Memory von Diracdet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Hallo liebe Lesenden, wenn ihr euch hier her verirrt habt, oder gar bewusst hier rüber gestolpert seid, dann heiße ich euch herzlich willkommen und hoffe ihr bleibt den Moment, diesen etwas... anderen Oneshot zu lesen. Zunächst zum Anlass dieser kleinen Geschichte: Happy Birthday, Shelling__Ford! *Geburtstagstortehinstellt* Alles, alles gute von mir und an dieser Stelle auch von Leira, die mir sehr bei der Formulierung dieser FF geholfen hat. Danke sehr, Leira. Und neben den Klassikern, Gesundheit, Glück, Freude etc. wünschen wir dir auch nochmal viel Erfolg für deinen neuen, wichtigen Lebensabschnitt. Möge dir dabei der Spaß niemals abgehen. ;] So, nun habe ich damit rumgedruckst, diese Geschichte genauer zu benennen und das hat auch einen Grund. Es ist kein eigentlicher Oneshot; es ist eine Sidestory in meinem Detektiv Conan – Noir Crossover, welche ich hiermit dem Geburtstags-Kind widme.^^ Auch wenn Noir de facto keine Rolle hierbei spielt. XP Und in diesem Sinne lässt sich diese FF leider auch erst nach 'Götter, Engel, Dämonen und das Meer' lesen. Sorry an alle, die da jetzt nicht direkt mitlesen können, es tut mir wirklich leid. Aber ohne diese Geschichte und ihre Hintergründe fürchte ich, ist diese FF mehr verwirrend als alles andere. Wie das halt ist mit einer Reihe. ._. Es geht um eine Person, die ebenfalls auf der Ocean Goddess war, und seitdem... etwas anders ist als sonst... Wie der Titel es verrät, es geht um Erinnerungen, und damit verbunden um viele Flashbacks. Zur Verdeutlichung sind diese immer mit einer horizontalen Linie getrennt – und wir beginnen in der Gegenwart. ;] Und es geht mal wieder um ein Lied, welches im Hintergrund spielt. Ein Musical-Song in diesem Fall, der die Stimmung vielleicht ein wenig einfängt und dem Protagonisten hilft zu verstehen. Alles weitere könnt ihr, wenn ihr wollt, dann selber nachlesen. Ich hoffe es gefällt euch, wünsche euch viel Spaß und Shelling__Ford einen wunderschönen Geburtstag! LG, Diracdet _______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ Memory Langsam schwang der Sherry im breiten Kelch des Rotweinglases hin und her, kontrastreich zum schnell dahin tobenden Wind, der seit einer Woche geräuschvoll um die kleine Berghütte wehte. Die automatische Heizung tat, was nötig war, um den schwachen Kamin als eine gemütliche Wärmequelle hinzustellen. Ein angenehmes, wohltuendes Klima, das der einzelnen Bewohnerin momentan wie Balsam für die Seele vorkommen sollte. Aber so empfand sie einfach nicht. Kälte umschlich sie ständig trotz der 26 Grad Zimmertemperatur und dem nicht Verlassen des Hauses seit Tagen. Vorräte waren genug da, alle möglichen Annehmlichkeiten – sie bekam sogar eine Zeitung jeden Tag zugeschickt, auch wenn sie dafür für etwa sieben Sekunden die Tür nach draußen aufmachen musste. Es war keine äußere Kälte, die sie zittern ließ; es war etwas, das von innen kam und nur von innen auch bekämpft werden konnte. Wenn überhaupt. Alle äußeren Mittel halfen nichts. Sie stellte das Glas unbesehen wieder hin, blickte auf das Kleinod neben sich auf dem großen Holztisch. Eine kleine Plexiglashülle in der ein fast unsichtbarer Faden in seiner geschwungenen Bahn sich zeigte. Am Tag nachdem sie hier ankam, zog sie es sich vor dem Spiegel aus den Haaren und betrachtete es nicht weniger schockiert wie auch diesmal wieder. 'Ein einzelnes... graues... Haar!' Ein einzelnes Haar, welches in dieser Nacht, an diesem Morgen auf der Ocean Goddess ergraut war. Unglaublich! Wie so vieles, was sie in der jenem Morgen vorausgegangenen Nacht erfahren hatte. Dabei war die Anwesenheit Noirs, die zunächst schockierende Erkenntnis, am Ende des Morgens verblasst gegen alles, worüber Conan sie noch aufgeklärt hatte. Seit dieser Offenbarung schlief sie einfach nicht mehr ruhig, Alpträume verfolgten sie nachts, und die diesen zugrunde liegenden Erinnerungen tagsüber. "You don't look well, Sharon.", stellte sie gerade erst diesen Morgen fest, als sie das restliche, zerzauste Haar auf ihrem Kopf betrachtete, das sie einfach nicht mehr gerichtet bekam. Und dann saß sie am Tisch. Hörte dem Feuer zu, trank, was der Vorratsschrank ihr zu bieten hatte, ohne gleich dem Suff zu verfallen... aber doch um zu betäuben... und dachte nach. Erinnerte sich. Jeden Tag aufs neue. Immer und immer wieder. Sie zerpflückte in Gedanken diese Fetzen ihres Gedächtnisses in seine Bestandteile, ergänzte um die Aussagen und Interpretationen des kleinen Sherlock Holmes, der ihr begegnet war, überdachte sie erneut, und fügte alles wieder langsam zusammen. Sie hoffte unterschwellig, doch noch irgendwo einen Fehler in seinen Deduktionen zu finden, der ihr wenigstens etwas moralischen Halt gab... aber da war keiner. Sie hatte ihn schon damals, in New York, genau richtig eingeschätzt. Er hielt sein Versprechen, breitete ihre Lügen und Verbrechen vor ihr aus und stieß sie damit in die Hölle, in die sie gehörte. "Die Hölle... yes. Impressive, cool guy.", rügte sie sich selber. Gefängnis, Tod durch eine der Hinrichtungsmethoden diesseits oder jenseits des Pazifiks, Entblößung vor der ganzen, großen Welt oder gar den schmerzhaftesten, grausamsten Verrätertod durch die Organisation, den diese sich ausdenken könnte... all das hatte sie in Betracht gezogen, damit rechnete sie direkt. Oder eben der einsame Tod in der Überzeugung die einzig Wissende zu sein. Aber niemals, dass er ihre ganze Vergangenheit vor ihren Augen neu aufrollte, und alles, was sie selbst zu wissen glaubte, in Frage stellte. "That is the real Hell. Not just pain, that hurts you from deep inside like a bunch of needles, that walks through your body inch by inch. But more than that, the unexpected and invincible spear that destroys every possible defense a human being can come up with. It breaks you into pieces first and then harms the now bare open, unprotected soul, that you have lost to it." Eine Feststellung, mit der sie sich jeden Abend, vom rekapitulieren ermattet, schlafen legte. Ihr Blick schwankte von dem grauen Haar, welches ihre Niederlage für sie als Fakt markierte, auf die große Hi-Fi-Anlage am anderen Ende des großen Zimmers, weit weg vom Kamin, wo dieser sie nicht beschädigen konnte. Es war zwar eine Hütte an den Bergen, aber doch weit ab von lawinengefährdeten Gebieten und so einsam, dass sie, wenn sie wollte, jederzeit laut aufdrehen konnte. Nur, dass sie es nicht tat. Nie, es war mehr die Möglichkeit, welche sie zum Kauf dieser großen Gerätschaft inspirierte. Und schon gar nicht in diesen Tagen. Sie starrte die auf die Seite gelegte CD-Hülle an, die ebenfalls seit Tagen unangetastet daneben lag. Sie wusste ganz genau, welche es war und sie wusste ganz genau, welches eine Lied davon sie seit einer Woche jeden Abend hörte. Ein resigniertes Lächeln später mühte sie sich aus dem weichen Sessel, ging zur Anlage, schaltete sie ein, wählte besagtes Lied aus, Modus Endlosschleife, und setzte sich fast hastig wieder zurück, um keine Note zu verpassen. Warum sie sich so gerne Musicals anhörte, war ihr immer klar gewesen. Diese Verbindung zu ihren Wurzeln, dem Theater, dem Anfang ihrer Karriere, war unverkennbar. Das musikalisch untermalte Schauspiel, die Live-Bühne, auf der man doch eben als Schauspieler gefeiert wurde, die Bretter, die die Welt bedeuteten, und bei ihr vom Broadway direkt nach Hollywood führten... Es war eine der schönsten Zeiten ihres Lebens. Ja, sie hatte ihre Eltern in diesem grauenhaften Feuer verloren... "Shut up, Sharon!", wollte sie sich selbst zurechtweisen, ohne damit Erfolg zu haben... aber dennoch, damals... damals hatte sie ihre Familiengeschichte scheinbar hinter sich gelassen, hatte einen Mann, eine Tochter, war berühmt, gefeiert, beliebt... glücklich... 