Meokme von YingYang ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Ich kann das nicht!", stöhnte der Junge. "Doch du kannst! Wenn du es nicht tust, werde ich es tun! Dein Zögern hilft ihr gar nichts! Es wird lediglich sehr unangenehme Folgen für dich haben!" Meokme zögerte. Er wusste, dass sein Vater Recht hatte, trotzdem hinderte ihn eine undurchdringliche innere Barriere an der Ausübung seiner Pflicht. Es war sein sechzehnter Geburtstag und die Aufgabe, die sein Vater, ihm auferlegt hatte, sollte einen symbolischen Übergang ins Mannesalter darstellen. Vor ihm lag ein bewusstloses Mädchen, das ungefähr in seinem Alter zu sein schien. "Jetzt töte sie endlich! Wie soll aus dir sonst jemals ein richtiger Mann werden?" herrschte ihn sein Vater abermals an. "Es geht nicht! Ich kann einfach nicht!" entgegnete er, inzwischen den Tränen nahe. "Du missratene Ratte von einem Sohn! Weißt du, was du mir damit antust? Andere Jungs in deinem Alter würden sich dafür schlagen, diese Kröte umzubringen! Geh zur Seite, damit ich sie erledigen kann!" Sein Vater hatte das Mädchen am Tag zuvor entführt und als Geschenk für Meokme in das Himmelreich verschleppt. Wie sein Vater war Meokme ursprünglich weißgeflügelt, was man ihm allerdings nicht ansah. Dadurch, dass er in einem der dunkelsten Winkel des Himmelreiches aufwuchs färbten sich seine Flügel und Haare, ja selbst seine Augen nach und nach immer dunkler. Nun, an seinem sechzehnten Geburtstag, waren die Haare nahezu schwarz und seine Flügel hatten den Farbton eines dunklen Graus angenommen. Ja, sein sechzehnter Geburtstag. Jener verhängnisvolle Tag, der sein Leben für immer verändern sollte. "Ich verlange ja nicht einmal, dass du sie misshandelst! Du sollst ihr einfach nur die Kehle durchschneiden!" Sein Vater zog sein schwarzes Schwert und holte aus. "Nein!", warf sich Meokme dazwischen. Er konnte es nicht unterdrücken. "Bitte!", flehte er. "Bitte!", fauchte sein Vater. "Du wagst es tatsächlich 'Bitte' zu mir zu sagen! Und du hinderst mich daran, diese kleine Göre umzubringen! Das ist Verrat! Du magst mein Sohn sein, aber so etwas kann ich nicht dulden! Ich werde dich in den Keller sperren, dich und sie!" Es mag verwunderlich klingen, wie grausam das Handeln von Meokmes Vater war. Immerhin war er, ursprünglich, ein Weißgeflügelter. Sein Vater war ein Abtrünniger. Er hatte die Fürsorge und das ständige gute Betragen der Weißgeflügelten satt, bis er es nicht mehr aushielt und in die Regionen der Schwarzgeflügelten floh. Allerdings wurde er dort als Weißgeflügelter nicht akzeptiert und so zog er sich in ein verlassenes, dunkles Gemäuer zurück, lebte von dem, was er aus der Umgebung stahl. Wider erwarten jedoch lernte er dort, bei einem seiner Raubzüge, eine Schwarzgeflügelte kennen. Sie verliebten sich und so wurde schließlich Meokme gezeugt. Das Zusammenleben hatte nicht lange Bestand. Meokmes Vater war angewidert darüber, wie viel Fürsorge seine Mutter ihrem Sohn entgegenbrachte. Nachdem er sie, bei einem seiner zahlreichen Wutausbrüche beinahe getötet hatte, floh sie, Meokme jedoch behielt sein Vater bei sich. Meokmes Mischlingsherkunft ist der Grund, weshalb sich sein Aussehen so leicht an seine Umgebung anpasste, viel leichter und schneller als bei den meisten geflügelten Himmelsbewohnern. So hatte sein Vater nach vielen Jahren in den düsteren Regionen des Himmelreichs immer noch nahezu vollständig weiße Flügel, während Meokmes Aussehen, ursprünglich dem seines Vaters ähnlich, sich immer weiter dem eines Schwarzgeflügelten annäherte. Und nun, von seinem sechzehnten Geburtstag an, musste er fortan sein Leben in einem dunklen Kellerraum verbringen, eingesperrt zusammen mit dem Mädchen. Jeden Tag kam sein Vater und folterte es bis zur Bewusstlosigkeit. Ständig musste er ihre Schreie ertragen, ständig hörte er in völliger Dunkelheit ihr leises Schluchzen und Wimmern. Dies dauerte etwa ein halbes Jahr bis eines Tages das Schluchzen verschwunden war. Anscheinend war sie endlich von ihren Qualen erlöst worden und gestorben. Doch dieses halbe Jahr war nicht Spurlos an Meokme vorüber gegangen. Die ständige Tortur, die das Mädchen erlitt, hatten ihn nach und nach immer weiter abstumpfen lassen, bis er schließlich kaum noch in der Lage war, Gefühle für andere zu empfinden. Doch dies waren nicht die einzigen Veränderungen, die Meokme erlebte. Das Mädchen mochte zwar tot sein, dies änderte allerdings nichts daran, dass sein Vater ihn weiterhin im Keller eingesperrt ließ. So färbten sich seine Flügel und Haare im Laufe der nächsten Jahre völlig schwarz und seine Haut nahm einen hellen Grauton an. Aus einem Weißgeflügelten war ein Schwarzgeflügelter geworden. Auch seine Augen wurden nach und nach immer dunkler, bis sie nahezu vollständig schwarz waren. Gleichzeitig jedoch konnte er immer mehr in der Dunkelheit erkennen. Selbst ein paar vereinzelte Lichtstrahlen ließen ihn in einem, für die meisten völlig dunklen Raum, Umrisse erkennen. Eines Tages, es mochten nun etwa 3 Jahre vergangen sein, schloss sein Vater die Tür seines Gefängnisses auf und sagte: "Steh auf!". Völlig verdutzt starrte Meokme seinen Vater an, blieb sitzen. "Mach schon, du kleine Kröte! Heute habe ich etwas Besonderes mit dir vor." Und so trat er, halb blind, geblendet durch das Licht, zum ersten mal seit drei Jahren wieder nach draußen. Und rannte! Rannte fort, fort von seinem Vater, fort von seiner Vergangenheit, nur weg von allem, was er sein bisheriges Leben nannte. Er rannte, breitete zum ersten mal seit drei Jahren seine Flügel aus und hob ab. Später wunderte er sich, dass sein Vater nichts unternahm, ihn aufzuhalten, doch in diesem Moment war ihm das egal. Ziellos flog er durch das Himmelreich auf der Suche nach einem Ausgang. Er wusste, es gab eine andere Welt, wollte seine so schnell wie möglich verlassen und so fand er nach einem knappen Monat einen Übergang. Er trat hindurch. Und ließ sich fallen. Fiel, bis er die dunkle grüne Fläche unter sich als einen Wald erkannte, fing seinen Fall mit letzter Kraft ab und landete inmitten eines dunklen Waldes. Allein. Ziellos. Hilflos. Doch halt! Was war das dort vor ihm. Er erkannte schwach einige Dächer. Etwa eine Stadt? Was es auch war, es war besser als alleine in diesem Wald zu bleiben. Und so ging Meokme auf die Stadt zu. Eine Stadt, von der er nichts wusste. Eine Stadt, die fortan sein Zuhause sein sollte. Kharmandor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)