Blaue Augen von Mirabellenbaum ================================================================================ Kapitel 2: Nutze den Augenblick ------------------------------- Aio riss vor Schreck die Augen auf und ihre Pupillen weiteten sich soweit, dass das Grün der Iris fast nicht mehr zu sehen war. Sie hatte sich noch nie so sehr den Tod ihres Weckers gewünscht wie in diesem Augenblick. Aber es nützte alles nichts, sie musste ihr warmes weiches Bett verlassen und aufstehen. Sie sah verschlafen auf das Display ihres Radioweckers. Dieser zeigte 7.30 Uhr an. Aio und Yumis Schicht begann um 8.30 Uhr, es war Zeit zu aufstehen. Sie sah zu dem zart violetten Ausziehsofa hinüber. Yumi schlief noch, sie hatte Aio den Rücken zugewannt. „Hey Yumi!! Aufstehen ! Wir müssen in einer Stunde im Cafe sein!“Keine Reaktion. „Mensch Yumi!! Steh jetzt auf“ Yumi murmelte etwas unverständliches und kuschelte sich in ihre Wolldecke. Aio warf ihr Kopfkissen nach ihr und lachte: „Ich geh jetzt duschen und wenn ich wiederkomme bist du wach! Hörst du??“ Aio verlies den Raum und machte sich auf den Weg ins Bad. Sie duschte, putzte sich die Zähne, föhnte ihre Haare und zog die Arbeitskleidung an. >Arbeitskleidung<, dachte sie sich mit einem Anflug von Ironie, als sie an sich herunter sah. Sie trug einen Schwarzen Faltenrock der gerade noch ihre Knie herausgucken ließ, darüber das Shirt mit dem V-Ausschnitt, an welchem ihr Namensschild befestigt war. Außerdem die weißen Overnees Socken und die, passend zum Oberteil, rosanen Pumps. Sie ging zurück in ihr Zimmer wo Yumi schon auf sie wartete. „Ich geh duschen!“, sagte sie fröhlich und inzwischen wieder putzmunter. Da war es wieder, dieses strahlende Lächeln, das sie nie ablegte. Erst als Yumi durch die Tür verschwand, bemerkte Aio die Unordnung die die beiden hinterlassen hatten. Alles Mögliche lag verstreut auf dem Boden herum. Ihre Tante war die Ruhe in Person, es sei denn jemand hinterließ Verwüstung. Aio warf einen Blick auf die Uhr: 8.09 Uhr. Sie begann aufzuräumen während sie auf Yumi wartete. Aio und Yumi stolperten gerade noch pünktlich ins Cafe. Das „Sakura“ öffnete zwar erst eine halbe Stunde später, allerdings mussten die beiden noch Tische und Stühle zurechtstellen und alles noch einmal abwischen, wie eben jeden morgen. Um Punkt neun schloss Yumi das Geschäft auf und beide setzten sich raus in die Sonne und warteten auf Kundschaft. Wieder viel das Gespräch auf das Geschehen am Vorabend. „Ratte gefällt dir wohl“, stellte Aio nach Yumis Geschwärme fest. Yumi wurde rot: „Ist das so offensichtlich?“. Aio lächelte nur schwach. „Aber ist dir das erst gestern aufgefallen?? Du kennst die beiden doch schon länger, oder?“ „Ja, aber irgendwie hatte ich nie wirklich viel mit ihnen zu tun und wenn überhaupt mit May.“ „Wieso dann gestern?“ „Keine Ahnung. May ist zu mir gekommen und hat mich angequatscht und dann irgendwann gefragt wer du bist“. In diesem Moment klingelte Aios Handy. „Du solltest den Ton ausmachen. Haruka sieht das gar nich gern. SMS?“. Aios Herz machte wieder diese seltsamen Luftsprünge. Ein Gefühl von Glück übermannte sie, als sie „May“ auf dem Display ihres Handys las. Sie öffnete die SMS und las: >Hai Aio! Hast du Lust dir mal den Strand zeigen zu lassen? Yumi kann gerne mitkommen <. „Ja, von May“, anteortete Aio. „Und? Was schreibt sie?“ „Sie fragt, ob ich Lust hab mir den Strand zeigen zu lassen“ „Das trifft sich doch super. Schließlich hast du morgen den ganzen Tag frei.“ „Ja, hab ich, aber du nicht“ „Das macht doch nichts“, lachte Yumi: „Ich weiß ja wie unser Strand aussieht. Und nach Feierabend komm ich dann noch.“ „Okay, dann frag ich sie ob sie morgen Zeit hat.