'How could it all go down the drain from that point onwards?' _______________________________________________________________________ Unruhig zuckte ihr Blick zwischen den zwei Abendgarderoben hin und her, die sie vor einer Woche in Los Angeles bei einem Privat-Designer erworben und liefern hatte lassen. "Du bist ja richtig nervös, Sharon.", stellte er mit leicht lächelndem Unterton fest. "So ist das also, am Tag bevor man seinen ersten Oscar erhält, was?" "Schatz...", begann sie genervt, leicht gereizt, vor allem aber wirklich nervös, "So gerne ich dir zustimmen würde, aber die Frage, ob mir die Academy morgen diese Statue überreicht oder nicht ist für mich momentan ehrlich gesagt zweitrangig." Er wusste, was sie beschäftigte und konnte nicht verbergen, dass auch ihn das nicht kalt ließ. Sie war quasi im Eilflug von Japan in die Staaten gereist, um sich ordentlich einzukleiden für die Verleihung, und düste umgehend zurück. Das Gefühl einer bestimmten Angst ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. "Es ist wirklich nicht so schlimm, wie du denkst. Es kommt nun mal... vor... in meinem Metier..." "Ach ja? Beziehungen, Vitmain B, man kennt das ja... so in etwa hast du mir vor unserer Hochzeit diese Organisation beschrieben?! Ja, ich ahnte sogar was du meinst, aber seit wann sind diese Geschäfte, vor allem 10000 Kilometer entfernt von Washington DC, interessant für das FBI? So internationale Beziehungen ist doch wohl mehr als 'nur' die Yakuza, oder nicht?" Er stand unwillkürlich auf, ging zum Fenster schaute nach draußen, sah den schwarzen Wagen vorfahren. "Sieh an... Elena kommt uns besuchen.", stellte er fast nebenbei fest. "Sie will dir auch Glück wünschen, schätze ich." Sharon hörte kaum zu, während sie ihre Sachen weiter unruhig in die Koffer verteilte. Das Gefühl konnte sie einfach nicht loslassen. Dass das FBI hinter ihrem Mann her war, bedeutete zum einen, dass diese Organisation viel größer war, als das, was sie bisher kannte... Was sie aber viel mehr aus der Fassung brachte, es bedeutete Gefahr. Todesgefahr. Schnappte ihn das FBI... wenn es so an ihm interessiert war, wohl wissend, dass sie Grenzen und internationales Recht überschreiten würden... dann wartete auf ihn, egal, ob hier in Japan, oder in den USA, nur der Tod. Und diese Organisation... was würde sie tun, wenn sie in ihrem Mann eine Gefahr für ihre eigene Sicherheit sah... das gleiche. Es war wie ein kleiner Klecks nur auf dem makellosen Image von Sharon Vineyard, dass ihr Mann Mitglied einer Verbrecherbande war. Sie liebte ihn und verzieh es ihm, nicht zuletzt vielleicht auch aus einer Naivität, die sie eines Tages bereuen sollte. Die Glamourwelt von Hollywood mischte jede Realität mit einer Traumwelt, und verwischte die Grenzen zwischen ihnen. Sie sah es zwar, realisierte es aber nie so richtig. Es war wie ein Teil einer Rolle, die sie spielte. Die Liebe verzieh einem seine Fehler, auch wenn sie wiederholt wurden. Aber nun stand sein Leben auf dem Spiel. Und das war kein Film mehr, aus dem der Regisseur oder der Buchautor noch ein geniales rettendes Ende zaubern würde. Es würde kein Deus ex Machina auftauchen und alles zum guten wenden. Das konnte in diesem Fall eigentlich nur ein anderer... Ihr Blick wanderte nach oben, an die Decke. 'Bitte, lass nicht zu, dass ihm was passiert, wenn ich weg bin. Ich vertraue dir. Dir und...' "Na, was macht unser großer Star? Hat er Lampenfieber, vor seinem größten Augenblick in der Karriere?" Elena kam, hereingelassen von Sharons Mann, geradewegs auf sie zu, was auch die Schauspielerin kurzzeitig aus ihren Sorgen riss. "Ach Elena, wie soll‘s mir gehen? ich habe genug andere Preise gekriegt und genug Verleihungen beigewohnt. Es ist nicht so schlimm, auch wenn ich danach vielleicht aussehe." Sie wischte sich unwirsch über die Stirn, sah die Wissenschaftlerin hoffnungsvoll an. Auch ihr war zu Ohren gekommen, dass ein bestimmtes Mitglied seit einiger Zeit einen FBI-Agenten namens Starling am Hacken hatte. Und sie kannte die Organisation gut genug um zu wissen, wie die Antwort auf Sharons unausgesprochene Frage lautete. "Er nimmt es scheinbar relativ gelassen." "Ja... vielleicht ist es Galgenhumor." "Aber es ist nun einmal vorläufig so. Das FBI kann hier in Japan nicht frei handeln. Die Bestimmung des Bosses, ihn nicht ausreisen zu lassen, ist eine Sicherheitsgarantie für ihn. Er hat durchaus einen wichtigen Status für die Organisation. Sie werden ihn nicht verlieren wollen." "Dein Wort, Elena... in Seinen Ohren. Und... und wie läuft es bei deiner Forschung?" Sie spürte die Trockenheit auf ihrer Zunge, der Wunsch, sich abzulenken. Nun musste auch die Britin sich an die Stirn fassen. Das Thema war ihr in letzter Zeit lästig geworden. "Genauso wie vor einem Monat. Seit Atsushi den Fehler machte, mit einer halben Entwicklung zu Pisco zu gehen, um für die Weiterführung und Intensivierung der Forschung zu werben... sitzt uns dieser Typ nur noch im Nacken. Jeden Tag fragt er, ob wir einen großen Test machen können, mit dem er dann vor dem Boss prahlen kann." "Hm... ja, diese Organisation ist irgendwie... lästig." "Das sind die Wege der Organisation, Sharon..." Es klang, als wäre die Forscherin nicht richtig bei der Sache, als sie diese Floskel formulierte, aber Sharon kannte den Spruch mittlerweile. Viele verwendeten ihn, wenn sie mal Zweifel hegten an der Organisation. Auch Elena, die in ihrem Labor zusammen mit Atsushi stets eiskalt wirkte, keine Reaktion auf irgendein anderes Mitglied zeigte und alles, was die Organisation tat, nach außen hin gut hieß. Außerhalb, im Privaten, kannte sie sie anders. Sie war auch Mutter, liebevoll zu ihrer kleinen Akemi... und freundlich. Ehrlich freundlich, wie Sharon meinte. Ein verzweifelt hoffendes Flehen legte sich in die Mimik der Schauspielerin, als sie ihre gute Freundin bei den Händen fasste. "Elena... ich bitte dich..." "... Keine Sorge, Sharon, ich pass auf ihn auf." Sie nahm ihre Hände, drückte sie fest, bis auch Sharon ganz langsam wieder lächelte. "Wehe, du bist nicht glücklich morgen Abend, klar?" "Ja, ja, schon gut, Elena!" Eine kleine Träne konnte sie nicht unterdrücken, als sie in das beruhigende Gesicht der Engländerin blickte. ________________________________________________________________________ 'Am nächsten Abend dann, in Los Angeles, bekam ich tatsächlich diesen dummen Preis... und noch während der Danksagung spürte ich das Stechen in meiner Brust... Da bist du gestorben, nicht wahr, Schatz? Nicht, weil die Organisation dich tot sehen wollte... du wolltest Chris beschützen, so wie es sich für einen Vater gehört.' Auch diesmal konnte sie die Tränen nicht zurück halten. In der Einsamkeit ließen sich Gefühle nicht so im Zaum halten, wie in der Gruppe. Jede Maske wurde dort brüchig, weil kein Klebstoff sie so festhalten konnte, wie der Wille, eine Rolle vor anderen zu spielen. Sie erinnerte sich, wie die Wut in ihr hochkroch, als ihr Elena am nächsten Tag unter Tränen davon erzählte. Sie habe versucht, es zu verhindern, habe auch versucht, mit dem Boss persönlich zu sprechen, vergebens. ________________________________________________________________________ "Sag mir nur eines noch, Elena." Ihre Stimme schwankte