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Clarice

die Klette
von

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Prolog

Achtung!

Bevor ihr weiterlest, möchte ich euch warnen.

Ja, genau warnen!

Denn diese Geschichte baut auf einer anderen auf. Eine, die vermutlich auf dem PC der Drachenreiterin verloren gegangen ist. Also, wer den Anfang ihrer Geschichte nicht kennt, dem gebe ich nun eine kurze Übersicht der groben Geschehnisse.

Annika und Rocce waren ein wirklich glückliches Paar, sie waren total verknallt. Das glaubte zum Mindest Annika. Sie glaubte es bis zu dem Tag, als sie Rocce mit Vanessa erwischt hatte, ganz eng umschlungen. Von dem Tag an gingen beide getrennte Wege.

Marlon ist noch immer ziemlich sauer auf Vanessa, vor allem weil er als Letzter von ihrem Doppelleben erfahren hatte. Annika hatte er inzwischen verziehen. Sie hatte ihn immerhin nur schützen wollen.

Rocce ist bei Marlon abgeschrieben. Sie sind lediglich nur noch Spielkollegen, nichts weiter. Zum Glück wirkt sich das nicht schlecht auf die gesamte Mannschaft aus.

Vanessa und Rocce sind nun fest zusammen, sie gehen ganz offen damit um. Und Maxi hatte Annika dabei geholfen ihren Schmerz zu überwinden. Er ist nun auch der beste Freund von Marlon. Annika, Vanessa und Rocce haben inzwischen Waffenstillstand und machen sich keine Vorwürfe mehr. Die Drachenreiterin ist mit Maxi so glücklich, dass es ihr inzwischen egal ist was zwischen Rocce und Vanessa abgeht.

Ja und die anderen, sind noch immer die Alten, obwohl sie unter den Streiterein der vier wirklich gelitten haben, vor allem als noch Maxi hinzukam und Rocce richtig Terror angefangen hat.

Beim schokoschmilzenden Osterhasen in Weihnachtsmannverkleidung!

Das war es fürs Erste mit den Geschehnissen. Doch von dem Ganzen ahnte ich nichts, schließlich war ich etliche Kilometer von Grünwald entfernt und wusste noch nicht mal dass mein Bruder Deniz inzwischen ein wilder Kerl war.

Aber aus diesem Grund ist das auch meine Geschichte, die Geschichte von Clarice, der Klette. Und ich warne euch, wenn euch ein wenig rosa, gemischt mit monstermäßigem Fußball, zu viel Angst einjagt, dann schließt auf der Stelle diese Seite. Ich kann euch garantieren, dass dies keine Kindergartenparty ist, wie sie gerne die anderen Kerle erzählen. Nein, hier taucht ihr in meine Welt ein!

Noch immer hier?

Na gut, ich habe euch gewarnt!

Na dann mal los...

Wieder zurück!

Die Bahn, welche ich vom Flughafen aus genommen hatte, hielt und ich stieg mit allem Sack und Pack aus, welches sich in meinem Jahr im Ausland angesammelt hatte. Mit meinen braunen Augen schaute ich mich um. Ein leichter Windzug wehte mein schwarzes Haar, welches mir zottelig über die Schultern hing, nach hinten.

Völlig erschöpft beschloss ich mich auf meinen Koffer zu setzen und von dort aus einfach zu warten. Ich schlug die Beine übereinander und strich meinen Rock zurecht.
 

Wo waren sie? Unter diesem ganzen Gewimmel konnte man ja kaum einen einzigen Menschen direkt ausfindig machen und ich suchte gleich fünf!
 

Flüchtig wagte ich einen Blick nach rechts. Der Hauptbahnhof von München war ziemlich überfüllt und einige der Fremden rempelten mich an und begannen zu meckern. Ich verdrehte nur die Augen und beschloss mich nicht weiter aufzuregen, da dies sowieso keinen Sinn hatte. Abermals schaute ich mich um und tatsächlich, da hinten, am Ende vom Gleis, dort wo es zum Ausgang ging, da standen sie.
 

