夢の現実性 von Tei (Zwischen Traum und Realität) ================================================================================ Kapitel 1: Zwischen Traum und Realität -------------------------------------- Das Beste an Träumen ist dieser kurze, vergängliche Moment, wenn man nicht mehr ganz schläft, aber noch nicht ganz wach ist, wenn man zwischen Realität und Fantasie nicht unterscheiden kann, wenn man für nur einen Moment mit seiner ganzen Seele glaubt, dass der Traum Realität ist und wirklich passiert ist. Wenn er so darüber nachdachte, dann hatte er sich schon so oft gewünscht, dass die Wahrheit nur eine Illusion und umgekehrt war… Es war irgendwann, bereits tief in der Nacht, doch er saß noch immer mit angezogenen Knien auf der schwarzen Ledercouch und starrte angespannt auf den Plasmafernseher, über den die letzten Minuten von „Wenn Träume fliegen lernen“ flimmerten. Der junge Peter Llewelyn Davies saß neben dem Schriftsteller J.M. Barrie auf einer Parkbank und sah ihn aus großen Augen an, die sich langsam mit Tränen füllten. „Es ist nur, dass ich dachte, dass sie immer bei uns sein würde.“ „Das dachte ich auch, aber weißt du, in Wahrheit ist sie bei dir. Du kannst sie auf jeder Seite in deinem Buch deiner Fantasie finden. Da hast du sie immer bei dir. Immer.“ „Aber warum musste sie sterben?“ „Ich weiß es nicht, Peter. Wenn ich an deine Mutter denke, dann werde ich mich stets daran erinnern, wie glücklich sie aussah, als sie da in ihrem Wohnzimmer saß und sich ein Stück über ihre Familie, über ihre Jungs, die nie groß wurden, ansah. Sie ist jetzt im Nimmerland. Und du kannst sie, wann immer du willst, besuchen, wenn du nur selbst dorthin gehst. „Wie?“ „Du musst nur daran glauben, Peter. Glaub daran.“ Er war so sehr in die Handlung vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie eine weitere Person die Treppen hinabstieg und hinter ihm zum Stillstand kam. Verstohlen wischte er sich, angesichts der gefühlvollen Szene, mit dem Handrücken über die Augen und fuhr erschrocken zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, die diese sanft drückte. „Toshi!“ In der Schrecksekunde hatte er sich umgedreht und blickte nun seinen besten Freund an, der das Sofa umrundete und sich neben ihm niederließ, während der Abspann über den Bildschirm rollte. „Erschreck mich doch nicht so!“, maulte Yoshiki ihn ein wenig an und faltete seine Beine unter sich zusammen. Es war die erste Nacht, die der Sänger bei ihm verbrachte, nachdem Jahre lang mehr oder weniger Funkstille zwischen ihnen geherrscht hatte und sie erst vor wenigen Monaten wieder angefangen hatten, in regelmäßigem Kontakt zu stehen. Wenn er ehrlich sein sollte, dann war es doch ein wenig seltsam, ihn hier zu haben, obwohl er ihn selbst eingeladen und ihm sogar seinen Privatjet zur Verfügung gestellt hatte. „Es ist vier Uhr morgens, Yoshiki“, überging Toshi den leichten Vorwurf einfach und musterte den Freund aus Kindheitstagen, der müde und erschöpft aussah. Er hatte dunkle Augenringe, die scheinbar bis in die Kniekehlen reichten und seine Lider waren mehr zu als offen. Außer einer locker sitzenden, schwarzen Trainingshose trug er nichts weiter und deutlich konnte man auf seinem Oberkörper die Gänsehaut sehen, da das Feuer im Kamin schon vor Stunden erlischt war. „Warum bist du dann wach?