Bloody Snow von Moon-Cat (Wenn dein Freund ein Werwolf ist...) ================================================================================ Prolog: -------- Es war eine sternenklare, eisige Winternacht. In einer Hütte, die hoch in den Bergen lag und an deren Fenster sich der Schnee anhäufte, saß leise wimmernd ein kleines, siebenjähriges Mädchen vor einem wärmenden Feuer. Dieses bestand jedoch nur noch aus kleinen Flammen, die nur noch selten aufzüngelten. „Mama... Papa... Kommt zurück! Bitte!“, flehte das Mädchen verzweifelt und schluchzte. Ihr graublaues, knielanges Nachthemd war, wie auch ihre langen pechschwarzen Haare, mit Blut durchtränkt und klebte an ihrem zierlichen Körper, während die eisblauen Augen noch immer geschockt auf die züngelnden Flammen gerichtet waren. Sie wollte das Grauen um sie herum einfach nicht mehr mit ansehen müssen. Nervös wippte sie vor und zurück, wobei sie ihre Knie fest umschlungen hielt. Die Wände der kleinen Hütte waren in jedem Zimmer mit Blut bespritzt. In der Küche lagen die Messer verstreut, mit denen sich ihre Eltern wehren wollten. Blut klebte auch auf der unteren Stufe zur oberen Etage – ein Ausweichmanöver hätte beinahe bereits dort den Tod ihrer Mutter verursacht. Das gesamte Ausmaß konnte das kleine Mädchen jedoch nicht erfassen. Die Jagd - oder auch Flucht - hatte schließlich im Wohnzimmer ein Ende gefunden. Dort breitete sich nun eine riesige Blutlache aus, in der noch immer zwei zerfetzte Menschenkörper lagen. Das Mädchen versuchte sich auf das Feuer zu konzentrieren, doch das war leichter gesagt, als getan. Die Stille und die lebhaften Erinnerungen an die vorhergehenden Schreie, ließen sich nicht aus ihren Gedanken streichen. Sie hörte die Rufe ihrer Eltern immer wieder in ihrem Kopf, als sie das Monster erblickt hatten. „Ein Werwolf! Unmöglich! Nein!! Lauft!“, brüllte ihr Vater noch immer in ihrer Erinnerung. Schnell drückte sie ihre Hände gegen ihre Schläfen und presste die Augenlider aufeinander. Dieses Wesen, das mit dem weißen Fell so rein ausgesehen hatte, hatte ihre Eltern zerfleischt und das Mädchen mit seinen stechendgelben Augen angestarrt, während sie gegen eine Wand gepresst da stand und um ihr Leben fürchtete. Sie hatte den Atem des Biestes bereits auf ihrer Haut gespürt, bereits den Geruch des Blutes bemerkt, das im Fell des Geschöpfes hing. Wieder fing sie an zu zittern und zu schluchzen. Schnell umklammerte sie ihre Beine und schüttelte wild mit dem Kopf. Der Werwolf hatte sie verschont und sie wusste nicht, weshalb er es getan hatte. Doch das Heulen, das er von sich gegeben hatte, als er verschwand, hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Und obwohl sie immer wieder versuchte, das Bild ihrer toten Eltern zu vergessen, war genau das Gegenteil das Ergebnis. Sie würde niemals dazu in der Lage sein, es zu vergessen. Zitternd schaute sie aus dem Fenster. „Vollmond“, flüsterte sie ehrfürchtig. „Vollmond!“ Auch dieses Detail prägte sich in ihr Gedächtnis ein - zusammen mit dem blutroten Schnee vor der Tür. Kapitel 1: Das Wolfsmädchen --------------------------- Zehn Jahre später. Das Mädchen von damals war nun siebzehn Jahre alt. Sie saß vor einem großen Feuer in einer großen Höhle, die in einem tiefen Wald lag; geschützt von Bäumen und Büschen, mit einer kleinen Zufahrt zum Höhleneingang. Leise sang sie ein Lied und beobachtete die Flammen. Ihre Haare hatte sie zusammengebunden und ihre Augen waren geschlossen. Sie trug ein etwas älteres, weißes T-Shirt und eine ältere Jeans, dazu noch ein Paar weißer Turnschuhe. Ab und zu wanderte ihr Blick in die dunklen Ecken der Höhle. Sie wusste genau, in welcher Ecke ein Schrank stand, in welcher das Holz und welcher die Decken lagen. „Alexandra! Was tust du da?”, fragte plötzlich eine weiche, tiefe Stimme vom Höhleneingang. Fragend drehte sie sich herum und erblickte einen hellbraunen Wolf, der von draußen herein kam. Es schneite und noch dazu wehte ein eisiger Wind. „Hey, Can! Ich habe nur ein kleines Lied gesungen und auf dich gewartet!”, antwortete sie. Lächelnd stand sie auf und ging auf ihren Freund zu, um sich in sein Fell zu kuscheln. Obwohl es draußen kalt war, fühlte es sich schön warm an. Auch die Höhle war durch das Feuer gut erhitzt worden. Sachte erhob sich Alexandra wieder und warf ein paar dicke Holzscheite in die Flammen. „Setz dich! Es ist bestimmt eisig draußen!”, meinte sie und verschwand in einer dunklen Ecke, um etwas zu holen. Vorsichtig stellte sich der Wolf nun auf zwei Beine und verwandelte sich in einen Menschen. Seine schokoladenbraunen Augen schauten sich in Ruhe um, während er sich durch seine verwuschelten Haare fuhr. In seiner Menschengestalt war es wesentlich kälter. Außerdem stand er im Moment nackt da. Das war nicht gerade hilfreich. Er zog aus einem Stapel an der Seite eine Jeans und zog sie an. Dann sagte er: „Du sollst doch nicht mehr hierher kommen, Alex! Joanna hat dir doch ausdrücklich verboten, auf eigene Faust her zu kommen!” Er setzte sich vors Feuer und schüttelte noch einmal seine hellbraunen Haare durch. Das wegspritzende Wasser zischte, als es mit dem Feuer in Berührung kam. „Du Dummerchen! Wenn sie erfährt, dass du schon wieder als Wolf unterwegs warst, solltest du schnell wegrennen!”, meinte Alexandra lachend, während sie mit einer Decke über dem Arm zum Feuer zurückkam. Diese legte sie schließlich Can um die Schultern. „Ach. Mist! Stimmt ja! Ich hab ihr ja versprochen, das zu lassen! Aber was soll ich sonst schon tun?”, fragte er grinsend und streckte sich. Unruhig wippte die Siebzehnjährige von einem Fuß auf den anderen. Dann antwortete sie verlegen: „Du könntest doch...” „Nein!”, unterbrach er sie. „Du weißt genau, dass ich nicht mit zu dir kann! Selbst wenn Joanna es erlauben würde - was sie niemals tun würde -, so würde es doch an Michael scheitern!” „Pah! Ich hasse ihn und das weißt du genau! Was auch immer Joanna sagt, ich weiß, was er ist und was er getan hat! Sie sollte froh sein, dass ich noch nicht abgehauen bin!” Durch ihren kleinen Wutausbruch konnte Can sein mildes Lächeln nicht weiter verstecken. Es lief immer auf dasselbe Endergebnis hinaus. „Also, so gesehen, bist du weggelaufen”, bemerkte ihr Freund. „Normalerweise müsstest du um diese Uhrzeit Zuhause in deinem Bett liegen und schlafen.” Alexandra schob ihre Unterlippe vor. „Das ist mir egal. Sie sollte trotzdem froh sein, dass ich immer wieder zu ihr gehe. Ich bin mir sicher, dass ich genauso gut hier bei dir überleben könnte. Bevor sie mich gefunden hat, hab ich das schließlich auch gekonnt!”, sagte sie trotzig. Sie setzte sich neben den menschgewordenen Wolf hin und kuschelte sich unter der Decke an seine Seite. Sie liebte es, ihm einfach nahe zu sein. Ihrer Meinung nach war es viel zu selten der Fall, seit sie bei Joanna lebte. Can seufzte und legte einen Arm um sie. Dann zog er aus seiner Jeans sein Handy heraus und wählte die bereits auswendig gelernte Nummer, die diesen Augenblick zerstören würde. „Bitte nicht! Can! Nein!”, bat Alexandra ihren Freund, doch der hielt sich bereits das Mobiltelefon ans Ohr. Er hörte einen Klicklaut und schließlich eine junge Frau, die sich am anderen Ende der Leitung höflich und doch aufgeregt meldete: „Joanna Brooks. Hallo?” Wieder entfuhr ihm ein Seufzer. „Hallo Joanna. Ich bin's, Can. Ich schätze, dir ist bereits aufgefallen, dass jemand aus deinem Haus verschwunden ist?”, fragte er, wobei er seine kleine Freundin ein kleines bisschen an sich drückte. „Alexandra hatte mal wieder eine blödsinnige Idee und ist zu mir gekommen.” „Verdammte Göre! Was fällt ihr ein, einfach wegzulaufen? Nur wegen ein paar Meinungsverschiedenheiten mit Michael läuft sie jedes Mal weg! Argh! Wir kommen sofort vorbei und holen sie ab”, sagte Joanna und legte sofort wieder auf. Alexandra drückte sich noch näher an Can und flüsterte: „Sie ist sauer.” Er nickte. Dann senkte er seinen Kopf und gab ihr einen Kuss auf ihre Haare. Er wusste, dass es nicht länger so weitergehen konnte. Alexandra stand bereits jetzt schon unter der Beobachtung von Michaels Gruppe. Irgendwann würde sie nie wieder ohne Begleitung aus dem Haus dürfen. „Alex... Wenn Joanna und Michael kommen und dich abgeholt haben, werde ich diese Höhle hier verlassen. Dann braucht Joanna keine Angst mehr um dich haben”, meinte er mit einer traurigen Stimme. Es tat ihm selbst weh, das zu sagen. Sie zuckte zusammen. „Das kannst du doch nicht machen!”, wisperte sie vorwurfsvoll. „Wo soll ich denn sonst hin?” „Ich weiß es nicht, Alex”, gab er zu und fuhr ihr durch ihre schwarzen, kurzen Haare. Ihm fiel auf, dass es schon wieder ein Stück kürzer geworden war. „Weshalb schneidest du deine Haare eigentlich immer kürzer?”, fragte er sie, um sie etwas abzulenken. Sie schluckte und antwortete dann: „Weil es Michael und Joanna nicht leiden können, wenn sie so kurz sind. Sie sagen, ich sähe dann fast so aus, wie ein Junge.” „Verstehe”, murmelte Can nur und hielt sie fester in seinem Arm. So saßen beide schließlich noch einige Zeit lang da und starrten ins Feuer. Can hörte Joannas alten Truck bereits fünf Kilometer vor der Waldgrenze und stand auf. Er legte Alexandra wieder die Decke um die Schultern und lief schließlich in eine der dunklen Ecken, in der sich ein Schrank befand. Dort zog er sich einen Pullover und ein paar Turnschuhe an. Dann holte er noch zwei Brötchen, lief damit zurück zum Feuer und reichte seiner Freundin eines davon. Mit dem anderen in der Hand ging er zum Höhleneingang. Der Schneesturm hatte mittlerweile aufgehört und man konnte wieder den Sternenhimmel durch die Baumwipfel sehen. Es war eine so schöne und doch traurige Nacht. Der Mond, der schon fast voll war, warf sein helles Licht auf den Waldboden. Dann warf er einen Blick zurück zu Alexandra. Mit traurigem Gesicht saß sie vor dem Feuer und knabberte an ihrem Brötchen. Er seufzte leise. Er konnte sie nicht einfach zurücklassen. Irgendetwas musste er tun. „Vielleicht werde ich doch noch zwei Tage warten”, sagte er und wartete auf ihre Reaktion. Verwirrt schaute sie auf und fragte: „Was meinst du damit?” Er sah in ihre eisblauen Augen. „Zwei Tage... Noch zwei Tage”, meinte er wieder und drehte seinen Kopf wieder dem Wald zu. “Mehr nicht.” Sie schluckte, als sie verstand, nickte kurz und stand auf, um zu Can zu gehen. Auch sie hörte bereits den Wagen, der mittlerweile am Anfang des Waldweges zu seiner Höhle war. Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. „Versprich mir, dass du versuchst mit Michael klar zu kommen in diesen zwei Tagen. Wenn du im Morgengrauen des dritten Tages nicht hier bist, werde ich annehmen, dass ihr euch versteht und werde alleine verschwinden. Überlege dir gut, was du wählst: Ein Leben mit geregeltem Ablauf und Essen oder ein Leben mit kalten Nächten und Tagen, ohne Gewissheit zu überleben!”, flüsterte er und blickte sie an. Sie sah in seine schokoladenbraunen Augen, schob eigensinnig ihr Kinn vor und sagte: „Abgemacht, aber ich kenne meine Entscheidung bereits!” Wieder seufzte er. „Das hatte ich schon fast befürchtet”, murmelte er betroffen, grinste jedoch. Da sah er es bereits: Joannas alte Klapperkiste, die sie jedes Mal benutzte, wenn sie in den Wald fuhr. Can war erstaunt über das Aussehen des Autos. Das frühere Orange war nun mit einem knallroten Farblack übersprüht. Kaum, dass der Wagen gehalten hatte, sprang bereits Joanna heraus und stapfte auf Alexandra zu. Die hatte sich mittlerweile hinter ihrem Freund versteckt. Hinter dem lebhaften, kleinen Blondchen stieg nun auch ein weißhaariger, junger Mann aus. Michael folgte seiner Geliebten langsam und blieb direkt gegenüber von Can stehen. „Hallo Can”, begrüßte Michael sein gegenüber. Dieser gab nur ein Nicken zurück und wandte sich Joanna zu, die bereits ansetzte, Alexandra die Leviten zu lesen. Schnell schob er sich dazwischen und schaute die blondhaarige Frau an. Die warf ihm mit ihren grünbraunen Augen einen giftigen Blick zu. „Geh beiseite, Can! Du hast kein Recht, dich mir in den Weg zu stellen!”, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Can blickte in ihre Augen und meinte schließlich ruhig: „Du weißt genauso gut wie ich, dass ich dich nicht hätte informieren müssen, wo Alexandra steckt. Und du weißt ebenfalls, dass ich es getan habe, weil mir ihr Wohl am Herzen liegt.” Joanna schäumte bereits regelrecht vor Wut und brüllte anschließend: „Was du da sagst, ist völliger Schwachsinn! Du hast mich nur angerufen, weil du wusstest, dass Michael bereits seinen Freunden bescheid gegeben hatte! Du hast absolut kein Recht, sie auch nur ansatzweise zu berühren, geschweige denn anzusehen!!” Michael kam näher und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Dann legte er einen Arm um ihren Nacken und zog sie an seine Brust. „Um was ging es eigentlich schon wieder?”, fragte Can und starrte dabei in Michaels gelbe Augen. Als ob er es nicht schon wusste... Joanna seufzte. „Die alte Leier: ‚Michael ist ein blutrünstiges Monster!' oder ‚Er ist am Tod meiner Familie schuld!' und ‚Du solltest mit ihm kein Kind in die Welt setzen, es wird ebenfalls verflucht!' oder auch ‚Ich halte es hier nicht länger aus! Entweder geht er oder ich!' und so weiter und so fort!”, zitierte sie genervt. Jetzt mischte sich Michael auch noch mit ein: „Aber wenn ich so ein Monster bin, was bist dann du?” - Er grinste. – „Schließlich hast du dich oft genug vor ihren Augen in eben das Monster verwandelt, das ihre Eltern so kaltblütig ermordete. Ich dagegen bin noch nicht mal dazu in der Lage.” Can grinste. Ja, so ungefähr hatte er sich die diesmalige Szene gedacht (es lief schließlich ständig so). Gleich würde Alexandra noch einen Einspruch bringen, dann würde ein kurzzeitiger Streit losbrechen und er wieder der sein, der nachgab. Aber auf das ganze Prozedere hatte er heute keine Lust. Und auch für den Rest seines und Alexandras Lebens hatte er keinen Bock mehr darauf. Alexandra setzte bereits an, doch er fuhr ihr ins Wort: „Ich habe einen Vorschlag zu machen!” Michael und Joanna sahen ihn überrascht an. Dann wurden ihre Gesichter skeptisch und neugierig. Noch nie zuvor hatte ich an dieser Stelle das Wort ergriffen. Sie hatten also angebissen. Sehr gut. „Ich habe bereits mit Alexandra verhandelt. Sie hat mir versprochen, dass sie versucht mit Michael in den nächsten zwei Tagen klar zu kommen. Wenn sie es schafft, möchte ich bitte, dass sie mich regelmäßig besuchen kann. Jedes zweite Wochenende oder unter der Woche.” „Und weshalb gerade die Frist von zwei Tagen? Was, wenn es nicht klappt?”, fragte die Blondine nach. „Die Frist habe ich deshalb angesetzt, damit sie es sich gut überlegt. Wenn die beiden sich weiterhin streiten und am Morgen des dritten Tages noch alles beim Alten ist, werde ich von hier fortgehen... Und womöglich nie mehr wieder kommen. Aber das steht noch in den Sternen”, antwortete Can ruhig. Argwöhnisch schaute die blonde Frau zu ihm auf und ging auf ihn zu. „Wer versichert mir, dass du dann wirklich abhaust?”, wollte sie wissen. Ohne zu zögern zeigte der braune Wolf auf Michael. „Seine Freunde haben hier in der Nähe ein Lager aufgeschlagen. Sie werden Michael benachrichtigen und er dich.” „Und wenn es klappt, willst du sie jedes zweite Wochenende sehen?”, fragte jetzt Michael neugierig. Can nickte. „Ja, dafür aber von Freitag bis Sonntag, damit sie nicht andauernd abhauen muss, um mich zu sehen”, meinte er. „Die meiste Zeit werdet ihr weiterhin mit ihr haben.” Joanna und Michael schwiegen und schauten sich eine Weile stumm an. Dann murmelte das wilde Blondchen vor sich her und der Weishaarige lief hin und her. Sie überlegten alle beide - und das war gut so. Can hätte nicht damit gerechnet, dass sie ihn überhaupt aussprechen lassen würden. Aber sie haben ihm zugehört und überlegten sogar, ob sie sich auf diesen Deal einlassen könnten. Und Er war sich sicher, dass damit auch Alexandra geholfen war. Sie müsste nicht mehr vor Michael davon laufen, sie konnte jedes zweite Wochenende kommen. Aber es war doch noch nicht richtig. Es tat Can in der Seele weh, dass er diesen Vorschlag gemacht hatte. Doch plötzlich rief Alexandra dazwischen: „Moment mal! Habe ich hier etwa kein Mitspracherecht? Wenn ihr euch schon benehmt, wie ein geschiedenes Elternpaar, solltet ihr auch das Kind, um das es geht, einbeziehen! Außerdem bin ich alt genug! Ich will für mich bestimmen, wo ich hin gehe! Schließlich bin ich fast volljährig!” Alle sahen sie an, da sie hinter ihrem Freund hervor getreten war und zwischen den zwei Parteien stand. Can seufzte und legte eine Hand auf ihren Rücken. „Hör zu, Alex. Diese Abmachung ist das Beste. Für dich, für sie und für mich. Bei Joanna und Michael hast du ein eigenes Zimmer, Privatsphäre, elektronische Geräte, ein warmes Zuhause... Alles, was du hier nicht hast.” „Ich will aber bei dir bleiben!”, rief sie wieder und stampfte mit dem Fuß auf. Joanna packte ihren Schützling jetzt am Arm und zog sie genervt zum Auto. Als Alexandra protestierte, schrie die Blondine sie an: „Du hast Can gehört! Jetzt geh endlich ins Auto! Wie du bereits gesagt hast, bist du fast volljährig! Fast! Also, geh ins Auto!” Endlich ließ sich Alexandra ins Auto manövrieren und anschnallen. Bockig saß sie hinter dem Beifahrersitz und sah schmollend zum vorderen Fenster heraus, durch das sie die drei Erwachsenen beobachten konnte. „Geht klar, Can. Aber halte dich an deine Abmachung!”, meinte Joanna noch und setzte sich ebenfalls in den Wagen. Michael und Can standen sich noch gegenüber und schauten sich an. Sie wussten beide, dass Alexandras Beschuldigungen vollkommen berechtigt waren und das bekümmerte den braunen Wolf umso mehr. Denn er wusste, dass Michael auch sie verschlungen hätte - selbst heute würde er es noch gerne tun. „Nun denn, ich muss dann auch mal gehen! Ich hoffe, du hältst dich an dein eigenes Versprechen uns gegenüber”, sagte Michael und drehte sich zum Gehen um. Er war bereits einige Schritte von der Höhle weggegangen, doch noch immer in Hörweite. „Warte kurz!”, rief Can. Er hatte seine endgültige Entscheidung getroffen und wartete darauf, dass sich der weißhaarige Mann umdrehte. „Was ist noch, Can?”, fragte er. Mutig und stolz blickte Can auf. „Ich berufe mich auf den alten Vertrag!”, antwortete er mit ehrfürchtiger Stimme. Michaels Mund klappte auf, während er Can perplex anstarrte. „W... Was?”, fragte er stotternd. „Du hast mich schon richtig verstanden. Ich habe nicht die Absicht, es zu wiederholen.” „Und was ist mit Alexandra? Du hast ihr auch etwas versprochen. Willst du sie einfach so zurücklassen?”, wollte er wissen. Can nickte und ging auf Michael zu. „Sie wird dich dafür hassen!”, zischte er. „Sie wird dir das nie verzeihen können!” „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Aber auf jeden Fall wird sie von dir nichts mehr zu befürchten haben, wenn ich nicht mehr hier bin, um sie zu beschützen.” „Und wie stellst du dir das vor? Sie wird versuchen, zu dir zu kommen!” Can seufzte ungeduldig. „Du wirst doch wohl dazu in der Lage sein, sie drei Tage lang fest zuhalten. Deine Leute können sich dann hier breit machen, wenn sie wollen. Sie waren ja schon immer scharf auf diese Höhle.” „Was soll ich ihr erzählen? Dass du weg musstest, damit ich sie nicht zerfleische, oder was?”, wollte Michael wissen. Er knurrte schon fast. „Nein”, antwortete sein gegenüber. „Das überlass mir. Einverstanden?” Der braunhaarige streckte dem weißhaarigen Mann die Hand hin. Dieser nahm sie und schüttelte sie. Giftig blickten sie einander an. Dann ließen sie los und Michael lief zurück zum Wagen. Er stieg ein, schaute noch einmal zu Can und fuhr schließlich davon, nachdem er mit dem Auto umgewendet hatte. Kapitel 2: Das Rudel der Vergangenheit -------------------------------------- Can seufzte und ging zurück in die Höhle, die er nun bald verlassen würde. Bedrückt setzte er sich vor das Feuer und schaute hinein. Alexandras Blick ging ihm nicht mehr aus dem Sinn – dieser vorwurfsvolle und zugleich traurige Blick. ‚Womöglich hat sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt... Ich habe Michael bisher noch nie die Hand gegeben...’, dachte er sich und schloss