Meine Hand und auch der Rest meines zierlichen Körpers schossen nach oben und ich sprang glücklich winkend auf und ab. Keiner der Fahrgäste schaute mich schief an, obwohl es sicherlich merkwürdig aussah, wenn jemand plötzlich rumschrie und umhersprang, als hätte er einen Flummie verschluckt. Zum Mindest war es immer in New York so gewesen, dort hatte ich ein Jahr verbracht und nun war ich zurückgekehrt, zurück nach Deutschland.
 

"Mama, Papa, Deniz, Tolgar, Boran!", rief ich und nahm meinen Koffer zur Hand und rannte auf meine Familie zu. Ich spürte wie mir leicht die Tränen in die Augen stiegen und mir wurde erst jetzt bewusst, wie lange ich sie nicht gesehen hatte.
 

Mein Zwillingsbruder, Deniz, rannte mir entgegen und schloss mich als erster in die Arme.
 

"Na Schwesterherz, wie war es in New York?", fragte er und drückte so fest zu, ohne zu bedenken, dass ich aus Fleisch und Blut war und nicht aus Plastik, wie eine Barbie. Dennoch lachte ich herzhaft und nun kamen auch die anderen zu mir. Ich lies meine Koffer fallen, damit ich die anderen ebenso in die Arme schließen konnte.

Auch wenn es ein wenig unfair war, so glaubte ich, dass ich meinen Zwilling am meisten vermisst hatte. Ich hatte gerade noch genug Zeit ihn nochmals fest an mich zu drücken, bevor er von meinen zwei älteren Brüdern weggezogen und einfach zur Seite geschoben wurde.
 

"Hallo Schwesterchen!", sagten Tolgar und Boran im Chor und zogen mich zu sich heran und drückten mich eher flüchtig, ehe sie mich für meine Eltern frei gaben. Ich spürte noch ein kurzes Schulterklopfen und ein gehauchtes „Willkommen zurück“, von Boran. Tolgar blieb die meiste Zeit eher stumm, was für ihn aber üblich war.
 

Ich spürte noch immer die Blicke meiner Brüder auf mir und musste leicht grinsen. Ja, ich hatte mich wirklich verändert. Als ich losgefahren bin, war ich kaum von meinem Zwilling zu unterscheiden. Ich verhielt mich beinahe selbst wie ein Junge, nur mit langen Haaren und einer helleren Stimme.

Ja und nun. Nun trug ich doch tatsächlich einen Rock, einen braunen Mini und ein Hemd, welches ich so zusammengeknotet hatte, dass ich baufrei rumgelaufen wäre, würde ich darunter nicht noch ein Top tragen. Und dazu, das hatte sich auch geändert, meine roten Cowboystiefel. Ich hatte sie in einem Schuhgeschäft gesehen und habe mich sofort verliebt.
 

„Du gefällst mir gar nicht!“, kam es von Deniz etwas missmutig. „Du bist ziemlich rosa!“, grummelte er weiter und verschränkte die Arme. Mein Vater jedoch gab ihm einen leichten Schulterklopfer und lächelte aufmunternd. „Ach Kopf hoch, Klette wird eben erwachsen!“, meinte er mit einem Schulterzucken und nahm meine Koffer, während mein Bruder seine Brille zurechtrückte und lautstark protestierte. „Ich auch!“, maulte er, woraufhin ich nur leicht lachen musste.

„Machst du dir gar keine Sorgen Papa, dass jemand ihr zu Nahe kommen könnte, so wie sie rumläuft!“, versuchte er seine Meinung zu argumentieren. Doch Tolgar und Boran wuschelten ihm jeweils einmal durch seinen Irokesenkamm und grinsten breit. „Dann müssen wir eben besser auf sie aufpassen!“, meinten sie im Chor und zogen Deniz mit sich, während ich zwischen ihnen ging. „Keine Sorge, Fußball spiele ich immer noch!“, erklärte ich ihm zur Beruhigung und schon stahl sich wieder ein Lächeln über sein Gesicht.
 

