Momentaufnahmen von Terrormopf ================================================================================ Kapitel 4: Von Prügeleien, Schmerzen und Sommerregen ---------------------------------------------------- Das Kapitel is mal ein bisschen länger =) Ich hoffe, es gefällt euch und wünsche euch hier noch mal viel Spaß beim Lesen! ___________________________________________________________________________________ Leon hatte den Rucksackverband glücklicherweise nur vier Wochen tragen müssen und hatte sofort danach mit der Physiotherapie begonnen. Er fehlte Phillip im Training und auch in den Spielen misste ihn die ganze Mannschaft. Aber er sollte den Bruch erst richtig verheilen lassen, bevor er das Training wieder aufnehmen konnte. Nun waren sie mit einigen anderen Mannschaftskameraden auf einer dieser Bauernpartys der Dörfer in der näheren Umgebung. Eigentlich waren diese Festivitäten immer die besten. Man konnte trinken, sich verhalten wie man wollte und sich einfach nur gehen lassen. Phillip stand gerade mit Leon an der Bar, trank einen Jacky-Cola – Leon hatte er illegalerweise auch einen ausgegeben, da dieser ja inzwischen auch schon 17 geworden war, da ging das schon – da kam ein Typ an ihnen vorbei, der ihm sehr bekannt vorkam. „Hey du!“ Der Typ blinzelte ihn verwirrt an, schien nicht sicher zu sein, ob er wirklich ihn gemeint hatte. „Ja, ich mein dich. Du spielst doch Fußball, oder?“ Der Kerl nickte und kam näher. Er schien angestrengt zu überlegen woher er die Beiden kannte. „Wir haben vor fast fünf Wochen gegen euch gespielt“, fuhr Phillip unbeirrt fort. „Und du hast meinen Freund hier ziemlich heftig gefoult, erinnerst du dich?“ „Lass doch.“ Leon fasste ihm an den Oberarm, doch Phillip ließ nicht locker: „Weißt du auch noch, dass er mit dem Krankenwagen abtransportiert wurde? Er hat sich das Schlüsselbein gebrochen.“ Der Kerl sah ihm gleichgültig in die Augen. „Phillip, ich bitte dich, lass es doch gut sein!“ Leons Bitte wurde eindringlicher, doch erneut ergriff Phillip das Wort: „Eigentlich könnte man ja sagen so was passiert nun mal hin und wieder beim Fußball; ist Berufsrisiko, was weiß ich. Aber normalerweise entschuldigt man sich dann.“ Es war eine Tatsache, dass sich weder der Trainer im Namen der Mannschaft, noch der Spieler selbst in irgendeiner Form entschuldigt hatten. Er hatte sich kein einziges Mal danach erkundigt, wie es Leon ging. „Willst du dich nicht wenigstens jetzt entschuldigen, wenn sich die Gelegenheit schon bietet?“ „Wozu denn?“ Der Typ zuckte die Achseln. „Is ja jetzt eh gelaufen. Und wenn er wieder saufen kann, scheint’s ihm ja nicht mehr so schlecht zu gehen.“ „Alter, du hast ihn gefoult!“, brauste Phillip auf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte, ballte die Faust in seiner Hosentasche. „Und zwar so heftig, dass er sich was gebrochen hat! Ein kleines Wort der Entschuldigung wäre doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?“ Sein Gegenüber lachte nur geringschätzig. Ihr Kapitän – Tobias – war inzwischen auf die Szene aufmerksam geworden und kam langsam auf sie zu. „Was kann ich denn dafür, wenn seine Knochen so schnell brechen? So heftig war das Foul ja auch wieder nicht. Und wie du vorhin schon gesagt hast, mit so was muss man beim Fußball rechnen. Wenn er damit nicht klarkommt, soll er lieber den Sport wechseln und Ballett tanzen oder so. Das passt besser zu so Mimosen.“ „Sag das noch mal“, knurrte Phillip und sog scharf die Luft ein. „Er sollte anfangen Ballett zu tanzen, da wird man nicht gefoult“, wiederholte der Kerl den Satz langsam. Und zum Glück war nun Tobias bei ihnen, denn der musste mit Müh und Not verhindern, dass Phillip dem Kerl eine runter schlug. Er musste vollen Körpereinsatz zeigen, damit ihm Phillip nicht entglitt. „Jetzt komm mal wieder runter, Phillip, lass das Arschloch doch labern! Nachher wirst du noch gesperrt wegen Unsportlichkeit!“, brüllte Tobi ihn an. Langsam beruhigte sich Phillip wieder, seine Gegenwehr ließ nach. „Süß!“, lachte daraufhin der andere Spieler. „Tatsächlich so eine Mimose, dass er schon Leute braucht, die für ihn in den Ring steigen! Hat wohl selbst nicht genug Mumm in den Knochen, um seinen Mann zu stehen?“ Phillip hatte sich nun jedoch schon wieder so weit beruhigt, dass er diesen Kommentar an sich vorbeiziehen ließ. Er schnaubte nur verachtend, wollte sich zu Leon umdrehen und ihm sagen, dass bei dem Kerl Hopfen und Malz verloren sei, doch da sah er, wie der blöde Kerl eins auf die Schnauze bekam. Und zwar von Leon. Tobi und Phillip starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Das hätten sie ihm nicht zugetraut. Der Typ, den die Faust hart ins Gesicht getroffen hatte, hielt sich die Hände vor den Mund und taumelte zurück. „Mit so was muss man bei so 'ner großen Klappe rechnen, sonst sollte man lieber mal Ahnung haben, wenn man schon nicht die Fresse halten kann!“ Er wirkte eiskalt und doch sah Phillip ihm an, dass diese ruckartige Bewegung und der harte Rückstoß ihm erneut Schmerzen bereiteten. „Ihr spinnt ja alle beide!