die Augen. Er wusste, was er zu tun hatte und ihm blieb dafür nicht mehr viel Zeit. Langsam trottete er in eine dunkle Ecke und klappte einen Schrank auf. Gemächlich zog er seinen alten Leinensack heraus und schaute ihn an. Als Wolf konnte er ihn leicht tragen, wenn er mit der einen Vorderpfote durch die Trägerschlaufe ging. Dahinein packte er nun alle seine Klamotten: Zwei Pullover, zwei T-Shirts und zwei Jeans’. Mehr hatte er von Anfang an nicht gehabt und mehr benötigte er auch nicht. Die Jogginghosen, die Alexandra ihm immer wieder mitgebracht hatte, ließ er im Schrank. Michaels Leute würden sie zwar nicht anziehen, aber im Winter vielleicht schon. Anschließend lief er zu dem Schrank, in dem er die Brötchen aufbewahrte, und machte sich ein Brot mit Käse. Damit ging er zurück zum Feuer und ließ sich davor nieder, um zu überlegen, was er noch erledigen musste. Doch es war ihm nicht möglich, seine Gedanken zu bündeln. Immer wieder drifteten sie zu Alexandra, die vollkommen überrascht und verletzt mit ansehen musste, wie er Michael die Hand gegeben, mit ihm diskutiert und sich mit ihm unterhalten hatte. Er seufzte und biss wieder in sein Brot. Daran konnte er jetzt auch nichts mehr ändern. Wenn er je wieder kommen würde, würde sie ihn sicher hassen. Und das war dann ihr gutes Recht. Wieder stieß er Luft aus seinen Lungen aus und schaute betrübt ins Feuer. Er wusste, dass er ihr Herz brechen würde. Schließlich sah sie ihn nicht nur als einen Beschützer oder großen Bruder – was ihm wesentlich lieber gewesen wäre -, nein. Sie musste sich ausgerechnet in ihn verlieben. Er würde niemals auch nur annähernd in der Lage sein, ihr das zu geben, was sie wollte. Ein Mensch und ein Werwolf durften einfach nicht ineinander verliebt sein. „Na, am Trübsal blasen?“, fragte ein junger Mann vom Höhleneingang aus. Can seufzte, stand auf und warf ihm eine alte, kaputte Hose aus dem Schrank zu. Er war froh, dass er sie doch noch dagelassen hatte. „Zieh das an! Noch ist diese Höhle FKK-freie Zone, verstanden?“, meinte er und holte sich Stift und Papier aus einem Schubfach. „Ja, ja“, gab der Mann nur zurück, zog sich an und lief zu Can. „Was machst du da?“ „Einen Brief schreiben.“ „Oh, einen Abschiedsbrief für deine geliebte Alexandra?“, fragte er neckend. Genervt drehte Can sich zu ihm um. „Kannst du nicht jemanden anderen nerven, Chester?“, wollte er im Gegenzug wissen. Chester kicherte, ließ sich neben dem Höhlenbesitzer nieder und biss in dessen Brot. „Michael hat angerufen und gesagt, ich soll auf dich aufpassen. Du weißt schon, damit du auch keine weiteren Dummheiten anstellst und so“, meinte er. Can unterdrückte eine gehässige Bemerkung und setzte sich wieder ans Feuer. Dort fing er an, den Brief an Alexandra zu schreiben, in dem er ihr alles erklärte. Sie würde es schon verstehen – zumindest hoffte er das. Er musste nicht lange über den Text nachdenken, den er niederschrieb; er hatte das alles schon längst sagen wollen. Auch wenn Alexandra ihn dafür hassen würde, musste Can ohne sie weiterziehen. Er hatte sich schon zu lange an diesem Ort aufgehalten und manchmal hatte er das Gefühl, als riefe jemand seinen Namen in Neu- und Vollmondnächten. Es gab nur eine einzige Erklärung dafür. Doch er wollte nicht darüber nachdenken; es würde nur mehr Wunden, die längs verheilt waren – zumindest fast -, aufreißen. „Klingt ganz schön schnulzig, was du da so von dir gibst, Can!“, sagte eine andere Stimme über Cans Rücken hinweg und schmatzte. Tief atmete er ein und drehte sich mit zusammengekniffenen Augen um. „Was willst du hier, Max?“, fragte er genervt. In gespieltem Entsetzen riss Max seine Augen auf und klagte mit einer übertrieben, weinerlichen Stimme: „Aber Can! Wie kannst du nur so gefühlskalt sein? Schließlich waren wir doch einst die besten Freunde! Es verletzt mich, dass du nach all der Zeit so abweisend zu mir bist!“ Der Höhlenbesitzer funkelte den blonden Mann böse an und knurrte fast, als er sagte: „Da liegst du richtig. Wir waren einst Freunde. Anscheinend hast du unseren damaligen Abschied erfolgreich verdrängt!“ Max zuckte zurück und sein Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. „Dacht ich’s mir doch!“, zischte Can und widmete sich wieder dem Brief. Noch einmal las er sein beschriebenes Blatt durch: Liebe Alexandra, es tut mir leid, doch ich muss gehen. Ich weiß, wir hatten eine Abmachung und du wirst sicherlich nicht über meinen Vertrauensbruch hinwegkommen, so starrsinnig wie du bist. Falls du jetzt Angst um dein Leben durch Michael hast, so kann ich dich beruhigen. Er wird dir nichts tun und sich um dich und Joanna kümmern. Er hat sich durch sie verändert – und glaub’ mir, ich weiß, wovon ich rede. Zudem möchte ich dir noch folgendes sagen: Ich liebe dich als eine Schwester, fast schon wie eine Tochter. Doch die Art, wie du mich liebst, ist es nicht. Ich kann dir meine Liebe nicht schenken, weil ich dich nicht so sehe, wie du es gerne hättest: als eine Frau. Es tut mir leid. Doch die Liebe könnte ich nicht einmal wegen meiner Rasse zurückgeben. Werwölfe und Menschen dürfen sich nicht lieben. Du wirst dich sicherlich fragen, weshalb ich ohne dich weiterziehen muss, doch das ist eine alte, lange Geschichte, die du nicht verstehen würdest. Es gibt Aufgaben, Feinde und Dinge, die ich dir vorenthalten muss, damit du in Sicherheit bist. Vielleicht wirst du mich eines Tages verstehen und mir verzeihen können. Ich werde eventuell vorbei kommen – für ein paar Stunden, Tage, ... -, um zu sehen, wie es dir geht, wie du dich so machst. Wie du einen anderen Jungen verliebt ansiehst... Vielleicht werde ich sogar einmal die Zeit finden, dir wirklich alles über die Spezies Werwolf zu verraten. Schließlich gibt es da viel zu entdecken. ;) Aber das muss warten, bis du mir verzeihst... Auf jeden Fall wirst du mir fehlen. Ich vermisse dich jetzt schon, obwohl ich den Brief bereits nach unserer letzten Begegnung geschrieben habe. Leb wohl, Dein bester Freund Can Can seufzte. Die letzten zwei Absätze und die Schlussfloskel hatte er jetzt noch schnell hingeschrieben, um es endlich hinter sich zu haben. Anschließend stopfte er ihn in ein Kuvert und steckte ihn in seine Hosentasche. Dann holte er sich eine Decke, legte sich vors Feuer und schlief kurz darauf ein. Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen – und nicht weniger anstrengend war der Abend verlaufen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, tat er das nicht von alleine – auch wenn er unglaublich schlecht geträumt hatte –, denn eine wilde Keilerei war in seiner Höhle ausgebrochen. „Das ist mein Schlafplatz! Hast du verstanden?“ „So ein Blödsinn! Der gehört mir!“ „Gar nicht, keinem von euch beiden gehört er, sondern ganz allein mir!“ Noch ein paar Stimmen mischten sich ein und Can wusste bereits jetzt, dass sich Michaels ganzes Rudel bei ihm eingenistet hatte. Plötzlich traf etwas Cans Kopf. Verwirrt setzte er sich auf und schaute nach, was es war. Er hielt den Eisenbecher hoch, der jetzt eine Delle von seiner Stirn hatte. Er atmete tief ein und wieder traf etwas Hartes auf seinen Kopf. Langsam wandte er sich dem Radau zu und wurde wütend. Nicht nur, dass Max, Chester und Bryan mit Bechern und Tellern um sich warfen, nein! Sie hatten den Kühlschrank auch noch offen und warfen mit den wenigen Lebensmitteln um sich, die sich noch darin befanden. Can war damals sehr froh gewesen, als er den Kühlschrank durch eine Autobatterie betreiben konnte, doch im Moment hätte er ihn gerne da gelassen, wo er ihn her hatte: Auf dem Schrottplatz! Zudem standen noch fünf weitere, nackte Männer um sie herum und waren in eigene Streitereien verstrickt, ohne die anderen drei auch nur ansatzweise zurückzuhalten. Langsam stand Can auf. Hätte man seine Aura sehen können, hätte man sogar seine Mordlust gesehen. Er hätte alle acht Rudelmitglieder zu gerne verprügelt und im hohen Bogen aus der Höhle geworfen. Aber zuerst wollte er die friedlichste Methode probieren und holte deswegen tief Luft. „Ruhe!! Verdammt noch mal!“, brüllte er. Befriedigt sah er mit an, wie alle in ihren Bewegungen verharrten und ihn ansahen. Auf dem Boden waren sogar bis zum Eingang hin Lebensmittel und Geschirrteile verstreut. Noch einmal atmete er tief ein und lief zu Max, Chester und Bryan. Ihnen nahm er als erstes die Lebensmittel aus den Händen. Dann schickte er sie an die Wand. Dasselbe tat er mit den anderen; manche davon musste er nicht einmal dazu auffordern, sich in Bewegung zu setzen. Schließlich konnte er sich die Sauerei ansehen, die sie verursacht hatten. Es war sehr viel schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Alles war entweder verbogen, zerbrochen oder zerquetscht auf dem Boden verteilt. Can war zu entsetzt, um zu hören, wie sich die anderen aus dem Staub machten. Er bemerkte es erst, als er sich umdrehte, um sie noch einmal anzuschreien. Seine Wut verpuffte und er drehte sich um. „War ja klar“, murmelte er vor sich her, während er mit einem resignierenden Blick anfing, das Geschirr vom Boden aufzuheben. Dabei murmelte er immer wieder vor sich hin, dass er es sich hätte denken können, schließlich kenne er sie schon lange genug. Ein kleines, sanftes Tapsen vor dem Eingang machte Can stutzig. Er drehte sich um und sah einen kleinen, schwarz-weißen Wolf – seine Schulterhöhe war nicht größer als Cans, wenn er in Menschengestalt aufrecht da stand. Wolf war allerdings etwas untertrieben; das Tier hatte einen breiten Brustkorb – allerdings schmal gegenüber älteren –, lange Arme und etwas kürzere Hinterbeine, da sein Rumpf höher als sein Hinterteil war. Diesen Werwolf kannte Can sehr gut. Er war schon oft bei ihm gewesen und hielt sich im Gegensatz zu seinen Rudelmitgliedern ziemlich zurück. Bei den Keilereien, war er nicht einmal in der Nähe gewesen. Can wusste nicht, ob er wirklich Michaels Idealen folgen wollte oder nicht. Er hatte sich andere Möglichkeiten bereitgelegt, die er verfolgen könnte. Schon oft hatte er mit ihm darüber gesprochen. Der Ärger des Höhlenbesitzers war jetzt so gut wie verflogen und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Was gibt es heute, Lóme? Wieder ein Gespräch über deine Zukunft?