Nachdem wir mit der Diskussion über mein neuen Look fertig waren, gingen wir zum Auto, wobei es Deniz einfach nicht erwarten konnte mich endlich auszufragen.
 

"Und wie war es in New York?", fragte er und schaute mich dabei erwartungsvoll an. Sein roter Irokese wippte dabei fröhlich mit seinen Schritten mit und seine Coca-Cola-Glas-Brille, die mir erst jetzt richtig deutlich auffiel, rutschte ihm ein wenig von der Nase. Doch so gern ich meinen Bruder auch hatte, ich winkte ab und schüttelte mit einem leichten Lächeln den Kopf.
 

"Jetzt lass uns doch erst mal nach Hause.", sagte ich und ein leises Lachen schwang dabei in meiner Stimme mit. Ich kannte zwar die Neugierde meines Bruders, schließlich war ich selbst kein Stück besser, doch glaubte ich, dass es in dem einen Jahr noch schlimmer geworden war.
 

Schweren Herzens nickte mein Bruder und wir gingen stumm nebeneinander her. Auch im Auto sagte niemand von uns einen Ton, obwohl ich der Lokomotive ansah, dass ihm die Fragen in der Kehle brannten.
 

Ich hatte großes Glück, dass ich nicht nur einen Zwilling, sondern auch zwei ältere Brüder hatte, so musste ich meine Koffer nicht die Treppen hochtragen und diese hatte nicht gerade wenig Stufen. Doch so gemein wie ich ab und an mal sein konnte, nahm ich einfach an, dass meine Brüder die Koffer gerne für mich trugen, da sie mich doch so lange nicht gesehen hatten.
 

Als meine Mutter die Tür endlich aufgeschlossen hatte, wollte ich zu aller erst in mein Zimmer. Meine Brüder stöhnten schon unter meinem Gepäck, doch sie hatten es ja nicht mehr weit. Trotz des Umzuges sah mein Zimmer immer noch so aus wie vorher, denn die Raumgröße und die Form des Raumes hatten sich nicht geändert. Eines war jedoch anders, mein Zimmer war pikobello, oder wie mir mein Bruder schon am Telefon gesagt hatte: „Aufgeräumt ala Rabans Mutter!“.
 

Als ich auch die letzten Sachen ausgepackt hatte, klopfte es an der Tür. Es war, nicht anders zu erwarten, Deniz. Ich rief ihn herein und setzte mich auf mein Bett, wo er sich hinzugesellte.
 

"Jetzt erzähl schon, wie war es?", platzte es erneut aus ihm heraus. An seinem Lächeln erkannte ich, dass er schon die ganze Woche auf diese Informationen gewartet hatte.
 

Ich war für ein Jahr nach New York gereist. Es war eine Art Ferienlager, nur für ein ganzes Jahr und nur die Besten kamen dorthin. Meine Trainerin, ein Talentscout und mein alter Sportlehrer Herr Witterich, hatten fest hinter mir gestanden. Die Mannschaft in New York, war zwar eher unbekannt gewesen, dennoch hatte ich viel Erfahrung sammeln können. Ich berichtete meinem Bruder jede Einzelheit. Wie das Training war, wann wir aufstehen mussten, welche Tricks ich gelernt hatte und eben all das, wozu wir am Telefon keine Zeit hatten.
 

Nach einer Weile begann Deniz von seiner neuen Mannschaft zu erzählen, die wilden Kerle. Wie er zu ihnen gefunden hatte und was er schon alles mit ihnen erlebt hatte. Ich lächelte, da ich wusste wie gut sie ihm taten. Und seine Coca-Cola-Glasbrille ala Raban stand ihm richtig gut.
 