“ Aio schrieb: >Klar, gerne! Ich hab morgen frei, aber Yumi nicht. Aber sie meinte das wär schon okay<. Mays Antwort: > Gut, dann hol ich dich morgen so um elf ab und ich kann dir ja dann auch noch mehr von der Stadt zeigen wenn du willst< >Gut, geht klar. Ich freu mich < Aio und Yumi arbeiteten den Rest vom Tag wieder zusammen im „Sakura“. Aio mochte es mit Yumi zusammenzuarbeiten. Die Zeit verging immer unglaublich schnell. Am nächsten Tag (es war inzwischen Sonntag) wartete sie vor dem „Sakura“ auf May. Diese bog auch pünktlich um elf mit einem metallic blauen Roller um die Ecke. „Hay!“, begrüßte sie Aio und zog sich den Helm vom Kopf. May nahm sie in den Arm, wie sie es schon zum Abschied am Freitagabend getan hatte. Wieder turnte Aios Herz. Das Haar der Ältern war nicht wie am Tag ihrer ersten Begegnung gestylt, sondern die schwarzen Stufen lagen einfach nur um ihr Gesicht herum. Aio wunderte sich, wie anders sie heute aussah Aber diese wunderbar eisigen blauen Augen waren immer noch die gleichen. „Hier“ Aio wurde wieder aus ihren Gedanken gerissen. Etwas verblüfft sah sie auf den zweiten Helm, den May ihr entgegenhielt. „Danke“, Aio nahm den Helm und setzte ihn, genau wie May, auf. „Steig auf und gut festhalten!“, Mays Stimmt klang nur gedämpft durch den Helm. Aio setzte sich hinter ihre Begleiterin und umklammerte diese fest. Sie hatte ein wenig Angst, da sie noch nie zuvor mit einem Roller gefahren war, allerdings war diese Angst schnell verflogen. Sie fühlte sich bei May ganz einfach sicher. Der erste Halt war die Fußgängerzone. Sie stellten den Roller auf einen Parkplatz und Aio ließ sich von May alles zeigen. Sie guckten sich die Geschäfte an und machten hier und da ein paar Fotos. Irgendwann blieben sie vor einem kleinen Kino stehen und entschlossen sich spontan einen Film anzusehen. Als der Film vorüber war, griffen beide nach der leeren Popkorntüte die sie zusammen gefuttert hatten. Ihre Hände berührten sich versehentlich und beide mussten lachen. Sie blödelten dann noch ein wenig herum und verließen wie selbstverständlich händchenhaltend das Kino. „Wohin jetzt?“, fragte Aio lachend. „Keine Ahnung. Lust auf Eis??“, May deutete auf das Eis Cafe gegenüber. „Gern!“ „Warte mal… wie spät ist es??“ Aio sah auf ihre Uhr: „Kurz nach vier“ „Hmm ... was hältst du davon wenn wir uns eins mitnehmen, sonst haben wir keine Zeit mehr für den Strand“ „Okay, dann los!“ Sie steuerten die Eisdiele an und bestellten sich beide ihr Eis. Aio bestellte sich eine riesige Portion Himbeere und Vanille, May bekam Stratiatella und Waldmeister Sie liefen die Fußgängerzone zurück zum Roller und machten sich auf den Weg zum Strand. „So, da wären wir“, erklärte May als sie den Roller stoppte. Beide stiegen ab und streiften sich den Helm über den Kopf. Inzwischen war es schon fast fünf. „Ab jetzt müssen wir zu Fuß weiter“, meinte May und lächelte Aio aufordernt an. Diese nickt nur und lächelte zurück. Warum gefiel ihr dieses Lächeln so unglaublich gut?? Sie spazierten eine Zeit lang barfuß durchs seichte Wasser. Das Wasser war um diese Jahreszeit angenehm warm aber trotzdem erfrischend kühl. Sie redeten über alle möglichen blanglosen Dinge und genossen einfach nur die Atmosphäre. Aio fühlte sich bei May so wohl wie sonst bei niemandem Als sie jetzt auf ihre Uhr sah erschrak sie: Es war schon acht. „Sag mal May, geht meine Uhr falsch oder ist es echt schon so spät??“ „Wie spät ist es denn?“, erkundigte sich May. „Acht“, antwortete Aio. May sah zum Himmel, die Sonne stand schon relativ tief. „ja, acht kommt hin. Die Sonne wird in der nächsten Stunde untergehen.“ Aio war irgendwie mit Mays Antwort nicht zu Frieden, wenn die Sonne unterging würde auch der Tag bald so Ende gehen und sie musste sich von May trennen. „Komm ich zeig dir was“, Aio wurde mal wieder von Mays Stimme aus ihren Gedanken gerissen. Aio spürte wie May nach ihrer Hand griff und sie mit sich zog. „Wo gehen wir hin??“, fragte sie May. „Wirst schon sehen!