wusste, dass ich nichts tun konnte. Nach Mutter zu schreien hätte auch keinen Sinn, denn eben hatte ich es versucht und sie hatte es einfach ignoriert. Das Erste Mal, dass ich es probierte und dann das. So oft sagte ich nichts von dem, was mir Maximilian doch in so vielen Nächten an tat, wenn Mutter Nachtschicht hatte. So oft schwieg ich. Wieso? Ich weiß es nicht. Ich versank in Gedanken, spürte aber wieder jede einzelne noch so feine Berührung wie heißes Eisen auf der Haut. Das Gewicht des Mannes auf mir kam mir vor, als wäre ich unter Beton begraben, aber ich schwieg. Wie immer. Ich spürte seinen Atem an meinem Gesicht, aber ich vermied es ihn anzusehen. Meinen Herzschlag konnte ich gedämpft vernehmen. Sonst war es still um mich herum. Ich fühlte jede einzelne Ader, denn durch jede schoß Adrenalin, als hätte ich es mir eben direkt in meine Venen gespritzt. Vielleicht würde so alles erträglicher. Ich hoffte es. Ich sah an mir herunter, als Maximilian sich etwas aufrichtete. Er war gerade dabei mir meine Hose auszuziehen und mein Hemd war auch bereits offen, was ich erst jetzt bemerkte. //Hilfe// ein letzter Hilferuf in meinen Gedanken, sprechen konnte ich nicht mehr und mir liefen auch keine Tränen mehr über die Wangen. //Lucien..für Jungen gehört es sich nicht zu weinen, also sei tapfer// es war die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, eine alte Erinnerung, aber ich konnte den Worten kein Ereigniss zuordnen. Völlig teilnahmslos lag ich vor dem Freund meiner Mutter wie schon so viele Male zuvor. Mein Herzschlag ging zwar weiterhin so schnell wie zuvor, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass ich mich beruhigte. Ich hasste es einfach. Jede seiner noch so feinen Berührungen schmerzte und ich konnte einfach nichts dagegen tun. Ich hatte längst die Hoffnung verloren, dass er mich jemals in Ruhe lassen würde. Erneut sah ich an mir herunter und bemerkte, dass ich nackt war. Was war bloß mit mir los? Ich bemerkte nichts. Mein Körper brannte und mein Blut pulsierte in meinen Venen. Ich hatte Angst und das war jetzt gerade der einzige Gedanke, der durch meinen Kopf flog. Maximilian’s Mund bewegte sich, als er sie aufrichtete und zu mir sprach. Sein Grinsen gefiel mir nicht und ich fühlte mich so taub und so schwach. Wie eine Puppe lag ich vor ihm, machtlos und ängstlich. Der Mann über mir war ebenfalls nackt. Wann hatte er geschafft sich auszuziehen? Ich riss die Augen auf und versuchte mich wieder zu wehren und da hörte ich seine Worte wieder. „Da lebt ja jemand wieder.“, er stieß ein kehliges Lachen aus und drückte mich zu Boden. Ich war zu schwach um mich weiterhin zu wehren. Panisch sah ich ihn an und wusste was jetzt kommen würde; der mir allzu bekannte Schmerz und so war es auch. Der Mann drang in mich ein, drückte mich an sich und ich schrie vor Schmerzen auf. Meiner Mutter würde er ja sowieso wieder erzählen, dass ich fiel und mir den Kopf fest an der Tischkante stieß. Dieser unangenehme und doch zugleich bekannte und süße Schmerz breite sich in meinem ganzen Körper aus und ich konnte mich nichtmehr bewegen. Seine Bewegungen verschlimmerten das Ganze nur und so biss ich die Zähne zusammen und hoffte, dass es bald vorbeisein würde. Doch jede seiner Bewegungen kam mir vor, als bräuchte er dafür Stunden. Hilflos krallte ich mich an seinen Armen fest, da ich das Gefühl hatte, dass