“, brüllte nun Tobi, dann wandte er sich an den vierten Spieler im Bunde, der noch immer seine Hände auf seinen schmerzenden Kiefer presste. „Tut mir leid, entschuldige bitte.“ Und an seine Mannschaftskameraden gewandt fügte er hinzu: „Und jetzt langt’s. Ich fahr euch jetzt nach Hause, bevor noch was passiert.“ Er packte Phillip beim Kragen und zog ihn hinter sich her. Leon folgte ihnen schnaubend. Als sie schweigend in Tobis Auto saßen, durchbrach Leon die Stille, als er sagte: „Du kannst mich bei Phlip rauslassen, ich lauf dann Heim, das ist kein Problem.“ „Sicher?“, fragte ihr Kapitän, sah kritisch zu ihm durch den Rückspiegel. „Jaja, das passt schon. Sorry übrigens wegen vorhin, aber mir ist bei dem Typen einfach 'ne Sicherung durchgebrannt.“ Er seufzte. Tobi hingegen schmunzelte, so wie Phillip das von der Seite her beurteilen konnte, und entgegnete: „Der Vollidiot hatte es aber auch verdient. Nur deine Schulter hättest du vielleicht schonen sollen.“ Leon bewegte sie vorsichtig. „Jaa, stimmt schon“, sagte er lang gezogen. „Aber ich hab doch extra mit der rechten Hand zugeschlagen.“ „Dummbatz“, brummte Phillip dazwischen. Natürlich war seine linke Schulter verletzt, aber selbst Leon musste schon mal was von Kraftübertragung gehört haben. „So, da wären wir“, sagte Tobias, inzwischen wieder bester Dinge, als er vor Phillips Wohnungstür hielt. Die Beiden bedankten sich artig, wünschten ihm noch eine gute Nacht und stiegen aus. Sie warteten, bis er außer Sichtweite war, dann gingen sie gemeinsam in Phillips Wohnung. Der ging als erstes an seinen Kühlschrank, holte die Flasche Wasser, die er extra kalt gestellt hatte, heraus und trank gierig. Alkohol trocknete viel zu sehr aus. „Gib mir auch 'nen Schluck“, hörte er Leon sagen, der in der Tür aufgetaucht war. „Hier.“ Er hielt ihm die Flasche hin. Für einen Moment war nichts zu hören, außer Leons Schlucken, seinem eigenen Atem und dem monotonen Surren des Kühlschranks. Leon hielt seinen linken Arm wieder auffällig in einer Schutzhaltung. Hatte er sich doch so sehr wehgetan bei dem Hieb? Blöde Frage; die Wucht des Schlages hatte er ja eigentlich an dem Typen gesehen. „Wie geht’s deiner Schulter?“, durchbrach er die subtile Geräuschkulisse. Leon setzte die Flasche ab, holte zufrieden Luft und entgegnete dann: „Super und deiner?“ „Lüg nicht, ich seh doch, dass sie dir wieder wehtut.“ Er blieb nüchtern, verzog keine Miene. „Dich kann man auch nie belügen.“ Leon lächelte schwach, reichte ihm die Flasche wieder, damit er sie zuschraubte. „Du zumindest nicht.“ Er nahm die Flasche mit ins Schlafzimmer. Dort entledigte er sich seiner Klamotten, zog sich eine Jogginghose über, ließ seinen Oberkörper unbedeckt. Leon sah ihm zu, wartete, bis er fertig war. Er brauchte noch immer Hilfe beim An- und Ausziehen – zumindest gab er das vor, wenn er bei Phillip war. Aber vielleicht genoss er auch einfach die Aufmerksamkeit und die Fürsorge, die ihm somit zuteil wurden. Dem Stürmer war es gleich. Ihn störte es nicht, sich um Leon zu kümmern. Er war eher froh, dass er ihm helfen durfte; er wusste ganz genau, dass Leon dazu neigte, alles viel zu schnell anzugehen. „So, jetzt helf ich dir“, sagte er, kam auf Leon zu. Bereitwillig hob Leon die Arme, holte jedoch fast zeitgleich pfeifend Luft. „Ich wusste doch, dass es wieder weh tut!“ Sein Triumph bereitete ihm keine Freude. „Jetzt mach schon!“, drängte Leon. Es schien ihm wirklich wehzutun. „Wann hast du eigentlich den nächsten Termin zum Röntgen?“, fragte Phillip, während er dem Jüngeren das T-Shirt über den Kopf zog. Sein schlanker Oberkörper und der riesige, inzwischen gelb-grünliche Bluterguss über Schulter und Brust kamen zum Vorschein. Leon atmete geräuschvoll aus, hielt sich den linken Arm vor der Brust und entgegnete, während Phillip ihm die Hose öffnete – er bleib stehen und sah ihm in die Augen, inzwischen hatte er Übung - „Nächste Woche, das wird dann hoffentlich die letzte sein. Röntgenstrahlen sind ja auch nicht unbedingt gesund…“ Phillip ließ von der Hose ab, küsste sanft Leons Schulter und sein Schlüsselbein – er spürte die knubbelige Stelle, an der es gebrochen gewesen war sofort – dann flüsterte er: „Na dann hoffen wir mal, dass du jetzt nicht noch mal was kaputt gemacht hast.“ Leon lächelte, zog Phillips Gesicht zu sich und küsste ihn innig. Und als er von ihm abließ, sagte er mit roten Backen: „Wird schon nichts passiert sein, Phlip, du machst dir nur immer zu viele Sorgen!“ Doch er schien sich nicht zu viele Sorgen zu machen, denn mitten in der Nacht rüttelte Leon ihn wach. Müde und mürrisch öffnete Phillip seine Augen, sah Leon aufrecht im Bett sitzen, sich seinen linken Arm halten. Er schwitzte stark, obwohl seine Hand eiskalt war. „Phlip, bist du wach?“, flüsterte er und seine Stimme zitterte. „Ja, was ist denn los?“ Er setzte sich ebenfalls auf, rieb sich über die Augen und sah auf seinen Wecker. Viertel nach drei. „Ich kann nicht schlafen. Es tut so weh.