Wir redeten auch nach dem Abendbrot weiter und irgendwann holte Deniz sein Bettzeug zu mir hinüber. Zum Schlafen trug er sein wilde Kerle Trikot. Es war nachtschwarz und irgendwie faszinierte es mich. Wie ich wohl in solch einem Shirt aussehen würde? Ich traute mich nicht recht meinen Bruder zu fragen, ob ich nicht einmal beim Training mitmachen könnte. Warum? Seid ihr wirklich so engsichtig. Bei der fackeltragenden Freiheitsstatue, Deniz ist mein Bruder und trotz dass er mein Zwilling war, wollte ich ihn doch nicht nerven, jedenfalls nicht direkt.
 

Trotz dass wir so lange redeten und uns versuchten gegenseitig wach zu halten, fielen uns dann doch beinahe gleichzeitig die Augen zu und wir versanken in unseren wilden Träumen.

Hauchzart rosa und verdammt genial

Der Wecker riss mich aus meinen Träumen und ich öffnete ohne zu murren meine Augen und sprang auf. Jedoch hatte ich meinen Bruder vergessen, der neben meinem Bett auf dem Fußboden lag, da er in meinem Zimmer übernachtet hatte und so trat ich eher ausversehen auf ihn drauf. Ein Laut des Schmerzes drang von ihm und ich lächelte entschuldigend.
 

Ich ging zu meinem Schrank und überlegte genau was ich anziehen wollte. Ich entschied mich für eine kurze Hose, also Hotpant-Kürze, und ein schwarzes Top. Mein Haar band ich zu einem Pferdeschwanz und lächelte mein Spiegelbild, welches mich mit den braunen Augen anstrahlte, entgegen.
 

Schnell verschwand ich noch ins Bad, um mich zu waschen und mir ganz leicht Schminke aufzutragen.
 

Als ich an den Frühstückstisch kam, saßen mein Vater und meine Brüder schon dort. Der Älteste, Boran, schlang den letzten Rest seines Frühstücks hinunter und sprang dann auf. Ich war sehr stolz auf ihn, da er es geschafft hatte an einer Fußballschule angenommen zu werden und dazu noch Abitur machte. Er war inzwischen in der 12. Klasse und mein anderer Bruder, Tolgar, war in der Elften. Nur mein Bruder und ich besuchten noch die Unterstufe in der 9. Klasse. Ich war zwar nur ein Jahr weg gewesen, doch hatte sich viel geändert. Mein Bruder hatte die Schule gewechselt, damit er auch dort mit seinen wilden Kerlen zusammen war und nun sollte auch ich auf diese Schule gehen. Ich war schon gespannt all die anderen kennenzulernen.
 

Ich grinste meinen Zwilling an und dieser grinste zurück. Wir stellten gemeinsam unsere Teller in den Geschirrspüler und sagten im Chor: "Bis heute Abend!" Dann waren wir auch schon auf dem Weg zur Schule.
 

Umgezogen waren meine Eltern auch, da mein Vater einen neuen Job hatte und wir jetzt genug Geld verdienten, um uns eine größere Wohnung zu leisten. Dennoch war es etwas weit, um zu Fuß zur Schule zu laufen. Bevor ich jedoch ganz aus dem Hausflur raus war, hielt mich mein Bruder auf. "Wollen wir nicht mit dem Fahrrad fahren?", fragte er mich und ging in den Keller, um sein nachtschwarzes Bike raufzuholen. Er hatte mir davon erzählt, dass er eine Menge dafür gespart hatte.

Beim heiligen Ofenfrosch, ich kann euch sagen, das war ein Bike. Monster mäßig Schwarz und die Reifen waren extrabreit, beide! Meine Augen waren voller Neid, dennoch gab ich mich mit meinem alten Moutainbike zufrieden. Ich holte es aus dem Keller und schwang mich draußen auf den Sattel. „Na dann mal los!“, meinte ich und fuhr mit dem Rothaarigen auf und davon.
 