ich mir gleich die Zähne ausbeißen würde. Der Schmerz wollte einfach nicht abklingen. Ich spürte ganz genau wie er immer wieder in mich gleitete und wieder raus. Ich atmete in tiefen und krampfhaften Zügen. Ich konnte mich einfach nicht bewegen. Wenig später setzte der Schmerz aus. Nachdem ich schrie und flehte, verstummte ich und verkrampfte. Eine Lehre, wir ich sie nur selten in mir verspürte, breitete sich in meiner Brust aus und die vielen Tränen, die mir unaufhörlich über die Wangen liefen, versiegten. Langsam schloss ich die Augen, sagte mir, dass ich durchhalten musste, doch diese Schmerzen, welche ich vorher verspührte schadeten meinen Gedanken, meiner Psyche, wie ich sie doch jeden Tag zu beschützen pflegte. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag und hatte das Gefühl zu spüren, wie mein Blut pulsierte. Ich weiß nicht warum alles um mich herum so still wurde. Vielleicht war es die Angst, die meine Wahrunehmung absolut dämpfte. Ich lauschte dem Pochen, welches mein Herzschlag erzeugte, schwieg, gab keinen Ton von mir. Die ganze Zeit über hatte ich meine Augen geschlossen. Nach einiger Zeit wurde der Druck, den ich zuvor spürte, von mir genommen, aber ich behielt die Augen geschlossen. Langsam bahnte sich eine Stimme ihren Weg in mein Bewusstsein und auf einmal spührte ich ein unglaublich starkes Brennen in meinem Unterleib. Gleichzeitig hörte ich ein kehliges Lachen. Die Geräusche kamen wie in einem Film, wenn der Ton wieder einsetzte, sobald einer der Darsteller sein Bewusstsein wieder erlangte. Vor Schmerz krümmte ich mich erneut zusammen und riss die Augen auf. Über mir stand Maximilian. Lachend zog er sich an und verließ dann mein Zimmer. In Fötusstellung lag ich am Boden und sah Blut, welches meine Oberschenkel und den Boden befleckte. Jeder Versuch mich aufzurichten endete damit, dass ich vor Schmerzen aufstöhnte, spürte wie noch mehr Blut aus den Wunden floss und ich weiterhin liegen blieb. Ich glaube ich verharrte Stunden in dieser Position. Meine Gedanken kreisten um alles und doch wieder um nichts. Mein Körper war leer. Ich glaubte zu verstehen wie sich eine seelenlose Puppe fühlen würde, wenn sie denn fühlen könnte. Puppen… immer diese Puppen. Ich liebte und hasste sie zugleich. Kapitel 2: ----------- Mitten in der Nacht öffnete ich erneut meine Augen. Ich schien vor Erschöpfung eingeschlafen zu sein, war nun aber wieder wach. Vorsichtig richtete ich mich auf, war wie betäubt. Ich konnte kaum einen normalen Gedanken fassen. Mein Denken bestand nur aus: Aufstehen. Badezimmer. Durst. Schmerzen. Ich erhob mich, schwanke aber und fiel fast wieder um, hätte ich mich nicht im letzten Moment am Schreibtisch festhalten können. Jeder Schritt schmerzte, aber immerhin wusste ich nun, dass ich ein paar Tage meine Ruhe vor Maximilian haben würde. Einen Fuß vor den Anderen setzend fand ich letztendlich meinen Weg ins Badezimmer und hörte dabei niemanden im Haus, vielleicht lag das aber auch daran, dass ich den Geräuschen außerhalb keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich wollte einfach nur meine Ruhe. Ich konnte einfach nicht mehr. Maximilian bescherte mir nicht nur regelmäßig unglaubliche Schmerzen, nein. Er nahm mir jedes Mal immer mehr Hoffnung und Stolz. Meine Gefühle beschränkten sich von Mal zu Mal immer mehr auf Hass, Angst und noch mehr Hass, welcher sich in Selbsthass