“ Leons Stimme war kaum mehr vernehmbar. Gott! – schoss es Phillip durch den Kopf. Und die ganze Zeit hatte er sich mit den Schmerzen gequält? „Warum hast du mich nicht früher geweckt?“, zischte er, schwang die Beine aus dem Bett und ging hastig zum Bad, schlug sich aber auf dem Weg noch heftig den Zeh am Bettpfosten an und fluchte wild auf. Er schaltete das Licht an und musste einen Moment warten, bis seine Augen sich an das so plötzliche, grelle Licht gewöhnt hatten. Dann ging er an einen Schrank, holte einen Karton mit allen möglichen Mittelchen, Medikamenten und Verbänden hervor und kramte hastig darin herum. Leon erschien im Türrahmen. Er sah richtig mies aus. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, nur seine Augen waren stark gerötet. „Hier, ich hab die Schmerzmittel gefunden.“ Er zog eine Schachtel mit Tabletten heraus, stellte den Karton zurück und knipste das Licht aus, während er das Bad verließ. Im Schlafzimmer griff er nach der Wasserflasche neben dem Bett. Er schraubte sie auf, holte eine Tablette aus der Schachtel und gab beides Leon. Der hatte sich zurück ins Bett gesetzt und nahm nun die Tablette, trank danach gierig. „Du hättest mich wirklich früher wecken sollen, du siehst grad so unglaublich scheiße aus.“ „Tut mir leid.“ Seine Stimme klang erstickt und heiser. Er legte sich noch nicht wieder hin und Phillip meinte im schalen Mondlicht, das durch die geöffneten Fenster ins Zimmer fiel, erkennen zu können, dass ihm Tränen die Wangen hinab liefen. „Weinst du?“, fragte er etwas verwirrt. Leon verneinte, machte aber keine Anstalten sie wegzuwischen. „Lüg doch nicht schon wieder. Tut es so weh?“ Leons Körper erbebte und unterdrückt schluchzte er auf, während er nickte. „Tut mir leid“, sagte er noch einmal, kaum verständlich unter dem Schwall Tränen, der ihm nun aus den Augen floss. Bestürzt setzte Phillip sich neben ihn und legte seine Arme um ihn. Wieso hatte er ihn auch nicht schon früher geweckt? Wusste Leon nicht, dass er alles für ihn tun würde? Egal um welche Uhrzeit? Leon lehnte sich an ihn. Sein Körper zitterte nun noch heftiger. Immer wieder wurde er vom Schluchzen geschüttelt. Es kam ganz tief aus ihm heraus. „Ich will wieder Fußball spielen!“ Phillip verstand ihn kaum, doch er küsste ihn auf die tränennasse Wange, schmeckte die salzige Flüssigkeit auf seinen Lippen und flüsterte: „Bald kannst du wieder spielen.“ „Ich will, dass diese scheiß Schmerzen endlich aufhören! Es kotzt mich so an! Ich kann nicht mehr!“ „Die Tablette wirkt bestimmt gleich.“ Er wusste nicht, was er sonst sagen oder tun sollte. Er hielt seinen Freund nur im Arm, versuchte ihm Trost zu spenden, legte seine Wange an Leons. Er war wohl vollkommen fertig und noch dazu übermüdet. Er weinte so bitterlich. Und doch hatte es für Phillip einen zarten Beigeschmack. Er hatte das Privileg Leon im Arm zu halten und ihn zu trösten. Wenn er doch nur nicht so untröstlich gewesen wäre! Leons Nase war verstopft; er atmete ungleichmäßig und abgehackt, durch das Schluchzen. Seine Tränen hatten auch Phillips Haut benetzt, auf der sie nun trockneten und begannen zu spannen. Langsam beruhigte er sich aber. Die Tablette schien zu wirken. „Ich habe die Tabletten auf den Nachttisch gelegt und die Wasserflasche steht daneben“, erklärte er ihm, falls er erneut solche unbändigen Schmerzen bekommen sollte. Doch bis Leon sich endgültig beruhigt hatte und eingeschlafen war, hielt Phillip ihn im Arm. Unbewusst hatte er begonnen ihn hin und her zu wiegen. Als Leon dann endlich eingeschlafen war und seine Atmung sich normalisiert hatte, bettete ihn Phillip vorsichtig neben sich, legte sich selbst wieder hin und schloss die Augen. Ein letzter Blick auf die Uhr hatte ihm verraten, dass es schon fast halb fünf war. Über eine Stunde hatte er Leon so im Arm gehalten und ihn beruhigt. Sanft auf ihn eingesprochen, ihm über den Kopf gestreichelt, ihn zart geküsst. Und nun endlich konnte er wieder schlafen. Und bis er wieder eingeschlafen war, dauerte es nicht lange. Am nächsten Tag, es war Samstag, schliefen sie aus bis mittags. Sie aßen nicht großartig etwas, da sie am Abend noch bei einem Mannschaftskameraden zum Grillen eingeladen waren. Phillips erste Frage an Leon war gewesen, ob es ihm besser ginge und er hatte bejaht. Zwar hatte er trotzdem noch eine Schmerztablette genommen, aber solange er nicht wieder so fix und fertig war wie in der Nacht, war Phillip fast alles Recht. „Tut mir übrigens leid wegen heute Nacht“, murmelte Leon, als er sich auf dem Sofa ausstreckte. Sie sahen fern. „Is schon okay.“ Phillip merkte, dass es Leon recht peinlich war, wie er sich in der Nacht aufgeführt hatte. Deswegen setzte der noch nach: „Weißt du, ich war halt immer noch nicht ganz nüchtern und dann hat es so verdammt wehgetan und ich war eigentlich übelst müde…“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Aber du hättest mich ruhig früher wecken können. Ich reiß dir ja nicht den Kopf ab.