zwischen Verzweiflung und einer Form von Egalität, die die frischgebackene Oscarpreisträgerin in ihrer ganzen Schauspielerkarriere noch nicht so von sich hörte. Bestärkt wurde dieses Gefühl von dem Blick ihrer Freundin, der sichtlich beunruhigt vom Tonfall wurde. "Sharon... was..." "Du weißt doch sicher, wie dieser FBI-Agent heißt, der an seinen Fersen klebte." Die Beunruhigung wich einem leichten Schock in ihrem Gesicht. Auch Elena schwankte, weigerte sich zunächst, konnte es aber doch nicht richtig zurückhalten. Schuldgefühle, weil sie ihren Mann nicht schützen konnte? ________________________________________________________________________ 'So etwas in der Art dachte ich damals. Obwohl sie wusste, ganz genau wusste, weshalb ich fragte. Andererseits... aus heutiger Sicht war ich wohl auch damals schon die... dumme Marionette der Organisation. Diese Aktion trug eigentlich schon immer deine Handschrift, Pisco.' Ein verhohlenes Lächeln glitt auf ihre Lippen. War es doch so ewig her, und sie hatte genug anderes gesehen, genug getan, um zehn Mal in der Hölle zu landen. Und doch, sie empfand immer noch Genugtuung beim Gedanken an seinen Tod im Haido-Intercity-Hotel. "How naïve." Sie wusste es war falsch, genau wie es damals falsch war, den Namen Starling zu erfahren zu müssen und zurück zu reisen. 'Der Moment, als ich vor seinem Haus stand, ihn das erste Mal aus der Ferne beobachtete, das war der Moment, wo ich mich letztlich entschied.' ________________________________________________________________________ "What a magnificent building, nearly a manor. Does a mere policeman of higher merit earn so much?" Das zweistöckige, weiße Einfamilienhaus, welches offensichtlich schon einige Generationen auf dem Buckel hatte, eröffnete sich ihr von ihrem Beschattungspunkt gegenüber wie ein kleiner Palast. Das Bild der Vorzeigefamilie mit einer geliebten Frau und einer fröhlichen Tochter brachte immer wieder ihr Blut zum kochen. 'Why, Starling? Why do you have the luxury of a happy family, while mine was destroyed, before it even began? How can you ruin someone’s life, and just go back home and play with your daughter, as if nothing has happened? You liar! Liar!' Ihre Hände verkrampften sich in das Fernglas, die ihr zugewandten Okulare beschlugen sich von Feuchtigkeit. "You should burn. Burn like my parents, you bastards." Dann fiel ihr Blick auf Jodie, die kleine Blondine, die gerade lachend im großen Garten spielte. ________________________________________________________________________ Memory All alone in the moonlight I can smile at the old days I was beautiful then I remember the time I knew what happiness was Let the memory live again ________________________________________________________________________ 'Little girl...' Die Erinnerung brach in ihr aus, die sie so lange verdrängte. Diese Trauer, als sie vom Tod ihrer Eltern erfuhr. Wie es ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Jodie würde es auch erfahren, ohne Zweifel. Sie konnte das Kind nicht verantwortlich machen für den 'Mord' an ihrem Mann. 'Nicht, dass du Agent Starling dafür wirklich verantwortlich machen könntest, Sharon.', aber sie drückte ihr Gewissen beiseite, beobachte das kleine Mädchen eine Weile, dachte an Chris... aber auch an Akemi, Elenas Tochter. Wie sie wohl ohne Eltern zurecht käme... und wie sie ohne ihre eigenen sich entwickelt hatte. '... No... no, my little Jodie. I don't let you feel this emptiness. Burn with them. Believe me, you will be thankful to me some day.' Was an dem folgenden Tag passierte, war aus ihrem Gedächtnis fast ausradiert; so verschwommen, dass sie sich nicht mehr wirklich an Details erinnern konnte. Sie wusste, sie führte noch ein Gespräch mit dem Mann, dem sie den Tod ihres Geliebten anlastete, mit vorgehaltener Pistole, aber worüber, konnte sie nur erahnen. Dann erschoss sie ihn, und seine Frau... Jodie... was mit Jodie war, war ihr gar nicht mehr so richtig klar gewesen, bis sie die erwachsene FBI-Agentin vor kurzem aufklärte. Aber ansonsten... nur diffuser Nebel über dem Tag, an dem sie ihre ersten zwei Morde beging. ________________________________________________________________________ Warum sie dieses eine Musical so mochte, das war ihr weniger klar, als warum sie diese Gattung so liebte. War es zwar eines der berühmtesten und beliebtesten, so betrachtete sie es vom Inhalt und der Aussage her doch stets nur als mittelmäßig. Schöne Musik, aber auch nicht mehr Gehalt als all die anderen Stücke dieses Engländers, der sich so einen großen Namen mit ihnen machte. Vielleicht war es doch einfach die Aussage an sich, dieses Spiegelbild der vielen menschlichen Züge, die sie als Schauspielerin selbst in- und auswendig kannte, die den Zuschauern so gefiel. Sie faszinierte, wohl auch sie, Sharon Vineyard. Und dann gab es da ja... die... 'Heldin'. "Die einsame Glamourfrau... Entschuldigung, Glamourkatze, die einst sich von ihren Freunden entfernte, um in die Welt hinauszugehen... und am Ende vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Dummheit stehend zurückkehrt." Unwillkürlich griff sie nach dem Glas und nahm einen kräftigen Schluck daraus. Es kam ihr fast vor wie ein ironisches Spiegelbild, welches sie auslachte. Nach außen hin wirkte sie noch normal, aber innerlich... innerlich fühlte sie sich wie Grizabella. 'So that's how Dorian Gray felt looking, into the infamous picture, years later.' Midnight Not a sound from the pavement Has the moon lost her memory? She is smiling alone In the lamplight The withered leaves collect at my feet And the wind begins to moan Ein kalter Windzug wehte um die Hütte, schickte allein durch sein Geräusch im morschen Holz ihr eine Gänsehaut auf die Arme. In Gedanken visualisierte Sharon das Bild von Elaine Page, wie sie in London einst bei der Uraufführung über die Bühne spazierte. Wie sie die Massen bewegte mit ihrem leisen und doch deutlichen Lied. Die Erkenntnis der Einsamkeit ist eine der bittersten und in Sharons Augen, die viele Aufführungen in verschiedenen Ländern erlebt hatte, kam niemand mehr an Pages Wirkung heran. Sie bevorzugte, auch als Amerikanerin, ihre Interpretation gegenüber der von Betty Buckley am Broadway. 'Elaine...', das erinnerte sie sofort wieder an einen ähnlichen Namen. 'Elena.' ________________________________________________________________________ "Elena!? Verdammt!" Die Forscherin wich ihrem Blick aus. Sie hatte den Zorn, diese Verzweiflung, die sich ohne weiteres in eben solchem Maß an Wut und unüberlegter Reaktion äußern konnte, kommen sehen. Aber zwei Jahre waren immerhin seit dem Tod ihres Mannes vergangen. Es war geschehen, es war vorbei. Man sah, wenn man Sharon Vineyard persönlich kannte, an, dass sie sich nie ganz von dem Schock erholt hatte. So gut war selbst die Maske einer Schauspielerin nicht. Aber innerhalb der Organisation, der sie nie richtig beigetreten war, kannte sie praktisch niemand mehr als beim Namen. Ausgenommen eben Elena Miyano. Die Frau, die ihren Mann als Versuchskaninchen benutzte... und dabei tötete. Und es sogar verheimlichte! Zwei Jahre lang! Bis dieser Idiot Pisco sich mal verquatscht hatte, als Sharon ihn drängte. "Warum, du elende..." Sie packte Elena an den Schultern, zwang sie, ihrer ehemaligen Freundin ins verkrampfte Gesicht zu sehen. Die weit aufgerissenen Pupillen ließen jeden klaren Gedanken, den man ihr zumutete, in diesem Augenblick als Illusion dahinschwimmen. "Sharon..." Sie zögerte, wollte ihre Worte mit Bedacht wählen, ohne etwas