“, mehr bekam sie nicht zu hören. Sie gingen den Strand weiter entlang bis sie an großen Felsen ankamen. Aio staunte nicht schlecht als May tatsächlich über die Steine hinweg kletterte. An einer Stelle, an der sie guten Halt fand drehte sie sich zu Aio um und streckte ihr ihre Hand entgegen. „Komm, ich helf dir“, wieder dieses Lächeln und der sanfte Blick in den eisblauen Augen. Aio ergriff die helfende Hand und ließ sich von May über die Felsen ziehen. Hand in Hand bezwungen sie auch den Rest der scharfen Kanten. May sprang am anderen Ende der Felswand hinunter in den Sand. Sie sah zu Aio auf, die zögernd am oberen Ende stand. „Nur keine Angst! Ich helf dir“, wieder streckte May die Hand nach ihr aus. Aio ging in die Hocke und setzte sich dann auch die Felskante. Sie ließ sich langsam an der Kante hinunter gleiten und war heilfroh Mays Hände an ihrer Hüfte zu spüren. „ich hab dich, lass los!“ Aio hätte nie gedacht so schnell so großes Vertrauen zu jemandem zu haben, aber sie ließ dennoch die Kante los und rutschte in Mays Umarmung. „Alles okay?“, fragte May etwas besorgt. „Ja, alles gut. Ich hab nur ein bisschen Höhenangst, danke dass du mir geholfen hast.“ Wieder einer dieser Augenblicke in denen sich Aio nicht von Mays Blick losreisen konnte. „Komm, es ist nicht mehr weit“ Plötzlich wurde aus dem Sand Graß und Aio bemerkte, dass das Meer sich unter ihnen befand, kein Strand mehr, sondern nur noch eine steil abfallende Kante an die die Wellen peitschten. Sie liefen ein Stück weiter über die Wiese bis May plötzlich stehen blieb und ihre Tasche über die Kante warf. Erst jetzt bemerkte Aio, dass sich unterhalb der Kante nun ein kleiner Strand befand. „Komm, wir müssen da runter“, erklärte May, „gib mir diene Tasche“. Aio tat was sie sagte und May ließ die Tasche über die Kante nach unten fallen. Dann sprang sie selbst hinunter. Es war nicht sehr tief, ungefähr zwei Meter. Wieder half sie Aio hinunter. „Wo sind wir hier??“, fragte diese überrascht. „An meinem Lieblingsort, ich hab den Strand entdeckt als ich 14 war, nur Ratte und ich wissen davon. Naja, und du eben.“ „Es ist wunderschön hier“, Aio war von den Eindrücken überwältigt „Ja und es gibt keinen schöneren Sonnenuntergang als den an diesem Strand. Komm, wir setzen uns.“ May griff in ihre Tasche, holte eine kleine gelbe Decke heraus und breitete sie auf dem Sand aus. Sie setzten sich. „Aber bis zum Sonnenuntergang dauert es doch noch, oder??“, sie blickte auf ihre Uhr und zog diese dann vom Handgelenk und steckte sie in die Tasche. Sie hatte Angst sie ins Wasser fallen zu lassen. Es war erst viertel nach acht. „Ja, und wir haben Glück. Heute ist es noch richtig warm.“ Aio fiel jetzt erst auf in welcher Hitze sie hierhergelaufen sind. „Dir ist also warm??“, fragte sie mit einem frechen Grinsen. May schien ihren Gesichtsausdruck nicht zu bemerken, sie sah verträumt aufs Meer hinaus. „Ja, ist mir. Wieso?“ Das „Wieso“ hörte Aio schon gar nicht mehr. Sie griff nach Mays Handgelenk, sprang auf und zog die verblüffte May mit sich. „Was hast du vor?“, May war wie vor den Kopf gestoßen. So kannte sie Aio gar nicht, aber sie fand es auch gleichzeitig süß und genoss es die Hand der Jüngeren so dicht an ihrer zu spüren. „Ich werde dich jetzt abkühlen!“, war Aios Antwort. Gut das die beiden ohne Schuhe gelaufen waren, denn in diesem Moment wären die Aio genauso egal gewesen, wie die Kleider die beide trugen. „Wir können doch nicht in unseren normalen Sachen schwimmen gehen!“, protestierte May. Aber all ihre Bemühungen waren umsonst, denn ehe sie irgendetwas hätte unternehmen können erreichten sie auch schon das Wasser. Aio lief immer weiter bis ihr das Wasser bis zur Hüfte ging, dann ließ die Mays Handgelenk los und drehte sich zu ihr um. „Hier hast du Abkühlung“, lachte sie während sie May mit Wasser bespritzte. May machte es ihr nach und beide standen lachend, Wasser spritzend und komplett durchnässt voreinander. „Okay, Aio. Ich geb mich geschlagen, ich kann nich mehr!