“, fragte Can ihn und packte eine Jeans aus seiner Tasche, die wie durch ein Wunder heil geblieben war – die anderen Hosen lagen in Fetzen verteilt auf dem Boden herum – und warf sie zu seinen Besucher. Dieser hob sie mit der Schnauze auf und schlich sich auf leisen Sohlen in die Höhle. Dort verwandelte er sich in einen Jungen und zog sich die Hose an. Er sammelte ebenfalls den Müll auf dem Fußboden auf, ohne etwas zu sagen, während er sich Can näherte. Es dauerte einige Zeit, bis sie alles in Müllsäcken verstaut und zur Seite geräumt hatten. Dann machte Can wieder ein Feuer, vor dem er sich schließlich niederließ. Lóme setzte sich dazu. „Ich habe mich entschieden“, sagte er nach einer Weile und starrte ins aufflammende Feuer. „Und? Muss ich dir jetzt deine Versuche ausreden?“ „Nein“, antwortete der Junge. „Nicht, wenn du mich dabei haben willst. Wenn du nicht willst, dass ich mit dir gehe, dann sag’s ruhig. Dann geh’ ich meinen eigenen Weg.“ Can warf einen Blick zu seinem jungen Freund. Dann lächelte er, als er die Wehmut und Angst in den blau-schwarzen Augen sehen konnte. „Hast du schon mit Michael darüber gesprochen? Schließlich ist er dein Rudelführer.“ Lóme schnaubte, sagte dann aber: „Michael ist damit einverstanden. Er hat gesagt, dass er froh ist, wenn ich endlich weg bin. Alle haben das gesagt, nur weil ich manchmal vor mich hin träume und auch auf Alexandras Seite stand.“ „Spürst du sie noch?“, wollte Can jetzt von ihm wissen. Sein kleiner Freund schüttelte den Kopf. „Es ist schon seit Wochen schwächer geworden und als ihr den alten Vertrag geschlossen habt, hat er mich komplett verbannt.“ „Du kannst ihre Wolfsgestalt also nicht mehr spüren“, murmelte Can und grinste Lóme an. „Na dann, willkommen im Club! Du konntest dich an diese Situation ja langsam gewöhnen, mich hat mein damaliger Rudelführer ohne Vorwarnung rausgeworfen. War ganz schön schwer, anfangs damit zu recht zu kommen. Aber mit der Zeit hat sich alles eingerenkt.“ Lóme schaute Can neugierig an. „Wie war das damals eigentlich? Weshalb hat dich dein Rudelführer rausgeworfen? Warst du nicht mal mit Michael in einem Rudel?“, fragte der junge Wolf den Höhlenbesitzer. Der grinste ihn nur noch breiter an und antwortete: „Ha! Ich war sogar mal sein Vorgesetzter!“ Dann seufzte er und warf ein Holzscheit ins Feuer. „Aber das ist jetzt auch schon über zehn Jahre her.“ „Du warst sein Vorgesetzter?“, fragte Lóme ungläubig. „Was ist passiert? Wie kam es, dass du rausgeschmissen wurdest?“ Can seufzte wieder und stützte seinen Kopf auf seinem Arm ab. Müde schaute er seinen jungen Freund an. Er wusste nicht, ob er es ihm erzählen konnte oder sollte – aber was hatte er schon zu verlieren? Sie würden in Zukunft zusammen sein, also konnte er es ihm genauso gut auch erzählen. „Weißt du, das ist wirklich eine alte Geschichte. Damals schien alles noch einfacher zu sein“, meinte Can seufzend und schaute ins Feuer. „Du weißt, dass Werwölfe eine unbegrenzt lange Lebenszeit haben, solange sie nicht lebensgefährlich verletzt oder gar getötet werden, und dass sie ab einem bestimmten, persönlichen Alter aufhören älter zu werden, oder?“ Er schaute zu Lóme, der ihm mit einem Nicken antwortete. „Ich war damals schon seit vielen Jahren unter der Führung des Alphawolfes Galahad, der durch die Größe seines Rudels gefürchtet war, und hatte meinen Rang als einer der Top-Fünf mit harter Arbeit und Stärke erlangt. Eigentlich hätte Michael dieser Rang zuteil werden sollen, da er der Ältere von uns beiden war. Allerdings war ich stärker als er und bekam so die Stellung. Er war unglaublich wütend auf mich.“ Ein Lächeln schlich sich auf Cans Gesicht, als er an die damalige Zeit zurück dachte. Es waren tolle Jahre dabei gewesen, die er mit dem Rudel zusammen verbracht hatte. Er wandte sich seinem Zuhörer zu. „Wusstest du eigentlich, dass Michaels Rudel eigentlich Galahads ist? Alle Mitglieder seines Rudels sind jetzt bei diesem schnöseligen weißen Werwolf.“ „Aber wie ist das passiert? Wieso bist du jetzt hier und nicht bei Michael?“, fragte der Junge. Can ließ seinen Blick durch seine Höhle wandern und starrte ins Feuer. „Es war vor zehn Jahren und zehn Tagen, als Galahad zu einer kleinen Exkursion mit vier seiner Männer auszog. Mich ließ er zurück und gab mir die Befehlsgewalt. Ich legte das strikte Verbot aus, keine Menschen zu töten. Unser Rudelführer hatte es zwar bereits getan, doch ich wusste, dass Michael immer wieder schummelte, schließlich gab er vor mir immer damit an. Und wenn ich es Galahad sagte, meinte der nur, ich sei zu sehr in dieser Vision eines mordfreien Lebens unter den Menschen verfahren. Man könnte eben nicht dem zarten Fleisch eines Menschen widerstehen, wenn man lange nichts gefressen hatte.“ Ein Seufzer entfuhr ihm und er warf wieder ein Holzstück ins Feuer. „Galahad brach also auf, um zu sehen, ob er sein Territorium erweitern könnte. Ich gab den anderen Werwölfen die Anweisung, keine Menschen zu töten. Auch wenn sich nicht viele in die Berge verirrten, wusste ich von einer Hütte, in der ab und zu mal ein paar Menschen wohnten, wenn auch nur für ein paar Tage oder Wochen. Auch Michael wusste davon und er wusste, dass damals eine kleine Familie in dieser Hütte hauste.“ Knurrend wandte er seinen Blick ab. Wenn Can daran zurück dachte, könnte er Michael noch immer die Kehle durch beißen und seinen Körper in ätzende Lauge legen. Neugierig schaute Lóme ihn an. „Was passierte?“, fragte er nach. „Michael nutzte Galahads Abwesenheit aus und brachte die anderen Rudelmitglieder dazu, mich ebenfalls zu hassen.“ Can schaute den jungen Mann wieder an. Ein sarkastisches und zugleich wütendes Lächeln trat auf sein Gesicht. „Er hatte die Überhand gewonnen und ich konnte nichts dagegen tun. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hatte, sie zu überreden, aber er hatte es geschafft. Galahad war bereits drei Tage weg, als Michael seinen Anschlag auf mich verübte.“ „Er hat einen Anschlag auf dich verübt?“, wollte Lóme mit einem entsetzten Gesichtsausdruck wissen. „Ist das dein Ernst?“ Can schnaubte. „Glaube mir. Er hat mich in eine dunkle Ecke gelockt, weil er angeblich mit mir reden wollte. Vertrauensselig und naiv wie ich war, folgte ich ihm und fand mich am Ende hinter einem Felsen eingesperrt wieder. Zuvor hatte er mich mit ein paar anderen Wölfen in die Ecke getrieben und von oben haben sie dann loses Geröll nach mir geschmissen, das sie in ihrer Werwolfsgestalt herum schieben konnten. Ich konnte einigen ausweichen, aber dann traf mich ein ziemlich großer Brocken am Kopf und ich wurde bewusstlos.“ Wieder erfuhr er dieselben Gefühle wie damals. Die Machtlosigkeit, die er in diesem Moment verspürt hatte, und die Schuldgefühle, die ihn heute umso mehr plagten, die Angst, um die Menschen, der Hass auf das Rudel, für das er verantwortlich gewesen war und das Gefühl des Verrats, als er Galahad wieder gegenüber treten musste. Er spürte den Blick des schwarz-weiß Haarigen und erzählte weiter, während er seinen Blick weiter auf die Flammen richtete: „Kurz darauf kam ich wieder zum Bewusstsein, aber nicht, weil ich mich von dem Schlag erholt hatte.“ – Ein Schauder durchfuhr ihn. – „Die Schreie der Menschen brachten mich zurück und so schnell ich konnte, rannte ich zu Michael. So schnell ich konnte, wollte ich ihm diese Gräueltat büßen lassen. Doch, wie du siehst, bin ich nicht dazu gekommen.“ „Waren das... Alexandras Eltern? Wieso konntest du ihm das nicht heimzahlen?“, fragte Lóme wütend und sprang auf. Aufgeregt lief er in der Höhle auf und ab. Niedergeschlagen ließ Can seinen Kopf hängen und lächelte doch leicht vor sich hin. „Weil Galahad plötzlich vor mir auftauchte und ein lautes Heulen von sich gab.“ Die Schritte stoppten. „Dieses Heulen gab uns den Befehl, ihm zu folgen und uns zu versammeln. Er konnte die Wut in mir spüren, als ich Michael wieder sah. Ein breites Grinsen kam auf sein Gesicht, als er mich sah und ich stürzte mich voll Hass und Wut auf ihn. Der Alphawolf setzte dem ein Ende, indem er uns zur Ruhe rief und mich vortreten ließ, um meine Beweggründe vorzubringen. Das tat ich auch. Aber er hätte ruhig anders reagieren können.“ Ein Plumpsen war zu hören und wieder saßen sie zu zweit vor dem Feuer. „Er gab mir die Schuld an dem Verrat, dem ich zum Opfer gefallen war und dass zwei Menschen nun tot in einer Hütte lagen. Und dem konnte ich wirklich nichts entgegen bringen. Ich war schwach gewesen und naiv. Ich hatte mich von Michael und den anderen Rudelmitgliedern an der Nase herumführen lassen. Dass ich deswegen allerdings diese Strafe erhalten würde, hätte ich nicht gedacht.“ Can schaute an die Höhlendecke, schloss seine Augen und blickte dann zurück ins Feuer. Wehmütig fuhr er fort: „Ich hatte keine Ahnung, was dieses plötzliche Gefühl der Leere in mir war, bis ich Galahad nicht mehr verstand. Seine Worte in der Werwolfsgestalt waren für mich plötzlich wie eine andere Sprache, die mir völlig fremd war. Er sah mich mit seinen leuchtend roten Augen an und plötzlich verstand ich, was er getan hatte. Ich war geschockt und fühlte mich so verraten.“ Er knirschte mit den Zähnen und ballte seine Hände zu Fäusten. Kapitel 3: Aufbruch ------------------- Geschockt starrte Lóme ins Feuer, während Can aufstand und zu einer Höhlenwand lief. Noch immer zitterte er. Als er vor der Wand stand, holte er weit aus und schlug mit voller Kraft zu. Die Höhle erzitterte und einige Steinchen fielen von der Decke auf den Boden. Zu gerne würde Can seine Wut an demjenigen auslassen, dem er sie zu verdanken hatte. Als es wieder mucksmäuschenstill war, seufzte Can laut auf und setzte sich zu Lóme, der sich noch immer nicht weiter bewegt hatte. Der Höhlenbesitzer klopfte ihm auf die Schulter. Das brachte den Ausschlag. „Ich verstehe es nicht!“, platzte es aus Lóme heraus. „Du hast doch gegen kein Gesetz verstoßen! Du wurdest doch herein gelegt! Warum wird dann nicht Michael bestraft, sondern du? War Galahad nicht an der Durchsetzung seiner eigenen Gesetze interessiert? Wieso wurdest du verbannt, aber nicht er?