verwandelte. Ich ließ mir einfach ein warmes Bad ein, hatte zuvor die Tür geschlossen und machte dann einige wenige vorsichtige Schritte zum Spiegel, welcher über dem Waschbecken hing. Mein Gesicht war keineswegs schön. Meine Wangen waren angeschwollen und eine kleine Platzwunde zierte meine Unterlippe. Beschämt senkte ich meinen Blick und schlich zurück zur Wanne. Ich versuchte mich auszuziehen, musste mich dabei an der Wand abstützen und krabbelte dann so vorsichtig wie ich nur konnte in die Badewanne. Darin begann mein Unterleib erneut zu brennen, denn ich hatte zuvor wohl einen unachtsamen Schritt getätigt und nun war erneut ein Teil der Wunde aufgeplatzt. Diese Schmerzen waren aber nichts gegen die, welche meine Gedanken verursachten. Meine Brust fühlte sich auf einmal so leer an, dass ich dachte mein Brustkorb würde gleich zusammenfallen und so schlang ich die Arme um meinen eigenen Körper. Mein eigener Körper.. eigentlich fühlte er sich so fremd an, doch ich konnte mich nicht von ihm lösen. Doch das konnte ich. Und das wurde mir eben bewusst. Langsam, aber sicher hatte ich genug von dem ganzen Theater, welches hier veranstaltet wurde. Ich hatte genug von meiner Mutter, ihrem Freund, meinem Leben. Aber dieses Bad genoss ich dennoch. Es war ein klein wenig erleichternd und bescherte mir ein wenig Kraft. Bald würde mir auch das nicht mehr helfen können. Nach mehreren Stunden hörte ich ein leises Klopfen an meiner Tür, antwortete aber nicht auf das Rufen meines kleinen Bruder's, welchen ich doch eigentlich oftmals zu schützen pflegte. Ich konnte es einfach nicht, also lies ich ihn draußen stehen. Erst nachdem seine Stimme nicht mehr zu vernehmen war und das Klopfen aufgehört hatte, zwang ich mich erneut dazu aufzustehen und jetzt die Wanne zu verlassen. Die Schmerzen hatten nachgelassen oder ich hatte mich einfach an sie gewöhnt, auf jeden Fall konnte ich fast problemlos laufen. Leider begann aber auch mein Magen zu knurren, was erneut leichte Schmerzen in mir hervorrief, aber diese selbstverständlich nicht mehr von mir beachtet wurden. Langsam lief ich zu meinem Bett und dachte darüber nach was mich eigentlich am Leben hielt. Ich kam zu dem Schluss, dass es nichts gab, wofür ich noch die Kraft hatte den Sinn weiterhin zu erfüllen, welchen ich bis zu dem heutigen Tag hatte. Weder legte ich noch wirklich Wert auf meine ehemaligen Freunde, denn diese schienen offensichtlich nicht damit zurechtzukommen, dass ich regelmäßig mit riesigen blauen Flecken oder blutverschmierten Dingen irgendwo im Freien schlief, noch hatte ich etwas in meiner Familie, das mich hielt. Zuletzt war es mein kleiner Bruder, um den ich wirklich große Angst hatte, aber ich verstand so langsam, dass Mutter niemals zulassen würde, dass Maximilian ihm auch nur ein Haar krümmte. Vielleicht war das der Grund, warum ich ihm dauernd meinen Körper zur Verfügung stellen musste, ich konnte mich schließlich nicht wehren. Seufzend erhob ich mich und stöhnte kurz auf. Die Schmerzen schienen doch noch nicht vollständig abgeklungen zu sein. Mein Blick schweifte ab, kam zu einem großen Blutfleck am Boden. Ich erschrak und wich etwas zurück. //Lucien, reiß dich zusammen!