Bestimmtes auszusprechen. "Das weißt du ganz genau!" Sie legte alle ihre eigenen Emotionen ab, spielte ihrerseits nun die kaltherzige Forscherin. Eine Maske die Sharon als einzige normalerweise zu deuten wusste. Normalerweise. "Das sind die Wege der Organisation. Er war für sie mehr eine Belastung als eine Hilfe und das weißt du auch. und sie wollten ihn für die Forschungsreihe nutzen. Es gab... Überlebenschancen..." Den letzten Satz stammelte sie nur leise. Der Schock setzte sich noch etwas tiefer in ihrem Gegenüber fest, als diese Aussagen wie Wellen auf die Brandung trafen und in ihrem Kopf ein Chaos anrichteten. "Du... du wolltest das verhindern! Du hattest es mir versprochen!" Heulend krampfte sie sich an den weißen Kittel verlor trotz der Tränen ihren Blick nicht aus den Augen. Sie erhoffte sich den kleinen Zweifel, den sie als Menschlichkeit interpretieren konnte. Sie wollte sich einfach nicht so geirrt haben in einem Menschen. Organisation hin oder her, sie kannte Elena schon über fünf Jahre. Sie war kein so gefühlskalter Mensch. "Ich habe es doch versucht, verdammt nochmal! Glaubst du ich hätte es nicht?" "Versucht reicht aber nicht, Elena. ER. IST. TOT! Du hast ihn getötet, ist dir das überhaupt klar?!" Ihr Schrei geriet gegen Ende außer Kontrolle. Wären sie nicht in dem kleinen, abgelegenen Labor gewesen, viele Leute wären sofort heran gestürmt. Wesentlich mehr zumindest... als ein kleines Mädchen... "Mama, Mama, warum schreist du denn so laut? Shiho wacht gleich auf. Oh, Tante Sharon." Akemi trug in ein Stofftuch gewickelt den jüngsten Spross der Miyano-Familie auf dem Arm, lief geradewegs auf die beiden Frauen zu. Unwillkürlich veränderte sich Elenas Miene, kurzzeitig, was auch Sharon nicht entging. 'Du empfindest durchaus etwas, leugne das doch nicht.' "Hallo... Akemi." Sharon schluckte alle Wut für einen Moment runter, ballte die Fäuste zusammen und versuchte dem Kind keinen Schrecken einzujagen. "Entschuldige, wenn wir etwas zu laut waren... kommt... nicht wieder vor." "Sag mal, Tante Sharon, wo ist denn Chris?" "Na in der Schule, mein Schatz. Wo du auch bald hinkommst. Freu dich schon mal drauf. Und nun bring deine kleine Schwester lieber wieder in ihr Bettchen, sonst wird ihr noch kalt." Mit aller Mühe streichelte sie ihr über den Kopf, komplimentierte sie förmlich hinaus, während sie mit einem Auge immer Kontakt zu Elena hielt. Ein Funke Angst schien sich in ihrem Kopf breit zu machen, als sie den Umgang zwischen Akemi und ihrer Freundin sah. Als sie die Tür hinter ihr schloss, drehte sie sich wieder zu Elena um, ließ das falsche Lächeln fahren, betrachtete sie abwartend, kühl wie eben noch die Engländerin selbst. Dann lächelte sie mit einem mal wieder, verstohlen, resignierend. "Was ist, Sharon? Wolltest du mir nicht noch ein paar Sachen an den Kopf werfen?" "Hm... Obs edler im Gemüt die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden? Nein. Es war nicht dein Fehler, sondern meiner, nicht wahr?" "Was?" Die Bitterkeit in Sharons Stimme ließ ihr das Blut in den Adern langsam gefrieren. "Mein Fehler war es, dir zu vertrauen. Natürlich musstest du dich gegen ihn entscheiden. Dadurch hast du ja noch dein Leben... und deine Familie, Elena." "Nein.", flüsterte sie leise. "Du hast nur eines anderen Leben ruiniert." "Nein..." "Du hast noch... deine schöne heile Welt... noch." Mit einem Schlag spürte Sharon, wie ihr Hals vom Unterarm ihres Gegenübers gegen die Tür gepresst wurde. Das Eis schmolz bei dem Gedanken, den Elena in ihren Augen las sofort und wurde nun ihrerseits von einem Schwall unbändigen Zorns abgelöst. "Nun hör mir mal gut zu, Sharon." Sie musste sich zwingen, sowohl ihre Worte noch zu überlegen, als auch parallel der an der Tür festgepinten und unter dem Druck ihres Arms schwer atmenden Schauspielerin nicht die Luft vollständig abzupressen. "Ja, ich habe deinen Mann getötet, und ja, ich habe es im vollen Bewusstsein meines Versprechens getan. Hasse mich dafür, hasse Atsushi dafür, hasse die Organisation, es ist mir... egal. Und wenn du ein Problem mit mir hast, und das auf irgendeine Weise aus der Welt schaffen willst, dann tue es, auch das ist mir ganz ehrlich... egal. Bedenke aber, du bist nur so etwas wie ein Anhängsel der Organisation, die eigentlich nicht mal von uns wissen darf. Wir sind hier offiziell angestellt. Also wenn du dir nicht auch noch den kümmerlichen Rest deines Lebens versauen willst, dann lauf nicht bei nächster Gelegenheit mit einem Messer auf uns zu, sondern sei etwas... kreativer. Nur so als Hinweis." Damals konnte sie diese Worte nicht richtig deuten. Es war, als forderte Elena sie direkt auf, sie zu töten. Unauffällig, damit es die mächtige Organisation nicht mit bekam. 'Was soll das, du dreckige... Mörderin?' "Aber... niemals, ich sage NIEMALS, wage es, dich an einer meiner Töchter zu vergreifen, Sharon! Ist das klar? Niemals!" "Wa...rum?", drückte Sharon schon rot werdend noch heraus. "Weil du selbst noch eine Tochter hast, Sharon. Vergiss das nicht." Bei diesem letzten Satz verlor sie das Bewusstsein, klappte vor Elenas Augen zusammen. Stunden später wurde sie leicht frierend auf einer Couch in einem Nebenzimmer wach. Elena war gegangen, ließ das Labor vorläufig alleine, und die Schauspielerin mit ihren Gedanken. ________________________________________________________________________ Vermouth nahm einen weiteren Schluck und ließ die Erinnerung auf sich wirken. Was danach kam, war ihr vollkommen klar im Gedächtnis erhalten geblieben. 'Ja, ich nahm ihr Angebot an. Das Leben der beiden Forscher Atsushi und Elena Miyano für das meines Mannes... und Akemi und Shiho ließ ich am Leben, weil ich auch noch Chris hatte.' Eine so banale Interpretation, die scheinbar keinerlei Schwachpunkte besaß. Elena gestand schließlich ihre Schuld. Auch wenn es auf Drängen der Organisation war, sie hatte getötet. Und sie hatte versprochen das Opfer zu beschützen. Daran war einfach nicht zu rütteln. "Apart of course... from this one sentence..." "Wa...rum?" "Weil du selbst noch eine Tochter hast, Sharon. Vergiss das nicht." Sie hatte ihn faktisch vergessen. Was für ein absurdes Argument sollte das überhaupt sein? "Absurd. Exactly that... until you came and cleared my mind, cool guy." Wie naiv konnte sie nur gewesen sein, um nie diesen einen Satz zu hinterfragen. 'Das war es, weshalb du dich schuldig fühltest und es auch so gesagt hast. Mein Mann hat sich geopfert, nicht für euch, nicht für die Organisation, sondern für meine Tochter, Chris. Ich hatte sie noch... statt meines Mannes. An deiner Schuld hieltest du fest, aber es war eben keine Last für die kommende Generation. Ihr wolltet selber einen Schlussstrich ziehen.' "And now... I am the one most guilty of us, Elena." Sie hob das Glas, sah im Licht der Deckenlampe, dass es fast leer war, füllte nach und hob es erneut an. "This one's for you, old friend. I'm sorry. Cheers." Sie leerte es in einem großen Schluck, stellte es lautstark zur Seite und ließ den Kopf in den Nacken fallen; beobachtete mit verkrampft heulenden, geröteten Augen die Decke. Eines war ihr in diesem Moment klar. Von allen Erklärungen, die Conan ihr auf dem Schiff gab, von all den Details, die sie kannte und all denen, die sie vorher noch nicht kannte, wog keines so schwer wie dieses auf ihrer Seele. Sie hatte vieles bereits auf sich geladen. Vor und nach diesem Doppelmord an den Miyanos. Aber nichts belastete sie so sehr, nichts zerbrach ihren Schutzpanzer so ohne Widerstand und stieß ihr in