Auf dem Schulweg erklärte mir Deniz nochmal wo das Büro des Direktors lag und in welche Klasse ich zu 130 Prozent kommen würde. „Beim fliegenden Orientteppich, dann lernst du endlich meine Freunde kennen!“, sagte er mit einem breitem Grinsen auf den Lippen und begann erneut von den wilden Kerlen zu sprechen und philosophierte, neben wem ich wohl sitzen würde. Zu guter letzt vermutete er, dass ich neben Rocce Platz finden würde, obwohl er dort im Moment saß. „Aber für dich mach ich doch gerne Platz!“, grinste er mich breit an. Erneut bemerkte ich, dass mein Bruder seinen kleinen Sprachfehler überwunden hatte und legte leicht den Kopf schief. „Und ist dein Stottern nun komplett weg, oder...“ Deniz sah mich an und zuckte mit den Schultern. „Der kommt irgendwie nur, wenn ich aufgeregt bin!“, erklärte er mir, bevor er genau vor dem Fahrradständer der Schule hielt.
 

Als wir unsere Fahrräder angeschlossen hatten, mussten wir uns auch schon verabschieden. Wie jeder neue Schüler musste ich zunächst in das Büro des Direktors, damit dieser mich mit den Angeboten die diese Schule zu bieten hatte, zu labern konnte. Ich saß dort gut eine halbe Stunde fest. Und der, der wollte mich einfach nicht gehen lassen. Dennoch blickte er mich immer wieder freundlich an, so als sei ich ein neues Highlight an dieser Schule.
 

Verdammter Scheunenschimmel!, ich wollte endlich zu meinem Bruder in die Klasse und die anderen wilden Kerle kennenlernen. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte ich auf die Uhr und hörte erst wieder hin, als er mir sagte, dass er mich nun in meine Klasse bringen würde. Das wurde aber auch Zeit. Schnell schnappte ich meine Schultasche, damit auch ja keine all zu große Zeit verstrich.
 

Der Direktor ließ mich alleine vor der Tür stehen, klopfte noch für mich an und verschwand dann auch wieder in seinem Büro. „Du wirst das auch allein schaffen!“, lächelte er mir aufmunternd zu und war weg. Beim dreibeinigen Pinscher meines Kumpels Dean! Was fiel ihm denn ein mich einfach hier stehen zu lassen. Aber nun gut, ich würde es schon überstehen. Das hier war schließlich nicht New York, sondern Deutschland.

Wahrscheinlich würde ich sowieso neben Deniz gesetzt werden, immerhin war dieser mein Bruder. Die wollten doch immer dass man gut integriert wird, das gaukelten die einem immerhin ständig vor!

Ich klopfte noch mal und betätigte dann die Klinke, um in den Raum zu gehen. Ich wartete nicht länger auf eine Antwort, immerhin wollte ich vor der Tür nicht verschimmeln.
 

Die Blicke lagen auf mir, das wusste ich, ohne hinzusehen, ich spürte sie auf mir und hob dann den Kopf, um die Lehrerin anzublicken.
 

"Du musst Clarice Sarzilmaz sein.", stellte sie mit einem Lächeln fest und schaute dann ihre Klasse an. "Schüler, das ist unsere neue Mitschülerin, Clarice. Sie war ein Jahr in New York und ist die Schwester von Deniz, also seid nett zu ihr.", verkündete sie laut. Ich schaute schüchtern umher und versuchte dabei nicht all zu zurückhaltend zu wirken. Die Lehrerin schaute sich um, vermutlich überlegte sie gerade, wo sie mich hinsetzen sollte. "Ja...", sagte sie dann erfreut. "Clarice, du setzt dich neben Marlon!", meinte sie und ich sah die Nummer Zehn schon vom Weitem, wie sie die Augen verdrehte.
 

