Leben von Yusuke ================================================================================ Kapitel 5: 25.02.1986 --------------------- 25.02.1986 Und in den zwei Jahren, die ich nun hier lebe, habe ich den Sonnenuntergang wirklich nie wieder gesehen. Nur das künstlich, bunte Licht der Stadt. Jeden Abend wenn ich das Licht ausmache, scheint es in mein Zimmer. Wirft Schatten auf den Boden. Formt kleine Monster. Sie machen mir Angst. Immer noch. Aber ich bin tapfer. Schließe die Augen. Mein Kopf unter meiner Decke. Dann warte ich bis es spät wird. Die Lichter werden weniger. Die Monster verschwinden. Die Beiden sind nett und freundlich. Ich mag sie gerne. Wir machen viel zusammen. Und zum ersten Mal, bin ich in einer richtigen Schule. Und immer noch der Beste. Ich glaube ich bin glücklich, auch wenn diese komischen Schatten in meinem Zimmer sind. Sie verschwinden wenn es später wird. Und jetzt ist das Licht sowieso noch an. Ich sitze an meinem kleinen Schreibtisch und mache Hausaufgaben. Mathe. Ganz schön schwer. Aber ich löse auch diese Aufgabe, immerhin bin ich der Beste. Das will ich bleiben. Und dann greife ich nach links. Dort wo eigentlich meine Flache steht. Ich hab nachts immer Durst. Ich weiß auch nicht warum. Keiner trinkt nachts, nur ich. Immer nimmt die Frau die leere Flasche mit, bringt mir aber keine Neue. Toll. Jetzt darf ich wieder runter laufen und mir selbst eine holen. Ich verlasse mein Zimmer, stehe in dem dunklen Flur. Langsam steige ich die lange Holztreppe hinunter. Immer macht sie komische, knirschende Geräusche. Heute nicht. Sie ist ganz still. Mir auch egal. Ich will an der Wohnzimmertür vorbei gehen, aber dann höre ich Geräusche. Jemand weint. Die Frau. Ich verstehe nicht alles. Ein paar Wortfetzten. "Wieso nennt er mich denn nicht Mama? Vielleicht bin ich keine gute Mutter." Meint sie etwa mich? Warum soll ich sie denn Mama nennen? Ist sie schließlich nicht. Sie schluchzt. Ziemlich laut, so schlimm ist es doch jetzt auch nicht. Der Mann tröstet sie. Sie ist ja ganz nett zu mir. Ich will auch nicht, dass sie traurig ist. Dann nenn ich sie morgen halt Mama. Dann lacht sie bestimmt wieder. Dann gehe ich weiter in die Küche. Nehme mir eine neue Wasserflasche. Und dann gehe ich wieder hoch. Die Treppe genau so still wie vorhin. Und dann sitze ich auch schon wieder über der Aufgabe. Und nach langem Überlegen, weiß ich die Antwort endlich. Ich bin stolz auf mich. Lächle durch mein Zimmer. Jetzt freue ich mich wieder auf die Schule. Und dann sehe ich einen großen Schatten in meinem Zimmer, obwohl das Licht an ist. Ich drehe mich um. Es ist aber nur der Mann und kein Monster. Ich lächele ihn an und winke mit dem Heft. "Ich hab es geschafft." Dann verschwindet mein Heft in meiner Schultasche. Sie ist schwarz und weiß. Das sind meine Lieblingsfarben, obwohl es ja eigentlich keine sind. Ich hab sie ausgesucht. Dann nehme ich noch die Flasche, will sie wieder zudrehen. Er kommt noch einen Schritt näher und streckt seine Hand in meine Richtung aus. Er will mir wohl wieder auf die Schulter klopfen, so wie immer, wenn ich etwas gut gemacht habe. Ich mag das. Dann weiß ich, dass es wirklich gut war. Das ich auch irgendwie gut bin. Und dann spüre ich seine Hand. Nicht auf meiner Schulter. In meinem Gesicht. Eine kalte, flache Hand. Ein wütendes Gesicht. Meine schmerzende Wange. Ich lasse die Flasche fallen. Scherben bedecken unter dem scheppernden Geräusch meinen Teppich. Er ist ganz nass. Langsam werden meine Augen nass. Wieso tut er mir weh? Was hab ich getan? Er nimmt seine Hand weg. Wischt sie über sein Shirt. Das macht er auch, wenn er von der Gartenarbeit kommt, weil seine Hände schmutzig sind. Bin