das Herz, von dem sie bis vor nicht allzulanger Zeit meinte, es gar nicht mehr zu besitzen, wie diese Offenbarung. Die Tränen bahnten sich auf beiden Seiten einen Strom, der nach wenigen Minuten so konstant mit Flüssigkeit benetzt war, dass sie die nachrückenden Wasserperlen nicht mehr spürte. Unsanft und doch gemütlich schlummerte sie zum kontinuierlich wiederholenden Klang des Liedes ein, verbrachte einige wenige Stunden in Morpheus‘ Armen, ohne dadurch Beruhigung oder gar Absolution zu finden. Als sie wieder aufwachte, wies die Dunkelheit draußen darauf hin, dass es immer noch nachts war, auch wenn wohl laut Uhr in einer Stunde der Morgen grauen würde. Every streetlamp Seems to beat a fatalistic warning Someone mutters And the streetlamp gutters And soon it will be morning "Elena!", rief sie sich selbst und dem Kamin ins Gedächtnis. Eine Sekunde später war der Schockmoment überwunden. Ihre alte Freundin verfolgte sie im Schlaf seit einigen Tagen immer heftiger... und gab einfach keine Ruhe. Sie stand kurz auf, ging ein wenig umher, wischte sich die feuchten Wangen trocken und setzte sich wieder auf die gleiche Stelle; starrte in das Feuer, als hoffe sie, ihre Augen zu verbrennen und sich dann besser zu fühlen. 'Ach, Elena! Du hast dein Leben definitiv für die falschen Leute weggeworfen. Für mich... für die Organisation... für... Chris.' Ausgerechnet für Chris, dieses treulose Biest. "Oh, how right you were about her, Shinichi." 'Wie sagte er noch, wie ein typisches Ein-Eltern-Kind. Irgendwann merkt man, dass die Eltern nicht so perfekt sind, wie man einst glaubte und entfernt sich von ihnen, um sein eigenes Leben zu beginnen. Hat man hingegen nur ein Elternteil, gibt es die Phase, in der man alle diese Illusionen auf denjenigen fokussiert, der sprichwörtlich keine Fehler machen kann, weil er gar nichts macht.' Kopfschüttelnd ging Sharon all die Diskussionen durch, in denen Chris als Teenagerin ihr vorhielt, was sie doch alles falsch mache, und wie beschämt doch ihr Vater davon sein müsse. Wie ihr immer stärker der Gedanke gefiel, die Arbeit ihres Vaters weiter zu machen und sie sich Stück für Stück von ihrer Mutter löste. Als ihr klar wurde, dass sie ein weiteres Organisationsmitglied heranzog, war es de facto schon zu spät. Dennoch klammerte sie sich an einen überraschenden Strohhalm, den der Zufall – oder war es das Schicksal – ihr in Form eines jungen, engagierten Zauberers schickte. Toichi Kuroba. Ihre Hand glitt an ihre Stirn, als sie an die Konsequenzen dieses erstes Treffens dachte. 'Du magst es doch, mit mir Schabernack zu treiben, gib's zu.' Mittlerweile glaubte sie fast, es verdient zu haben, auch wenn es letztlich ihre ganze Situation nur noch schlimmer machte. Dennoch damals schien es eine gute Idee, als Chris plötzlich auf sie zu kam, und sie bat ebenfalls die Kunst der Maskerade zu erlernen. Eine letzte Chance, hoffte sie, dass Mutter und Tochter noch mal zusammen kamen. Ein Strohhalm der Hoffnung eben, ihren Lebensabend wenigstens ein bisschen friedlicher und mit einem Rest an echtem Leben zu genießen. "And then came that day on the graveyard." ________________________________________________________________________ Es war zwar Sonntag, aber früh und auch relativ kalt, so dass niemand weiter auf dem weitgefächerten Friedhof war, als sie. Mit einem leichten, aber auch traurigen Lächeln auf den Lippen und einem großen Blumenstrauß in der rechten Hand nach unten haltend, marschierte sie geradewegs auf das schlichte Grab zu, dass sie ihrem Mann vor elf Jahren bereitet hatte. Kaum jemand wusste überhaupt den Namen des verstorbenen Ehemanns von Sharon Vineyard und einigermaßen gut eingepackt erkannte sie hier auch so schnell keiner. Ein Stück Anonymität, die in ihrem Metier so selten war, wie sie sie erstrebenswert fand. Sehr... sehr erstrebenswert. "Hallo, Schatz.", begann sie leise, zitternd in der Stimme, als sie vor seinem Grabstein zum stehen kam. Parallel zum reden begann sie ein paar Blätter zu entfernen, etwas vom Wind geknickte Blumen aufzurichten und eine Plastikvase für den neuen Strauß vorzubereiten. "Wie geht es dir heute? ... Oh... das freut mich, wenn es dir da, wo du bist, gut geht. Du hast es verdient, das weißt du hoffentlich. Auch wenn du mich hier... ziemlich allein gelassen hast. ... Nein... nein, tut mir leid, ich möchte nicht sterben, sicher nicht. Du kennst mich halt besser... als andere. ... Wie es mir geht? Tja... besser... besser als vor kurzem. Diese Übungen bei Kuroba haben mir durchaus interessante Optionen beschert für meine Zukunft... nicht dass ich da wirklich Probleme hätte, aber wenn du noch irgendwelche Zweifel hegtest, ich werde ohne die Organisation mein Leben weiter leben können. Und das wolltest du doch, nicht wahr? ... Ich habe bei ihm auch eine interessante junge Schauspielerin kennen gelernt. Aus Japan. Yukiko Fujimine... nein, jetzt heißt sie ja Kudo, auch wenn sie beim Film immer ihren Mädchennamen verwendet. Haha. Irgendwie... irgendwie eine amüsante Gestalt... ihre Art erinnert mich manchmal an Elena... früher, bevor... bevor Elena sich verändert hatte. Ja, schon gut, ich fang nicht von Elena und Atsushi an, es tut mir leid. Nein... aber sie wirkt... sie wirkt so unschuldig, so... zwar durchaus ernsthaft in dieser Welt und doch etwas entrückt. Hm... so ein Hoffnungsschimmer kann manchmal Wunder wirken. Auch wenn sie wohl... wenn sie auf dem Boden der Realität ankommt im Showbusiness auch etwas davon verliert... leider." Ihr Blick nahm etwas Bitteres an. Auch wenn sie nicht an Elena denken wollte, eine Lektion hatte sie von ihr gelernt. Es mochte viele naive Leute geben, die sich hinstellten und das gute predigten, solange es ihnen gut ging. Aber... in der Realität, in der grauen Realität zählte das nicht. Da wurden früher oder später alle nur zu Haien, die sich gegenseitig fraßen. Eine traurige Interpretation, das wusste sie, aber sie wusste auch, dass sie recht hatte damit. Es war schade um Yukiko, sie würde sie wirklich gerne retten... vielleicht wenn ihr Mann, der Schriftsteller werden wollte, für sie das Geld verdiente, könnte Yukiko früh sich aus dem Schauspielerdasein zurück ziehen und das Leben so genießen... man konnte es nur hoffen. "Chris? Oh ja... ich denke, ich kann sie auf den richtigen Weg führen... jetzt. Unsere Zeit zusammen jetzt... sie hat uns wieder näher gebracht. Und sie meinte, sie hätte einen Freund in Japan gefunden, den sie mir unbedingt demnächst vorstellen wollte. Ja... es geht ihr besser, Schatz." "Das freut mich, Sharon." Sharon gefror kniend vor dem Grab das Blut, als die Worte an ihr Ohr drangen. 