Von wegen Integration und dieses falsche Nettsein konnte sie den anderen vortäuschen, aber nicht mir! Ich hatte sie durchschaut. Zunächst machte diese Lehrerin auf beste Freundin und dann, dann schickte sie einen direkt in die Hölle. Denn dieser Marlon, das sah ich von hier aus, der hielt mich für den Teufel in Person. Warum wusste ich nicht genau, aber ich sah es genau!
 

Mit einem gespielten Grinsen, schob er mir den Stuhl ein wenig zurück, so dass ich mich setzen konnte. "Danke.", murmelte ich und versuchte ein lächeln aufzubringen, doch Marlon wandte sich ab.

Diesmal rollte ich mit den Augen und packte erst einmal einen Block aus meiner Tasche, auch ein Kugelschreiber kam hinzu und dann wandte ich mich nach vorn zur Tafel.
 

Ich hatte mir schon in der Nacht zuvor ausgemalt, ob und wie ich meine Frage an einen der wilden Kerle stellen sollte. Meinem Bruder wollte ich nicht die Frage stellen. ich wollte nicht, dass ich nur wegen ihm ins Team kam.

Aber verdammter Rattenschwanz, nach all dem was mein Bruder mir erzählt hatte, wollte ich unbedingt zu ihnen gehören.
 

Nach kurzem Zögern nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. Ja, genau, den ganzen Mut, der sich bisher etwas schüchtern unter dem Tisch verkrochen hatte. Den zwang ich nun hervorzukommen und mit Marlon, dem Bruder des Anführers zu reden. Das hatte ich mir alles gemerkt, wirklich alles und verdammich, ich wollte es jetzt endlich wissen. Ich strich mir eine der schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, welche sich gerade aus dem Zopf gelöst hatte. Abermals atmete ich tief ein und dann wieder aus, bevor ich der Nummer Zehn auf die Schulter tippte. "Ähm, Marlon, das war doch dein Name, oder?", wisperte ich und wartete bis auch er sich zu mir drehte. Doch sein Blick war alles andere als freundlich. Was hatte ich nur verbrochen, dass er mich so ansah, mit diesem Gesichtsausdruck? Aber ich beschloss mich nicht von so etwas irritieren zu lassen, nicht ich, Clarice die Klette.
 

"Ich hätte da eine Frage!", sagte ich mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen, welches aber gleich wieder verschwand, als Marlon nur ein knappes "Nein!", hervorbrachte und sich dann wieder wegdrehte. Meine Gedanken behielt ich in diesem Moment lieber für mich, aber ich wusste, dass er sicherlich keinen Clown zum Frühstück gegessen hatte. Aber so leicht ließ ich mich nicht abwimmeln, schließlich lautete mein Spitzname nicht umsonst „Klette“.
 

Erneut tippte ich ihn an und wieder drehte er sich zu mir. "Ich wollte fragen, ob ich bei euch mitspielen darf.", sagte ich entschlossen und ignorierte einfach, dass er einfach so nein gesagt hatte, obwohl er gar nicht gewusst hatte, was ich fragen wollte.
 

Marlon lachte kurz auf, womit er sich einen bösen Blick der Lehrerin einfing. "Nein!", sagte er erneut und wieder drehte er sich weg. Mit grimmiger Miene, beschloss ich es erst einmal darauf beruhen zu lassen, schließlich gab es ja noch andere wilde Kerle und nicht nur Marlon. Ich würde in der Pause mal einfach Vanessa fragen, oder vielleicht Rocce.
 

Der Unterricht verflog wie im Flug und in der Pause hatte ich keine Zeit für ein Gespräch mit den Jungs gehabt, da mich der Direktor aufsuchte und mir unbedingt noch die Schule zeigen wollte. Wie er auf solch eine langweilige Idee kam, war mir unschlüssig, doch wollte ich ihn nicht schon am ersten Tag enttäuschen. Also trotte ich hinter dem Leiter der Schule hinterher und beobachtete meinen Bruder und seine Freunde, wie sie sich amüsierten, ohne mich.
 