“ „Bin aufgewacht und wollte mir eigentlich etwas zu trinken holen“, war die einfache Antwort. „Du bist ganz kalt“, fügte er hinzu und strich wie zur Bestätigung über Yoshikis nackten Oberarm, während er mit der anderen Hand nach der Decke angelte, die bei ihm lag, und sie diesem reichte. Erst zögerte der Pianist ein wenig, doch dann nahm er sie und schlang sie um sich – das weiche, flauschige Kaschmir fühlte sich auf seiner kühlen Haut angenehm an. „Danke“, murmelte er nur leise und ließ sich nach hinten gegen die Lehne fallen. Nun einfach die Augen zu schließen und weg zu duseln, war eine verlockende Idee, aber auch nichts weiter… „Also, weshalb bist du nicht im Bett?“, hakte Toshi erneut nach und drehte sich so, dass er den anderen ansehen konnte, ohne sich den Hals zu verdrehen. Doch statt einer Antwort erhielt er nur stures Schweigen und er glaubte regelrecht zu sehen, wie Yoshiki zwischen ihnen eine Mauer errichtete, um ihn abzublocken. Ein wenig schmerzte dies, hatten sie sich früher schließlich immer alles gesagt. Andererseits, was konnte er erwarten? Zehn Jahre waren eine lange Zeit, um sich fremd zu werden… Nichtsdestotrotz hatten sie erst vor wenigen Stunden noch gemeinsam am Tisch gesessen, französischen Wein getrunken, gelacht und sich alte Bilder angesehen, während sie in Erinnerungen geschwelgt hatten. Es hatte sich so angefühlt, als wäre nie etwas gewesen… Unterdessen entwich dem Pianisten ein herzhaftes Gähnen, das er noch zu vertuschen suchte, indem er sich die Hände vor den Mund schlug. Toshi ignorierend stand er auf, ließ die Decke auf die Couch gleiten, streckte sich, sodass sämtliche Knochen hörbar knacksten und ging dann zu seinem Flügel, wo er sich auf die Bank setzte, die Abdeckung hochklappte und wahllos etwas spielte. Er vermischte klassische Stücke seiner Lieblingskomponisten mit seinen eigenen und improvisierte dazwischen immer wieder. Doch die ganze Zeit über spürte er den Blick des anderen auf sich, der ihn besorgt musterte… ein Teil von ihm wollte ihm erzählen, weshalb er sich selbst den Schlaf raubte, doch der andere Teil erinnerte ihn kontinuierlich daran, dass ein Jahrzehnt und viele ungesagte Dinge zwischen ihnen lagen. Früher, als sie noch Kinder gewesen waren, wäre er einfach zu ihm gegangen und hätte ihm sein Herz ausgeschüttet – doch die Jahre und Erfahrungen hatten ihn vorsichtig werden lassen. „Es ist nichts, Toshi!“, entgegnete er schließlich leicht genervt und schloss die Abdeckung mit einem Knall. Er kam sich wie ein Affe im Zoo vor, wenn der andere ihn die ganze Zeit so ansah und musterte! „Und wegen nichts machst du die Nacht durch, obwohl es offensichtlich ist, dass du hundemüde bist?“ „Was weißt du schon?“, blaffte er ihn harscher als beabsichtig an und stand auf, „du warst es doch, der einfach gegangen ist und unseren gemeinsamen Traum mit Füßen getreten hat, um den Weltfrieden herbei zu singen!“ „Yoshiki…“ „Komm mir nicht mit ‚Yoshiki‘! Du bist der letzte, der mir irgendetwas zu sagen hat, beziehungsweise dem ich irgendetwas anvertrauen würde!