'Was? Diese Stimme... das kann doch nicht...' "Wirklich, ich hatte gehofft, ihr beiden würdet euch nicht wegen mir zerstreiten. Das hätte mich sehr verletzt." Sie zwang sich mit aller Gewalt, wohl wissend, dass sie der Person hinter sich ihren Schock offen zeigen würde, umzudrehen und in sein Gesicht zu sehen. Da stand er vor ihr, ihr Mann, in Lebensgröße, freundlich, warm lächelnd, sah sie an. Der Mann, der vor elf Jahren getötet wurde und hinter ihr im Grab lag. Dessen Leichenzug sie selbst angeführt hatte, ihn noch kurz vorher sah... "Wer... wer..." Sein Lächeln verbreiterte sich mit einem Mal, wurde von warm zu direkt herablassend. "Haha... du hättest wirklich dein Gesicht sehen sollen, Mama. Scheint als hätte ich deine Techniken richtig gut gelernt, was?" "Chris..." Ihre Stimme war abgeflacht, während sie ihren Blick wieder zu Boden richtete. Die auf dem Boden abstützenden Hände ballten sich krampfhaft zu Fäusten. Mit Schwung riss sich die Tochter die falsche Maske vom Kopf und starrte sie kichernd an. "Haha, exakt. Och man, jetzt hast du meinen Auftritt gar nicht richtig genießen können, weil du weg geguckt hast. Naja, du wirst in Zukunft sicher oft davon hören, wie ich dieses Talent einsetze. Ich habe auch vor zum Film zu gehen, falls du es noch nicht wusstest. Hab sogar schon ein Angebot in der Tasche. Als Tochter der großen Sharon Vineyard hat man es natürlich leichter bei den Studios." "Du... du willst also zum Film damit gehen?" "Eigentlich nicht wirklich. Es ist nur meine Tarnung. Eigentlich brauchte ich diese Verkleidungstechnik, um bei meinen eigenen Zielen besser vorwärts zu kommen." Kreidebleich richtete sich die ältere auf, sah vor Schrecken in das Gesicht Chris'. "Die Organisation!" "Wieder richtig, Mama. Ist das nicht herrlich, ich kann euch beiden, dir und Papa in die Fußstapfen treten. Und mit meinen neuen Fähigkeiten und meinem Status in der Außenwelt kann ich der Organisation viele Türen öffnen. Ich werde dort bald schon ein hohes Tier sein." "Das... dafür wolltest du lernen, wie man sich verkleidet?" Sie musste immer mehr grinsen über die Naivität ihrer Mutter. "... weißt du, wie sie mich da mittlerweile nennen? Vermouth. Merk dir den Namen lieber, denn er wird bald schon einer der einflussreichsten Personen der Organisation gehören." Die jugendliche Überzeugung stand ihr felsenfest im Gesicht geschrieben, über alle Zweifel war Chris Vineyard erhaben. Und ihr gegenüber eine gebrochene, alte Frau, die sich von ihrer Tochter herein legen ließ. Ihr Blick wandte sich wieder zu Boden. "Es war wirklich zu witzig zu beobachten wie du mit Papas Grab geredet hast. Hey, man soll nichts schlechtes über die Toten sagen, aber diesen kleinen Scherz hast du förmlich heraus gefordert damit." "So... findest du?" "Er ist tot, Mama. Daran kannst du nichts ändern, und vor allem, wird er nicht wieder lebendig davon, dass du mit ihm redest." "Nicht... wieder lebendig." "Das ist ja das Entscheidende am Tod. Er ist endgültig, abschließend, unwiderruflich. Wenn jemand stirbt, dann muss man sich nicht mehr mit diesem Thema befassen, weil es nicht zurückkehrt um einen zu verfolgen. Der Tod des einen löst die Probleme des anderen. Das lernt man schnell bei der Organisation." "Der Tod des einen beendet Probleme des anderen... stimmt vielleicht... Chris." Was dann geschah, war vor ihrem geistigen Auge wie im Zeitraffer eingebrannt. Blitzartig, mit einem einzigen Sprung überwand sie aus der Hocke die zwei Meter Entfernung zu Chris, warf sie zu Boden und packte mit beiden Händen ihren Hals, presste so fest sie nur konnte. "Dann wird es Zeit, dass ich mich eines meiner Probleme entledige, was Chris? Du nichtsnutzige Göre, wie kannst du es wagen, den Namen deiner Eltern so in den Dreck zu ziehen, wie kannst du mir diesen vollkommen geschmacklosen, widerlichen Streich spielen... und wie kommst du überhaupt auf die Idee, einer von uns beiden, dein Vater oder ich, wollten jemals, dass du in die Organisation gehst? Du junges, unerfahrenes Ding hast doch keine Ahnung, was einen im Leben noch erwartet. Stehst hier, hältst mir eine Predigt und kannst dich nicht mal gegen mich verteidigen." Beider Frauen Pupillen waren um ein vielfaches geweitet. Chris versuchte verzweifelt die Arme abzuschütteln, merkte aber, dass ihre Mutter zu viel Kraft hatte. Ihre unterdrückte Stimme wollte einen Hilferuf herausdrücken, aber es kam nur ein leises Flüstern heraus. "Verrecke in der Hölle, mit der gesamten Organisation... Vermouth!" ________________________________________________________________________ Sie wusste es bereits eine Minute, nachdem Chris nicht mehr atmete und nur noch stumm vor ihr lag, und sie wusste es auch heute, über neun Jahre später. Es war ein Blackout, eine vollkommenes Ausrasten, welches sich sowohl in ihrer Tat, als auch den Worten dazu deutlich ausdrückte. "You have killed your own... daughter! At the grave of your... husband!" Schon damals sagte sie sich diesen Satz immer wieder vor, während sie Chris' Leiche verschwinden ließ. Hatte sie sich bei Elena damals darüber beschwert wie andere Leute ihr die Familie wegnahmen, tat sie nun noch ihr übriges. Nun war sie selbst diejenige, die sich um ihr Leben betrog. "Well, that is, what I know... now. Thanks to you, cool guy." Sie goss sich ein weiteres Glas Sherry ein, und trank einen großen Schluck, merkte, wie ihr der Restalkohol von vor dem Schlaf noch zu schaffen machte, und holte sich ein Glas Wasser zum Ausgleich. 'Damals hingegen... damals habe ich doch echt die Welt für diese Tat verantwortlich gemacht.' Every streetlamp Seems to beat a fatalistic warning ________________________________________________________________________ "You betrayed me even with your death, Chris. You lied. Death is not always like the closing of a book." Nein... in diesem einen Fall war es, als öffnete sich für sie ein Höllenschlund, als zöge ihre Tochter sie mit sich ins Jenseits, in eine andere Welt, die sie nie betreten wollte. Ihr Tod durfte nicht publik werden, auch nicht in der Organisation, sonst würden sie Sharon definitiv zur Verantwortung ziehen. Und was war ihr Ausweg? Ihre neu erworbenen Fertigkeiten nutzen, um diese Tote selbst zu imitieren. 'Danke für den Tipp, Chris!', zischte ihr durch den Kopf. So band sie sich unwillentlich selbst an die Organisation, aber auch an die Verträge, die Chris ohne ihr Wissen bereits mit Filmstudios in Hollywood drehte. Sie wurde Vermouth, der sie selber noch einst wünschte, sie möge verrecken. Nun spürte sie zum ersten Mal, was Elena, ihr Mann und auch ihre Tochter ihr immer wieder sagten. Den Würgegriff, in dem die Organisation ihre Mitglieder hielt, und der einen nur durch den Tod wieder entließ. Und dann war da ja noch... 'Kuroba'. Dieser eine Satz, den er ihr damals, kurz nach Chris erfolgreichem Debut beim Film an den Kopf warf, berührte sie tief. "Sagen Sie, Sharon, warum imitieren Sie ihre Tochter? Wünschen Sie sich ihr erfolgreiches Leben? Sind Sie nicht glücklich mit dem, was Sie erreicht haben? Weiter zu streben ist eine Sache, genau wie ein Neubeginn, aber... wer eine solche Maske, wie die, die ich Ihnen zeigte, dauerhaft trägt, bei dem wird die Maske irgendwann das wahre Gesicht und das wahre Gesicht zur Maske. Und so eine Maske steht Ihnen nicht." Es war fast im Vorbeigehen, als sie sich trafen, und er ließ sie ohne auf eine Antwort zu warten damals stehen. Sein eigener Fehler, den sie ihn mit seinem Leben büßen ließ. Und sie übte sich damals darin, ihre Verkleidungskünste auszunutzen und so jemanden zu beseitigen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Überlistete eine der Organisation fremde kleine Gruppe von Kriminellen, die glaubten, sich wie diese aufzuspielen, setzte sie auf ihn an. Den Möchtegern-Verkleidungskünstler, der seine wichtigste und am häufigsten benutzte Maskerade quasi offenlegte. Kaito Kid, der Meisterdieb. ________________________________________________________________________ 'Du bist schon... selbst zum Teufel geworden, den du so hasst, Sharon. Sharon? Chris? Vermouth? ... Vermouth.' Sie wurde ein Teil dessen, was sie verteufelte. Und mehrfach in den folgenden Jahren überlegte sie ernsthaft, ob es Sinn machte... es einfach zu beenden... Warum tat sie es nicht? Eine Frage, die ihr öfter durch den Kopf ging, als ihr lieb sein konnte. Weil essentiell niemand anders war als sie, dachte sie. Es gab die