“ „Ich hab auch ewig überlegt, ob ich dich aufwecken soll, aber ich wollte dich nicht stören. Außerdem hast du so friedlich geschlafen. Es tut mir wirklich leid, ich wollte nicht so rumheulen.“ Das letzte Wort nuschelte Leon ziemlich. Es konnte auch daran liegen, dass er mit dem Kinn nach dem Kragensaum seines T-Shirts geangelt hatte und ihm das nun über der Unterlippe hing. Phillip lächelte und entgegnete: „War bei dir wahrscheinlich wie bei kleinen Kindern: wenn die übermüdet sind, dann heulen die auch wegen allem. Muss dir nicht peinlich sein.“ Leon wurde rot. Er zog den Kopf noch etwas weiter ein und sprach noch undeutlicher. „Super, jetzt vergleichst du mich schon mit 'nem Kleinkind.“ Er zog eine Schnute. „Du weißt doch, wie ich das meine“, lachte Phillip. Leon nickte daraufhin immer noch etwas beleidigt, flüsterte dann aber, kaum hörbar: „Danke sehr.“ Der Stürmer beugte sich zu ihm und küsste ihn sanft. Es war herrlich, wenn sie zu Hause waren. Sie konnten sich immer so nahe kommen wie sie wollten und mussten auf nichts achten. Wenn sie unter Menschen und vor allem unter Mannschaftskameraden waren, dann mussten sie stets darauf achten, dass sie nicht zu sehr aufeinander hingen. Aber andererseits durften sie sich auch nicht zu wenig berühren oder unterhalten, sonst würde gleich nachgehakt, ob sie Streit hätten. Es war so mühsam! Leon griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger. Sie würden wahrscheinlich nicht mehr über diese Nacht sprechen. „Hmm“, überlegte er dann jedoch laut. Leon sah ihn fragend an. „Was?“ „Eigentlich wollten wir ja heute noch joggen gehen“, stellte Phillip fest. Sie hatten beschlossen, dass sie zusammen laufen gehen würden, damit Leon seine Kondition wieder aufbauen konnte und damit er das nicht alleine machen musste, hatte Phillip sich dazu bereit erklärt, mit ihm zu trainieren. Er seufzte affektiert traurig: „Das müssen wir dann wohl leider auf morgen verschieben.“ Der Libero lachte. „Ja, das macht dich natürlich traurig. Das glaub ich. Aber wir können ja trotzdem ein bisschen laufen gehen, meiner Schulter geht’s so weit ganz gut und solange wir’s nicht übertreiben, wird sie ja beim Joggen auch nicht zu sehr beansprucht.“ Phillip rollte mit den Augen. Leons Disziplin müsste man haben. „Gut, dann gehen wir nachher eben doch laufen. Aber dann achten wir am Besten drauf, dass wir noch genug Zeit haben zum Duschen, bevor wir zu Mark fahren.“ „Na das sowieso“, erwiderte Leon grinsend, hob anzüglich die Augenbrauen. Phillip tat das mit einem müden Lächeln ab. Sie hatten in letzter Zeit mehr als einmal zusammen geduscht. Leon hatte immer auf Phillips Hilfe bestanden und irgendwann hatte der beschlossen, dass es das ganze erheblich vereinfachte, wenn er einfach mit ihm unter die Dusche kam. Leon hatte es nicht gestört. Vorerst blieben sie jedoch faul auf dem Sofa liegen. Es war ohnehin viel zu heiß um sich in irgendeiner Weise zu bewegen. Das Maß aller Dinge war, wenn sie sich erhoben um eine neue Flasche Wasser zu holen oder zur Toilette zu gehen. Später würde es hoffentlich kühler werden. Und es wurde kühler. Der Himmel bewölkte sich zusehends und Phillip befürchtete schon, dass ihre Trainingseinheit aufgrund eines plötzlichen Regenfalls ausfallen müsste, doch als sie die Turmuhr in der Ferne durch die geöffnete Balkontür fünf schlagen hörten, erhob sich Leon, strahlte seinen Freund an und erklärte glücklich: „So, jetzt wird’s aber mal Zeit, jetzt ziehen wir uns um und dann laufen wir los.“ „Du meinst wohl eher: ich ziehe uns um. Außerdem glaub ich, dass es gleich anfängt zu regnen“, brummte Phillip, hatte keine Lust sich zu erheben. „Nun komm schon, nicht so pessimistisch! Im Fernsehen kommt doch eh nur Mist und verdummt haben wir uns damit jetzt schon genug.“ Leon lachte und streckte ihm die Hände entgegen, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Missmutig ergriff der Angesprochene die dargebotene Hilfe. „Und wenn wir jetzt gehen, sind wir noch vor dem Regen zurück. Ich kann ja eh nicht so lange, weißt ja, meine Kondition ist momentan gleich null und ich darf meine Schulter nicht überstrapazieren.“ Leon war einfach viel zu sehr eine Frohnatur. Er strahlte ihm entgegen und ungewollt musste Phillip das Lächeln erwidern, folgte dem Jüngeren ins Schlafzimmer. Dort half er ihm dabei sich eine kurze Trainingshose und ein Sportshirt anzuziehen, die schon bei ihm lagerten. Dann zog er sich selbst um. Die Laufschuhe musste er Leon ebenfalls zubinden. Und er war sich nicht sicher, ob Leon einfach nur bequem war, oder ob er es wirklich selbst nicht schaffte, gerade nach dieser Szene in der vergangenen Nacht. Der Ältere packte sich noch seinen Schlüssel ein, dann joggten sie los. Ihr Ziel war ein Sportplatz, der nicht all zu weit von ihnen entfernt war. Sie liefen bis dahin – es war doch schon eine ziemliche Strecke – und dehnten sich dort erst einmal. Besorgt richtete Phillip seinen Blick gen Himmel, während er seine Oberschenkel dehnte. Graue Wolken bedeckten ihn und es roch schon nach Regen. In den letzten Tagen war es ziemlich warm gewesen; auf der Arbeit war er fast vergangen vor Hitze. Auch jetzt war es noch ziemlich schwül und sie waren die einzigen auf dem Sportplatz. Eigentlich nicht das Schlechteste, so mussten sie weniger aufpassen. Es wehte ein unheimlicher Wind, den man auf der Haut kaum spürte, weil er so warm war. Das Rascheln der Blätter an den Bäumen war das einzige Geräusch, das man wahrnehmen konnte. Phillip fühlte sich wie in einer dieser Geisterstädte aus alten Wild-West-Streifen. „Also, laufen wir los?