“ Lóme schrie fast, als er all die Fragen, die ihm im Kopf herum gingen aussprach. Can seufzte wieder und blickte zurück ins Feuer. „Galahad fand, dass ich zu schwach war. Wäre ich stärker gewesen, wäre ich dazu in der Lage gewesen, Michael und seine Verschwörung aufzuhalten und das Gesetz durchzusetzen. Aber ich war nicht stark, sondern naiv. Dass Michael so eine Verschwörung gelungen war, imponierte Galahad, also verbannte er mich, denjenigen, der zu so etwas nicht in der Lage gewesen wäre. Er sah das mit den Gesetzen nicht so wie ich. Es war ihm egal, ob wir jetzt Menschenfleisch aßen oder nicht, solange es nicht zu sehr ausartete und wir entdeckt wurden. Es herrschte einfach eine große Hungersnot damals“, erklärte der Höhlenbesitzer seinem jungen Freund. „Und warum vertraust du diesem Scheusal jetzt auch noch Alexandra an? Er wird sie umbringen! Selbst dieser alte Vertrag wird ihr nicht helfen!“, flüsterte Lóme mit einer niedergeschlagenen Stimme. Er hatte seinen Kopf gesenkt, doch Can konnte sich vorstellen, dass ihm die Tränen in den Augen standen. Deshalb antwortete er ruhig: „Ganz einfach. Der alte Vertrag basiert auf einer uralten Legende, die von jedem Werwolf, mag er auch noch so stark oder schwach sein, akzeptiert und respektiert wird. Jeder von uns hält sich an diesen Vertrag, leider wissen nur wenige Rudelführer von dieser Abmachung. Der alte Vertrag ist bindend, er ist nicht schriftlich festgelegt, und doch hält sich jeder an diese Abmachung, die mit einem einfachen Handschlag schon besiegelt ist.“ Lóme warf Can einen verwirrten Blick zu. Die Tränen in seinen Augen waren bereits an seinen Wangen entlang gerollt. „Im alten Vertrag ist festgelegt, dass er nur zwischen einer Partei, die für Menschen ist, also den ‚Ningen sonchô ôkami’, und einer, die gegen Menschen ist, den ‚Hi jindôtekina ôkami’, abgeschlossen werden darf. Darin geht es um den Schutz der Leute, die zwischen diese Parteien geraten. Um ihnen auch wirklich die besten Überlebenschancen zu geben, gibt es genau zwei Punkte, an die sich die Vertragspartner halten müssen.“ Can schaute zu dem Jungen. „Erstens, der Werwolf, der gegen die Menschen ist, darf ihnen nichts zuleide tun. Zweitens, der Werwolf, der für die Menschen ist, muss das Gebiet, in dem sich der ‚Hi jindôtekina ôkami’ und die Menschen aufhalten, verlassen. Wenn er die Menschen wiedersehen will, muss mit diesem Werwolf ein Termin ausgemacht werden, oder zumindest bescheid gegeben werden. Wenn sie sich bei einem Treffen wieder die Hand geben, ist der alte Vertrag gelöst. Sobald sich einer der beiden Teilnehmer nicht an die Abmachung hält, ist sein Leben verwirkt und er stirbt auf eine qualvolle Weise an Ort und Stelle durch einen Zauber, der an diesem Vertrag haftet.“ Der junge Werwolf schluckte und zu zweit starrten sie in die Flammen, die immer wieder aufzüngelten. Beide hingen sie ihren Gedanken hinterher, während sich der Himmel vor der Höhle verdunkelte. Es war bereits spät und zudem zogen einige dunkle Wolken auf. Ein weiterer Schneesturm würde hereinbrechen und viele Wege unpassierbar machen – für Menschen. Can atmete auf, als er die ersten dicken Flocken sah. So würde es Alexandra recht schwer fallen, zu ihm zu kommen und ihn am Gehen zu hindern, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass Michael ihr das Entkommen schwer machen würde. Er stand auf und holte noch ein paar Holzscheite zum Feuer, damit es nicht ausging. Er warf ein Scheit in die Flammen, während er nachdenklich nach draußen sah. Nie wieder würde er Alexandra einfach so sehen können. Sie würde ihn vergessen und sich nicht wieder an ihn erinnern – er hatte nicht vor noch einmal wieder zu kommen. Höchstens einmal im Jahr melden – Weihnachten womöglich. Er wollte sie nicht an ihn erinnern, nicht an diese Situation. „Wann brechen wir auf?“, fragte Lóme, als es draußen bereits stockdunkel war. Seufzend schaute Can zu seinem jungen Freund. „Ich werde mit Michael reden. Ich will nicht auf diesen verhängnisvollen Tag warten, um dann ihr Herz zu brechen“, antwortete er. „Ich schätze, wir werden morgen schon aufbrechen, um rechtzeitig aus dem Land zu kommen.“ „Verstehe“, war die einzige Antwort, die Lóme von sich gab. Beide legten sie sich vor dem Feuer hin und hingen ihren Gedanken weiter hinterher. Can war sehr damit beschäftigt zu überlegen, wohin sie jetzt gehen sollten. Es gab ein kleines Dorf, in dem jemand lebte, den er kannte. Doch er wusste nicht mehr, ob er es noch tat. Außerdem musste er einige Antworten auf ein paar Fragen bekommen und die bekam er nur hoch oben im Norden, wo es jeden Tag finster war und nur der Mond und die Sterne den Weg beleuchteten – seine alte Heimat. Mit einem kleinen Lächeln auf seinem Gesicht, schlief Can schließlich ein. Die Gedanken an seine Familie ließen ihn träumen, wie er es schon seit langer Zeit nicht mehr getan hatte. Schon früh erwachte Can wieder und hörte ein paar Spatzen in den Bäumen singen. Die Sonne ging gerade auf und es schien, als würde es ein recht schöner Tag werden. Schnee lag meterhoch und versperrte Wege und Pfade. Niemand würde so den Weg in den Wald wagen – nur ein paar Werwölfe. Er hörte schon von weit her das Hecheln der fünf Riesen, bevor sie überhaupt in einem Umkreis von drei Kilometern waren. Vorsichtig rüttelte er an seinem jungen Freund, der noch immer tief und fest schlief. Langsam erhob sich Lóme und schaute seinen neuen Rudelführer müde an. „Was ist los?“, fragte er verschlafen. Can schaute zum Höhleneingang. „Michael kommt vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Komm, wir werden es ihm sofort sagen“, antwortete er und stand auf. Sofort war Lóme hellwach, stand bereits kerzengerade da und sah ebenfalls hinaus in den Wald. Kurz darauf konnten die beiden bereits den Geruch der Verwandlung wittern und sahen schließlich einem nackten Michael entgegen. Ein kurzes Grinsen schlich sich auf Cans Gesicht und eine gehässige Bemerkung lag ihm bereits auf der Zunge, doch er unterdrückte sie und sah sein gegenüber ernst ins Gesicht. „Was denn? Keine Bemerkung über meinen Aufzug und das Wetter?“, fragte Michael bissig und fing an zu zittern. Doch statt zu antworten warf Can ihm eine Decke zu und bat ihn mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Skeptisch schaute der Weißhaarige den Braunhaarigen an, tat jedoch, worum man ihn bat. Als er schließlich saß, zog Can den Brief für Alexandra heraus, schrieb noch etwas darauf und überreichte ihn Michael. „Gib das hier Alexandra, es ist ein Abschiedsbrief“, sagte Can. „Ich und Lóme werden sofort aufbrechen, um den alten Vertrag nicht unnötig zu strapazieren und unnötige Gefahren einzugehen. Ich kann schließlich nicht ganz sicher sein, dass du Alex selbst bei diesem Wetter einsperren kannst!“ Michael nickte. „Sie ist ziemlich aufgeregt und geht hin und her, als würde sie wissen, was du vorhast. Aber das soll ja unseren Vertrag nicht beeinträchtigen, nicht wahr?“, meinte er und schaute Can aufmerksam an. Dieser schüttelte den Kopf und schaute zum Höhleneingang. „Dein Rudel kann sich jetzt hier einnisten. Im Winter ist es recht kühl, deswegen sollten sie dafür sorgen, dass das Feuer nicht ausgeht. Im Sommer ist es angenehm kühl für sie. Sie sollten also keinerlei Probleme haben. Falls sie in Menschengestalt herumlaufen, habe ich für sie ein paar alte Hosen in einen der Schränke geräumt“, sagte er. „Ich danke dir, Can.“ Er schaute wieder zurück zu seinem Vertragspartner. „Ich tue das nicht für dich, sondern weil ich Alexandra nicht weiter beschützen kann. Sie ist mir sehr wichtig und ich will nicht, dass sie am Ende wegen mir Probleme bekommt.“ – Can blickte zur Seite. – „Auch wenn es dazu schon fast zu spät ist.“ Schnell schüttelte er den Kopf, lief zum Eingang der Höhle, zog sich die Hose aus und fing an, sich zu verwandeln. Er fühlte das Reißen seiner Haut und hatte das Gefühl, dass er auseinander gezogen wurde. Sein Körper verformte sich vor Michaels und Lómes Augen, während er selbst die Augen schloss und bereits nach nur einer Sekunde verwandelt vor den anderen stand. Wartend sah er Lóme mit seinen braunen Augen an, während dieser nun zu Michael blickte. „Ich werde nun meinen eigenen Weg beschreiten“, sagte er nur, zog sich ebenfalls die Hose aus und verwandelte sich. Can rannte los, als er Lóme in Werwolfsgestalt sah und warf keinen Blick mehr zurück zu seiner Höhle. Falls er jemals zurück kommen sollte, würde sie nicht mehr dieselbe sein und er wollte sie nicht mehr so in Erinnerung behalten. Er wollte für immer die Bilder mit Alexandra in seinem Herzen tragen, die diese Höhle so gemütlich gemacht hatten. Nachdem sie ein paar Stunden gerannt waren, blieben sie stehen und schauten zurück. Can stieß einen kleinen Seufzer aus, während Lóme traurig zu seinem Rudelführer blickte. „Was nun?“, fragte der junge Werwolf Can. Seufzend drehte sich dieser wieder um und lief ein paar Schritte voraus. „Wir sollten jetzt weiter in den Norden laufen“, antwortete er und blickte nach vorne. „Ich habe einige Dinge aufgeschoben, die ich endlich erledigen muss.“ „Was für Dinge?“, wollte Lóme wissen. Can lief gemütlich weiter und achtete darauf, nicht zu viele Spuren zu hinterlassen. Er wollte nicht unbedingt von einem Jäger verfolgt werden, während er auf dem Weg in seine alte Heimat war. „Ach, das siehst du dann schon, Ló“, meinte Can und grinste ihn etwas an. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber zuerst einmal müssen wir noch einem alten Freund von mir einen Besuch abstatten!“ Rätselnd legte Lóme seinen Kopf schief und schaute Can hinterher, der gemütlich weiter lief. Der junge Werwolf lief ihm hinterher, wobei er versuchte, in Cans Fußstapfen zu laufen. Er würde schließlich seine Gründe haben, solche riesigen Schritte zu machen. Sie liefen und liefen, während Lóme sich nervös umschaute. Irgendwie hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Ab und zu dachte er auch, etwas zu hören. Das Rascheln eines Busches oder das Fußstapfen eines anderen Werwolfes. Er schluckte und schaute nach vorne. „Du... Can... Ich hab das Gefühl, wir werden verfolgt!