Zum Glück ging der Rest des Tages auch schnell vorbei und ich konnte schon bald meinem Bruder nach Hause folgen. Nun gut, wirklich nach Hause gingen wir noch nicht, da die wilden Racker ja meinten noch auf dem Schulhof, nach der Schule!, spazieren gehen zu müssen.
 

Deniz ging noch lange mit den wilden Kerlen mit, aber immer wieder drehte er sich zu mir und deutete mir, dass ich aufschließen sollte. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Warum ich nicht mit ihnen laufen wollte wusste ich selber nicht. Ich beschloss dennoch etwas näher an sie heran zu gehen, als ich Marlons spöttische Stimme vernahm.
 

"Sie hat mich gefragt, ob sie mitspielen darf, dabei weiß doch jeder, dass wir keine Mädchen aufnehmen.", höhnte er und sein Bruder nickte ihm zustimmend zu. Ich beobachtete wie Deniz die Stirn runzelte. "Ach und was ist mit Annika und Vanessa!", sagte er und schaute Marlon bitter böse an. Ich atmete erleichtert auf, als ich bemerkte, dass mein Zwilling mich versuchte zu verteidigen. Warum auch nicht, schließlich wusste er ja, wie gut ich war.
 

Ich bemerkte wie Marlons Miene sich in blanken Hohn verwandelte und biss mir leicht auf die Lippe. Was hatte er nur gegen mich? Was hatte ich ihm getan?
 

"Annika ist spitze wenn es um Fußball geht und Van..." Er stockte, als er den Namen der Unerschrockenen sagen wollte. Den Grund dafür wusste ich nicht, aber ich wusste, dass ich ihn spätestens nach der Schule erfahren würde. Oder aller spätestens, so wie ich meinen Bruder kannte, übermorgen.
 

Leon ergriff schnell das Wort, um seinen älteren Bruder nicht wie einen Volltrottel aussehen zu lassen, der er allerdings für mich schon war. "Vanessa ist unerschrocken. Außerdem sieht deine Schwester so rosa aus."

Lautes Gelächter war zu hören, doch mein Bruder fand das alles andere als komisch. Er ballte seine Hände zu Fäusten und fluchte etwas auf türkisch. Es war selten, dass er in seiner Muttersprache redete, geschweige denn fluchte, doch ich verstand warum er das tat.

„Rosa?“, fragte er dann wütend und beäugte einen nach dem anderen. „Heiliger Muckefuck, leider ja Deniz! Sie ist rosa. Das musst du doch selbst zugeben.“, hauchte Fabi und kratzte sich dabei leicht verlegen am Hinterkopf.
 

Ich schaute an mir hinab. Was war denn an mir rosa? Ich hatte zwar eine kurze Jeans an, doch rosa war sie ebenso wenig wie mein Top. Auch meine Cowboystiefel, die ich so liebte, waren rot und nicht rosa. Aber vielleicht war ich für sie einfach zu weiblich. Ja verdampft und verknotet, viel zu weiblich. Ja und weil ich so ein richtiges Mädchen war, eines, dass sich nicht hinter der Fassade eines Kerls versteckte, eines das sich traute einen Rock zu tragen und nicht nur in Hosen rumlief, hatte sie alle angst. Verdammte angst und die schwallte zu mir rüber, nährte mich und machte mich stark.
 

Die Nummer Zehn holte Luft und fügte noch hinzu: "Ja, sie würde bestimmt gern mit Rabans rosa Cousinen Haare frisieren.“ – „Und schminken!“, stieg Raban ein und klopfte sich auf seinen Schenkel.
 