“, riss Leon ihn lächelnd aus seinen Gedanken. Er nickte nur und hoffte, dass der Regen wirklich warten würde, bis sie wieder zu Hause ankamen. Sie liefen relativ zügig los. Warm gemacht hatten sie sich ja schon mit dem Lauf zum Sportplatz. Still joggten sie nebeneinander her – Phillip überließ Leon die innere Bahn. Eigentlich war das Laufen gar nicht so übel. Wenn man den ganzen Tag auf dem Sofa rumgehockt hatte, war das genau das Richtige. Aber aufgrund der immer noch vorherrschenden Hitze, lief ihnen bald der Schweiß über die Stirn. Und auch der Wind brachte ja keine Kühlung. In der Ferne konnte Phillip den Donner bedrohlich grollen hören. „Sieht aus, als würde es bald anfangen zu gewittern“, sagte er zu Leon, richtete seinen Blick wieder besorgt der dicken, dunklen Wolkendecke zu. Und wie zur Bestätigung seiner Worte folgte der nächste Donner in der Ferne und ein Tropfen traf ihn am Oberarm. „Siehst du? Ich hab schon den ersten Regentropfen abbekommen.“ Und kaum hatte er das gesagt, da traf ihn der nächste und kaum eine Sekunde später begann ein regelrechter Platzregen. „Jaja, du hattest Recht“, erwiderte Leon atemlos, blieb stehen und hielt sich die Seite. Sie waren gerade bei der Hälfte der über dreihundert Meter langen Laufbahn. Phillip packte sich Leons rechten Arm und zog ihn hinter sich her, während er quer über das Feld zu den Umkleideräumen sprintete, die zwar nicht geöffnet, aber dafür überdacht waren. Doch auch das Unterstellen brachte nun nichts mehr, denn als sie ankamen, waren sie schon vollkommen durchnässt. Der Stürmer lehnte sich missmutig an die Hauswand und atmete tief durch. Ihn hatte der Lauf weniger angestrengt, er war noch im Training. Leon hingegen stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, hatte den Oberkörper nach vorne gebeugt, ließ den Kopf baumeln und atmete ziemlich flach. „Super, jetzt sind wir total durchnässt“, murrte Phillip, bedachte Leon mit einem strafenden Blick. Als der jedoch aufblickte, traf den Stürmer ein strahlendes Lächeln. Leons Locken hingen schwer an seinem Kopf, Tropfen lösten sich aus ihnen und fielen zu Boden. Sein T-Shirt klebte ihm am Körper, genauso wie die Hose und überall lief der Regen an ihm herunter. Dennoch sagte er: „Eben!“ Er packte sich Phillips Hand und zog ihn mit sich unter der Überdachung weg, bis sie wieder im strömenden Regen standen. „Bist du bescheuert?“, fuhr der Ältere ihn an, doch Leon ließ sich nur glücklich auf den Boden fallen, legte sich auf den Rücken, schloss die Augen zufrieden und entgegnete: „Wieso? Jetzt sind wir eh nass, da können wir den Sommerregen auch genießen.“ Phillip schüttelte den Kopf über so viel Optimismus. Aber andererseits hatte Leon Recht. Nass waren sie sowieso und warum sollte man es nicht machen wie in Kindertagen und den Regen genießen, durch alle Pfützen springen und die Abkühlung dankbar entgegennehmen. Er ließ sich neben Leon nieder, sah sich um und ergriff dessen Hand, während er in den Himmel starrte. Die schweren Tropfen prasselten auf sie herab, trafen sie und den Boden neben ihnen. Das Geräusch, das es machte war unverkennbar und als Phillip ein Tropfen in den Mund lief, da wusste er auch wieder wie Regen schmeckte – er hatte es fast vergessen gehabt. Es war ein herrliches Gefühl mit Leon zusammen auf dem noch warmen Boden zu liegen und sich vom kühlen Regen duschen zu lassen. Die Wassertropfen liefen ihm über das Gesicht und den Körper; auch seine Klamotten klebten an ihm, das weiße T-Shirt wurde sicherlich durchsichtig, aber wen störte es? Auch die Gänsehaut, die er bekam, als ihn ein nun kühler Windhauch streifte, störte ihn nicht, im Gegenteil, er empfand es als äußerst angenehm. „Und?“, hörte er Leon sanft fragen. „Bist du jetzt froh, dass wir doch gegangen sind?“ Er wandte ihm den Kopf zu und erkannte auf seinen Gesichtszügen ein zufriedenes und entspanntes Lächeln. „Es ist schön“, antwortete er, drückte Leons Hand, die er noch immer hielt, leicht. Er wünschte sich, dass dieser Moment ewig währen würde, oder zumindest auf ewig in seiner Erinnerung bleiben würde. Er nahm sich fest vor, dieses Gefühl, diese Szenerie, dieses Glück niemals zu vergessen. Er fühlte sich hier, klatschnass, neben Leon im Regen liegend und seine Hand haltend, so wohl wie nie zuvor und er glaubte, dass es der schönste Augenblick seines Lebens sein musste. Aber dann kam das Gewitter näher. Der Abstand von Blitz zu Donner verringerte sich zunehmend und er bekam ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Bei Gewittern war er ungern draußen, außerdem waren auf ihrem Heimweg einige Bäume, unter denen sie durch mussten und der Spruch ‚Vor Eichen sollst du weichen, Buchen musst du suchen’ war ja schon lange widerlegt. „Wir sollten gehen, bevor das Gewitter ganz da ist“, flüsterte er, fragte sich, ob Leon es überhaupt vernommen hatte, doch der antwortete: „Ja, du hast Recht… Schade, es war grad so schön.