ich etwa auch schmutzig? Ich habe doch vorhin geduscht. Und dann schlägt er noch mal zu. Wieder in mein Gesicht. Und wieder brennt meine Wange, wie Feuer. Wird sie deshalb rot? Ich fühle, wie ich mein Gleichgewicht verliere. Ich knie auf dem Boden. Knie vor ihm. Ich will aufstehen. Ich hab Angst und meine Beine bewegen sich kein Stück. Er guckt immer noch böse. Auf mich herunter. Er hebt wieder die Hand. Ich schlage meine eigenen Hände vor mein Gesicht. Versuche meine Augen zu verstecken und so mich selbst. Wie ein kleines Kind. Hinter zierlichen Händen Schutz zu suchen. Dann spüre ich seine Hand. In meinem Haar. Er streichelt über meinen Kopf, über mein Haar. Er schaut wieder freundlicher, aber irgendwie leer? Wie meine Flasche. Warum wirkt er so? Ich sehe vorsichtig weiter hoch. Immer noch hab ich Angst. Dann höre ich seine tiefe Stimme. Noch tiefer als sonst. "Warum tust du uns das an? Sind wir nicht gut genug zu dir? Warum erkennst du uns nicht als deine Eltern an? Mir ist das nicht so wichtig. Aber du verletzt sie. Wieso nennst du sie nicht Mama?" Ich sehe ihn an. Ist das sein Ernst? Wegen einem Wort hat er mir wehgetan? Ich traue mich nicht zu antworten. Schaue still auf den Boden zurück. Das Wasser ist ganz in meinem Teppich verschwunden. Ein dunkler Fleck ist noch da. Dann zieht er an meinen Haaren. Ich muss ihn angucken. Ich will nicht. Schon wieder tut es weh. "Antworte!" Sein Blick. Wütend. Ich will schreien, aber kein Wort kommt aus meinem Mund. Ein leises Geräusch. Ich glaube, er hat es nicht mal gehört. "Ich sage es dir zum letzten Mal, antworte!" Seine Stimme klingt ruhig. Sie passt nicht zu seinem Gesicht. Noch weniger zu seinen Augen. Ich antworte. Antworte aus Angst. Ich will, dass es aufhört. "Weil sie nicht Mama ist." Er starrt mich an. Meine Haare immer noch in seiner Faust. Er lässt sie langsam los. Ich sinke tiefer zu Boden. Reibe schnell über meinen Kopf. Dann lächelt er. Seine Hand ist immer noch eine Faust. Und dann schlägt er wieder zu. Er lacht. Lacht mich aus. Ich liege auf dem Rücken. Mein Kopf tut mir weh. "Na, tut das weh? Ich werde dir wehtun, so wie du ihr weh tust. Tooru. So ist doch dein richtiger Name? Den, den du so sehr hasst" Wieder lacht er. Und dann guckt er mich lieb an. Viel zu lieb. Er kommt näher. Und dann ist sein Gesicht so nah. Ich rieche den Zigarettenrauch. Und dann schmecke ich ihn. Es ist widerlich. Und seine Lippen berühren meine. Er liegt halb auf mir. Er ist viel zu schwer. Ich will weg. Egal wohin. Dann fummelt er wild an meiner Hose herum. Ich kann nichts tun. Ich bin zu schwach, zu klein… Und dann steht er im Türrahmen. Guckt mich von oben aus an. Lacht. Schon wieder über mich? Ich weine. Solche Schmerzen hatte ich noch nie. Ich wusste nicht, dass es solche gibt. Immer noch. Alles brennt. Ich will schreien. Veilleicht entflieht so der Schmerz. Ich schluchze. Lauter und immer lauter. Ich sehe wie er näher kommt. "Sei ruhig. Sie weint auch nicht, weil du ihr weh tust. Du hast das verdient. Also sei ruhig. Sie weint auch nicht vor dir und sie beschwert sich auch nicht. Du hast kein Recht dich zu beschweren." Er steht wieder auf. Ich bin wieder leise. Ich habe Angst vor ihm. Er hebt meine Sachen vom Boden auf. Wirft sie auf mich. "Zieh dich wieder an." Ich kann nicht. Ich will mich nicht bewegen. Ich krabbele langsam zu meinen Sachen. Nehme sie fest in den Arm. Klammere mich an ihnen. Weine leise in sie hinein. Das Licht geht aus und die Tür wird langsam zu gemacht. Das Licht von draußen wirft wieder Schatten in mein Zimmer. Wirft Schatten auf den Boden, auf dem ich liege. Und die Monster liegen über mir... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)