“, schrie er ihm wütend ins Gesicht, da er wieder an das Sofa getreten war. Toshis Ausstieg, die Pressekonferenz, sein Verhalten danach – dies alles waren Themen, die sie beide gemieden hatten, nachdem sie wieder angefangen hatten, miteinander zu reden, da sie beide ahnten, dass sie unweigerlich zu Streit führen würden. Die Worte waren wie kleine Dolche, die Yoshiki in Toshis Herz rammte, doch waren sie nicht unberechtigt und der Sänger kannte den anderen lange genug, um zu wissen, dass er dies mit voller Absicht tat. Der Drummer war schon immer jemand gewesen, der nur ungern eine Rechnung offen ließ und bis jetzt hatte er nie die Möglichkeit gehabt, ihm jene Schmerzen, die er ihm vor über zehn Jahren zugefügt haben musste, heimzahlen zu können… „Wer sagt mir denn, dass du nicht wieder einfach verschwindest und mich zurücklässt, wenn es dir zu viel wird?“ Yoshikis Stimme hatte einen leicht hysterischen Klang angenommen und Toshi ahnte, dass daher die Mauer kam, die er gespürt hatte… Seit er das erste Mal seit langem mit seinem besten Freund telefoniert hatte, hatte er diese Unterhaltung gefürchtet, weil er sich nicht sicher war, was er sagen sollte. Vor zehn Jahren hatte sich das, was er getan hatte, richtig angefühlt. Er hatte sich befreit gefühlt, nicht mehr länger der Sänger von X Japan zu sein und nicht mehr länger Yoshikis düstere Texte singen zu müssen; mit allem zu brechen, wofür er ehemals so hart gekämpft hatte und was für so viele Jahre sein Leben gewesen war, war ihm in jenen Augenblicken richtig erschienen. Es war ihm wie eine Erleuchtung vorgekommen, mit Masayas Liedern den Menschen zu helfen, sie zu heilen, doch als die Jahre ins Land zogen, hatte er nicht verhindern können, dass sich allmählich Zweifel in ihm ausbreiteten… in solch einem Moment hatte er dann vor ein paar Monaten einfach zum Handy gegriffen und eine altbekannte Nummer gewählt, in der Hoffnung, dass sie nach aktuell war und ihr Besitzer den Anruf annehmen würde. „Niemand…“, antwortete Toshi leise und blickte direkt in die Augen des anderen, die schon immer so viel mehr gesagt hatten, als seine Worte. War seine Stimme wütend und aufgebracht gewesen, so waren in den braunen Iriden nur Unsicherheit und die Angst davor, verletzt zu werden, zu erkennen. „… Aber das ist das Risiko, das man immer eingehen muss… ich konnte mir auch nicht sicher sein, wie du reagieren würdest, als ich dich angerufen habe…“, fügte er hinzu und musste daran denken, wie schweißnass seine Hände gewesen waren und wie hart sein Herz gegen seine Rippen gehämmert hatte, als er damals die Nummer gewählt hatte. Für einen Moment schloss Yoshiki die Augen, schien über die Worte nachzudenken, ehe er sie wieder öffnete und sich ans andere Ende der Couch hinsetzte. Er stützte seine Stirn auf seine Hände und starrte auf seine Oberschenkel, während er erneut spüren konnte, wie der andere ihn beobachtete. Zögernd fing er schließlich an zu erklären, weshalb er sich selbst den Schlaf verweigerte, obwohl er eigentlich nicht lieber täte, als einfach nur in sein warmes, flauschiges Bett zu fallen… „Als… als Vater gestorben ist… ich hatte mir so sehr gewünscht, dass es alles nur ein böser Traum war“, durchbrach er leise die Stille. Selbst nach all den Jahren, waren Toshis Ohren noch darauf geschult, jedes noch so kaum hörbare Wort des Jüngeren wahrzunehmen. „Ich habe die Augen geschlossen, mir gewünscht, aufzuwachen, und sie wieder geöffnet… doch der Traum war noch immer Realität… … Als… du gegangen bist und ich den Menschen, den ich von klein auf kannte… nicht mehr verstand… da habe ich die Augen geschlossen, mir gewünscht, dass das alles nicht wahr ist und wir immer noch Kinder sind und keine Sorgen haben… doch als ich die Augen erneut öffnete, hatte sich nichts geändert… ich habe es versucht und versucht, aber es hat nicht funktioniert… … … Nach hides Tod… ich habe es immer und immer wieder gemacht, gehofft, aufzuwachen und er würde vor mir stehen und lachen und sich wie ein kleines Kind freuen, dass er es geschafft hat, mich so zu verarschen… immer und immer wieder… verstehst du, Toshi?! Aber es hat sich nichts geändert!