“, flüsterte Lóme Can zu und schaute sich weiter um. Dieser antwortete ganz ruhig: „Keine Panik. Sie wollen uns nichts böses, doch sie wissen noch nicht, wie sie uns einschätzen sollen. Sei einfach vorsichtig und lass dir deine Angst nicht zu sehr anmerken. Sie sind nicht gefährlich.“ Der Junge schluckte. Can war sicherlich erfahrener als er, aber seine Angst konnte er nicht einfach so abschalten. Er war bisher noch nie anderen Werwölfen begegnet und er war auch noch nie weiter von Zuhause weggegangen. Er war zum ersten Mal auf einer Reise über die Landesgrenze. Aber er war mit einem erfahrenen Werwolf unterwegs, das konnte nur gut sein. Plötzlich blieb Can stehen, lief aber sicherheitshalber noch einen Schritt vor, da Lóme fast auf ihn drauf gelaufen wäre. Verwundert blickte er nach vorne. Zwei große, dunkelbraune Werwölfe standen vor ihnen, allerdings in einem gemäßigten Abstand. Einer von ihnen verwandelte sich in einen Wolf. Can tat es ihm gleich. „Wer seid ihr?“, fragte der dunkelbraune Wolf. Can trat einen Schritt nach vorne. „Mein Name ist Can. Der Werwolf hinter mir ist mein junger Freund Lóme und ihr?“, antwortete der Rudelführer. „Can?“, wollte der andere Wolf neugierig wissen. „Diesen Namen habe ich schon einmal gehört! Woher kommst du?“ Er lächelte und trat noch weiter vor. „Komm schon, Marie. Du weißt genau, dass ich in den letzten Jahrhunderten im Süden des Landes gelebt habe, aber eigentlich aus dem Norden komme“, meinte Can und verwandelte sich in einen Menschen. Der Wolf gegenüber bekam große Augen und drehte sich um. „CAN! Verwandle dich wieder zurück!“, rief sie und legte die Pfoten auf den Kopf. Natürlich kam er ihrer Bitte nach und hatte ein breites Grinsen im Gesicht hängen. „Dürfte ich nun mit meiner lieben Schwester reden, Cousinchen?“, fragte Can. Marie schaute ihn mit einem traurigen Blick an. „Ich kann dich leider nicht zu ihr bringen.“ – Ein kleines Lachen entfuhr ihr. – „So gesehen ist es ganz praktisch, dass du vorbei gekommen bist. Da kannst du dein Leben für deine Schwester aufopfern!“, antwortete sie. „Was? Wo ist Keha? Was ist passiert?“, fragte Can aufgeregt und stellte sich vor seiner jüngeren Cousine auf. Sie hatten sich schon einige Zeit lang nicht mehr gesehen, trotzdem hatten sich beide anhand der Farbkennzeichnung und des Geruches wiedererkannt. Eigentlich wollte Can hier nur einen kurzen Zwischenstopp machen. Seine kleine Schwester besuchen und nachfragen, wie es Zuhause so lief. Doch dass Keha in Gefahr schweben könnte, hätte er niemals angenommen. Traurig blickte Marie ihn an. „Hunter hat sie erwischt, als wir auf Jagd waren“, antwortete sie. „H... Hunter? Willst du mich verarschen?“, wollte der hellbraune Wolf fast schreiend wissen. „Sie könnte niemals dem Jäger in die Hände fallen, der schon seit Jahren nach uns Werwölfen jagt! Wieso habt ihr nicht besser aufgepasst? Warum habt ihr sie nicht verteidigt? Warum habt ihr Keha nicht schon befreit?“ Auf einmal hatte er eine riesige Pranke auf seiner Schulter liegen. „Can, beruhig dich. Sie haben sicherlich ihre Gründe!“, meinte Lóme zu seinem Rudelführer. Der junge Werwolf wurde von dem dunklen Wolf skeptisch gemustert. „Dein kleiner Freund hat Recht, Can. Wir wollten ihr ja helfen, doch sie hat uns befohlen zurück zu bleiben, als wir sie in einer Nacht retten wollen. Sie hat gesagt, dass ihr Retter bald käme. Ich schätze, sie meinte dich damit.“ Can knurrte und rannte an den Wölfen vorbei. „Ich kümmere mich sofort darum! Nimm Lóme mit und seid nett zu ihm!“, rief er ihnen noch zu und verschwand in dem Schnee, den er mit seinen Pfoten aufgewirbelt hatte. „Verdammtes Balg!“, knurrte Marie und blitzte Lóme an, der zurück zuckte. Sie gab ihrem Begleiter einen Befehl und lief voraus. Der Junge schluckte, schaute in die Richtung, in die Can verschwunden war und folgte dem seltsamen Paar. Er konnte nur hoffen, dass ihm nichts geschehen würde. ----------------------- Tut mir leid, dass es so lang gedauert hat ^^; Und dann auch noch so kurz >.< Sorry. Aber ich werde mich für das Vierte mehr anstrengen ^^ Kapitel 4: Auf zur Rettung -------------------------- Versteckt hinter ein paar Büschen schaute Can zu der Holzhütte hinab, in der sich seine Schwester befand. Tief in ihm konnte er ein Knurren hören, dass er zu gerne dem Menschen entgegen gebracht hätte, der schon so viele Leben auf dem Gewissen hatte. Wütend lief Can hin und her, wobei er die Bärenfallen umging, die der Jäger um sein Haus herum ausgelegt hatte. Wäre vorhin nicht ein aufgescheuchter Hase in eine seiner Fallen getappt, wäre auch der Wolf hinein geraten. Zu gerne würde er einfach in diese Hütte dort rennen und dem Jäger eine Lektion erteilen. Doch das konnte er nicht Hals über Kopf tun. Erst einmal musste er herausfinden, ob Keha noch lebte. Can setzte sich hinter einen Busch hin und atmete tief durch. Er musste sich unbedingt wieder beruhigen, einen klaren Kopf bekommen. Sein nächster Gedanke galt der Aufspürung seiner Schwester, die er lieber lebend wieder sehen wollte – nicht als Dekoration auf dem Boden oder an der Wand. Heulen konnte er ausschließen – das würde der Jäger hören und dann wüsste er, dass ein weiterer Wolf in der Nähe war. Aber was für eine Möglichkeit hatte er sonst noch? Keha war nicht in seinem Rudel, so dass die rudelinterne Sprache, die sowieso zu laut wäre, funktionieren würde. Doch was sonst blieb einem Werwolf noch als Kommunikationsmittel übrig? Can legte seinen Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Langsam war es dunkel geworden und einzelne Sterne blinkten durch die Wolken. Auch der Mond ließ sich kurzzeitig blicken und warf sein weißes Licht zu Boden. Es war Vollmond, was ihn nur zum Seufzen brachte und den Kopf wieder senken ließ. Als er die Hütte wieder ansah, hatte er plötzlich eine Idee. Schnell blickte er zum Himmel und wieder zurück zu dem Haus und das einige Male hin und her. Sein vor Erstaunen offenstehender Mund wurde zu einem breiten Grinsen. Er hatte des Rätsels Lösung gefunden! Er konnte seine Schwester erreichen und das so einfach, dass er schon viel früher darauf hätte kommen können. Langsam schloss er die Augen und konzentrierte sich auf Keha. Darauf, wie ihr Wesen war und wie sie aussah – vor allem jedoch auf ihre Eltern, ihre Abstammung und ihre Fähigkeiten. Die Fähigkeit, Botschaften in Träumen zu senden und auch untereinander, wenn man wach war. Dies war besonders in Voll- und Neumondnächten am effektivsten, da beide die Kinder der Mondhüter waren. Schon so lange hatte er nicht mehr darauf zurückgegriffen und hoffte, dass es nun klappen würde. Noch einmal atmete er tief ein und rief den Namen seiner Schwester: »Keha! Hörst du mich?« Vorsichtig spitzte der hellbraune seine Augen und hatte schon Angst, er hätte es verlernt. Doch da hörte er die Antwort seiner Schwester: »Can?« Erleichtert seufzte er und lächelte. »Ja, ich bin’s«, gab er zurück und konnte sich nur zu gut vorstellen, wie überrascht sie aussehen musste. »Was zur Hölle machst du hier? Wo bist du überhaupt? Wie kommst du darauf, mich zu belästigen? Wo warst du die ganze Zeit?«, fragte sie schnell und verhaspelte sich fast bei ihren gedachten Worten. Er öffnete seine Augen und blickte auf die Hütte hinab. »Ich bin hier um dich von Hunter zu befreien. Mehr gibt es im Moment nicht zu wissen. Wenn du mehr wissen willst, werde ich es nach deiner Rettung tun«, meinte ich und stand auf. »Wo bist du?« »Can! Was hast du vor? Du hast doch nen Vogel, wenn du mich retten willst!« »Das überlass mal mir. Also! Wo steckst du?« Er konnte ein Seufzen von ihr hören und schließlich ihre Worte vernehmen: »Ich sitze auf dem Dachboden fest, habe den Vollmond im Blick und werde von einem Hund bewacht!« »Danke für die Auskunft!«, sagte Can und rannte zur Hütte hinunter. Er hörte noch, wie Keha ihn warnen wollte und zwang, stehen zu bleiben. Doch er hörte nicht auf sie – er wollte einfach seine Schwester wiedersehen. Ein paar Fallen schnappten nach ihn, als er dem Haus näher kam und er hörte bereits einiges an Lärm vom Inneren der Hütte. Der Hund bellte und knurrte, während der Wolf immer näher darauf zu rannte. Hunter kommandierte seinen Hund herum und rannte aufgeregt vor dem hell erleuchteten Fenster herum. Can fletschte mit den Zähnen und sprang durch ein Fenster hindurch. Der Jäger brüllte am Spieß und ließ einen Schuss los. Dieser streifte den Hellbraunen, der kurz stehen blieb, Mensch und Hund anknurrte und schließlich weiter die Stufen zu den oberen Stockwerken hinauf rannte. Hastig eilte er weiter die Treppe zum Dachboden hinauf und knallte die Tür mit der Schulter zu. Schnell verwandelte er sich in einen Menschen, zog einen Schrank vor den Eingang zum Dachboden und lief schließlich zum Käfig seiner Schwester. Keha schaute ihn mit großen, ängstlichen Augen an. Ihr Blick fiel auf seine Schulter, in der ein Loch zu sehen war. „C... Can! Was hast du gemacht?“, fragte sie stotternd und richtete sich auf. Ihr Bruder grinste nur, kniete sich vor ihr hin und machte sich am Schloss des Käfigs zu schaffen. „Simples Eisenschloss, schon ziemlich rostig“, murmelte er vor sich hin und rüttelte daran herum. „Ha! Einfacher hätten sie mir das nicht machen können!“ Ein Klicken war vom Schloss zu hören und Can hielt es grinsend in die Höhe. Er öffnete die Käfigtür und hielt sie seiner Schwester auf. Sie sah ihn nur skeptisch an und beobachtete, wie er sich wieder in einen Wolf zurück verwandelte. An der Tür konnte man viel Geklapper und Rufe hören. Womöglich hatte der Jäger endlich gemerkt, dass Can von Anfang an nur auf den Dachboden wollte, um seine Schwester zu retten. „Wie wollen wir hier jetzt wieder raus kommen, Can?“, fragte sie ihn und schaute sich unruhig im Raum um. Noch immer lag ein Grinsen auf seinem Gesicht und er sah sie an. „Ab durch die Mitte!“, antwortete er. „Wir verstecken uns hinter der Kiste neben der Tür und stürmen hinaus, sobald die beiden Idioten in diesem Raum sind.