//, befahl ich mir selbst in Gedanken und ging hinüber zu meinem Schrank, welchen ich sogleich öffnete und diesem eine einfache schwarze Jeans, so wie ein schwarzes Hemd entnahm. Vorsichtig zog ich mich an und ging zur Tür. Einige Male musste ich noch tief ein und wieder ausatmen, ehe ich mich endlich traute mein Zimmer zu verlassen, leise die Treppe hinabzusteigen und letztendlich das Haus zu verlassen. Eine Jacke hatte ich nicht, da die Nacht sowieso nicht allzu kühl war. Mich fröstelte es ein wenig, aber ich konnte es aushalten. Das Gehen bereitete mir momentan mehr Probleme. In der Ferne waren Stimmen zu vernehmen und irgendwo noch das Klirren einiger Flaschen. Selbstverständlich schlug ich eine andere Richtung ein und schon bald lief ich am großen See entlang. Um mich herum war es still was mich zugleich beunruhigte, als auch besänftigte. Zu sehen war nichts, außer das sich im See wiederspiegelnde Mondlicht. Es war eigentlich schön anzusehen, aber Emotionen brachte es dennoch nicht in mir hervor. Ich fühlte mich merkwürdig. Einfach anders. Normalerweise hätte ich mich für dieses Bild interessiert, es hätte Glücksgefühle in mir geweckt und Schmetterlinge in meinem Bauch aus ihren Kokons schlüpfen lassen, aber in dieser Nacht war der schöne Mond einfach der Mond. In dem Moment, in dem ich bemerkte, dass sie dieses Motiv einfach so egal war, begann ich mich zu fragen, ob ich wirklich so über diesen Misshandlungen stand? Nach langem Nachdenken, musste ich leider einsehen, dass sie mich einfach von Mal zu Mal immer mehr zerstörten und ich langsam nicht mehr die Kraft hatte das alles zu verdrängen. Schließlich konnte ich mich ja nicht einmal mehr daran erinnern, wann das Ganze eigentlich angefangen hatte. Es müsste Frühling letzten Jahres gewesen sein oder doch vorletzten? Ich war einfach so verwirrt, dass ich nicht einmal das noch wusste. Das Problem lag wohl darin, dass ich verstanden hatte, dass meine Mutter tatsächlich Gefühle für diesen Kerl hatte und sie ihn wohl mehr liebte, als mich. Mich. Ihren eigenen Sohn. Ein erschöpftes Seufzen entkam mir und ich fiel auf die Knie, sah nach oben zum Mond und fragte mich einfach was ich hier eigentlich tat. Meine Mutter brauchte mich nicht und meinem kleinen Bruder würde wohl auch nichts schlechtes widerfahren, warum also sollte ich mir die Mühe machen und bleiben? Ich konnte einfach fortlaufen oder .. Erschöpft ließ ich mich zur Seite fallen und wurde irgendwann, als die Sonne längst aufgegangen war, von einem Mädchen geweckt, welches ,den Augenringen nach zu urteilen, anscheinend die gesamte Nacht nicht geschlafen hatte. Sie gähnte und schüttelte meine Schulter weiter, auch nachdem ich sie bereits ansah. „Oh.“, sagte sie schnell, als sie es endlich bemerkt hatte und erhob sich wieder, „Guten Morgen, Fremder. Du solltest dich lieber nicht hier schlafen legen. Es ist Sonntag was so viel bedeutet wie, dass gleich haufenweise Familien auftauchen werden und diesen ach so tollen Sonntag am See genießen wollen.“. Als sie ihre Ansprache beendet hatte, verabschiedete sie sich mit einem kurzen Winken und ging einfach weg, direkt auf eine Gruppe aus Jugendlichen zu. Sie schienen den Tag ebenfalls am See genießen zu wollen. Mühsam erhob ich mich und schleppte mich den gesamten Weg zurück zu dem Haus, in dem ich lebte. Richtig. Nicht 'nach Hause', sondern 'in das Haus, in dem ich lebte'. Kapitel 3: ----------- Es war noch früh am Morgen, aber Wochenende, also tummelten sich einige Menschen draußen auf den Straßen. Langsam ging ich einfach weiter, bis ich die Straße erreichte, in der sich das Haus befand und hoffte wirklich, dass niemand dort war, aber leider sah ich schon bald den Jeep meiner Mutter in der Einfahrt stehen. Sie war also noch dort. Schnell schloss ich auf, zog meine Schuhe aus und ging auf die Treppe zu um auf mein Zimmer zu gehen, aber da hörte ich ihre Stimme. „Lucien, könntest du bitte kurz in die Küche kommen.