“ Der Sänger war näher gerückt und legte vorsichtig eine Hand auf die zitternde, nackte Schulter des anderen. Angesichts der Berührung wandte er ihm den Kopf zu und obgleich ihm etliche Haarsträhnen ins Gesicht fielen und seine Augen zum Teil verdeckten, konnte er sehen, wie sie sich mit Tränen gefüllt hatten und der andere gegen diese ankämpfte und versuchte sie hinunterzuschlucken. Die Mauer, die er noch vor wenigen Minuten gespürt hatte, war am Einstürzen… „Ich… habe Angst…“, Yoshiki wandte den Kopf ab, biss sich auf die Unterlippe und starrte an die Wand, während er noch immer Toshis Hand auf seiner rechten Schulter spüren konnte. „… wenn ich jetzt schlafe… dass ich dann in der Früh aufwache und alles nur ein Traum war… dass du wieder weg bist… dass ich wieder alleine bin… dass du nie angerufen hast…“ Dem Sänger lag ein „Idiot“ auf der Zunge, doch anstatt es auszusprechen, zog er den anderen zu sich und drückte ihn an sich, während seine linke Hand beruhigend über den unbekleideten Rücken strich. „Es ist kein Traum…“ Yoshiki drehte den Kopf ein wenig und sah ihn zweifelnd an. Und wenn sie beide nur ein und denselben Traum träumten? „Schlaf, okay? … Ich verspreche, wenn du wieder aufwachst, werde ich da sein… ich werde nicht gehen“, versprach Toshi und konnte spüren, wie sich der Freund aus Kindheitstagen entspannte, locker die Arme um ihn schlang und wie sich dessen Finger an seinem Rücken in sein Schlafshirt vergruben. „Indianerehrenwort?“ „Indianerehrenwort!“ „Wenn du dich nicht dran hältst, dann bist du tot“, nuschelte der Pianist und rutsche ein wenig herum, ehe er eine scheinbar bequeme Position gefunden hatte, die alles andere als das aussah. Angesichts dieser Aussage schmunzelte Toshi nur und verstärkte die Umarmung lediglich. „Werde ich nicht, ich werde da sein… so wie früher… du und ich gegen den Rest der Welt!“ „… wie früher…“ wiederholte Yoshiki leise und lächelte leicht – die Aussicht klang verlockend. Es würde so viel einfacher sein, wenn er wieder seinen besten Freund an seiner Seite hatte… Beide verfielen in ihr gewohntes Schweigen und der Sänger glaubte zu spüren, wie der Körper des anderen immer schwerer auf ihm wurde, während er ruhig und gleichmäßig atmete. „Yoshiki?“, fragte er leise und stupste ihn sanft. Als Antwort erhielt er jedoch nur ein Schmatzen, was ihn zum Schmunzeln brachte. Hatte er es doch gewusst – der Jüngere war todmüde gewesen, andernfalls wäre er nie im Leben innerhalb von fünf Minuten eingeschlafen. „Und du wunderst dich noch, woher deine Rückenprobleme kommen“, redete Toshi mehr mit sich selbst, angesichts Yoshikis verdrehter, halb sitzender, halb liegender Schlafhaltung, und machte dann sich daran, sich vorsichtig von dem anderen zu befreien und ihn ins Bett zu tragen, damit er in ein paar Stunden nicht mit Verspannungen im Rücken aufwachen würde… ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* A/N: Yoshikis Autobiographie ist einfach eine viel zu gute Muse ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)