“ Skeptisch und unsicher blickte Keha ihren Bruder an. „Bist du sicher?“ Er nickte nur und kauerte sich bereits hinter der Kiste, die direkt neben der Dachbodentür stand, zusammen. Seine Schwester kam zu ihm und tat es ihm gleich. Sie konnten hören, wie Hunter sich mit viel Anlauf gegen die Tür warf und diese immer wieder ein Stück weiter öffnete. Der Hellbraune wandte sich schnell noch einmal an seine Schwester und flüsterte ihr hastig etwas zu: „Wenn die Tür offen ist, rennst du sofort raus. Unten ist ein Fenster kaputt. Da springst du raus und rennst sofort in den Wald, den Hügel hoch. Pass auf die Fallen auf. Ich hab so ziemlich alle aufgedeckt und umkreist. Du drehst dich nicht um, egal was du hörst und rennst so schnell du kannst zu deiner Höhle zurück, verstanden? Ich bin immer einen Schritt hinter dir!“ Sie blickte ihn unsicher an, schluckte jedoch und nickte. Was blieb ihr schon anderes übrig, als ihrem Bruder in dieser Situation zu vertrauen? Sie wusste, dass er damit schon öfters Erfahrung gemacht hatte – zu oft, wie wohl ihre Eltern sagen würden. Aber es hatte ihm immerhin genügend Erfahrung eingebracht. Er lächelte sie an und stupste seiner Schwester kurz mit der Nase an die Stirn. „Keine Sorge, alles wird gut“, flüsterte er und drehte sich zur Tür um. Diese stand schon einen ziemlichen Spalt offen und der Jäger nahm noch einmal Schwung und stieß die Tür mit einem letzten Schlag auf. Can stieß Keha mit seiner Hinterpfote an und sprang auf den Jäger und seinen Hund zu, damit er ihre Aufmerksamkeit hatte. Anfangs zögerte seine Schwester, doch nach einem bösen Blick von ihm setzte sie sich in Bewegung und rannte so schnell, wie sie konnte. Sie wusste nicht, ob ihr Bruder ihr folgte – aber sie hoffte es. Womöglich kämpfte er mit dem Jäger oder mit dem Hund, vielleicht wurde er angeschossen!, dachte sie sich und Panik stieg in ihr hoch. Als sie auf dem Hügel stand und nach unten sah, konnte sie ihren Bruder bereits im unteren Stock sehen. Er knurrte und fletschte die Zähne und bewegte sich rückwärts auf das kaputte Fenster zu. »Setz dich endlich in Bewegung, Keha! Ich hab dir gesagt, du sollst so schnell rennen, wie es nur geht!«, sagte Can in ihrem Kopf. Sie schluckte. Wie konnte sie ihn allein lassen. Er war ihr Bruder! Sie hatten sich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen! Sie konnte ihm nicht einfach seinem Schicksal überlassen! Doch sie biss die Zähne zusammen, drehte sich herum und begann zu rennen, während ihr eine Träne aus dem Auge floss. Sie konnte nichts anderes tun, als ihm zu vertrauen. Nach einer knappen Stunde, in der sie immer wieder überlegt hatte, ob sie nicht zurückkehren sollte, kam Keha in ihrer Höhle an und war überrascht, ihre zwei Weggefährten und einen schwarz-weißen Wolf zu sehen, der sich in eine dunkle Ecke gekauert hatte und mit leuchtenden blau-schwarzen Augen den Ausgang beobachtete, und sich wieder den anderen beiden zu drehte, die angespannt vor dem Feuer lagen. Beide schauten auf, als sie Keha hörten und sprangen auf sie zu, als sie in die Höhle hereinspaziert kam. „Keha! Can hat es also wirklich geschafft!“, rief Marie und zeigte ihre Zähne. Doch die beigefarbene Wölfin blickte skeptisch zu Lóme. „Wer ist das?“, fragte sie und sah, wie er sich aus dem Schatten erhob. „Mein Name ist Lóme! Wo ist Can?“, wollte er wissen und trat vorsichtig näher. Keha blickte zur Seite. „Er war direkt hinter mir, aber anscheinend wurde er aufgehalten. Ich bin sicher, er wird bald kommen!“ Lómes Augen verengten sich. „Und der Jäger?“ „Can ist schlau genug, um zu überleben. Außerdem hat er sicherlich einen Weg da raus gefunden.“ „Aber du bist dir nicht sicher?“ Sie blitzte ihn mit einem wütenden Blick an. „Was geht dich das überhaupt an? Wer bist du überhaupt? Was suchst du hier?“ Er sah zur Seite und verkroch sich wieder in den Schatten. „Ich schätze, das können dir deine Weggefährten erzählen. Sie haben mich bereits ausgequetscht“, maulte er und starrte wieder auf den Eingang. Er konnte nicht fassen, dass sie einfach so weggerannt war, ohne sich um Can zu kümmern. War sie nicht seine Schwester? War er nicht wichtig für sie? Lóme hörte zu, wie die Wölfe Keha alles erzählten. Seine Anspannung nahm mit jedem Wort, das sie sprachen, zu. Er musste wissen, ob es Can gut ging und ob er fliehen konnte. Natürlich hatte er mehr Erfahrung als jeder andere, aber er war im Haus eines Jägers! Der junge Werwolf biss die Zähne aufeinander und stürmte aus der Höhle. Er konnte einfach nicht weiter herum sitzen und nichts tun. Schließlich ging es um seinen Rudelführer! Die Wölfe hinter ihm riefen ihm noch etwas zu, doch er kümmerte sich nicht darum. Er folgte den Fußspuren, die Keha auf ihrer Flucht hinterlassen hatte. Inständig hoffte er, dass Can wirklich fliehen konnte und dass es ihm gut ging. Womöglich lag er einfach nur erschöpft unter einem Busch und ruhte sich aus, damit man ihn nicht entdeckte? Mit der Nase auf dem Boden lief Lóme weiter und beeilte sich. Tief in ihm spürte er, dass Can Hilfe brauchte. Vielleicht bildete sich der schwarzweiße Werwolf auch nur ein, denn was sollte er ohne seinen Anführer tun? Er wollte nicht zurück zu Michael, er wollte nicht bei Keha bleiben. Er wollte dem Mann folgen, der ihm so vieles erzählt hatte. ------------------ Ich hoffe es gefällt euch ;) Habe mich jetzt endlich dazu durch gerungen die letzten paar Absätze gar zu schreiben - tut mir leid, wenn da ein paar Wiederholungen drinnen sind xD ... Schon wieder so kurz Ö_ö ich lass nach xD Ich mach mich sofort über das nächste Kapitel :D Kapitel 5: Spuren ----------------- Schon bald darauf stieß Lóme auf eine frische Spur, die nicht von Keha stammte. Sie kam ihm bekannt vor und er mutmaßte, dass es Cans Geruch sein musste. Der Junge schaute auf und betrachtete die Fußspuren, die von der normalen Spur abwichen. Neben den Fußabdrücken konnte man eine kleine Blutspur sehen und Lóme packte die Panik. Schnell hastete er den Spuren hinterher und hoffte, dass sein Rudelführer nicht zu schwer verletzt war und dass es ihm gut ging. „Can!“, rief der schwarz-weiße Wolf und blieb kurz stehen, um zu lauschen. Er konnte nichts hören, also folgte er weiter der Spur und auch den Fußspuren, wobei er die Nase dicht am Boden hielt. Er hoffte inständig, dass er seinen Rudelführer bald finden würde, da der Wald immer dunkler wurde und er nicht wusste, ob dieser Jäger ihn verfolgte. Womöglich waren sie schon hinter Can her und folgten ihren Spuren. Dann würde er wohl die Spur mit Blut nehmen – denn ein verletzter Wolf ist keine Herausforderung für einen Jäger und Lóme hatte nicht wirklich viel Erfahrung im Kämpfen. Schon fast war der kleine Werwolf am Verzweifeln. Die Blutspur wurde immer breiter und er hatte noch immer keine Spur von seinem Rudelführer gesehen. Doch dann ganz plötzlich hörte er etwas rascheln in einem Busch am Wegesrand. Erschrocken erstarrte Lóme zu einer Salzsäule und blickte zur Seite. Die Blutspur ging weiter, doch Can war schlau und ausgefuchst, sicherlich hatte er sich etwas einfallen lassen. Also schnupperte der Schwarzweißhaarige vorsichtig und schob ein paar kleine Äste mit seiner Pfote zur Seite. Ein Hase hüpfte ihm entgegen und verschwand wieder in der gegenüberliegende Hecke. Tief atmete er aus und blickte dem Hasen genervt hinterher. Überrascht riss er seine Augen auf und lief vorsichtig hinter dem Hasen her. Der Schnee hier war blutrot und schien schon fast eine Pfütze zu bilden. Er schluckte und schlich langsam weiter, wobei er wachsam seine Umgebung beobachtete und ganz genau in den Wald hörte. Etwas Kaltes streifte Lómes Pfoten und er schaute alarmiert auf den Boden. Eine Bärenfalle lag direkt vor ihm und er wäre fast hineingelaufen. Allerdings lag sie bereits aufgedeckt da, was daraufhin wies, dass hier bereits jemand vorbei gekommen war. Mit etwas mehr Hoffnung ging Lóme schließlich weiter und wurde dabei etwas schneller. Er nahm einen schwachen Geruch wahr, den er als Cans Duft identifizierte. Hastig lief er in die Richtung, in der er seinen Anführer vermutete. Er schaute sich um, rief nach Can und blickte unter jeden einzelnen Busch und Strauch. Ein leises Stöhnen ließ den jungen Wolf aufschrecken. Schnell lief er darauf zu und blieb kurz stehen, als er eine hellbraune Pfote aus einem Busch heraus lugen sah. „Can!“, sagte Lóme leise und näherte sich. Geschockt starrte er seinen Rudelführer an und stellte sich hinter ihn hin. Er hatte eine Wunde an der Schulter und noch eine weitere an der Seite. Das Blut sickerte aus seinem Körper und der junge Wolf war sich sicher, dass Can demnächst sterben würde, wenn er nicht bald in eine wärmere Umgebung kam. Langsam hob der hellbraune Wolf seinen Kopf und grinst. „Hast aber ganz schön lange gebraucht, um mich zu finden, Kleiner“, sagte er und stöhnt, als der Wind heftig durch die Büsche und Sträucher weht. „Los, wir müssen raus aus der Kälte“, meint der schwarzweiße Wolf und kriecht mit seinem Kopf unter Cans Bauch. Anschließend durch seine vorderen Pfoten, um ihn dann mit etwas Schwung auf seinen Rücken zu heben. Kaum hatte er ihn huckepack, lief er den Weg zurück, den er gekommen war und schaute sich bei der Wegkreuzung vorsichtig um. Vielleicht war der Jäger doch noch mit seinem Hund unterwegs und Lóme wollte ihn nicht zur Höhle führen oder gar begegnen, vor allem weil sein Rudelführer verletzt war. Dieser nimmt ein paar tiefe Atemzüge und grummelt etwas vor sich hin. Lóme zog ebenfalls die Luft ein. Er wusste, je schneller er wieder bei Kehas Höhle war, desto schneller bestand noch die Möglichkeit, ihn zu heilen. Also rannte er schnell den Weg entlang, den er bereits einmal gegangen war. Inständig hoffte er, dass sein Rudelführer nicht so schwer verletzt war, dass man ihn nicht mehr heilen konnte. Nach wenigen Minuten kam Lóme vollkommen erschöpft in Kehas Höhle an, wo die anderen drei Wölfe ihn überrascht anstarrten. Er blickte hinter sich. Nein, er hatte keine weitere Blutspur hinterlassen – womöglich hatte die Wunde sich verkrustet oder einfach nur das Bluten aufgehört. Schließlich widmete er sich wieder seinem Rudelführer. „Was ist passiert? Wie hast du ihn gefunden?