“ Ich musste ihrer Bitte einfach nachgehen, denn sonst würde ich sie den ganzen Tag ertragen müssen. Lustlos ging ich also in die Küche und senkte meinen Blick, als ich Mutter vor mir stehen sah. „Maximilian hat nichts falsches gemacht, du solltest nur endlich-“ „Halt den Mund!“, ich unterbrach sie einfach, weil ich mir gerade nicht anhören wollte, was ich alles falsch gemacht hatte. Das musste ich nämlich jedes Mal, obwohl ich weiterhin nicht verstand was so falsch daran war, Maximilian zu sagen, dass er sich sein Bier bitte selbst holen sollte. Mutter blieb still und sogleich flossen Tränen meine Wangen hinab, obwohl ich mit aller Kraft versuchte sie zu unterdrücken. Es ging einfach nicht. Die Gedanken und Gefühle kamen hoch, die ich jedes Mal empfand, wenn er mich vergewaltigte. „Mutter.. ich ertrage all das nicht..“, begann ich mit leiser Stimme, „Mag sein, dass er aus deiner Sicht alles richtig macht, aber aus meiner Sicht fühlt sich das alles ganz anders an. Weißt du überhaupt was er macht?“, langsam hob ich meinen Blick, versuchte ihr in die Augen zu sehen, aber ich bemerkte, dass sie dabei beschämt ihren Blick senkte, „Wenn er mich nur schlagen würde, so wäre das kein Problem. Das verkrafte ich durchaus, aber .. aber..“, meine Stimme brach entgültig und man konnte nur noch ein leises Schluchzen vernehmen, welches von mir kam. Schnell strich ich mir mit dem Handrücken über mein Gesicht um die Tränen wegzuwischen und wenig später drehte ich mich um, um erneut auf mein Zimmer zu gehen. Maximilian schien nicht hier zu sein, denn sonst hätte mich meine Mutter niemals zu einem Gespräch aufgefordert. Sie weiß von allem, dachte ich und ging schluchzend zur Treppe. Wie sollte es denn auch anders sein? Warum sonst hätte sie mit einem solchen Gesichtsausdruck ihren Blick gesenkt? Sie musste es einfach wissen, aber warum tat sie dann nichts? Ich erreichte mein Zimmer und setzte mich erst auf das Bett und stützte meinen Kopf auf die Arme, bis das Schluchzen und Zittern aufhörte und ich ruhig meinen Blick erneut heben konnte. Nichts wollte ich mehr, als dieses Haus zu verlassen, schließlich hielt mich nichts mehr dort. Einen Moment später erhob ich mich und ging zu meinem Schrank, entnahm diesem einen großen Rucksack und packte etwas Kleidung ein. Sie sollte hoffentlich für ein paar Tage reichen, in denen ich mir überlegen würde, was ich tun wollte. Aus einer kleinen Schatulle in meinem Schreibtisch, nahm ich Geld, auch dieses würde nicht lange reichen, also brauchte ich einfach mehr. Seufzend nahm ich den Rucksack auf und begab mich erneut nach unten. Das Haus war mittlerweile leer. Niemand war mehr hier. Leise schlich ich durch die Zimmer und sah in allen möglichen Kästchen und Schubladen nach noch mehr Geld, fand ein wenig und lief dann in die Küche um zu frühstücken. Mein Magen knurrte und schmerzte schrecklich, also konnte ich einfach nicht anders, was wohl sowieso ziemlich positiv war, dass ich was zu essen zu mir nahm. In aller Ruhe aß ich und