wenigen glücklichen, die nie solche Zeiten wie sie durchmachten, und sich freuten an der 'Schönheit' der Welt. Und dann gab es die 'Gefallenen'... wie sie, die der harten Realität nicht dauerhaft trotzen konnten und sich fügten. Alle, die die Wahrheit, die sie damals sah, sahen, würden sie verstehen. Definitiv. Darum, weil es sicher noch andere gab, die wie sie gefallen waren und es akzeptierten, wäre ein Selbstmord einfach nur feige. Die Welt drehte sich weiter, mitsamt den Gefallenen. "So it shall be!" Doch das war nicht alles... da war noch etwas, neben der Akzeptanz, das sie wach hielt. Eine kleine Flamme, die mit jedem Jahr schwächer wurde, und doch nie ausging. Hoffnung. Hoffnung, dass jemand anderes... sie eines Tages retten würde. Ihr noch einen Schimmer Licht in dieser Welt zeigt. Es kam ihr wie eine Hollywood-Illusion vor, wie die ewig trotzige Liebe, die in einem teuren Blockbuster alle Hindernisse überwand. Wer hoffte, wer in der Lage war, etwas Gutes zu sehen, zu finden und daran zu glauben, der würde nicht einfach zugrunde gehen. Dem würde das Schicksal noch einmal lachen. "How pathetic!" Und doch war es das. Sie wusste es, denn je mehr die Flamme zurück ging, desto lauter dröhnte in ihrem Kopf ein Wort, das einfach herausgeschrien werden wollte. 'Help!' Daylight See the dew on the sunflower And a rose that is fading Roses whither away Like the sunflower I yearn to turn my face to the dawn I am waiting for the day... "You're right, Grizabella. Like you, I was waiting, for some kind of light in my darkness" 'Und dann... tauchtet ihr beide plötzlich auf. Ran Mori... und Shinichi Kudo.' Eine der wenigen Erinnerungen, an deren Deutung Shinichi in seiner Interpretation nicht drehte. Letztlich, weil er dabei war und es wenig zu erklären gab. 'Der Tag, der alles änderte... müsste man wohl sagen. das war mir relativ schnell klar. Hm... wenigstens einmal brauchte ich nicht deine Hilfe um es zu verstehen.' Sie lächelte matt. ________________________________________________________________________ "Einfach unglaublich! Ich kann es nicht fassen, hier in New York so einer Berühmtheit zu begegnen! Dafür muss ich Gott danken!" 'Nein... nicht schon wieder so ein verwöhntes Gör, das keine Ahnung hat, wie die Wirklichkeit aussieht. Und das soll die Freundin von Yukikos Sohn sein? Wie typisch, die Unschuld in Person, aber wenn es hart auf hart kommt, kann man es vergessen, auf sie zu zählen.' Ein unwillkürliches Wanken überkam Sharon in ihren Gedanken. Sollte sie dieses junge Mädchen vor den Kopf stoßen, dass sie mal versteht, wie die Realität aussieht, oder sie in Frieden den idealistischen Träumen hinterherjagen, die für sie unerreichbar waren? '... lass sie. Eine mehr, die den Leuten vorspinnt, es gebe etwas Gutes auf dieser Welt.' ________________________________________________________________________ Das Glas schwankte zwischen Daumen und Zeigefinger, ließ die dunkle Flüssigkeit schwer wabern. "Like the human mind. It may be able to change its direction, but only slowly. Very... slowly." Ja, es war bei aller Liebe ein ganz normaler Tag, eine ganz normale Begegnung einer Art, die sie so oft schon erlebt hatte... nur sie endete ganz anders. Im strömenden Regen einer Seitenstraße von New York. In einer einsamen Gasse, in der sie, verkleidet als Killer, sich wieder begegneten. ________________________________________________________________________ 'Sieh an, wen haben wir denn da?' Ein leichtes Schmunzeln musste sie sich unter ihrer Maske verkneifen, als sie aus dem Gebäude stürmend Ran erblickte. Die Person, die glaubte, das Leben wäre immer noch so schön, obwohl sie einem Mord beiwohnte. 'Ehrlich, wie du Rose vorhin so einfach gerettet hast, dein eigenes Leben mal kurz ignoriert hast, das wirkte direkt schauspielwürdig... meine Kleine. Aber bilde dir nicht so viel darauf ein... so gefährlich war es nicht und die Aktion auch naheliegend. Es hätten viele so gehandelt, weil du dachtest, sie sei das Opfer und nicht der Täter. Du würdest niemals jemanden retten, der versucht, dich zu töten, nein. Und dann bricht dein ganzes Kartenhaus an Idealen über dir zusammen. Wenn es einen Gott gibt, spielt er einen makaberen Schabernack mit uns, Ran! Es ist besser, wenn du das nie erfährst und so relativ glücklich aus dieser Welt scheidest.' "Hasse nicht mich, mein Kleines. Hasse Gott, der sich so ein schreckliches Ende für dich ausgedacht hat." ________________________________________________________________________ 'Und dann... fiel ich... und sie hielt mich fest. Beide... und zumindest Ran musste glauben, sie würde womöglich danach dennoch getötet werden.' Immer wieder, auch in dieser Nacht von New York, und bis heute analysierte sie die möglichen Argumente, die Ran dazu trieben, sie festzuhalten. Es blieb keines, was ihr logisch erschien. Auch damals blieb keines. Weil es wohl keines gab. Sie tat es... weil es das richtige war. ________________________________________________________________________ 'Das glaube ich nicht. Es gibt so was doch... nicht. Ihr glaubt doch nur, dass ich euch jetzt nicht erschieße, weil ich Mitleid habe, denn ihr habt mich gerettet. Na wartet, ich werde euch...' "Lass das!" 'Und dann klärte er für mich auf, wieso er sich in Sicherheit wähnte. Was Ran nicht konnte. Schon gar nicht, weil sie in dem Moment verletzt war. Sie konnte das nicht wissen, so denkt sie gar nicht.' "Ich werde alle deine Taten aufdecken und die Beweise wie ein Puzzle zusammensetzen, um dich in die Hölle zu schicken, wo du hingehörst." In diesem Moment hörte Sharon in ihrem Kopf einmal mehr die Stimme, die seit acht Jahren in ihrem Kopf dröhnte. 'Help! Please... help me... live.' ________________________________________________________________________ Seufzend stand Sharon vom Sessel auf, machte sich einen Kaffee. Es war klar, dass sie nicht mehr schlafen würde, wo sie nun wieder an dieser Nacht angekommen war. ________________________________________________________________________ Den Weg nach Hause schleppte sie sich mehr, als dass sie ging. Die Verletzung war weniger schlimm, als die Gedanken, wegen derer sie kaum auf den Weg achtete. 'Beides... ich sah beides an einem Tag. Ein Mensch, der einfach gut ist und auch dann nicht zuerst an sich denkt, wenn es um sein Leben ging... und jemand, der durch meine Masken durchschaut." Es war ein langsam ihr bewusst werdender Schock. Sie fühlte sich die Stirn, als sie ihr Apartment erreichte. 'Wenn... das real war, dann..." Sie nahm die Hand von der Stirn, besah sich die Finger, dann ihr Ebenbild im Spiegel. Zorn kochte in ihr hoch. "Then everything I knew was wrong!" 'Ich kann nicht mehr. Ich bin über fünfzig Jahre alt. Das Schicksal nahm mir meine Eltern, meine beste Freundin, meinen Mann, eine Verbrecherorganisation meine Tochter und dieses Mädchen und Yukikos Sohn... nehmen mir die letzte Würde.' "Tell me, what in Heaven or Hell did I do wrong in your opinion to deserve this... 'Lord'?" Ihr Blick fiel auf die kleine Schatulle, die sie vor kurzem aus Japan gesandt bekam. Das neueste Wundermittel der Organisation, entwickelt von 'Sherry'. "Elenas daughter. The poison that... he should have got himself." Sie schluckte, sah noch einmal in den Spiegel. Es war so offensichtlich. Sie lag falsch. Es gab Menschen die nicht fielen, wenn man sie vor die Wahl stellte. Sicher nicht viele. Dennoch, allein ihre Existenz brach ihre ganze Welt auseinander. Nicht Rans... ihr Kartenhaus war an diesem Abend in sich zusammen gefallen. Sie war eine gebrochene, alte Frau. Sie hatte niemanden um sich, und sie hatte keinen Lebenswillen mehr. Sie wollte, diesmal, wirklich Schluss machen. Und warum nicht durch Elenas Tochter. Ihr ach so mächtiges Gift sollte schnell und ohne Nachweisbarkeit töten. 