“, fragte Keha überrascht und kam näher. Ein Knurren kam aus der Kehle des jungen Wolfs und er sah sie wütend an. „Was glaubst du was passiert ist? Anstatt in sicherer Entfernung auf deinen halbtoten Bruder zu warten, bist du lieber weggelaufen! Was bist du für eine Schwester?“, wollte er voll Zorn wissen. „Was sollte ich tun? Er hat zu mir gesagt, ich soll weglaufen!“, erwiderte sie böse. Daraufhin sagte er: „Was du hättest tun sollen? Vielleicht hättest du einfach mal ein Stück in Sicherheit darauf warten sollen, dass er vorbei kommt und dann zusammen mit ihm hierher zurück kehren sollen?“ Jetzt rührte sich Can, woraufhin beide verstummten. Er begann damit, sich in einen Menschen zu verwandeln, wobei eine Kugel aus seiner Schulter heraus fiel. Er fasste sich mit einer Hand an die Wunde an der Seite und pullte mit ein paar Fingern die Kugel heraus. Er biss die Zähne zusammen und stöhnte nur kurz vor Schmerz auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stützte er sich auf seinen noch gesunden Arm und setzte sich in einen Schneidersitz hin, wobei die Höhlenwand hinter ihm war. „Könntet ihr beide bitte dann streiten, wenn ich nicht gerade schwer verletzt bin?“, fragte er knirschend und knackste mit seinen Gelenken. Die beiden anderen Wölfe starrten geschockt auf Can, der nackt auf dem Höhlenboden saß und seine Hand auf die Wunde an der Seite presste. „Könnte ich jetzt bitte mal einen Verband haben?“ Lóme schaute sich in der Höhle um und fand einen kleinen Schrank. Schnell lief er darauf zu und verwandelte sich in einen Menschen, da er mit der Schnauze und den Pfoten die Türen nicht so einfach aufmachen konnte. Die dunkelbraunen Wölfe winselten leise und grummelten etwas vor sich hin, während sie die Wand anstarrten. Schon bald fand der junge Mann etwas Verbandsmaterial, das er sofort zu Can brachte. „Schämst du dich denn nicht?“, wollte dieser grinsend wissen und beobachtete genau, wie sein kleiner Freund seine Wunde an der Seite verband. Er antwortete nicht sofort, sondern konzentrierte sich erst mal auf das Verbinden der Wunde. Als er damit fertig war, verwandelte er sich in einen Wolf zurück und sagte: „Als ob du besser wärst!“ Dankend kraulte er ihm hinter dem Ohr und beobachtete, wie er sich wieder an den Eingang der Höhle legte. Verwundert schaute er ihm hinterher, während Keha ihm einen bösen Blick zuwarf. Wenn es nach ihr ginge, hätte sie den kleinen Wolf schon längst rausgeschmissen. Plötzlich drehte sich Lóme wieder um und starrte seinen Rudelführer an. „Ihr beide seid Geschwister, richtig? Wer sind eure Eltern?“, fragte er. „Oh, stimmt. Das hab ich dir noch gar nicht erzählt“, antwortete Can und wollte es gerade erklären, als Keha zwischen rein rief: „Das geht dich überhaupt nichts an! Es gibt keinen Grund, warum wir dir das erzählen sollten! Nur weil Can dein Rudelführer ist? Genau deswegen solltest du keine Fragen stellen! Du solltest Respekt zeigen und keine Neugierde! Du solltest deinen Platz einnehmen; und zwar ganz unten! Du...“ „Keha!“, rief ihr Bruder jetzt laut. Sie zuckte zusammen und schaute ihn fragend an. Er blickte sie wütend an und hatte die Hand an seinem gesunden Arm zu einer Faust geballt. Lóme lag mit geschockten Augen am Höhleneingang. Er wusste, er war nicht der beste, der schnellste oder der klügste Werwolf auf der Welt – er war noch nicht einmal lange ein Werwolf. Er wusste nicht einmal mehr, wie er zu einem Werwolf wurde! Er wachte nur eines Tages auf, umgeben von Michael und seinem Rudel und wurde von ihnen beschwatzt. „Aber ist doch wahr, Can!“, meinte Keha trotzig und schaute ihn an. Sie bekam nur einen bösen Blick von ihm zurück, was sie ziemlich überraschte. Vorsichtig stand er auf und setzte sich zu seinem kleinen Freund, an den er sich schließlich anlehnte. Er kraulte ihn hinter dem Ohr und wuschelte ihm schließlich durchs Fell. „Wo soll ich bloß anfangen?“, flüstert Can fragend und grinste leicht, als Lóme ihn kurz anschaute und dann wieder wegblickte. „Hm... Also, wie du mitbekommen hast, ist Marie meine Cousine, aber sie ist nicht meine richtige Cousine. Für Keha und mich ist sie einfach ein Familienmitglied, eigentlich sind wir gar nicht verwandt. Keha dagegen ist meine wahre Schwester. Unsere Eltern sind Sin und Annit.“ Der schwarz-weiße Wolf starrte Can mit offenem Maul und großen Augen an. Doch der braunhaarige Mann grinste nur und erzählte weiter: „Vor vielen hunderten Jahren, wenn nicht sogar tausend, wurden Keha und ich geboren. Wir haben viele Geschwister, die überall auf der Welt verteilt sind, doch wir sind die ersten Kinder der Mondgötter, die hier auf die Erde herab kamen. Unsere Eltern waren nicht wirklich einverstanden damit, doch wir konnten sie dazu überreden, uns unsere eigenen Grenzen austesten zu lassen. Vor ungefähr einem halben Jahrtausend sind wir hierher gekommen und haben uns dann, als wir ein Jahrhundert zusammen gelebt haben, aufgeteilt.“ Erstaunt dachte er nach. Er war wirklich schon eine halbe Ewigkeit hier auf der Erde. Doch schnell sprach er weiter: „Ich wollte nicht länger hier im Norden bleiben. Der Schnee und die Nächte gingen mir auf die Nerven. Von Reisenden und Wanderern hörte ich von Orten, die so exotisch und toll klangen, als wären sie nicht von dieser Welt. Also beschloss ich, Keha und Marie, die damals mit uns zusammen hier herum streunte, zurückzulassen und meinen Horizont zu erweitern. Deswegen streunte ich die ersten paar Jahre nur umher und sah mir ein Land nach dem anderen an. Manchmal blieb ich etwas länger und konnte beobachten, wie es sich veränderte. Aber ich hatte Heimweh. Die mentale Verbindung mit meinen Eltern und meiner Schwester war nicht mehr so stark wie vorher und ich konnte mich nur noch in Neu- oder Vollmondnächten und ein paar Tage davor und danach mit ihnen über den Geist unterhalten. So erfuhr ich auch von dem Jäger hier, der Werwölfe jagte und mit ihren Fellen angab. Da ich sie alle vermisste und eigentlich wieder mal zu meinen Eltern wollte, ging ich wieder zurück in den Norden. Aber unterwegs traf ich schließlich auf Galahad – so vor 100 oder 200 Jahren und schloss mich schließlich seinem Rudel an. Michael war bereits dort – aber du kennst diese Geschichte ja bereits.“ Ein Seufzen entfuhr Can und er streichelte weiterhin das Fell seines kleinen Freundes, der mittlerweile still geworden war und all das noch einmal durch seinen Kopf gehen ließ. Er hätte niemals gedacht, dass sein Rudelführer bereits so alt war und auch noch ein Kind der Mondgötter war, die alles für Werwölfe und auch normale Wölfe waren. Sie waren – wie der Name schon sagte – die Götter für sie. „Ich bin hierher gekommen, weil ich mal wieder mit Keha und meinen Eltern sprechen wollte, aber ich hätte nicht erwartet, dich schon so früh aufzufinden!“, meinte Can und drehte sich zu seiner Schwester um. Die schnaubte jedoch nur und blickte ihn böse an. „Ihr seid womöglich gerannt wie die Blöden und habt die Zeit vergessen. Vielleicht warst du auch einfach schon extrem nah bei uns? Mir ist es egal!“, gab sie von sich und setzte sich vors Feuer hin. Der braunhaarige Mann seufzte und erhob sich vorsichtig. Er spürte, dass seine Schwester ihm nicht sonderlich zugetan war. Wenn es nach ihr ginge, würde Lóme nicht einmal mehr in dieser Höhle sitzen – das wusste er. Doch er war ein Teil seines Rudels und er würde seinen Freund niemals einfach so vor die Tür setzen. Can drehte sich etwas herum und merkte, dass die Wunde noch immer weh tat, aber darauf merkte er nicht. Er drehte seiner Schwester den Rücken zu und sprach zu seinem Rudelmitglied: „Ló, wir gehen. Es scheint, als wärst du hier unerwünscht und ich auch, nachdem ich dir von meiner Vergangenheit erzählt habe. Wir haben einen noch etwas längeren Weg vor uns. Also hoffe ich, dass du nicht schon schlapp gemacht hast! Leb wohl, Keha!“ Lóme sah geschockt mit an, wie Can sich verwandelte und seine Wunde an der Seite wieder anfing zu bluten. Doch anstatt stehen zu bleiben, trat er aus der Höhle und ging nach rechts. Schluckend folgte der schwarz-weiße Wolf seinem Rudelführer, der angespannt voraus lief. „Hey, Can. Sollten wir nicht vielleicht doch lieber hier bleiben? Ich meine, deine Wunde ist noch nicht verheilt und du bist ziemlich schwer angeschlagen! Wir suchen uns gleich hier in der Nähe eine Höhle und dann erholst du dich erstmal!“, schlug Lóme vor und hoffte auf eine positive Antwort von Can. Doch dieser antwortete nur: „Nein. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Wir wurden zwar hier von unseren Eltern abgesetzt, aber um wieder mit ihnen zu sprechen – in Person – müssen wir an einen anderen Ort gehen. Bis dahin ist es noch sehr weit, also müssen wir jetzt weiter.“ „Can! Ich bitte dich! Du bist schwer verletzt und wenn du hier mit einer blutenden Wunde herum läufst, lockst du nur den Jäger an, der dann hinter uns her ist!“, sagte der Junge energisch und blieb trotzig stehen. Der braune Wolf stoppte sofort und schnaubte ärgerlich durch seine Nase aus. Mit einem bösen Blick drehte er sich herum und wollte seinen Gefährten anbrüllen, doch als er sich umgedreht hatte, sah er seinen entschlossenen Blick und grummelte nur ein paar Worte, um sich schließlich geschlagen zu geben: „Na gut, du hast Recht. Lass uns in eine Höhle hier in der Gegend gehen und warten, bis meine Wunde wenigstens etwas verheilt ist.“ Auf Lómes Gesicht breitete sich ein Grinsen aus und er hüpfte freudig näher an seinen Rudelführer heran. „Super! Da vorne seh’ ich einen kleinen Felsvorsprung! Lass uns da hin gehen!“, meinte er voller Energie und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Mit einem milden Lächeln ging der hellbraune Wolf seinem Schützling hinterher und warf noch einmal einen Blick zur Höhle seiner Schwester und ihrer zwei Rudelmitglieder. Keha, stand am Anfang des Weges und beobachtete genau ihren Bruder. Sie sahen sich an, doch schlussendlich drehte sich Can wieder herum, um zu Lóme aufzuschließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)