ging dann nach draußen. Die Sonne schien tatsächlich und es war ziemlich warm. Die ersten Frühlingstage diesen Jahres. Nachts würde es wohl erneut kälter werden, auch diese hatte ich ziemlich gefrohren, dennoch brauchte ich den erholsamen Schlaf. Mittlerweile war es Vormittag, weswegen noch viel mehr Menschen zu sehen waren. Ich seufzte lautlos auf und lief dann los, wohin wusste ich bisher nicht. Irgendwie musste ich den Tag verbringen und mir dann nachts irgendwo eine Bleibe suchen, was ohne Geld wohl irgendeine Parkbank sein würde. Genug Nächte hatte ich bisher im Freien verbracht, also störte mich das herzlich wenig.Meinen Weg setzte ich fort und ging direkt in die Stadt, was sollte ich anderes schon tun? Mir würde sowieso den ganzen Tag langweilig sein, weil ich einfach absolut nichts zu tun hatte, aber da musste ich durch. Ich wollte von zu Hause weg und gerade war ich es auch, das war das einzige was wirklich zählte. Hatte ich meinen Ipod eingepackt? Langsam zog ich meinen Rucksack nach vorne und sah in den kleinen Nebenfächern nach, bis ich ihn tatsächlich irgendwann fand. Wenigstens hatte ich also Musik bei mir. Schnell steckte ich mir die Kopfhörer in die Ohren und zog den Rucksack wieder auf meinen Rücken. Die Klänge der Band Media Lab dröhnten mir leicht in den Ohren und so regelte ich die Lautstärke weiter nach unten, bis die Musik angenehm klang. Am liebsten hätte ich geschrien, aber ich ließ es einfach, fraß den Frust in mich hinein und dachte einfach über nichts nach. Nicht über Maximilian, nicht über meine nächste Schlafmöglichkeit und schon gar nicht darüber, was ich überhaupt vor hatte. Ich entschied mich spontan in die Bücherei zu gehen, aber wollte nicht weiter von den Menschen umgeben sein, die sehr beängstigend auf mich wirkten, und so begab ich mich in eine der vielen Nebenstraßen der Stadt. Durch die folgenden Straßen würde es zwar länger zur Bücherei dauern, aber dafür hatte ich meine Ruhe und wurde nicht andauernd angerempelt. Plötzlich klingelte mein Handy, ich spürte es in meiner Hosentasche vibrieren. Als ich auf den Display sah, konnte ich ablesen, dass es Emily, eine Klassenkameradin war. Kapitel 4: ----------- Ich nahm also die Kopfhörer aus meinen Ohren und ging ran. „Hallo?“ „Lucien? Hey, gut dass ich dich erreiche. Wo zur Hölle steckst du!? Die Direktorin ist außer sich vor Wut, weil du nicht entschuldigt bist und dich keiner erreichen kann.“ „Oh, fuck...“, das hatte ich natürlich vergessen, in der Schule anzurufen, „Mir war heute nicht so nach Schule..“, murmelte ich dann leise weiter. „Wie dir war nicht so nach Schule!?“, sie schien ein wenig wütend über meine Aussage zu sein. „Lange Geschichte..“ Und auf ein Mal änderte sich Emily' s Stimme. Sie schien erkannt zu haben, dass ich einfach furchtbar klang. „Ist alles okay bei dir?“ „Sag der Direktorin bitte, dass ich beim Arzt bin und ich mich Morgen bei ihr entschuldigen werde.“ „Okay, Lucien.“, sie zögerte, „Hey, du kannst mit mir reden, wenn was sein sollte..“ Da kam mir eine Idee: „Emily..ähm.. ich weiß, dass ist eine blöde Frage aber.. könnte ich vielleicht ein paar Nächte bei dir schlafen?“ „Was?...Ähm... ja klar, komm in die Schule, dann nehme ich dich gleich danach mit zu mir.“ Ich war mehr als nur erleichtert. „Ich komme gleich, sag der Direktorin dann lieber, dass ich mich gerade übergeben habe, jetzt aber gleich komme, weil ich mich durch einige Tabletten wieder besser fühle.