“ Phillip nickte langsam und erhob sich. Er war komplett durchnässt und die Romantik des Augenblicks war verflogen. Sein Rücken war nun widerlich pisswarm und die Frontseite war eiskalt. Es war eklig und er wünschte sich nun nichts sehnlicher als schnell nach Hause in seine Dusche zu kommen; mit oder ohne Leon. „Hilfst du mir auf?“, fragte der, streckte ihm die rechte Hand entgegen. Phillip ergriff sie und zog Leon behutsam zu sich. Er drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen, dann verfielen sie wieder in einen leichten Trab auf dem Weg nach Hause. Bevor sie dort allerdings ankamen, war das Gewitter bei ihnen angekommen. Die Blitze zuckten eindrucksvoll über den Himmel, erhellten ihn, der sonst fast komplett dunkel war. Gleichzeitig schlug der Donner ihnen ohrenbetäubend um die Ohren. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass sie nach Hause kamen. Doch kaum hatte Phillip seine Wohnungstür aufgeschlossen, da hielt sich Leon wieder die Schulter. Besorgt zog der Ältere die Tür hinter ihnen zu und fragte: „Tut es wieder sehr weh? Hast du dich überanstrengt?“ Leon lächelte beschwichtigend und schüttelte den Kopf. Dann sagte er: „'ne Schmerztablette und dann geht das wieder.“ „Es sollte aber langsam auch ohne so viele Schmerztabletten funktionieren, Leon. Hoffentlich verheilt deine Schulter wirklich gut, nicht dass gestern Nacht irgendwas passiert ist und sie dich doch noch operieren müssen.“ Leon sog geräuschvoll die Luft ein und schluckte hart. Anscheinend hatte Phillip damit einen Nerv getroffen. Der Libero gab sich immer so stark und zuversichtlich, aber vor einer OP schien er doch ziemlich Schiss zu haben. „Ich hoffe mal nicht“, brachte er langsam und tonlos hervor. „Ich auch nicht. Aber jetzt sollten wir erst einmal unter die Dusche, dass wir uns keine Sommergrippe einfangen.“ „Duschen wir zusammen?“, fragte Leon und da war das schelmische Lächeln wieder auf seinen Lippen. Seine Augen blitzten Phillip herausfordernd an. „Wenn du willst.“ Er zuckte mit den Achseln, bückte sich, um seine Schuhe und Socken auszuziehen. Leon schlüpfte aus seinen Schuhen einfach heraus, zog sich auch die Socken geschickt mit dem jeweils anderen Fuß aus. Sie zogen sich gleich größtenteils im kleinen Vorraum aus, damit sie nicht die ganze Wohnung voll tropften, dann tapsten sie schlotternd in Boxershorts ins Bad, zogen sich diese auch noch aus und quetschten sich in die relativ kleine Duschkabine. Das heiße Wasser tat gut und Phillip konnte gar nicht genug davon kriegen. „Hey! Hier ist Phillip“, meldete er sich am Telefon, als er seinen Kollegen aus dem Fußball anrief, bei dem sie zum Grillen eingeladen waren. Er hatte sich für die Zeit nur eine Jogginghose angezogen, um seine nackten Schultern baumelte sein Handtuch, mit dem er sich über die noch feuchten Haare fuhr. „Hey Phlip!“ Der Rest der Mannschaft hatte auch angefangen ihn so zu nennen. „Was gibt’s?“ „Ich wollt nur mal fragen, wie’s nachher mit Grillen aussieht, weil’s bei uns grad ziemlich heftig gewittert.“ Wie zur Bestätigung leuchtete draußen der Himmel auf und ein Donner krachte nahezu zeitgleich. Er setzte sich zu Leon aufs Sofa, lehnte sich nach hinten. Keine gute Idee, denn Leon rutschte nun zu ihm und begann an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Wo er doch da so empfindlich war – und Leon wusste das genau! Er musste sich zusammenreißen um nicht lachen zu müssen und versuchte Leon mit der Hand wegzuscheuchen – wie eine lästige Fliege. „Ach so, ja das ist bei uns schon durch und ich hab ja immer noch sturmfrei. Also von mir aus findet es statt. Hast du Leon schon gefragt, ob er auch kommt?“ Der eben genannte machte Phillips Handbewegung nach, um ihm zu zeigen, wie lächerlich das war und fuhr dann fort ihm schlabbernd den Hals zu küssen, sodass Phillip unwillkürlich die Schulter hochzog. „Ja… ja, ich hab ihn gefragt, er kommt auch, ich nehm ihn mit, wir fahren dann so in 'ner Stunde los. Passt das?“ Nun schob er Leon bestimmter von sich. Doch der ließ es sich nicht nehmen, nun seine Zehen über Phillips Bauch krabbeln zu lassen. „Jap, das läuft. Also bis dann!“ „Ja, bis dann.“ Er legte auf und wandte sich dann an Leon: „Lass das doch, wenn ich telefoniere!