“May ergriff Aios Hände um sie aufzuhalten. Wieder trafen sich ihre Augen. Wieder einer dieser unendlichen Momente. Wieder dieser Bann aus dem Aio sich nicht befreien konnte. Plötzlich sah May zum Horizont. Aio folgte ihrem Blick. „Wow““, mehr brachte sie nicht heraus. „Wunderschön, nicht wahr?“ Aio konnte nicht fassen was sie da sah. May hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Eine riesige Sonne, die sich rosarot im Wasser spiegelt und den Himmel in ein romantisches Orange tränkte. Es war einfach traumhaft. Allerdings wurde es langsam auch kalt, Aio fröstelte. Umso schöner war es dann für sie, als May ihr behutsam den Arm umlegte und sie an sich drückte. „Komm, wir gehen aus dem Wasser. Deine Lippen sind schon ganz blau.“ Beide ließen sich wieder auf die Decke fallen und sahen zum Horizont. „Frierst du immer noch?“ May hatte Recht, Aios hellblaues Kleid klebte nass und kalt an ihrem Körper. May holte ein Handtuch aus ihrem Rucksack und legte es Aio um. „Danke“, Aio lächelte in sich hinein, sie freute sich über diese kleinen Gesten, die immer wieder von May kamen. Aio lehnte sich zurück und stützte sich auf die Hände. Plötzlich spürte sie Mays Fingerspitzen an ihren. Waren sie eben auch schon da?? Aio hatte das Gefühl, dass May ihr auf einmal unglaublich nah war. Erst Sekunden später bemerkte Aio, dass sich ihr Blick nicht mehr dem Sonnenuntergang zuwandte, sondern auf dem Mädchen neben ihr. May musste Aios Blick gespürt haben, denn in diesem Augenblick trafen ihre Augen die von Aio, diese errötete. „Na toll. Wie peinlich. Was sie jetzt wohl von mir denkt??“, dachte Aio, doch gegen ihr Erwarten lächelte sie ihr zu und lehnte sich seitlich zurück, so dass ihr Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von Aios entfernt war. Nie hatte sich Aio so etwas wie einen Kuss oder sogar mehr gewünscht, doch sie hatte auf einmal ein unbeschreiblich gespanntes Gefühl im Bauch. Sie sahen sich in die Augen. Aio hätte nicht sagen können wie lang dieser unerträgliche und gleichzeitig schöne Moment dauerte. Wahrscheinlich waren es nur wenige Sekunden, doch es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch das war jetzt egal, alles war egal. Sie genoss einfach nur das atemberaubende Gefühl, als May ihre Lippen mit den ihren versiegelte. Sie schloss die Augen und errötete noch mehr als zuvor. May war so zärtlich. „Mein erster Kuss“, war das letzte was Aio denken konnte, bevor ihr Gehirn von ihren Gefühlen verschleiert wurde. Zurückhaltend begann sie den Kuss zu erwidern. Sie spürte Mays Hände, die an ihren Seiten entlang zum Rücken glitten. Aio gab sich der Umarmung hin und ließ sich langsam nach hinten auf die Decke fallen. May folgte ihr gehorsam und stützte sich mit einem Arm neben ihr ab. Sie ließ ihre Hand an Aios Taille hinunter zur Hüfte gleiten, über ihren Oberschenkel hinweg und ihre Fingerspitzen unter das kurze Sommerkleid gleiten. Aios Hand hatte sich in der Zwischenzeit selbstständig gemacht und befand sich nun unter Mays Top an deren Taille. Aio erschauderte, sie wollte May noch näher sein, nur dieser Kuss war ihr viel zu wenig. Sie wollte mehr. „May!! Aio!!“, rief eine immer fröhliche Mädchenstimme. „Die müssen doch irgendwo sein“, sagte Yumi. „Ich schätze sie sind an Mays Strand, do vorne“, antwortete Ratte. Aio erschrak, als sie Yumis Rufe hörte und öffnete die Augen. May löste sich ebenfalls von ihr und sah verärgert noch oben zu der Grasnarbe über ihnen. Rattes Gesicht schaute über die Kante. „Hab mir schon gedacht dass ihr hier seid“, er lachte ihnen fröhlich entgegen. Yumi tauchte neben ihm auf und begrüßte die beiden ebenfalls mit einem strahlenden Lächeln. Sie hatten nichts bemerkt. Lebe deinen Traum, lass alles um dich herum fallen und genieße diesen einen Augenblick. Schließe deine Augen und lass dich fallen in diesen einen unbeschreiblichen Moment. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)