“ „Bis gleich, Lucien.“ „Danke..“, und dann legte ich auf. Schnell sah ich mich um und überlegte, wo die nächste U-Bahn-Haltestelle war, machte mich aber nicht sofort auf den Weg. Ich ging ganz langsam, was wohl an den Schmerzen lag, die ich hatte. Außerdem hatte ich keinen Nerv für Schule übrig, aber mir blieb nichts anderes übrig. Irgendwann erreichte ich dann die Haltestelle und wartete auf die nächste U-Bahn. Die ließ nicht sonderlich lange auf sich warten und so war ich innerhalb weniger Minuten an meiner Schule. Dort sah ich einen Schulkameraden. Er kam auf mich zu und begrüßte mich. „Die Schule ist ganz schön in Aufruhr wegen dir.“, sagte er grinsend und ich erwiederte daraufhin bloß: „Hast du noch eine Zigarette?“. Ohne zu zögern reichte er mir seine Schachtel und ich zündete mir die Zigarette gleich an. Noch war Pause, ich konnte mir beim Rauchen also Zeit lassen. Sonderlich viel sprach ich nicht mit den Anderen. Ich hatte kein Interesse an Smalltalks, also beließ ich es einfach dabei, kaum zu sprechen. Die Anderen probierten es dann auch sehr schnell nicht mehr mich zum Reden zu animieren. Als ich den Stummel wegwarf, sah ich auch schon Emily. Sie war sichtlich angespannt, kam aber gleich auf mich zu und umarmte mich lange und schweigend. Dann erklang die Schulglocke und wir begaben uns ins Gebäude. Emily wirkte anders als sonst. Normalerweise behandelte sie mich immer wie einen normalen Klassenkameraden, aber gerade war sie stärker auf Nähe aus und sah mich immer wieder an. Ich war zu müde, als dass ich irgendwas aus diesem Verhalten schließen konnte. Das einzige woran ich dachte war, dass ich mich gleich 45 Minuten lang setzen musste, auf die Schmerzen freute ich mich nicht. Zum Nachmittag hin machte ich dann einen blöden Fehler, ich setzte mich wahnsinnig schnell, ließ mich eher schon auf den Stuhl fallen und im selben Moment schrie ich vor Schmerz auf. Der Rest der Klasse starrte mich an und ich sprang auf und rannte aus dem Klassenzimmer. Das bereitete mir ebenfalls Schmerzen, aber das ignorierte ich, bis ich am Klo ankam. Ich blutete wieder, zum Glück nicht stark, aber ich blutete. Nach einiger Zeit war die Blutung gestoppt und ich begab mich zurück ins Klassenzimmer. Fragen kamen keine. Ansonsten verlief der Tag ohne Komplikationen und so kamen wir bei Emily an. Ihre Eltern waren zu Hause und so konnte sie diese gleich benachrichtigen. Sie hingegen stellten Fragen. „Was ist denn passiert?“, war die erste von ihrer Mutter, aber bereits schlimm genug. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. „Haben deine Eltern dich rausgeschmissen?“ „Nein..“ „Was dann?“ Ich konnte einfach keine Antwort geben, aber zum Glück mischte sich Emily ein: „Ich denke, dass er einfach nicht darüber reden will, Mom. Lass ihn bitte in Ruhe.“. Erstaunt sah ich Emily an und sogleich gab sie mir mit ienem Handzeichen zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte, also tat ich das auch. Bei ihr im Zimmer angekommen, zeigte sie mir alles und ich legte meine Tasche ab. Man sah mir an wie müde ich war und ich konnte kaum mehr stehen, also bot sie mir an, dass ich mich hinlegen könne. Solch ein Angebot abzuschlagen, hätte ich nie gewagt. Kurze Zeit später schlief ich bereits. Kapitel 5: ----------- Als ich meine Augen öffnete, war es dunkel draußen