Wieder Lachen, doch diesmal blieb ich nicht stumm. Das durfte doch nicht wahr sein. Mit bitterböser Miene, welche sagte 'Ich bring dich um!', schritt ich auf ihn zu und stellte mich gefährlich nah vor Marlon, dessen Nase beinahe meine berührte. "Eigentlich schminke ich mich lieber allein!", sagte ich zickiger, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte. Dann hob ich meinen Zeigefinger und tippte meinem Gegenüber damit auf die Brust. "So ich bin also rosa?", fragte ich nochmal nach, obwohl ich die Antwort schon kannte. Wahrscheinlich kam ich Marlon doch etwas zu nahe, denn dieser Schluckte einmal und brachte nur eher ein leises "Ja" hervor. Meine Augen verkleinerten sich zu engen Schlitzen, welche nur auf Marlon gerichtet waren. Als er mich ansah huschte ihm ein siegessicheres Grinsen über die Lippen. "Okay.", hauchte ich gefährlich. "Kleine Jungs die mit dem Feuer spielen, verbrennen sich die Finger!", verkündete ich dann etwas lauter und drehte mich zu den anderen Kerlen um. "Ich will ein Duell!", rief ich und schaute dann wieder zu Marlon. "Mann gegen Frau, du und ich, 18 Uhr im Teufelstopf!" Marlon sah mich etwas verwundert an und fing dann an mich auszulachen. Verflucht, der lachte mich doch tatsächlich aus!

„Tut mir Leid, aber gegen ein kleines Mädchen spiele ich nicht. Die verlieren nur!“, gab er lässig zurück. Doch ich blieb kalt und grinste noch breiter, woraufhin ich wieder seine Angst sah. „Ich besiege dich auch mit meinen roten Cowboystiefeln!“, stellte ich klar. Doch nun mischte sich Leon ein. „Das ist keine Kunst! Nessi hat uns mit ihren rosa glitzer Pumps besiegt!“

Doch was der Slalomdribbler nicht geahnt hatte war, dass ich noch nicht fertig war. „Und in einem rosa Minirock!“, fügte ich siegesgewiss hinzu.
 

Die Jungs um mich herum waren verstummt, nur Marlon fing an zu lachen. "Oder hast du etwa angst?" Ich wusste, dass dies der Satz war, welchen jeder wilder Kerl reizte. So bekam man bei ihnen immer was man wollte, zum Mindest hatte mir das mein Bruder gesagt.
 

"Okay.", willigte Marlon dann ein und schaute mir nochmals in die Augen, doch konnte diesen nicht stand halten. "Viel spaß beim Verlieren!", sagte er noch, ehe er zu seinem Fahrrad ging, um daraufhin davon zu düsen. Sein Bruder und auch die anderen Jungs folgten ihm. Einer nach dem Anderen. Nur Deniz blieb bei mir und runzelte leicht die Stirn.
 

"Bist du dir wirklich sicher, dass du die Nummer Zehn schlagen kannst?", fragte er leicht verunsichert. Ich gluckste ein wenig und knackte mit den Knöcheln, um meine Antwort auf seine Frage zu unterstreichen. "Klar, ich habe dich immerhin schon mit acht Jahren geschlagen!", sagte ich zufrieden und schlenderte auf den Fahrradständer zu. Ich bemerkte nicht, wie mein Bruder mit einem leichten Lächeln seinen Kopf schüttelte und dann erst auf mich zukam. Auch er entsicherte sein Fahrrad, das wilde-Kerle-Bike und wir fuhren gemeinsam nach Hause.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  DasChefchen
2010-09-17T19:51:00+00:00 17.09.2010 21:51
Ich hab nicht viel mit den Wilden Kerlen zu tun, zugegeben.
Aber das, was du so gewandt geschrieben hast, gefällt mir sehr, da die Charakteren gut beleuchtet werden und du einen dafür sehr geeigneten Schreibstil hast. =)
Bin gespannt, was für stilistische Wege du noch gehen wirst!



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