“ Doch sein Lachen ließ diese Rüge gleich viel unglaubwürdiger erscheinen. Leon grinste nur und erwiderte: „Ich kann eben die Finger nicht von dir lassen, Phlip“ Er warf ihm einen Luftkuss zu. „Wohl eher die Füße“, murmelte der und blickte auf Leons frisch gewaschene Füße, die nun ruhig in seinem Schoß lagen. Er begann sie zu massieren. „Als ginge es dir anders“, lachte Leon und nickte ihm zu. Draußen prasselte der Regen gegen die Scheiben. Phillip ließ Leons Füße los, legte sich nun über ihn, sah ihm in die Augen. „Du hast angefangen“, flüsterte er. Leon haschte nach seinen Lippen, erwischte sie aber nicht, was dem Stürmer ein Lächeln auf die Lippen zauberte. „Na und?“, fragte der Jüngere, schob die Unterlippe vor. Phillip streichelte ihm durch die nassen Locken, lehnte seine Stirn gegen die des Jungens unter ihm. Der legte seine Hände auf dessen Rücken. Er hatte einen weiten Kapuzenpulli von Phillip über, der ihm viel zu groß war, weshalb er nur seine Fingerspitzen auf seiner Haut spürte. Aber allein das bereitete ihm eine prickelnde Gänsehaut. Dann vergrub er sein Gesicht an Leons rechter Halsbeuge, küsste ihn immer wieder sanft. Leons Hände fuhren über seinen ganzen Rücken, vom Kreuz zum Nacken und wieder zurück. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, wirkte beruhigend auf Phillip. Er spürte, wie Leons warmer Atem sein Ohr streifte, das Leon hin und wieder küsste. Es war ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass er Leon hatte, der für ihn da war; der ihn immer aufzumuntern wusste, andererseits aber auch einfach nur mit ihm daliegen, wie vorhin oder jetzt, und den Augenblick genießen konnte. Der Fernseher flimmerte noch, doch sie hatten den Ton ausgestellt, bevor Phillip telefoniert hatte. Leon griff zum Tisch. „Was machst du da?“, brummte Phillip unverständlich an seiner Halsbeuge, war zu träge den Kopf zu heben. „Ich stell 'nen Wecker, falls wir einschlafen sollten“, sagte Leon und Phillip konnte vor seinem geistigen Augen sehen, wie er sanft lächelte. Er küsste ihn erneut in die Halsbeuge. Dann legte Leon das Handy zurück auf den Tisch, schloss seine Arme wieder um Phillip. Der wurde zunehmend träger. Er würde wohl bald endgültig einschlafen, doch kurz bevor er abdriftete, hörte er Leon noch leise sagen: „Ich liebe dich, Phillip.“ Hatte er sich verhört? Hatte Leon ihm das wirklich gerade eben gesagt? Er war zu müde und entkräftet, um sich darüber nun Gedanken zu machen. Er drückte sich noch einmal näher an seinen Freund, dann schlief er ein. Er wurde von dem nervtötenden Lied geweckt, das Leon als Handywecker eingestellt hatte und fand sich, eng an jenen gedrängt, auf der Innenseite des Sofas wieder. Leon schien weiterzuschlafen. Das war mal wieder typisch: er hatte das schrecklichste Lied als Wecker, damit er auch ja wach wurde, hörte es aber selbst nicht. Phillip brummte, gab Leon einen Stoß mit dem Bein, damit er wach wurde, er hatte nämlich kaum Platz sich zu bewegen, schließlich hatte Leon ihn zwischen sich und der Sofalehne komplett eingequetscht. „Leon, mach den scheiß Wecker aus!“, stöhnte er schließlich, versetzte ihm noch einen Tritt, diesmal etwas härter. Doch der Schüler drängte sich nur noch näher an ihn, verbarg sein Gesicht an Phillips Brust „Leon, bitte! Ich werd noch aggressiv bei dem behinderten Lied! Leon!“ Er verlieh seiner Stimme mehr Nachdruck. Langsam wurde er richtig wach. Das Lied hörte abrupt auf. Gerade wollte der Schreiner aufatmen, da begann das grässliche Stück von vorne. „Leon!“ Jetzt brüllte er fast und bemerkte, wie Leon an seiner Brust erschrocken zusammenzuckte. Er hob den Kopf, blinzelte ihn verschlafen an und fragte: „Was? Was ist denn? Ist was passiert?“ „Nein, aber gleich passiert was, wenn du deinen scheiß Wecker nicht augenblicklich ausstellst!“ Dieses Lied machte ihn wirklich aggressiv, genauso dass Leon nie davon wach wurde. Ächzend griff Leon nach dem Handy und schaltete es aus, sodass Stille entstand. Dankbar seufzte Phillip auf. „Wir müssen gleich los“, gähnte der Jüngere, setzte sich auf, machte so auch Phillip wieder Platz, damit der aufstehen konnte. Sein Bein war eingeschlafen und kribbelte nun entsetzlich, so stampfte er ein paar Mal fest auf und ging dann ins Schlafzimmer an seinen Schrank, um sich etwas anzuziehen. Durch das Gewitter war es wahrscheinlich schon etwas abgekühlt, deswegen zog er sich eine lange Jeans an und holte sich noch einen Pulli. „Hast du vorhin noch gehört, was ich gesagt habe?“ Leon stand in der Tür, er hatte sich schon direkt nach der Dusche was Gescheites angezogen. Phillip überlegte, was er meinte. ‚Ich liebe dich, Phillip’, kam es ihm wieder in den Sinn. Hatte er sich nicht verhört? Langsam nickte er und schluckte. Leons Miene blieb ernst, er beobachtete sein Gegenüber aufmerksam. „Ich…“, setzte Phillip an, wusste nicht, was er sagen sollte. Der Schüler blickte ihn weiterhin auffordernd an. „Wir sollten los“, sagte der Schreiner nach einer Weile, warf nervös einen Blick auf die Uhr. Leon seufzte. Wahrscheinlich hatte er sich eine andere Reaktion erhofft. Warum hatte Phillip seine Frage nicht einfach verneint? Auf der anderen Seite hatte er allerdings zu lange gezögert, Leon hätte gewusst, dass er log. Nun quetschte er sich an Leon, der immer noch im Türrahmen zum Schlafzimmer stand, vorbei und griff nach seinem Schlüsselbund und seinem Geldbeutel, die auf der Kommode lagen, holte noch kurz sein Handy aus dem Wohnzimmer, schaltete den Fernseher endlich aus. An Leon gewandt fragte er: „Bist du soweit?