und Emily lag direkt neben mir, was mich zurückschrecken ließ. Doch nach kurzer Zeit hatte ich mich wieder beruhigt und sah sie an. Wie ein Engel lag sie da, schlief völlig entspannt und ich beneidete sie und war ihr dankbar. Sanft legte ich einen Arm um sie. Mein Kopf platze beinahe vor Gedanken, die ohne Bezug zu anderen durch ihn hindurch schossen. Schmerzen hatte ich nicht mehr. Doch dann kam mir ein Bild vor Augen; Maximilian direkt über mir und mein Atem beschleunigte, ich zitterte, ich weinte und das Weinen weckte Emily. Behutsam legte sie ihre Arme um mich und sah mir direkt in die Augen, was mir jegliche Angst nahm und mein Körper beruhigte sich wieder, bebte nicht mehr. Schlafen konnte ich nicht mehr und wie es schien, so konnte es auch sie nicht mehr. Ich konnte genau spüren, wie sie langsam mit ihrer Hand über meinen Rücken strich und irgendwann wagte sie es dann mir eine einzige Frage zu stellen: „Willst du es mir erzählen?“. Die Frage blieb unbeantwortet. Kapitel 6: ----------- Irgendwann klingelte dann der Wecker und wir standen mühsam auf. Schweigend machte ich mich fertig und ging dann nach unten in die Küche. Emily' s Eltern saßen bereits am Küchentisch und warteten auf uns. „Guten Morgen.“, brachte ich leise und unsicher heraus. „Guten Morgen.“, kam dann von den Eltern zurück. Langsam setzte ich mich an den Tisch und fragte mich, was ich hier eigentlich machte, aber eigentlich hätte ich wahnsinnig froh darüber sein sollen, dass ich mich im Warmen befand. Das Frühstück dauerte nicht lange. Schon bald ging ein neuer Schultag los und erneut sprach ich kaum ein Wort aus. Heute schien die Sonne erneut und Emily wich keinen Schritt von meiner Seite. Wenn es etwas hab, was mich erfreute, dann war es das, denn so war ich nie alleine, hatte immer jemanden neben mir, der alle anderen von mir fernhielt. Nach der Schule wollte Emy, so wie ich sie nennen sollte, unbedingt noch in die Stadt. Sie brauchte ein Kleid und meinte ich hätte am vorherigen Tag genug geschlafen, ich solle also kein Spielverderber sein und mitkommen. Bereits nach einer einzigen Stunde mit ihr zusammen, konnte ich wieder lachen und scherzen und verhielt mich so wie immer. Das schien ihr zu gefallen und so verging ein unglaublich angenehmer Tag. Außer, dass zum Abend hin, dann plötzlich mein Handy klingelte. Ich erschrak furchtbar, als ich den Namen meiner Mutter auf dem Display las. Letzten Endes ging ich auch nicht ran, sondern schaltete den Ton bloß auf stumm. Ab dem Moment war meine Laune wieder gesunken. Am Abend machten wir es uns bei Emy bequem. Unter Decken eingegraben, mit Schalen voll mit Gummibärchen und Chips und einem guten Film, ließen wir es uns gut gehen und es funktionierte auch. Ich fühlte mich wohl, auch als sie sich an mich lehnte und wohlig seufzte. Und so kam es, wie es kommen musste; sie küsste mich und das führte natürlich dazu, zu dem es führen musste; ich ergriff die Flucht. Ich erwiederte den Kuss nur sehr kurz, erhob mich dann und sagte ich müsse noch mehr Chips holen. Unten in der Küche fuhr ich mir durchs Haar und wusste gerade nicht mehr wohin mit meinen Gefühlen. Natürlich mochte ich sie. Sie war klug, hübsch und in der schwierigsten Phase meines Lebens reichte sie mir ihre Hand und hielt mich fest, aber dennoch machte mir diese Sache gerade unglaublich Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)