'Mach es kurz und mach es gut. Dann kann ich vielleicht in der Hölle Elena wieder sehen und von dir grüßen, Shiho.' Sie holte ein Glas Wasser, setzte sich auf das Bett, nahm die kleine Kapsel mit einem großen Schluck und fiel wenige Sekunden später unter dem vor Schmerz betäubenden Gefühl von innen zu verbrennen in eine barmherzige Ohnmacht. Der beruhigende Schlaf nach der langen Nacht führte dazu, dass sie einigermaßen frisch, wenn auch verschwitzt die Augen wieder aufmachte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, dass aufwachen genau das war, was sie nicht wollte. "What... where... no, that's a joke, right?" Ihre Augen wanderten wütend zur Decke. "Can't You even let me die for once? Did I not suffer enough in Your eyes, or what?" Sie richtete sich verzweifelt seufzend auf, überlegte, ob sie nicht doch einfach die Pistole nehmen sollte und es sicher machte. Aber irgendwie störte es sie auch, wenn man Sharon Vineyard später als Selbstmörderin bezeichnete. Es passte einfach nicht ins Bild, welches sie gemalt hatte für ihre Fans und die Paparazzi. Das Gift war laut Beschreibung schon optimal. Eine kühlende Dusche, und neue Sachen würden wohl beim Denken ganz gut tun, stellte sie fest, stand auf und spazierte los Richtung Badezimmer. Nur, um einen Schritt, nachdem sie den Spiegel passierte, stehen zu bleiben und sich schockiert umzudrehen. "No.", stammelte sie leise, fixierte das Bild auf dem Spiegel, tastete ihr Gesicht Stück für Stück ab. "No... no, not you..., not you!" Zu bekannt war ihr dieses Gesicht, um es nicht sofort zu erkennen. 'Chris... ich sehe aus wie... Chris!' Wie lange sie so vorm Spiegel stand und über die Unmöglichkeit dieser Tatsache nachdachte, merkte sie gar nicht... aber... 'Sie hatten Recht, Kuroba... Wenn man eine Maske zu oft trägt, wird sie zum Gesicht und man selbst zur Maske. Damals war Sharon schon viel mehr die Hülle als Chris... Vermouth.' Sie dachte an die unzähligen Morde, die sie beging, einzig und allein, um sich selbst zu erhalten in ihrer in einer Sackgasse angekommenen Identität. Toichi Kuroba musste geahnt haben, worauf sie sich einließ... und, dass sie scheitern würde... und nun... war sie Chris geworden. Vermouth. "No... I am... reborn." 'Eine zweite Chance. Ja, das muss es sein. Ran und Shinichi waren eine Offenbarung, dass ich nochmal eine Chance bekomme... aber... als Chris... Wofür?' Daylight I must wait for the sunrise I must think of a new life And I musn't give in When the dawn comes Tonight will be a memory too And a new day will begin ________________________________________________________________________ Eine der Fragen, die sie eine ganze Weile beschäftigten. Als Chris war sie immer noch an ihre Aufgaben bei der Organisation gebunden. Auch wenn sie ihre 'Altlasten' als Sharon hinter sich lassen konnte. Was sie auch tat. Kurz darauf 'starb' Sharon Vineyard dann ganz offiziell, womit das Doppelleben endlich ein Ende hatte. Aber sie blieb... ein Stück weit eine Gefangene in ihrem Körper, in der Organisation... in diesem Leben. 'Du wolltest mich in die Hölle stoßen, Shinichi. Wenn wir uns mal wieder sehen. Sprich... ich musste warten. Warten, dass du kommst. Du ahnst gar nicht, welcher Schock es war, dich auch verjüngt wieder zu sehen.' Sie strich sich das Haar glatt, beobachtete, wie die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont Licht in die dunkle Nacht brachten. "I've waited for the morning, for the dawn in my darkness. But tell me, are you actually that light, Shinichi?" Das war die Frage, die sie am meisten quälte seit jener Nacht. War es ernst gemeint, diese Offenbarung. War er derjenige, der ihr helfen konnte. Dass er Talent besaß, Fähigkeiten, und einen Willen, gegen die Organisation vorzugehen, das war ihr alles klar. Aber reichte das...? Und wenn nicht... 'Was müsste ich tun, damit es... ausreicht? Was... kann ich tun?' Die erste Frage beantwortete er auf der Ocean Goddess selbst. Ja, er konnte das Unmögliche möglich machen und Wahrheiten ans Licht bringen, die sie für unwiderruflich verloren hielt. Er hatte das Potential, sich mit der Organisation anzulegen... erfolgreich anzulegen. Und er hatte sie... im Morgengrauen... in die Dunkelheit der Hölle gestürzt. Mit der Erleuchtung Finsternis gebracht. Unwirsch glitt sie vom Sessel weg, durchstreifte die Hütte, fand keinen wirklich klaren Gedanken mehr. Die Erkenntnis, was noch alles falsch war an ihrer Interpretation der Ereignisse früher, traf sie ebenso hart, wie vor einem Jahr die, dass es Menschen wie Ran Mori und Shinichi Kudo überhaupt gab. Es hatte sie in der Schwebe gelassen, hilflos, unsicher. Sie wollte ihm helfen, sie wusste nur zu gut, wie weit er gehen würde, um die Organisation aufzuhalten. Und genau das wollte sie eigentlich verhindern. Nur wie? Statt über diese Frage etwas mehr Klarheit zu bekommen, ließ er sie nur mit noch mehr stehen. Fragen, die einer Antwort bedurften. "But not today." Sie stand still, lauschte einmal mehr dem Klang des Liedes Elaine Page's und atmete tief ein. Dann ging sie die neue Zeitung holen, die letzten Zeilen leise mit singend: "Look A new day has begun." Auch wenn es kalt draußen war, so kam es ihr beim Anblick der rot-orangenen Sonne gleich viel wärmer vor. Angenehm beruhigend, von innen heraus, der geschundenen Seele Balsam gebend. Summend schloss sie den Briefkasten auf, nahm die Papiersammlung heraus, ging rein und schloss wieder zu. Erst drinnen warf sie einen Blick auf die Titelseite und erstarrte sofort wieder. "What the..." Sie nahm einen großen Schluck Kaffee, nicht wissend, ob sie sich wegen Schlaftrunkenheit einfach nur verlesen hatte, oder ob das wirklich dort stand. Aber auch der zweite Blick änderte nichts. Die Zeitung sagte exakt das, was sie beim ersten Mal las. "Shinichi..." Ein schwaches, ungläubiges Lächeln breitete sich langsam auf ihren Lippen aus. "You are not for real, are you? Maybe... maybe I do know... what I have to do." Sie setzte sich mit der Zeitung wieder hin und starrte zum Fenster hinaus. Look A new day has begun ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ So, ich melde mich nochmal zum Abschluss kurz. Wie gesagt, es ist eine Sidestory zu der Reihe. Um es genau zu machen, sie spielt zeitlich am Ende der übernächsten längeren FF in der Reihe, also nicht nach der direkt nach 'Licht und Dunkelheit', sondern nach der noch danach. Ich weiß, ist verwirrender als es offen zu sagen. Ihr werdet, wenn es so weit ist, genau wissen, welcher Artikel in der Zeitung Sharons Aufmerksamkeit erregte. Aber das wirft wahrscheinlich bei einigen die Frage auf, wo eigentlich die nächste Episode der Reihe bleibt... ähem, äh... >/////<° Es tut mir ehrlich leid, aber es verzögert sich doch ungemein. Um die Zeit jetzt wollte ich eigentlich längst am hochladen sein und bin doch weit davon entfernt, momentan etwas ladbares zu haben. Daher, und weil auch die nächste Zeit kaum besser wird, werde ich mich wohl auf Anfang des nächsten Jahres vertagen müssen. Dennoch, es wird Januar 2011 sein, nicht noch später, wann dann 'Blutige Begegnungen' starten soll. Bis dahin wünsche ich euch einen schönen Ausklang von 2010, sind ja auch keine 11 Wochen mehr und bis dann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)