“ Der drehte sich nun zu ihm um, hatte ein falsches Lächeln aufgesetzt, man sah es auf Anhieb, und nickte nur. Während der Fahrt schwiegen sie. Wie hatte die Stimmung so schnell von wunderschön auf unangenehm springen können? Hatten sie nicht noch diesen Nachmittag auf dem Sportplatz im Platzregen gelegen und das Leben in vollen Zügen genossen? Und jetzt saßen sie nebeneinander im Auto und sprachen kein Wort miteinander. Als sie ankamen und Phillip aussteigen wollte, packte Leon ihn beim Arm, wich seinem Blick aus und sagte leise: „Vergiss, was ich vorhin gesagt habe. Lass uns einfach 'nen netten Abend mit den Jungs verbringen, okay?“ Phillip nickte missmutig. Dann stiegen sie aus und wurden von denen, die schon da waren, fröhlich im Garten begrüßt. Der Abend war schon vorangeschritten, sie hatten gut gegessen und die letzten Sonnenstrahlen, die zuvor noch vereinzelt zaghaft hinter dem Horizont hervorgelugt hatten, waren nun auch verschwunden und es war dunkel. Die anderen waren drinnen und spielten Playstation. Leon machte einen Streifzug durch den Garten, Phillip folgte ihm. Er hatte während des gesamten Essens über Leons Aussage nachgedacht. Eigentlich war die Antwort darauf ja nicht schwer, er selbst war sich sicher, nur irgendwie schienen die Worte nicht über seine Lippen kommen zu wollen. „Leon?“, fragte er leise, bekam ein „Hm?“ zurück, ohne dass der Angesprochene sich zu ihm umdrehte. Phillip war aufgefallen, dass er heute Abend unterdurchschnittlich gelächelt hatte. „Ich wollte dir noch was sagen.“ Er gab sich Mühe so laut zu sprechen, dass Leon ihn verstand, die Stimme aber dennoch gedämpft zu halten. „Ja?“ Noch immer sprach er nur mit seinem Rücken. „Schaust du mich dabei bitte an?“ Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als Leon sich langsam und trotzig zu ihm umdrehte. „Hey! Wollt ihr auch mal spielen?“, rief Mark ihnen vom Haus aus zu. Die Frage bezog sich auf seine Playstation, die bei der Mannschaft heiß begehrt war. „Ja, nachher, wir kommen gleich!“, antwortete ihm Phillip, bevor Leon noch den Mund aufmachen konnte und wartete, bis Mark wieder im Haus verschwunden war. Sie schwiegen, sahen sich in die Augen. „Also?“, durchbrach nun Leon kühl die Stille. Phillip trat etwas näher an ihn heran, darauf bedacht ihn nicht zu berühren, falls einer der anderen sie beobachtete. „Ich…“, setzte er an, wie schon einige Stunden zuvor bei sich im Schlafzimmer. „Ich meine, ich will sagen…“ Er geriet immer wieder ins Stottern und damit ins Stocken. Innerlich verfluchte er sich für seine Unsicherheit, wischte sich die schweißnassen Handinnenflächen an seiner Jeans ab. „Ich…“ Er verringerte die Lautstärke noch einmal. Dann allerdings holte er tief Luft, sah Leon fest in die Augen und sagte: „Ich liebe dich auch.“ Leons Mundwinkel zuckten. „Nur weil ich es dir gesagt habe?“, fragte der Libero nach einer Weile; Traurigkeit lag in seiner Stimme. „Was?“, fragte Phillip perplex. Die Frage war eher rhetorisch gemeint gewesen, dennoch antwortete ihm Leon: „Du musst mir nicht sagen, dass du mich liebst, nur weil ich es dir gesagt habe, das ist doch schwachsinnig, wie alt sind wir denn?“ Er schien wütend zu werden. Mit einem unsicheren Seitenblick auf die hell erleuchtete Terrassentür legte Phillip ihm die Hand in die Seite und sagte besänftigend: „Nein, nicht nur deswegen. Ich muss zugeben, dass du mich heute Nachmittag etwas überrumpelt hast.“ Leon schnaubte verächtlich. „Aber ich hab die ganze Zeit nachgedacht. Und wenn ich dich nicht liebe, dann weiß ich nicht, wie man dieses Gefühl sonst beschreiben sollte. Wirklich Leon, glaub mir, ich liebe dich von ganzem Herzen.“ Er kam sich dämlich vor. Er hätte nie gedacht, dass er sich mal in einer so kitschigen Klischeeszene wieder finden würde, doch genau das war jetzt der Fall und er meinte jedes einzelne Wort wie er es sagte. „Sicher?“ Noch immer schwang Unsicherheit und etwas Misstrauen in Leons Stimme mit, doch Phillip nickte nur, lächelte liebevoll. Dann konnte er sehen, wie Leons Augen aufblitzten und seine Mimik sich aufklärte. „Das ist super!“, strahlte er nun und kam Phillip noch etwas näher. Der erkannte Leons Absicht ihn zu küssen, duckte sich unter ihm weg und lief ihm einige Schritte voraus in Richtung Haus. Er hatte wohl vergessen, wo sie waren. Still formte er mit den Lippen das Wort ‚Zuhause’ und sagte dann laut: „Na komm, jetzt mach ich dich fertig, ich werd dir zeigen, wer von uns beiden der bessere Spieler ist!“ Leon lachte auf, nickte und entgegnete: „Na ich natürlich!“ Glücklich gingen sie zurück zum Haus und zu den anderen hinein, um ebenfalls eine Runde zu zocken. Die Szene von eben schwebte noch einmal vor Phillips geistigem Auge. So was Kitschiges!, dachte er lächelnd und schüttelte den Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)